Wolf Breed - David (Band 7)

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Wolf Breed - David (Band 7)
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Alexa Kim

Wolf Breed - David (Band 7)

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Epilog

Bisher erschienen von Alexa Kim

Impressum neobooks

1.

Lianne

Meine Augen verfolgten die Libellen vor meinem geöffneten Fenster. Die Farben ihrer Flügel schillerten in allen Farben, und einige von ihnen verharrten schwirrend in der Luft des Spätsommerabends. Die Weinberge, die das Château umgaben, wurden von der Abendsonne in rötlich organgenes Licht getaucht. In ein paar Wochen würde die Traubenlese beginnen, und dann würde das Lachen der Arbeiter bis an mein Fenster dringen ...

Der kleine Ort Begoise war zwar auf kaum einer Landkarte zu finden, aber trotzdem für seinen Wein berühmt. Das Château wirkte wie aus einer romantischen Malerei. Ich fühlte mich hier zu Hause – es war viel besser, als der Ort, an dem ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr gelebt hatte. Meine Erinnerungen an das Apartment in dem Londoner Außenbezirk, in dem hauptsächlich Arbeitslose und Kriminelle lebten, waren verblasst. Ich wusste noch, dass ich im Winter gefroren habe, weil der Vermieter die Heizkosten gar nicht oder nur für drei Monate bezahlte und regelmäßig Strom und Gas abgestellt wurden. Ich erinnerte mich auch noch an den Blick aus dem Fenster … die schmuddelige Straße, auf der Drogenabhängige und Dealer ihren Geschäften nachgingen und die dunkle Seitengasse mit der flackernden Laterne, in die meine Mutter im Sommer ihre Freier geschleppt hat, um für ein paar Euro mit ihnen Sex zu haben … Ich kann mich nicht mehr erinnern, wohin sie die Männer im Winter gebracht hat. Ich müsste mich eigentlich an viel mehr erinnern, immerhin war ich schon Zwölf, aber vielleicht hat mein Verstand dieses Leben vor Begoise und dem Château, einfach weggesperrt, weil es so trostlos war.

Alles änderte sich an dem Tag, als ich Adrian begegnete. Obwohl es sieben Jahre her ist, erinnere ich mich an diesen Augenblick, als wäre es gestern gewesen – die gerissenen Henkel der Tüte, mein entsetztes Gesicht, als die Einkäufe, die ich von unserem knappen Geld gekauft hatte, auf die Straße rollten … das Spritzen der reifen Orange, als das Auto darüber fuhr und die zerbrochenen Eier auf der Straße. Ich erinnere mich, dass ich verzweifelt überlegt habe, was wir die nächsten Tage essen würden …

Dann stand Adrian vor mir – groß, breitschultrig, mit einer gesunden Sommerbräune, die zum kalten Londoner Regenwetter nicht so recht passen wollte. Er lächelte mich an, und sprach mit französischem Akzent … Ich war kein naives Mädchen, das behütet aufgewachsen war und ich wusste, was Männer von Frauen wollen … und was sie von sehr jungen Mädchen wollen. Ich überlegte, einfach weglaufen, als Adrian mir einen Hundert Euro Schein entgegenhielt. Ich weiß nicht, warum ich es nicht getan habe … etwas hat mich zurückgehalten, und das war mein Glück. Adrien wollte nicht mich … auf jeden Fall nicht für sich, wie sich später herausstellte. Er ging mit mir zurück in den Supermarkt und schleppte dann zwei gefüllte Tüten in unser winziges Apartment. Dort eröffnete er meiner Mutter, dass er mir eine bessere Zukunft bieten konnte … mit Bildung und Sicherheit. Es war nicht besonders schwer, meine Mutter zu überzeugen – sie hatte genug Probleme ohne mich … und es war nicht schwer für Adrien, mir eine neue Identität zu verschaffen. Bis heute weiß ich nicht, wie er das hinbekommen hat oder wie meine Mutter der Schule und dem Jugendamt klarmachen konnte, dass ich plötzlich nicht mehr da war. Aber es kam nie jemand, der nach mir gesucht hat, seit ich in Begoise lebe ...

