Die Fünfundvierzig

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»Ich bitte, mein Bruder,« entgegnete Henri, »erpressen wir nicht die Aufmerksamkeit dieser Frau; wir sind besiegt, ergeben wir uns!«

Briquet verlor kein Wort von diesem Zwiegespräch, das helles Licht in seine noch verworrenen Ideen brachte; er traf im Geiste seine Anstalten zur Verteidigung, denn er kannte die Laune dessen, der ihn angriff.

Doch Joyeuse ergab sich den Vernunftgründen seines Bruders, ging nicht weiter und entließ Pagen, Diener, Musiker und Maestro.

Er zog sodann seinen Bruder beiseite und teilte ihm mit, daß er auf Befehl des Königs sofort nach Flandern gehen müsse; er bat den Bruder herzlich mitzukommen. Du Bouchage erklärte aber, sich von dem Orte seiner Geliebten nicht trennen zu können, worauf Joyeuse von seiner Bitte abstand und tröstend hinzufügte, er sei überzeugt, er werde bei der Rückkehr den Bruder für seine beharrliche Liebe belohnt finden. Joyeuse hieß darauf die Musiker heimgehen und ritt dem Bruder, der ihn bis zum Tor geleiten wollte, voran zur harrenden Eskorte.

Henri warf einen letzten Blick nach dem öden Hause, sandte ein letztes Gebet nach dessen Fenstern und folgte dann, langsam und beständig sich umwendend, dem Bruder.

Als Robert Briquet die jungen Leute mit den Musikanten sich entfernen sah, dachte er, die Entwicklung dieser Szene werde nun wohl erfolgen. Er zog sich daher geräuschvoll vom Balkon zurück und schloß das Fenster, ging aber innen zum Dach hinauf, das ausgezackt war, wie das der flämischen Häuser; er verbarg sich hinter einer dieser Auszackungen und beobachtete die Fenster gegenüber.

Sobald der Lärm auf der Straße aufgehört hatte und alles in die gewöhnliche Ordnung zurückgekehrt war, öffnete sich leise eines von den oberen Fenstern dieses seltsamen Hauses, und ein Kopf kam vorsichtig hervor.

»Nichts mehr,« murmelte eine Männerstimme, »folglich keine Gefahr mehr; es war eine Mystifikation, die sich an unsern Nachbar richtet; Ihr könnt Euer Versteck verlassen, gnädige Frau, und in Euer Zimmer hinabgehen.«

Bei diesen Worten schloß der Mann das Fenster wieder, ließ das Feuer aus einem Stein springen, zündete eine Lampe an und reichte sie einem Arm, der sich ausstreckte, um sie zu empfangen.

Chicot schaute angespannt. Doch kaum hatte er das bleiche und erhabene Antlitz der Frau erschaut, die die Lampe in Empfang nahm, und den sanften, traurigen Blick aufgefaßt, der zwischen dem Diener und der Gebieterin ausgetauscht wurde, als er selbst erbleichte und fühlte, wie ein eisiger Schauer seine Adern durchlief.

Die junge Frau war kaum vierundzwanzig Jahre alt. Sie stieg nun die Treppe hinab; ihr Diener folgte ihr.

»Ah!« murmelte Chicot, der mit der Hand über die Stirn fuhr, um sich den Schweiß abzuwischen, und als ob er zugleich eine furchtbare Erscheinung hätte verjagen wollen, »ah! Graf du Bouchage, tapferer, schöner junger Mann, wahnsinniger Verliebter, laß alle Hoffnung fahren!«

Dann stieg er ebenfalls in sein Zimmer hinab ... mit düsterer Stirn, wie wenn er in eine furchtbare Vergangenheit, in einen blutigen Abgrund hinabgestiegen wäre, und setzte sich, nun auch selbst von der Schwermut, die von dem düstern Hause ausging, bezwungen, gedankenvoll in den Schatten.

Chicots Börse.

Chicot brachte die ganze Nacht träumend in seinem Lehnstuhl zu. Träumend ist das richtige Wort, denn in der Tat, es waren weniger Gedanken, als Träume, was ihn beschäftigte.

