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Corona Magazine #355: Dezember 2020

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Aus der Reihe: Corona Magazine #355
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Perlentaucher: Fringe – Grenzfälle des FBI

von Thorsten Walch

Es war einmal eine Serie mit dem Titel Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI (Autorenkollege Eric Zerm hält gerade Rückschau auf diese Serie hier im Corona Magazine).

Akte X war höchst erfolgreich und brachte es zunächst auf satte 9 Staffeln zwischen 1993 und 2002 sowie einen erfolgreichen Kinofilm im Jahr 1998. 2008 folgte ein weiterer, nicht mehr ganz so erfolgreicher Kinofilm, und 2017 und 2018 gab es gar zwei weitere Kurzstaffeln im Mini-Format. Der Rest ist nachzulesen bei Eric Zerm. Worum es hier gehen soll, ist eine Serie, die zumindest zu Beginn mehr oder weniger offen im Fahrwasser der Akte X daherkam, wenngleich man durchaus andere Schwerpunkte in ihr setzte. Dann aber wagte Fringe, wie diese Serie hieß und hierzulande in Anlehnung an das Vorbild den Untertitel Grenzfälle des FBI erhielt, etwas bis dahin kaum Bekanntes: Das komplette Genre wurde kurzerhand gekippt, und was wie eine modernere Version der X-Akten begonnen hatte, entwickelte sich plötzlich zu – einer dystopischen Science-Fiction-Serie. Aber immer der Reihe nach!

J.J. Abrams: Geliebt und gescholten!

Der mittlerweile 54-jährige amerikanische Film- und Fernsehproduzent, Regisseur, Drehbuchautor und auch Komponist Jeffrey Jacob Abrams, kurz »J.J.« oder auch »JJ« geschrieben, ist ohne jede Übertreibung eine der umstrittensten Personen in der gesamten Unterhaltungsbranche. Es scheint kaum in der Mitte liegende Meinungen über ihn zu geben: Entweder wird er offen verehrt oder gehasst. Die Liste des Schaffens von J.J. Abrams ist lang: Er schrieb die Drehbücher zu Filmen wie In Sachen Henry mit Harrison Ford in der Hauptrolle (1991) oder Armageddon – Das jüngste Gericht mit Bruce Wills (1998) und inszenierte den dritten Teil der Mission-Impossible-Filmserie mit Tom Cruise (2006). Hauptsächlich bekannt geworden war er jedoch als Showrunner mehrerer Fernsehserien: Nach dem Coming-Of-Age-Drama Felicity mit der jungen Keri Russell in der Haupt- und Titelrolle (1998 bis 2002) hatte er seine größten Erfolge mit der ungewöhnlichen Spionageserie Alias – Die Agentin (2001 bis 2006) sowie dem zum polarisierenden Kultklassiker gewordenen Lost (2004 bis 2010) gefeiert. 2009 und 2015 hatte Abrams dann sowohl Star Trek als auch Star Wars wiedererweckt/ruiniert (je nach Sichtweise …), doch vorher … kam Fringe, um das es hier gehen soll.

Während die Idee zu Alias von Abrams allein gestammt hatte, war er im Falle von Lost Teil eines dreiköpfigen Teams von Ideengebern gewesen, zu dem auch seine beiden Kollegen Damon Lindelof und Jeffrey Lieber gehörten. Bei Fringe gab es erneut ein Dreierteam, diesmal neben Abrams auch der jetzige Star-Trek-Showrunner Alex Kurtzman sowie Roberto Orci, der mehrere Scripts zu Alias geschrieben hatte und später auch am Star-Trek-Reboot mitarbeiten sollte. Alle drei steuerten auch Drehbücher zur ersten Staffel der neuen geplanten Serie Fringe bei.


©: Warner Bros. / Bad Robot Production

Das neue Akte X (???)

Auf den ersten Blick las sich das Serienkonzept zu Fringe wirklich wie eine Nachahmung der X-Files. Alle Passagiere eines in Boston gelandeten Passagierflugzeuges sind auf mysteriöse Weise durch einen unbekannten Erreger ums Leben gekommen. Als sich John Scott, der Kollege und Beziehungspartner von FBI-Agentin Olivia Dunham, ebenfalls infiziert, erbittet sie die Hilfe des genialen Wissenschaftlers Dr. Walter Bishop. Dummerweise jedoch befindet sich dieser seit einem grauenhaften Laborunfall mit Todesfolgen in einer Nervenheilanstalt. Um Bishop für die Ermittlungen freizubekommen, benötigt Olivia die Hilfe von Bishops Sohn, dem Abenteurer Peter. Dieser befindet sich im kriegsgebeutelten Irak, wo er undurchsichtigen Geschäften nachgeht. Peter Bishop willigt schließlich ein, für die Ermittlungen als Vormund für seinen Vater zu fungieren. Diese führen zum Multi-Konzern Massive Dynamic, der von Dr. Bishops einstigem Partner, dem geheimnisvollen William Bell, gegründet und nunmehr von der nicht weniger enigmatischen Nina Sharp geleitet wird. Nach Beendigung der Ermittlungen erhält das unfreiwillige Dreierteam ein Angebot: Gemeinsam mit ein paar weiteren Kollegen sollen sie die Fringe-Division des FBI bilden, welche die sich häufenden Fälle mit grenzwissenschaftlichem Hintergrund untersuchen soll. Geleitet wird diese Abteilung von dem strengen Special Agent Phillip Broyles, der persönlichen Groll gegen Olivia hegt …

