Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane

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16



Irgendwann in den nächsten Tagen fuhr ich hinaus aufs Land und übte auf einer einsamen Wiese ein bisschen mit der Automatik. Genug Munition hatte der graue Mann mir ja vorsorglich mitgeliefert.

Nicht, dass ich im Umgang mit einer solchen Waffe völlig ungeübt gewesen wäre, aber erstens war ich ein bisschen aus dem Training und zweitens war es immer ein Vorteil, sich mit seinem Gerät gut auszukennen.

Meine Schießergebnisse waren nicht schlecht. Jedenfalls ausreichend um den Schädel dieses Krylenko auf eine Entfernung von wenigen Metern zu treffen.

Ich hatte mir die Sache schon so in Umrissen überlegt. Ich würde den Russen am Flughafen ins Visier nehmen und in sein Hotel verfolgen.

Dann würde ich auf eine Gelegenheit warten, hinauf zu seinem Zimmer gehen, die Tür eintreten und zack. Der Schalldämpfer hielt immerhin, was er versprach. Das war schon mal eine gute Voraussetzung.

Schließlich packte ich die Waffe wieder ein und fuhr zurück. Für die Strecke nach Frankfurt werde ich mir einen Leihwagen nehmen, dachte ich mir.

Es musste ja nicht gleich die erste beste Spur in meine Richtung führen.

Oder noch besser: Ich konnte einen Wagen knacken. Ich hatte das eine Weile lang gewissermaßen berufsmäßig gemacht.

Seit dem Fall des eisernen Vorhangs gab es in Osteuropa ja einen fast unbegrenzten Markt für Nobelkarossen aus deutscher Wertarbeit. Vor allem, wenn man sie als Sonderangebote auf den Markt brachte. Und das Risiko, erwischt zu werden, war ziemlich gering.

Aber leider hatten das auch andere gemerkt und so war der Handel längst in den Händen organisierter Banden, die entsprechend kompromisslos gegen die Konkurrenz vorgingen.

Und ich hatte wenig Lust, mich so zurichten zu lassen, dass ich den Rest meines Lebens ein Fall fürs Pflegeheim war.

Während ich nach Hause fuhr, dachte ich an Tina.

Als ich von Rio angefangen hatte, hatte sie gedacht, es wäre eine Spinnerei. Und dann hatte ich nicht mehr den Mut gehabt, noch einmal von der Sache zu reden. Es war ja auch nicht ganz einfach, über etwas zu reden und gleichzeitig nichts zu sagen, was mit mit diesem Krylenko oder dem grauen Mann zu tun hatte.

Sie durfte nichts wissen. Und wenn ich ihr sagte, pack schon mal deine Sachen, nächste Woche geht's in den Süden?

Dann würde sie mir Löcher in Bauch fragen. Löcher von der Größe eines Gullideckels.

Nein, es war besser, die Sache durchzuziehen und ihr dann zu sagen, was Sache war.

Dann musste sie sich entscheiden.

Entweder sie kam mit mir oder unsere Wege würden sich für lange Zeit trennen.

Ich ahnte in dieser Sekunde nicht, dass es da noch jemanden gab, den ich nicht auf meiner Rechnung hatte und der für uns beide längst entschieden hatte.

Auf seine Weise.







17



Es war etwas später geworden, als ich zu Hause ankam.

Tina musste schon da sein. Jedenfalls sah ich ihren Wagen.

Ich nahm den Koffer mit der Waffe und ging dann die Treppe hinauf zu Tinas Wohnung. Ich schloss auf und trat ein.

"Tina?" Ich hatte ein schlechtes Gefühl. In der Wohnung war es völlig still. Ich blickte den Flur entlang und lauschte. Kein Laut. "Tina?"

Schon dieses zweite Tina? war im Grunde überflüssig. Es war mir instinktiv klar, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Und dann fiel mein Blick auf die kleine Lampe, die von der Kommode gefallen war und nun auf dem Boden lag. Tina hätte sie sofort aufgehoben. So war sie nun mal. Ich machte ein paar Schritte vorwärts und hatte das untrügliche Gefühl, direkt in eine Art Falle hineinzutappen. Dann kam ich an die Wohnzimmertür. Ich stand halb im Rahmen und sah einen Mann im Drehsessel sitzen und offenbar auf mich warten.

