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Corona Magazine #353: April 2020

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Aus der Reihe: Corona Magazine #353
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Hexaquark d*(2380): ein neuer Kandidat für die Dunkle Materie

von Brandon Q. Morris

Eines der großen Rätsel unseres Universums besteht in der Frage, woraus Dunkle Materie besteht. Dass sie existiert, ergibt sich aus mehreren Hinweisen der Astronomen, u.a. was Eigenheiten der Rotation von Galaxien betrifft. Immerhin 63 Prozent des Materieanteils des Kosmos müssten demnach die Dunkle Materie ausmachen, von deren Natur die Physiker bisher keine Ahnung haben.

Klar ist nur, dass Dunkle Materie lediglich über die Gravitation mit normaler Materie wechselwirkt. In Frage kommen u.a. sogenannte WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles, schwach wechselwirkende massive Teilchen) die zur kalten dunklen Materie gehören. Allerdings kommen die Forscher auf der Suche nach ihnen nur langsam voran. Es gelingt ihnen bisher nur, mehr und mehr Kandidaten auszuschließen, was es allmählich unwahrscheinlicher macht, dass sie bereits auf der richtigen Spur sind.

In einem Beitrag im Journal of Physics stellen Forscher nun einen neuen Kandidaten vor. Es handelt sich um einen sogenannten Hexaquark: ein Teilchen, das aus sechs Quarks besteht, den Grundbausteinen vieler Elementarteilchen. Je drei Up- und Down-Quarks, ihre leichtesten Varianten, verbinden sich dabei zum d*(2380)-Hexaquark. Lange galten Hexaquarks als hypothetisch; 2014 wude in Jülich mit dem d*(2380) das erste entdeckt. d*(2380) hat 2380 MeV Masse und ist damit zwar schwerer, aber wegen seiner Zusammensetzung kompakter als ein Proton, der Kern des Wasserstoff-Atoms.

Warum würde es sich als Kandidat für die Dunkle Materie eignen? Hexaquarks sind Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin. Sie dürfen quantenphysikalisch alle denselben Zustand einnehmen. Gäbe es sehr viele von ihnen, könnten sie quasi einen See bilden, und wir würden außer ihrer gravitativen Wirkung nichts von ihnen bemerken. In ihrem Paper zeigen die Forscher, dass d*(2380) jedenfalls kurz nach dem Urknall in großen Mengen entstanden sein könnte. Sie schlagen auch Wege vor, wie man das experimentell beweisen könnte. Zerfälle von d*(2380) würden in der Erdatmosphäre zum Beispiel wie Wirkungen kosmischer Strahlung erscheinen. Allerdings besitzen sie keine Vorzugsrichtung, wodurch man sie unterscheiden könnte.

Der große Vorteil von d*(2380) wäre, dass man dann keine neuartige Physik bräuchte – die Mechanismen zur Entstehung von Hexaquarks lassen sich mit vorhandener Physik herleiten.

Welche Kandidaten gibt es noch? Dunkle Materie ist nicht zwangsläufig etwas, das wir noch nicht kennen. Sie muss nur eine Bedingung erfüllen: mit anderer Materie nur und exklusiv über die Anziehungskraft der Gravitation wechselzuwirken.

Das trifft zum Beispiel auf Schwarze Löcher zu. Auch Neutronensterne, fast erloschene Weiße Zwerge oder Braune Zwerge (Objekte zwischen Stern und Planet) könnten den Teil der Masse der Galaxien bilden, den die Astronomen vermissen. Man fasst sie unter dem Begriff MACHO (Massive Compact Halo Objects) zusammen.

Allerdings sprechen mehrere Argumente dagegen, dass diese MACHOs genügen, um die Dunkle Materie zu erklären. Messungen haben zum Beispiel ergeben, dass fünf Sechstel der normalen Materie auch anders als über die Gravitation wechselwirkt (was für Dunkle Materie nicht zutrifft).


© B. Q. Morris / Ein hypothetisches Hexaquark, das aus drei verschiedenen, je doppelt vorhandenen Quarks besteht. d*(2380) besteht nur aus zwei Quark-Flavors.

