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Zwanzig Jahre nachher

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V
Noch eine Königin, welche Beistand verlangt

Athos schickte schon am Morgen zu Aramis und gab den Brief Blaisois, dem einzigen Diener, der ihm geblieben war. Blaisois fand Bazin gerade damit beschäftigt, seinen Meßnerrock anzuziehen. Er hatte an diesem Tage Dienst in Notre-Dame.

Athos hatte Blaisois beauftragt, er solle Aramis selbst zu sprechen suchen. Blaisois ein großer, naiver Bursche, der nur seinen Befehl kannte, fragte also nach dem Abbé d’Herblay und bestand, trotz der Versicherungen von Bazin, er wäre nicht zu Hause, so hartnäckig darauf, ihn zu sehen, das Bazin in Zorn gerieth. Blaisois, der Bazin in der Kirchentracht erblickte, kümmerte sich wenig um das Verleugnen von Bazin und wollte weiter gehen, denn er glaubte, der Mensch, den er vor sich sah, besitze alle Tugenden seines Gewandes, das heißt: christliche Geduld und Menschenfreundlichkeit.

Aber Bazin, immer noch ein Musketier-Bedienter, wenn ihm das Blut in seine großen Augen stieg, nahm einen Besenstiel und prügelte Blaisois mit dem Ausrufe:

»Ihr habt die Kirche beleidigt, mein Freund, Ihr habt die Kirche beleidigt.«

In diesem Augenblick und bei diesem ungewohnten Lärmen erschien Aramis, vorsichtig die Thüre seines Schlafzimmers öffnend.

Da stützte Bazin ehrfurchtsvoll seinen Besenstiel auf eine von seinen Enden, wie er es hatte den Schweizer mit seiner Hellebarde in Notre-Dame machen sehen, und Blaisois zog mit einem vorwurfsvollen Blicke auf den Cerberus seinen Brief aus der Tasche und überreichte ihn Aramis.

»Vom Grafen de la Fère,« sprach Aramis, »gut!«

Dann kehrte er, ohne nur nach der Ursache des Lärmens zu fragen, in sein Zimmer zurück.

Blaisois kam traurig in das Hotel zum Grand-Roy-Charlemagne. Athos fragte ihn, wie sein Auftrag vollzogen worden sei. Blaisois erzählte sein Abenteuer.

»Dummkopf,« sagte Athos lachend, »Du Hast also nicht sogleich gemeldet, daß Du von mir kamst?«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Und was sagte Bazin, als er erfuhr, Du wärest in meinen Diensten?«

»Er enschuldigte sich auf jede Weise und nöthigte mich, zwei Gläser sehr guten Muskatwein zu trinken, in welchen er mich zwei oder drei vortreffliche Biscuite tauchen ließ. Aber gleichviel, er ist teufelsmäßig grob. Ein Meßner, pfui!«

»Gut,« dachte Athos, »wenn Aramis nur den Brief erhalten hat! So beschäftigt er auch sein mag, wird er doch kommen!«

Um zehn Uhr fand sich Athos mit seiner gewöhnlichen Pünktlichkeit auf dem Pont-du-Louvre ein. Er traf hier Lord Winter, der in demselben Augenblick erschien.

Sie warteten etwa zehn Minuten.

Mylord von Winter fing an zu befürchten, Aramis käme nicht.

»Geduld,« sprach Athos, der seine Augen nach der Rue-du-Bac gerichtet hielt, »Geduld, dort ist ein Abbé, der einem Menschen einen Faustschlag gibt und eine Frau grüßt; das muß Aramis sein.«

Er war es in der That. Ein junger Bürger, welcher Maulaffen feil hatte, fand sich auf seinem Wege und Aramis schleuderte ihn, da er ihn mit Koth bespritzte, mit einem Faustschlage zehn Schritte von sich. Zu gleicher Zeit ging eines von seinen reumüthigen Beichtkindern an ihm vorüber, und da es eine junge, hübsche Person war, so grüßte sie Aramis mit seinem anmuthigsten Lächeln.

