Tax Compliance

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c) Amtshilfe nach DBA, insbesondere Gruppenanfragen

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Doppelbesteuerungsabkommen sind klassische bilaterale Abkommen zwischen zwei Staaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, wenn Steuerpflichtige in beiden Vertragsstaaten die Merkmale der jeweiligen Besteuerungs-Tatbestände erfüllen. Zum Vollzug eines Doppelbesteuerungsabkommens ist ein Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten notwendig, der sich entweder nur auf die im DBA geregelten Steuern und Tatbestände beschränkt (kleine Auskunftsklausel) oder aber Auskünfte auch über die im DBA geregelten Steuern hinaus vorsieht (große Auskunftsklausel). Die Reichweite der möglichen Auskünfte wird in dem von der OECD herausgegebenen Kommentar zum OECD-Musterabkommen erläutert.[46]

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Inhaltlich reichen die Auskunftsmöglichkeiten (je nach Art der Auskunftsklausel) von Informationen über die Erzielung von Einkünften (z.B. Konten, Grundstücke, Betriebsstätten etc.) und Tatsachen zur Anknüpfung von Besteuerungspflichten (z.B. Wohnorte und Aufenthalte) bis hin zur konkreten Ausgestaltung der Besteuerung im anderen Vertragsstaat (z.B. dort gezahlte Steuer, gewährte Steuerausnahmen oder auch angesetzte Verrechnungspreise).

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Der Weg der Informationen geht von der die Auskunft begehrenden Stelle der Landesfinanzverwaltung über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Bonn an die jeweilige Partnereinrichtung im anderen Vertragsstaat, die national die Information beschafft und über den gleichen Weg zurück leitet an die Landesfinanzbehörde.

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Während bisher der Informationsaustausch nach DBA auf den Einzelfall beschränkt war, ist durch eine Änderung des Kommentars zu Art. 27 des OECD-Musterabkommens am 17.7.2012 auch ein Auskunftsersuchen zu einer Gruppe von Steuerpflichtigen möglich geworden, die durch eines oder mehrere gemeinsame steuerlich relevante Merkmale definiert ist.

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Gruppenanfragen beziehen sich nicht mehr nur auf einen konkreten Einzelfall, der mit vielen Details individualisiert werden muss. Es können auch Anfragen bezüglich ganzer Gruppen von Steuerpflichtigen an den anderen Staat gerichtet werden, die dieser bei Vorliegen aller Voraussetzungen beantworten muss.

Beispiel:

Die Bundesrepublik Deutschland bittet die Schweiz um Auskunft, welche deutschen Kapitalanleger mit einem Konto in der Schweiz seit dem 1.1.2013 ihr Konto aufgelöst und das Kapital bar ausgezahlt bekommen haben.

Die Schweizer Behörden können nach Prüfung der Voraussetzungen der Gruppenanfragen die erforderlichen Ermittlungen aufnehmen, in dem sie die in der Schweiz ansässigen Banken befragen. Die Ergebnisse der Ermittlungen werden dann an die deutschen Behörden weitergeleitet.

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Deutsche Erfahrungen mit Gruppenanfragen gibt es bislang nicht.[47] Bekannt geworden sind aber durchaus Gruppenanfragen anderer Staaten, die ausreichend beantwortet wurden.

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Das Verbot der Ermittlungen ins Blaue hinein, der sog. fishing expedition, gilt auch für Gruppenanfragen. Es ist zwar einer Gruppenanfrage systemimmanent, dass die einzelnen Mitglieder der Gruppe im Regelfall nicht individualisiert benannt werden können (sonst könnte eine Einzelanfrage gestellt werden). Um jedoch eine unzulässige fishing expedition zu vermeiden, müssen die Mitglieder der Gruppe hinreichend eingegrenzt werden. Das kann nicht nur mittels eines einzigen Merkmals geschehen, weil dadurch meist noch keine hinreichende Eingrenzung ermöglicht wird.

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Das würde für die Bestimmung der Gruppenmitglieder im obigen Beispiel bedeuten, dass weitere Eingrenzungsmerkmale gefunden werden müssen, um die Gruppe ausreichend genau zu definieren. Es kommen beispielsweise Betragsgrenzen (ab einem Kapital von 1 Mio. EUR oder sogar höher) und Zeitgrenzen (Zeitraum von … bis …) in Betracht. Je mehr sinnvolle Eingrenzungen für das dadurch präzisierte steuerliche Risiko gefunden werden können, desto weniger wird man eine fishing expedition annehmen können.

