Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett

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20

Nachdem wir den Verhörraum verlassen hatten, telefonierte ich zuerst mit Förnheim. Es ging darum, die Angaben von Norbert Merendan zu bestätigen. Persönlich zweifelte ich nicht daran, dass seine Story der Wahrheit entsprach. Sie erschien mir zumindest sehr plausibel. Aber der Teufel steckte häufig im Detail.

Danach telefonierte ich mit Lin-Tai Gansenbrink in Quardenburg. Es ging jetzt in erster Linie darum, dass der Mann mit dem verkürzten Finger identifiziert wurde, denn das war mit großer Wahrscheinlichkeit der Täter.

Zumindest der ausführende Täter.

Dass er nur auf sich allein gestellt gehandelt hatte, war hingegen nicht anzunehmen. Vielmehr war es wahrscheinlich, dass er nur Teil eines größeren Netzwerkes war.

“Ich habe alle Datenbanken durchforstet, die dafür in Frage kommen, Harry”, erklärte mir Lin-Tai. “Die Merkmale Körpergröße plus verkürzter kleiner Finger ergeben leider keinen Treffer. Jedenfalls nicht gemeinsam.”

“Das heißt, unser Täter ist noch nicht erkennungsdienstlich behandelt worden”, stellte ich fest.

“Falls das der Fall ist, haben wir schlechte Karten. Wir können natürlich Anfragen an das Ausland richten. Aber Sie wissen ja, wie das ist. So etwas kann etwas länger dauern. Und selbst in den Datenbanken ausländische Polizeieinheiten herumzuforschen ist zwar möglich, aber…”

“Ich weiß schon, Lin-Tai. Unerlaubt.”

“Ich wollte eigentlich sagen uferlos”, gab Lin-Tai zurück. “Einen kleinen Anhaltspunkt, in welchem der 194 Staaten auf der Welt man anfangen sollte, wäre da natürlich nicht schlecht.”

“Das klingt nicht danach, als könnten wir da mit schnellen Erfolgen rechnen.”

“Ich fürchte, wir brauchen zusätzliche Informationen über den Killer. In der Liste der international gesuchten Terror-Verdächtigen und in der erweiterten Liste der sogenannten Gefährder gibt es mehrere Dutzend Personen, deren Körpergröße exakt mit der des Verdächtigen auf dem Video übereinstimmt. Es gibt sogar einen mit einem verkürzten kleinen Finger - allerdings an der falschen Hand. Und abgesehen davon sitzt der Kerl auch seit vier Jahren in einem französischen Gefängnis.”

“Ich wette, Sie können da noch einiges rausholen…”

“...wenn ich meine Filter und Algorithmen etwas verfeinere?”

“So ungefähr hatte ich mir das vorgestellt, Lin-Tai.”

“Ich werde ein verfeinertes telemetrisches Vergleichsprogramm auf die Terrorverdächtigen anwenden, das weitere Messungen miteinbezieht. Zum Beispiel das Verhältnis der Arm- zur Beinlänge und solche Dinge. Alles, was sich anhand von Fotos feststellen oder berechnen lässt. Aber das dauert. Und ich kann keinen Erfolg versprechen.”

“Schade. Sie klingen sonst etwas optimistischer.”

“Harry, was mich nach wie vor beunruhigt, sind die mathematischen Ausbreitungsmuster bestimmter Reaktionen in den sozialen Netzwerken, die einfach dieses Mal nicht auftreten. Ich dachte zuerst, dass es vielleicht eine verzögerte Reaktion gibt.”

“Die ist nicht eingetreten?”

“Null Komma Null! Gar nichts! Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass die ganze Fahndung vielleicht in eine vollkommen verkehrte Richtung gehen könnte?”

“In dieser Gefahr steht man immer.”

“Wir sollten diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen.”

21

Etwas später besuchten wir die Klinik, in der MdB Moldenburg untergebracht worden war.

Über seinen Zustand waren wir laufend informiert worden und so wussten wir auch, dass vorerst keine Chance bestand, den MdB zu vernehmen. Es war ja schließlich möglich, dass MdB Moldenburg noch irgendetwas über seine persönliche Bedrohungslage wusste, was uns jetzt weiterhelfen konnte. Sein Leibwächter hatte schließlich von Drohmails gesprochen. Möglicherweise hatte es schon in der Zeit vor dem Attentat irgendwelche Auffälligkeiten gegeben. Kleine Beobachtungen, denen man keine Bedeutung beigemessen hatte und die jetzt vielleicht in einem anderen Zusammenhang plötzlich wichtig wurden.