Demnach muss die Dunkle Materie aus bisher unbekannten Teilchen bestehen. Hier hat man eine Unterteilung der Kandidaten in kalte, warme und heiße Dunkle Materie vorgenommen. Dabei geht es nicht um eine messbare Temperatur, sondern um die Geschwindigkeit. »Kalte« Dunkle Materie konnte im frühen Universum keine langen Wege zurücklegen, »warme« Dunkle Materie war mittelschnell und »heiße« Dunkle Materie war schnell und energiereich. Im Standardmodell, das nicht umsonst »CDM« (cold dark matter) im Namen trägt, findet nur kalte Dunkle Materie Platz.

Was kommt als kalte Dunkle Materie in Frage? Zum einen haben wir da das Axion, ein hypothetisches Elementarteilchen. Seine Existenz würde ein Problem lösen, vor dem die Quantenchromodynamik steht – die Theorie, die die starke Wechselwirkung (von Quarks und Gluonen) beschreibt. Sie sagt nämlich voraus, dass das elektrisch neutrale Neutron ein messbares elektrisches Dipolmoment besitzen müsste – das heißt, dass die Ladung in ihm nicht ganz homogen verteilt ist. Allerdings ist kein Dipolmoment nachweisbar – nicht mal ein viel schwächeres als die Theorie behauptet.

Das Axion würde hier Abhilfe schaffen und das Fehlen erklären. Es müsste sich um ein sehr leichtes Teilchen handeln, bis zu zehn Milliarden Mal leichter als das Elektron, das schon selbst sehr leicht ist. Aber mit seiner schieren Zahl könnte es trotzdem den überwiegenden Teil der Masse des Universums ausmachen. Wenn ein Axion mit starken Magnetfeldern in Berührung kommt, könnte es sich in ein Photon umwandeln.

So etwas könnte in der Sonne passieren, deshalb versucht man, Axionen der Sonne anhand ihrer charakteristischen Strahlung im Röntgenbereich nachzuweisen. Bisher ist das noch nicht gelungen.

Der zweite Kandidat für die Dunkle Materie ist das komplette Gegenteil des Axion. Das »WIMP« (Weakly Interacting Massive Particle«) verhält sich ganz und gar nicht wie ein »Wimp« (englisch für Schwächling), sondern ist im Gegenteil sogar besonders schwer, schwerer noch als die meisten bekannten Elementarteilchen und etwa so schwer wie zwei Goldatome.

Trotzdem könnte es ganze Planeten ungestört durchfliegen – was seinen Nachweis kompliziert macht. Dafür bewegen sie sich bloß gemächlich voran – was es ihnen erleichtert, sich zu Haufen zusammenzuklumpen, wie es der Dunklen Materie eigen ist.

Da die WIMPs schwer sind, bräuchte man bei weitem nicht so viele davon wie von den Axionen. Die Theorie der Supersymmetrie hat solche Teilchen auch tatsächlich auf Lager, nur hat man bisher keins davon gefunden, und auch die Supersymmetrie selbst harrt noch ihrer Bestätigung.

Neutrinos galten lange Zeit als aussichtsreiche Kandidaten für die Dunkle Materie. Ihr riesiger Vorteil ist, dass man sie bereits kennt. Allerdings weiß man inzwischen zu viel über sie, als dass sie noch den Hauptanteil der Dunklen Materie ausmachen könnten: dafür sind sie leider zu leicht.

Es sei denn, das sogenannte sterile Neutrino existiert. Während normale Neutrinos für die schwache Wechselwirkung (eine der vier Grundkräfte) empfindlich sind, wäre das sterile Neutrino dafür unempfindlich. Es könnte relativ schwer sein und würde, wie das für Dunkle Materie erforderlich ist, nur über die Gravitation Kräfte austauschen. Forscher versuchen schon seit einiger Zeit, sterile Neutrinos zu entdecken, waren bisher aber nicht erfolgreich.

Über den Autor

Brandon Q. Morris ist Physiker und Science-Fiction-Autor. Unter hardsf.de schreibt er mehrmals wöchentlich über für SF-Leser interessante Wissenschaftsthemen aus Astrophysik und Kosmologie.