Einen Augenblick nachher war Aramis bei den zwei Männern, welche seiner harrten.

Es fanden, wie sich leicht denken läßt, große Umarmungen zwischen ihm und Lord Winter statt.

»Wohin gehen wir?« sprach Aramis. »Schlägt man sich?« Ich habe keinen Degen bei mir und muß wieder nach Hause gehen, um einen zu holen.«

»Nein,« sagte Lord Winter,« wir machen Ihrer Majestät der Königin von England einen Besuch.«

»Ah, sehr gut,« sagte Aramis, »und was ist die Absicht bei diesem Besuche?« fuhr er, sich an das Ohr von Athos neigend, fort.

»Meiner Treue, ich weiß es nicht. Man fordert vielleicht irgend eine Zeugschaft von uns.«

»Sollte es nicht wegen jener verfluchten Geschichte sein,« sagte Aramis. »In diesem Falle wünschte ich nicht gerade dahin zu gehen, denn es wäre, um irgend eine Ermahnung einzusacken, und seitdem ich Andern solche gebe, liebe ich es nicht, zu empfangen.«

»Wenn dies Ware,« sprach Athos, »so würden wir nicht durch Lord Winter zu Ihrer Majestät geführt; denn er bekäme seinen Theil davon, da er zu uns gehörte.«

Ja, das ist wahr, gehen wir.«

Im Louvre angelangt, ging Lord Winter voraus. Es hielt ein einziger Portier die Thüre und beim Tageslichte konnten Athos, Aramis und der Engländer die abscheuliche Nacktheit der Wohnung sehen, welche der Geiz der unglücklichen Königin bewilligt hatte. Große, von allen Meubles entblößte, Säle, verwitterte Wände, an denen stellenweise vergoldete Leisten glänzten, welche der Verödung widerstanden hatten, Fenster, welche nicht schlössen und der Scheiben ermangelten, keine Teppiche, keine Wachen, keine Bedienten, das war es, was sogleich die Augen von Athos traf, und worauf er schweigend seinen Gefährten aufmerksam machte, indem er ihn mit dem Ellbogen stieß und auf dieses Elend deutete.

»Mazarin wohnt besser,« sprach Aramis.

»Mazarin ist beinahe König,« versetzte Athos, »und Madame Henriette ist beinahe nichts mehr.«

»Wenn Ihr Witz haben wolltet, Athos,« versetzte Aramis, so hättet Ihr in der That mehr, als der arme Herr von Voiture besaß.«

Athos lächelte.

Die Königin schien ungeduldig zu warten, denn bei der ersten Bewegung, welche sie in dem Saale vor ihrem Zimmer hörte, kam sie selbst auf die Schwelle, um hier die Höflinge ihres Unglückes zu empfangen.

»Tretet ein, und seid willkommen, meine Herren,« sprach sie.

Die Edelleute traten ein und blieben Anfangs stehen. Aber auf eine Geberde der Königin, welche sie durch ein Zeichen sitzen hieß, gab Athos das Beispiel des Gehorsams. Er war ernst und ruhig, Aramis aber war wüthend. Diese königliche Noth hatte ihn außer sich gebracht. Seine Augen studierten jeden neuen Zug von Elend, den er wahrnahm.

»Ihr betrachtet meinen Luxus,« sprach Madame Henriette und warf einen traurigen Blick um sich her.

»Madame,« sagte Aramis, »ich bitte Eure Majestät um Vergebung, aber ich bin nicht im Stande, meine Entrüstung zu verbergen, da ich sehe, wie man am Hofe von Frankreich die Tochter von Heinrich IV. behandelt.«

»Dieser Herr ist kein Cavalier?« sprach die Königin zu Lord Winter.

»Dieser Herr ist der Abbé d’Herblay,« antwortete der Lord.

Aramis erröthete.