Das Serienkonzept erhielt grünes Licht von Warner Bros. Television, die sie für die ihr unterstellten Sender realisieren wollte. Unterstützung sollte dabei von J.J. Abrams' eigener Firma Bad Robot Productions kommen. Als Olivia Dunham castete man die gebürtige Australierin Anna Torv (geb. 1979), die man aus kleineren Rollen in australischen Fernsehserien wie Young Lions (2002) oder McLeods Töchter (2004) sowie der BBC-Produktion Mistresses – Aus Lust und Leidenschaft (2008) kannte. Die Rolle des Peter ging an den Kanadier Joshua Jackson (geb. 1978), der zuvor in Filmen wie Mighty Ducks – Das Superteam (1992) und den beiden Fortsetzungen von 1994 und 1996 sowie den Horrorstreifen Scream 2 (1997) und Shutter – Sie sehen dich (2008) mitgewirkt hatte. John Noble (geb. 1948), ebenfalls Australier, erhielt die Rolle des zerrissenen Dr. Walter Bishop. Er hatte 1988 eine der Hauptrollen in der populären australischen TV-Serie SOS – Hills End antwortet nicht gespielt und war seitdem in US-Serien wie Time Trax – Zurück in die Zukunft (1993) oder All Saints (1998 bis 2004) in einem wiederkehrenden Gastpart zu sehen gewesen. Als desillusionierter Herrscher Denethor in Der Herr der Ringe: Die zwei Türme (2002) und Die Rückkehr des Königs (2003) war er auf der großen Leinwand präsent gewesen. Für die tragende Nebenrolle des Agent Broyles verpflichtete man Lance Reddick (geb. 1962), bekannt aus Filmen wie Roland Emmerichs Godzilla (1998) oder dem Thriller Sag‘ kein Wort (2001) und TV-Serien wie The West Wing – Im Zentrum der Macht (1999) und The Wire (2002 bis 2008) wo er als Lt. Daniels eine der Hauptrollen verkörpert hatte. Jasika Nicole (geb. 1980), die man in Serien wie Criminal Intent – Verbrechen im Visier (2005) und Filmen wie Dance! Jeder Traum beginnt mit dem ersten Schritt (2006) gesehen hatte, spielte die junge und dienstbeflissene Junior Special Agent Astrid Farnsworth, deren Vornamen Dr. Bishop stets von »Asterix« bis zu »Estrich« verdrehte. Blair Brown (geb. 1946), die in den 70er-Jahren Gastauftritte in vielen bekannten Serien wie Detektiv Rockford – Anruf genügt (1975) oder Kojak – Einsatz in Manhattan (1976) gehabt und 2000 im Science-Fiction-Drama Space Cowboys mitgewirkt hatte, spielte Nina Sharp. Kirk Acevedo (geb. 1971), bekannt unter anderem als Miguel aus der Gefängnisserie Oz – Hölle hinter Gittern (1998 bis 2003), spielte Olivias Ermittlungspartner Charlie Francis. Mark Valley (geb. 1964), bekannt aus Emergency Room – Die Notaufnahme (2000 bis 2003) und 4400 – Die Rückkehrer (2004) war der damalige Real-Life-Ehemann von Hauptdarstellerin Anna Torv und spielte den wiederkehrenden Gastpart des Special Agent John Scott. Last not least war Seth Gabel (geb. 1981), bekannt als Jeremy aus der Serie Dirty Sexy Money (2007 bis 2008) ebenfalls in einer Gastrolle als Special Agent Lincoln Leigh zu sehen. Für den kurzen Auftritt des mysteriösen Dr. William Bell, einst Dr. Bishops Partner und bester Freund und nunmehr Firmengründer von Massive Dynamic, dachte man sich etwas ganz Besonderes aus: Ihn spielte (während der ersten Serienstaffel lediglich in einem Cameo am Ende der Abschlussfolge) kein geringerer als Leonard Nimoy (1931 bis 2015), der ikonische Darsteller des Mister Spock aus der klassischen Star-Trek-Originalserie. Bis heute ranken sich Gerüchte darum, ob hier die Henne oder das Ei zuerst dagewesen war: Hatte der damals bereits 78-jährige Nimoy dem Auftritt in Fringe nur deshalb zugestimmt, weil Produzent Abrams bereits an seinem Star-Trek-Reboot arbeitete, oder hatte Nimoy wegen seiner Rolle in der Serie ein (vor-) letztes Mal die spitzen Ohren des Vulkaniers angelegt …? Es gibt unterschiedliche Versionen.