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Eine weitere offene Fragestellung ist die nach der zeitlichen Grenze für Gruppenanfragen. Man könnte davon ausgehen, dass Gruppenanfragen erst für Zeiträume nach der Umsetzung der Kommentaränderung in nationales Recht zulässig sein werden. Damit könnten im Verhältnis zur Schweiz (Umsetzung ab 1.8.2014) und Österreich (Umsetzung ab 13.6.2014) die hoch interessanten Zeiträume ab 2012 außer Reichweite sein. In Liechtenstein fand die Umsetzung in nationales Recht dagegen bereits zum 1.1.2009 statt, allerdings nur im Verhältnis zu den USA. Das erklärt die hohe dreistellige Anzahl von Gruppenanfragen (aus den USA), von denen mehrere hundert bereits erledigt sein sollen.

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Ungeachtet dieser zeitlichen Grenze wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass mit Gruppenanfragen auch Unterlagen aus der Zeit vor Inkrafttreten der jeweiligen nationalen Regelungen abgefragt werden können, wenn es sich um Unterlagen mit Dauerwirkung wie etwa Kontoeröffnungsunterlagen handelt und das Konto nach Inkrafttreten der nationalen Regelung noch Bestand hatte. Die bei der Kontoeröffnung gemachten Angaben wirken ja während der Dauer des Bestehens des Kontos noch fort. Es ist also davon auszugehen, dass so mancher sichere Hafen nicht mehr ganz so sicher ist.

d) Amtshilfe aufgrund bilateraler Abkommen außerhalb von DBA (TIEA)

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Eine verhältnismäßige neue Entwicklung sind die von Deutschland mit mittlerweile über 20 Staaten und Territorien abgeschlossenen Auskunftsverträge „Tax Information Exchange Agreements (TIEA)“[48], die sowohl steuerliche wie strafrechtliche Auskunftsersuchen erlauben. Weitere Abkommen sind in Planung oder werden derzeit ausgehandelt. Inhalt und Aufbau dieser bilateralen Vereinbarungen folgen dem Muster der OECD für den Informationsaustausch in Steuersachen aus dem Jahr 2002.

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In den TIEA ist mit den meisten Staaten vereinbart, dass die Rechtshilfe (s.u. sogar rückwirkend) in Steuerstrafverfahren für Zeiträume vor Abschluss der Vereinbarung gewährt werden muss.[49] Für Zwecke des Besteuerungsverfahrens können Auskünfte dagegen regelmäßig erst für Zeiträume ab Inkrafttreten des jeweiligen TIEA begehrt werden.

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Die TIEA treten neben die anderen vorhandenen Instrumente der Amts- und Rechtshilfe, so dass die Ermittlungsbehörde ein Auswahlermessen hat, welchen Ermittlungsweg sie beschreiten will.

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Die Reichweite der TIEA geht von Auskünften im Bereich der Ertragssteuern (ESt, KSt, GewSt), der Vermögenssteuer, der Erbschaftsteuer, der Umsatzsteuer[50] bis hin zur Versicherungssteuer.[51] Angefragt und ausgetauscht werden können steuerlich voraussichtlich erhebliche Informationen zu den o.g. Steuerarten.

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Der Weg der Auskünfte ist nach den meisten Abkommen ein schriftlicher Auskunftsverkehr auf amtlichem Vordruck über das BZSt. Allerdings sehen diese Abkommen für den steuerlichen Bereich auch die Einreise von ausländischen Beamten sowie deren Anwesenheit bei den inländischen Ermittlungsmaßnahmen vor.[52] Voraussetzungen dafür ist allerdings die Genehmigung durch das BZSt in Absprache mit der obersten Landesfinanzbehörde, die Zustimmung des inländischen Beteiligten sowie die ständige Anwesenheit inländischer Beamter während der Dauer der Befragung des inländischen Beteiligten und der Einsichtnahme in Unterlagen durch den ausländischen Beamten. Der entsandte Beamte hat im anderen Vertragsstaat keine eigenen Befugnisse.