Schließlich wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass das Opfer eines derartigen Anschlags zuvor gründlich ausspioniert worden war.

Wir sprachen noch einmal mit den Ärzten. Aber die machten uns wenig Hoffnung.

“MdB Moldenburg kann froh sein, dass er noch lebt. Und wenn unser Kollege Dr. Wildenbacher nicht sofort so entschieden eingegriffen hätte, dann wäre jede Hilfe zu spät gekommen”, äußerte sich Dr. Luise Meckenroth, eine Neurologin. “Leider können wir keine seriösen Angaben darüber machen, ob und wenn ja, wann der MdB wieder vernehmungsfähig sein wird. Bleibende Schäden kann man ebenfalls nicht ausschließen.”

“Wir müssen weiterhin ständig über den Gesundheitszustand des Patienten auf dem Laufenden gehalten werden”, verlangte ich.

“Das ist selbstverständlich.”

“Es gelten außerdem höchste Sicherheitsvorkehrungen. Wir können nicht ausschließen, dass der Täter oder die Gruppe, die hinter ihm steht, noch versuchen werden, das Attentat zu vollenden.”

Dr. Meckenroth seufzte. “Ich kann nicht gerade sagen, dass ich besonders glücklich darüber bin, dass hier so viel Polizei herumläuft und man überall kontrolliert wird.”

“Das ist leider unumgänglich.”

“Unsere Klinik ist kein Hochsicherheitstrakt”, erklärte Dr. Meckenroth.

“Für eine Weile werden Sie diese Unannehmlichkeiten hinnehmen müssen”, meinte Rudi.

“Dann hoffe ich schon aus diesem Grund, dass Sie den Täter schnell fassen.”

“Nicht einmal für diesen Fall kann ich Ihnen garantieren, dass die Sicherheitsmaßnahmen dann nicht mehr nötig sein werden”, gab ich zurück.

“Übrigens ist Frau Moldenburg hier. Sie hat den Wunsch geäußert, mit Ihnen beiden zu sprechen.”

22

Wenig später trafen wir Frau Moldenburg. Für sie und Moldenburgs gesamte Familie war ebenfalls die höchste Sicherheitsstufe angeordnet worden. Schließlich war ja nicht auszuschließen, dass auch sie zur Zielscheibe der Gewalt wurden.

“Glauben Sie, dass Sie den Täter bald fassen?”, fragte sie mit tonloser Stimme.

“Ich kann Ihnen versichern, dass wir unser Bestes tun”, sagte ich.

“Ich habe mich etwas erkundigt. Mein Mann hat als MdB ein paar spezielle Kanäle, um Informationen einzuholen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”

“Ich kann es mir denken”, sagte ich.

“Sie und Ihr Kollege genießen einen sehr guten Ruf. In so fern ist der Fall bei Ihnen wahrscheinlich in guten Händen.”

“Danke. Es freut mich, dass Sie das so sehen.”

“Mein Mann war es gewöhnt, das Ziel von Hass-Attacken zu werden - auch wenn diese bislang nur verbaler Natur gewesen sind. Meistens zumindest. Er hat aus seinen Auffassungen nie einen Hehl gemacht und sich nicht gescheut, dafür einzutreten. Das ist dann wohl der Preis, den man dafür zahlen muss…”

“Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Beobachtungen gemacht, die vielleicht darauf hindeuten könnten, dass Sie beobachtet wurden?”, fragte ich.

Frau Moldenburg hob den Kopf. Sie sah mich einige Augenblicke lang nachdenklich an und schüttelte dann entschieden den Kopf. “Nein, nicht, dass ich mich entsinnen könnte.”

“Wir suchen gegenwärtig diesen Mann hier”, erklärte ich ihr dann und zeigte ihr auf dem Smartphone ein Standbild aus den Video-Aufzeichnungen, das den Mann mit dem verkürzten kleinen Finger zeigte.

“Man sieht nicht sehr viel von seinem Gesicht.”

“Leider, da haben Sie recht. Er könnte Ihnen durch einen verkürzten oder verkrüppelten kleinen Finger aufgefallen sein.”

