Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane

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Ich sah mich noch ein bisschen um, allerdings erfolglos. Als ich dann hinausging, hörte ich wie jemand auf Russisch fluchte und die Türen des blauen Mercedes ziemlich unsanft zuschlug. Es war Jelena. Und sie hatte wirklich allen Grund, sauer zu sein. Von den vier Reifen waren drei platt. Zerschossen bei der Ballerei, die hier stattgefunden hatte.

Als sie mich ansah, zuckte ich die Schultern.

Ich fragte: "Wohin wollen Sie?"

"Nach Hause. Oder würden Sie mir vielleicht raten, hierzubleiben?"

"Nein."

"Der Wagen ist im Eimer. Und mit dem einen Ersatzreifen kann ich wohl auch kaum etwas anfangen."

"Das ist wahr." Ich atmete tief durch. Sie kam etwas näher. "Ich bringe Sie nach Hause."

"Wo ist Ihr Wagen?"

"Nicht weit von hier."

"Ich möchte meinen Vater hier nicht so liegen lassen."

"Das sollten sie aber!"

Sie stand jetzt dicht vor mir, keinen halben Meter entfernt. Und in ihren blitzenden dunkelblauen Augen war der Protest deutlich abzulesen. Sie hielt mich in dieser Sekunde wahrscheinlich für einen gefühllosen, rohen Klotz und vermutlich hätte ich an ihrer Stelle genau dasselbe gedacht.

Wie auch immer. Sie wollte an mir vorbei, aber ich hielt sie am Arm. Sie sah mich ziemlich böse an. Ich ließ sie jedoch nicht los.

"Denken Sie mal einen Moment klar nach", sagte ich. "Wo wollen Sie mit der Leiche hin? Einer Leiche, die förmlich durchsiebt wurde? Wollen sie sie vielleicht zum nächsten Bestattungsunternehmer bringen? Glauben Sie, dem fällt nicht auf, was mit Ihrem Vater passiert ist? Ehe Sie sich versehen, werden Sie eine Menge Fragen zu beantworten haben. Ich schüttelte den Kopf. "Lassen Sie alles, wie es ist. Die Polizei wird das Chaos hier irgendwann mal finden, alles untersuchen, die Identität Ihres Vaters herausfinden und in dann nach Russland schicken..."

"Und irgendwann eine Akte schließen, was?"

"Sicher. Was wollen Sie mehr? Einen der Killer hat's erwischt."

"Und die anderen?"

"Alt werden die sicher nicht."

Sie verzog das Gesicht. Schmerz lag darin, aber auch Verachtung. "So kann nur jemand wie Sie reden", meinte sie.

"Wenn Sie mit mir fahren wollen, dann kommen Sie jetzt. Ich habe keine Lust, noch länger hierzubleiben."

Ich ließ sie los.

Einen Moment noch schien sie im Zweifel zu sein. Dann nickte sie. "Ich hole nur noch meine Handtasche. Da ist mein Pass drin. Das wäre nun wirklich nicht sehr klug, wenn..."

"Gehen Sie schon!"

Sie ging. Etwas unsicher, aber sie ging. An der Tür drehte sie sich zu mir herum und bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick.

Ein paar Minuten später saßen wir beide in dem BMW, mit dem ich unterwegs war.

"Wo geht's hin?"

"Ich sag's Ihnen."

"Na, gut."

Jelena wohnte in einem tristen Apartment-Haus. Siebter Stock. Man musste sich den Kasten schon genau merken, um ihn eventuell wiederzuerkennen, denn er stand neben einem halben Dutzend Artgenossen, die sich eigentlich nur durch die unterschiedlichen Wandschmierereien unterschieden.

"Hier wohnen Sie?", fragte ich überflüssigerweise.

"Ja. Nicht besonders fein - wollen Sie das sagen?"

"Ich will überhaupt nichts sagen."

Sie sah mich auf seltsame Weise an.

"Sie sind keiner von Khalils Leuten, nicht wahr?"

"Scheinbar habe ich Sie unterschätzt."

"Ganz sicher."

"Aber Sie sollten umgekehrt nicht den Fehler machen und mich unterschätzen."

"Was soll das?"

"Wenn Sie Ihre Hand noch näher an der Verschluss der Handtasche legen, muss ich Sie außer Gefecht setzen."

Mir war gleich, als sie mit der Handtasche aus dem Haus gekommen war die verdächtige Ausbuchtung aufgefallen.