Zur Vergangenheit zurückkehren, mit einem Blicke eine ganze, beinahe im Gedächtnis verwischte Epoche am Feuer eines einzigen Blickes sich erhellen sehen, heißt nicht denken. Chicot wohnte die ganze Nacht in einer Welt, die längst von ihm verlassen und mit erhabenen oder anmutigen Schatten bevölkert war, die der Blick der bleichen Frau, einer treuen Lampe ähnlich, einen nach dem andern mit seinem Gefolge von glücklichen und schrecklichen Erinnerungen an ihm vorüberziehen ließ.

Als die Morgendämmerung die Scheiben seines Fensters versilberte, sagte er: »Die Stunde der Gespenster ist vorüber, wir müssen nun auch an die Lebendigen denken.«

Er stand auf, gürtete sein langes Schwert um, warf über seine Schultern einen Oberrock von weinhefenfarbiger Wolle und einem auch für den stärksten Regen undurchdringlichen Gewebe und prüfte mit der stoischen Festigkeit des Weisen den Grund seiner Börse und die Sohle seiner Schuhe.

Diese erschienen Chicot würdig, einen Feldzug zu beginnen, und jene verdiente eine besondere Aufmerksamkeit.

Chicot, der, wie man weiß, ein Mensch von erfindungsreicher Einbildungskraft war, hatte nämlich den Hauptbalken ausgehöhlt, der sein Haus von einem Ende zum andern durchzog und zugleich zur Zierat und zur Festigkeit diente, denn er war bunt bemalt und hatte wenigstens achtzehn Zoll im Durchmesser.

Aus diesem Balken hatte er sich durch eine Aushöhlung von anderthalb Fuß Länge und sechs Zoll Breite eine Kasse gemacht, in der tausend Goldtaler enthalten waren.

Chicot hatte folgende Berechnung angestellt: »Ich gebe jeden Tag den zwanzigsten Teil eines solchen Talers aus; ich habe also Mittel, zwanzigtausend Tage zu leben. Ich werde sie nie leben, aber ich kann die Hälfte erreichen, und dann vermehren sich, je älter ich werde, meine Bedürfnisse und folglich meine Ausgaben, denn die Gemächlichkeit muß mit der Abnahme des Lebens zunehmen. Somit habe ich zwanzig bis fünfundzwanzig schöne Jahre zu leben. Das ist, Gott sei Dank, genug.«

Als er diesen Morgen seine Kasse öffnete, um sich seine Rechnung zu machen, sagte er zu sich selbst: »Bei Gott! das Jahrhundert ist hart, und die Zeiten sind nicht für die Großmut geeignet. Ich habe kein Zartgefühl gegen Heinrich zu beobachten. Diese tausend Goldtaler kommen nicht einmal von ihm, sondern von einem Oheim, der mir sechsmal mehr versprochen hatte. Dieser Oheim war allerdings Junggeselle. Wenn es noch Nacht wäre, würde ich hundert Taler aus der Tasche des Königs nehmen, aber es ist Tag und ich habe keine andere Quelle mehr, als bei mir selbst und ... bei Gorenflot:«

Der Gedanke, von Gorenflot Geld zu beziehen, ließ seinen würdigen Freund lächeln.

»Es wäre ja schön,« fuhr er fort, »wenn Meister Gorenflot, der mir sein Glück verdankt, hundert Taler seinem Freunde für den Dienst des Königs abschlüge, der ihn zum Prior der Jakobiner ernannt hat.«

»Ah!« sagte er, »er ist nicht mehr Gorenflot.

»Ja, aber Robert Briquet ist immer noch Chicot. Doch der Brief des Königs, der Brief, der Navarra in Flammen setzen soll, ich sollte ihn vor Tag holen, und der Tag ist gekommen. Ah! dieses Mittel werde ich haben, und es wird sogar einen furchtbaren Schlag auf den Schädel Gorenflots tun, wenn mir sein Gehirn zu schwer zu überzeugen ist. Vorwärts also!«

Chicot fügte das Brett wieder ein, das sein Versteck schloß, befestigte es mit vier Nägeln und bedeckte es mit der Platte, auf die er gehörig Staub streute, um die Fugen zu verstopfen; dann schaute er, zum Aufbruch bereit, zum letzten Male dieses kleine Zimmer an, wo er seit vielen glücklichen Tagen undurchdringlich und bewacht war, wie es das Herz in der Brust ist.

