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Corona Magazine #353: April 2020

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Aus der Reihe: Corona Magazine #353
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»Ich hatte früher ein blaues Poster.«: Im Gespräch mit Hermann Ritter

Hermann Ritter, geboren 1965 in Darmstadt, ist seit drei Jahrzehnten in der Science-Fiction-Fanszene aktiv und dabei vor allem der PERRY RHODAN-Serie verbunden geblieben. Er veröffentlichte Artikel und Kurzgeschichten zu allen Bereichen der Fantasy und Science-Fiction, schrieb auch eine Reihe von Romanen und ein Sachbuch über Naturspiritualität. 15 Jahre lang stellte er alle vier Wochen die Clubnachrichten zusammen, eine Heftbeilage der PERRY RHODAN-Erstauflage. Nach Romanen für PERRY RHODAN-Action und die Tochterserie NEO schreibt der beruflich in der Sozialarbeit tätige Autor für die aktuelle Miniserie PERRY RHODAN MISSION SOL.

Das Gespräch mit der Redaktion des Corona Magazine führte Alexandra Trinley.

AT:

Hermann, meine erste Frage gilt dem Corona Magazine selbst. Seit wann bist du mit seinem Werdegang verbunden?

HR:

Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Irgendwie war ich »immer« für Fanzines tätig – seit 1982 oder so. Und mein Schwerpunkt ist nie richtig festgelegt, ich liefere halt, wenn ich Bock habe und veröffentlichen darf, wer zuerst kommt.

AT:

Was sind die Eckpunkte deiner Beschäftigung mit der Phantastik?

HR:

Ich lese. Ich schreibe. Oder andersherum: Ich bin kein Freund von Lesungen (ich selbst habe in meinem Leben 3 x aus meinen Werken gelesen und nicht eine Lesung von Autoren der Phantastik ganz überstanden), aber ich habe mit Kim Newman und George Effinger mal einen Abend in Leipzig getrunken, weil wir keine Lust auf das Programm hatten … Phantastik ist so das Rückgrat meiner ideellen Existenz.

AT:

Könnte man sagen, du magst die Art von Leuten, die Phantastik machen?

HR:

Richtig. Aber: Es gibt gute Autoren, die keine netten Unterhalter sind, und es gibt nette Unterhalter, die keine guten Autoren sind.


AT:

In der Edition Roter Drache erschien vor drei Jahren dein Buch »Drei Dekaden. SciFi & Heidentum«. Ich habe da nun seit einiger Zeit immer wieder drin herumgelesen, es enthält ja verschiedene Komponenten. Was ist der rote Faden?

HR:

Das Vergehen der Zeit. Sonst gibt es keinen, ehrlich. Ich habe einfach alles zusammengeworfen, was mir in den drei Jahrzehnten in genannten Bereichen wichtig war (und einen Wiederabdruck lohnte).

AT:

Ist der Verzicht auf ein von dir selbst ausformuliertes Ergebnis, das der Leser am Schluss davontragen kann in dem stolzen Gefühl, das Dargestellte jetzt intus zu haben – »denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen«, wie der Schüler in Goethes Faust sagt –, für dich ein Merkmal des Heidentums?

HR:

Äh, nein. Eher ein Merkmal des Ritterschen Nexialismus, vgl. hierzu den Perrypedia-Eintrag zu »Nexialist« (https://www.perrypedia.de/wiki/Nexialist). Ich interessiere mich für viele Dinge, drehe Steine am Wegesrand um und gucke, ob Salamander darunter sitzen. Über die Dinge, die ich sehe oder wahrnehme berichte ich seit 20 Jahren wöchentlich auf homomagi.de – ein Blog, bevor es den Begriff gab.

AT:

Viel Platz nimmt deine Beschäftigung mit der nordischen Mythologie ein. Als Sozialarbeiter ist dir sicher vertraut, in welch hohem Maße sie von rechtsextrem-völkischen Gruppierungen vereinnahmt wurden. Was ist der Unterschied zwischen deren Zugang und deinem Zugang?

