Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht

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Anmerkungen

[1]

BGH wistra 2014, 354 (354).

[2]

Siehe hierzu eine ausführliche Bestandsaufnahme der Rechtsprechung unter Rn. 21 ff. und Rn. 127 ff.

[3]

Ein Überblick über das bankrottstrafrechtliche Schrifttum, das das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ postuliert, unter Rn. 158 ff.

[4]

BGH wistra 2014, 354 (354).

[5]

Vgl. zum Standpunkt der Rechtsprechung: BGHSt 1, 186 (191); 28, 231 (232) = JR 1979, 512; MDR 1981, 454 (454); OLG Düsseldorf NJW 1980, 1292 (1292); BayObLG wistra 2003, 30 (30); BGH wistra 2014, 354 (354). Zur Perspektive der Lehre: Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd, Vor § 283 Rn. 91; Habetha Bankrott und strafrechtliche Organhaftung, S. 293; Moosmayer Einfluss der InsO, S. 194; Penzlin Strafrechtliche Auswirkungen der InsO, S. 182; Bosch in: SSW-StGB, § 283 Anm. 18. m.w.N.

[6]

Vgl. BayObLG wistra 2003, 30 (30).

[7]

Zum sog. „Gefahrrealisierungszusammenhang“ vgl. insbesondere Otto in: Gedächtnisschrift für Bruns, S. 265 (282).

[8]

RGSt 4, 418; BGHSt 1, 186 (191); Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 490; Moosmayer Einfluss der InsO, S. 189.

[9]

Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 490.

[10]

Borchardt in: Schmidt, Insolvenzrecht, § 283 Rn. 35.

[11]

Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd., Vor § 283 Rn. 92.

[12]

Zu diesem Ergebnis kommt auch Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 484.

[13]

Die Tatbestände der §§ 283 ff. StGB werden vor diesem Hintergrund nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum den abstrakten Gefährdungsdelikten zugeordnet. Vgl. dazu u.a.: BGH NStZ 2008, 401 (401); Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd., § 283 Rn. 6; Bosch in: SSW-StGB, § 283 Rn. 1; Kindhäuser in: NK-StGB, § 283 Rn. 3; Bittmann in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rn. 311 ff.; D.-M. Krause Ordnungsgemäßes Wirtschaften, S. 210; Hoyer in: SK-StGB, Bd. V, Vor § 283 Rn. 4; Heine in: Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rn. 1; Dannecker/Hagemeier in: Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, Rn.1017 ff.; Richter in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 81 Rn.11 ff.

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung

Inhaltsverzeichnis

A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung

B. Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung

C. Rückschritt durch Rechtsanwendung?

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung

A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung

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Von Vielen wird gegenwärtig im Rahmen der §§ 283 ff. StGB darauf hingewiesen, dass zwischen Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung ein „Zusammenhang“ bestehen müsse, dessen Inhalt noch immer weitestgehend ungeklärt sei.[1] Auch in der Rechtsprechung des BGH ist das Erfordernis eines solchen „Zusammenhangs“ grundsätzlich anerkannt.[2] Hierbei stützt sich die neuere Judikatur des BGH zumeist auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1951[3], die indessen § 240 der Konkursordnung in der Fassung vom 20.5.1898[4] zum Gegenstand hatte. Diese Entscheidung im ersten Band der amtlichen Sammlung verweist nunmehr ihrerseits auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Konkursordnung.[5] Erforderlich ist es daher, gewissermaßen die Primärquellen des „tatsächlichen Zusammenhangs“ näher zu untersuchen.