Außerdem trug sie sie auch anders. Als ob sie schwerer geworden war. Ich hätte den BMW dafür verwettet, dass sie eins der Schießeisen im Haus aufgesammelt hatte.

Sie erstarrte und sah mich dann an, als wäre ich ein Gespenst. Ihre Gesicht hatte dabei jegliche Farbe verloren.

"Ich wollte nicht..." Sie sprach nicht weiter. "Wer schickt Sie?"

Ich hob die Schultern. "Können wir das nicht an einem gemütlicheren Ort besprechen?"

"Wenn Sie mich nicht außer Gefecht setzen..."

"Nur wenn ich muss."

"Sie müssen nicht."

"Sie sollten mir trauen, Jelena. Ich bin auf Ihrer Seite."

"Ich glaube nicht, dass Sie wirklich wissen, was meine Seite ist."

"Kann man ja herausfinden, oder?"

"Woher wussten Sie, dass ich eine Kanone in der Handtasche habe?"

"Und warum denken Sie, dass ich nicht zu Khalils Meute gehöre?", antwortete ich ihr mit einer Gegenfrage.

Sie zuckte die Achseln.

"Ich habe den sechsten Sinn."

"Sicher ganz praktisch."

Sie öffnete die Tür, um auszusteigen.

"Warten Sie", sagte ich.

"Was ist noch?"

Ich griff ins Handschuhfach und fand tatsächlich so etwas wie einen Zettel.

"Haben Sie was zu schreiben?"

"Wozu?"

"Ich gebe Ihnen eine Telefonnummer."

"Ihre?"

"Welche sonst?"

Sie verdrehte die Augen.

"Was soll das Ganze?"

"Sie sollten darüber nachdenken, wer Sie verraten haben könnte."

Sie hob kurz die Augenbrauen, bevor sie mir entgegnete: "Was glauben Sie, tue ich die ganze Zeit?"

Ich fand tatsächlich noch einen Kugelschreiber und schrieb ihr die Nummer meines Direktanschlusses im Hotelzimmer auf.

Es war ein Risiko, das war mir schon klar. Andererseits konnte ich über Jelena vielleicht mehr herausfinden. Mehr über Khalil.







5



In den nächsten Tagen besorgte ich mir etwas Bargeld, denn wenn Dietrich meine Papiere fertig hatte, dann musste ich ihm etwas vorweisen können.

Ich erwartete nicht, dass Jelana mich anrief.

Nicht ernsthaft jedenfalls.

Stattdessen blieb ich in ihrer Nähe, saß in dem BMW und wartete darauf, dass sie die Wohnung verließ. Sie verließ sie auch. Sie stand unten vor dem Hauseingang und machte ein paar nervöse Schritte hin und her. Dann blickte sie auf die Uhr. Sie wartete. Ich sackte ganz in mich zusammen und machte mich so klein wie möglich.

Als dann das Taxi kam, war dieser kleine Tagalptraum zu Ende; sie stieg ein und ließ sich wegfahren. Der Taxifahrer hatte einen ziemlichen Zahn drauf. Die Reifen quietschten sogar ein wenig, als es um die Ecke ging.

Ich hatte zwei Möglichkeiten. Ich konnte mich dranhängen, um dann vielleicht festzustellen, dass sie am Ende gar tatsächlich nur zum Frisör fuhr. Oder ich konnte mir ihre Wohnung vornehmen. Ich entschied mich für die Wohnung.

In das Haus zu kommen, war kein Problem. Die Tür war offen. Ich hatte den Verdacht, dass das Schloss auch gar nicht mehr funktionierte.

Im siebten Stock gab es drei Wohnungen. In einer hörte ich einen Besoffenen das deutsche Liedgut pflegen. Ich schaute mir die Schilder der beiden anderen Wohnungen an. Friedl Meyer und Ahmed Tasdelenoglu. Jelena benutzte vielleicht einen falschen Namen, in dem Fall war es sicher der erste.

 

Friedl konnte für einen Mann oder eine Frau stehen, Ahmed nur für einen Mann. Außerdem hatte sie strohblonde Haare und das in Verbindung mit einem türkischen Namen wäre einfach zu auffällig gewesen. Die andere Möglichkeit war, dass das Namensschild noch dem Vorgänger gehörte. Oder dem Vor-vorgänger. Oder wem auch immer.

Ich wollte schon anfangen, mich an der Friedl-Meyer-Tür zu schaffen zu machen, da ging sie plötzlich von alleine auf.