Zu seinen Füßen lag Tina, die mit starren toten Augen ins Nichts blickte.

Blitzartig ließ ich mich zur Seite fallen, während es mehrfach plop! machte. Ein Geräusch wie ein kräftiges Niesen. Ich wusste nur zu gut, dass es durch eine Schalldämpferwaffe verursacht wurde. Der Kerl im Sessel hatte ohne eine Sekunde zu zögern angefangen, wild draufloszufeuern. Ich sah die Projektile die Tapete im Flur zerfetzen und fragte mich, was ich tun konnte, um mein Leben zu retten.

Der Weg aus der Wohnung war abgeschnitten. Ich rannte in die einzige Richtung, die übrig blieb. In die Küche. Den Koffer mit der Pistole ließ ich dabei zurück. Die Waffe konnte mir jetzt ohnehin nichts nützen. Sie war nicht geladen und mein Gegner würde mir sicherlich nicht die Zeit geben, das nachzuholen.

Ich hörte seine Schritte.

Er kam näher, während mein Blick über die glatten, blitzblanken Küchenmöbel glitt.

Das war's dann!, sagte eine Stimme in mir. Ich stand mit leeren Händen da und der Killer, der mir ans Leder wollte hielt eine Pistole in der Rechten.

Ich griff nach einer Schublade, zog sie heraus und sah das große Tranchiermesser. Ich überlegte nicht lange, sondern nahm es in die Rechte.

In der nächsten Sekunde stand er mir gegenüber. Er hatte ein ausdrucksstarkes, kantiges Gesicht und war mindestens zehn Jahre älter als ich. Vielleicht war sein Mordsjob auch derart stressig, dass seine Haare vorzeitig ergraut waren.

Seine Automatik hielt er beidhändig.

Er kniff ein Auge zu beim Zielen. Offenbar wollte er jetzt auf Nummer sicher gehen.

Alles in allem war es nämlich ein mittelgroßes Wunder, dass er mich nicht erwischt hatte.

Ich zögerte nicht den Bruchteil eines Augenblicks, sondern stürzte sofort auf ihn. Schließlich hatte ich nichts mehr zu verlieren.

Mit der Linken umfasste ich sein Handgelenk und bog den Pistolenlauf in Richtung Decke.

Es machte plop! und ein bisschen Putz rieselte herab. In derselben Sekunde schlitzte ich ihn mit dem Tranchiermesser fachgerecht auf.

Ich hatte gelernt, wie man mit einem Messer einigermaßen schnell tötet, ohne sich dabei allzu dreckig zu machen.

Es ging blitzschnell.

Ritsch ratsch und aus.

In seinem gefrorenen Blick stand eine unausgesprochene Frage. Er war offenbar überrascht. Einen Augenblick lang noch schwankte er, dann schlug er der Länge nach auf den Boden. Er war tot.

Ich legte das blutige Tranchiermesser auf den Küchentisch und stieg dann über den Toten, um ins Wohnzimmer zu gelangen, wo ich Tina gesehen hatte. Ich fühlte den Puls bis zum Hals schlagen und fühlte mich scheußlich. Als durch die Tür trat, musste ich schlucken. Ich beugte mich über ihren leblosen Körper und schloss ihr die Augen. Zwei Schüsse hatte der Killer ihr verpasst, einen in den Hals, den anderen ziemlich genau ins Herz.

Ich fluchte irgend etwas vor mich hin.

Man konnte darauf wetten, dass der Killer meinetwegen gekommen war. Wahrscheinlich hing es mit der Sache zusammen, auf die ich mich eingelassen hatte. Ich verwünschte mich dafür, aber es ließ sich nicht rückgängig machen. Noch hatte ich keine Ahnung, wie das alles zusammenhing, aber ich würde es herauskriegen.

 

Ich stellte mir vor, wie es geschehen war.

