Internal Investigations

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1. Teil Ermittlungen im Unternehmen

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel Internal Investigations: Definition und rechtstatsächliche Erkenntnisse zu internen Ermittlungen in Unternehmen

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen und Beratung der Unternehmensführung

3. Kapitel Versicherungsrechtliche Rahmenbedingungen

4. Kapitel Projektorganisation, Projektplanung, Projektsteuerung und Reporting

5. Kapitel Die Rechtsstellung der internen Ermittler

6. Kapitel Ermittlungen und Beweissicherung – Unterlagen und EDV

7. Kapitel Ermittlungen und Beweissicherungen – Personenbefragungen

8. Kapitel Personenüberwachung durch Observationen

9. Kapitel Hinweisgebersysteme des Unternehmens

10. Kapitel Amnestie- und Kooperationsprogramme

11. Kapitel Ermittlungen und Beweissicherung – mit Auslandsbezug und im Ausland

12. Kapitel Datenschutzrechtliche und strafrechtliche Rahmenbedingungen der Ermittlungen

13. Kapitel Unternehmensbezogene Auswirkungen und Einbettung in die Unternehmensabläufe

14. Kapitel Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen sowie arbeitsrechtliche Gestaltung, Beratung und Vertretung für das Unternehmen

15. Kapitel Individualvertretung in arbeitsrechtlichen und zivilrechtlichen Verfahren

16. Kapitel Unternehmensvertretung im Bußgeld- und Strafverfahren

17. Kapitel Strafprozessuale Rückgewinnungshilfe

18. Kapitel Individualvertretung im Strafverfahren

19. Kapitel Außensicht der Strafjustiz

20. Kapitel Zivilprozessuale Rechtsverfolgung

21. Kapitel „Remediation“ – (Re-)Organisation der Compliance

22. Kapitel Kommunikative Herausforderungen bei einer Internal Investigation im Unternehmen

23. Kapitel Presserecht – Schutz vor Indiskretion – Reaktion auf Publikation

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 1. Kapitel Internal Investigations: Definition und rechtstatsächliche Erkenntnisse zu internen Ermittlungen in Unternehmen

1. Kapitel Internal Investigations: Definition und rechtstatsächliche Erkenntnisse zu internen Ermittlungen in Unternehmen

Inhaltsverzeichnis

I. Einführung

II. Trendsetter und Early Follower

III. Begriffsbestimmung „Internal Investigation“

IV. Kriminologisch-rechtstatsächliche Erkenntnisse

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 1. Kapitel Internal Investigations: Definition und rechtstatsächliche Erkenntnisse zu internen Ermittlungen in Unternehmen › I. Einführung

I. Einführung

1

Anglizismen sind „in“. Modewörter wie Corporate Governance, Criminal Compliance und Internal Investigations begegnen dem Rechtsanwender im Zuge ihrer unübersehbaren Hausse[1] überall. Gerade unternehmensinterne Ermittlungen sind groß im Kommen.[2] Die Frage, was sich hinter diesem Begriff verbirgt, wird oftmals nur vage beantwortet. Gleichwohl scheint für jedermann offensichtlich, dass das Phänomen der Internal Investigations zahlreiche Probleme arbeitsrechtlicher sowie insbesondere strafrechtlicher Natur tangiert.

2

Unternehmen bzw. Konzerne führen interne Selbstkontrollen sowie Kontrollen gegenüber Tochtergesellschaften[3] durch, geben sich Richtlinien oder Verhaltenskodizes („Codes of Coduct“) und überwachen deren Einhaltung. Dieses Procedere mit dem Begriff der Compliance zu assoziieren, entspricht aber nur der halben Wahrheit. Denn genau genommen geht es bei der Selbstkontrolle nicht nur darum, (strafrechtlich relevantes) Fehlverhalten von vorneherein zu vermeiden, sondern auch darum, es später zu ahnden und aufzudecken. Unternehmensinterne Ermittlungen erfassen genau jenen letztgenannten Bereich. Dabei liegt – trotz der mittlerweile beachtlichen Flut einschlägiger Publikationen – allerdings noch vieles im Unklaren: Welche Ermittlungen sind überhaupt zulässig und welche nicht? In welchem Rahmen oder nach welcher Art von Verfahren müssen die Untersuchungen stattfinden? Was passiert mit den gewonnenen Erkenntnissen und erhobenen Beweisen (bspw. in einem Strafprozess)? Wer leitet die Ermittlungen?[4] An dieser Stelle ist es daher erforderlich, im Vorfeld einige Grundlagen zu klären, um jene und andere Fragen beantworten zu können