HR:

Mir ist das völlig klar, deswegen habe ich genau über dieses Thema mehrfach geschrieben und gesprochen. Ein Rittersches Bonmot ist: »Lagerfeuer, Lieder zur Gitarre und Fahnen sind Teil unseres Erbes – und ich denke nicht daran, sie den Nazis zu überlassen!« Realistisch waren die politisch wichtigen Nazis im III. Reich Christen, darunter war kein praktizierender Heide.

Ich bin mit einem »germanischen Mythenmix« groß geworden. Meine Oma lauschte ernsthaft nach der Wilden Jagd, mein Geburtsort liegt im Odenwald, aufgewachsen bin ich unter dem Frankenstein, nicht weit vom Rodenstein, der Siegfriedquelle und anderen Orten des Nibelungenliedes. Ich habe nur lange gebraucht, um das »wiederzufinden« in mir. Und abschließend: ich würde nicht nordisch sagen, eher germanisch. Wortklauberei, aber wichtig.

AT:

Spätestens wenn man sich mit der Epoche der Völkerwanderung beschäftigt hat, kann man das Germanische nicht völkisch sehen. Hast du den alten Schinken von Felix Dahn noch gelesen?

HR:

Nein. Glück gehabt …

AT:

Ich nenne dir Stichworte aus deinem Buch und du erklärst sie in wenigen Worten. Gustav Meyrink.

HR:

Er war hüben und drüben ein lebendiger Mensch.

AT:

Zaubern ohne Gott.

HR:

Sex ohne Partner.

AT:

Hexenrituale.

HR:

Viel zu oft Frauen in erdfarbenen Kleidern, die gegen den Imperialismus kämpfen wollen.

AT:

Asatru.

HR:

Schlechter Begriff für germanisches Heidentum, aber weit verbreitet.

AT:

Gygax.

HR:

Sicherlich einer von den 20 Menschen, die mein Leben am meisten beeinflusst haben.

AT:

UFOs.

HR:

Projektionen unserer Hoffnung durch Rettung aus dem All.

AT:

Tibet.

HR:

Sicherlich nicht der letzte Rückzugsort der Arier.

AT:

Das »Heidnische Jahrbuch«.

HR:

Eingestelltes Werk, mit dem ich viel Spaß hatte.

AT:

Das könnten wir jetzt eine Weile so weitermachen. Dein Buch enthält ja ziemlich viele Begriffe. Es ist schon irre, wie viel Zeugs sich ansammeln kann auf 366 Seiten. Sprechen wir über etwas Übersichtlicheres: PERRY RHODAN.

HR:

Gerne. Wobei ich das »übersichtlich« bei PERRY RHODAN eher anders sehe als du …

AT:

Es war ironisch gemeint. Du hast lange Zeit die »Clubnachrichten« gemacht. Welche Funktion hatte diese Heftbeilage?

HR:

Kommunikation der Fans, Verknüpfung, Kennenlernen, soziales Leben … alles schöne Dinge.

AT:

Du hast zwei STELLARIS-Geschichten geschrieben, Nr. 5 in PR 2438 und Nr. 71 in PR 3038. Hat sich der Stil dieser kleinen Geschichten um den terranischen Zivilfrachter in diesen elf Jahren verändert?

HR:

Ja, sie sind professioneller geworden.

AT:

Für PERRY RHODAN NEO hast du vier Romane geschrieben, der letzte war Band 56. Dann nichts mehr. Warum?

HR:

Ich war mit der Richtung, in die die Serie ging, nicht mehr konform – da muss man dann konsequent sagen, dass man da nicht weiterschreiben will. Aber ich habe zwei Kurzgeschichten dazu geliefert …

AT:

Dann kam 2019 der Band 6 der Miniserie MISSION SOL. Die bezieht sich auf die Erstauflage. War das schwerer als NEO oder anders?

HR:

Ja und nein. NEO war jung und neu, die SOL hingegen ist ein Standard im Perryversum.

