Internal Investigations

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bb) § 116 HGB: Umfang der Geschäftsführungsbefugnis

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Hinsichtlich der Befugnis der Geschäftsführung zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen ist stets auch die Regelung des § 164 S. 1 HGB i.V.m. § 116 HGB zu beachten.

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Bei außergewöhnlichen Geschäften, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen, bedürfen die Geschäftsführer der Zustimmung aller Kommanditisten, § 164 S. 1 HGB i.V.m. § 116 HGB.[224] Ob die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen ein gewöhnliches Geschäft i.S.d. § 116 Abs. 1 oder ein ungewöhnliches Geschäft i.S.d. § 116 Abs. 2 HGB ist, ist bislang nicht geklärt. Gewöhnliche Geschäfte sind solche, die bei einem Handelsgewerbe, wie es die Gesellschaft betreibt, normalerweise vorkommen können.[225] Allgemein wird angenommen, dass alle Formen der Prozesstätigkeit sowie die Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft grundsätzlich als gewöhnliche Geschäfte anzusehen sind.[226] Allerdings soll die Grenze zum außergewöhnlichen Geschäft überschritten sein, wenn ein bestimmtes Verfahren zu einem sehr großen wirtschaftlichen Risiko der Gesellschaft führen kann, wodurch die künftigen Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft möglicherweise stark beeinträchtigt werden.[227] Ungewöhnlich sind Geschäfte, die nach Inhalt, Zweck und Umfang oder nach ihrer Bedeutung und den mit ihnen verbundenen Gefahren über den gewöhnlichen Rahmen des bisherigen Geschäftsbetriebs der Gesellschaft hinausgehen und damit Ausnahmecharakter besitzen.[228] Gemeinhin werden solche Geschäfte als außergewöhnlich angesehen, aus denen sich erhebliche Risiken für die Gesellschaft ergeben können.[229]

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Zwar lässt sich argumentieren, dass die Anordnung und Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen beim Verdacht von Compliance-Verstößen eine gewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme darstellt, da die Geschäftsführung hierdurch lediglich die Einhaltung der geltenden Gesetze überprüfen will und so ihren Sorgfaltspflichten nachkommt. Jedenfalls für solche Fälle, in denen sich aufgrund eines vermuteten oder tatsächlich festgestellten Verstoßes ein erhebliches Risikopotenzial für die Gesellschaft herauskristallisiert, kann die Grenze zum außergewöhnlichen Geschäft jedoch schnell überschritten sein. Zu beachten ist auch, dass sich das tatsächliche Ausmaß etwaiger Verstöße zu Beginn einer Untersuchung häufig noch gar nicht absehen lässt. Von daher spricht viel dafür, dass die Geschäftsführung der GmbH & Co. KG beim Verdacht auf schwerwiegende Verstöße die Zustimmung der Gesellschafter einholen muss.

cc) Regelungen im Gesellschaftsvertrag

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Die Kompetenzen der Geschäftsführung werden in der Praxis regelmäßig durch Regelungen des Gesellschaftsvertrages definiert, vgl. §§ 161 Abs. 2, 109 HGB. Üblicherweise enthält der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co. KG detaillierte Regelungen zur Geschäftsführungsbefugnis, so dass sich der konkrete Umfang der Geschäftsführungsbefugnis erst aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt.[230] Zu beachten ist, dass der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co. KG auch die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH bindet. Die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH haben nicht nur die in der Satzung der Komplementär-GmbH enthaltenen Regelungen zu beachten, sondern auch diejenigen, die der Komplementär-GmbH als Geschäftsführerin der GmbH & Co. KG auferlegt sind.[231] Zumeist enthält der Gesellschaftsvertrag umfassende Kataloge mit Handlungen, zu denen die Geschäftsführung die Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder – soweit vorhanden – des Beirats oder Aufsichtsrats benötigt.