3

(entfällt)

Anmerkungen

[1]

Von Hehn Börsen-Zeitung Nr. 221 v. 16.11.2007, 15; beginnend schon in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, vgl. Hense/Renz CCZ 2008, 181; s. auch Greco/Caracas NStZ 2015, 7 (zunehmende Aufmerksamkeit seit der „Siemens-Affäre“).

[2]

Dies zeigt sich bereits an zahllosen einschlägigen Meldungen der Tagespresse: Allein in der Zeit vom 1.1.2012 bis zum 31.3.2012 fanden sich bspw. bei Spiegel Online ca. 15 Beiträge mit Bezug zu diesen Themen, in der FAZ waren es etwa 30; in der Zeit v. 1.7.2015 bis zum 31.12.2015 ging die Anzahl der Spiegel-Online-Berichte auf sechs zurück.

[3]

Sog. Internal Control Provisions; siehe Schulte/Görts RIW 2006, 564.

[4]

Diese Fragen listet auch Wastl ZRP 2011, 57 f. auf.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 1. Kapitel Internal Investigations: Definition und rechtstatsächliche Erkenntnisse zu internen Ermittlungen in Unternehmen › II. Trendsetter und Early Follower

II. Trendsetter und Early Follower

4

Treten Probleme auf, so waren und sind eigene Sachverhaltsaufklärungen in den betroffenen Unternehmen als Innenrevision schon immer selbstverständlich – auch im deutschsprachigen (Rechts-)Raum.[1] Bezeichnet man solche Ermittlungen jedoch als „Internal Investigations“, so erhalten sie i.d.R. eine ganz spezifische Konnotierung mit besonderen Attributen und die Betrachtung beschränkt sich auf eine bestimmte Art von Untersuchungen.[2]

 
1. Der Boom unternehmensinterner Ermittlungen in den USA

a) Die Rolle der SEC

5

Die Karriere der Internal Investigations begann in den USA, begünstigt durch das dortige verwaltungsrechtliche und auch das strafrechtliche Unternehmens-Sanktionssystem.[3] In nicht-strafrechtlicher Hinsicht bspw. sorgt die Securities and Exchange Commission (SEC) für die Durchsetzung des Wertpapierrechts und hält im Rahmen dieser Aufgabe Unternehmen dazu an, interne Ermittlungen durchzuführen. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es in den USA zu mehreren Bilanz-„Skandalen“[4], mit deren Aufklärung die SEC befasst war. Da sich die Ermittlungen sehr kostspielig gestalteten und ohne Mitwirkung der in die Vorfälle verwickelten Unternehmen zum Teil auch ineffektiv blieben, zog die Behörde Alternativen in Betracht, um das Wertpapierrecht zu angemessener Geltung zu bringen, und gab den betroffenen Unternehmen immer häufiger auf, eigene Untersuchungen durchzuführen.[5] Erstaunlicherweise traf diese Tendenz bei vielen Verfahrensbeteiligten auf Beifall. Denn wer selbst ermittelt und sich ersichtlich um die Aufklärung eines Sachverhalts bemüht, der darf – so die Vermutung – darauf hoffen, von weitergehenden Ermittlungsmaßnahmen oder Eingriffen durch die SEC selbst verschont zu bleiben.[6]

6

Die mit diesem Vorgehen erzielten Erfolge veranlassten die SEC während der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts dazu, das Selbstermittlungs-Konzept weiter auszubauen und die Anordnung von Internal Investigations avancierte nach und nach zu einer Standardauflage.[7] Nicht selten war es dabei Teil dieser Auflage, externe Berater zu den Ermittlungen hinzuzuziehen und die Resultate der SEC zur Verfügung zu stellen. Dabei nahm die SEC zunehmend Einfluss auf Art und Umfang der Untersuchungen sowie die Auswahl der hinzugezogenen externen Ermittler.[8] Behrens stellt in diesem Kontext die Beobachtung an, dass die betroffenen Unternehmen sogar vermehrt den Anordnungen der SEC zuvorkamen und bereits ohne entsprechende Aufforderung interne Untersuchungen in die Wege leiteten, um sich einen weiteren Aktionsspielraum zu erhalten.[9]

