Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › B. Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung

B. Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung

69

Angesichts der massiven Einwände, die der oben skizzierten erfolgsorientierten Interpretation zu Recht entgegengehalten werden konnten, vollzog sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Perspektivenverschiebung. Ein breites Schrifttum wies konsequent darauf hin, dass das Unrechtszentrum der Bankrotttat nicht im Konkurs, mithin nicht in den Merkmalen der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung liegen könne.[1] Gegenstand der Diskussion um den Bankrott war nunmehr nicht mehr Bedeutung und Qualität des Relativsatzes, sondern die Qualität der normierten Bankrotthandlungen.

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › B. Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung › I. Der Bankrott als abstraktes Gefährdungsdelikt

I. Der Bankrott als abstraktes Gefährdungsdelikt

70

Nach einer zunehmenden Gegenansicht bestehe das Vergehen des Bankrotts, wie bereits der Wortlaut und die historische Entwicklung zeigten, in „gewissen, genau spezialisierten Handlungen oder Unterlassungen des Schuldners, unter der Bedingung seiner Zahlungseinstellung.“ [2] Basis des Bankrottdelikts sei mithin die Bankrotthandlung.[3] Die Benachteiligung der Gläubigerschaft eines Zahlungsunfähigen läge bereits in der „Minderung der Masse“ oder der „Verdunkelung der Vermögenslage“, welche in den einzelnen Handlungen ihren Ausdruck finde.[4] Dem Relativsatz komme hierbei gerade keine „rechtsgutsumschreibende Funktion“ zu.[5] Die Kernaussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen:


1.)
2.)
3.)

