Tax Compliance

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4. Anzeigepflichten

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Zu dem Pflichtenkanon gehören ferner die in §§ 137 ff. AO geregelten Anzeigepflichten. Insoweit ist vor allem die Anzeigepflicht bei Auslandsbetätigungen nach § 138 Abs. 2 AO relevant.

5. Buchführungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten

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Zu den steuerlichen Pflichten gehören ferner die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten gem. §§ 140 ff. AO, über § 140 AO auch nach den §§ 238 ff. HGB. Die Einhaltung der Buchführungspflichten ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil eine formell ordnungsgemäße Buchführung die (widerlegbare) Vermutung der Richtigkeit beinhalten (§ 158 AO), während eine formell nicht ordnungsgemäße Buchführung die Finanzbehörde zur Schätzung berechtigt (§ 162 Abs. 2 S. 2 2. Alt. AO).[46]

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 2. Kapitel Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance › III. Straf- und bußgeldrechtlicher „Sanktionenkatalog“ bei Verstößen gegen steuerliche Pflichten

III. Straf- und bußgeldrechtlicher „Sanktionenkatalog“ bei Verstößen gegen steuerliche Pflichten

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Die Nichteinhaltung der steuerlichen Pflichten ist in vielen Fällen sanktionsbewehrt. Neben dem eigentlichen Straf- und Bußgeldrecht gehören dazu reine „Verwaltungssanktionen“[47] wie Säumniszuschläge (§ 152 AO)[48], Verspätungszuschlag (§ 240 AO)[49] oder Zwangsgelder (§ 329 AO). Bei den straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen ist zwischen Sanktionen gegen die Unternehmensverantwortlichen, also die handelnden natürlichen Personen, und Sanktionen gegen das Unternehmen selbst zu unterscheiden.

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Insoweit ist auf die Entwicklung hinzuweisen, dass die Finanzbehörden immer öfter die Einleitung steuerstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfahren als Instrument einsetzen, um ein „Mehrergebnis“ für den Fiskus zu erzielen.[50] Vor dem Eindruck strafrechtlicher Ermittlungen ist der Steuerpflichtige generell eher bereit, ggf. unter Preisgabe steuerlicher Rechtspositionen, eine höhere Steuerschuld zu akzeptieren, wenn er so die Einstellung des Strafverfahrens erreichen kann. Dies gilt im privaten ebenso wie im unternehmerischen Bereich (und dort vom Einzelunternehmer bis hin zum DAX-Konzern).

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Zu den Möglichkeiten des Fiskus, Zusatzeinnahmen zu generieren, gehören neben der Erhöhung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und dem damit korrespondierenden höheren Steuer- und Zinsaufkommen vor allem die Verhängung von Verbandsgeldbußen gem. § 30 OWiG (i.V.m. § 369 Abs. 2 AO) oder Vermögensabschöpfungen nach § 29a OWiG. In der Praxis wird außerdem regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen natürliche Personen unter dem Vorbehalt der Zahlung einer – erheblichen – Geldauflage gem. § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO (i.V.m. § 385 AO) einzustellen und zwar häufig zusätzlich zu der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße gegen das Unternehmen. Da solche Geldauflagen im Rahmen einer Gesamterledigung eines Ermittlungsverfahrens häufig von dem Unternehmen getragen werden, was den Finanz- und Ermittlungsbehörden auch bekannt ist, werden hier regelmäßig hohe Summen aufgerufen.[51] Schließlich hat die Einführung – und die mit Wirkung zum 1.1.2015 in Kraft getretene Verschärfung – des § 398a AO,[52] wonach die Verfahrenseinstellung bei im Übrigen wirksamen Selbstanzeigen nach § 371 AO bereits ab einem Hinterziehungsbetrag von 25 000 EUR nur noch gegen Zahlung eines „Strafzuschlags“ möglich ist, nach unserer Wahrnehmung dazu geführt, dass Korrekturerklärungen in Unternehmen verstärkt als strafbefreiende Selbstanzeigen behandelt werden, um so zusätzliche Mittel für den Fiskus zu generieren.

