Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht

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III. Der „tatsächliche Zusammenhang“ in der Interpretation durch das konkursstrafrechtliche Schrifttum: Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg?

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Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum „tatsächlichen Zusammenhang“ wurde von einem breiten Schrifttum rezipiert.[118] Die Frage, wie sich der Gesetzgeber das Verhältnis dieser Tatsachen zueinander denkt, sei für die Auslegung von der allergrößten Bedeutung und hänge nach Ansicht des Schrifttums davon ab, was Gegenstand der Bestrafung gewesen sei.

Die Kernfrage sei, was der Gesetzgeber eigentlich verbietet?[119] Das konkursstrafrechtliche Schrifttum unternahm zwischen 1880 und 1950 vielfach den Versuch, den Bankrotttatbestand einer Deliktsart zuzuordnen und hierbei den Zusammenhang zwischen Tathandlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung zu benennen.[120] Die Frage nach Erforderlichkeit und Inhalt des Zusammenhangs wurde hierbei an unterschiedlichen Stellen aufgeworfen: im Rahmen der Kommentarliteratur wurde der Problembereich „tatsächlicher Zusammenhang“ in der Regel bei der Frage, wie Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung im Hinblick auf den Gesamtunrechtstatbestand auszulegen sind, diskutiert. Mancherorts wurde vorab die Frage nach dem „Strafgrund“ und dem Wesen der Bankrottdelikte gestellt und dort auf den Zusammenhang zwischen Handlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung Bezug genommen.[121] Andere stellten sich die Frage, worin das Hauptgewicht des „Unrechts“ liege: in der „Bankrotthandlung“ oder vielmehr im „Bankrottwerden“?[122] Die Vertreter des Schrifttums waren sich jedenfalls einig, dass der Bankrott „zu denjenigen Delikten gehört, welche sich am schwersten unter die allgemeinen Regeln subsumieren lassen und deren Stoff sich am sprödesten zeigt gegenüber den Versuchen, die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts auf ihn anzuwenden.“[123] Die Interpretation des konkursstrafrechtlichen Schrifttums zeigte deutliche Parallelen zur Interpretation des Reichsgerichts. Nach einer breiten Auffassung im Schrifttum hingen die dogmatischen Grundlagenfragen im Rahmen des Bankrotts von der Bestimmung des „geschützten Rechtsguts“ ab. Auch das Schrifttum stellte wie das Reichsgericht die Belange der Konkursgläubiger in den Mittelpunkt der Auslegung. Anders als das Reichsgericht, bemühte sich das Schrifttum allerdings um eine begriffliche Erfassung und die inhaltliche Konkretisierung des „geschützten Rechtsguts“. Unerlässlich für das „materiale Unrecht“ eines Verbrechens sei jedenfalls eine „aggressive Gerichtetheit“, ein Angriff auf eben dieses Rechtsgut.[124]

1. Die Frage nach dem geschützten Rechtsgut

a) Zum Stand der Rechtsgüterlehre des 19. Jahrhunderts

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Außerordentlich umstritten zu dieser Zeit aber war der Begriff und die Funktion des „geschützten Rechtsguts“. Dogmengeschichtlich war die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts zunehmend damit beschäftigt, den Begriff des Verbrechens abstrakt generell zu erfassen und die Grenzen legitimer Bestrafung auszuloten.[125] Hierbei nahm der Begriff des Rechtsguts eine Schlüsselstellung ein. Das, was der Staat legitimerweise mit Strafe belegen dürfe, sei, wie bereits zu einem früheren Zeitpunkt von Feuerbach formuliert, auf eine Rechtsverletzung beschränkt: „Verbrechen ist eine durch das Strafgesetz bedrohte dem Recht eines Anderen widersprechende Handlung“.[126] Dem widersprach Birnbaum,[127] da das Recht weder vermindert noch entzogen werde, wenn der Gegenstand des Rechts, das Gut, vermindert oder entzogen wird.[128] Sonach gelte für die „Beziehung des in dem Verbrechensbegriff enthaltenen Merkmal der Verletzung “, dass dieser Begriff naturgemäß nicht auf den eines Rechts, sondern auf den eines Guts bezogen werden muss.[129] Birnbaum verstand unter strafbaren „Verbrechen“ eine dem Menschen zuzurechnende Verletzung oder Gefährdung eines Gutes, im Sinne eines körperlichen Gegenstandes (sog. Güterlehre/Schutzobjekttheorie).[130]