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Besonderheit:

Ein Ersuchen nach TIEA im Strafverfahren ist möglich und geht dann über das Bundesamt für Justiz (BfJ) in den ersuchten Staat. Die Ersuchen werden in Verfahren, die von der Finanzverwaltung (BuStra) selbst geführt werden, direkt von der BuStra dem BfJ zugeleitet, ohne dass eine Staatsanwaltschaft eingebunden sein muss. Im Steuerstrafverfahren sind jedoch nur schriftliche Auskünfte möglich.

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Die TIEAs bieten im Strafverfahren auch nur eine Informationsrechtshilfe. Um die Durchführung strafprozessualer Maßnahmen kann nicht gebeten werden. Wie sich allerdings der ersuchte Staat die erbetenen Informationen beschafft, richtet sich ausschließlich nach seinem nationalen Recht, so dass im Einzelfall aber durchaus auch Zwangsmaßnahmen aufgrund eines TIEA-Auskunftsersuchens angestoßen werden können.

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Hinweis:

Keine Sperre des Amtshilfewegs durch die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens. Im Strafverfahren ist zwar grundsätzlich stets der Rechtshilfeweg zu beschreiten; das gilt auch für strafrechtliche Ersuchen nach einem TIEA. Dienen aber die ersuchten Informationen der Förderung des Besteuerungsverfahrens, können sie selbst nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens im Wege eines steuerlichen Amtshilfeersuchens angefordert werden. Der Amtshilfeweg wird aber dann verschlossen, wenn die ersuchten Auskünfte objektiv der Verfolgung einer Steuerstraftat dienen sollen. Die Abgrenzung mag im Einzelfall schwierig sein.

e) Amtshilfe im vertragslosen Bereich

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Auch zwischen Staaten, die kein Doppelbesteuerungsabkommen und keinen Auskunftsvertrag angeschlossen haben, ist der Informationsaustausch auf Anfrage im Einzelfall möglich.[53] Allerdings besteht in diesen Fällen kein völkerrechtlicher Anspruch gegen diese Staaten auf Erteilung von Auskünften.

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Umgekehrt kann auch Deutschland solchen Staaten Auskunft geben, wenn die Voraussetzungen des § 117 Abs. 3 AO erfüllt sind.

f) Rechtshilfe im Einzelfall

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Rechtshilfe ist jede Unterstützung, die für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit (§ 1 Abs. 2 IRG) in einem anderen Staat gewährt wird, unabhängig davon, ob das Verfahren von einem Gericht oder anderen Behörde betrieben wird.[54] Im eingeleiteten Strafverfahren kann die Steuerfahndung sowohl polizeiliche Rechtshilfe nach der Schwedischen Initiative (s.u. Rn. 150 ff.) und/oder justizielle Rechtshilfe nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe beanspruchen.

aa) Rechtsgrundlage der justiziellen Rechtshilfe

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Rechtsgrundlagen der zwischenstaatlichen Rechtshilfe ergeben sich aus multi- und bilateralen Verträgen sowie ergänzend aus dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe (IRG) und den Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt)[55]. Die wichtigsten Zusammenarbeitsverträge sind beispielhaft:


Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich zudem im Zusatzprotokoll zum EU-RhÜbk vom 16.10.2001 verpflichtet, Auskünfte über Bankkonten im Rahmen der Rechtshilfe in Strafsachen zu erteilen. Ein eventuell nach nationalem Recht bestehendes Bankgeheimnis darf der Rechtshilfe nicht entgegen stehen.
Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) gibt eine Reihe von zwischenstaatlichen Informations- und Hilfepflichten. Allerdings wird Art. 51 SDÜ, der die Bedingungen für Durchsuchungen und Beschlagnahmen regelt, weder durch das EU-RhÜbk noch durch das Zusatzprotokoll vom 16.10.2001 berührt.
Daneben sind bestehende bilaterale Verträge zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und weiteren Schengen-Staaten (z.B. die Schweiz) anwendbar, Art 1 Abs. 2 EU – RhÜbk bzw. Art 48 Abs. 2 SDÜ.