“Vielleicht jemand, der etwas vorbeigebracht hat”, sagte Rudi. “Ein Paketbote, ein Gärtner oder jemand, den Sie vielleicht für einen Reporter gehalten haben.”

“Sie meinen jemanden, der einen Grund gehabt hätte, in unserer Nähe zu sein?”, begriff Frau Moldenburg sofort. “Ich kann jetzt nicht unbedingt behaupten, dass ich bei jedem Menschen in meiner Umgebung darauf achte, ob seine Finger vollzählig sind, aber ich denke eigentlich, dass mir das aufgefallen wäre.” Sie schluckte. “Ich hoffe nur, dass er wieder aufwacht.”

“Das hoffen wir auch”, sagte ich.

“Der Arzt, der so beherzt eingegriffen hat, nachdem mein Mann getroffen wurde …”

“Dr. Wildenbacher.”

“Er soll ein Kollege von Ihnen sein. Wenn Sie Ihn treffen, dann grüßen Sie ihn bitte von mir.”

23

Dr. Gerold Wildenbacher war nach Quardenburg zurückgekehrt. Dass er sich ein paar Tage frei nehmen sollte, empfand er nicht unbedingt als beglückende Aussicht. Anstatt nach Hause zu fahren, ging er erstmal in ein bayerisches Steak-House mit dem Namen “Riendviecherl”.

Nachdem er gegessen hatte, verließ er das Lokal. Den Wagen hatte er in einer Seitenstraße geparkt. Sein Smartphone klingelte.

“Ja?”

“Hier ist Veronika”, sagte eine Stimme an seinem Ohr.

Seine Schwester Veronika war die einzige Person in seiner Familie, zu der er noch Kontakt hatte. Sie telefonierten ab und zu miteinander. Ansonsten war Wildenbacher eher ein Einzelgänger. Die Arbeit bedeutete ihm alles. Er lebte allein.

“Was gibt es, Veronika?”

“Das fragst du mich? Gerold, du hättest dich ruhig mal melden können seit…”

“Seit was?”

“Seit der Sache mit dem MdB. Ich meine, das geht ja durch alle Medien und was glaubst du, wessen Gesicht ich da auf der ersten Zeitungsseite auf einem großformatigen Foto gesehen habe!”

“Veronika, es ist bei mir alles in Ordnung.”

 

“Ja, das habe ich auch gelesen. Aber um ein Haar hätte es dich erwischen können! Ich meine, du hast doch praktisch ganz in der Nähe einer Person gesessen, die offenbar die Zielscheibe eines irren Killers war.”

“Du irrst dich, Veronika. Das größte Risiko war für mich ein Hygienisches. Nichts, was mit Kugeln und Waffen zu tun hatte.”

“Wie bitte?”

“Wegen dem Blut des MdBs, das ja in Strömen geflossen ist. Ich hatte keine Latexhandschuhe dabei. HIV, Gelbsucht und ein paar andere unerfreuliche Dinge kann man sich über den ungeschützten Kontakt mit Blut holen. Zumindest, wenn man irgendwo eine offene Wunde hat oder über die Schleimhäute von Augen, Nase und Mund, wenn es einem ins Gesicht spritzt.”

“Du hast schon eine eigenartige Art und Weise, über diese Dinge zu reden, Gerold.”

“Berufskrankheit. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass der MdB nichts Ansteckendes hatte und ich hoffe, dass er durchkommt und mein Eingreifen nicht umsonst war.”

“Gerold, ich…”

Wildenbacher hatte sich unterdessen seinem Wagen bis auf etwa ein Dutzend Meter genähert. Er streckte die Hand aus und betätigte den elektronischen Signalgeber seines Wagenschlüssels.

Die Lampen leuchteten auf.

Der Wagen war entsperrt.

Wildenbacher blieb stehen. “Veronika, es hat in der reißerischen Darstellung in den Medien ein paar Übertreibungen gegeben, die nicht wirklich widerspiegeln, was passiert ist.”