Adrian hat alle seine Versprechen gehalten. Ich nehme an, dass ich mittlerweile auch Männer in der dunklen Gasse mit der flackernden Laterne bedienen würde, wenn Adrian mich damals nicht gefunden hätte. Er hat mir sogar einen neuen Namen gegeben – Lianne. Ich gehöre in dieses Château, genau wie die anderen Frauen, die hier leben … und doch bin ich anders als sie. Adrian hat mich von Anfang an auf eine besondere Aufgabe vorbereitet.

„Sieh dich an, Lianne ...“, hat er zu mir gesagt, als er mich in dieses Zimmer gebracht hat. Er schob mich vor den großen Spiegel mit dem verzierten Goldrahmen und lächelte. „Du wirst eine Schönheit sein … und dir wird eine ganz besondere Aufgabe zuteilwerden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Du musst lernen, wie man spricht, wie man geht, wie man sich unterhält, wie man lächelt … und du musst lernen, wie man dient.“

Ich habe Adriens Worte damals nicht verstanden, aber ich fing an, die anderen Frauen zu beobachten und mit mir zu vergleichen. Sie alle waren Schönheiten und die Kunden, die ins Château kamen, hatten nichts mit den ungepflegten Männern gemeinsam, die meine Mutter mit in die Gasse nahm.

Als ich Dreizehn war, konnte ich endlich selbst sehen, was Adrien meinte. Das runde Mädchengesicht begann sich zu formen und ebenmäßig zu werden. Die grünen Augen bekamen einen besonderen Ausdruck. Ich lernte, durch einen einzigen Augenaufschlag die Aufmerksamkeit der Männer auf mich zu ziehen, auch wenn sie gerade noch eine andere angesehen hatten; und ich schenkte allen ein Lächeln … einfachen Arbeitern von den Weinbergen oder reichen Männern, die das Château besuchten, um der Eintönigkeit ihrer Ehe zu entkommen.

Adrien unterstützte meine Entwicklung, achtete aber darauf, dass keiner dieser Männer mir zu nah kam. „Du bist nicht für sie bestimmt …“, war seine Begründung.

„Aber für wen bin ich bestimmt?“, fragte ich ihn dann. Seine Antwort blieb vage.

„Für einen besonderen Mann … für ihn habe ich dich gefunden, und er bezahlt für das alles hier ...“

Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass Adrien mir nicht aus reiner Gutmütigkeit dieses Leben ermöglichte. Ich war nicht schockiert darüber – wie gesagt, war ich nie ein behütetes und naives Mädchen gewesen. Trotzdem begann ich mir Gedanken zu machen, wer dieser besondere Mann war ... wann ich ihn kennenlernen würde … ob er alt oder jung war … ob ich ihn mögen würde ...

Adrian gab mir auch auf diese Fragen nur ausweichende Antworten: „Bald …“ oder „Er ist anders als andere Männer … ich bin sicher, dass du ihm gefallen wirst.“

Aber wird er mir gefallen?! … war ich dann versucht, zu fragen. Ich wusste allerdings, dass ich keine Antwort darauf bekommen würde, weil es unerheblich war … weil ich diesem Mann längst gehörte ...

Es war ein Zufall, dass ich in dieser einen Nacht nicht schlafen konnte und an meinem Fenster stand, als ein dunkler Mercedes vor dem Château vorfuhr. Als ein Mann ausstieg und Adrien ihn begrüßte, wusste ich, dass Er es war … der Mann, der für mich bezahlt hatte. Er sah einen kurzen Augenblick hoch zu mir, sodass ich erkennen konnte, dass er jung war und dunkle Haare hatte. Unsere Blicke trafen sich für einen Augenblick, als hätte er bemerkt, dass ich ihn ansehe … und in diesem Moment hatte ich hatte das Gefühl, die Zeit würde stehen bleiben! Seine Augen hatte etwas Fremdes, das ich nicht fassen konnte. Trotzdem zogen sie mich in ihren Bann. Über meinen Rücken lief ein seltsames Kribbeln. Am liebsten hätte ich das Fenster geöffnet und mit ihm gesprochen, aber ich war dazu erzogen worden, derartige Dinge nicht zu tun. Trotzdem ... ich wusste, dass er es war. Adrien hatte die Wahrheit gesagt … er war etwas Besonderes.