So beruhigt schloß Chicot seine Tür, deren Schlüssel er mit sich nahm; als er sodann hinausging, um das Ufer zu erreichen, sagte er: »Ei! ei! dieser Nicolas Poulin könnte wohl hierher kommen, meine Abwesenheit verdächtig finden und... Ah! diesen Morgen habe ich nur Hasengedanken. Vorwärts.«

Indes Chicot seine Haustür nicht minder sorgfältig schloß, als er seine Zimmertür geschlossen hatte, bemerkte er an einem Fenster den Diener der unbekannten Dame, der, ohne Zweifel in der Hoffnung, so früh am Morgen nicht bemerkt zu werden, Luft schöpfte.

Dieser Mann war erwähntermaßen ganz entstellt durch eine Wunde an der linken Schläfe, die sich über einen Teil der Wange erstreckte. Durch die Heftigkeit des Schlages von der Stelle gerückt, verbarg eine von seinen Augenbrauen beinahe völlig das linke, in seine Höhle eingesunkene Auge. Dabei hatte er trotz seiner kahlen Stirn und seinem gräulichen Barte einen lebhaften Blick und eine auffallende Jugendfrische auf der Wange, die verschont worden war.

Beim Anblick Robert Briquets, der seine Türschwelle hinabstieg, bedeckte er sich den Kopf mit seiner Kapuze. Er machte eine Bewegung, um zurückzutreten, doch Chicot bedeutete ihm durch eine Bewegung, er möge bleiben.

»Nachbar,« rief ihm Chicot zu, »das Gelärm gestern hat mir mein Haus verleidet; ich will einige Wochen auf meine Meierei gehen; wäret Ihr wohl so gefällig, von Zeit zu Zeit einen Blick nach dieser Seite zu werfen?« – »Ja, gern,« antwortete der Unbekannte.

»Und solltet Ihr Diebe bemerken...« – »Seid unbesorgt, ich habe eine gute Büchse.«

»Ich danke. Indessen hätte ich Euch noch um einen Dienst zu bitten. Doch es ist zu zarter Natur, um es Euch von ferne zuzurufen, Nachbar.« – »Dann werde ich hinabkommen.«

Chicot sah den Unbekannten in der Tat verschwinden, und als er sich während dieses Verschwindens dem Hause näherte, hörte er seine Tritte im Hausflur schallen, dann öffnete sich die Tür, und sie standen einander gegenüber.

Diesmal hatte der Diener sein Gesicht völlig in seine Kapuze gehüllt.

»Es ist heute sehr kalt,« sagte er, um seine geheimnisvolle Vorsicht zu verbergen oder zu entschuldigen.

»Ein eisiger Nordwind, Nachbar,« erwiderte Chicot, der sich stellte, als schaute er den andern nicht an, um es ihm bequemer zu machen.

»Nun?« sagte der Unbekannte. – »Ich verreise.«

»Ihr habt mir schon die Ehre erwiesen, mir dies mitzuteilen.« – »Ich erinnere mich dessen vollkommen; aber indem ich abreise, lasse ich Geld zurück.«

»Desto schlimmer, mein Herr, desto schlimmer, nehmt es mit.« – »Nein, der Mensch ist schwerfälliger und minder entschlossen, wenn er seine Börse zugleich mit seinem Leben zu retten sucht. Ich lasse all mein Geld wohl verborgen hier, so wohl verborgen, daß ich nur das Unglück eines Brandes zu befürchten habe. Wenn mir das begegnete, wollt das Verbrennen eines gewissen dicken Balkens beobachten, von dem Ihr dort rechts das in Gestalt eines Drachenkopfes geschnitzte Ende erblickt... beobachtet, sage ich, und sucht in der Asche.«

 