Der Killer hatte an der Tür geklingelt, Tina hatte geöffnet. Vielleicht hatte der Kerl gleich kurzen Prozess gemacht und dann Tinas Leiche ins Wohnzimmer geschleift, um dort in Ruhe auf mich zu warten.

Er hatte sie nicht am leben lassen können, das war mir schon klar. Aber dafür war es sein letzter Job gewesen.

Ich nahm Tina in den Arm.

Und weinte.







ZWEITER TEIL



Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, ehe ich wieder zu mir kam. Alles erschien mir seltsam unwirklich. Wie ein Alptraum, von dem man dumpf ahnt, dass er nicht real ist. Aber dieser Alptraum war real. Leider. So schwer es mir in diesem Moment auch fiel, aber ich musste jetzt meine fünf Sinne beisammenhalten. Für Tina konnte ich nichts mehr tun, aber wenn ich etwas Glück hatte, konnte ich vielleicht noch meine eigene Haut retten.

Ich legte Tina zurück auf den Boden und erhob mich. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, sie mir nicht noch einmal anzusehen, aber dann tat ich es doch.

Mit ihren geschlossenen Augen wirkte sie fast wie schlafend. Ich konnte noch immer kaum fassen, dass sie nicht mehr aufwachen würde. Nie mehr.

Ich ging hinaus in den Flur. In der Küchentür lag der Killer. Ich sah ihn mir zum ersten Mal wirklich an. Er sah aus, als könnte er immer noch nicht wirklich begreifen, dass er tot war.

Ich beugte mich über ihn und schlug sein Jackett zur Seite und durchsuchte die Innentaschen. Ich fand eine Brieftasche samt Führerschein, ausgestellt auf den Namen Hellmut Deschner. Das Foto stimmte überein, aber trotzdem hatte ich bei dem Führerschein den Verdacht, dass er falsch war.

Ich nahm das Kleingeld aus der Brieftasche und steckte es ein. Dreitausend D-Mark, der größte Teil in Fünfhundertern und Zweihundertern.

Der Leiche, die sich Deschner genannt hatte, konnte es nichts mehr nützen, aber mir ersparte es einen Gang zur Bank. Ich hatte jetzt ein paar Dinge zu tun, die wichtiger waren. Und zwar sehr schnell.

In Deschners Hosentaschen fand ich neben einem benutzten Taschentuch noch einen Wagenschlüssel mit dem BMW-Emblem als Anhänger. Ich würde mir den Wagen noch genau unter die Lupe nehmen, falls ich ihn fand.

Dann ging ich ich und packte meine Sachen. Es war nicht viel. Nicht viel mehr als das, womit ich eingezogen war. Es passte in einen Koffer.

Schade, dachte ich, als ich wieder im Flur stand. Ich hatte mich hier zu Hause gefühlt. Aber es gab keinen anderen Weg für mich. Wie sollte ich einem Polizisten zum Beispiel die beiden Leichen in der Wohnung erklären? Ich konnte ja schlecht sagen, dass ich einen Mordauftrag angenommen hatte und irgend jemand offenbar etwas dagegen hatte, dass ich ihn auch ausführte und deswegen versuchte, mich vorher auszuschalten.

Außerdem würde derjenige, der diesen Bluthund namens Deschner auf mich gehetzt hatte, sicher nicht so schnell aufgeben. Sobald dieser Jemand davon erfahren hatte, dass ich seinem Todesengel das Licht ausgeblasen hatte, würde er den nächsten beauftragen.

Das Schlimme war, dass ich keine Ahnung hatte, wer mein Feind war. Ich war wie ein Blinder, der versucht, einen Boxkampf zu gewinnen; einer, der die Schläge seines Gegners immer erst bemerken kann, wenn sie seinen Schädel schon getroffen haben.







1



Ich stand schon mit gepacktem Koffer im Flur, da fiel mir ein, dass ich noch einmal ins Wohnzimmer musste. Ich setzte den Koffer ab, nahm mir vor, nicht zu ihr hinzuschauen, aber tat es dann doch.

Innerlich verfluchte ich ihren Mörder.