»Madame,« sagte er, »ich bin allerdings Abbé, aber wider meinen Willen. Ich hatte nie Beruf für den kleinen Kragen. Meine Soutane hält nur an einem Knopf, und ich bin stets bereit, wieder Musketier zu werden. Am Morgen zog ich dieses Gewand an, weil ich nicht wußte, daß ich die Ehre haben würde, Eure Majestät zu sehen. Darum bin ich aber nicht minder der Mann, den Eure Majestät als den ergebensten in ihrem Dienste finden wird, was sie auch befehlen mag.«

»Der Herr Chevalier d’Herblay,« versetzte Lord Winter, »ist einer von den tapfern Musketieren Seiner Majestät des Königs Ludwig XIII., von denen ich mit Euch gebrochen habe, Madame.« Dann sich nach Athos umwendend, fuhr er fort: »Dieser Herr ist der edle Graf de la Fère, dessen erhabener Ruf Euch wohl bekannt ist.«

»Meine Herren,« sprach die Königin, »vor einigen Jahren hatte ich Edelleute, Schätze, Heere um mich. Auf ein Zeichen meiner Hand verwendete sich Alles in meinem Dienste. Heute, wenn Ihr um mich her schaut, wird Euch dies ohne Zweifel in Erstaunen setzen; denn um einen Plan auszuführen, der mir das Leben retten soll, habe ich Niemand, als Lord Winter, einen Freund seit zwanzig Jahren, und Euch, meine Herren, die ich zum ersten Male sehe und nur als meine Landsleute kenne.«

»Das ist genug, Madame,« sprach Athos, mit einer tiefen Verbeugung, »wenn das Leben von drei Männern das Eurige zu erkaufen vermag.«

»Ich danke, meine Herren, aber hört mich,« fuhr sie fort. »Ich bin nicht nur die Elendeste der Königinnen, sondern auch die Unglücklichste der Mütter, die Trostloseste der Gattinnen. Meine Kinder, zwei wenigstens, der Herzog von York und die Prinzessin Charlotte, sind ferne von mir, den Streichen von Ehrgeizigen und Feinden preisgegeben. Der König, mein Gemahl, schleppt in England ein so schmerzliches Dasein hin, daß ich wenig sage, wenn ich Euch versichere, er suche den Tod als eine wünschenswerte Sache. Hier, meine Herren, ist der Brief, den er mir durch Mylord Winter überschickt hat. Leset ihn.«

Athos und Aramis entschuldigten sich.

»Leset,« sprach die Königin.

Athos las mit lauter Stimme den uns bekannten Brief, worin der König Karl fragte, ob ihm Gastfreundschaft in Frankreich bewilligt werden würde.

Nun?« fragte Athos, als er den Brief zu Ende gelesen hatte.

»Nun,« sagte die Königin, »er hat es abgeschlagen.«

Die zwei Freunde tauschten ein Lächeln der Verachtung.

»Und was ist nun zu thun, Madame?« sprach Athos.

»Habt Ihr Mitleid mit so viel Unglück?« sagte die Königin bewegt.

»Ich habe die Ehre gehabt, Eure Majestät zu fragen, was sie wünsche, daß Herr d’Herblay und ich für ihren Dienst thun sollen; wir sind bereit.«

»Ah, mein Herr, Ihr seid in der That ein edles Herz,« rief die Königin mit einem Ausbruche von Dankbarkeit, während Lord Winter sie anschaute, als wollte er sagen, habe ich mich nicht für sie verbürgt?

»Aber Ihr, mein Herr?« fragte die Königin Aramis.