»In der Tat,« entgegnete der Unbekannte, sichtbar ärgerlich, »Ihr belästigt mich ungemein. Diese vertrauliche Mitteilung wäre besser bei einem Freunde angebracht, als bei einem Mann, den Ihr gar nicht kennt, den Ihr nicht kennen könnt. Bedenkt, welche Verantwortlichkeit Ihr mir aufbürdet. Kann nicht diese lärmvolle Musik meiner Gebieterin ebenso ärgerlich sein wie Euch, und können wir nicht deshalb die Wohnung verändern?« – »Nun wohl! dann ist alles abgetan, und ich werde mich nicht an Euch halten, Nachbar.«

»Ich danke für das Vertrauen, das Ihr einem armen Unbekannten beweist,« sagte der Diener, sich verbeugend; »ich werde mich seiner würdig zu zeigen suchen.« Und er grüßte Chicot und ging wieder hinein.

Chicot grüßte ihn seinerseits liebevoll und sagte, als er sah, daß die Tür wieder hinter ihm geschlossen war: »Armer, junger Mann, diesmal ist es ein wahres Gespenst, und ich habe ihn doch so heiter, so lebendig, so schön gesehen!«

Die Priorei der Jakobiner.

Die Priorei, die der König Gorenflot geschenkt hatte, um ihn für seine redlichen Dienste und besonders für seine glänzende Beredsamkeit zu belohnen, lag ungefähr zwei Büchsenschüsse jenseits der Porte Saint-Antoine. Es war dies damals ein sehr vornehmer Stadtteil; der König kam häufig nach dem Schlosse von Vincennes, das, man in jener Zeit Bois de Vincennes nannte, und infolge der Hin- und Herfahrten des Hofes hatte diese Straße etwa die Wichtigkeit, wie heutzutage die Champs-Elysses.

Die Priorei selbst bestand aus einem Viereck von Gebäuden, das einen ungeheuren, mit Bäumen bepflanzten Hof enthielt, und es gehörten dazu außer dem Gemüsegarten, der hinter dem Viereck lag, eine Menge von Baulichkeiten und Gartenstücken, die der Priorei die Ausdehnung eines Dorfes gaben.

Zweihundert Jakobinermönche bewohnten die Schlafsäle, die im Hintergrunde des Hofes parallel mit der Straße lagen. Auf der Vorderseite verliehen vier Fenster mit einem einzigen eisernen, an diesen Fenstern hinlaufenden Balkon den Gemächern der Priorei Luft, Licht und Leben.

Im Schoße dieser Priorei, einem wahren Paradies der Müßiggänger und der Wohlschmecker, wo Schlachtochsen, Schafe und Schweine und nicht minder ein besonders mit Burgunder reich besetzter Keller für des Leibes Notdurft sorgten, in der kostbaren Wohnung, deren Balkon auf die Straße geht, finden wir Gorenflot wieder, geschmückt mit einem Kinn mehr und mit jenem ehrwürdigen Ernste, den die beständige Gewohnheit der Ruhe und des Wohlbehagens auch den gemeinsten Gesichtern verleiht.

In seinem schneeweißen Gewande, mit dem schwarzen Kragen, der seine breiten Schultern warm hält, hat Gorenflot nicht mehr so viel Freiheit der Bewegung, wie in seinem einfachen grauen Mönchskleide, aber er hat mehr Majestät. Breit wie eine Hammelkeule, stützt sich seine Hand auf einen Quartanten, den sie völlig bedeckt; seine dicken Füße drücken einen Wärmer nieder, und seine Arme sind nicht mehr lang genug, um einen Gürtel für seinen Bauch zu bilden.

Es hat soeben halb acht Uhr geschlagen. Der Prior ist zuletzt aufgestanden; er pflegt die Regel zu benutzen, die dem Obersten eine Stunde Schlaf mehr gestattet, als den Mönchen, doch er setzt seine Nacht ruhig und gemütlich in einem Lehnstuhle mit Eiderdaunenkissen fort.