AT:

Aktuell läuft die Fortsetzung, PERRY RHODAN MISSION SOL 2. Du schreibst wieder etwas?

HR:

Ja, ich bin in 2 Wochen mit meinem Band am Kiosk – cooles Cover, bin neugierig auf die Reaktionen.

AT:

Warum übt die SOL eine derartige Faszination aus?

HR:

Ich hatte die früher als blaues Poster aus einem PRM (Perry Rhodan Magazin, Anm. d. Red.)) über dem Bett hängen. Noch Fragen?

AT:

Ich glaube, das hatte ich auch. Die Schriftstellerei ist nicht dein Brotberuf. Planst du trotzdem weitere eigene Werke?

HR:

Ja. Tue ich ja seit Jahrzehnten … und veröffentliche sie auch. Im Moment hat mir der »Virus des Todes« ein paar »Auftritte« genommen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

AT:

Vervollständige den Satz: Menschen, die nicht träumen …

HR:

… haben verloren.

AT:

Danke für das Gespräch.


© Pabel-Moewig

Hermann Ritters Homepage

http://www.hermannritter.de/index.php?title=Hauptseite

Mehr zu PERRY RHODAN MISSION SOL 4

https://perry-rhodan.net/shop/item/9999900005332/mission-sol-2020-4-im-spharenlabyrinth-von-hermann-ritter-heft

Comic-Kolumne: Replikanten, Ritter und Kondome

von Uwe Anton

 


Genau das hat uns gefehlt! In diesen einsamen Zeiten der Krise muss man zusammenhalten und sich auf die Dinge besinnen, die wirklich wichtig sind. Für den Splitter-Verlag sind das an erster Stelle Comics. Danach kommt für längere Zeit nichts.

Aber pünktlich zum 1. April präsentierte der Verlag voller Stolz das Produkt zahlloser Sitzungen der letzten Woche: Die Splitter-Toilettenpapierkollektion Frühjahr 2020 Fripa Corona!

Das Splitter-Toilettenpapier vereint folgende Eigenschaften zu einem sanitären Erlebnis der Extraklasse: dreilagiges Komfortpapier in echter Splitter-Qualität; matt lackierte, kratzfeste Oberfläche, die jeder Beanspruchung standhält; absolut abriebfreier Vierfarbdruck; beidseitig bedruckt für doppeltes Vergnügen; mit Motiven aus fünf beliebten Comic-Reihen (Die Schiffbrüchigen von Yk*ck, Klonan der Cimmerier, Black Slammer, Eklo – Keramikwelt, Die alten K*cker) zum Sammeln und Tauschen; optionale Lieferung im Einschweißfolien-Schuber (für Sammler!). Und es besteht zu 100% aus Recyclingpapier, das aus Feuilleton-Verrissen von Comicalben gewonnen wird!


»Aufgrund der hohen Nachfrage nach derartigen Artikeln«, so der Verlag, »kann eine Lieferung über den 1. April 2020 hinaus leider nicht garantiert werden. Greifen Sie zu, solange der Vorrat reicht! Und sollten Sie mit der Leistung unseres 1A-Top-Produktes nicht zufrieden sein, greift selbstverständlich die übliche Splitter-Umtauschgarantie: Sie senden uns unbürokratisch ein Bild des ›Problemfalls‹ – wir senden umgehend Ersatz!«

Endlich einmal ein Comic-Produkt, das zur derzeitigen Krisenbewältigung beiträgt!

Krisenbewältigung einer ganz anderen Art muss Aahna Ashina betreiben, kurz Ash. Sie ist ein Blade Runner, einer jener KopfgeldjägerInnen, die legal jene Replikanten töten dürfen, die man nicht von Menschen unterscheiden kann und die sich illegal auf der Erde aufhalten. Allerdings hat Ash genug eigene Probleme: Zum einen haben die Blade Runner so gute Arbeit geleistet, dass geeignete Todeskandidaten mittlerweile extrem knapp werden, zum anderen kann sie ihrer Arbeit nur mit Hilfe eines Rückenimplantats nachgehen, hat also – ein guter Schachzug der Verfasser – den Anfangs des Wegs zur künstlichen Existenz bereits beschritten. Um die enormen Kosten zu decken, bestreitet sie ihren Lebensunterhalt auch mit dem Verkauf gewisser Replikantenorgane.