An diesem Abend war ich mir sicher, dass er gekommen war, um mich zu holen.

Doch der nächste Tag verging, ohne dass etwas geschah, und einen Tag später war der Mercedes verschwunden …

„Lianne ...“, holte mich Adriens Stimme aus meinen Gedanken.

Sofort wandte ich mich von den Libellen ab, um ihn anzulächeln. Ich wusste, dass er es mochte, wenn ich lächelte. Allen Männern gefiel mein Lächeln.

„Du bist wunderschön, Lianne … und du weißt es ...“ Er kam zu mir und setzte sich neben mich auf das Fensterbrett. „Zieh heute Abend ein schönes Kleid an … du wirst mit mir zu Abend essen.“

Mein Herz begann schneller zu schlagen. Adrien aß selten mit mir zu Abend. „Welches Kleid soll ich tragen?“

„Das ist deine Entscheidung …“

„Natürlich ...“, antwortete ich lächelnd. Adrien hatte die kostspieligsten Lehrer auf das Château geholt, damit sie mich unterrichteten … ich war geformt und geschliffen worden, wie ein Edelstein. „Ich werde dich nicht enttäuschen ...“, sagte ich deshalb und senkte den Blick auf meine Hände, wie es mir meine Benimmlehrerin Madame Vailles beigebracht hatte.

„Da bin ich mir sicher, Lianne … denn heute Abend entscheidet sich deine Zukunft…“ Adrien stand auf und sah mich an, wie ein strenger Vater seine Tochter. „Er wird viel von dir erwarten, aber ich bin sicher, du bist vorbereitet auf einen Mann wie ihn ...“

David

 

Als das Château in Sicht kam, erinnerte ich mich an das Gesicht des Mädchens am Fenster. Es war Nacht gewesen, als ich sie gesehen hatte ... trotzdem war jede Einzelheit ihrer Gesichtszüge in meinem Gedächtnis eingeprägt. Adrien hatte nicht zu viel versprochen, was sie anging. Ich war sehr jung gewesen, als ich ihm den Auftrag gegeben hatte, eine Frau für mich zu finden, die meinen Vorstellungen entsprach. Zuallererst war es eine trotzige Reaktion auf die Entscheidung meiner Eltern gewesen, für mich eine passende Gefährtin zu finden. Sollten sie mir doch eine Gefährtin suchen … binden würde ich mich allerdings nicht an sie!

Alles vorbei … mein gesamtes Leben lag in Trümmern. Ich war nicht mehr der Erbe von Carpenter Investigations. Jetzt war ich nur noch der Sohn eines Betrügers, der sich auf verabscheuungswürdige Art an der Arbeit eines anderen bereichert hatte. Ich war ein Nichts … zugegeben noch immer ein sehr reiches Nichts, aber für meine Familie und deren Fortbestand bedeutungslos.

Nachdenklich betrachtete ich Manon, die neben mir in der Limousine saß. Eigentlich konnte ich mich nicht beschweren. Ich hatte alles, was ich mir früher so sehr gewünscht hatte … inklusive meiner Freiheit. Die lästigen Verpflichtungen, Carpenter Investigations zu übernehmen, war ich los, Manon war eine angenehme Begleitung, die sich tagsüber um meinen Londoner Haushalt kümmerte und nachts um meine anderen Bedürfnisse. Mir war klar, dass Manon hoffte, ich würde mich an sie binden, nachdem Marcus sich für Kandy entschieden hatte. Aus Bequemlichkeit hatte ich sie auf Partys und zu Einladungen mitgenommen. Das bestärkte ihre Hoffnungen auf eine feste Gefährtenschaft. Bei meinem Bruder Marcus hatte sie sich diese Hoffnungen nicht gemacht. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich mit meiner neuen Lebenssituation von Verpflichtungen befreit war … ich trug kein echtes Carpenter-Blut in mir und war deshalb der Blutlinie nicht verpflichtet. Aber mein Leben hatte einen schalen Geschmack bekommen … die Dinge, die mir früher so viel bedeutet hatten, waren mir vollkommen egal, auch wenn ich vorgab, dass es nicht so war. Der Name Carpenter öffnete mir noch immer die Tür zu jeder Gesellschaft. Marcus hatte freundlicherweise darauf verzichtet, mich bloßzustellen. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto unwohler fühlte ich mich. Was hatte ich in meinem Leben getan, um dieses Ansehen zu verdienen? Ich lebte von meinem Erbe, das Marcus mir ausgezahlt hatte … einem Erbe, auf das ich genau genommen gar kein Anrecht hatte! Ich hätte zurück zu Marcus gehen können und ihn darum bitten, mir eine Aufgabe zu geben, aber das wollte ich nicht. Ich wollte etwas eigenes erschaffen, nur hatte ich leider keine Ahnung, was. Vor diesem Hintergrund hoffte Manon vergeblich … was ich jetzt nicht gebrauchen konnte, war eine Gefährtin!