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Im Hinblick auf die Kompetenz zur Anordnung und Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen sind daher zunächst stets die Regelungen des jeweiligen Gesellschaftsvertrages zu prüfen.

dd) § 130 OWiG

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Ebenso wie bei der AG und der GmbH kann das Recht und die Pflicht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen auch aus der in § 130 OWiG statuierten Aufsichtspflicht der Geschäftsführung abgeleitet werden. Die Ausführungen zur AG und GmbH gelten für die GmbH & Co. KG entsprechend.

b) Beirat

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Die GmbH & Co. KG kann einen fakultativen Beirat oder Aufsichtsrat[232] einrichten. Je nach der konkret zugewiesenen Aufgabe wird der Beirat entweder bei der Kommanditgesellschaft, bei der Komplementär-GmbH oder sogar bei beiden Gesellschaften verankert. Eine Verankerung bei der Komplementär-GmbH ist immer dann notwendig, wenn der Beirat umfassende Weisungs- und Kontrollbefugnisse gegenüber den Geschäftsführern der Komplementär-GmbH erhalten soll.[233] Möglich ist sowohl die gesellschaftsvertragliche, als auch die schuldrechtliche Verankerung des Beirats. Der gesellschaftsrechtliche Beirat wird durch eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag begründet.[234] Der schuldrechtliche Beirat wird hingegen durch einen schuldrechtlichen Vertrag zwischen Gesellschaft und den Beiratsmitgliedern errichtet. Der schuldrechtliche Beirat ist allerdings kein Organ der Gesellschaft und es fallen ihm keine unmittelbaren Mitwirkungsbefugnisse zu.[235] Der schuldrechtliche Beirat kann daher für die hier untersuchte Frage der Kompetenz bei unternehmensinternen Untersuchungen außer Betracht bleiben.

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Unter den Voraussetzungen des §§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 MitbestG muss die Komplementär-GmbH einen obligatorischen Aufsichtsrat einrichten. In diesem Fall sind im Vergleich zum fakultativen Beirat zwingende Regelungen zu beachten.

aa) Fakultativer Beirat

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Der fakultative Beirat bei der GmbH & Co. KG ist gesetzlich nicht geregelt. Die konkreten Aufgaben des Beirats können im Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co. KG individuell festgelegt werden, §§ 161 Abs. 2, 109 HGB. Häufig ist vorgesehen, dass dem Beirat – ähnlich dem Aufsichtsrat in der AG – Befugnisse zur Kontrolle der Geschäftsführung übertragen werden. Häufig werden auch die Rechte der Gesellschafterversammlung weitestgehend auf den Beirat übertragen und Zustimmungserfordernisse des Beirats zu bestimmten Geschäftsführungsmaßnahmen begründet.[236] Die konkreten Befugnisse des Beirats im Zusammenhang mit unternehmensinternen Untersuchungen richten sich somit stets nach den jeweiligen Regelungen des Gesellschaftsvertrages. Diese hängen auch davon ab, welche Aufgabe dem jeweiligen Beirat zugedacht ist.

(1) Beirat mit bloßer Beratungsfunktion

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Fallen dem Beirat lediglich reine Beratungsaufgaben zu, wird er im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen allenfalls zur Beratung eingebunden werden können. In diesen Fällen wird der Beirat mangels ausdrücklicher gesellschaftsvertraglicher Regelungen auch keine Informations- und Einsichtsrechte und daher auch keine Befugnisse bzgl. unternehmensinterner Untersuchungen haben.

(2) Beirat mit Überwachungsfunktion

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Sind dem Beirat aufsichtsratsähnliche Aufgaben übertragen und ist er zur Überwachung der Geschäftsführung verpflichtet, so wird die Geschäftsführung den Beirat über anstehende unternehmensinterne Untersuchungen und deren Fortschritt unterrichten müssen. In diesen Fällen stehen dem Beirat auch ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelungen grundsätzlich die Informations- und Kontrollrechte gem. § 52 GmbHG i.V.m. § 90 AktG zu.[237] Die Kontrollbefugnis des Beirats erstreckt sich inhaltlich auf sämtliche Maßnahmen, die materiell zur Geschäftsführung zählen.[238] Einem Beirat mit aufsichtsratsähnlichen Funktionen wird man daher jedenfalls ein Recht auf regelmäßige Berichterstattung zubilligen können.[239] Auf Anforderung ist die Geschäftsführung somit verpflichtet, den Beirat über die (anstehende) Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen zu informieren. Insoweit wird auf die obige Darstellung bei der AG zu § 90 AktG verwiesen.[240]

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Nicht selten sehen Gesellschaftsverträge auch vor, dass bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen der vorherigen Zustimmung des Beirats bedürfen. Regelmäßig ist dies für außergewöhnliche Geschäfte i.S.d. § 116 Abs. 2 HGB der Fall. Entsprechend dem oben Gesagten wird in diesen Fällen die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung dem Zustimmungserfordernis durch den Beirat unterfallen.