Benny, der Replikant, den sie am Anfang der Geschichte gestellt hat, macht ihr jedoch einen Strich durch die Rechnung, indem er sich die Augen aussticht, mit denen sie ausgesorgt gehabt hätte. Ash sieht sich gezwungen, einen Auftrag anzunehmen, der eigentlich nicht ganz in ihr Metier fällt. Sie soll für den (einfluss)reichen Selwyn dessen Frau Isabel samt Tochter Cleo finden, die nach dem Besuch einer Geburtstagsfeier der kleinen Lydia Tyrell verschwunden sind. (Bei diesem Namen klingeln natürlich die Glocken.) Jeder Vater sieht sein Kind als etwas Besonderes an, aber Selwyn erklärt schon ganz am Anfang: »Aber meine Tochter ist wirklich außergewöhnlich. Auf eine Art, die nur Wenige begreifen.«

Recht hat er mit seinem geheimen Wissen.

Ash beginnt ihre Ermittlungen nicht dort, wo die offiziellen Stellen aktiv werden würden, sondern in der Gosse, in der sie sich bestens auskennt. Es ist schon beeindruckend, wie gut der spanische Zeichner Andrés Guinaldo die Straßen der Welt der Blade Runner in Szene setzt. Da fühlt man sich Seite für Seite in den Film versetzt. Der Dauerregen, die Reklametafeln, die Massenszenen – hier hat jemand das Original verinnerlicht. Kein Wunder: Texter Michael Green muss es sehr gut kennen, ist er doch gemeinsam mit Veteran Hampton Fancher Verfasser des Drehbuchs der Film-Fortsetzung Blade Runner 2049.

Michael Green und Co-Autor Mike Johnson haben gut daran getan, die Rolle ihrer Hauptperson mit einer Frau zu besetzen. Jeder männliche Blade Runner wäre unweigerlich mit dem Original verglichen worden, mit Harrison Ford. Doch nicht dessen Geschichte soll hier wiederholt, sondern vielmehr eine neue erzählt werden, wenn auch in einem gewissen vertrauten Rahmen. Green und Johnson wollen den Spinner nicht neu erfinden, bewegen sich durchaus auf eingefahrenen Gleisen, nutzen das Instrumentarium, das die Welt von Blade Runner ihnen bietet, stellen nicht die ganz großen Fragen, lassen Rick Deckard und Roy Batty keine endlosen Monologe über die Schulter des Orion und das führen, was einen Menschen ausmacht, zweifeln das Replikantentum nicht an. Doch einige Überraschungen halten sie auch parat. Selwyns Frau entpuppt sich als hochwertiger Replikant, und das Genom seiner Tochter ist der Schlüssel zur Langlebigkeit von Replikanten. Kein Wunder, dass sie von allen gejagt wird, die von ihrer Existenz wissen. Zum Showdown trifft man sich an einem Strand in Mexiko, wo zahlreiche Replikanten eine Kolonie gebildet haben und friedlich zusammenleben, eine weitere Überraschung der Erzählung …

Die deutsche Albenausgabe im US-Heftformat umfasst die ersten vier Hefte der Serie und präsentiert umfangreiches Zusatzmaterial, von einer Cover-Galerie bis hin zu einem Interview mit dem Zeichner. Sie ist eine sorgfältige Übernahme der amerikanischen Ausgabe und beweist, dass auch nach zwei Filmen längst noch nicht alle Geschichten aus der Welt von Blade Runner erzählt sind. Der Band macht Lust auf mehr, und dieser Wunsch wird erfüllt: Bislang sind insgesamt drei Vierteiler der Serie angekündigt, die in kurzem Abstand nacheinander erscheinen werden. Der zweite steht bereits kurz vor dem Abschluss.