1. Unrecht durch abstrakte Gefährdung?

71

Da es auf eine Verletzungskausalität und den Eintritt einer konkreten Gefährdung der Konkursgläubiger gerade nicht ankomme, läge das Unrecht der Tat in einem Angriff durch Gefährdung.[9] Der Bankrott lasse sich somit nur den Gefährdungsverbrechen zuordnen.[10] Im Rahmen des Bankrotttatbestandes genüge es, dass der Schuldner Handelsbücher „vernichtet “, Vermögensstücke „verheimlicht “, Rechte „anerkennt “, Bücher unzureichend „führt “ usw. Da der Verzicht auf jegliche äußerlich wahrnehmbare Rechtsgutsverletzung als besonders begründungsbedürftig angesehen wurde, formulierte Binding bereits zu diesem frühen Zeitpunkt in der Dogmatik der Gefährdungsdelikte einen ersten umfassenden Rechtfertigungsvorschlag für diesen Deliktstyp.[11] Nach Binding hätten alle Arten von Verboten jedenfalls einen gemeinsamen Endzweck, der darin besteht „zu verhüten, dass durch menschliche Handlungen gewisse Veränderungen in der Rechtswelt herbeigeführt werden“.[12] Um diesen Zweck zu erreichen, seien drei Arten von Normen zu unterscheiden: „Verletzungsverbote, Gefährdungsverbote und bloße Ungehorsamsverbote“.[13] Verletzungsverbote verbieten hierbei die Verursachung des unerwünschten Erfolges (Schaden in der Außenwelt). Mit Gefährdungsverboten verbiete der Gesetzgeber bestimmte Handlungen, die die (konkrete) Gefahr in sich tragen, Ursache eines bestimmten verletzenden Erfolges zu werden.[14] Der Versuch der Verletzung teile hierbei mit der Gefährdung, dass beide eine Verstärkung der (zur Rechtsverletzung hinwirkenden) Bedingungen bewirken, mit dem Unterschied, dass der Versuchstäter die Verletzung erzeugen will, der Gefährdende nicht.[15] In noch viel weiterer Entfernung von dem geschützten Gute verbiete die dritte Kategorie solche Handlungen, „die ohne jede Rücksichtnahme auf ihre wirklichen Erfolge, lediglich aus Sorge vor ihren unbestimmt vielen und mannigfaltigen möglichen Erfolgen erlassen werden“; sie verbieten also den „Ungehorsam“ schlechthin.[16] Hieraus ergab sich das noch heute vorherrschende Bild der „konzentrischen Kreise“, deren Mittelpunkt die Erfolgsdelikte bilden, welche vom zweiten Kreis der konkreten und vom dritten Kreis der abstrakten Gefährdungsdelikte umgeben sind.[17] Daraus ergebe sich nach Binding ein System für die Optimierung des Rechtsgüterschutzes.[18] Der „materielle Schaden“ läge bei bloßen Übertretungen (abstrakten Gefährdungsdelikten) in der Beeinträchtigung der „Ungestörtheit der Existenz“ eines Gutes.[19] Die Tatsache, „dass das Gut gerettet, die Rechtsgüterwelt vor der Gefahr bewahrt wurde“, sei denkbar, für die Bestrafung aber „unwesentlich“.[20] Die Gefährlichkeit ist vielmehr eine Eigenschaft einer Handlungsgruppe. Bestraft werden Handlungen, „bei denen die Erfahrung lehrt, dass Handlungen dieser Art leicht und relativ oft in Verletzungen umschlagen: sie sind generell gefährlich, sie sind so beschaffen, dass daraus erfahrungsgemäß regelmäßig eine Verletzung hervorgeht“, ohne dass dies immer so sein muss.[21] Es wird also unterstellt, dass die vollzogene gefährliche Handlung H zu einer Gruppe von Handlungen G gehört, die in X Prozent der Fällen zu einem Schaden führt, weshalb H gefährlich ist und deshalb Strafe verdient.[22] Eine Einschränkung für den Gesetzgeber bestehe lediglich darin, dass er „aus den für ein Rechtsgut gefährlichen Handlungen die Gefährlichsten auszulesen hat“.[23] In Anlehnung an Binding sprach sich eine Vielzahl der konkursstrafrechtlichen Autoren für die Zuordnung der Bankrottdelikte zu den abstrakten Gefährdungsverbrechen aus.[24] Hierbei wies man vielfach auf den Schutz „kollektiver Rechtsgüter“ hin, die ohnehin nicht „unmittelbar“ angegriffen werden könnten.[25] In Übereinstimmung mit den Motiven des Gesetzgebers sei der „öffentliche Kredit“ überindividuelles Schutzobjekt des Bankrotts, dessen Subjekte „die Gesellschaft, das Publikum oder die Gesamtheit der Gläubiger“ seien.[26] Das Wirtschaftsleben basiere so sehr auf der Gewährung von Krediten, so dass ein einzelner Konkurs oftmals die Veranlassung zu neuen Konkursen und zu weit wirkenden „Störungen des Kredits“ zur Folge habe.[27] Der Bankrott des Kaufmanns werde daher in der Regel seine schädlichen Folgen über einen ausgedehnteren Kreis von Gläubigern erstrecken und darum „das Gemeinwohl“ gefährden.[28] Der Bankrott sei folglich ein Delikt gegen „die Gesamtheit der Geschäftsleute und gegen die Sicherheit des Handels und Verkehrs im allgemeinen, indem durch jeden Bankrott der Kredit erschüttert und der Umsatz verzögert werden.“[29] Darin läge eine ausreichende Rechtfertigung für die Annahme eines abstrakten Gefährdungsdelikts, auch ohne im Einzelfall eine kausale Schädigung in Bezug auf ein personales Rechtsgut zu verlangen.

2. Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit?

72

Die Merkmale des Relativsatzes seien daher für das Unrecht der Tat nicht von Bedeutung, ihnen käme vielmehr die Funktion einer objektiven Strafbarkeitsbedingung zu.[30] Strafbarkeitsbedingungen seien Umstände, „die der Tat als innerliche fremde hinzutreten“,[31] weshalb Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung keine Bestandteile der deliktischen Handlung darstellen, sondern vielmehr ganz außer ihr stünden.[32] Bankrottdelikt sei damit nur die schuldhafte Vornahme der Bankrotthandlung.[33] Der Bankrott zähle zu solchen Strafbestimmungen, in denen der Gesetzgeber bis zum Eintritt sonstiger äußerer Umstände auf die Durchführung seines Strafanspruchs verzichtet.[34] Um Tatbestandsmerkmale kann es sich bereits deshalb nicht handeln, weil Tatbestandsmerkmale stets von der inneren Tatseite, also von Vorsatz und Schuld des Täters erfasst werden müssen, was bei den Merkmalen der ZE und KE unstreitig nicht erforderlich ist.[35] In dem Relativsatz läge daher gerade keine „Umschreibung des geschützten Rechtsguts“.[36] Die Voraussetzung der Zulässigkeit einer aus dem Schuldzusammenhang ausgeklammerten Bedingung der Strafbarkeit ist demnach die „Unrechtsneutralität“.