Die Serie

Fringe (das Wort bedeutet übrigens sowohl »Rand« oder »Grenze« als auch »abseitig« oder »extrem« und bildet als »Fringe Science« den englischen Begriff für das deutsche »Grenz-« oder »Para-Wissenschaft«) erlebte seine TV-Premiere mit dem anderthalbstündigen Pilotfilm Flug 627 am 9. September 2008 beim US-Sender Fox. Hierzulande mussten die Zuschauer bis zum 16. März 2009 warten, ehe ProSieben mit der Ausstrahlung der ersten Staffel begann. Hüben wie drüben war die Serie zwar kein absoluter Straßenfeger, doch waren die Quoten dank des noch immer an Mystery-Stoffen interessierten Publikums recht gut und stabil. Während der ersten Staffel war die stilistische Ähnlichkeit mit den nun bereits mehrmals angesprochenen X-Files noch recht groß: Das Team untersuchte einen Mann, der Frauen Blitzschwangerschaften binnen weniger Stunden aufbürdete, einen anderen, der Katastrophen präzise voraussehen konnte, oder von der Krankheit Bellinische Lymphosemie betroffene Frauen, die mittels hochgradiger Ionenstrahlung geheilt werden sollten. Allerdings verzichtete man in Fringe bis zum Schluss völlig auf die bei Akte X vordergründige UFO-Thematik. Bei alledem gab es bereits Andeutungen einer übergeordneten Handlung: In deren Mittelpunkt stand das »Schema«, wie man das zyklische verstärkte Auftreten grenzwissenschaftlicher Phänomene nannte, sowie die kahlköpfigen, übermenschlich begabten und offensichtlich zeitreisenden »Beobachter«, die bei genauer Betrachtung häufig im Hintergrund der Episoden in Erscheinung traten und deren Absichten erst einmal ebenso unbekannt blieben wie ihre Herkunft. Gegen Ende von Staffel 1 wurden die Andeutungen über den weiteren Verlauf der Serie jedoch konkreter, und diese endete mit einem ausgesprochenen Kanonenschlag: Zum einen fanden die Zuschauer durch die Augen von Olivia heraus, dass diese Dr. Walter Bishop bereits seit ihrer Kindheit kannte. Damals war sie eine Testperson für das von Bishop und Dr. Bell entwickelte Medikament Cortexiphan, das verborgene Kräfte des Menschen wecken sollte. Und der andere Ausblick offenbarte recht deutlich J.J. Abrams Liebe zu Star Trek: In einer Episode der klassischen Originalserie (Mirror, MirrorEin Parallel-Universum aus der zweiten Staffel) ging es um ein Spiegel-Universum, das unserer eigenen Welt zwar sehr ähnlich ist, dessen Entwicklung jedoch eher negativ verlief, was sich auf die Parallel-Persönlichkeiten der Hauptcharaktere auswirkte. Diese Idee wurde bei Star Trek bekanntermaßen in mehreren Episoden der Nachfolgeserien Deep Space Nine, Enterprise und in jüngster Zeit auch Discovery nochmals aufgegriffen – und von den Machern der Serie Fringe ebenso. Dr. Walter Bishop, so erfuhren wir in der letzten Folge von Staffel 1, hatte einst besagtes Spiegeluniversum entdeckt und einen Zugang dorthin geschaffen, um seinen todkranken kleinen Sohn Peter dadurch zu retten. Allerdings hatten sich die Dinge vollkommen anders entwickelt als von Walter geplant.