Grant Morrison hat es noch drauf. Gemeinsam mit dem Zeichner Liam Sharp hat er sich die DC-Ikone Green Lantern vorgenommen und sie … nein, weniger zu den Ursprüngen zurückgeführt als gewaltig umgekrempelt. Die Ursprünge lagen dem Namen nach zwar im Weltraum, auf dem Planeten Oa, der Heimat der Wächter, die ihm den Energiering verliehen, von dem er seine Superkraft bekommt. Doch dieser Streiter aus der zweiten Garde des DC-Universums – die erste bilden natürlich Superman, Batman und Wonder Woman – war nur in zweiter Linie ein »kosmischer« Held, erlebte seine wichtigsten und bedeutendsten Abenteuer immer auf der Erde, wie zum Beispiel die klassischen Hefte von Denny O'Neil und Neal Adams aufzeigen, die zum Besten gehören, was jemals beim amerikanischen Verlag DC erschienen ist. Sie packten grundlegende Themen wie Drogensucht, Umweltzerstörung und Überbevölkerung an, auch wenn Hal Jordan in seiner Identität als Green Lantern gemeinsam mit seinem mittlerweile aus dem TV bekannten Kumpel Green Arrow gelegentlich in die Fernen des Alls hinauszog. Green Lantern (das hört sich besser an als die früheren deutschen Bezeichnungen »Grüne Leuchte« oder »Grüne Laterne«) war stets ein Superheld, kein Science Fiction-Akteur, und trat zumeist in mal mehr, mal weniger phantasievollen Abenteuern gegen die bekannte Riege der Superschurken an.

Die spielen zwar auch jetzt noch eine Rolle, doch das alte Konzept hat Grant Morrison eigentlich über den Haufen geworfen. Der erste Band zeigt Green Lanterns Kollegen aus dem Korps der Wächter von Oa schon auf der ersten Seite in einer kosmischen Auseinandersetzung. (Hal Jordan ist für den Sektor 2814 aktiv, in dem die Erde liegt, aber der Kosmos ist ja groß, und es gibt eine ganze Menge dieser Sektoren und damit Streiter für die Gerechtigkeit.) Hal Jordan hampelt derweil noch auf der Erde herum, entdeckt einen getarnten Außerirdischen und wird von den Wächtern alarmiert. Natürlich hängen diese Fälle zusammen, und Hal Jordan tritt seine Rolle als »Kosmo-Sheriff« an.

Und zieht sie bei Grant Morrison konsequent durch.

Jordan kommt einer intergalaktischen Verschwörung auf die Spur, deren Fäden ein Verräter aus dem Korps zieht. Als Superheld tritt er natürlich für Gesetz und Ordnung ein, aber Hal Jordan tut dies nun konsequent auf fernen Welten. Er bekommt es mit intelligenten Spinnenwesen zu tun. (»Ihr findet Menschen abstoßend. Dieser widerwärtige Eindruck amputierter Gliedmaßen, diese furchtbaren geleeartigen Augen in den Knochenhöhlen …«) Die Erde wird entführt und versteigert (!). Hal scheint die Seiten zu wechseln, als die altbekannten Blackstars ihm ein unwiderstehlich anmutendes Angebot machen. Er muss gegen seinen alten Freund Adam Strange antreten, ebenfalls eine Art SF-Superheld vom Planeten Rann, und es verschlägt ihn sogar in eine phantastische Welt innerhalb seines Energierings. Nur allmählich zeichnen sich die Hintergründe ab: die Blackstars haben eine ultimative Vernichtungsmaschine geschaffen, eine Antimaterie-Lantern! Der Vorstoß ins Antimaterieuniversum setzt dem (im zweiten Band) dann die Krone auf: Die Wirklichkeit wird verzerrt und löst sich auf, und Hal Jordan findet sich in einer Welt wieder, die direkt dem Albtraum eines Philip K. Dick entsprungen sein könnte …