Wird Beteigeuze zur Supernova?

von Andreas Dannhauer

In einem der prominentesten Sternbilder des Nordhimmels tut sich derzeit etwas. Der linke Schulterstern des Orion, derzeit noch abends vor 22 Uhr am Südhimmel zu sehen, genannt Beteigeuze, hat im letzten halben Jahr stark an Helligkeit eingebüßt, und zwar etwa eine Größenklasse. Das heißt, er leuchtet nur noch halb so hell wie Anfang Oktober letzten Jahres, was man mit bloßem Auge erkennen kann. Ein solcher Helligkeitseinbruch wurde bei diesem Stern bisher noch nicht beobachtet. Also was ist dort los?

Bei Beteigeuze handelt es sich um einen sogenannten Roten Riesen, einen Stern, der viel größer als unsere Sonne (etwa 1000fach) ist, aber eine deutlich kühlere Oberfläche (3450K gegenüber 5778K) aufweist. Beteigeuze ist 20mal so massereich wie unsere Sonne und wird nach den derzeit gültigen Sternentwicklungsmodellen irgendwann einmal zur Supernova werden. Könnte es sich bei der derzeitigen Verdunklung des Sterns um einen Vorboten dieses Geschehens handeln? Wir wissen es nicht genau. Die letzte von Menschen beobachtete Supernova in unserer Galaxis fand im Jahr 1604 statt, und von keiner extragalaktischen Supernova liegen detaillierte Helligkeitskurven des Vorgängersterns vor, sodass wir einfach nicht wissen, wie sich eine Supernova ankündigt. Was könnte denn sonst noch eine solche Verdunklung auslösen?


© NASA / ESA / Beteigeuze

Der Heliumblitz

Blicken wir ins Innere des Sterns. In jedem Stern wird Energie durch Kernfusion (Wasserstoff zu Helium) erzeugt und zwar genau so viel, dass die nach außen dringende Strahlung die Gravitation gerade kompensiert, die versucht, den Stern zusammenzuziehen. Das Fusionsprodukt Helium reichert sich im Kern des Sterns an. Wenn nicht mehr genug Wasserstoff zur Verfügung steht, um den Kern zu stabilisieren, zieht er sich so lange zusammen, bis Druck und Temperatur so weit gestiegen sind, dass das Helium zu Kohlenstoff fusionieren kann. Dadurch wird die Energieproduktion stark erhöht, was die äußeren Schichten des Sterns auseinandertreibt. Der Stern wird deutlich heller, dehnt sich aus, und die Oberfläche wird kühler. Ist der Stern nur schwer genug, kann sich dieser Prozess fortsetzen. Im Zentrum der Heliumkugel sammelt sich Kohlenstoff an. Geht das Helium zur Neige, kollabiert das Zentrum und wird so heiß, dass Kohlenstoff zu Neon fusionieren kann, und so weiter. Der Stern baut Schalen von Elementen auf, die in Richtung Zentrum immer schwerer werden. Da die Fusion von Helium zu Kohlenstoff weniger Energie produziert als die von Wasserstoff zu Helium, muss sie schneller ablaufen, was dazu führen kann, dass die Wasserstoffschale nicht genügend Brennstoff nachliefert. Das Heliumbrennen erlischt. Ist wieder genügend Helium vorhanden und die Temperatur hoch genug, zündet das Helium in einem sogenannten Heliumblitz, der seinerseits die Wasserstofffusion in der darüber liegenden Schale stört. Da die Wasserstoffschale näher an der Oberfläche liegt, wird die Störung eher an der Oberfläche sichtbar als der Blitz selbst. Jener kündigt sich also durch eine Abschwächung der Helligkeit an. Diese Abschwächung würde ein paar Jahre oder Jahrzehnte dauern.

 

Alles nur Zufall

Alle Riesensterne zeigen periodische Helligkeitsschwankungen, oftmals mit verschieden langen Perioden. Bei Beteigeuze wurden drei Perioden identifiziert, mit Längen von etwa 200 Tagen, 400 Tagen und 6 Jahren. Die Periodenlängen schwanken allerdings recht stark, und die Helligkeitsschwankungen sind deshalb nicht genau vorherzusagen. Es könnten diese drei Perioden also gerade zusammenfallen, und die Verdunklung wäre dann nur ein Zufall.