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Sind dem Beirat sogar weitgehende Weisungsbefugnisse eingeräumt, so kann dieser die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auffordern, unternehmensinterne Untersuchungen einzuleiten. Ist der Beirat bei der Komplementär-GmbH und nicht bei der Kommanditgesellschaft verankert, ist jedoch zu beachten, dass die Weisungsbefugnisse des Beirats dann nicht weiter reichen können, als die Befugnisse, die der Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft ihren Gesellschaftern und damit auch der Komplementär-GmbH einräumt.[241]

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Grundsätzlich treffen die Mitglieder des Beirats Treue- und Sorgfaltspflichten gegenüber der GmbH & Co. KG.[242] Jedenfalls soweit dem Beirat Aufsichts- und Kontrollpflichten entsprechend denen eines Aufsichtsrats bei der AG zufallen, wird man von dessen Verpflichtung ausgehen können, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften „Geschäftsleiters“ anzuwenden.[243] Demnach müsste der Beirat bei Erkenntnissen über mögliche Gesetzesverstöße die Geschäftsführung zur Einleitung einer Untersuchung auffordern. Bei einem aufsichtsratsähnlichen Beirat lässt sich eine solche Verpflichtung in entsprechender Anwendung aus den §§ 116, 93 Abs. 1 AktG ableiten.[244] Ob eine solche Verpflichtung besteht, hängt jedoch maßgeblich von der konkreten Aufgabenstellung des jeweiligen Beirats ab.[245]

 

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Darüber hinaus ist der Beirat ohne eine explizite Regelung im Gesellschaftsvertrag nicht berechtigt, unternehmensinterne Untersuchungen an der Geschäftsführung vorbei selbst durchzuführen. Unternehmensinterne Untersuchungen sind als Teil der Geschäftsführung der GmbH & Co. KG anzusehen, welche grundsätzlich der Komplementärin obliegt.[246] Allerdings kann der Gesellschaftsvertrag dem Beirat auch konkrete Befugnisse zur Vornahme von Geschäftsführungsmaßnahmen einräumen.[247]

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Es ist auch möglich, dass dem Beirat durch gesellschaftsvertragliche Regelungen konkrete Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden.[248] Diese führen dazu, dass die Geschäftsführung den Beirat auffordern kann, eine Entscheidung über bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen zu treffen.[249] Dies kann auch die Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen umfassen (Rn. 32).

bb) Obligatorischer Aufsichtsrat

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Verfügt die GmbH & Co. KG nach § 1 Abs. 1, § 6 Abs. 1 MitBestG über einen obligatorischen Aufsichtsrat, so richten sich dessen Rechte und Pflichten nach § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitBestG nach den Vorschriften des AktG. Im Hinblick auf die Rechte und Pflichten des obligatorischen Aufsichtsrats im Zusammenhang mit unternehmensinternen Untersuchungen wird insoweit auf die Ausführungen zu den Befugnissen des Aufsichtsrats der AG verwiesen.

c) Gesellschafter

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Die Rechtsverhältnisse der Gesellschafter untereinander bestimmen sich vorrangig nach dem Gesellschaftsvertrag, § 109 HGB. In der Praxis sind die Rechte und Pflichten aller Gesellschafter daher regelmäßig weitgehend geregelt. Fehlen entsprechende Regelungen, haben die Kommanditisten allerdings nur sehr wenige Befugnisse.

aa) Zustimmungserfordernisse und Weisungsrecht

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Nach dem gesetzlichen Leitbild sind bei der GmbH & Co. KG nur die Komplementäre zur Geschäftsführung berechtigt. Die Kommanditisten sind hingegen von der Geschäftsführung ausgeschlossen, § 164 HGB. Wie dargestellt, bedarf es jedoch bei außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen eines Beschlusses aller Gesellschafter und somit auch der Kommanditisten. Auch, wenn der jeweilige Gesellschaftsvertrag keine expliziten Regelungen vorsieht, wird man jedenfalls bei solchen unternehmensinternen Untersuchungen, die nach Art und Umfang von wesentlicher Bedeutung für die Gesellschaft sind und ein nicht unerhebliches Risiko für den Fortbestand der Gesellschaft darstellen, von einer außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahme sprechen können. In diesen Fällen sind mangels anderweitiger gesellschaftsvertraglicher Regelung die Kommanditisten zur Entscheidung berufen.