Morrison nutzt den gesamten Fundus der bisherigen Green Lantern-Geschichten, greift tief in die Klamottenkiste und zieht Charaktere hervor, die der gelegentliche Leser schon längst vergessen hat, wenn er sie überhaupt je gekannt hat. Er hämmert daraus eine so phantasievolle, clevere Story zusammen, dass man den Hut ziehen muss. Er ist ein äußerst belesener Autor, der zahlreiche Anspielungen in seinen Text einbaut, etwa ein Hospitalschiff, das er nach den Erzählungen und Romanen des englischen SF-Autors James White Sector General nennt, oder eine Green Lantern, die vor einem modernen abstrakten Gemälde steht und fragt: »Ist das Bild von Neal Adams?« Die Geschichte ist wahrlich kein leichter Tobak; sie ist hoch über den bisherigen Green Lantern- und den gängigen Superhelden-Stories angesiedelt und fordert dem Leser einiges ab. Man muss bereit sein, sich auf Morrisons wuchernden Einfallsreichtum einzulassen und ihm konzentriert zu folgen, will man den größten Genuss aus den Bänden ziehen – oder sie in ihrer Gesamtheit überhaupt nur verstehen.

Liam Sharps Zeichnungen sind kongenial. Mit unglaublich sicherem Strich setzt er die Abenteuer in Szene und trägt das Seine dazu bei, Morrisons mitunter bizarre Einfälle grafisch zu erfassen. Auch er erweist den großen Vorbildern Respekt, wenn manche Einzelbilder aussehen, vor allem Darstellungen von Hal Jordans Gesicht, als hätte oben erwähnter Neal Adams sie gezeichnet. Das soll nicht heißen, dass er ein Adams-Klon ist, ganz im Gegenteil. Er bliebt eigenständig, konzentriert sich auf seine Stärken, präsentiert unglaublich beeindruckende Seiten mit einer phantasievollen Panelaufteilung und Aliens, wie man sie noch nie im amerikanischen Comic gesehen hat. Besondere Erwähnung sollte auch der Kolorist Steve Oliff finden, der gemeinsam mit Sharp vor allem den Welten innerhalb des Energierings durch die Farbgebung eine beeindruckende Identität verleiht.

Unbedingt mal ansehen!

Liam Sharp ist übrigens ein wesentlich besserer Zeichner als Autor, wie der Band Batman und Wonder Woman: Der Ritter und die Prinzessin beweist, den Sharp selbst schrieb. Der 1968 in Derby geborene Brite, der am Anfang seiner Karriere ein Jahr lang als Assistent von Don Lawrence wirkte und an Storm mitwirkte, arbeitete danach für das britische Comic-Magazin 2000 AD, bevor er auf dem amerikanischen Markt zuerst für Marvel, dann auch für DC und kleinere Verlage tätig wurde.

Batman und Wonder Woman: Der Ritter und die Prinzessin trägt im Original den Titel Brave and the Bold: Batman and Wonder Woman, und das aus gutem Grund. Brave and the Bold (frei mit »Die Mutigen und die Kühnen« zu übersetzen) war eine amerikanische Comic-Reihe, die 1955 gestartet (und 1983 eingestellt) wurde. Zuerst wurden darin neue Helden und Konzepte getestet, dann wurde sie zum »Team-up« umgewandelt, in dem immer zwei Helden gemeinsam agierten. Schließlich wurde Batman der Dauerheld, der immer mit einem jeweils anderen Kollegen im Team gegen böse Superschurken vorging.