Ein Schleier aus Gas

Eine dritte Möglichkeit, die eine plötzliche Verdunklung des Sterns erklären könnte, hängt mit seiner enormen Größe zusammen. Die äußersten Schichten des Sterns sind schon so weit vom Zentrum entfernt, dass sie gravitativ nur noch relativ schwach an ihn gebunden sind. Deshalb reicht schon ein kleiner Strahlungsausbruch, um größere Mengen an Gas hinaus ins Weltall zu blasen. Dieses Gas kühlt ab und hört damit auf zu leuchten. Wenn eine solche Gasansammlung nun, von der Erde aus gesehen, gerade vor dem Stern vorbeizieht, wird sie einen Teil des Lichtes absorbieren, der Stern leuchtet nicht mehr so hell. Die Gaswolkentheorie lässt sich überprüfen. Das Gas enthält auch immer einen Teil Staub, und dieser Staub streut blaues Licht besser als rotes Licht. Wenn also die Gaswolkentheorie stimmt, dann sollte die Helligkeit im blauen Teil des Lichtspektrums stärker abgefallen sein als im roten Teil, und genau das wurde beobachtet. Beteigeuze wird also gerade von einer selbst produzierten Gaswolke verdunkelt, und die Helligkeitsabnahme ist kein Vorbote einer Supernova.

Wann wird denn Beteigeuze aber nun wirklich zur Supernova?

Das ist schwer zu sagen. Ein Riesenstern ist konvektiv, das heißt, er wird ständig durchgerührt, was einen Teil der schweren Elemente, die im Inneren erbrütet wurden, an die Oberfläche gelangen lässt, so dass sie im Spektrum sichtbar werden. Je mehr davon zu sehen ist und je schwerer die Elemente sind, desto näher ist der Stern der Supernova. Astrophysiker schätzen deshalb, dass Beteigeuze noch 100.000 Jahre bleiben.

Was würden wir dann beobachten?

Wird Beteigeuze zur Supernova, dann würde er für einige Wochen so hell leuchten wie der Vollmond. Das wäre ein ordentliches Spektakel, aber vollkommen ungefährlich. Die Neutrinodetektoren würden haufenweise Neutrinos nachweisen und die Gravitationswellenobservatorien Gravitationswellen. Die Druckwelle kann sich mit etwa 10% der Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, würde unser Sonnensystem in ungefähr 6000 Jahren erreichen und wäre dann so stark verdünnt, dass wir davon nichts mehr merken würden.

Weiterführende Informationen:

http://www.youtube.com/watch?v=wuYxxDsO58U

Phantastisches Hören

Hör mal – die Audible-Kolumne

von Reinhard Prahl

SuFU oder UnFug?

Für Hörspielfans wie mich hat sich Audible in den letzten Jahren zu einem wahren Hörspielparadies entwickelt. Mit seinen Originals hat der Online-Riese einigen fantastischen Hörspielserien den Weg geebnet, und das bei einem fast unschlagbaren Preis/Leistungsverhältnis.


Allerdings ist es gar nicht immer so einfach, das Richtige zu finden. Das liegt weniger an einer zu geringen Auswahl als vielmehr an den rund 200000 Werken, die sich im Portfolio des Anbieters befinden. Da kommt einem Tool wie der Suchfunktion eine wichtige Bedeutung zu. Doch leider hakt es seit Jahren genau bei diesem Gimmick gewaltig. Viele Schlagworte erkennt die SuFu des Abo-Anbieters nämlich gar nicht erst. Gängige Genrebegriffe wie BritCrime sucht man beispielsweise vergeblich, während sich der Terminus Cosy Crime ohne Probleme finden lässt. Das heißt, wenn man sich nicht gerade verschrieben hat. Gibt man bei Google etwa CosyCrime oder sogar Cosi Krime ein, leitet die Suchmaschine automatisch direkt zum richtigen Schlagwort weiter. Die SuFu von Audible versagt hier kläglich. Dasselbe gilt für Namen. Wer Ivar Leon Menger in das Suchfeld eintippt, wird selbstverständlich sofort fündig. Ein kleiner Verschreiber jedoch, und die Antwortliste bleibt leer. Das ist wenig komfortabel. An dieser Stelle dürfte Audible also gerne noch einmal ein wenig nachbessern.