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Die Kommanditisten der GmbH & Co. KG haben – anders als die Gesellschafter bei der GmbH – mangels gegenteiliger gesellschaftsvertraglicher Regelungen kein Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung.[250]

bb) Auskunfts- und Informationsrechte

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In der gesetzestypischen GmbH & Co. KG haben die Kommanditisten nur sehr eingeschränkte Auskunfts- und Informationsrechte. Nach § 166 Abs. 1 HGB sind die Kommanditisten berechtigt, eine Kopie des Jahresabschlusses zu verlangen und dessen Richtigkeit unter Einsicht der Bücher und Papiere zu prüfen. Weitergehende Informationsrechte stehen den Kommanditisten nach § 166 Abs. 2 HGB hingegen nicht zu. Darüber hinaus erstreckt sich das Kontroll- und Informationsrecht der Kommanditisten auch auf die Unterlagen der Komplementär-GmbH, soweit dies zur Ausübung des Einsichtsrechts aus § 166 Abs. 1 HGB erforderlich ist.[251] Soweit die Kommanditisten der GmbH & Co. KG auch Gesellschafter der Komplementär-GmbH sind, vertritt die herrschende Meinung in der Literatur die Ansicht, dass die Kommanditisten in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter der Komplementär-GmbH über das Auskunfts- und Einsichtsrecht nach § 51a GmbHG nicht nur entsprechende Auskünfte über die Komplementär-GmbH, sondern auch über die GmbH & Co. KG erhalten dürfen.[252]

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Im Hinblick auf unternehmensinterne Untersuchungen stellen die Auskunfts- und Einsichtsrechte der Kommanditisten letztlich jedoch nur ein sehr beschränktes Mittel dar. Soweit der jeweilige Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co. KG keine detaillierten Regelungen zu Art und Umfang von Informationsrechten und Weisungsrechten enthält, bleibt den Kommanditisten lediglich die Möglichkeit, sich über den Stand etwaiger Untersuchungen zu informieren.

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In der Praxis enthalten die meisten Gesellschaftsverträge der GmbH & Co. KG detaillierte Regelungen, durch die den Kommanditisten über das Gesetz hinausgehende weitreichende Geschäftsführungs-, Weisungs- und Informationsrechte gegenüber der Komplementär-GmbH eingeräumt werden.[253] Im Regelfall sind daher die Kompetenzen der Kommanditisten auch im Hinblick auf unternehmensinterne Untersuchungen den individuellen gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu entnehmen.

5. Im Konzern

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Die Konzernstruktur ist entscheidend für die Berechtigung und Verpflichtung zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen. In einem Konzern, bestehend aus mehreren Tochter- und Enkelgesellschaften, sind in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform der Vorstand bzw. die Geschäftsführung für die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen prinzipiell zuständig. Von besonderem Interesse sind indessen Situationen, wenn die Unternehmensleitung oder der Aufsichtsrat einer untergeordneten Gesellschaft trotz prinzipieller Verpflichtung keine unternehmensinterne Untersuchung durchführt oder wenn die übergeordnete Gesellschaft gegen den Willen der untergeordneten Gesellschaft eine Untersuchung durchführen möchte, obwohl keine bzw. keine eindeutige Verpflichtung der untergeordneten Gesellschaft hierzu festzustellen ist. Diese Probleme sind anhand der generellen Rechte- und Pflichtenverteilung der Muttergesellschaft gegenüber ihren Tochter- und Enkelgesellschaften aufzulösen. So ist für die Beurteilung, ob eine Einflussnahme der Unternehmensleitung der Muttergesellschaft möglich ist, die Art der Konzernierung die Gesellschaftsform maßgeblich.[254]

a) Generelle Verpflichtung zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen im Konzern