Sharp greift dieses Konzept auf und stellt in der abgeschlossenen sechsbändigen Miniserie die Amazone Wonder Woman an Batmans Seite. Heimatverbunden widmet er sich einem Konzept, das seiner näheren Umgebung entstammt. Dem irischen Feenvolk der sogenannten Anderswelt droht ein Krieg, und die Feen bitten Wonder Woman um Hilfe. Da sich im Feenreich ein Mord ereignet hat, braucht unsere Heldin einen Detektiv, um diesen aufzuklären. So kommt Batman ins Spiel, der seinerseits gerade im Irish Quarter, also im irischen Viertel von Gotham, einer kleinen Schweinerei auf der Spur ist. Das ist natürlich kein Zufall, und das Team Batman und Wonder Woman legt los …

 

Die Zeichnungen sind zwar geradezu opulent, und zahlreiche ganzseitige Illustrationen laden zum optischen Schwelgen ein, doch die Story funktioniert von vorn bis hinten nicht. Schon der Übergang ins Feenreich Tir Na Nog vollzieht sich zäh und schleppend, und danach wirken Wonder Woman und vor allem Batman wie Fremdkörper in einer Geschichte, die besser ohne sie erzählt worden wäre. Zuckersüße Fantasy-Romantik kämpft bei aller Brutalität der Geschichte unterschwellig gegen die dunklen Gassen von Gotham an, und beide finden niemals zueinander. Wonder Woman ist in dieser Welt zwar ein wenig besser aufgehoben, muss sich aber auch der Erwartungshaltung unterwerfen und taumelt, weder Fisch noch Fleisch, verloren durch die Handlung. Man könnte den Eindruck haben, dass Sharp entweder die Sagenwelt seiner Heimat einem größeren Publikum näherbringen wollte und sich dafür der Krücken Batman und Wonder Woman bedienen musste, weil er sonst keinen Abnehmer für sein Werk gefunden hätte, oder verzweifelt nach irgendeinem Thema gesucht hat, mit dem er diese beiden Superhelden gemeinsam agieren lassen konnte. Wie dem auch sei, es ächzt und krächzt an allen Enden, und Batman schaut so oft verdrossen drein, dass man meinen könnte, ihm sei klar, dass er in diesem Reich der keltischen Elfen, Kobolde und Götter nicht das Geringste verloren hat.

Comics stellen eine Synthese aus Wort und Bild dar, und die Bilder vermögen hier vollauf zu überzeugen, doch die Worte können das nicht einmal annähernd.

»Mythische Fantasy trifft auf Superhelden-Krimi«: Dieses Konzept ist gescheitert, zwar glorreich, aber trotzdem.

Ein »Money Shot« bezeichnet »eine kostspielige und/oder besonders spektakuläre, kommerziellen Erfolg versprechende Aufnahme bei Film- und Fernsehproduktionen sowie im Fotojournalismus«, erklärt die Wikipedia den Begriff. Und verschweigt nicht, dass bei (heterosexuellen) Pornofilmen damit jene Einstellung gemeint ist, in der der männliche Darsteller als Höhepunkt einer Szene sein Sperma auf die Partnerin spritzt, mit Vorliebe auf ihr Gesicht. Wenn man das Cover des ersten Sammelbandes der gleichnamigen Comic-Serie des Verlags Vault betrachtet, auf dem fünf mehr oder weniger leicht bekleidete Personen eine große Gurke, die keine Gurke ist, und einige Kondome aus dem Bullauge eines Raumschiffs werfen, kann man sich mühelos denken, auf welche Bedeutung des Begriffs der Titel abzielt.

Nein, wir begeben uns hier nicht in die tiefsten Niederungen der liederlichen Lüsternheit. Money Shot ist schließlich eine amerikanische Serie der Autoren Tim Seeley und Sarah Beattie, die auch als Schauspielerin bekannt ist, und die Amerikaner sind ja reinen Herzens (wenn sie nicht gerade Pornofilme produzieren). Die Ausgangslage der von Rebekah Isaacs zeichnerisch in Szene gesetzten Serie ist mehr als nur hinlänglich geläufig. 2027 nehmen Aliens mit der Erde Kontakt auf, wenden sich aber, so wird zumindest impliziert, voller Grausen wieder ab, als sie sehen, mit wem sie es da zu tun bekommen haben. Aber sie lassen der Menschheit zumindest etwas Technologie zurück.