7

Unter anderem mit dem Release Nr. 44969 v. 23.10.2001[10] („Leon-Meredith-Report“) kodifizierte die SEC das Procedere unternehmensinterner Ermittlungen.[11] Damit existierten erstmalig Leitlinien für unternehmensinterne Untersuchungen, was vor allem die Ermessensausübung durch die SEC im Bezug auf die Frage, ob ein sog. Enforcement-Verfahren[12] in die Wege geleitet wird und welche zivil- oder verwaltungsrechtlichen Sanktionen in Erwägung gezogen werden, transparenter machte. In den Leitlinien fand sich unter anderem ein Hinweis auf unternehmensinterne Systeme im Bezug auf Compliance-Maßnahmen i.w.S. zum Umgang mit Regelverstößen.[13] Explizit enthalten waren dabei als Kriterien, ob die Untersuchungen durch Angestellte des Unternehmens oder externe Anwälte durchgeführt wurden,[14] ob die externen Berater bereits früher für das betroffene Unternehmen tätig waren,[15] und ob die Resultate der SEC überlassen wurden.[16]

b) Bedeutung interner Ermittlungen bei der Strafverfolgung

8

Was strafrechtliche Reaktionen anbelangt, kommt Internal Investigations ebenfalls erhebliche Bedeutung zu. Da in den USA Kriminalsanktionen auch gegen juristische Personen ausgesprochen werden können, eröffnen unternehmensinterne Ermittlungen die Möglichkeit einer Entlastung. Dies kann bereits Relevanz erlangen für die Frage, ob Anklage erhoben wird,[17] mag aber ebenso für das Strafmaß eine Rolle spielen.[18]

9

Seit dem Jahr 1999 existieren Richtlinien des US-Justizministeriums (DOJ), welche die Ermessensausübung im Bezug auf die Anklageerhebung betreffen. Darin wird insbesondere auch die Durchführung interner Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts genannt.[19] Ähnlich normieren die „Sentencing Guidelines“ für Unternehmen, die abstrakte Regelungen über Art und Höhe einer angemessenen Strafe enthalten, dass sich der sog. culpability score,[20] mithin der Verschuldensgrad, unter anderem danach bemisst, ob das Unternehmen zur Zeit des Rechtsverstoßes über effiziente Strukturen zur Verhinderung und Ermittlung von Rechtsverletzungen verfügt.[21] Internal Investigations wiederum lassen sich durchaus als essentieller Bestandteil eines solchen Systems qualifizieren.

10

Einige Autoren führen die Karriere der Internal Investigations in den USA auf das dortige „Anreizsystem“ zurück, das in abstrakt genereller Form Anreize und Drohungen enthält, die eine Durchführung von internen Ermittlungen nahe legen.[22] Diese Anreizwirkung sei empirisch belegbar und beruhe auf der Kombination aus einem hohen abstrakten Strafmaß und einem zugleich ausgeprägten Ermessensspielraum der Behörden im Bezug die Anklageerhebung und einem deswegen weit reichenden Einfluss auf das „Ob“ und „Wie“ unternehmensinterner Ermittlungen.[23]

2. Bedeutung in Deutschland

a) Gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung interner Ermittlungen?