 

Das Spiegeluniversum

Entsprechend drehte sich die Handlung der zweiten Staffel der Serie, in den USA ab Herbst 2009 und hierzulande ab Frühjahr 2010, in erster Linie um besagtes Spiegeluniversum. Zunächst erhielt der Zuschauer diverse Einblicke in diese andere Welt, wo die Luftschiff-Technologie verfeinert worden war und verschiedene historische Ereignisse entweder gar nicht oder in stark abweichender Form stattgefunden hatten. Der trottelig-liebenswerte Dr. Bishop unserer Seite des Spiegels war dort der machtgierige Verteidigungsminister, der von den Serienhelden von dieser Seite den Namen »Walternate« (in der deutschen Fassung »Walternativ«) erhielt. Statt des FBI gab es im Spiegeluniversum die schlagkräftige Fringe-Division, bestehend aus einer deutlich tougheren Version von Olivia Dunham unter dem Kommando eines noch strengeren Agent Broyles. Zu ihrem Team gehörten Agent Lincoln Leigh sowie Charlie Francis, der in »unserer« Realität im Verlauf der ersten Staffel ums Leben gekommen war. Nur eine Entsprechung von Peter Bishop gab es nicht, was im Lauf der zweiten Staffel aufgeklärt wurde und aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden soll. Ferner ging es um die Auswirkungen, die Dr. Bishops Cortexiphan-Experimente an Kindern hatten und die das bis dahin gute Verhältnis zwischen Olivia und Bishop spalteten. Neben der an Star Trek angelehnten Hauptthematik gab es auch reichlich Referenzen an den Urban-Fantasy-Klassiker Wintermärchen (A Winter’s Tale) des Autors Mark Helprin, der Anfang der 80er-Jahre erstmals erschien und 2014 mit unter anderem Colin Farrell und Jennifer Connelly verfilmt worden war. Obwohl es auch in Staffel 2 Episoden mit der althergebrachten Monster-der-Woche-Thematik gab, etwa über einen unterirdisch lebenden Wurm-Mutanten oder einen Erreger, der Infizierte zu Staub verfallen lässt, eignete sie sich definitiv nicht mehr für Gelegenheitszuschauer. Am Ende von Staffel 2 erhielt Leonard Nimoy als Dr. Bell nach vorherigen Kurzauftritten auch eine wichtige Rolle in den Geschehnissen.

Wie nicht anders zu erwarten, spielten sowohl Staffel 3 ab 2010 beziehungsweise 2011 als auch Staffel 4 2011/2012 sowohl in unserem eigenen als auch im Spiegeluniversum. Dabei vermischten sich die Ereignisse in unserer und der parallelen Welt zunehmend, und mitunter trafen die unterschiedlichen Inkarnationen der Hauptfiguren in mal mehr, mal weniger friedvoll-kooperativer Weise aufeinander und offenbarten dabei mitunter höchst unerwartete Facetten ihrer selbst. Wesentliche Punkte der Handlung waren unter anderem der in künstlichen Bernstein eingeschlossene New Yorker Central Park, in dem ein Tor zwischen den unterschiedlichen Dimensionen geöffnet worden war, eine mächtige Maschine zunächst unbekannter Funktionsweise, die »Walternativ« entwickelte, sowie ein mysteriöses (deutschsprachiges!) Buch mit dem Titel »Die ersten Menschen«, in dem der Verfasser Sam Weiss eine menschliche Hochzivilisation auf der Erde vor dem Jura-Zeitalter (… das real vor etwa 145 Millionen Jahren endete …) beschrieb – all das schien mit einer geplanten Veränderung der Zukunft beider Universen zusammenzuhängen. Zudem kehrte als Schmankerl für die Fans auch der ominöse Dr. William Bell noch einmal in die Serienhandlung zurück, allerdings in ganz anderer Weise als zu erwarten. Obwohl die Handlung der Story-Arc alles andere als unkompliziert daherkam, war sie bei entsprechender Aufmerksamkeit des Betrachters keineswegs verwirrend. Bis heute kann dieses Vorgehen nur als Vorbild für so manchen modernen Serienmacher gelten, der im Verlauf übergeordneter Handlungen den Zuschauer allzu oft ziemlich überfordert. Auch die Darsteller der Serie erbrachten zunehmend Spitzenleistungen. Da war es ein ausgesprochener Jammer, dass die Einschaltquoten der Serie sowohl in den USA als auch bei uns bestenfalls ein Mittelmaß erreichten.

Genrewechsel

Die fünfte und letzte Staffel von Fringe wartete noch einmal mit einem Höhepunkt auf: Wie schon eingangs angedeutet, änderte die Serie ihr Genre. Aus der übersinnlichen Agentenserie wurde eine dystopische Science-Fiction-Serie. Erneut soll auch an dieser Stelle wenig vom Plot verraten werden, um Lesern, die die Serie bisher nicht kennen, ihre Spannung zu erhalten. Nur soviel: Aufgrund von Umständen, die sich am Ende der vierten Staffel entspannen, war es in der fünften Staffel zu genau der Zukunft gekommen, die die Helden verzweifelt hatten verhindern wollen, und spielte nun im Jahr 2036. Die Welt stand unter nunmehr unter der Herrschaft der »Beobachter«, die eine zwar friedliche, dafür aber totalitäre Gesellschaft etabliert hatten. Um diese Zukunft ungeschehen zu machen, müssen Olivia, Peter und Dr. Bishop zunächst ihre Erinnerungen an ihre eigene Welt wiederfinden. Hilfe erhalten sie dabei von einem Mann, der in einer anderen Realität selbst zu den Beobachtern gehörte – Donald alias »September« …