»Ich, Madame,« antwortete dieser, »überall, wohin der Herr Graf geht, und wäre es in den Tod, folge ich, ohne zu fragen, warum. Wenn es sich aber um den Dienst Eurer Majestät handelt,« fügte er, die Königin mit aller Anmuth der Jugend anschauend, bei: »so gehe ich dem Herrn Grafen voraus.«

»Wohl, wenn es so ist, wenn Ihr Euch dem Dienste einer armen Fürstin weihen wollt, welche die ganze Welt verlassen hat, so läßt sich Folgendes für mich thun: Der König ist allein mit einigen Edelleuten, die er jeden Tag zu verlieren befürchtet, mitten unter Schottländern, denen er mißtraut, obgleich er selbst ein Schottländer ist. Seit Lord Winter ihn verlassen hat, lebe ich nicht mehr, meine Herren. Ich verlange vielleicht zu viel, denn ich habe keinen Anspruch zu machen. Geht nach England, verbindet Euch mit dem König, seid seine Freunde, zieht an seiner Seite in die Schlacht, geht neben ihm im Inneren seines Hauses, wo sich die Hinterhalte täglich drangen, viel gefährlicher, als alle Wagnisse der Schlacht. Und für das Opfer, daß Ihr mir bringt, meine Herren, verspreche ich Euch, nicht Euch zu belohnen, ich glaube, dieses Wort würde Euch beleidigen, sondern Euch zu lieben, wie eine Schwester, und Euch Allem vorzuziehen, mit Ausnahme meines Gemahls und meiner Kinder, das schwöre ich Euch vor Gott!«

 

Und die Königin schlug langsam und feierlich die Augen zum Himmel auf.

»Madame,« sagte Athos, »wann sollen wir reisen?«

»Ihr willigt also ein?« fragte die Königin voll Freude.

»Ja, Madame, nur geht Eure Majestät, wie es mir scheint, zu weit, wenn sie sich verbindlich macht, uns eine Freundschaft angedeihen zu lassen, welche so hoch über unsern Kräften steht. Wir dienen Gott, Madame, wenn wir einem so unglücklichen Fürsten und einer so tugendhaften Königin dienen. Madame, wir gehören Euch mit Leib und Seele.«

»Ah, meine Herren,« sprach die Königin, bis zu Thränen gerührt, »das ist der erste Augenblick der Freude und der Hoffnung, den ich seit fünf Jahren erlebe. Ja, Ihr dient Gott, und da meine Macht zu beschränkt ist, um einen solchen Dienst anzuerkennen, so wird Er ihn belohnen, der in meinem Herzen Alles liest, was in demselben von Dankbarkeit gegen ihn und gegen Euch liegt. Rettet meinen Gemahl, rettet den König, und obgleich Ihr nicht empfänglich für den Preis seid, der Euch auf Erden für diese schöne Handlung zukommen kann, so laßt mir doch die Hoffnung, daß ich Euch wiedersehen werde, um Euch selbst zu danken. Mittlerweile bleibe ich. Habt Ihr mir etwas zu empfehlen? Ich bin von diesem Augenblicke an Eure Freundin, und da Ihr meine Angelegenheiten besorgt, so muß ich mich mit den Einigen beschäftigen.«

»Madame,« sprach Athos, »ich habe nichts von Eurer Majestät zu verlangen, als Ihre Gebete.«

»Und ich,« sagte Aramis, »ich bin allein auf dieser Welt und diene nur Eurer Majestät.«

Die Königin reichte ihnen die Hand, die sie küßten, und sagte ganz leise zu Lord Winter:

»Wenn es Euch an Geld fehlt, Mylord, so zögert keinen Augenblick: zerbrecht die Juwelen, die ich Euch gegeben habe, nehmt die Diamanten heraus und verkauft sie an einen Juden. Ihr bekommt dafür fünfzig bis sechzig tausend Livres, verwendet sie, wenn es nothwendig ist; diese Edelleute sollen aber behandelt werden, wie sie es verdienen, das heißt königlich.«

Die Königin hatte zwei Briefe bereit gehalten. Einer war von ihr, der andere von der Prinzessin Henriette, ihrer Tochter, geschrieben. Beide waren an den König Karl adressiert. Den einen gab sie Athos, den andern Aramis, damit, wenn der Zufall sie trennen würde, sie sich könnten jeder vom König erkennen lassen. Dann entfernten sie sich.