“Trotzdem, Gerold…”

“Ich habe letztlich nur meine Pflicht als Arzt getan. Auch wenn ich mich überwiegend mit Patienten beschäftige, für die leider schon jede Hilfe zu spät kommt und man mir nachsagt, dass jemand mit meinem sensiblen Gemüt sich auch besser ausschließlich auf die Therapierung von Toten beschränken sollte, aber…”

In diesem Moment explodierte der Wagen. Eine Feuersbrunst riss das Fahrzeug förmlich auseinander. Wildenbacher spürte, wie eine Welle aus Hitze und Druck ihn erfasste.

Im nächsten Moment lag er auf dem Boden. Sein Smartphone befand sich gut drei Meter von ihm entfernt.

“Gerold?”, fragte die Stimme seiner Schwester aus dem Gerät heraus. “Gerold, was ist los?”

24

Wir erfuhren von der Explosion in Quardenburg, als wir ins Hauptpräsidium zurückgekehrt waren und Kriminaldirektor Hoch Bericht erstattet hatten.

Wir machten uns natürlich gleich auf den Weg. Von Berlin braucht man eine gute Dreiviertelstunde bis Quardenburg. Und bei ungünstigen Verkehrsverhältnissen muss man noch etwas dazu addieren.

Aber wir hatten Glück und kamen gut durch. Als wir den Ort des Geschehens erreichten, herrschte dort längst Hochbetrieb. Jede Menge Einsatzfahrzeuge der örtlichen Polizei und der Feuerwehr waren vor Ort. Außerdem etliche Kollegen der Dienststelle Reichenberg. Spurensicherer gingen ihrem Job nach. Das ganze Gebiet war großflächig abgesperrt worden. Ich stellte den Dienst-Porsche am Straßenrand ab und hatte Glück, überhaupt noch eine Lücke zu finden.

Die uniformierten Kollegen winkten uns durch, nachdem wir unsere Ausweise gezeigt hatten.

Wir fanden Dr. Wildenbacher im Gespräch mit einem Kollegen, bei dem es sich wohl um einen Kommissar aus Reichenberg handelte.

“Kriminalhauptkommissar Sören Rüttli”, stellte sich der Kollege vor. “Ich habe hier die Einsatzleitung.”

“Kriminalinspektor Rudi Meier”, erwiderte Rudi und deutete auf mich. “Dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Harry Kubinke.”

Ich wandte mich unterdessen direkt an Wildenbacher.

“Ich hoffe, Ihnen ist nichts passiert”, sagte ich.

“Abgesehen davon, dass meine Kleidung etwas ramponiert aussieht und ich im ersten Moment dachte, dass der Knall mich für immer taub gemacht hätte, geht es mir gut”, sagte Wildenbacher.

“Ich dachte, Sie wären jetzt zu Hause und würden sich etwas Ruhe gönnen.”

“Dazu ließ sich Dr. Wildenbacher leider nicht überreden”, sagte Kommissar Rüttli. “Genauso wenig, wie ich ihn davon überzeugen konnte, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen.”

“Ich bin selber Arzt und kann sehr wohl beurteilen, ob es mir gut geht”, knurrte Wildenbacher. “Und davon abgesehen werden Sie Verständnis dafür haben, dass es mich brennend interessiert, wer mich da in die Luft fliegen lassen wollte. Also möchte ich gerne hier am Tatort bleiben, um als einer der ersten mitzubekommen, wenn es neue Erkenntnisse gibt.”

“Was genau ist passiert?”, fragte ich.

“Ich habe da drüben ein Steak gegessen, bin zum Wagen gegangen, habe ihn aus einer Entfernung von vielleicht zwanzig Meter aufgeschlossen und dann rief meine Schwester an.”

“Unsere Erkennungsdienstler meinen, dass ihm das das Leben gerettet haben könnte”, meine Kommissar Rüttli.

“Wieso das?”, hakte ich nach.

“Wir gehen bisher davon aus, dass der Sprengsatz, der an Dr. Wildenbachers Wagen angebracht wurde, auf den Signalgeber am Schlüssel reagiert hat. Und zwar Zeitverzögert.”

“Was ja auch Sinn macht, wenn man jemanden in die Luft jagen will”, ergänzte Wildenbacher. “Ich meine, die meisten Leute machen das doch so: Sie öffnen genau wie ich die Tür, gehen dann zum Wagen und setzen sich rein. Die Bombe darf also nicht zu früh losgehen, was aber in diesem Fall passiert ist, weil Veronika mich angerufen hat und ich deswegen stehen geblieben bin, um mich auf das Gespräch zu konzentrieren.”