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Die generelle Verpflichtung zur Durchführung konzernweiter unternehmensinterner Untersuchungen ergibt sich wie schon bei Einzelgesellschaften aus der allgemeinen Leitungs- und Compliance-Verantwortung. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass jedes Unternehmen zu gesetzeskonformem Verhalten verpflichtet ist.[255] Da die Verpflichtung zu gesetzeskonformem Verhalten für jede Tätigkeit gilt, hat somit die Muttergesellschaft auch bei der Konzernleitung auf gesetzeskonformes Verhalten zu achten.[256] Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob die Konzernleitung zentral oder dezentral ausgeübt wird, da die Unternehmensleitung die Verantwortung trifft, jegliche Schäden aller Art zu Lasten des eigenen Unternehmens – und damit des gesamten Konzerns – abzuwenden. Neben finanziellen Schäden gehören hierzu auch Reputationsschäden.[257] Verhält sich ein Tochter- oder Enkelunternehmen rechtswidrig, kann das auf die Muttergesellschaft zurückfallen, weswegen aus der originären Compliance-Verantwortung für das herrschende Unternehmen stets auch eine Compliance-Verantwortung für den gesamten Konzern entsteht.[258] Allerdings muss stets die Konzernstruktur beachtet werden. Ein Konzern besteht aus mehreren rechtlich eigenständigen Unternehmen, die jeweils von einer eigenen Unternehmensleitung geführt werden. Jede Unternehmensleitung eines Konzernunternehmens ist deshalb auch innerhalb eines Konzerns mit seinen unterschiedlichen Ebenen zunächst für das eigene Unternehmen zuständig. Insbesondere hat eine Tochter- oder Enkelgesellschaft keine direkten Ansprüche gegen die Unternehmensleitung der Muttergesellschaft, es sei denn, diese ergeben sich aus der besonderen Konzernstruktur und vertraglichen Verpflichtungen. Somit besteht zwar eine grds. Verpflichtung zur Sicherstellung gesetzeskonformen Verhaltens der Unternehmensleitung der Muttergesellschaft gegenüber der Muttergesellschaft selbst. Es besteht hingegen keine unmittelbare Verpflichtung der Unternehmensleitung gegenüber den untergeordneten Tochter- oder Enkelgesellschaften, da die Unternehmensleitung stets nur ihrer eigenen Gesellschaft gegenüber gesellschaftsrechtlich verpflichtet sein kann. Dies bedeutet, dass die Tochtergesellschaften keine Ansprüche gegen die Konzernleitung haben, Verstöße aufzuklären oder dagegen vorzugehen.[259] Die Verpflichtung gegenüber der Muttergesellschaft beinhaltet aber, für eine konzernweite Gesetzeseinhaltung zu sorgen.[260]

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In der Praxis ist eine konzernweite Compliance-Organisation die Regel. So hat eine Umfrage unter DAX-Unternehmen ergeben, dass etwa 95 % der Unternehmen einen zentralen Chief Compliance Officer bestellt haben, der in der überwiegenden Zahl der Fälle gleichzeitig Chefjustiziar des Unternehmens ist. Der Vorstand kann sich dadurch aber selbstverständlich nicht von seiner originären Pflicht zur Wahrnehmung der Compliance in seinem Unternehmen als Teil seiner Unternehmensleitungspflicht befreien.

aa) Konzernspezifische Vorschriften

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Die oben bei der AG dargestellten Begründungsansätze für Compliance-Verpflichtungen der Unternehmensleitung werden grundsätzlich auch für den Konzern vertreten.

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Eine konzernweite Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen wird ausdrücklich durch § 25a KWG im Bankaufsichtsrecht und § 15 des Geldwäschegesetzes (GWG) bejaht, die den gesamten Konzern in die interne Unternehmensüberwachung und Organisationspflicht einschließen.[261] Außerdem wird vertreten, der Gesetzgeber habe mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) klargestellt, dass die interne Unternehmensüberwachung und die Organisationspflicht nach § 91 Abs. 2 AktG den gesamten Konzern umfasse.[262] Ähnlich verhält es sich mit dem Risikofrüherkennungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG, aus welchem teilweise eine konzerndimensionale Compliance-Pflicht abgeleitet wird.[263] Teilweise wird eine Compliance-Verpflichtung auch aus der organschaftlichen Leitungssorgfalt der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG abgeleitet.[264] Durch die Verpflichtung zum pfleglichen Umgang mit dem Beteiligungsbesitz der Konzernmutter ist der Vorstand der Muttergesellschaft verpflichtet Rechtsverstöße bei Tochtergesellschaften zu verhindern, die zu Vermögensschäden und Reputationseinbußen der Muttergesellschaft führen können.[265] Das Gleiche gilt auch für die GmbH.[266] Von einer konzernweiten Compliance-Verantwortung geht schließlich auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) aus: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“[267]

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Die Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen gilt auch für Enkelgesellschaften, sofern die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft gegeben ist. Hierbei kommt es wiederum auf die Konzernierung und die Gesellschaftsform der Gesellschaft an, ob die Pflicht zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung besteht.