73

Die Aufspaltung des Delikts in einen schuldhaften und schuldindifferenten Teil war begründungsbedürftig.[37] Binding wies gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals darauf hin, dass manche Delikte zusätzlich den Eintritt bestimmter „Tatsachen“ voraussetzen, die dem Delikt „ganz fremd“ sind, aber dennoch eine Voraussetzung für die Strafbarkeit bilden.[38] Er prägte so den Begriff der objektiven Bedingung der Strafbarkeit, dessen Existenz seitdem als allgemein anerkannt gilt.[39] Diese Bedingungen seien „äußere Momente, die außerhalb des interessenverletzenden, sozialschädlichen Verhaltens des Täters liegen“.[40] Dieser Interpretation schloss sich schließlich auch das RG an.[41]

 

74

Spätestens ab 1932 gab das RG die Auffassung, dass Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung als Tatbestandsmerkmale zu qualifizieren sind, ausdrücklich auf.[42] Dieser Rechtsprechungswandel deutete sich zuvor bereits ab 1911 vermehrt an.[43] In einer Entscheidung des RG stellte dieses ungewohnt deutlich fest, dass Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung lediglich als „äußere Tatsachen in Betracht kommen und gänzlich außerhalb des inneren Tatbestandes liegen.“[44] „Dass neben den Bankrotthandlungen auch die Zahlungseinstellung und die Konkurseröffnung als Tatbestandsmerkmale anzusehen seien, ist jedenfalls (...) vom Reichsgericht nirgends unumwunden, jedenfalls nie in dem Sinne anerkannt worden, dass sie als ein zum Tatbestande der Verschuldung [45] gehörendes, gegebenenfalls dem Täter bewusstes und ihm als solches nachzuweisendes Tatbestandsmerkmal angesehen werden müssten.“[46]

75

Zu den Kernkriterien objektiver Strafbarkeitsbedingungen gehörten daher nach überwiegender Auffassung:


1.)
2.)
3.)

3. Fortbestand des „tatsächlichen Zusammenhangs“?

76

Fraglich bleibt, welche Konsequenzen sich aus dieser Verschiebung des Unrechtszentrums für das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ ergaben. Da der „tatsächliche Zusammenhang“ im Sinne der Rechtsprechung dazu diente, die Gläubigergefährdung im Einzelfall festzustellen, passt der so verstandene Zusammenhang nicht zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte, da sich diese gerade durch ein Ausklammern des Einzelfalls auszeichnen. Wenn es, wie Binding formulierte, nicht darauf ankommt, „ob das Gut gerettet, die Rechtsgüterwelt vor der Gefahr bewahrt wurde“ oder nicht, dann ist die Frage, ob die Gläubiger beeinträchtigt wurden, nicht relevant. Die Vertreter dieser Ansicht müssten demzufolge auf ein Korrektiv verzichten, was jedoch nicht der Fall war. Nach überwiegender Ansicht sei der Zusammenhang zwischen abstrakt gefährlichem Verhalten und objektiver Bedingung zutreffend durch eine „zeitliche“ bzw. „äußere“ Beziehung umschrieben.[50] Auch das RG hielt trotz Anerkennung der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung als objektive Bedingung am Erfordernis einer objektiven Beziehung zwischen Handlung und ZE fest.[51]

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › B. Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung › II. Würdigung

II. Würdigung

77

Dieser Ansicht ist zunächst zu Gute zu halten, dass sie versuchte die Korrespondenz von Unrecht und Schuld konsequent einzuhalten, indem das Unrecht des Bankrotts lediglich von der Bankrotthandlung gebildet wird, weshalb nur im Hinblick auf die Handlung ein Schuldnachweis verlangt wurde. Was die Bestimmung der Rechtsnatur des Delikts anging, muss dieser Auffassung weiterhin zu Gute gehalten werden, dass sie dem Wortlaut der Norm und dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprach. Allerdings stellt sich hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Umstand des Tatbestandes berechtigterweise den äußeren Bedingungen der Tat zugeordnet werden kann und welche Folgen sich daraus für den Strafgrund ableiten lassen.