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Der Streit um diese Güterschutzlehre erreichte gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen des sog. „Schulenstreits“ einen ersten Höhepunkt. Als Anhänger des Rechtspositivismus definierte Binding 1872 das Verbrechen als Verstoß gegen eine Norm. Schutzobjekt der Norm sei hierbei „alles, an dessen unveränderter und ungestörter Erhaltung das positive Recht ein Interesse hat, was deshalb durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt ist.“[131] Geschützt werde nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die „Sicherstellung sämtlicher Bedingungen eines gesunden Rechtslebens, in welchem der Friede ungestört walte“.[132] Erst durch die Rechtsnorm werde ein Gegenstand zum Rechtsgut.[133] Der Begriff des Rechtsguts wurde zum zentralen Begriff in der Verbrechenslehre des Positivismus.[134] Dennoch war auch die Rechtsgüterlehre Bindings nicht geeignet, dem Gesetzgeber einen vorgelagerten Maßstab vorzugeben und damit die Grenzen eines legitimen Verbrechensbegriffs zu definieren. Da das Rechtsgut durch die Bildung eines Straftatbestandes und damit durch den Gesetzgeber selbst erschaffen wurde, hatte der Gesetzgeber die Macht, sich seine Grenzen selbst zu ziehen. Noch heute wird der Schlussfolgerung Bindings deshalb Zirkularität vorgeworfen.[135]

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Eine breite Strömung in der Strafrechtswissenschaft begann diese klassische (positivistische) Schule zu kritisieren und die Frage nach dem Sinn und Zweck der Norm in den Mittelpunkt der Erörterungen über das Wesen eines Delikts zu stellen.[136] Vornehmlich Liszt und Ihering (Marburger Schule) lösten den Schulenstreit aus, da sie sich auch im Hinblick auf andere Fragen, nicht mit dem rein positivistischen Ansatz begnügten.[137] Die sog. „moderne Schule“ ernannte sodann die Ausrichtung am Zweckgedanken als oberstes Prinzip im Strafrecht.[138] Ihering stellte darauf ab, dass allein der Zweck „der Schöpfer des Rechts“ sei.[139] Nach der Ansicht von Liszt enthalte das Verbrechen etwas „Reales“ und etwas „Vergeistigtes“: Real sind Handlung und die dadurch (kausal) verursachte Veränderung des Handlungsobjekts (im Sinne eines Gegenstandes) der Außenwelt.[140] Das Handlungsobjekt müsse hierbei strikt vom Rechtsgut getrennt werden. Im Hinblick auf das Rechtsgut sei eine kausale Verletzung nicht möglich, weil das Rechtsgut kein Ding, sondern ein Begriff sei.[141] Von Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts könne nur im übertragenen Sinne gesprochen werden (sog. vergeistigter Rechtsgutsbegriff), „jedes Rechtsgut verkörpere sich in einem Ding“.[142] Die Notwendigkeit einer Trennung von Rechtsgut und Angriffsobjekt wurde zunehmend gemeinsamer dogmatischer Nenner, wobei der Kern materiellen Unrechts noch immer wenig konkretisiert war.[143]