Unten an der Treppe blieb Lord Winter stille stehen und sprach:

Geht Eures Weges, ich gehe den meinigen, meine Herren, damit wir keinen Verdacht erwecken, und diesen Abend um neun Uhr finden wir uns an der Porte-Saint-Denis zusammen. Wir reiten mit meinen Pferden, so weit sie gehen können, dann nehmen wir die Post. Noch einmal Dank, meine Freunde, Dank in meinem Namen, Dank im Namen der Königin!«

Die drei Edelleute drückten sich die Hände. Der Graf von Winter schlug den Weg nach der Rue Saint-Honoré ein und Athos und Aramis blieben beisammen.

»Nun,« sprach Aramis, als sie allein waren, »was sagt Ihr zu dieser Angelegenheit, mein lieber Graf?«

»Sie ist schlimm,« antwortete Athos, »sehr schlimm.«

»Aber Ihr habt sie mit Begeisterung aufgenommen?«

»Wie ich stets die Vertheidigung eines großen Grundsatzes aufnehmen würde, mein lieber d’Herblay. Die Könige können nur durch den Adel groß sein, der Adel aber kann nur durch die Könige groß sein. Unterstützen wir also den Monarchen, so unterstützen wir uns selbst.«

»Wir werden uns da drüben todtschlagen lassen,« sprach Aramis. »Ich hasse die Engländer, sie sind plump, wie alle Leute, welche Bier trinken.«

»Ware es denn besser, hier zu bleiben,« versetzte Athos, »und einen Gang in die Bastille oder in den Kerker von Vincennes zu machen, da wir die Flucht von Herrn von Beaufort begünstigt haben? Ach, meiner Treue, Aramis, glaubt mir, wir haben es nicht zu bereuen. Wir vermeiden das Gefängniß und handeln als Helden; die Wahl ist leicht.«

»Das ist wahr; doch bei allen Dingen muß man auf die erste, ich weiß wohl, sehr alberne, aber sehr nothwendige Frage zurückkommen: Habt Ihr Geld?«

»Etwa hundert Pistolen, die mir mein Pächter den Tag vor meiner Abreise von Bragelonne schickte. Davon aber muß ich Raoul fünfzig lassen, denn ein junger Edelmann soll würdig leben. Es bleiben mir also nur fünfzig Pistolen. Und Ihr?«

»Ich bin überzeugt, wenn ich alle meine Taschen umdrehe und alle meine Schubladen öffne, finde ich nicht zehn Louisd’or. Zum Glück ist Lord Winter reich.«

»Lord Winter ist für den Augenblick zu Grunde gerichtet, denn Cromwell bezieht seine Einkünfte.«

»Da wäre Baron Porthos gut,« sagte Aramis.

»Da beklage ich die Trennung von d’Artagnan,« sprach Athos.

»Was für eine runde Börse!«

»Welch’ ein stolzer Degen!«

»Verführen wir sie.«

»Das Geheimniß ist nicht das unsere, Aramis. Glaubt mir, wir wollen Niemand in das Vertrauen ziehen. Würden wir einen solchen Schritt thun, so Hütte es den Anschein, als mißtrauten wir uns. Beklagen wir uns ganz im Stillen unter uns, aber sprechen wir mit Niemand.«

Ihr habt Recht. Was macht Ihr von jetzt bis zum Abend? Ich bin genöthigt, zwei Dinge zu verschieben.«

»Sind es Dinge, welche sich verschieben lassen?«

»Verdammt, es muß sein!«

»Worin bestehen sie?«

»Zuerst in einem Degenstiche für den Coadjutor, den ich gestern bei Frau von Rambouillet traf, wo er einen sonderbaren Ton gegen mich anstimmte.«

»Pfui doch! ein Duell unter Priestern! ein Duell unter Verbündeten!«

»Was wollt Ihr, mein Lieber? er ist Raufer und ich auch. Seine Soutane drückte ihn, und ich habe, glaube ich, genug an der meinigen. Ich meine zuweilen, er sei Aramis und ich sei der Coadjutor, so viel Aehnlichkeit haben wir mit einander. Das ärgert mich und stellt mich in Schatten. Ich bin überzeugt, wenn ich ihm eine Ohrfeige geben würde, wie ich es diesen Morgen mit dem kleinen Bürgersmann gemacht habe, der mich mit Koth bespritzte, es müßte das Angesicht der Dinge verändern.«