Die Welten des Ivar Leon Menger

Erwähnte ich übrigens gerade Ivar Leon Menger, den Mann, der Monster 1983 und Ghostbox erdacht und geschrieben hat? Wie bitte? Sie kennen weder Menger noch seine Hörspiele? Dann ist Ihnen als Genre- und Hörspielfan einiges entgangen. Der gebürtige Darmstädter wurde unlängst in der bekannten Facebookgruppe Hörspiel Fanatics etwas überschwänglich der »deutsche Hörspielpapst« genannt. Und auch, wenn ihm dieses hohe Lob möglicherweise etwas unangenehm sein dürfte, so ganz aus der Luft gegriffen ist diese Ehrenbekundung nicht.

Der zwischen 2015 und 2017 erschienene Dreiteiler Monster 1983 gehört mit seinen insgesamt 30 Stunden Laufzeit ohne Frage zu den besten Horror-Hörspielserien der letzten Jahre. Die Geschichte beginnt im Sommer 1983 in Oregon. Sheriff Thomas Cody (David Nathan) ist nach dem Tod seiner Frau gerade mit seinen beiden Kindern in ein kleines Küstenörtchen gezogen und nimmt motiviert seinen Dienst auf. Plötzlich überrollt eine mysteriöse Mordserie die Stadt, die in einer spannenden Retro-Horrorgeschichte mündet.

Ghostbox steht dem in Sachen Spannung und Qualität in nichts nach. Die Reihe ist bislang in zwei Teilen mit je rund zehn Stunden Laufzeit erschienen und ein Genre-Mix aus Science-Fiction, Mystery und Thriller. Der Plot dreht sich um die junge Journalismuspraktikantin Lena Gruenwald, die die Facebookseite einer großen Berliner Tageszeitung betreut. Statt sich mit dem Skandal rund um den Flughafen Berlin-Brandenburg zu befassen, dreht sie aber lieber Videos über das Leben nach dem Tod. Als ihr Bruder tot in Heidelberg aufgefunden wird, wird sie in Geschehnisse hineingezogen, die nicht nur ihre Geister der Vergangenheit zu neuem Leben erwecken, sondern ihr den Weg in eine erschreckende Welt der Unsterblichkeit weisen.


Hör-Blockbuster vom Feinsten

Ohne zu übertreiben, kann man bei beiden Serien von echten Hörspiel-Blockbustern sprechen. Hochkarätige Sprecher, bombastische Soundeffekte und fein abgestimmte, atmosphärische Musik gehören zum Markenzeichen des Autors und machen seine Werke zu einem wahren Hörgenuss. Die Tatsache, dass Menger üblicherweise auf einen Erzählerpart verzichtet, lässt zusammen mit den oben erwähnten Vorzügen Filme im Kopf entstehen, die visuell nicht besser umgesetzt sein könnten. Zudem gibt sich der 46-Jährige Raum zur kreativen Entfaltung. In 30 Stunden kann man eben viele große und kleine Geschichten erzählen, Figuren charakterisieren und Handlungsstränge vorantreiben. Ivar Leon Menger hat das ausführliche und dennoch spannende Erzählen zur Meisterschaft entwickelt und entführt seine Hörer immer wieder in wirre Geflechte aus Geheimnissen, Lügen, Verschwörungen und Abenteuer. Reinhören lohnt sich also.


© prahl / Menger

Auf der virtuellen Interview-Couch mit Ivar Leon Menger

Aber lassen wir Ivar am besten selbst zu Wort kommen. Obwohl er sehr beschäftigt ist, hat er sich dennoch die Zeit genommen, auf meiner virtuellen Interview-Couch Platz zu nehmen und ein wenig über sich und seine Arbeit zu erzählen.

Reinhard Prahl:

Hallo Ivar. Vielen Dank, dass du dir Zeit für unsere Leser nimmst. Wenn man sich deine bisherigen Werke genauer anschaut, stellt man fest, dass du offenbar ein großer Genre-Fan bist. Woher kommt diese Lust auf das Übersinnliche?