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war nicht nur die Definition des Begriffs Rechtsgut, sondern auch seine Stellung in der Verbrechenslehre und seine Bedeutung für die Praxis unklar.[144] Einigkeit bestand nur insofern, als dass auf dieses Konstrukt offenbar nicht verzichtet werden konnte.[145] Dennoch sorgte die bis dahin sehr vage Rechtsgüterlehre für Verwirrung und Unklarheit.[146] Aus heutiger Sicht kann die Rechtsgüterlehre zwar als eine der ersten „dogmatischen Früchte der freiheitlich-reformoptimistischen Epoche“[147] der Aufklärung bezeichnet werden, stand aber gleichzeitig im frühen Geltungszeitraum der Konkursordnung (1877-1920) noch in ihren Anfängen. Der dogmatische Ertrag der Rechtsgüterlehre, was Inhalt und Funktion des Rechtsguts in der Verbrechenslehre angeht, war gering.[148] Obgleich eine Definition fehlte, wurde das Rechtsgut zum Dreh- und Angelpunkt wissenschaftlicher Auslegung und auch entscheidendes Auslegungskriterium der Konkursstrafbestimmungen. Konsens im Hinblick auf eine allgemeine Verbrechenslehre bestand insofern, als dass ein strafbares Verbrechen jedenfalls ein Subjekt voraussetzt, das seinerseits ein (wie auch immer ausgestaltetes) Objekt positiv bewertet und damit zu seinem Gut erhebt, welches vom Täter (irgendwie) angegriffen wird.[149]

b) Das geschützte Rechtsgut der Konkursdelikte

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Angesichts der Tatsache, dass der Begriff des Rechtsguts weder definiert noch in seiner Funktion bestimmt war, ist kaum verwunderlich, dass das Meinungsspektrum zum Rechtsgut der Konkursdelikte außerordentlich vielfältig war.[150] Gemeinsamer Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Norm an den eigenen Konkurseintritt des Schuldners anknüpft („...indem er seine Zahlungen einstellt, oder über sein Vermögen...“). Daher war Gegenstand einer breiten Diskussion, welchen Schutz Dritter der Gesetzgeber mit der Schaffung der Norm bezweckt haben könnte. Die überwiegende Ansicht sah das „geschützte Rechtsgut“ im Rahmen des Bankrotts, akzessorisch zur Konkursordnung, im „vermögensrechtlichen Schutz der vom Konkurs betroffenen Gläubiger“.[151] Geschützt werde also das „Vermögen der Gläubiger“.[152] Da das Vermögen jedoch ein bloßer Sammelbegriff sei, müsse näher konkretisiert werden, aus welchen schützenswerten Bestandteilen, Positionen und Zuständen sich der Begriff des Vermögens zusammensetze.[153] Die Einzelauffassungen hierzu reichen vom Vermögen in Gestalt der „Gläubigerforderungen“, über die „einzelnen Forderungsrechte“ der Gläubiger[154], bis hin zum „materiellen Befriedigungsrecht“ der Gläubigerschaft[155] oder aber den „fremden Vermögensrechten insgesamt“.[156]

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Vermehrt wurde, in Anlehnung an Birnbaum, darauf hingewiesen, dass „das Recht“ der Gläubiger auf Erfüllung einer Forderung durch ihre Nichterfüllung nicht berührt werde.[157] Das geschützte Rechtsgut sei daher die den Forderungsrechten als Grundlage dienenden „Forderungen selbst“, und damit sämtliche Forderungen im wirtschaftlichen Sinne.[158] Andere vertraten mit Liszt,[159] dass das geschützte Rechtsgut „Interessen“ natürlicher Personen seien. Interesse sei hierbei „der Wert, den der Eintritt oder Nichteintritt einer Veränderung in der Außenwelt hat“. Für den Bankrott bedeutete dies, dass der Bankrotteur die „Aussicht der Gläubiger auf Befriedigung ihrer Forderungen“ verletze,[160] das geschützte Rechtsgut also die materiellen „Befriedigungsinteressen“ der Gläubiger seien.[161] Nur deshalb sei auch das Vernichten der Bücher mit Strafe bedroht, da die Gläubiger sich dann die „für die Wahrung ihrer Forderungen notwendige Kenntnis nicht beschaffen können.“[162] Ausgehend von diesen diversen Interpretationen des geschützten Rechtsguts ordneten die Vertreter die Tatbestandsmerkmale des Bankrotts neu. Fraglich war nunmehr, worin der Angriff des Täters auf dieses Rechtsgut lag, was also gleichsam das Unrecht der Bankrotttat ausmachte.