Die Ausstattung des Zimmers, worin der würdige Abt schläft, ist mehr weltlich als religiös; ein Tisch mit gedrehten Füßen und mit einem reichen Teppich bedeckt, religiöse Gemälde galanter Art, eine seltsame Mischung von Liebe und Devotion, die man nur in jener Zeit in der Kunst findet, kostbare Gefäße für die Kirche oder die Tafel auf Schenktischen, an den Fenstern große Vorhänge von venetianischem Brokat, trotz ihres Alters glänzender, als die teuersten neuen Stoffe, dies find die Reichtümer, deren Besitzer Dom Gorenflot durch die Gnade Gottes, des Königs und besonders Chicots geworden war.

Der Prior schlief also in seinem Lehnstuhl, während ihm der Tag seinen gewöhnlichen Besuch machte und mit seinen silbernen Lichtern die purpurnen und Perlmutterartigen Töne auf dem Gesichte des Schläfers liebkoste.

Die Stubentür öffnet sich sacht, und zwei Mönche treten ein, ohne den Prior aufzuwecken.

Der erste war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, mager, bleich und nervös gekrümmt in seinem Jakobinergewand; er trug den Kopf hoch; wie ein Pfeil aus seinem Falkenauge schießend, befahl sein Blick, ehe er gesprochen hatte, und dennoch milderte sich dieser Blick durch das Spiel zweier weißer Augenlider, die beim Lenken den breiten blauen Kreis hervortreten ließen, von dem seine Augen begrenzt waren. Glänzte aber im Gegenteil dieser schwarze Augenstern zwischen diesen Brauen und der falben Umrahmung der Augenhöhle, so hätte man glauben sollen, es springe ein Blitz aus den Falten zweier kupferner Wolken hervor. Dieser Mönch hieß Bruder Borromée; er war seit drei Wochen Säckelmeister des Klosters.

Der andere war ein jünger Mensch von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit lebhaften schwarzen Augen, kühner Miene, hervorspringendem Kinn, klein, aber gut gewachsen, der, wenn er seine weiten Ärmel zurückschlug, mit einem gewissen Stolz zwei nervige, behende Arme sehen ließ.

»Der Prior schläft noch, Bruder Borromée,« sagte der jüngere von den beiden Mönchen zu dem anderen, »wecken wir ihn auf?«

»Hüten wir uns wohl, Bruder Jacques,« erwiderte der Säckelmeister.

»Es ist in der Tat schade, daß wir einen Prior haben, der so lange schläft,« versetzte der junge Bruder, »denn man hätte diesen Morgen die Waffen probieren können: habt Ihr gesehen, was für schöne Panzer und Büchsen darunter sind?«

»Still, mein Bruder, man könnte Euch hören.«

»Welch ein Unglück,« sagte der kleine Mönch, indem er mit dem Fuße auf den Boden stampfte, was jedoch durch den dicken Teppich gedämpft wurde; »welch ein Unglück, das Wetter ist heute so schön, der Hof ist so trocken, welch eine schöne Übung hätte man heute vornehmen können, Bruder Borromée!«

»Man muß warten, mein Kind,« entgegnete Bruder Borromée mit einer geheuchelten Unterwürfigkeit, die durch das Feuer seiner Blicke Lügen gestraft wurde.

»Aber warum befehlt Ihr nicht, daß die Waffen ausgeteilt werden?« sagte ungestüm Jacques, während er seine herabgefallenen Ärmel wieder zurückschlug.

»Ich befehle nicht, Ihr wißt es wohl, mein Bruder,« erwiderte Borromée mit Salbung, »ist nicht der Herr da?«

»In diesem Lehnstuhl, ... eingeschlafen, ... während alles wacht,« sagte Jacques mit einem weniger ehrfurchtsvollen, als ungeduldigen Tone, »der Herr?«

Und ein Blick stolzen Verständnisses schien bis in die Tiefe des Herzens von Bruder Borromée dringen zu wollen.

»Achten wir seinen Rang und seinen Schlummer,« sagte dieser, indem er mitten in das Zimmer trat, doch so unglücklich, daß er einen Schemel zu Boden warf.

Obgleich der Teppich das Geräusch dämpfte, fuhr Dom Gorenflot doch bei diesem Lärm auf und erwachte.

»Wer ist da?« rief er mit der bebenden Stimme einer eingeschlafenen Schildwache.