11

Deutschland ist diesem Trend längst hinterhergelaufen. Denn auch hierzulande etablieren sich im Unternehmen zunehmend Strukturen im Bereich der Corporate Governance, die neben Compliance auch Internal Investigations einschließen. Das bedingt zunächst der Umstand, dass sich deutsche Unternehmen zunehmend am US-amerikanischen Markt bewegen bzw. an dortigen Börsen gelistet sind,[24] sich deswegen bei der SEC registrieren müssen[25] und damit in den Anwendungsbereich des dortigen Sanktionssystems geraten. Dann erlangen unternehmensinterne Ermittlungen für sie dieselbe Relevanz wie für in den USA ansässige Unternehmen, was sich freilich nicht allein auf die Geschäftstätigkeit im US-amerikanischen Raum beschränkt.[26]

12

Allerdings verfügen mittlerweile auch rein im innerstaatlichen Raum tätige Unternehmen über Risikomanagementstrategien, welche die Durchführung interner Ermittlungen beinhalten.[27] Die deutschsprachige Fachliteratur weist dabei zutreffend darauf hin, dass sich eine Pflicht zur Aufklärung von Rechtsverstößen respektive von Fehlverhalten allgemein partiell aus (kapital-)gesellschaftsrechtlichen Vorschriften wie bspw. § 91 Abs. 2 AktG ergibt.[28] Demnach hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.[29] Im Einzelnen ist zwar umstritten, welche Maßnahmen damit gemeint sind; klar ist aber zumindest, dass Vorstandsmitglieder Hinweisen jedenfalls nachzugehen haben. Eine Pflicht, Nachforschungen durch Externe vornehmen zu lassen, ergibt sich daraus aber nicht bzw. jedenfalls nur insoweit, als komplexere Rechtsfragen im Raum stehen oder die Ermittlungen aufgrund der Bedeutung der Sache einen zu großen Umfang aufweisen.[30] Relevante Regelungen finden sich auch in § 25a KWG, § 64a VAG und § 33 WpHG.

13

Außerhalb des Finanzsektors besteht jedoch kein gesetzliches Obligat, solche Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere für Gesellschaften mit beschränkter Haftung gibt es eine solche Pflicht nicht.[31] Soweit Unternehmen gleichwohl entsprechende Vorkehrungen treffen, beruht dies mutmaßlich auf der Tatsache, dass diese ein „zweckmäßiges Instrument des Krisenmanagements“ darstellen.[32] Indes beinhaltet das deutsche Recht[33] letztlich keine Vorgaben dazu, welche Maßnahmen im Einzelnen dem Bereich der Corporate Governance zuzuordnen sind und wie sie sich in einem Strafverfahren auswirken.[34]

b) Die Katalysator-Funktion des Siemens-Skandals

14

Früher kam – nicht zuletzt aufgrund der fehlenden gesetzlichen Verpflichtung hierzu – internen Ermittlungen nur wenig bis überhaupt keine Bedeutung zu.[35] Lediglich vereinzelt fanden sich Ansätze, die solchen Untersuchungen bereits einen eigenständigen Ermittlungswert sowie einige Relevanz beimessen konnten.[36] In den Fokus von Fachwelt und Öffentlichkeit rückten Internal Investigations erst durch den sog. Siemens/ENEL-Fall,[37] wobei es hier vor allem die Frage der Verwertbarkeit von im Wege interner Ermittlung erlangten Informationen in einem Strafverfahren zu beantworten galt. Da Siemens-Aktien an US-Börsen gehandelt werden, unterfällt die Siemens AG den dortigen (strafrechtlichen) Regelungswerken – insbesondere dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA).[38] Für Siemens erschien es angesichts der deswegen drohenden Sanktionierung geradezu zwingend, sich gegenüber den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden bzw. der SEC möglichst kooperativ zu verhalten und zu einer vollständigen Aufklärung des Sacherhalts durch umfassende interne Untersuchungen beizutragen.[39]

15

Der Fall Siemens/ENEL erregte im deutschsprachigen Rechtsraum beachtliches Aufsehen.[40] Vor allem die Tatsache, dass den Beteiligten hierbei (zum Teil mit Erfolg im Bezug auf ihre Mitwirkungsbereitschaft) für eine vollständige, wahrheitsgemäße Aussage eine „Amnestie“ in Aussicht gestellt wurde,[41] ließen unternehmensinterne Ermittlungen dieser Art (insbesondere nach außen hin) als ein praktikables Mittel erscheinen, um existenzbedrohend hohe Sanktionen nach US-Recht[42] zu vermeiden.[43] Im Ergebnis fiel das Auge der Öffentlichkeit mit dem Siemens-Skandal auf denjenigen Teilbereich einer jeden Unternehmensführung, der sich eigentlich als „Corporate Responsibility“[44] oder – enger – „Corporate Governance“[45] bezeichnen lässt. Geschäftspartner und Kunden ebenso wie die Öffentlichkeit insgesamt schätzen es, wenn sich die Unternehmensleitung um normkonformes Verhalten innerhalb des Betriebs bemüht und auch repressiv die Einhaltung von Mindeststandards im Bezug auf die Lauterkeit der Geschäftstätigkeit im Ganzen sichert. Dieser Effekt kann dazu beitragen, einen durch negative Publicity erlittenen Image- und Reputationsverlust auszugleichen.[46]