 

2. Der Relativsatz als Umschreibung der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“

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Ausgehend von der Prämisse, dass der Bankrott den Vermögensdelikten zuzuordnen sei und das Vermögen der Konkursgläubiger oder ihre Befriedigungsinteressen schütze, stellten sich die Autoren in einem zweiten Schritt die Frage, worin nun der Angriff durch den Bankrotteur auf dieses Rechtsgut liege.[163] Hierbei waren die Autoren der Ansicht, dass dem Relativsatz bei der Bestimmung des Unrechts entscheidende Bedeutung zukomme.[164] Die Elemente der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung kennzeichneten gerade den „Vermögensverfall“, also den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners, weshalb die „Rechtsgutsbeeinträchtigung“ gerade in diesem Umstand „zu Tage trete“.[165] Erst, wenn entweder eine Befriedigung der Gläubiger wegen Forderungsausfalls gänzlich unterbleibt (wegen ZE) oder aber die Gläubiger eine quotale Befriedigung hinnehmen müssen (nach einer Entscheidung des Gerichts im Konkursverfahren), sei „dieses“ Rechtsgut betroffen.[166] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung besäßen mithin „rechtsgutsumschreibende Funktion“, der Eintritt des Bankrotts mache aus einer Handlung erst eine Bankrotthandlung.[167] Die Bankrotthandlung sei für sich genommen eine bloße Einwirkung auf den eigenen Vermögensstand, die ohne Eintritt des „Falliments“ straflos bleibe.[168] Für den Schutzzweck der Norm sei „die Herrschaftsbeziehung des Verletzten zu seinem Rechtsgute entscheidend, das durch die vom Täter ausgehende normwidrige Handlung angegriffen wird, welches bei den Konkursverbrechen erst durch die Zahlungseinstellung ins Dasein berufen wird“.[169] Die Konkurseröffnung bzw. Zahlungseinstellung verhalte sich daher zum Rechtsgut und dessen Subjekt wie „die Ursache zur Wirkung“.[170] Insofern folgte das Schrifttum den Ausführungen des Reichsgerichts. Die Merkmale der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien daher den „Tatbestandsmerkmalen“ zuzuordnen.[171] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien ein „objektives Merkmal bzw. Element der tatbestandsmäßigen Handlung “[172], eine Art „Erfolg“[173] oder ein besonderes persönliches Tätermerkmal.[174] Unabhängig davon, dass dem Relativsatz kein genauer Platz innerhalb des Tatbestandes zugewiesen werden konnte, spreche nach Ansicht der Vertreter jedenfalls der Sinn und Zweck der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung für eine Einordnung als gesetzliches Tatbestandsmerkmal, wegen der Nähe dieser Merkmale zum geschützten Rechtsgut.[175]

3. Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und „Rechtsgutsbeeinträchtigung“?

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Letztlich war offen, was nun das Verhalten des Täters mit der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“, also der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung, „zu tun haben“ musste.[176] Sieht man in den Merkmalen der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung die Rechtsgutsbeeinträchtigung in Form der Schädigung oder Gefährdung des Vermögens der Gläubiger, ihrer Rechte oder ihrer Interessen, dann liegt die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen Handlung und Konkurs nahe. Wenn gerade die Zahlungseinstellung jener Zustand ist, der die Befriedigungsinteressen oder das Vermögen der Gläubiger und damit das geschützte Rechtsgut gefährdet oder verletzt, weshalb Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung die Umstände sind, um deren Willen der Schuldner bestraft wird, dann kann der Schuldner außerdem nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn er diesen Umstand verschuldet.[177] Angesichts des eindeutigen Wortlauts und dem Willen des historischen Gesetzgebers sei jedoch auf beides gerade zu verzichten.[178] Stattdessen vertrat das Schrifttum in Anlehnung an das RG, dass der Zusammenhang zwischen Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung ausnahmsweise kein Kausalzusammenhang sei, sondern ein „Zusammenhang sui generis“:


1.)
2.)

a) Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „schuldindifferenter äußerer Zusammenhang“ zwischen Handlung und Erfolg?