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung › I. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des einfachen Bankrotts

I. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des einfachen Bankrotts

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Das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ entstammt einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1881.[6] Gegenstand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ waren die §§ 209 ff. KO in der Fassung vom 10.2.1877:

§ 209 KO: Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen betrüglichen Bankerutts mit Zuchthaus bestraft, wenn sie in der Absicht, ihre Gläubiger zu benachteiligen, 1. Vermögensstücke verheimlicht oder bei Seite geschafft haben, 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt haben, welche ganz oder teilweise erdichtet sind, 3. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen gesetzlich oblag, oder 4. ihre Handelsbücher vernichtet oder verheimlicht oder so geführt oder verändert haben, dass dieselben keine Übersicht des Vermögenszustandes gewähren.[7]

§ 210 KO: Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie 1. durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waren oder Börsenpapieren übermäßige Summen verbraucht haben oder schuldig geworden sind, 2. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen gesetzlich oblag, oder dieselben verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt haben, dass sie keine Übersicht ihres Vermögenszustandes gewähren, oder 3. es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen haben, die Bilanz ihres Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen.[8]

8

Die Konkursordnung in der Fassung vom 10.2.1877 basierte größtenteils auf den konkursstrafrechtlichen Bestimmungen des code de commerce, den reichsgesetzlichen Bestimmungen des 19. Jahrhunderts, mithin den §§ 259 ff. des Preußischen StGBs sowie den §§ 281 ff. des StGBs für das deutsche Reich.[9] Die erste Konkursordnung regelte, wie bei gleichzeitigem Andrängen mehrerer Gläubiger gegen einen insolventen Schuldner zu verfahren war.[10] In drei Büchern regelte die Konkursordnung das materielle Konkursrecht, das Konkursverfahren und im dritten Buch die Strafbestimmungen.[11] Die erste Reform des Konkursrechts von 1898 verlagerte die konkursstrafrechtlichen Bestimmungen von §§ 209 ff. auf die §§ 239 ff. KO, ohne relevante inhaltliche Änderungen vorzunehmen. Der Tatbestand des betrügerischen Bankrotts gemäß § 239 KO n.F. war mit § 209 KO a.F. identisch.[12] Lediglich der Anwendungsbereich des einfachen Bankrotts (§ 210 a.F./§ 240 n.F. KO) wurde um eine Nummer erweitert:

§ 240 KO: „Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängnis bestraft, wenn sie (...) 2. in der Absicht, die Eröffnung des Konkursverfahrens hinauszuschieben, Waren oder Wertpapiere auf Kredit entnommen und diese Gegenstände erheblich unter dem Werte in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise veräußert oder sonst weggegeben haben (...).“

9

Unabhängig davon, ob es sich um einen betrügerischen oder um einen einfachen Fall des Bankrotts handelte, war eine Bestrafung nach den §§ 209 ff./§§ 240 ff. KO stets an zwei kumulative Voraussetzungen geknüpft:


1.)
2.)

10

 

Gegenstand der Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ war in erster Linie der Tatbestand des „einfachen Bankrotts“, da die besondere Gläubigerbenachteiligungsabsicht im Rahmen des betrügerischen Bankrotts in der Regel nicht nachzuweisen war. Schwierigkeiten bereitete im Rahmen des „einfachen Bankrotts“ die Frage, ob bereits die Koexistenz der oben genannten Merkmale – „Bankrotthandlung“ und „Relativsatz“ – genügte, um den Täter wegen Bankrotts zu bestrafen oder aber eine Beziehung beider Merkmale zueinander erforderlich war.