c) Privatisierungstendenzen im Strafverfahren und Schaffung eines Unternehmensstrafrechts

16

Zum Teil ist der „Boom“ unternehmensinterner Ermittlungen auch mit den aktuellen Privatisierungstendenzen im Strafverfahren zu erklären. Private Ermittlungen etablieren sich zunehmend auch im Ermittlungsverfahren nach dem deutschen Strafprozessrecht, etwa in Gestalt der Beiziehung privater Sachverständiger nach §§ 161a Abs. 1 S. 2 i.V.m. 73 Abs. 1 S. 1 StPO oder schlicht als eigene Ermittlungen des Beschuldigten, die dieser vornimmt, um zu seiner Entlastung beizutragen.[47] Allerdings lässt sich zugleich die Tendenz beobachten, dass zunehmend auch die Staatsanwaltschaften ihre eigene Ermittlungsaufgabe „privatisieren“.[48]

17

Speziell im Bezug auf die hier in Rede stehenden Sachverhalte werden Unternehmen aufgefordert, eigene Nachforschungen zu betreiben und zu ermitteln, ob Mitarbeitern strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Staatsanwaltschaften wird hierbei zum Teil sogar vorgeworfen, sich ihre Ermittlungsaufgabe so zu erleichtern, und ihrem Ansinnen mit dem Hinweis auf einen drohenden öffentlichen Reputationsverlust für das betreffende Unternehmen Nachdruck zu verleihen.[49] Diese Tendenz könnte man als Teil eines Entformalisierungsprozesses begreifen, der zur Verwirklichung eines „funktionalisierten Strafrechts“ beitragen mag[50] und die umstandslose und zügige Beilegung von Konflikten fördert, die im Wirtschaftsstrafrecht anderenfalls nur schwer möglich wäre.

18

Insgesamt betrachtet bleiben die Möglichkeiten gerade im strafprozessualen Ermittlungsverfahren wegen der durch das deutsche Strafprozessrecht eng gesteckten Grenzen (noch) gering. Der wesentliche oder alleinige Antrieb für die Durchführung von Internal Investigations kann somit jedenfalls nicht ausschließlich in der Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen gesehen werden.

 

19

Daneben mag der Grund für Unternehmen, eine interne Untersuchung in Auftrag zu geben, in der Abwendung unmittelbar drohender Sanktionsrisiken liegen. Gerade wenn das Unternehmen zum Adressaten von Schadensersatzansprüchen, verwaltungsbehördlichen Maßnahmen, einer Verfallsanordnung (§ 73 Abs. 3 StGB) oder einer Geldbuße (§§ 30, 130 OWiG) werden könnte, ist das erzielte Untersuchungsergebnis auch entscheidende Grundlage für die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie.[51] Wenn (sobald) für Deutschland ein schon lange in der Diskussion stehendes Unternehmensstrafrecht in Kraft tritt, wird die Bedeutung unternehmensinterner Ermittlungen weiter steigen.

Anmerkungen

[1]

Behrens RiW 2009, 22.

[2]

Siehe dazu sogleich Abschn. III und IV.

[3]

Behrens RiW 2009, 23; Theile StV 2011, 381; vgl. auch Hauschka/Moosmayer/Lösler/Wessing § 46 Rn. 2.