Die Frau, die mich dann in der nächsten Sekunde durch dicke Brillengläser anstierte, war ziemlich alt und ziemlich krumm.

Ich hob die Hände. "Erschrecken Sie nicht!"

"Was... Was wollen Sie?"

"Ich habe mich wohl vertan."

Ich machte zwei Schritt rückwärts und die alte Dame kam aus ihrer Wohnung, warf mir einen misstrauischen Blick zu.

Sie schloss hinter sich ab und ging dann bedächtig in Richtung Treppenhaus. Ich wartete, bis sie weg war und nahm mir dann die Tasdelenoglu-Wohnung vor. Die Tür zu öffnen war kein Problem. Mit einem kleinen Drahtstück kriegte ich das in angemessener Zeit hin.

Die Wohnung war wirklich nicht besonders toll. Von den drei Zimmern war nur eins richtig möbliert. An den Wänden war Schimmel. Immerhin fand ich Jelenas Sachen. Ich war also an der richtigen Adresse. Meine Wühlarbeit war systematisch und gründlich. Dabei versuchte ich so wenig wie möglich Unordnung zu machen. Aber ich fand nichts. Nichts, was mich weiterbrachte. Ein paar russische Zeitschriften. Ein paar Notizen auf einem Zettel, die ich nicht lesen konnte, weil sie in kyrillischen Buchstaben geschrieben worden waren, ebenso wie die Adressen in dem kleinen Telefonregister, das neben dem nicht mehr ganz dem Standard entsprechenden Apparat lag. Ich ging die Nummern durch.

Es war eine ziemlich lange dabei, die offenbar ins Ausland ging. Frankreich, wettete ich. Khalil. Immerhin. Ich wollte zum Hörer greifen und die Nummer auf Jelenas Rechnung ausprobieren, aber genau in dem Moment klingelte der Apparat.

Ich ließ es zweimal läuten. Dann nahm ich ab. Die Versuchung war einfach zu groß. Ich sagte nichts, sondern wartete einfach ein oder zwei volle Sekunden lang. Auf der anderen Seite der Leitung schien ebenfalls jemand zu sein, der nicht sonderlich gesprächig war. Nichts weiter als ein Atmen war zu hören.

Dann machte es klick.

Aufgelegt.

Ich begriff - oder glaubte es zumindest. Ich legte den Hörer auf die Gabel langte dann in meine rechte Jacketttasche und holte die Automatik heraus. Den Schalldämpfer trug ich in der Innentasche. Ich nahm ihn heraus und schraubte ihn sorgfältig auf die Pistolenmündung.

Sehr sorgfältig.







6



Es überraschte mich nicht, als sich die Tür endlich öffnete

- oder höchsten in so fern, als ich schon fast geglaubt, dass das Türschloss Sieger bleiben würde.

Aber schließlich schaffte es der Kerl mit den strähnigen Haaren und dem unübersehbaren Bauchansatz doch noch. Seine Augen waren wach und wirkten intelligent, hatten aber gleichzeitig etwas Gehetztes an sich. Sie flackerten unruhig. In der Linken trug er eine Pistole mit Schalldämpfer.

Er war wohl kaum hier, um nur mal guten Tag zu sagen.

Ich stand an der Tür zum Bad und konnte ihn durch den Türspalt hervorragend beobachten. Vorsichtig blickte er sich um und ich fragte mich, weshalb er Jelena wohl umlegen wollte.

"Jelena?"

Er atmete tief durch, blickte sogar in meine Richtung, aber er konnte mich unmöglich sehen. Das Licht im Bad hatte ich ausgeschaltet. Und da es kein Fenster hatte, stand ich völlig im Dunkeln.

"Jelena, wo bist du?"

Ich hatte die Stimme schon einmal gehört, da war ich mir plötzlich hundertprozentig sicher. Ich hörte seine schnellen Schritte, während er ein Zimmer nach dem anderen durchsuchte. Er fluchte leise vor sich hin. Zuletzt kam er ins Bad. Er tastete ungeschickt nach dem Lichtschalter, während ich ihn mit der Automatik im Anschlag erwartete. Seine Augen wurden ziemlich groß, als er mich auf dem Wannenrand sitzen sah.

Sein Schuss kam ansatzlos und ging daneben. Nicht, weil er schlecht gezielt hatte, sondern weil es ihn zuerst erwischte. Ich feuerte zweimal kurz hintereinander und erwischte ihn erst am Arm und dann am Oberkörper. Er wurde nach hinten gerissen und knallte gegen den Türrahmen, an dem er dann ächzend hinabrutschte. Seine Jacke und sein Hemd wurden rot, aber mit der Linken hielt er immer noch die Waffe fest umklammert.