Rechtshilfe im vertragslosen Bereich richtet sich ausschließlich nach dem IRG.

bb) Weg der justiziellen Rechtshilfe

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Nach der Zuständigkeitsvereinbarung 2004 zwischen Bund und Ländern über den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten[58] ist grundsätzlich die Bundesregierung für die Bewilligung der Rechtshilfe in Abgabensachen zuständig, die die Zuständigkeit auf das Bundesamt für Justiz delegiert hat.

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Das Rechtshilfeersuchen geht in der Praxis über die Staatsanwaltschaft zum nationalen Ermittlungsrichter. Dessen Entscheidung wird dann mit einem Antrag auf Gewährung von Rechtshilfe durch den nationalen Staatsanwalt über das Bundesamt für Justiz (BfJ) in den ersuchten Staat geleitet und nach Bewilligung der Rechtshilfe von den dortigen Behörden vollzogen. Regelmäßig wird dabei um die Erlaubnis der Anwesenheit von inländischen Beamten nachgesucht, die in den meisten Fällen auch bewilligt wird. Die deutschen Beamten haben allerdings nur ein Anwesenheitsrecht, aber keinerlei Befugnisse im ersuchten Staat.

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In gleicher Weise ersucht der deutsche Staatsanwalt um Beschlagnahme und Herausgabe der bei der ausländischen Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel. Der Adressat der Zwangsmaßnahme hat die nach seinem nationalen Recht gegebenen Rechtsmittel gegen die Rechtshilfemaßnahmen.

cc) Umfang der justiziellen Rechtshilfe

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Der Umfang des zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehrs bestimmt sich nach den völkerrechtlichen Vereinbarungen (§ 1 Abs. 3 IRG) oder nach §§ 59 ff. IRG, insbesondere ist möglich:[59]


Durchsuchung von Personen und Räumen,
Beschlagnahme und Herausgabe von Beweismitteln,
Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen,
Einnahme richterlichen Augenscheins oder
Zustellung von Verfahrensurkunden.

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Der Umfang der beschlagnahmefähigen Unterlagen richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates und ist grundsätzlich nicht wesentlich unterschiedlich zu dem, was in Deutschland als Beweismittel sichergestellt und beschlagnahmt werden kann (s.o. Rn. 101).

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Weitere Besonderheiten:


Die Anwesenheit deutscher Beamte im Ausland ist mit Genehmigung des ausländischen Staates zulässig, die jeweils im Einzelfall beantragt werden muss. Amtshandlungen dürfen im Ausland keine vorgenommen werden.
Die Bildung gemeinsamer strafrechtlicher Ermittlungsgruppen regelt Art. 13 EU–RhÜbk: danach können ausländische Mitglieder der Ermittlungsgruppe mit der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen im Inland beauftragt werden.
Im Verhältnis zu einzelnen Vertragsstaaten gibt es viele weitere Besonderheiten, deren Darstellung den hier gegebenen Rahmen sprengen würden. Einzelheiten finden sich im Rechtshilfe-Merkblattes vom 16.11.2006 zu Luxemburg (Tz. 6.1.), Liechtenstein (Tz. 6.2.), Österreich (Tz. 6.3.), der Schweiz (Tz. 6.4.), Kanada (Tz. 6.5.) und den USA (Tz. 6.6.).

dd) Rechtsschutz

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Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Rechtshilfeverkehr fällt in die Zuständigkeit der Strafgerichte, § 33 Abs. 3 FGO. Der Beschuldigte ist allerdings nicht vorher von der steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbehörde über die beabsichtigten Maßnahmen zu unterrichten.[62]

149

Gegen Maßnahmen aufgrund eingehender Ersuchen stehen die allgemeinen Rechtsbehelfe nach der StPO zur Verfügung. Im Falle von Herausgabe–Verlangen von Gegenständen an den ersuchenden Staat gilt § 61 i.V.m. § 66 IRG.

g) Polizeiliche Rechtshilfe nach der Schwedischen Initiative

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Die sog. Schwedische Initiative geht auf einen Vorschlag des Königreichs Schweden zurück, in dem in einem zusammenwachsenden Europa, das die Kontrollen an den Binnengrenzen weitestgehend abgeschafft hatte, die polizeiliche Zusammenarbeit und der Informationsaustausch über Staatengrenzen hinweg von förmlichen Verfahren, Verwaltungsstrukturen und rechtlichen Hindernissen entlastet werden sollten.