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Auch wenn es eine Strafbarkeit von juristischen Personen und Personenvereinigungen in Deutschland bislang nicht gibt,[53] sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es Überlegungen für ein solches Unternehmensstrafrecht seit vielen Jahren gibt. Der am jüngste und bislang am weitesten ausgereifte Entwurf datiert aus September 2013 und stammt aus dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen.[54] Auch in dem Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode wurde als Absichtserklärung aufgenommen, den Gedanken der Einführung eines „Unternehmensstrafrechts für multinationale Konzerne“ zu prüfen.[55]

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Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wichtigsten straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Tatbestände, die im Falle der Verletzung von steuerlichen Pflichten zur Anwendung kommen können, gegeben werden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Sanktionen gegen die für ein Unternehmen verantwortlich handelnden natürlichen Personen (dazu Rn. 44 ff.) und Sanktionen gegen das Unternehmen selbst (dazu Rn. 56 ff.).

1. Sanktionen gegen Unternehmensverantwortliche

a) Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung, § 370 AO

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Eine Verletzung steuerlicher Pflichten kann eine nach § 370 Abs. 1 AO strafbare Steuerhinterziehung begründen. Die Steuerhinterziehung kann durch aktives Tun (Nr. 1) sowie durch Unterlassen (Nr. 2) begangen werden.

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Die möglichen Tathandlungen erschöpfen sich nicht in den „Standardfällen“ der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung (aktives Tun) bzw. der Nichtabgabe einer Steuererklärung (Unterlassen). So ist von großer praktischer Relevanz bspw. die Verletzung der Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO,[56] die bei entsprechendem Vorsatz eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begründet. Ferner kann beispielsweise auch bei nicht fristgemäßer Abgabe einer Steuererklärung[57] der Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen verwirklicht sein.

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Als Täter kommen insbesondere die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens i.S.d. § 34 AO, aber auch weitere Personen, wie z.B. faktische Geschäftsführer gem. § 35 AO, in Betracht.

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Eine einfache Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO kann mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe sanktioniert werden, bei Qualifizierung als besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 AO sogar mit Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren. Im unternehmerischen Bereich ist regelmäßig die Qualifikation des großen Ausmaßes i.S.d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO verwirklicht. Ein großes Ausmaß nimmt der BGH seit seiner Entscheidung vom 27.10.2015 in allen Fällen bereits ab einem Verkürzungsbetrag von 50 000 EUR an.[58]

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Die Möglichkeit, durch eine Selbstanzeige nach § 371 AO Straffreiheit zu erlangen,[59] ist durch den Sperrgrund in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO im unternehmerischen Bereich faktisch stark eingeschränkt. Bereits ab einem Verkürzungsbetrag von mehr als 25 000 EUR kommt eine Verfahrenseinstellung nur noch gegen Zahlung eines Geldbetrags zwischen 10 und 20 % der hinterzogenen Steuer gem. § 398a AO in Betracht. Nach regelmäßig von den Ermittlungsbehörden vertretener Auffassung soll dieser Geldbetrag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO durch jeden Tatbeteiligten (also Täter und Teilnehmer) in voller Höhe zu zahlen sein.[60] Die Frage ist in der Literatur umstritten,[61] jedoch höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Das Landgericht Aachen hat in der soweit ersichtlich bislang einzigen gerichtlichen Entscheidung die Verwaltungsauffassung bestätigt.[62]

b) Ordnungswidrige leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO

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Scheidet ein vorsätzliches Verhalten aus oder kann nicht nachgewiesen werden, kommt eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit wegen leichtfertiger Steuerverkürzung § 378 AO in Betracht. Täter kann jeder sein, der als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht.

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Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird. Jeder Steuerpflichtige muss sich über die ihn treffenden steuerlichen Pflichten informieren und ggf. fachkundigen Rat einholen. Bei Kaufleuten bzw. Unternehmen sind höhere Anforderungen an Erkundigungspflicht zu stellen.[63]

c) Weitere Ordnungswidrigkeitentatbestände

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Daneben gibt es weitere bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeitentatbestände in der Abgabenordnung (wie etwa die Steuergefährdung nach § 379 AO, die Gefährdung von Abzugsteuern nach § 380 AO, die Verbrauchsteuergefährdung nach § 381 AO, die Gefährdung der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach § 382 AO oder der unzulässige Erwerb von Steuererstattungs- und Vergütungsansprüchen nach § 383 AO). Hinzu kommen in Einzelsteuergesetzen geregelte spezielle Bußgeldtatbestände, wie etwa § 26a UStG, wonach die vorsätzliche oder leichtfertige Verletzung spezifischer Pflichten aus dem UStG bußgeldbewehrt[64] ist.