Damit meinte ich nicht so sehr dieses willige Mordwerkzeug namens Deschner, sondern denjenigen, der ihn auf den Weg gebracht hatte. Das war der eigentliche Schweinehund.

Jedenfalls sagte ich mir das. Immer wieder, bis ich fast daran glaubte.

Fast.

Wenn ich ganz ehrlich gewesen wäre, hätte ich auch mir selbst Vorwürfe machen müssen. Aber wer ist in einem solchen Augenblick schon ganz ehrlich?

Ich ging an ihr vorbei zum Wohnzimmerschrank und räumte die Fotoalben heraus, die Tina mit großer Akribie angelegt hatte.

Ich wusste, dass sie chronologisch geordnet waren, schließlich hatte ich sie mir oft genug ansehen müssen. Es war eine von Tinas Lieblingsbeschäftigungen gewesen, in alten Alben herumzublättern.

Im ersten Dutzend spielte ich keine Rolle, aber in den letzten beiden waren fast fünfzig Fotos, auf denen ich zu sehen war. Ich fing an, sie einzeln herauszuknibbeln, aber das war mir dann zu langwierig. So nahm ich die Alben an mich und stopfte sie einen Augenblick später zu der Pistole in den Diplomatenkoffer.

Ich schloss die Wohnung sorgfältig ab. Eine Weile würde es schon dauern, bis irgend jemand darauf kam, was hier los war. So hatte ich zumindest einen gewissen Vorsprung - und den hatte ich auch bitter nötig.

Ich brachte meine Sachen in den Volvo. Dann blickte ich mich nach einem BMW um, sah aber keinen. Ich überlegte, ob ich nicht vielleicht besser zusah, dass ich ich endlich wegkam.

Aber wohin?

Kopflos davonzulaufen hatte wenig Sinn. Es würde mich nur zu einer leichten Beute für meine Jäger machen.

Und was dann?

Ich musste mir gut überlegen, was ich tat. Jemand hatte mich töten wollen und dabei den einzigen Menschen erwischt, der mir wirklich etwas bedeutete. Ich wollte wissen, wer dahintersteckte.

Und dann? Wenn ich es wusste?

Ich hatte keine Ahnung, was dann war. Da war ein diffuses Gemisch aus Hass und dem Bedürfnis nach Rache in mir. Jemand hatte mein Leben zerstört und sollte dafür bezahlen! Aber ich wusste nicht, ob es gut war, diesem explosiven Gefühlsgemisch nachzugeben. Gut für mich.

Aber das war eine Stimme, die ich in diesem Moment einfach überhörte.

Ich setzte mich ans Steuer des Volvo, drehte den Zündschlüssel herum und brauchte zwei Versuche, ehe ich den alten Schrottkasten gestartet hatte.

Dann fuhr ich einmal um den Pudding und suchte die Nebenstraßen nach einem BMW ab.

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Deschner es unbedingt darauf abgesehen hatte, lange zu laufen, zumal sowohl die nächste Bushaltestelle, als auch die nächste U-Bahn-Station einen Fußmarsch von einer guten Viertelstunde bedeutet hätten. Und für einen Killer war das zu lang. Unterwegs gab es zu viele Leute, die ihn nachher vielleicht identifizieren konnten, so sagte ich mir in meiner trivialen Phantasie.

Ich hoffte es, dass es so war.

Beinahe wollte ich schon aufgeben, da wurde ich doch noch fündig. Ein blauer BMW war ziemlich rücksichtslos auf den Bürgersteig geparkt worden. Ich stellte den Volvo ins Halteverbot und stieg aus. Als ich den BMW erreicht hatte, drehte ich mich kurz um. Aber in dieser Seitenstraße war im Moment so gut wie nichts los. Um so besser. Ich ließ den Schlüssel in die Tür gleiten und drehte ihn herum. Er passte.

Es war ein wirklich schöner BMW. Sicher nicht älter als zwei Jahre und in einem äußerst gepflegten Zustand. Und der Tank war voll.

Im Handschuhfach fand ich die Papiere, ausgestellt auf Deschners Namen.

Und dann fand ich noch etwas. Eine Karte.

Ich faltete sie auf.