151

Rechtsgrundlage ist der Rahmenbeschluss 2006/960/JI des EU-Rates vom 18.12.2006[63] (abgekürzt in Deutschland als RbDatA), der 30.12.2006 in Kraft getreten ist (Art. 13). Das deutsche Umsetzungsgesetz trat erst am 26.7.2012 in Kraft,[64] schuf die neuen §§ 117a und 117b AO und änderte umfangreich die entsprechenden Passagen des IRG.[65] Je nach Art des Auskunftsaustausches sind die Rechtsgrundlagen der AO oder dem IRG zu entnehmen:


Rechtsgrundlagen Schwedische Initiative
Ausgehende ErsuchenEingehende Ersuchen
Repressiver BereichPräventiverBereichRepressiver BereichPräventiverBereich
§ 163 StPO i.V.m.Rahmenbeschluss§ 93 AO i.V.m.Rahmenbeschluss§ 92 IRG, § 92a IRG§ 117a AO ff

Hinweis:

Die neuen §§ 117a und 117b AO sind keine Untervorschriften zu § 117 AO: Stellung und Nummerierung im Gesetz sind lediglich der Gesetzessystematik geschuldet, die keinen Raum für eine eigenständige andere Nummerierung zuließ. Das bedeutet, dass die Regelungen aus § 117 AO wie etwa die Anhörungserfordernis aus § 117 Abs. 4 AO nicht auch für § 117a AO und § 117b AO gelten.

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Gegenstand der schwedischen Initiative ist ausschließlich der transnationale Informationsaustausch zwischen den EU-Polizeibehörden, der bislang seine Rechtsgrundlage in Art. 39 SDÜ hatte. Die Steuerfahndung ist Polizei im Sinne der schwedischen Initiative. Sie gilt ausschließlich für das (repressive) Strafverfahren sowie das (präventive) polizeiliche Erkenntnisgewinnungsverfahren. Letzterer ist im Bereich der Steuerfahndung am besten als Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO zu umschreiben. Sie findet im OWi-Verfahren keine Anwendung. Die Staatsanwaltschaften und die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzverwaltung haben nach der schwedischen Initiative keine unmittelbaren Auskunftsrechte.

 

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Wesentliche Kernaussagen der schwedischen Initiative sind der …


a) Inlandsstandard: Für die Zurverfügungstellung von Informationen und Erkenntnissen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten dürfen keine strengeren Anforderungen gestellt werden als auf nationaler Ebene üblich, Art. 3 Abs. 3 RbDatA. Es ist daher eine Parallelwertung anzustellen, ob die ersuchte Behörde die erbetenen Informationen unter sonst gleichen Bedingungen einer anderen inländischen Behörde für deren Verfahren zur Verfügung stellen würde. Hierdurch wird das hohe Datenschutzniveau des deutschen Steuergeheimnisses in § 30 AO auch für den EU-weiten Datenaustausch festgelegt.
b) Amts- und Rechtshilfe: Der Informationsaustausch umfasst gleichermaßen strafrechtliche Ermittlungsverfahren wie polizeiliche Erkenntnisgewinnungsverfahren (Art. 3 und 5 RbDatA).
c) Keine Zwangsmaßnahmen: Der Informationsaustausch nach dem Rahmenbeschluss bezieht sich nur auf vorhandene Informationen (Art. 1 Nr. 3) und verpflichtet die Mitgliedsstaaten nicht, angefragte Informationen durch Zwangsmaßnahmen zu erlangen (Art. 1 Nr. 5 RbDatA). Soweit es das nationale Recht zulässt, können auch durch Zwangsmaßnahmen erlangte Informationen zur Verfügung gestellt werden (Art. 1 Nr. 6 RbDatA)
d) Enge Zeitvorgaben: Dringende Ersuchen sind innerhalb von 8 Stunden zu beantworten, andere (z.B. bei Steuerhinterziehung) maximal innerhalb von 14 Tagen. Eine Rückmeldung ist verpflichtend, wenn die Frist nicht eingehalten werden kann.
e) Weitere Regelungen: – Keine Verpflichtung zur Bereitstellung von Informationen, die als Beweismittel vor einer Justizbehörde verwendet werden sollen. Die Justizverwertbarkeit kann aber vom übermittelnden Staat erklärt werden (Art. 1 Nr. 4 RbDatA). – Der Rahmenbeschluss umfasst sowohl den Informationsaustausch aufgrund von Ersuchen wie auch Spontanauskünfte (Art. 7 RbDatA). – Bisher bestehende bilaterale und multilaterale Vereinbarungen bleiben vom Rahmenbeschluss unberührt (Art. 1 Nr. 2 RbDatA).