 

d) Aufsichtspflichtverletzung, § 130 OWiG

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Von großer praktischer Bedeutung ist die Verhängung von Bußgeldern wegen Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG im Zusammenhang mit von Mitarbeitern begangenen Steuerdelikten. Die Vorschrift setzt eine Zuwiderhandlung (eines Mitarbeiters) gegen betriebsbezogene Pflichten, deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, voraus. Taugliche „Anknüpfungstaten“ sind z.B. § 370 und § 378 AO. Sanktioniert wird eine Aufsichtspflichtverletzung bereits dann, wenn bei ordnungsgemäßer Aufsicht die Zuwiderhandlung jedenfalls wesentlich erschwert worden wäre. Es muss im Rahmen einer ex ante Prognose wenigstens festgestellt werden, dass bei Anwendung der gehörigen gebietsspezifischen Aufsicht eine Risikominderung eingetreten wäre.[65] Der Täter darf daher nichts unversucht lassen, um erkannten oder erkennbaren Zuwiderhandlungsgefahren entgegenzuwirken.[66]

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Über die Aufsichtspflichtverletzung kommt somit eine Sanktionierung des Geschäftsherrn oder sonstiger aufsichtspflichtiger Personen auch dann in Betracht, wenn das Steuerdelikt von einem Mitarbeiter einer nachrangigen Delegationsebene begangen wurde (bspw. Steuerabteilungsleiter oder Mitarbeiter Steuerabteilung). Im Bereich der Steuerstraftaten und der Steuerordnungswidrigkeiten sanktioniert § 130 OWiG daher nicht die Verletzung steuerlicher Pflichten, sondern die Desorganisation im Unternehmen, die zu einer Verletzung steuerlicher Pflichten geführt hat.[67]

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§ 130 OWiG stellt die geringsten Anforderungen der in Betracht kommenden Sanktionsnormen, das Verschulden eines Mitarbeiters der Geschäftsführung zuzurechnen.[68] Es ist nämlich nicht erforderlich, dass die unterlassene Aufsichtsmaßnahme den eingetretenen Schaden tatsächlich verhindert hätte. Vielmehr ist ausreichend, dass die Zuwiderhandlung durch die Aufsichtsmaßnahme „wesentlich erschwert“ worden wäre.

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Der Bußgeldrahmen der Aufsichtspflichtverletzung reicht nach § 130 Abs. 3 S. 1 OWiG bis zu 1 000 000 EUR im Falle vorsätzlicher Aufsichtspflichtverletzung, wenn die Anknüpfungstat eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO, also eine Straftat ist.

2. Sanktionen gegen Unternehmen

a) Verbandsgeldbuße, § 30 OWiG

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Über § 30 OWiG kommt bei Verwirklichung eines Steuerdelikts durch Unternehmensverantwortliche die Verhängung eines Bußgelds gegen das Unternehmen selbst (sog. Verbandsgeldbuße) in Betracht.[69]

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Die Vorschrift setzt voraus, dass eine vertretungsberechtige Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind. Das von der natürlichen Person verwirklichte Delikt wird der juristischen Person oder Personenvereinigung zugerechnet, als hätte diese das Delikt begangen.

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Als Anknüpfungstat kommen insbesondere §§ 370, 378 AO in Betracht aber auch § 130 OWiG in Betracht. Bei der Verhängung von Verbandsgeldbußen gegen Unternehmen stellen die Ermittlungsbehörden regelmäßig auf die Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG ab, die wiederum eine strafbare Steuerhinterziehung gem. § 370 AO oder leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO erleichtert hat.

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Das zulässige Höchstmaß einer Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG liegt bei 10 000 000 EUR (bei vorsätzlicher Straftat, hier also § 370 AO). Im Falle einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat ist das in dieser Vorschrift angedrohte Höchstmaß der Geldbuße entscheidend. Bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung liegt dieses bei 50 000 EUR. Anders ist dies jedoch, wenn auf eine Aufsichtspflichtverletzung als Anknüpfungstat abgestellt wird: Durch den Verweis in § 130 Abs. 3 S. 2 OWiG auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG kommt die Ordnungswidrigkeit einer Aufsichtspflichtverletzung als Auslöser des verzehnfachten Bußgeldrahmens in Betracht.