“Haben Sie eine Ahnung, wer Sie so hasst, dass er Ihnen das antun will, Gerold?”, fragte ich.

“Vielleicht war es ja ein Irrtum”, meinte Wildenbacher.

“Sie sitzen neben einem MdB, auf den geschossen wird und kurze Zeit später jagt jemand Ihren Wagen in die Luft, in dem Sie um ein Haar gesessen hätten.”

“Naja…”

”Gerold, das ist kein Zufall mehr!”

Wildenbacher zuckte mit den breiten Schultern. “Sie kennen mich. Ich bin rau aber herzlich. Und ich gebe zu, dass ich mir in der Vergangenheit nicht nur Freunde gemacht habe. Aber ehrlich gesagt fällt mir im Moment niemand ein, der…”

Mein Smartphone klingelte. Ich nahm das Gespräch entgegen. “Einen Moment, Sie entschuldigen mich mal eben”, sagte ich.

Ich hatte Lin-Tai Gansenbrink am Apparat.

“Harry, wie ich sehe, sind Sie gerade hier in Quardenburg.”

“Wie können Sie das sehen? Haben Sie mein Handy getrackt?”

“Es wäre gut, wenn Sie so schnell wie möglich in die Bundesakademie kommen.”

“Gibt es etwas Neues?”

“Und bringen Sie Wildenbacher ruhig mit, der steht vermutlich gerade unmittelbar neben Ihnen. Ach, noch was: Nein, ich habe Wildenbachers Handy nicht auch noch getrackt, dessen bayerisches Geknurre erkenne ich selbst bei mäßiger Übertragungsqualität sofort.”

Wildenbacher hatte während des kurzen Gesprächs, das ich mit Lin-Tai geführt hatte, die Unterhaltung mit Rudi und Kommissar Rüttli fortgesetzt.

“Was hat Gerold mit dem zu tun, was Sie mir zeigen wollen?”, fragte ich Lin-Tai.

“Es geht darum, wer heute sein Auto in die Luft gejagt und in Wismars auf MdB Moldenburg gefeuert hat.”

“Wir sind gleich bei Ihnen.”

25

Da Rudi und ich mit dem Dienst-Porsche unterwegs waren, konnten wir Dr. Wildenbacher leider nicht mitnehmen. Für eine dritte Person bot der Wagen einfach keinen Platz.

Wir fuhren also zur BKA Bundesakademie und Wildenbacher ließ sich von einem Dienstwagen der örtlichen Polizei mitnehmen.

Etwa später erreichten wir Lin-Tais Arbeitszimmer. Auf einem Großbildschirm begrüßte uns Dr. Friedrich G. Förnheim, zu dem eine Videochatverbindung geschaltet war. Förnheim befand sich nämlich immer noch in Wismar. Im Hintergrund des Kameraausschnitts erkannte ich Merkmale der Werner Bretzler Halle wieder.

“Da nun alle versammelt sind, können wir ja wohl beginnen”, meinte Förnheim. “Sie sehen ein bisschen ramponiert aus, Gerold. Aber ich bin froh, dass Ihnen anscheinend nichts Ernsthaftes passiert ist!”

“Danke für Ihre Anteilnahme”, knurrte Wildenbacher. “Und jetzt mal die Karten auf den Tisch! Was ist hier los?”

“Ich hätte früher darauf kommen müssen”, sagte Förnheim. “Oder besser gesagt: Ich bin durchaus darauf gekommen, habe es aber erst nicht glauben können. Manchmal ist das so, dass man das offensichtliche nicht wahrnimmt oder falsch interpretiert, nur weil…”

“Für langes Gequatsche habe ich jetzt keinen Nerv”, unterbrach ihn Wildenbacher. “Wie Sie vielleicht bemerkt haben, hatte ich keinen guten Tag heute. Also sagen Sie einfach, was Sie herausgefunden haben.”