1. Die „Bankrotthandlung“

11

Basis des Bankrottdelikts im Sinne der §§ 209 ff. KO waren eine Reihe bestimmter Bankrotthandlungen.[14] Die Normierung einzelner Handlungen folgte der Konzeption der Konkursdelikte des code de commerce.[15] Die darin geschaffenen Regelungen zum französischen Insolvenzstrafrecht konnten in der Folgezeit erheblichen Einfluss auf die Rechtsentwicklung in Deutschland gewinnen und galten als Vorbild für die Konkursstrafbestimmungen.[16] Bestraft wurden Kaufleute, die ihre Zahlungen einstellten, aus zwei Gründen: wegen „banqueroute simple“[17] und „banqueroute frauduleuse“[18]. Wegen „banqueroute simple“ war strafbar, wer sich in einer der im Gesetz beschriebenen Situationen befand[19]: also wer „übermäßige häusliche Ausgaben“[20] machte, wer beim Glücksspiel oder bei Börsenspekulationen große Summen verbrauchte[21], wer Waren verschleudert hat[22] oder Handelsbücher nicht führte[23]. Nach Ansicht der französischen Gesetzgebung lag in diesen einzelnen Handlungen „oftmals“ die Ursache des Konkurses.[24] Für die Beurteilung der Strafbarkeit genügte mithin das Vorliegen einer der normierten Handlungen, von der sodann auf einen strafbaren Bankrott geschlossen wurde[25], weshalb die Handlungen zu Recht als „Präsumtionen des Verbrechens“ interpretiert wurden.[26] Die 1. Konkursordnung übernahm diese Normkonzeption des code de commerce im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, währenddessen sich ohnehin ein Übergang vom liberalen formalisierten Strafrecht hin zu einem Strafrecht als Steuerungselement für Wirtschaftsabläufe vollzog, was allgemein zu einer deutlichen Expansion des Nebenstrafrechts führte.[27]

2. Der Relativsatz „Schuldner, welche (...)“

12

Eine Bestrafung der aufgeführten Bankrotthandlung hing zusätzlich davon ab, ob die Tatsache der „Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung“ in der Person des Schuldners eingetreten war.[28] Auch die Beibehaltung des Relativsatzes folgte Art. 585 ff. des code de commerce, wonach ausschließlich „le commercant failli“ wegen Bankrotts zu bestrafen war.[29] Für einen strafbaren „banqueroute simple“ musste der Kaufmann die Tathandlung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit („cessation des paiements“) vornehmen[30], es sei denn ihm gelang zwischenzeitlich die Überwindung seiner Zahlungsunfähigkeit.[31]

13

Die Auslegung und Anwendung des so konzipierten Bankrotttatbestandes[32] bereitete der Rechtspraxis in Deutschland in der Folgezeit jedoch erhebliche Schwierigkeiten.[33] Wollte man den Relativsatz in die Kategorie der typischerweise bei Sonderdelikten vorkommenden besonderen persönlichen Merkmale einordnen[34], nötigte dies zu dem Schluss, dass im Hinblick auf den Eintritt des Konkurses zumindest Vorhersehbarkeit hätte verlangt werden müssen, was de facto ausgeschlossen war. Daher interpretierten manche die Zahlungseinstellung lediglich als „den Umstand, von dessen Vorhandensein die Anwendung der Vorschriften des vorliegenden Abschnitts“ abhänge[35], ohne dass die Zahlungseinstellung durch die beschriebenen Tathandlungen hätte herbeigeführt werden müssen.[36] Die Gegenansicht sah den Schwerpunkt des Unrechts gerade in der Zahlungseinstellung[37], da erst in diesem Moment eine Gefahr für die Konkursgläubiger entstehe. Vereinzelt wurde vertreten, dass es sich „lediglich um ein Anzeichen des eigentlich vorausgesetzten Merkmals der Zahlungsunfähigkeit“ handele.[38] Die Bedeutung des Relativsatzes und seine Funktion innerhalb des Gesamtunrechtstatbestandes waren mithin gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend ungeklärt, was dazu führte, dass die Grenzen des strafrechtlich relevanten Bereichs nicht hinreichend konturiert waren.