Am Ende der fünften und letzten Staffel blieben keine Fragen offen, obwohl man sie aufgrund des nachlassenden Erfolges auf lediglich 13 Episoden verkürzt hatte. Dennoch wirkte die Handlung hier nicht gestaucht oder gehetzt, sondern beendete konsequent die Geschichte, die sich während der vergangenen fünf Jahre kontinuierlich aufgebaut hatte. Zwar wäre eine Fortsetzung der Serie danach theoretisch möglich gewesen, da man sich einige dramaturgische Hintertürchen offengelassen hatte, doch kam es dazu leider nicht. J.J. Abrams, Alex Kurtzman, Roberto Orci und alle anderen der Serienverantwortlichen widmeten sich fortan Star Trek, Star Wars und anderen Projekten aller Art.

Was übrig blieb, war ein in sich abgeschlossener Meilenstein fantastischer TV-Unterhaltung, der nicht nur durch seine spannende und bestens durchdachte Gesamthandlung punktete, sondern auch durch ebenso realitätsnahe wie liebenswerte Charaktere, die man nach der letzten Folge schmerzlich vermisste. Die Serie ist mittlerweile neben gelegentlichen Wiederholungen im Free-TV auch auf DVD und BluRay für das Heimkino erhältlich und kann etwa bei Amazon Prime kostenpflichtig »ge-bingewatched« werden.

Freunden gut gemachter Mystery-Unterhaltung mit einem ordentlichen Sci-Fi-Anteil, wie es sie in dieser Kombination nicht allzu oft gibt, sei Fringe – Grenzfälle des FBI jedenfalls wärmstens empfohlen.

Perlentaucher: Masters Of Horror

von Thorsten Walch

Horror hat sich in den letzten Jahren zu einem ausgesprochenen Mode-Genre im fantastischen (Streaming-) Fernsehen gewandelt: Nachdem The Walking Dead seit 2010 die Zombies salonfähig machte und endzeitliche Geschichten mit ihnen gar mit psychologischem Anspruch versah, hob American Horror Story ein Jahr später den bis dahin oft als »simpel gestrickt und brutal« verschrienen Bereich auf eine weitere Stufe. Hier zeigte man, dass Horror nicht nur allein aus magenfeindlichem Splatter bestehen muss, sondern durchaus auch mit gekonnter Darstellung und reichlich Atmosphäre zu glänzen versteht. Es folgte eine Vielzahl neuer Horrorserien sowohl im linearen als auch Streaming-Fernsehen, die je nachdem mal mehr, mal weniger erfolgreich zu sehen sind.

Zu den ausgesprochenen Anfängen des modernen Horror-TVs gehört jedoch eine Serie, die in der heutigen Zeit fast vergessen ist und ihre größte Geltung unter den (im wahrsten Sinne des Wortes) eingefleischten Fans des Genres genießt: Die Rede ist von Masters Of Horror, die zwischen 2005 und 2007 die Zuschauer des US-Senders Showtime 26 Folgen lang in einer Art unterhielt, die bis dahin bestenfalls in Filmen ohne Jugendfreigabe geboten worden war. Hierzulande schaffte es Masters Of Horror zumindest hauptsächlich aus diesem Grund nicht ins Fernsehen und wurde stattdessen zunächst auf DVD und einige Zeit später beim Streaming-Anbieter Maxdome veröffentlicht. Dennoch gilt die Serie als ein moderner Klassiker des Fernseh-Horrors und ist dem Autor einen »Perlentaucher« wert.