»Und ich, mein lieber Aramis,« antwortete Athos ruhig, »ich glaube, es würde das Angesicht von Herrn von Retz nicht verändern. Lassen wir also die Dinge, wie sie sind. Ueberdies gehört Ihr weder dem Einen noch dem Andern mehr an. Ihr gehört der Königin von England, er gehört der Fronde. Wenn die zweite Sache nicht wichtiger ist, als die erste …«

»Oh, diese ist sehr wichtig.«

»Dann macht sie sogleich ab.«

»Leider steht es mir nicht frei, sie zu jeder Stunde abzumachen; es kann nur am Abend geschehen.«

»Ich begreife,« sagte Athos lächelnd, »um Mitternacht?«

»Ungefähr.«

»Was wollt Ihr, mein Lieber, das sind Dinge, die sich verschieben lassen, besonders da Ihr bei Eurer Rückkehr eine so gute Entschuldigung vorzubringen habt.

»Ja, wenn ich zurückkehre.«

Kehrt Ihr nicht zurück, was liegt dann daran?«

Seid also ein wenig vernünftig. Aramis, mein lieber Freund, Ihr seid nicht mehr zwanzig Jahre alt.«

»Gottes Tod! zu meinem Bedauern. Ach, wenn ich es noch wäre!«

»Ja, sprach Athos, »ich glaube, Ihr würdet schöne Thorheiten machen. Aber wir müssen uns verlassen; ich habe ein paar Besuche zu machen und einen Brief zu schreiben. Holt mich also um acht Uhr ab, oder wollt Ihr, daß ich Euch um sieben Uhr zum Abendbrod erwarte?«

»Sehr wohl,« erwiderte Aramis; »ich habe zwanzig Besuche zu machen und eben so viele Briefe zu schreiben.«

Und hiernach trennten sie sich. Athos machte einen Besuch bei Frau von Vendome, gab seinen Namen bei Frau von Chevreuse ab und schrieb folgenden Brief an d’Artagnan:

»Lieber Freund, ich reise mit Aramis in einer wichtigen Angelegenheit. Ich wünschte Wohl von Euch Abschied zu nehmen, aber es gebricht mir an Zeit. Vergeßt nicht, daß ich Euch schreibe, um zu wiederholen, wie sehr ich Euch liebe.

»Raoul ist nach Blois gegangen und weiß nichts von meiner Abreise. Wacht über ihm während meiner Abwesenheit, so gut Ihr immer könnt, und wenn Ihr von heute an in drei Monaten keine Nachricht von mir erhaltet, so sagt ihm, er möge ein versiegeltes Paket unter seiner Adresse öffnen, das er in Blois in meiner Bronze-Cassette finden wird, zu der ich Euch den Schlüssel schicke.

Umarmt Porthos im Namen von Aramis und in meinem Namen. Auf Wiedersehen, vielleicht Gott befohlen!«

Und er ließ den Brief durch Blaisois wegtragen.

Zur bestimmten Stunde erschien Aramis. Er war als Cavalier gekleidet und hatte an seiner Seite das alte Schwert, das er so oft gezogen und mehr als je zu ziehen bereit war.

»Ach,« sagte er, »ich glaube, wir haben Unrecht, so abzureisen, ohne ein Wörtchen des Abschieds an Porthos und d’Artagnan zurückzulassen.«

»Das ist eine abgemachte Sache, lieber Freund,« versetzte Athos; »ich habe dafür gesorgt, ich habe alle Beide für mich und für Euch begrüßt.«

»Ihr seid ein bewunderungswürdiger Mann, mein lieber Graf« sprach Aramis, »Ihr denkt an Alles.«

»Nun, seid Ihr fest in Eurem Entschlüsse in Beziehung auf diese Reise?«

»Ganz und gar, und nun, da ich mir die Sache genauer überlegt habe, bin ich froh, Paris in diesem Augenblicke zu verlassen.«

»Ich auch,« versetzte Athos, »nur bedaure ich, d’Artagnan nicht umarmt zu haben. Aber dieser Teufel ist so fein, daß er unsere Pläne errathen hatte.«

Beim Schlüsse des Abendbrodes kam Blaisois zurück.