3. Das Verhältnis zwischen Bankrotthandlung und Konkurs?

14

Demgegenüber bestand Einigkeit, dass zwischen Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung jedenfalls kein Kausalzusammenhang [39] erforderlich war, was sich bereits aus dem Wortlaut der Norm[40] und der historischen Entwicklung[41] ergeben sollte. Die französische Gesetzgebung verzichtete auf einen Kausalzusammenhang und einen Verschuldensnachweis im Hinblick auf den Konkurs[42], was gleichsam die konzeptionelle Besonderheit der Strafbestimmungen des code de commerce gegenüber denen der Reichspolizeiordnungen war.[43] Die „Schuldfrage“ im Strafrecht wurde von der französischen Gesetzgebung als verfahrensrechtliches Problem angesehen, weshalb Napoleon einer Konzeption der Konkursdelikte folgte, die bereits in den Stadtrechten des 13. und 14. Jahrhunderts vorherrschend war. Zu dieser Zeit wurde bereits auf Grund äußerer Merkmale – im Rahmen des Bankrotts die „Flucht des zahlungsunfähigen Schuldners“ – auf die Strafbarkeit des Täters „geschlossen“.[44] War der Kaufmann flüchtig, so unterstellte man, dass es sich um einen selbstverschuldeten Konkurs und kriminelles Verhalten handelte[45], was belegt, dass strafrechtliche Schuld eine bloße Vermutung war. Zu Beginn des Jahrhunderts, insbesondere durch die Reichspolizeiordnungen von 1548, vollzog sich eine erste Wende im Hinblick auf die „Schuldfrage“.[46] Die Strafbarkeit wegen Bankrotts hing erstmals von der Frage ab, ob und inwieweit der Schuldner seinen Konkurs tatsächlich verursachte und verschuldete.[47] Dem Rechtsgefühl der damaligen Zeit entsprach es, nur den „verdorbenen“[48], betrügerischen, ganz und gar nicht ehrbaren Kaufmann, der seinen Ruin gezielt herbeiführte, um daraus ein Geschäft zu machen, zu bestrafen und nicht denjenigen, der zufällig oder unverschuldet durch Krieg, Unglück oder Naturkatastrophe in Konkurs geriet.[49] Dem folgte auch das von Friedrich des Großen in Auftrag gegebene Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794[50], wonach gemäß § 1479 „Kaufleute, welche durch Unglücksfälle zu zahlen unvermögend geworden sind“, nicht der Bestrafung wegen Bankrotts unterworfen wurden.[51] Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat sich mehr und mehr die auf das Menschenbild der Aufklärung zurückgehende Rechtsauffassung durchgesetzt[52], dass schuldlos Handelnde, also auch unwillentlich in Konkurs geratene Kaufleute, kein strafbedürftiges Unrecht verwirklichen.

15

Einem anderen Verständnis von „Gerechtigkeit“ folgte die französische Gesetzgebung durch Napoleon[53] nachdem zahlreiche große „Fallimente“ französischer Unternehmen einen überaus schädlichen Einfluss auf die Volkswirtschaft und das gesellschaftliche Miteinander Frankreichs hatten.[54] Die Tatsache, dass 1805 eine große französische Handelskette mit 30 Millionen Passiven ihre Zahlungen einstellte und trotzdem weiterhin enormen Aufwand tätigte, veranlasste Napoleon zur Schaffung eines „Bankbruchstrafgesetzes“,[55] das strenge Strafen enthalten sollte.[56] Dieses Gesetz differenzierte zwar zwischen der einfachen „fallite“ (im Sinne der schlichten Zahlungseinstellung) und dem banqueroute (im Sinne eines betrügerischen Verhaltens), dennoch sollten beide Fälle strafrechtlich erfasst werden.[57] Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit war nicht mehr das „Insolventwerden“ des Schuldners, sondern einzelne konkret benannte Handlungen, die das schuldnerische Vermögen verminderten, was rechtstatsächlich dazu führte, dass auch „le banqueroute simple“ und damit der unverschuldet in Konkurs geratene Kaufmann bestraft werden konnte.[58] Zwischen „banqueroute fradeuleuse“ und „banqueroute simple“ wurde danach differenziert, ob der Schuldner bei Vornahme der Bankrotthandlung mit (betrügerischer Fall) oder ohne (einfacher Fall) „Gläubigerbenachteiligungsabsicht“ handelte[59]; die – schädlichen oder gar positiven – Auswirkungen der Handlung waren gänzlich unbeachtlich. Diese Art der Normkonstruktion war kriminalpolitisch motiviert und konnte die Nachweisschwierigkeiten im Hinblick auf die Kausalitätsfrage[60] oder die Konkursursache[61] weitestgehend beseitigen.[62]