Es waren zwei Kreuze darauf. Eines bezeichnete offensichtlich meine, beziehungsweise Tinas, Adresse. Das andere lag an einem See. Daneben war eine Zahl angegeben. Ich sah genauer hin. Ja, ich kannte die Gegend, war sogar schon einmal dortgewesen.

Es gab da eine Ferienhaussiedlung. Alles Nur-Dach-Häuser von denen eins wie das andere aussah. Selbst die Richtung, in die ihre Giebel zeigten war dieselbe. Die Giebel zeigten allesamt zum See hin. Ich erinnerte mich. Tina und ich waren ein paar Mal im nahen See baden gewesen. Die Zahl stand vermutlich für die Hausnummer.

Ich packte die Karte wieder zusammen und fragte mich, was Deschner dort wohl verloren gehabt hatte.

Er war wohl kaum in diese Gegend gekommen, um hier Ferien zu machen, sondern um einen Job zu erledigen.

Oder auch zwei.

Zwei Kreuze, zwei Jobs. Ich fand das logisch.

Ich entschied mich kurzerhand dafür, den alten Volvo gegen den BMW einzutauschen. Der BMW hatte jedenfalls die entschieden längere Lebenserwartung. Außerdem brauchte ich jetzt ein Fahrzeug, auf das ich mich absolut verlassen konnte. Ich ging zu meinem Volvo, schraubte die Nummernschilder ab und nahm meine Sachen, die ich dann auf den Rücksitz des BMW packte. Dann fuhr ich los. Ich dachte daran, dass ich noch einen Auftrag zu erfüllen hatte und fragte mich, ob ich ihn wirklich ausführen sollte. Wenn nicht, hatte ich zwei Parteien, die mich jagten. Wenn doch, dann würde zumindest Deschners Auftraggeber alles daran setzen, mich doch noch zur Strecke zu bringen. Vermutlich würde er das so oder so tun.

Eigentlich hatte ich ja auch noch etwas Zeit, um diese Sache endgültig zu entscheiden. Und ganz gleich, was auch geschah: Hunderttausend hatte ich auf meinem Konto in Zürich. Und das war schon einmal eine einigermaßen gute Voraussetzung, um doch noch lebend aus dieser Sache herauszukommen.

Ich beschloss, mir als erstes einmal dieses Ferienhaus anzusehen, bei dem Deschner ein Kreuz gemacht hatte.

 

Ein Kreuz...

Eine makabere, unfreiwillige Symbolik.

Ich hoffte, dass es nicht dasselbe bedeutete, wie jenes Kreuz, das Tinas Adresse bezeichnete!

Mit dem BMW dauerte es eine knappe halbe Stunde, bis ich den Ferienpark erreicht hatte.

Ich stellte an einer etwas einsameren Stelle den Wagen für einen Moment an den Straßenrand, griff mir den Koffer mit der Pistole und nahm die Waffe heraus. Ich lud sie und steckte sie seitlich in Jackett-Tasche. Den Schalldämpfer ließ ich im Koffer. Der machte die Waffe zu lang und unförmig. Und im Moment hatte ich ja auch keineswegs die Absicht jemanden zu erschießen. Jedenfalls nicht, wenn es sich vermeiden ließ.

Schließlich fuhr ich weiter und suchte nach der Hausnummer, die auf der Karte angegeben gewesen war.

Schließlich fand ich sie. Sie gehörte zu einem schmucken Holzhaus mit Balkon und einer Grundstücksparzelle von vielleicht fünfhundert Quadratmetern. Ein Wagen stand in der Einfahrt, daher war anzunehmen, dass der Besitzer zu Hause war. Ich ließ den BMW ein paar Meter weiter stehen und näherte mich dann dem Haus. Ein Mann schob sein Surfbrett auf einem kleinen Handwagen an mir vorbei und wollte offenbar in Richtung See damit. Er sah mich kurz an, aber durch die superdunkle Sonnenbrille, die er trug, konnte er vermutlich ohnehin nicht allzuviel erkennen.

Ich wartete, bis er weg war.