Das Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er versuchte, seine Kanone noch einmal hochzureißen und abzudrücken. Es gelang ihm nicht.

Ich ging zu ihm hin, die Automatik im Anschlag, beugte mich nieder und nahm ihm die Waffe ab. Er sah zu mir hinauf, in der Erwartung, eine Kugel in den Kopf zu bekommen.

"Sie sind Kreuzpaintner, nicht wahr?"

Er verengte etwas die Augen. Die Überraschung stand ihm überdeutlich im Gesicht. Und da war mein letzter Zweifel beseitigt. "Heeäär Kreuzpaintner - so ist es doch!" Ich fragte ihn nicht. Ich war mir sicher.

"Woher...?"

Es war ein schwaches Ächzen, mehr nicht. Er schloss kurz die Augen und holte tief Luft. "Worauf warten Sie noch?", flüsterte er dann. "Warum geben Sie mir nicht den Rest? Das werden Sie doch sowieso tun..."

"Sie haben Wien sehr plötzlich verlassen, nicht wahr?"

Er schluckte. Dann zuckte er die Schultern, oder besser: Er deutete es an. Mehr war es nicht. Sein Lächeln war matt.

Erschreckend matt. "Ah, verstehe...", murmelte er.

"Was?"

"Jetzt kommt erstmal eine Art Quiz, nicht wahr?"

Ich gab ihm eine Papierrolle, um den Blutfluss etwas zu stillen. "Nennen Sie es wie Sie wollen."

Er lachte heiser.

"Ich wette, der Hauptpreis ist eine Kugel aus Ihrer Automatik direkt zwischen die Augen." Er bewegte ein wenig den Kopf zur Seite und lehnte ihn am Türrahmen an. Zwei tiefe Atemzüge folgten, dann sprach er weiter. "Kein sehr attraktiver Preis, finden Sie nicht auch? Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich werde Ihnen nichts sagen." Er keuchte. "Und zu verlieren habe ich ja nichts mehr..."

Ich drehte mich um und entfernte mich ein paar Schritte von ihm, bis ich das Klo erreicht hatte. Dann klappte ich den Deckel herunter und setzte mich drauf. "Sie irren sich", behauptete ich.

"In wie fern?"

"Was den Hauptpreis angeht."

"Ach, wirklich?"

"Vielleicht besteht er darin, dass ich den Notarzt rufe."

Ich sah sofort, dass er mir nicht glaubte. Ich hätte mir an seiner Stelle wohl auch nicht geglaubt.

"Hören Sie auf", zischte er.

"Es ist mein Ernst!"

"Es ist doch immer dasselbe Spiel."

"Es ist überhaupt kein Spiel, Kreuzpaintner - oder welchen Namen Sie im Moment auch immer tragen mögen!"

Seine Augen wurden schmal. Ein oder zwei Sekunden lang schien er nachzudenken.

"Sie wollen mir weismachen, dass ich eine Chance habe, nicht wahr? Aber am Ende werden Sie mich doch allemachen. Das ist doch immer so."

"Probieren Sie's doch einfach aus!"

"Ich glaube Sie sind ein Arsch."

"Und Sie vielleicht ein Dummkopf."

Er versuchte, sich etwas weiter aufzurichten, hatte aber nicht viel Erfolg dabei.

Ich fragte: "Warum wollten Sie Jelena töten?"

Er verzog zynisch das Gesicht.

"Wollte ich das?"

"Ja."

"Wer sind Sie eigentlich? Ihr Schutzengel?"

"Ich hatte den Auftrag, ihren Vater umzubringen."

"Dann sind Sie dieser wildgewordene Idiot, der nicht mit hunderttausend zufrieden ist, sondern sich unbedingt in die Nesseln setzen will."

"Ich bin schon zufrieden, wenn ich am Leben bleibe."

"Dann wären sie längst nicht mehr hier! Ich glaube Sie wollen etwas ganz anderes."

Ich atmete tief durch und lehnte mich hinten an Spülkasten an. Der Kerl hatte recht. Ich wollte etwas anderes. Ich wollte, dass die Verantwortlichen für Tinas Tod zur Rechenschaft gezogen wurden. Ob das allerdings eine gute Idee war, hatte ich mich bis jetzt nicht zu fragen getraut. Ich beschloss, das Heft wieder in die Hand zu nehmen und Fragen zu stellen, anstatt sie zu beantworten.