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Darüber hinaus kann das gesetzliche Höchstmaß des Bußgeldrahmens überschritten werden, wenn dies zum Zwecke der Gewinnabschöpfung erforderlich ist (§ 30 Abs. 3, § 17 Abs. 4 S. 2 OWiG); dies betrifft bei Steuerdelikten den Zinsschaden.[70]

b) Vermögensabschöpfung, § 29a OWiG

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Wird keine Geldbuße festgesetzt, kommt die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 29a OWiG (in der bis zum 30.6.2017 geltenden Gesetzesfassung „Verfall“) in Betracht.[71] Nach h.M. ist Gegenstand der Vermögensabschöpfung bei Steuerordnungswidrigkeiten der infolge der Steuerverkürzung eingetretene Zinsgewinn[72] und die ansonsten fällig gewordenen Säumniszuschläge, nicht aber die vorenthaltene Steuer selbst.[73]

c) Nebenfolgen

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Neben den vorbeschriebenen Sanktionen gibt es weitere das Unternehmen treffende Konsequenzen. Hierzu gehört als Nebenfolge einer Verbandsgeldbuße insbesondere die Eintragung gem. § 149 Abs. 2 GewO in das Gewerbezentralregister. Diese kann insbesondere bei Unternehmen, die an der Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen, äußerst nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen haben.

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Auf die Voraussetzungen einer Haftung für fremde Steuern (nach §§ 69 ff. AO und anderen Vorschriften, wie z.B. § 25d UStG) sei an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Es wird auf das 15. Kap. Rn. 6 ff. verwiesen.

3. Konsequenzen für Tax Compliance

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Von den Sanktionen bei Verletzung steuerlicher Pflichten wiegen die straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen am schwersten. Für das Unternehmen sind dies neben den finanziellen Nachteilen – insbesondere bei der Verhängung von Verbandsgeldbußen nach § 30 OWiG oder der Einziehung des Werts von Taterträgen gem. § 29a OWiG – nicht zuletzt die damit verbundenen Reputationsrisiken, die bereits mit Einleitung von straf- bzw. bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Unternehmensverantwortliche bzw. das Unternehmen selbst, erst Recht jedoch bei Verhängung einer solchen Sanktionsmaßnahme drohen. Hinzu kommen die außerstrafrechtlichen Nebenfolgen, die etwa bei einer Eintragung ins Gewerbezentralregister für ein Unternehmen, das von öffentlich vergebenen Aufträgen abhängig ist, existenzbedrohend sein können.

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Ein Tax Compliance Management System muss daher zum Ziel haben, die Risiken der Sanktionierung von steuerstraf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfehlungen der Unternehmensverantwortlichen (d.h. Organe, aber auch leitende Mitarbeiter) zu minimieren. Dies gelingt, wenn durch ein strukturiertes und dokumentiertes System ein Verschulden widerlegt werden kann, die Verantwortlichen sich also exkulpieren können.[74] Ausgangspunkt solcher risikoorientierter Überlegungen ist zweckmäßigerweise die Vorschrift mit den niedrigsten Anforderungen an einen Verschuldensnachweis. Von den zuvor dargestellten Vorschriften ist die „Schwelle zur Sanktionierung“ am ehesten bei der Aufsichtspflichtverletzung i.S.d. § 130 OWiG überschritten. So ist ein die bußgeldrechtliche Verantwortung auslösendes Verschulden bereits dann anzunehmen, wenn die Zuwiderhandlung des Mitarbeiters durch die „gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert“ worden wäre. Die gehörige Aufsicht wurde dann eingehalten, wenn der Verantwortliche alle Maßnahmen getroffen hat, die erforderlich und zumutbar sind.[75] Dies beinhaltet in jedem Fall eine sorgfältige Auswahl, Koordination, Instruktion und Kontrolle der Mitarbeiter und damit wesentliche Bestandteile eines (Tax) Compliance Management Systems (insofern wird eine allgemeine Compliance-Verpflichtung in der Literatur teilweise auch aus § 130 OWiG abgeleitet[76]). Allerdings sind für den Umfang der Aufsichtspflicht „in erster Linie Art, Größe und Organisation des Betriebs, die unterschiedlichen Überwachungsmöglichkeiten, aber auch Vielfalt und Bedeutung der zu beachtenden Vorschriften und die Anfälligkeit des Betriebs für Verstöße gegen diese Bestimmungen“ maßgeblich.[77] Kann eine Haftung nach § 130 OWiG ausgeschlossen werden, kommt auch keine andere Form der Verschuldenszurechnung in Betracht.[78]