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Zur Begründung führten die Vertreter an, Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien lediglich „äußere Tatbestandsmerkmale“.[181] Danach bestehe der Tatbestand eines Deliktes nicht nur aus Tatbestandsmerkmalen, die vom Täter verschuldet werden müssen (Tathandlung und Erfolg), sondern darüber hinaus enthalte jeder Tatbestand weitere äußere, schuldindifferente Tatbestandsmerkmale.[182] Die Zahlungseinstellung sei als solche nicht verboten und müsse demgemäß auch nicht schuldhaft begangen werden.[183] Die Beziehung zwischen der Handlung und den schuldindifferenten Tatbestandsmerkmalen sei daher, wie vom RG zutreffend definiert, mit dem Begriff des „äußeren, tatsächlichen Zusammenhangs“ hinreichend erfasst.[184] Ein Definitionsvorschlag oder eine nähere Konkretisierung für diesen „Zusammenhang“ fehlte.

b) Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „präsumtiver Kausalzusammenhang“?

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Angesichts der Schwierigkeiten im Hinblick auf einen derart unbestimmten Zusammenhang, bediente sich die Gegenansicht sog. „Präsumtionen“.[185] Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung seien ein „Symptom“, ein „Indiz“,[186] für das Verursachen einer Rechtsgutsbeeinträchtigung.[187] Lägen die Merkmale der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung vor, würden die Kausalbeziehung und die Schuld des Täters schlichtweg präsumiert.[188] Um von einem ahndungsbedürftigen Angriff des Täters ausgehen zu können, ohne zugleich eine kausale Rechtsgutsverletzung zu verlangen, sei zwar maßgeblich auf den Konkurseintritt abzustellen, allerdings gelte eine Besonderheit: Für den Fall, dass der Täter eine Bankrotthandlung vornahm und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung tatsächlich (irgendwann) eintraten, werde nunmehr „vermutet“, dass eine „Rechtsgutsbeeinträchtigung“ (irgendwie, vermutlich kausal) stattgefunden hat.[189] Der bloße Eintritt von Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung genüge also, um annehmen zu können, dass die zuvor vorgenommene Bankrotthandlung die Gläubigerinteressen oder das Gläubigervermögen beeinträchtigt hat. Der Eintritt von Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung begründen demnach eine Vermutung dafür, dass durch die Bankrotthandlung die Gläubiger gefährdet oder geschädigt worden sind. Die Straftat des einfachen Bankrotts bestehe folglich in der „präsumtiven Verursachung eines Gläubigerschadens bzw. einer Gläubigergefährdung durch die Bankrotthandlung“, wobei dies bereits durch den Eintritt der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung als bewiesen gilt.[190] Präsumiert werde damit bei Vorliegen von Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung der „Schädigungserfolg“, der kausale Zusammenhang zwischen dem Täterverhalten und dem präsumierten Erfolg und der Schuldvorwurf (sog. Präsumtionstheorie).[191] Das Gesetz enthalte mithin eine Fiktion, indem es alle Bankrotthandlungen, in denen der ursächliche Zusammenhang zur Zahlungseinstellung nicht bewiesen, nicht vorhanden oder sogar unmöglich ist, denjenigen, in welchen er nachweisbar ist, unter die gleiche Strafandrohung stellt.[192]