[4]

Behrens RiW 2009, 25 nennt hier bspw. die Watergate-Affäre, anhand derer deutlich geworden sei, dass eine Vielzahl von US-Unternehmen zu diesem Zeitpunkt in illegale Geschäfte verwickelt war, deren Aufklärung die Ressourcen der SEC zu überfordern schien. Im Rahmen eines sog. Voluntary Programs forderte die SEC daher zu selbstständigen internen Untersuchungen auf, und erbat, ihr deren Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug stellte die SEC mildere Strafen sowie ggf. einen Verzicht auf eigene Untersuchungen in Aussicht. Eingehend dazu auch Duggin Columbia Business Law Review 2003, 864; Lowell The Delaware Journal of Corporate Law 2001, 35.

[5]

Böhm WM 2009, 1923; Mathews Ohio State Law Journal 1984, 656; nach Theile StV 2011, 381 sei die Einflussnahme der SEC so weit gegangen, dass eine Kooperationsverweigerung sogar im Rahmen der Strafzumessung als für das Unternehmen nachteilig berücksichtigt wurde.

[6]

Behrens RiW 2009, 24; ähnlich Schuster NZWiSt 2012, 29, Fn. 6.

[7]

Behrens RiW 2009, 24.

[8]

Reeb Internal Investigations, S. 23.

[9]

Behrens RiW 2009, 24 f. mit Verweis auf Mathews Ohio State Law Journal 1984, 666 ff.

[10]

Bei den „releases“ handelt es sich ähnlich den BaFin-Rundschreiben um nicht rechtsverbindliche Veröffentlichungen der SEC, die u.a. dem Zweck dienen, die Marktteilnehmer über die zukünftige Verwaltungspraxis der SEC zu informieren; dazu Behrens RiW 2009, 24.

[11]

Http://sec.gov/litigation/investreport/34-44969.htm.

[12]

Behrens RiW 2009, 24.

[13]

„In brief form, we set forth below some of the criteria we will consider in determining whether, and how much, to credit self-policing, self-reporting, remediation and cooperation – from the extraordinary step of taking no enforcement action to bringing reduced charges, seeking lighter sanctions …“.

[14]

No. 10: „Did company employees or outside persons perform the review?“.

[15]

No. 10: „If outside persons, had they done other work for the company?“.

[16]

No. 8: „Did the company cooperate completely with appropriate regulatory and law enforcement bodies?“; No. 11: „Did the company promptly make available to our staff the results of its review and provide sufficient documentation reflecting its response to the situation?“; zum Ganzen Behrens RiW 2009, 25, der das Beispiel Royal Arnold nennt; ebenso Reeb Internal Investigations, 2011, S. 21.

[17]

Behrens RiW 2009, 24.

[18]

Vgl. Reeb Internal Investigations, S. 22.

[19]

Behrens RiW 2009, 25 f.; sog. Principles of Federal Prosecution of Business Organizations („Holder Memorandum“); vgl. Baker Cornell Law Review 2004, 326 f.

[20]

Reeb Internal Investigations, S. 23.

[21]

Behrens RiW 2009, 26.

[22]

Vgl. auch Hauschka/Moosmayer/Lösler/Wessing § 46 Rn. 2.

[23]

Behrens RiW 2009, 26; ebenso Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 387; Reeb Internal Investigations, S. 21; Theile StV 2011, 381.

[24]

Sog. Dual-Listing; vgl. Inderst/Bannenberg/Poppe/Görling 2010, 6. Kap. Rn. 5; Reeb Internal Investigations, S. 20; Theile StV 2011, 381.

[25]

Hauschka/Moosmayer/Lösler/Wessing § 46 Rn. 5; Senderowitz/Ugarte/Cortez wistra 2008, 281.

[26]

Behrens RiW 2009, 26.

[27]

Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 388.

[28]

Behrens RiW 2009, 26; Inderst/Bannenberg/Poppe/Görling 2010, 6. Kap. Rn. 7; Reeb Internal Investigations, S. 25 („kodifizierte business judgement rule“); Schaefer/Baumann NJW 2011, 3601; eingehend zum Umfang der aus § 93 AktG folgenden Pflichten Fleischer CCZ 2008, 1 ff., 4 f.