Menger:

Hallo Reinhard, danke für deine Fragen. Das liegt wahrscheinlich tief in meiner Kindheit verwurzelt. Ich hatte als kleiner Junge oft Angst vor Vampiren, Monstern und Untoten. Aber gleichzeitig eine starke Anziehung zur dunklen Seite. Ich bin Sternzeichen Skorpion. Als Zehnjähriger habe ich zum Beispiel auf unserem Dachboden eine begehbare Geisterbahn gebaut – mit nassen Schwämmen, die von der Decke baumelten, Spiegeln auf dem Boden, die den Eindruck eines tiefen Lochs erzeugen sollten, und überall Plastiktotenköpfe und Zombiemasken aufgestellt, die mir meine Eltern geschenkt haben, nachdem sie meine Leidenschaft für die fantastische Welt verstanden hatten. Und in meinem Tagebuch habe ich unter anderem geschrieben, dass ich Detektiv werden will, wenn ich groß bin, und nur eine Seite weiter abgetrennte Köpfe und Hände gemalt. Heute würde ein Kind deswegen wahrscheinlich zum Psychologen gesteckt werden.

RP:

Wovon lässt du dich bei deinen Geschichten inspirieren? Basieren deine Themen auf Artikeln in Zeitschriften, Filmen oder eher auf Büchern?

Menger:

Unbewusst lasse ich mich sicherlich aus Filmen und Serien inspirieren. Die alten Klassiker wie Der weiße Hai, Jurassic Park, aber auch neuere Serien wie The Sinner oder True Detective. Aber gerne auch aus den Nachrichten, TV-Dokumentationen und Verschwörungstheorien aus dem Netz. Ich sauge das alles auf. Und dann irgendwann küsst mich die Muse und gibt mir den richtigen Hinweis. Dann wird die Geschichte geplottet und geschrieben.

RP:

Wie ist es mit den Figuren? Hand auf's Herz: Hat sich deine Frau schon einmal in einem deiner Hörspiele wiedererkannt und dir anschließend einen bösen Blick zugeworfen?

Menger:

Nein, da meine Frau meine Hörspiele tatsächlich nicht hört. Sie schläft dabei immer ein. Meine Frau weiß also gar nicht, was ich schreibe. Aber tatsächlich gehe ich bei der ersten Figuren-Entwicklung erstmal von den Eigenheiten meiner Freunde und Bekannten aus, das entfernt sich dann aber ganz schnell von den Originalen, wenn die Geschichte Fahrt aufnimmt. Dann gibt es keine Ähnlichkeiten mehr.

RP:

Beim Hören deiner neuesten Serie Ghostbox fiel mir auf, dass du den wissenschaftlichen Hintergrund recht gut recherchiert hast. Wie viel Zeit verbringst du in der Regel mit der Hintergrundrecherche?

Menger:

Oh, das war bei Ghostbox in der Tat eine sehr intensive Recherche-Arbeit, da ich in den verschiedenen Bereichen Medizin, Biologie, Polizeiarbeit, Hirn- und Zukunftsforschung sowie Künstliche Intelligenz ja selbst erstmal verstehen musste, wie etwas funktioniert, um es dann verständlich und unterhaltsam zu vermitteln, ohne zu langweilen.

RP:

Erzähl uns ein wenig über deinen Studioalltag. Wie suchst du die passenden Stimmen für deine Hörspiele aus, und wie gestaltet sich dein Arbeitstag mit dem Hörspielstudio Sound of Snow?

 

Menger:

Bei manchen Figuren weiß ich schon beim Schreiben, wer die Rolle später spielen wird. Wie z.B. Gerrit Schmidt-Foß in Staffel 2 von Ghostbox. Oder David Nathan, Luise Helm und Ekki Belle für Monster 1983. Das Wichtigste beim Hörspiel ist die richtige Besetzung, das macht schon 80% des Hörspiels aus. Also die richtige Stimme, die sofort ein Bild im Kopf erzeugt. Ist sie eher dunkel und tief, also ein stämmiger Mann, oder fiepsig und hoch wie eine Schlange? Die wichtigste Regel: Bei jeder Stimme und Stimmlage müssen immer sofort Bilder entstehen, ansonsten wird der Hörer den Figuren nicht glauben und ihnen nicht folgen. Und die Unterscheidbarkeit der Stimmen ist ebenfalls wichtig, damit man die Figuren nicht immer mit Namen anreden muss, um zu erklären, wer gerade spricht.