“Zumindest sollte ich aber erwähnen, dass unsere geschätzte Kollegin Lin-Tai, mit der ich die letzten paar Stunden intensiv Daten ausgetauscht habe, an der Sache einen ebenso großen Anteil hat wie ich”, erklärte Förnheim. “Um es kurz zu machen: Lin-Tai und ich haben die Video-Aufnahmen des Attentats, die aus unterschiedlichen Kameraperspektiven entstanden sind in einer Simulation zusammengefügt. Von Interesse war dabei insbesondere die Bestimmung der exakten Schussbahn. Dabei hat uns der glückliche Umstand geholfen, das der Täter eine lasergestützte Zielerfassung benutzt hat.” Auf dem Bildschirm, auf dem bisher nur Förnheim zu sehen gewesen war, teilte sich jetzt ein Fenster ab, Förnheim selbst wurde stark verkleinert, während nun ein Standbild aus dem Augenblick des ersten Schusses gezeigt wurde. Zumindest stand dies als Untertitel im unteren Drittel des Bildes. Die Schusslinie war deutlich hervorgehoben. Man konnte sehen, dass der Leibwächter sich bereits auf MdB Moldenburg gestürzt und dabei Dr. Wildenbacher seitwärts gerissen hatte. “Mir waren schon bei meinen ersten Untersuchen zur Schussbahn, die ich am Tatort durchgeführt habe, ein paar Ungereimtheiten aufgefallen”, fuhr Förnheim fort. “Und mit Hilfe von Lin-Tais Berechnungen habe sich diesen Bedenken nun bestätigt. Es läuft letztlich auf zwei mögliche Erklärungen für das Geschehen hinaus. Die erste wäre, dass der Täter einfach ein sehr, sehr schlechter Schütze war.”

“Ist das denn so abwegig?”, meinte Rudi.

“Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen, Rudi: Ein fanatischer Dschihad-Kämpfer, der glaubt, dass die religiöse Inbrunst eine gute Schießausbildung ersetzt. Jemand, der sich die 72 Jungfrauen im Paradies vorstellt, die ihn erwarten und dann vor lauer Testosteron-Ausschüttung die Waffe nicht mehr ruhig halten kann. Aber ganz ehrlich: Ich glaube eher an die zweite Möglichkeit.” Das Bild veränderte sich. Jetzt war die Perspektive leicht verändert. Es wurde die Szenerie abgebildet, wie sie offenbar nur wenige Sekunden zuvor gewesen war. “Ich überblende jetzt mit der tatsächlichen Schussbahn, die wie im Bild zuvor farbig hervorgehoben wird. Beachten Sie allerdings, dass der Schuss in diesem Moment noch nicht stattgefunden hat, sondern erst eine Sekunde später.” Die Schusslinie erschien. Und Sie endete genau dort, wo sich zu diesem Zeitpunkt die Herzgegend von Dr. Gerold Wildenbacher befand.

“Was wollen Sie damit sagen, Friedrich?”, fragte der Pathologe fast flüsternd, denn auch ihm dämmerte jetzt die Erkenntnis.

“Ich würde sagen, die plausibelste Erklärung für den Ablauf der Geschehnisse ist, dass nicht der MdB, sondern Sie das eigentliche Ziel des Anschlags waren, Gerold”, stellte jetzt Lin-Tai fest.

“Der Leibwächter hat den Laserpointer bemerkt und eingegriffen”, ergänzte Förnheim. “Und zwar ziemlich rustikal! Dadurch ist, wie wir sehen konnten, eine chaotische Situation entstanden, die für den Schützen nicht mehr zu berechnen war.”

“Und der MdB ist nur quasi aus Versehen ins Koma geschossen worden?”, hakte Wildenbacher ungläubig nach. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

“Ich wollte es erst auch nicht glauben”, meinte Förnheim. “Und wenn ich ehrlich bin, dann war ich zu Anfang vielleicht sogar etwas betriebsblind. Wir waren alle zu sehr auf die Möglichkeit festgelegt, dass der MdB das Ziel des Attentats sein muss. Die wichtigste Person im Saal muss schließlich auch das bevorzugte Ziel eines Attentäters sein! Aber das war ein Trugschluss, fürchte ich und ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Gerold.”

Wildenbacher runzelte die Stirn. “Entschuldigen?”, echote er etwas irritiert. “Wofür das denn?”

“Wenn ich meinem Instinkt gleich gefolgt wäre und das früher erkannt hätte, wäre es vielleicht nicht dazu gekommen, dass Ihnen jemand den Wagen in die Luft sprengt.”

“Wenn das wahr ist, beginnt für uns der Fall wieder von vorn”, stellte ich fest.