Ein paar Jahre später kommt die geschäftstüchtige Christina Ocampo auf die Idee, ein wenig Geld zu machen. Pornos verkaufen sich eigentlich immer, aber Pornos mit Außerirdischen … das müsste doch der Hammer sein! Zuerst ziert sich ihr Team aus zwei Männlein und zwei Weiblein noch ein wenig, aber dann lässt es sich überreden, Ocampo in einem Raumschiff ins All zu begleiten, dorthin, wo noch kein Mensch gewesen ist und wo es vor allem noch kein Mensch getrieben hat. Ob es nun blaue Fischmenschen sind, die Ocampo ordentlich einheizen, der einzige lebende Meister der Podna Megra-Technik, dessen Testikel so gewaltig sind, dass er sie sich auf den Rücken werfen muss, um sich bewegen zu können, oder gar sexy blaue Tentakelwesen, deren Großvater der Gott Cthulhu sein könnte, Christina und ihr Team machen sich mit zunehmender Begeisterung ans Werk. Nur um festzustellen, dass so ein intimer Kontakt mit Aliens noch viel komplizierter ist als ein Kontakt an sich – und dass Sex überhaupt auch sehr kompliziert ist, vor allem, wenn man die zwischenmenschliche Komponente berücksichtigt und sich nicht nur mit den willigen Außerirdischen, sondern auch innerhalb des Teams in dieser Hinsicht so einiges tut, das nicht unbedingt eingeplant war …

Die Autoren (immerhin kann eine Frau ihrem sicher rein triebgesteuerten Chauvi-Kollegen ein wenig entgegenwirken und der Sache eine gewisse Tiefe verleihen, auch wenn es nun wirklich nicht auf die Größe ankommt) und die Zeichnerin (nicht auszudenken, wenn ein Mann diese kruden Wunschvorstellungen grafisch umgesetzt hätte) handhaben diese Beziehungskisten mit leichtem Strich und leichter Feder, wahren die nötige ironische Distanz und erzählen ganz nebenbei eine Geschichte, die auch noch funktioniert. Nicht nur bei den amourösen Begegnungen mit Außerirdischen, auch bei den Ideen, dem Spannungsaufbau und den Lösungsvorschlägen. Anders kann man so eine Geschichte auch nicht erzählen, wenn man nicht direkt einen mitreißenden Pornocomic publizieren möchte. Für europäische Verhältnisse ist Money Shot zwar immer noch originell, aber eher zurückhaltend, also nicht sehr gewagt. Bei den prüden (wenn sie nicht gerade Pornofilme produzieren) Amerikanern mag das schon ganz anders aussehen. Da könnte so eine Serie schon für einiges Aufsehen sorgen. Sollte das amerikanische Comic-Book etwa erwachsen werden?

Noch ein Band, der Lust auf mehr macht. Und wenn wir auf der letzten Seite den blonden Prachtamerikaner sehen, der die niedlichen rot- und grünhäutigen Alienmädels in ihren US-Flagge-Bikinihöschen der Marke »Arsch frisst Hose« abschleppt und grinsend »Two is always better than one!« verkündet, können wir vielleicht darauf hoffen, dass diese Lust bald erfüllt wird.

Mit einem weiteren Money Shot, wenn auch nicht mitten aufs Gesicht.

Michael Green, Mike Johnson, Andrés Guinaldo

Blade Runner 2019 Band 1

Panini, Stuttgart 2020, unpaginiert, 15.00 €

Grant Morrison, Liam Sharp

Green Lantern Band 1, Band 2

Panini, Stuttgart 2019/2020, unpaginiert (152/176 S.), jeweils 16.99 €

Liam Sharp

Batman und Wonder Woman: Der Ritter und die Prinzessin

Panini, Stuttgart 2019, unpaginiert (148 S.), 16.99 €

Tim Seeley, Sarah Beattie, Rebekah Isaacs

Money Shot Band 1

Vault Comics, Maryland/Montana 2020, unpaginiert (160 S.), $ 17.99