[29]

Bspw. § 25a Abs. 1 KWG und § 44 Abs. 1 KWG, dazu Reeb Internal Investigations, S. 25; ausführlich zu spezialgesetzlichen Compliance-Vorschriften Schaefer/Baumann NJW 2011, 3602 ff.; siehe zu Compliance-relevanten Vorschriften des Wertpapierrechts eingehend Hense/Renz CCZ 2008, 182 ff.; Bussmann/Matschke CCZ 2009, 132 nennen ferner § 64a VAG.

[30]

Behrens RiW 2009, 26.

[31]

Schaefer/Baumann NJW 2011, 3601.

[32]

Momsen ZIS 2011, 511; Inderst/Bannenberg/Poppe/Görling 2010, 6. Kap. Rn. 7 mit dem Hinweis auf mögliche negative Auswirkungen im Bezug auf die Loyalität auch anderer Mitarbeiter.

[33]

Dasselbe gilt für bundesweite Regelungen außerhalb von formellen Gesetzen wie bspw. dem einschlägigen BaFin-Rundschreiben 4/2010 (WA) zu den Mindestanforderungen der Compliance-Funktion und den weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (MaComp).

[34]

Reeb Internal Investigations, S. 26.

[35]

Vgl. nur Krey Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 103; dazu Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 387.

[36]

Hassemer/Matussek Das Opfer als Verfolger, Ermittlungen des Verletzten im Strafverfahren, S. 75.

[37]

BGHSt 52, 323; vgl. auch Greco/Caracas NSTZ 2015, 7; Hauschka/Moosmayer/Lösler/Wessing § 46 Rn. 3.

[38]

Böhm WM 2009, 1923 (dort insbesondere Fn. 3); Inderst/Bannenberg/Poppe/Görling 2010, 6. Kap. Rn. 11; siehe dazu auch Partsch The Foreign Corrupt Practises Act (FCPA) der USA; ferner Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 387; Reeb Internal Investigations, S. 21; Schulte/Görts RiW 2006, 561; Theile StV 2011, 381.

[39]

Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 387. Zu weiteren bekannten Fällen Theile/Gatter/Wiesenack ZStW 2015, 803.

[40]

Der Fall hatte eine wahre Literaturflut zur Folge, s. nur statt Vieler: Fischer NStZ 2009, Sonderheft, 8 ff.; Jahn StV 2009, 41 ff.; Knauer NStZ 2009, 151 ff.; Michalke StV 2011, 492 ff.; Rönnau StV 2009, 246 ff.; Satzger NStZ 2009, 297 ff.; Schünemann StraFo 2010, 1 ff.; vgl. auch Bock ZIS 2009, 68; Böhm WM 2009, 1923; Dann/Schmidt NJW 2009, 1851.

[41]

Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 388.

[42]

Die Siemens AG akzeptierte ein Bußgeld in Höhe von 395 Mio. EUR, vgl. http://w1.siemens.com/press/pool/de/events/2008-12-PK/MucStaats.pdf; in dem Fall SEC/Daimler Chrysler sollen Vergleichszahlungen in Höhe von 640 Mio. EUR gezahlt worden sein, so Jahn StV 2009, 41, Fn. 10; s. auch Knauer/Buhlmann AnwBl 2010, 387, Fn. 6, sowie Schulte/Görts RiW 2006, 561.

[43]

Siehe zu den Gründen für interne Ermittlungen unten Rn. 61 ff.

[44]

Zum Begriff Inderst/Bannenberg/Poppe/Schwenker 4. Kap. Rn. 204.

[45]

Siehe Inderst/Bannenberg/Poppe/Flitsch 2. Kap. Rn. 84.

[46]

Vgl. auch Klengel/Mückenberger CCZ 2009, 81; Schuster NZWiSt 2012, 29.

[47]

Brunhöber GA 2010, 571.

[48]

Schneider NZG 2010, 1202; ähnlich Inderst/Bannenberg/Poppe/Görling 2010, 6. Kap. Rn. 26.; Greeve StraFo 2013, 89 ff.; ferner MAH-Strafverteidigung/Bosbach § 55 Rn. 348.

[49]

Schneider NZG 2010, 1202.

[50]

NK-StGB/Hassemer/Neumann Vor § 1 Rn. 348.

[51]

Siehe MAH-Strafverteidigung/Bosbach § 55 Rn. 74; vgl. auch Peukert/Altenburg BB 2015, 2822 ff.