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 2. Kapitel Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance › IV. Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance

IV. Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance

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Die Einhaltung steuerlicher Vorschriften und die Erfüllung steuerlicher Pflichten, im Sinne einer Pflicht zu rechtstreuem Verhalten, bedarf keiner zusätzlichen Rechtsgrundlage. Diese Verpflichtung ergibt sich bereits aus den gesetzlichen Pflichten selbst, im Bereich Tax Compliance sind dies insbesondere solche aus dem voranstehend unter II. (Rn. 4 ff.) dargestellten Pflichtenkatalog.

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Bislang nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob es eine gesetzliche Pflicht zur Einrichtung und Unterhaltung einer Tax Compliance-Organisation gibt.

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Die Frage ist in der Literatur umstritten, jedoch bislang ungeklärt. Das LG München I hat in seiner sog. Siemens/Neubürger-Entscheidung[79] eine Pflicht zur Einrichtung einer auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegten Compliance-Organisation angenommen, die im Urteilsfall durch den Vorstand verletzt worden sei. Wir verstehen das Urteil allerdings als eine Einzelfallentscheidung, die nicht ohne Weiteres in dem Sinne verallgemeinert verstanden werden kann, dass eine generelle Verpflichtung zur Einrichtung eines Compliance Management Systems bestehen soll. Abgesehen davon verhält sich die Entscheidung nicht zu den Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung eines Compliance Management Systems und insbesondere nicht dazu, ob – bei grundsätzlicher Annahme einer Verpflichtung zur Einrichtung einer Compliance-Organisation – Tax Compliance ein elementarer Bestandteil ist.

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Nach Tz. 2.6 AEAO zu § 153 AO soll die Tatsache, dass der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet hat, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, ggf. ein Indiz gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit darstellen können. Eine allgemeine Verpflichtung zur Einrichtung eines Tax Compliance Management Systems nimmt aber auch die Finanzverwaltung offenbar nicht an.

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Gleichwohl wird eine solche Verpflichtung aus Rechtsgrundlagen insbesondere des Zivilrechts und verschiedener aufsichtsrechtlicher Spezialnormen abgeleitet.

1. Gesellschaftsrechtliche Rechtsgrundlage für ein Tax CMS

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Da der Begriff Tax Compliance nach der im 1. Kap. getroffenen Definition als Anforderung aus der Perspektive eines Unternehmens verstanden wird, durch geeignete Prozesse systematisch und dauerhaft sicherzustellen, dass die steuerlichen Pflichten von der Geschäftsführung und den Mitarbeitern beachtet und befolgt werden, kommen für die Suche nach entsprechenden Rechtsgrundlagen des Zivilrechts, aus denen sich eine Pflicht zur Einrichtung solcher Prozesse ggf. ableiten lässt, vor allem Vorschriften aus dem Gesellschafts- und Handelsrecht in Betracht.

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Ein (Tax) Compliance Management System hat die Einhaltung von (steuerlichen) Regeln und Gesetzen zum Ziel.[80] Fraglich ist, ob die Einrichtung eines solchen Systems selbst als von den Unternehmen zu beachtende Rechtspflicht zu begreifen ist.

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Das Gesellschaftsrecht und speziell das Aktiengesetz kennen durchaus rechtliche Organisationsanforderungen, welche zum Beispiel aus den Organisationspflichten des Vorstandes einer Aktiengesellschaft resultieren. Die Pflicht zur Einrichtung eines Compliance Management Systems ist im Aktiengesetz hingegen nicht ausdrücklich geregelt.[81] Eine solche Compliance-Pflicht könnte aber aus der allgemeinen Leitungspflicht der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG hergeleitet werden oder unmittelbar aus § 91 Abs. 2 AktG. Dies wird nachstehend näher beleuchtet.