RP:

Die Resonanz der Hörer von Ghostbox ist seit dem Release der ersten Staffel überwältigend. Der erste Teil glänzt mit einer 4,5-Sternebewertung bei derzeit 4824 Bewertungen. Warst du von diesem Erfolg überrascht?

Menger:

Ja, total. Denn Ghostbox ist ja schon etwas ganz anderes als Monster 1983. Es spielt in der heutigen Zeit – und das auch noch bei uns in Deutschland. Also alles sehr realistisch, da ist beim Hören weniger Platz für bunte Popcorn-Fantasie, denn bei Stichworten wie Berlin oder Heidelberg gehen ja sofort gespeicherte Bilder im Kopf an, die man aus dem Fernsehen kennt. Und die sehen nun mal anders aus als bei Steven-Spielberg-Filmen. Deshalb hat es mich sehr gefreut, dass Ghostbox trotzdem so gut bei den Hörer/innen ankommt.

RP:

Bewertungssyteme sind auf Plattformen wie Audible das Salz in der Suppe für den Hörer. Fair sind sie deshalb aber nicht immer unbedingt. Wie siehst du das?

Menger:

Einen Tag nach der Veröffentlichung warte ich natürlich mega gespannt auf die ersten Rezensionen, denn die zeigen zumindest eine Richtung, ob wir alles richtig gemacht haben und wir die Hörer/innen gut unterhalten konnten. Aber aus der Erfahrung kommen natürlich auch irgendwann negative Kritiken, verständlicherweise – denn niemandem kann alles gefallen, aber die schlechten dann zu lesen, zieht einen ganz schön runter. Ich habe ja schließlich ein Jahr mit viel Leidenschaft dafür gearbeitet. Deshalb werde ich zur Sicherheit ab diesem Jahr die Rezensionen nach drei Wochen nicht mehr lesen, ich muss ja weiterhin mit viel Freude an der dritten Staffel arbeiten.

RP:

Wo siehst du persönlich die größten Vor-, aber auch Nachteile in deiner Zusammenarbeit mit Audible?

Menger:

Audible ist für mich der perfekte Auftraggeber, denn sie lassen mir alle kreativen Freiheiten, um meine Geschichten zu entwickeln. Sie vertrauen mir zu 100 Prozent. Dafür bin ich sehr dankbar.

RP:

Letzte Frage für die Sammler unter uns. Was denkst du? Wird es Ghostbox irgendwann auf CD schaffen?

Menger:

Ich denke nicht. Denn das CD-Geschäft ist einfach nicht mehr so lukrativ für die Labels wie vor ein paar Jahren. Das ist natürlich sehr schade für uns Sammler, das kann ich total verstehen. Aber ich persönlich habe leider auch keinen Einfluss darauf. Das war auch der Grund, warum ich auf meiner Webseite einen Fanshop mit T-Shirts, Caps und Hoodies eröffnet habe, um den Hörer/innen so zumindest die Möglichkeit geben, ihre Hörspiel-Leidenschaft zu zeigen. Denn ich bin ebenfalls von Natur aus Sammler – auch wenn ich meine riesige CD- und DVD-Sammlung vor Jahren auf ebay verkauft habe (wir sind in fünf Jahren fünfmal umgezogen, das nervt). Tut mir leid, dass ich da keine schöneren Nachrichten habe. Aber wer weiß, vielleicht meldet sich irgendwann ein Label bei Audible, um die CD-Rechte zu kaufen. Also Daumen drücken!

RP:

Vielen Dank für das spannende Gespräch, lieber Ivar.

Menger:

Sehr, sehr gerne.

Weiter Informationen über Ghostbox gibt es hier:

https://ghostbox.de/