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Der Umfang der zu übermittelnden Informationen richtet sich nach dem, was im angefragten Staat an Information vorhanden ist, da Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen sind. Damit ist Zielrichtung der im anderen Staat vorhandene Akteninhalt und was in den nationalen Datenbanken des ersuchten Staates gespeichert ist. Allenfalls kann die ersuchte Behörde noch bestimmte Ermittlungen (z.B. Ortsbesichtigungen) freiwillig durchführen; verpflichtet ist sie dazu indes nicht. Die Möglichkeiten nach der schwedischen Initiative machen die justizielle Rechtshilfe daher nicht entbehrlich.

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Denkbare Fallgestaltungen für Ersuchen nach der schwedischen Initiative sind:


Übermittlung einer Zustellanschrift von Personen (insbesondere Beschuldigten), um diesen anschließend Schriftstücke unmittelbar gem. Art. 5 EU-RhÜbk. zustellen zu können;
Auskünfte aus Registern jeder Art;
Auskünfte von den Steuerbehörden, ob bestimmte Personen oder Firmen tatsächlich existieren und was sie ggf. steuerlich erklärt haben;
Überprüfung der Existenz und ggf. Gewinnung weiterer Informationen (z.B. zum Alter oder zu Verwandtschaftsverhältnissen) angeblicher ausländischer „Darlehnsgeber“ bei vermuteten fingierten Darlehn;
Überprüfung/Vorbesichtigung ausländischer Firmen- oder Privatadressen, um dort geplante im Wege eines Rechtshilfeersuchens durchzuführende Durchsuchungsmaßnahmen vorzubereiten.

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Der Weg der Ersuchen nach der schwedischen Initiative soll nach dem Prinzip des Inlandsstandards frei von bürokratischen Hürden sein und grundsätzlich direkt von anfragender zu Auskunft gebender Stelle gehen. Da letztere häufig nicht bekannt sind, haben die Staaten nationale Zentralstellen geschaffen für die Steuerung der Weiterleitung. In Deutschland sind das das Zollkriminalamt in Köln und das Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Allerdings haben sich in einzelnen Bundesländern die üblichen Hierarchien vernachlässigt gefühlt und zum Teil noch landeseigene Zentralstellen dazwischen geschaltet. Das war so von der schwedischen Initiative nicht gewollt und widerspricht deren Sinn und Zweck.

157

Die Verwertbarkeit der Informationen nach der schwedischen Initiative regelt Art. 1 Abs. 4 RbDatA, der bestimmt, dass eine unmittelbare Verwertung der Information als Beweismittel in eben diesem Verfahren zulässig ist, in dem angefragt wurde, wenn dies sogleich mit der Übermittlung erklärt wird. Das geschieht in der Regel durch ein entsprechendes Kreuzchen im Antwortvordruck „A“ („Informationen dürfen für die angefragten Zwecke verwendet werden“), bei formlosen Antworten wird sie mit Erteilung der Auskunft zum konkret angefragten Zweck als konkludent erteilt unterstellt.

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Diese Verwendungsbeschränkung ist – sozusagen als Selbstbindung – auch entsprechend im nationalen Recht festgeschrieben worden: Für den repressiven Bereich in § 92b IRG, für den präventiven Bereich – u.a. – in § 117b AO.

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Der Schwedischen Initiative haben sich die EU – Mitgliedsstaaten, die Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein angeschlossen, so dass sie innerhalb der EU und in den EWR-Staaten Anwendung findet.

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Der Rahmenbeschluss kann und soll die klassische justizielle Rechtshilfe nicht ersetzen. Er kann aber gerade in Steuerstrafverfahren in einzelnen Bereichen eine schnelle und mit wenig Aufwand verbundene Informationsbeschaffung ermöglichen.