„Warum sind wir hier?“, fragte sie und legte ihre Hand vertraulich auf meine. Kurz war ich versucht, sie fortzuziehen. Manon fügte sich immer selbstverständlicher in die Rolle einer Gefährtin ein, und ich ließ es zu. Ich würde mit ihr reden müssen, sobald ich die andere Sache aus der Welt geschafft hatte. Eines stand auf jeden Fall fest - die Pläne des alten David passten nicht mehr in mein Leben. Ich würde Adrien für seine Mühe entschädigen. Vielleicht hatte er sogar selbst Verwendung für eine Frau … immerhin war er wie ich und hatte nie eine Gefährtin gewählt, obwohl er bereits Mitte Dreißig war.

„Es ist hübsch hier ...“, stellte Manon fest, als wir kurze Zeit später aus der Limousine stiegen. Kurz war ich versucht, hinauf zum Fenster zu schauen, in der Hoffnung, das Mädchen dort zu sehen - aber ich verbot es mir. Dafür war ich nicht gekommen ...

„Was ist das hier?“ Manon sah sich neugierig um.

„Ein diskreter Ort, an dem reiche Männer sich entspannen, ohne ihre Frauen oder Familien.“

„Oh ...“ Manon sah mich überrascht an. „Und warum sind wir hier?“

„Ich muss etwas besprechen ... mit Adrien, dem Besitzer des Château Wir werden eine Nacht hierbleiben.“

„Was meinst du? Wäre ein Cocktailkleid angemessen oder eher etwas Festlicheres für das Abendessen?“ Manon bemühte sich stets darum, an meiner Seite angemessen gekleidet aufzutreten.

„Du wirst nicht mit mir zu Abend essen, Manon. Adrien und ich haben etwas Privates zu besprechen.“

Kurz sah ich Enttäuschung in ihrem Blick, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. „Ganz wie du wünschst, David.“

„Ich komme nach dem Essen zu dir ...“, versprach ich Manon und ärgerte mich im gleichen Augenblick darüber, ihr dieses Versprechen gegeben zu haben. Eigentlich hatte ich keine Lust, mit Manon die Nacht zu verbringen. Ich fühlte mich für sie verantwortlich, weil sie mir über die erste schwere Zeit geholfen hatte, und konnte sie deshalb nur schwer enttäuschen.

„David ...“

Adriens dunkle Stimme beendete die unangenehme Situation. Braun gebrannt wie immer und mit breitem Grinsen kam er die Freitreppe des Château hinunter. Aus irgendeinem Grund schien Adrien nicht älter zu werden …

Wir umarmten uns freundschaftlich, dann stellte ich ihm Manon vor. „Deine Gefährtin?“

Adriens Überraschung war kaum zu übersehen – natürlich erkannte er sofort, dass Manon keine von uns war. Adrien glaubte noch immer, dass ich der Erbe von Carpenter Investigations war. Zumindest ihm würde ich die Wahrheit sagen müssen ...

„Nein … Manon ist meine Bedienstete ...“, antwortete ich, und zerstörte damit innerhalb von Sekunden Manons Hoffnungen. Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben, aber sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie Adrien begrüßte.

„Wir müssen reden ...“, überging ich die peinliche Situation, und Adrien nickte.