Absolut kein Schlafwandler

Der amerikanische Drehbuchautor, Filmproduzent und -regisseur Mick Garris (Jahrgang 1951) schaffte es niemals, die Erfolgsleiter so hoch wie etwa Steven Spielberg hinaufzuklettern. Allerdings konnte Mick Garris besagtem Starproduzenten Mitte der 80er-Jahre das Drehbuch für die Episode Der Hellseher in dessen Anthologienserie Unglaubliche Geschichten verkaufen, das mit dem damaligen Tanz-Star Gregory Hines adaptiert wurde. Prompt erhielt das Drehbuch 1986 den renommierten Edgar Allan Poe Award. Vermutlich deshalb beauftragte Spielberg Mick Garris mit dem Drehbuch für den von ihm produzierten Fantasy-Film Das Wunder in der 8. Straße, der 1987 herauskam. Garris wurde anschließend leidlich Genre-bekannt, so schrieb er die Drehbücher für Filme wie Die Fliege 2 (1989) oder Hocus Pocus (1993), und als Regisseur inszenierte er Critters 2: Sie kehren zurück (1988) oder die TV-Produktion Psycho IV (1990), in der Horror-Ikone Anthony Perkins in einem seiner letzten Filmauftritte nochmals als Norman Bates zu sehen war. Einigermaßen bekannt wurde Garris jedoch erst 1992 durch den bizarren Film Stephen Kings Schlafwandler, für den der berühmteste Horrorautor der Gegenwart höchstpersönlich das Drehbuch schrieb, basierend auf einem unveröffentlichten Roman. Der ebenso brutale wie skurrile Streifen mit Alice Krige (die Borg-Queen aus Star Trek: Der erste Kontakt [1996]) in der weiblichen Hauptrolle wurde nach seiner Videoveröffentlichung 1993 in Deutschland auf den Index jugendgefährdender Medien gesetzt, was dem an und für sich eher durchschnittlichen Film große Popularität unter Horror-Fans bescherte. Erst 2018 hob man die Indizierung des Films auf. Als Regisseur drehte Mick Garris danach hauptsächlich weitere Stephen-King-Verfilmungen vorwiegend fürs Fernsehen, darunter die TV-Mehrteiler The Stand: Das letzte Gefecht (1994) und The Shining (1997), zuletzt Bag Of Bones (2011) mit Ex-007 Pierce Brosnan in der Hauptrolle. In den frühen 2000er-Jahren war Mick Garris allerdings auf eine neue Idee gekommen.

Meister des Horrors

Eine Weile hatte es in der Fantastik-Szene den Anschein, als sterbe das Horror-Genre gefühlte drei Male pro Jahr. »Der Horror ist tot, es lebe der Horror!« war insbesondere nach der Jahrtausendwende immer wieder einmal zu hören. Die besagte Idee von Mick Garris mochte vage von der erfolgreichen Serie Tales From The Crypt: Geschichten aus der Gruft inspiriert worden sein, die von 1989 bi 1996 in 93 Folgen sieben Staffeln lang zu sehen war. Hierfür hatten erfolgreiche Hollywood-Regisseure wie Robert Zemeckis (Zurück in die Zukunft), Richard Donner (Lethal Weapon) oder Russell Mulcahy (Highlander) mitunter äußerst blutige Horrorgeschichten mit hohem Sex-Faktor inszeniert, in denen ansonsten aus dem Kino bekannte Stars wie Tom Hanks und Whoopi Goldberg oder auch Rockstar Meat Loaf die Hauptrollen spielten. Da die Serie auf dem Pay-TV-Sender HBO gezeigt wurde, unterlag sie nicht den Beschränkungen der amerikanischen Fernsehpolitik. Allerdings präsentierten sich die meisten Tales From The Crypt eher augenzwinkernd und nicht allzu ernst gemeint. Garris‘ eigene Serienidee sollte sich davon unterscheiden: Er wollte bekannte Regisseure des Horror-Genres für seine Reihe gewinnen, die »Meister des Horrors« (was schließlich bekanntermaßen auch der Serientitel wurde), und in Sachen Gore-Faktor sollte seine eigene Serie alles bisher Dagewesene übertreffen. Interessenten fand Garris schließlich in Tom Rowe und Lisa Richardson vom US-Sender Showtime, der bereits seit 1976 besteht und damit zu den ältesten Kabelfernsehsendern Amerikas gehört. Es gelang Garris, große Namen für seine Serie an Land zu ziehen (was vielleicht damit zusammenhing, dass der Horror gerade wieder einmal gestorben war, wie anfangs angedeutet, wer weiß …?): Don Coscarelli (bekannt durch seine Filmreihe Das Böse), Stuart Gordon (Re-Animator), Tobe Hooper (The Texas Chainsaw Massacre), John Carpenter (The Fog: Nebel des Grauens) oder Dario Argento (Phenomena) klangen wie ein »Who Is Who« des unheimlichen Genres. Sie alle erhielten den Auftrag, je einstündige Episoden der neuen Serie zu inszenieren und sich in Sachen Gore, Splatter und auch Sex nicht lumpen zu lassen, da auch für Showtime als Kabelfernsehsender keine dementsprechenden Beschränkungen galten. Angesichts der Genre-Regiegrößen wollte man sich in Sachen Schauspieler jedoch größtenteils auf mehr oder weniger bekannte TV-Gesichter beschränken.