"Sie verlieren viel Blut", stellte ich fest. "Wenn ich Sie wäre, würde ich mich ein bisschen mit dem Auspacken beeilen, sonst kann Ihnen auch kein Arzt mehr helfen!"

Kreuzpaintner blickte an sich herab und sah es rot zwischen seinen Fingern hindurchrinnen. Er schien zu ahnen, dass ich recht hatte.

Ich fragte: "Für wen arbeiten Sie?"

"Was nützt es Ihnen, das zu wissen?"

"Ich weiß dann, mit wem ich es zu tun habe. Denn nach den Ereignissen da draußen im Wald werde ich wohl auch bei Ihren Leuten auf der Liste stehen."

Er lächelte matt.

"Das war eine Dummheit von Ihnen. Ich nehme an, Sie haben auch Erikson auf dem Gewissen."

"Nein, das war jemand anderes."

"Wer hat mit Ihnen Kontakt aufgenommen? Harry?"

"Ja", nickte ich.

Er nickte ebenfalls, wenn auch nur ganz leicht.

"Hat er Ihnen nicht gesagt, worum es geht?"

"Ansatzweise."

"Im Augenblick kämpfen Sie auf der falschen Seite."

"Ach, ja?"

"Krylenko ist tot. Aber glauben Sie, er ist der einzige seiner Art?" Er sah mich an, als wäre ich ein Idiot.

Vielleicht war ich im Augenblick sogar einer. "Nie war ein Atomwissenschaftler, ein Raketentechniker oder was man sonst noch militärisch nutzen kann, so preisgünstig wie heute."

"Ich weiß. Und nie war ihre Lebenserwartung so gering, nicht wahr?"

Er hob den Blick um ein paar Grad und schien für den Bruchteil eines Augenblicks erstaunt.

Dann behauptete er: "Irgend jemand muss es tun. Der Kommunismus ist tot und es sieht so aus, als würde er sich auf absehbare Zeit nicht wieder erholen. Die Konfrontation zwischen Ost und West ist vorbei, aber ist jetzt bereits abzusehen, was an die Stelle dieses kalten Krieges treten wird."

"Ich bin gespannt."

"Die gefährlichste Ideologie des einundzwanzigsten Jahrhunderts wird der militante, fundamentalistische Islam sein. Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?"

"Ich werde es sicher mal nachholen."

"Der Golfkrieg war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorstehen kann."

"Uns?"

"Der Norden. Europa, Nordamerika, Russland, Japan. Leider wird die Tragweite dieser Entwicklungen nicht erkannt. Die Karten der Auseinandersetzung, von der ich gesprochen habe, werden jetzt gemischt, verstehen Sie?"

 

"Ich gebe mir Mühe. Aber Krylenko wollte nach Syrien und soweit ich weiß werden die Fundamentalisten dort brutal unterdrückt."

"Noch."

"Was heißt noch?"

"Die laizistischen Regime im Nahen Osten und in Nordafrika stehen doch alle auf tönernen Füßen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie in sich zusammenstürzen und islamischen Gottesstaaten iranischer Prägung Platz machen."

"Sie arbeiten für den russischen Geheimdienst", stellte ich fest. Er stutzte.

"Wie kommen Sie darauf?"

"Sagen Sie einfach ja."

"Hören Sie..."

Auf seine Nebelwerfer legte ich keinen Wert. Also unterbrach ich ihn: "Jelena hat mit dem Geheimdienst zu tun. Krylenko auch. Das Haus im Wald gehört den Russen. Und Sie wollten Jelena jetzt umbringen. Dafür gibt es nur eine logische Erklärung..."

"So?", ächzte er.

"Sie waren der Verräter."

"Helfen Sie mir!", murmelte er.

"Antworten Sie!", forderte ich.

Er blickte mich einen Moment lang nachdenklich an und nickte. "Ja", murmelte er dann, "ich habe unter anderem auch für den KGB gearbeitet."

"Hatte Ihre..." - ich suchte nach dem passenden Wort "Flucht aus Wien damit zu tun?"

"Mein Umzug?" Er nickte. "Ja."

"Der russische Geheimdienst räumt also Wissenschaftler aus dem Weg, die in feindliche Staaten abtauchen wollen?"

"Ja."