„Natürlich … ich habe ein Abendessen vorbereiten lassen.“

„Würdest du dich darum kümmern, dass das Gepäck in unsere Zimmer kommt?“, wandte ich mich an Manon.

„Selbstverständlich ...“, sagte sie und folgte dann Adriens Bediensteten und unserem Gepäck ins Château.

„Deine Bedienstete ist nicht glücklich ...“ Adrien sah Manon aufmerksam hinterher.

„Ich habe ihr nie Hoffnungen gemacht. Sie ist mir gefolgt, nachdem mein Bruder sich eine Gefährtin genommen hat.“

„Marcus hat eine Gefährtin?“ Adrian sah mich irritiert an.

„Darüber muss ich mit dir sprechen … und über viele andere Dinge.“

„Aber sicher … in zwei Stunden beim Abendessen. Du kannst dich in Ruhe in deinem Zimmer einrichten.“

„Ich werde nicht lange bleiben, Adrien … nur eine Nacht ...“, stellte ich klar.

„Das ist schade. Ich hatte gehofft, du würdest länger bleiben. Nun … dann ist der heutige Abend umso wichtiger ...“

„So ist es ...“, antwortete ich kryptisch. Am liebsten hätte ich Adrien sofort die Wahrheit gesagt, aber zwei enttäuschte Gesichter auf einmal waren selbst mir zu viel. Es war wichtig, dass er verstand, warum ich mich aus unserem Geschäft lösen wollte. Beim Abendessen …, sagte ich mir und folgte Adrien hinein ...

Lianne

Ich hatte mich letztlich für ein schlichtes fliederfarbenes Kleid entschieden. Es unterstrich meine leicht gebräunte Haut und die honigfarbenen Locken. Ein Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich gut gewählt hatte … kein Schmuck, dafür ein figurbetontes Kleid …

Solange man die Vorlieben des Mannes nicht kannte, war es sicherer, den eigenen Auftritt schlicht zu halten. Das hatte mir meine Benimmlehrerin Madame Vailles beigebracht. Und gefallen wollte ich dem Mann mit den dunklen Haaren und dem intensiven Blick …

Ich war nervös, als eine der Bediensteten mich abholte, um mich zum Spiegelsaal zu führen. Adrien richtete dort nur für besondere Gäste Abendessen oder Empfänge aus … meine Neugierde auf den Mann, der mir das hier alles ermöglichte, wurde immer größer. Er schien viel Macht zu besitzen, obwohl er jung war …

„Mademoiselle … bitte ...“ Das Dienstmädchen knickste vor mir und öffnete dann die Tür des Spiegelsaals. In den ersten Wochen nach meiner Ankunft war mir das Verhalten des Personals kühl und steif erschienen, mittlerweile konnte ich mir kaum noch vorstellen, dass es irgendwo auf der Welt anders war. Natürlich wusste ich, dass es so war. Aber meine Vergangenheit war für mich wie ein alter Film. Wenn ich über sie nachdachte, fühlte ich mich wie ein unbeteiligter Zuschauer.

Ich betrat den Spiegelsaal und erinnerte mich an die Dinge, die mir Madame Vailles beigebracht hatte … nicht zu schnell gehen, aber auch nicht bummeln … einen freundlichen aber nicht überschwänglichen Gesichtsausdruck, den Rücken gerade, den Kopf erhoben …

„Lianne ...“, rettete mich Adrien aus dem Gewirr meiner eigenen Gedanken. Seine warme Stimme bot mir einen Anker in einer Welt, die ich heute das erste Mal betrat. Er kam mir entgegen, ich legte meine Hand auf seinen Arm, und er führte mich zum Tisch.

„Darf ich vorstellen … David Carpenter.“

„Guten Abend Monsieur … ich freue mich, sie kennenzulernen ...“, sagte ich meine Höflichkeitsfloskel auf und zwang mich dazu, ihn nicht anzustarren. Er war noch attraktiver, als ich ihn in Erinnerung hatte. Sein Gesicht wirkte männlicher als noch vor zwei Jahren, und der intensive Blick … das hatte ich damals wegen der Dunkelheit nicht erkennen können … kam von seinen stechend blauen Augen.