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Die Verwendung solcher gesetzlicher Präsumtionen sei hierbei eine verfahrensökonomische Notwendigkeit.[193] Sie fänden ihre Rechtfertigung in der Methode des Gesetzgebers bei der Schaffung von Gesetzen.[194] Jeder Deliktstypus im Strafrecht komme auf dem Weg der Abstraktion zu Stande, was bedeutet, dass der Gesetzgeber auf bestimmte Merkmale im Gesetz abstellt, während er andere Merkmale unberücksichtigt lässt, um eine möglichst große Zahl von Einzelfällen tatbestandlich zu erfassen.[195] Verzichtet der Gesetzgeber hierbei auf wichtige Merkmale, so läge der Grund dafür stets in dem Bestreben Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.[196] Je schwieriger also einzelne Merkmale zu beweisen sind, umso größer sei „die Versuchung, sie womöglich nicht mit aufzunehmen“.[197] Je einfacher aber die deliktische Natur, umso leichter ist die Anwendbarkeit und damit die Praktikabilität der Norm. Auf den Bankrotttatbestand angewandt bedeutete dies, dass das Gesetz auf die nach außen unproblematisch in Erscheinung tretenden Merkmale A (hier: Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung) und B (Vornahme der Bankrotthandlung) abstellte, obwohl außer diesen Beiden noch ein weiteres Merkmal C den „rechtlichen Unwert“ der Tat mitbestimme (= sog. praesumptio juris et jure).[198] Dieses zusätzliche Merkmal (C) bestünde in der Schädigung des Handlungsobjekts, vielfach „Rechtsgutsverletzung“ genannt, wobei sich die Vertreter nicht einig waren, ob es sich um die Verletzung oder nur die Gefährdung des Vermögens der Gläubiger handeln sollte. Dies hing auch damit zusammen, dass nicht klar war, wie ein Interesse oder sonstige ideelle Objekte (Sicherheit des Handels) überhaupt „verletzt“ werden können. Würde der Gesetzgeber aber den Eintritt einer konkreten Gläubigergefahr oder gar eines Gläubigerschadens verlangen, so müsste diesbezüglich immer auch Kausalität, Vorsatz und Schuld nachgewiesen werden können. Dieser Nachweis wird nur oftmals schwer zu erbringen sein, vor allem in Bezug auf die Herbeiführung des eigenen Konkurses. Deshalb sei der Tatbestand des Bankrotts so konzipiert, dass, falls der Beweis für A (Eintritt der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung) und B (schuldhafte Vornahme der Handlung) erbracht werden kann, die Tatsache C (Rechtsgutsbeeinträchtigung) als erwiesen angesehen wird.[199] Die Zulässigkeit dieser Vorgehensweise, die zu Recht scharf kritisiert wurde,[200] hänge hierbei entscheidend von dem Verhältnis zwischen A/B und C ab. Wenn das Merkmal C notwendigerweise mit A/B verbunden sei, soll es sich um eine unschädliche Präsumtion handeln.[201] Für diesen Fall seien Präsumtionen unbedenklich, da nur „diejenigen Handlungen vertatbestandlicht werden, die typischerweise, also regelmäßig mit einer Rechtsgutsgefährdung verbunden sind“, ergo „je typischer die Handlung für die Rechtsgutsgefährdung ist, desto erträglicher wird die Präsumtion“.[202] Anders liegt der Fall, wenn C niemals oder nur selten mit B verbunden ist. Dann handele es sich um eine Präsumtion in Form einer „Fiktion im objektiven Sinn“, die zu unerträglichen Ergebnissen führe, weil es zu einer Vielzahl an Fehlbewertungen von konkreten Einzelfällen käme.[203] Die Vertreter der Präsumtionstheorie stellten hierbei fest, dass bei einem der Schuldner, der seine Zahlungen einstellte davon ausgegangen werden könne, dass er tatsächlich zahlungsunfähig ist.[204] Für den Fall der Zahlungsunfähigkeit könne sicher davon ausgegangen werden, dass die Befriedigungsinteressen der Gläubiger betroffen sind.[205] Strittig war nur, wie mit den Fällen umzugehen war, in denen eine Rechtsgutsbeeinträchtigung „widerlegt “ werden konnte. Wenn die Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen nachweisbar auf einer völlig anderen Ursache beruhte, wie z.B. ein Konkurs basierend auf Zufall, Krieg oder Naturkatastrophe, sah die überwiegende Auffassung die Präsumtion als widerlegt an.[206] Die Handlung des Schuldners hatte dann erwiesenermaßen nichts mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu tun. Eine Einschränkung des Tatbestandes sei da geboten, „wo der Erfolg aus einem ganz anderen als dem mit der Handlung in Verbindung stehenden Ursachenkomplex hervorgegangen ist.“[207] Wenn der Täter eine erwiesen ungefährliche Handlung vorgenommen hat, könne er nicht bestraft werden.[208]