Mein Blick ging die Fenster des Holzhauses entlang. In einem der Räume brannte Licht, obwohl es jetzt heller Tag war. Ich überprüfte den Sitz meiner Automatik und entschied mich dann, es erst einmal mit dem geraden und direkten Weg zu versuchen.

An der Haustür gab es sogar eine Klingel. Ich drückte auf den Knopf. Zweimal, kurz hintereinander. Aber es reagierte niemand. Ich hatte die Rechte in der Jackentasche und umklammerte den Pistolengriff. Noch einmal wollte ich nicht unvorbereitet in die Falle gehen. Man soll das Glück schließlich nicht herausforden.

Ich versuchte es noch einmal mit der Klingel und wieder ohne Erfolg. Aber ich war überzeugt davon, dass jemand im Haus war. Möglich, dass dieser Jemand mich gar nicht sehen wollte. Ich umrundete das kleine Haus. Nach hinten hinaus war eine Terrasse. Die gläserne Hebetür stand offen.

Ich zog die Automatik. Sicher war sicher. Und dann tastete ich mich vorsichtig in dieses Nur-Dach-Haus, von dem ich mir unter anderen Umständen gewünscht hätte, es würde mir gehören.

Nachdem ich die Gardinen zur Seite geschlagen hatte, hatte ich freie Aussicht auf ein ziemlich derangiertes Wohnzimmer.

Zwei der drei Korbsessel waren umgestoßen, der niedrige Glastisch hatte einen Sprung.

Ich sah etwas Rotes auf dem Teppichboden.

Blut.

Ich dachte an das Kreuz und lauschte. Aber da war nichts zu hören. Langsam ahnte ich, dass ich hier auf niemanden mehr stoßen würde. Zumindest auf niemanden, der noch lebte. Es war so, wie ich anfangs vermutet hatte. Deschner hatte hier einen Job auszuführen gehabt und ihn ganz offensichtlich auch erledigt.

Das Wohnzimmer sah aus, wie nach einem Kampf und ich fragte mich, ob Deschner wirklich so ein Stümper gewesen war, dass er eine solche Arbeit nicht einigermaßen sauber über die Bühne bringen konnte.

Vielleicht hatte es ja auch am Gegner gelegen.

Als ich in den Flur trat, sah ich erneut einen Blutfleck und noch etwas anderes. Etwas, das mir einen Stich versetzte.

Eine Brille.

Eine Brille deren Gläser so dick waren, dass sie den Sturz aus Gesichtshöhe besser überstanden hatten, als die Fassung.

Langsam brachte ich zwei und zwei zusammen. Ich lief die Treppe hinauf. Davon abgesehen, dass ich immer noch die Automatik in der rechten hielt, war nicht mehr besonders vorsichtig. Ich warf in jeden der vier Räume, die sich im Obergeschoss befanden einen kurzen Blick. Im Bad wurde ich dann fündig.

Ich sah einen Mann, dessen Hände und Füße mit Klebeband gefesselt waren. Er hing halb in der Badewanne, die bis über den Rand gefüllt war. Ein roter Strom von Blut war aus einer Platzwunde an der Stirn gekommen und hatte sich mit dem Wasser in der Wanne vermischt. Ich steckte die Automatik weg und zog den Kopf etwas in die Höhe, damit ich das Gesicht sehen konnte. Es wunderte mich kaum noch, als ich in die verzerrten Züge des grauen Mannes blickte.

Jemanden immer wieder bis kurz vor dem Ertrinken unter Wasser zu tauchen war eine der ältesten Foltermethoden und erfreute sich zumindest seit dem Mittelalter einer gleichbleibend hohen Beliebtheit. Und genau das hatte man man mit dem hier gemacht.

Letztlich war er aber wohl nicht durch Ertrinken gestorben, sondern durch Genickbruch. Sein Mörder - ich nahm an, das es Deschner war - hatte offenbar auf Nummer sicher gehen wollen. Oder das Ertränken war ihm schlicht zu zeitraubend gewesen, nachdem er alle Antworten bekommen hatte, die er brauchte.

Zum Beispiel meine Adresse.

Tinas Adresse.

Verdammt.