»Ehrwürdiger Herr Prior,« sagte der Bruder Borromée, »verzeiht, wenn wir Eure fromme Meditation stören, aber ich komme, um Eure Befehle einzuholen.«

»Ah! guten Morgen, Bruder Borromée,« sagte Gorenflot mit einem leichten Zeichen des Kopfes und fuhr nach einem Augenblick des Nachdenkens, in dem er offenbar alle Saiten seines Gedächtnisses angestrengt hatte, fort: »Welche Befehle?« – »In Beziehung auf die Waffen und Rüstungen.«

»In Beziehung auf die Waffen und Rüstungen?« – »Allerdings, Eure Herrlichkeit hat befohlen, Waffen und Rüstungen herbeizuschaffen.«

»Wem?« – »Mir.«

»Bei Euch habe ich Waffen bestellt?« – »Ganz gewiß, ehrwürdiger Herr Prior,« antwortete Borromée mit gleichem, festem Tone.

»Ich!« wiederholte Dom Modeste, im höchsten Maße erstaunt, »ich! und wann dies?« – »Vor acht Tagen.«

»Ah! vor acht Tagen... Noch wozu Waffen?« – »Ihr sagtet mir, ehrwürdiger Herr, und ich will Eure eigenen Worte wiederholen. Ihr sagtet mir: .Bruder Borromée, es wäre gut, wenn man sich Waffen verschaffen würde, um unsere Mönche und Brüder zu bewaffnen; die gymnastischen Übungen entwickeln die Kräfte des Körpers, wie die frommen Ermahnungen die des Geistes entwickeln'.«

»Ich habe das gesagt?« – »Ja, ehrwürdiger Herr Prior, und ich, ein unwürdiger, gehorsamer Bruder, beeilte mich, Eure Befehle zu vollziehen, und verschaffte mir Kriegswaffen.«

»Das ist seltsam,« murmelte Gorenflot, »ich erinnere mich an nichts von dem allen.« – »Ehrwürdiger Herr Prior, Ihr fügtet sogar den lateinischen Text bei: Militat spiritu, militat gladio.«

»Ah!« rief Dom Gorenflot, die Augen übermäßig aufreißend, »ich habe den Text beigefügt?« – »Ich besitze ein treues Gedächtnis, ehrwürdiger Herr Prior« erwiderte Borromée, die Augen niederschlagend.

»Wenn ich es gesagt habe,« versetzte Gorenflot, indem er sacht den Kopf von oben nach unten schüttelte, »so hatte ich meine Gründe, es zu sagen, Bruder Borromée. In der Tat, es war stets meine Ansicht, man müsse den Körper üben, und als ich noch einfacher Mönch war, kämpfte ich mit dem Wort und sogar mit dem Schwert... Militat... Spiritus... Sehr gut, Bruder Borromée, das war eine Eingebung des Herrn.« – »Ich will also Eure Befehle vollends ausführen,« sagte Borromée, indem sich mit Jacques zurückzog, der ihn, ganz bebend vor Freude, unten an seinem Rocke zupfte.

»Geht,« sagte Gorenflot majestätisch. – »Ah! ehrwürdiger Herr Prior,« sagte Borromée, der einige Sekunden nach seinem Verschwinden wieder eintrat, »ich vergaß...«

»Was?« – »Im Sprechzimmer ist ein Freund Eurer Herrlichkeit, der mit Euch zu reden wünscht.«

»Wie nennt er sich?« – »Meister Robert Briquet.«

»Meister Robert Briquet,« versetzte Gorenflot, »das ist kein Freund von mir, Bruder Borromée, sondern ein einfacher Bekannter.« – »Eure Ehrwürden wird ihn also nicht empfangen?«

»Doch, doch,« sagte mit gleichgültigem Tone Gorenflot, »dieser Mensch zerstreut mich; laß ihn heraufkommen.«

Bruder Borromée verbeugte sich zum zweiten Male und ging hinaus. Bruder Jacques aber hatte nur einen Sprung von dem Zimmer des Priors bis in die Kammer gemacht, wo die Waffen aufbewahrt wurden.

Fünf Minuten nachher öffnete sich die Tür wieder, und Chicot erschien.