„Mademoiselle Lianne ...“ Er stand von seinem Stuhl auf, um mir meinen Stuhl zurechtzurücken. Genau wie ich schien er in Benimm geschult worden zu sein.

Ich konzentrierte mich auf seine Stimme. Sie war ähnlich tief wie die von Adrien … und sie verursachte mir ein Kribbeln auf der Haut.

Als wir an unseren Plätzen saßen, trugen die Bediensteten die Vorspeise auf.

Ich wartete darauf, dass die Männer anfingen zu essen, bevor ich zur Gabel griff. Sei immer bescheiden … immer einen Schritt hinter dem Mann …

„Es wurde Zeit, dass du uns besuchst, David ...“, begann Adrien das Gespräch überraschend locker.

„Ja ...“, antwortete David Carpenter einsilbig, während sein Blick mich zu durchbohren schien. Was dachte er? Gefiel ich ihm? Er wirkte so ernst … fast verspannt.

Ich befürchtete, mein Herzschlag wäre im gesamten Spiegelsaal zu hören, so nervös war ich. Viele Männer hatte ich mit einem einzigen Blick aus dem Gleichgewicht gebracht, aber dieser Mann war anders. Ich spürte, dass ich die Zügel bei ihm nicht in der Hand hielt … ich wollte ihm gefallen, nicht er mir … Meine Güte … ich war noch nie so froh darüber gewesen, dass Adrien neben mir saß.

„Excuzes moi … Monsieur Adrien ...“, entschuldigte sich eine der Bediensteten. Ich war so konzentriert auf David Carpenter, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie sie den Raum betreten hatte. „Es gibt ein Problem im Südflügel, das Ihrer Aufmerksamkeit bedarf ...“

„Kann das nicht warten, Clara?“

„Ich fürchte nicht, Monsieur … ich bitte vielmals um Entschuldigung.“

Adrien stand auf und seufzte. „Es tut mir leid … ich bin bald wieder zurück.“

In diesem Augenblick erkannte ich, dass Adrien das hier geplant hatte. Es gab kein Problem im Südflügel. Der Südflügel wurde überhaupt nicht genutzt oder bewohnt … das hier war Adriens Art mir mitzuteilen, dass ich an der Reihe war. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, nicht zu gehen. Aber natürlich war das unmöglich. Stattdessen wandte mich David Carpenter zu, sobald die Tür des Spiegelsaals sich hinter Adrien geschlossen hatte.

„Ich hoffe, es ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Monsieur Carpenter ...“, begann ich ein unverfängliches Gespräch.

David Carpenter richtete seinen intensiven Blick erneut auf mich. „Sie sind eine äußerst angenehme Gesellschaft, Mademoiselle Lianne ...“

Meine Versuche, diesen Mann mit einer belanglosen Frage zu einer gehaltvollen Antwort zu bringen, prallten an ihm ab. Er war nicht wie andere Männer, die mein Lächeln dazu verleitete, mir Komplimente zu machen.

„Wie lange werden Sie hierbleiben?“

„Nicht sehr lange …“

Innerlich begann ich, mich unwohl zu fühlen. Ich versuchte, mich diesem Mann anzunähern - auf eine freundlich zurückhaltende Art, wie man es mir beigebracht hatte -, aber er blieb auf Distanz. Warum? Wenn er all die Jahre für mich bezahlt hatte … warum war ich ihm jetzt egal? Gefiel ich ihm nicht? Ich überlegte, wie ich ihn aus der Reserve locken konnte.

„Dann ist meine Gesellschaft vielleicht doch nicht so angenehm ...“, antwortete ich, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Innerlich schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen. Madame Vailles wäre in Ohnmacht gefallen ...

Die Art, wie David Carpenter mich ansah, ließ mich wünschen, ich hätte auf sie gehört. Er würde aufstehen und gehen … und er würde Adrien sagen, dass ich eine Katastrophe war …

 

„Sie haben ja keine Ahnung, Mademoiselle Lianne ...“

War da ein Grollen in seiner Stimme? Ich überlegte fieberhaft, wie ich die Situation retten konnte. „Es tut mir leid …“, sagte ich und starrte auf meine Hände, die in meinem Schoß lagen und leicht zitterten.

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