 

Heftige Geschichten

Bereits in der ersten, am 28. Oktober 2005 kurz vor Halloween auf Showtime gesendeten Episode ging es zur Sache: Incident On And Off A Mountain Road (auch für die spätere deutsche Veröffentlichung auf DVD beließ man die Originaltitel der Episoden) erzählte von einer jungen Frau, die vor ihrem von Survivaltraining besessenen Prepper-Ehemann in eine entlegene Gegend flüchtet und hier in die Hände eines deformierten Serienmörders fällt. Dieser jedoch hat die Rechnung ohne die zwangsweise erlangten Fertigkeiten seines Opfers gemacht. In einer kleinen Rolle wirkte Angus Scrimm mit, den Fans aus Coscarellis Das Böse kannten. Summa summarum war die Folge eine Art Gedankenspiel à la »Was wäre, wenn Jason Vorhees einmal an das falsche Opfer gerät?« Für Folge 2, H.P. Lovecraft’s Dreams In The Witch House, adaptierte Stuart Gorden erneut eine Geschichte des klassischen Horrorautors, in der ein junger Student sich einer mörderischen Hexe und ihres Dieners, einer Ratte mit einem menschlichen Gesicht, erwehren muss. Trotz einiger Brutalität war die Folge eher bizarr statt wirklich gruselig. Dance Of The Dead von Tobe Hooper hingegen war eine splatterige Endzeitgeschichte basierend auf einer Vorlage von Richard Matheson (I Am Legend) und präsentierte in einer kleinen Nebenrolle »Freddy Krueger« Robert Englund. Ein wahres Horror-Meisterwerk hingegen war die Folge Jenifer des für seine künstlerischen italienischen Giallo-Filme bekannten Dario Argento: Eine im Gesicht schrecklich entstellte junge Frau wird von einem Polizisten vor versuchtem Mord gerettet und erweist sich als wahrhaft männerfressende Sirene. In seiner eigenen Inszenierung Chocolate erzählt Garris von einem auf Diät befindlichen jungen Mann, der empathisch den Geschmack der von anderen gegessenen Schokolade wahrnehmen kann.

Joe Dantes Homecoming zeigte eine völlig andere Spielart der Zombie-Thematik, während John Landis' sarkastische Deer Woman mehr oder minder das Tierhorror-Subgenre auf die Schippe nahm. Cigarette Burns von John Carpenter hingegen, wo man Norman Reedus (Daryl aus The Walking Dead) in einer seiner ersten Rollen sehen konnte (sein Gegenspieler war der Deutsche Udo Kier), war so etwas wie eine Alternativ-Version seines Films Die Mächte des Wahnsinns (1994). Fair-Haired Child über eine von einem seltsamen Paar entführte jugendliche Außenseiterin ließ die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit offen, während Sick Girl erneut eher eine Horrorkomödie war: Die eine Hälfte eines weiblichen Paares ist eine besessene Insektologin und hält ein monströses Krabbelviech in der gemeinsamen Wohnung versteckt. Larry Cohens Pick Me Up hingegen zeigte, wie die Begegnung zweier Serienkiller verlaufen kann. Haeckel’s Tale wiederum basierte auf einer Kurzgeschichte von Clive Barker (Hellraiser) und erzählte eine düstere Zombie-Geschichte im späten 19. Jahrhundert. In der gleichen Zeit ist auch Imprint des japanischen Regisseurs Takashi Miike (Battle Royal) angesiedelt, die 13. und letzte Folge der ersten Staffel von Masters Of Horror: Hier versucht ein amerikanischer Journalist, eine junge Frau in Japan aus den Klauen eines mörderischen Sektenkultes zu befreien.

Bis auf wenige Ausnahmen war jede einzelne Folge deutlich härter und brutaler als gar mancher Kino- oder auch Heimkinofilm mit FSK-18-Freigabe. Für die (Splatter-) Trickeffekte der ersten Staffel war übrigens Gregory »Greg« Nicotero verantwortlich, der an einer Vielzahl von Filmen aus den unterschiedlichsten Genres (Predator, James Bond 007: Casino Royale, Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels) in dieser Funktion mitgearbeitet hat. Seit 2010 versieht er die Serie The Walking Dead mit Effekten und Masken und fungiert auch als Regisseur und ausführender Produzent. Doch zurück zu Masters Of Horror: Trotz des Splatter-Faktors bemühte man sich jedoch ebenso um Spannung, Atmosphäre und vor allem natürlich Grusel, was wie bereits erwähnt in Staffel 1 insbesondere Giallo-Meister Argento gelungen war. Obwohl der ganz große Super-Erfolg späterer Genre-Serien ausblieb, waren die Quoten von Masters Of Horror doch hoch genug, dass es für eine zweite Staffel ausreichte.