"Sie lügen. Dann bräuchten Sie Jelena nicht umzubringen. Sie muss doch sterben, weil Sie sich nach und nach alles zusammenreimen und an die entsprechenden Leute weitergeben wird! Wenn die Russen dahinterstecken würden, bräuchten Sie davor keine Angst zu haben." Ich schüttelte energisch den Kopf. "Sie haben Jelena und die Russen verraten. Und dazu die Syrer mitsamt ihrem Lakaien, diesem Khalil."

Er sah mich auf eine Art und Weise an, die mir sagte, dass ich recht hatte. Kreuzpaintner hatte die Hosen gestrichen voll. Wenn es ihm nicht gelang, zu verhindern, dass Jelena redete, dann würde er sich in einer ähnlichen Situation wiederfinden, in der ich bereits war.

Er sackte zur Seite.

Lange hatte er nicht mehr. Die Blutlache auf dem gefliesten Boden wurde immer größer. Ich fragte mich unwillkürlich, mit wie wenig Blut ein Mensch wohl notfalls auskam.

"Die Organisation, für die ich arbeite, hat ihre Leute überall", berichtete er dann. "In den Geheimdiensten, in den Behörden. Bei der CIA und anderen westlichen Geheimdiensten genauso wie inzwischen auch bei den Russen."

Ich hob die Augenbrauen.

"Eine Art OAS im Großformat?"

"Wenn Sie so wollen... Jedenfalls warten wir nicht, bis sich die Politiker endlich zum Handeln entschließen."

Ich zuckte die Achseln.

"Ich glaube nicht, dass Sie die islamische Bombe verhindern können. Es gibt sie doch schon. Mit Sicherheit in Kasachstan und wahrscheinlich auch in Pakistan. Der Irak war nahe dran, von Algerien liest man auch ab und zu in der Presse..."

"Sollen wir deshalb die Hände in den Schoß legen? Und auf Verträge hoffen?" Er schüttelte den Kopf. "Die Welt schläft noch und befasst sich mit so wahnsinnig wichtigen Problemen wie der Frage, auf welche Weise man die Neuen Bundesländer sanieren kann. Aber im Hintergrund herrscht bereits Krieg. Vielleicht hat er auch einfach nur nie aufgehört..."

Eine Organisation politischer Extremisten, die Bürokratien und Geheimdienste infiltriert hatte oder es zumindest versuchte - das hatte mir noch gefehlt. Mit Leuten, die an etwas glaubten, konnte man schlecht diskutieren. Mit Verbrechern, die letztlich an ihrem Profit interessiert waren, gab es zumindest diese Verständigungsbasis.

"Haben Sie schonmal darüber nachgedacht, dass Sie mit Ihren Aktivitäten eventuell genau die Entwicklungen unterstützen, die verhindern wollen?"

"Wir tun das Richtige", behauptete er.

Er stöhnte und krümmte sich.

"Erzählen Sie mir etwas über Khalil", forderte ich.

"Wenn es noch Sinn haben soll, dass Sie mir einen Arzt rufen, dann müssten Sie es jetzt tun!", zischte er.

"Und wenn Sie wollen, dass der Arzt noch rechtzeitig kommt, dann beeilen Sie sich mit der Beantwortung meiner Frage!"

"Ich weiß nicht viel über ihn."

"Versuchen Sie nicht, mich abzuspeisen."

"Hören Sie, ich..."

Er ächzte.

"Sie sollten sich Ihre Kräfte besser einteilen, Kreuzpaintner!"

"Wenn wir mehr über ihn wüssten, wäre er nicht mehr am Leben."

"Hat er Kontakte hier in Frankfurt?"

"Einer wie er hat überall Kontakte. Ob nun in Damaskus oder New York. Oder hier. Er soll mehrere Häuser über die ganze Welt verstreut besitzen. Niemand weiß, wann er sich wo aufhält. Das gehört zu seinen Überlebenstricks." Er hob den Blick ein wenig und murmelte dann: "Sie sind ein toter Mann. Wenn Sie die eine Seite nicht schnappt, dann die andere..." Er hörte plötzlich auf zu reden. Ein schwaches, röchelndes Geräusch kam über seine Lippen. Sein Gesicht wurde bleich. Über Khalil schien er mir tatsächlich nicht viel mehr sagen zu können. Ich erhob mich vom Klo, stieg über ihn rüber und wollte zum Telefon gehen.

Ich war kaum an der Tür zum Wohnzimmer, da sah ich noch einmal zu ihm hinunter. Er war vollkommen in sich zusammengesackt und rührte sich auch nicht mehr. Ich ging zu ihm zurück und schloss ihm die Augen.




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