16

Die Konkursstrafbestimmungen der 1. Konkursordnung übernahmen diese Normkonzeption, was gleichsam den Bezugsgegenstand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ bildete:



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Die Strafbarkeit wegen Bankrotts hing zusätzlich davon ab, dass der Konkurs (Zahlungseinstellung oder Verfahrenseröffnung) in der Person des „Schuldners“ tatsächlich eintrat. Die Konkursursache war unerheblich.[65]

4. Die Rechtsnatur des Bankrotts in der Interpretation durch das Reichsgericht

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Da demnach bereits die Koexistenz der tatbestandlichen Merkmale eine Strafbarkeit auslöste und darüber hinaus weder die Einordnung der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung noch das Verhältnis dieser Merkmale zum Täterverhalten geklärt waren, bereitete die Frage nach der Rechtsnatur des Bankrotttatbestandes der Rechtsanwendung bereits sehr früh Schwierigkeiten[66]:

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„Indem das Strafgesetz eine Reihe sehr verschieden gearteter Handlungen und Unterlassungen als einfachen Bankrott unter Strafe stellt, liegt solcher Strafandrohung wohl der gesetzgeberische Gedanke zu Grunde, dass jene Handlungen und Unterlassungen als Kriterien einer leichtsinnigen, verschwenderischen, unordentlichen Geschäftsführung erfahrungsgemäß in einem ursächlichen Zusammenhang zum Bankbruch zu stehen pflegen. Diesen ursächlichen Zusammenhang aber, der sich überdies nach den unberechenbaren Wechselfällen des Verkehrslebens meist jedem zweifellosen Nachweis entzieht, erfordert das Gesetz nicht als Moment des objektiven Tatbestandes, folglich auch nicht als Merkmal des subjektiven Tatbestandes, sei es als vorsätzliche oder sei es als fahrlässige Verschuldung gedacht. Das Strafgesetz begnügt sich vielmehr mit der positiven Satzung: ‚Schuldner, welche Ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankrotts ... bestraft, wenn sie...‘ (...). Von Fahrlässigkeit im strafgesetzlichen Sinne, von fahrlässiger Verschuldung eines kausal zuzurechnenden Erfolges[67] ist hier nirgends die Rede, und ist es deshalb von vornherein verfehlt, den einfachen Bankrott in seinem legalen Tatbestande schlechthin als Fahrlässigkeitsdelikt zu bezeichnen.“[68]

„Dergleichen Operationen (Spiel, Wette, Differenzgeschäfte) beeinträchtigen das Vertrauen auf die dauernde Kreditfähigkeit und rechtfertigen, (...) die gesetzliche Fiktion, dass solche zum eingetretenen Vermögensverfalle und der daran geknüpften Zahlungseinstellung, in mehr oder weniger ursachlicher Beziehung stehen. Diese unsolide Weise des Geschäftsbetriebes soll der strafrechtlichen Ahndung verfallen.“[69]

 

20

Parallel zum einfachen Bankrott nach Art. 587 des code de commerce wurden damit wirtschaftswidrige Handlungen pönalisiert, welche die Verletzung oder Gefährdung der Gläubigerrechte fingierten bzw. präsumierten[70], sofern beide Tatbestandsmerkmale[71] tatsächlich eintraten.[72] Es genügte, wenn der Täter wusste oder sich vorstellen konnte, „dass er Handlungen vornimmt, welche ihm die Möglichkeit, den Ansprüchen seiner Gläubiger gerecht zu werden, rauben werden oder rauben können.“[73] Zentraler Gegenstand der Rechtsprechung des RG war im Anschluss daran die Frage, ob die gesetzliche Fixierung von Kriminalität, welche die bloße „Koexistenz“ von Bankrotthandlung und Konkurs genügen ließ, um Strafe zu verhängen, einer restriktiven Korrektur bedurfte. In diesem Kontext fand das Erfordernis eins „tatsächlichen Zusammenhangs“ erstmals Erwähnung.

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung › II. Der „tatsächliche Zusammenhang“ in der Interpretation durch die konkursstrafrechtliche Rechtsprechung