Runde zwei

Staffel 2 startete fast auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten am 27. Oktober 2006 auf Showtime USA. Ein Teil der Horror-Regiegrößen, die bereits Folgen der ersten Staffel inszeniert hatten, steuerte hierfür eine zweite bei. Den Anfang machte Tobe Hooper mit The Damned Thing: Texas Horror basierend auf einer Geschichte des klassischen Gruselautors Ambrose Bierce, in dem ein texanischer Kleinstadtsheriff erneut mit einem namenlosen Schrecken aus seiner Kindheit konfrontiert wird. In Family Psycho von Regisseur John Landis hingegen muss ein frischvermähltes Paar erkennen, dass der vermeintlich freundliche Nachbar ihrer neuen Wohnung ein psychopathischer Serienkiller ist. The V-Word, inszeniert von Ernest Dickerson, erzählt von zwei halbwüchsigen Jungen, die auf der Suche nach Unterhaltung in ein vermeintlich verlassenes Leichenschauhaus einbrechen. Sounds Like hingegen war von Brad Anderson inszeniert worden, der 2004 Regie beim Psychothriller Der Maschinist mit Christian Bale (Batman Begins) geführt hatte. In seiner Masters-Of-Horror-Episode blieb er seinem Stil treu: Ein Qualitätskontrolleur entwickelt nach dem Tod seines Sohnes ein Supergehör und wird fortan von vielerlei verborgenen Geräuschen gequält. Pro-Life wiederum stammte von Horror-Ikone John Carpenter und variierte Roman Polanskis Klassiker Rosemaries Baby: Eine junge Frau wird durch die Vergewaltigung durch einen Dämon schwanger und will abtreiben. Ihr bigotter Vater und ihre Brüder wollen dies jedoch um jeden Preis verhindern. Pelts stammte von Dario Argento, konnte seiner Staffel-1-Folge Jenifer jedoch nicht im Entferntesten das Wasser reichen: Ein skrupelloser Pelzhändler (gespielt vom schauspielernden Rockstar Meat Loaf) gerät in Besessenheit von einem Mantel, den er aus den gestohlenen Fellen »magischer« Waschbären genäht hat. The Screwfly Solution, inszeniert von Joe Dante, basierte auf einer Kurzgeschichte der bekannten Science-Fiction-Autorin James Tiptree, Jr. (dieses Pseudonym verwendete die Psychologin Alice Sheldon). Die Hauptrollen spielten Sängerin Kerry Norton und Altstar Elliott Gould (Unternehmen Capricorn): Eine unerklärliche Häufung brutaler Sexualverbrechen auf der ganzen Welt erweist sich als Folge eines Ausbruchs tödlicher Viren, der im Zusammenhang mit einer südamerikanischen Insektenart zu stehen scheint. Valerie On The Stairs hatte erneut Showrunner Mick Garris inszeniert. Ein desillusionierter junger Schriftsteller wird in seiner neuen Mietwohnung mit seinen überaus bizarren Nachbarn konfrontiert (unter anderem Christopher Lloyd, bekannt aus Zurück in die Zukunft) und macht die Bekanntschaft einer rätselhaften jungen Frau. Right To Die von Rob Schmidt (unter anderem der Regisseur des Slasher-Films Wrong Turn) erzählte die Geschichte eines Ehepaars, das einen schweren Autounfall überlebt: Während der Mann nahezu unverletzt davonkommt, ist seine Frau bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Als ihr Überleben als Pflegefall in Aussicht gestellt wird und ihr Ehemann in einen Gewissenskonflikt gerät, geschieht Furchtbares. We All Scream For Ice Cream wurde von Regisseur Tom Holland (Psycho II) inszeniert: In der splatterigen Geschichte geht es um einen mörderischen als Clown verkleideten Eisverkäufer, der seine kindlichen Opfer auch als Erwachsene noch immer jagt; zumindest leise Ähnlichkeiten mit Stephen Kings ES inbegriffen. The Black Cat basiert (allerdings vage) auf der berühmten Schauergeschichte von Edgar Allan Poe, der in der Episode unter der Regie von Stuart Gordon von Jeffrey Combs (Star Trek: Deep Space Nine und Enterprise) dargestellt und von der titelgebenden schwarzen Katze bedroht wird. The Washingtonians des ungarisch-stämmigen Regisseurs Peter Medak (Das Grauen, Species II) basierend auf der Kurzgeschichte von Bentley Little spielte mit der äußerst provokanten Idee, George Washington sei in Wahrheit ein perverser Kindermörder gewesen. Den Abschluss der zweiten Staffel von Masters Of Horror schließlich bildete Dream Cruise des japanischen Regisseurs Norio Tsuruta (Ring Zero). Ein in Japan lebender Amerikaner wird durch schicksalhafte Ereignisse eingeholt, die mit dem Tod seines jüngeren Bruders durch Ertrinken in dessen Kindheit zu tun zu haben scheinen.