1. Unangemessene Fixierung von Kriminalität

78

Wenn der Tatbestand des Bankrotts bereits die Vornahme einer Bankrotthandlung bestrafte, ohne dass es auf den weiteren Planungszusammenhang oder gar den Eintritt des Konkurses ankommen soll, stellt sich die Frage, ob in den in § 240 Nr. 1 bis 4 KO normierten Handlungen und Unterlassungen kriminalwürdiges Unrecht lag.[52] Wenn der Relativsatz „Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist“, als objektive Strafbarkeitsbedingung interpretiert wird und auf einen Kausal- und Schuldzusammenhang verzichtet wird, dann müsste aber das Unrecht der Bankrotttat vollständig mit der Vornahme der Bankrotthandlung erfasst werden können.[53] Sonach stellt sich die Frage, ob die einzelnen Bankrotthandlungen für sich betrachtet, also losgelöst von der Zahlungseinstellung, Kriminalunrecht enthielten, das die angedrohte Rechtsfolge tragen konnte.[54] Im Hinblick auf den schweren Bankrott war dies nahezu unbestritten. Wer mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht bestimmte Einzeldispositionen vornimmt, verwirklichte Unrecht.[55] Schwieriger war die Beurteilung des einfachen Bankrotts, für den bereits ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf die Bankrotthandlung genügte. Die erfassten Handlungen, denen ein hinreichender Unrechtsgehalt hätte zugesprochen werden müssen, waren:


Vermögensstücke verheimlichen oder beiseiteschaffen (§ 209 Nr. 1 KO)
Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkennen oder aufstellen, welche ganz oder teilweise erdichtet sind (§ 209 Nr. 2 KO)
Führen von Handelsbüchern unterlassen, deren Führung einem gesetzlich obliegt (§ 209 Nr. 3 KO)
Handelsbücher vernichten oder verheimlichen oder so führen oder verändern, dass dieselben keine Übersicht über den Vermögenszustand gewähren (§ 209 Nr. 4 KO)
durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waren oder Börsenpapieren übermäßige Summen verbrauchen (§ 210 Nr. 1 KO)
es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen, die Bilanz des Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen (§ 210 Nr. 4 KO)

79

Eine Interpretation der Norm als Gefährdungsdelikt wirft die Frage auf, inwieweit der „Verbrauch übermäßiger Summen durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel“ oder der Verstoß gegen das Handelsgesetzbuch per se kriminalstrafwürdig ist.[56] Es erscheint zweifelhaft, ob derartige Verstöße die durchaus erhebliche Rechtsfolge (Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Zuchthaus) tragen.[57] Werden diese Handlungen von einem zahlungsfähigen Kaufmann vorgenommen oder gar zu einem Zeitpunkt, indem ein Konkurs weder bevorsteht noch vorhersehbar ist, bestehen hinsichtlich des Unrechtsgehalts erhebliche Zweifel.

80

Bei dieser Frage ist zunächst zu beachten, dass Rechtssätze, so auch der Bankrott, stets Imperative enthalten, die sich an den Normadressaten richten und die Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Handlung bezwecken. Der Sinn und Zweck dieser Imperative erschöpft sich allerdings nicht darin, den Normunterworfenen zu einem „blinden Gehorsam“ zu bewegen. Die Aufgabe solcher rechtlicher Imperative besteht vielmehr darin, die Normadressaten zu veranlassen, bestimmte, als wertvoll bewertete Gegebenheiten nicht zu beeinträchtigen und vor Gefahren zu bewahren.[58] Die normierten Bankrotthandlungen dürften daher nur dann per se verboten werden, wenn sie so gefährlich sind, dass für den Fall der Vornahme dieser Handlung eine Verletzung des Rechtsguts in aller Regel vom Zufall abhängt. Ähnlich wie bei den Brandstiftungsdelikten müsste den normierten Handlungen eine starke Gefahr innewohnen, die die Vorverlagerung der Strafbarkeit rechtfertigt. Der Strafgrund des Bankrotts kann demnach nur darin gesehen werden, dass die normierten Bankrotthandlungen typischerweise gefährlich sind und regelmäßig in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen. Fraglich ist, ob der Tatbestand des einfachen Bankrotts diesen Anforderungen genügte. Im Rahmen des § 240 Nr. 1 und Nr. 2 KO könnte man argumentieren, dass zusätzliche normative Tatbestandsmerkmale vorliegen mussten, um den Täter zu bestrafen. Nach § 240 Nr. 1 KO musste der Täter beispielsweise „übermäßige“ Summen verbrauchen und für § 240 Nr. 2 KO musste er in einer „den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise“ verfügen. Sonach könnte bereits darin ein ausreichendes Korrektiv zur Begrenzung der Strafbarkeit gesehen werden, da nur solche Handlungen erfasst werden, die „grob wirtschaftswidrig“ sind.[59] Dem übertriebenen verschwenderischen Lebenswandel eines zahlungsfähigen Kaufmanns kann jedoch nicht im Ansatz ein kriminalstrafwürdiges Unrecht attestiert werden. Selbst wenn dieser Kaufmann „übermäßige“ Summen verbraucht, gibt es unbestimmte Zeit vor dem Eintritt von Zahlungsschwierigkeiten keine legitimen Gründe, dieses Verhalten zu verbieten.

81

Die übrigen Alternativen, die solche zusätzlichen normativen Tatbestandsmerkmale entbehrten, erschöpften sich teilweise sogar in einem bloßen Verstoß gegen das Handelsrecht. Der Versuch, alle normierten Verbote innerhalb der Bankrotthandlungen über eine Gefährdungshaftung zu legitimieren, erscheint äußerst zweifelhaft, da teilweise neutrale Handlungen in unbegrenztem Vorfeld zum Konkurs pönalisiert wurden. Folglich wurden Handlungen mit Kriminalstrafe belegt, die keinen Gefährdungsgehalt aufwiesen.

2. Der einfache Bankrott als Anwendungsfall einer mittelalterlichen Erfolgshaftung?

82

Bestraft man hingegen bloße Pflichtverstöße oder Obliegenheitsverletzungen, ohne, dass es auf den Gefährdungsgehalt ankommt, nähert man sich auf bedenkliche Weise dem Gedanken der „versanti in re illicita imputantur omnia, quae sequuntur“, wonach dem unerlaubt Handelnden (dem „re illicita Versierenden“) alle Folgen seiner Handlungsweisen zugerechnet werden, auch die Zufälligen.[60] Dieser „Versari-Gedanke“, der auf der mittelalterlichen Erfolgshaftung beruhte, war Kern des kanonischen Rechts und bezog sich darauf, Unwürdige von der Ausübung kirchenämtlicher Funktionen auszuschließen.[61] Nach dem Versari-Gedanken galt die Tötung als schuldhaft, wenn der Täter „im Begriffe etwas Unerlaubtes zu tun zufällig tötete“.[62] Anknüpfungspunkt war auch hier allein ein unerlaubtes Vorverhalten.[63] Etwas später versuchte man mit der „res illicita“ die Erfolgshaftung weiter einzudämmen, indem nur noch verbotenes Verhalten bestraft wurde, bei dem der Handelnde zumindest den Erfolg voraussehen konnte.[64] Dieser Versari-Gedanke hat noch heute auf dem Gebiet der Fahrlässigkeit und auf dem Gebiet der Gefährdungshaftung Auswirkungen auf das Strafrecht.[65] Insbesondere im Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte, die an eine Strafbarkeitsbedingung anknüpfen, wird häufig auf den Versari-Gedanken hingewiesen.[66] Kennzeichnend ist, dass bereits eine unerlaubte Handlung mit Kriminalstrafe belegt ist, ohne dass die schädlichen Folgen verschuldet sein müssen.[67] Entscheidendes Kriterium für die Grenze zwischen legitimer Gefährdungshaftung und illegitimer Erfolgshaftung ist aber gerade die Gefährlichkeit der Handlung.[68] Der einfache Bankrott war sonach offensichtlich Anwendungsfall der „Versari in res illicita“, da eine bloße Pflichtverletzung und der Eintritt einer zufälligen Folge den Adressaten mit Kriminalstrafe belegten. Im Tatbestand des Bankrotts zu Zeiten der Konkursordnung fanden sich daher offensichtlich „Überreste der alten Erfolgshaftung“ wieder.[69]

 
Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?