»Gnädiger Herr,« sagte er, »hier ist die Antwort von Herrn d’Artagnan.

»Ich habe Dir nicht gesagt, Du würdest Antwort bekommen, Dummkopf,« sprach Athos.

»Ich ging auch ab, ohne darauf zu warten; aber er ließ mich zurückrufen und gab mir dieses.«

Und er bot Athos eine völlig gerundete, klingende, kleine lederne Tasche.

Athos öffnete sie und zog zuerst ein in folgenden Worten abgefaßtes Bittet daraus hervor:

>»Mein lieber Graf!

»Wenn man verreist und besonders auf drei Monate verreist, hat man nie Geld genug. Ich erinnere mich unserer Zeiten der Armuth und schicke Euch die Hälfte meiner Börse. Es ist Geld, das ich Mazarin schwitzen gemacht habe. Macht also keinen zu schlimmen Gebrauch davon, ich bitte Euch.

»Was den Umstand betrifft, daß ich Euch nicht wiedersehen sott, so glaube ich kein Wort davon. Wenn man ein Herz und ein Schwert hat, wie Ihr, so kommt man überall durch.

»Auf Wiedersehen also, und nicht Gott befohlen!

»Es versteht sich von selbst, daß ich Raoul von dem Tage an, wo ich ihn zuerst sah, wie mein Kind liebte. Glaubt mir jedoch, daß ich Gott aufrichtig anflehe, er möge mich nicht seinen Vater werden lassen, obgleich ich auf einen solchen Sohn stolz wäre.

Euer d’Artagnan.«

»N. S. Wohlverstanden, die fünfzig Louisd’or, die ich Euch schicke, gehören Euch wie Aramis, Aramis wie Euch.«

Athos lächelte und sein schöner Blick verschleierte sich unter einer Thräne. D’Artagnan, den er stets zärtlich geliebt hatte, liebte ihn also ebenfalls immer noch, obgleich er ein Mazariner war.

»Meiner Treue,« sprach Aramis, die Börse auf den Tisch ausleerend, »hier sind die fünfzig Goldstücke, alle nach dem Bildniß von König Ludwig XIII. Was macht Ihr mit diesem Gelde, Graf? Behaltet Ihr es oder schickt Ihr es zurück?«

»Ich behalte es, Aramis, und würde es behalten, auch wenn ich desselben nicht bedürfte. Was von großem Herzen geboten wird, muß mit großem Herzen angenommen werden. Nehmt fünfundzwanzig, Aramis, und gebt mir die andern fünfundzwanzig.

»Das gefällt mir; in der That es macht Mich glücklich, zu sehen, daß Ihr meiner Ansicht seid. Aber gehen wir nun?«

»Wenn Ihr wollt; doch habt Ihr keinen Bedienten?«

»Nein; der alberne Bazin hat die Dummheit begangen, Meßner zu werden, wie Ihr wißt, und kann folglich Notre-Dame nicht verlassen.«

»Gut, dann nehmt Blaisois, mit dem ich nichts anzufangen weiß, da ich Grimaud habe.«

»Gern,« sprach Aramis.

 

»In diesem Augenblicke erschien Grimaud auf der Schwelle.

»Bereit,« sagte er auf seine gewöhnliche lakonische Weise.

»Vorwärts,« sprach Athos.

»Die Pferde warteten wirklich gesattelt und gezäumt. Die zwei Freunde bestiegen jeder das seinige; die zwei Lackeien thaten dasselbe.

An der Ecke des Quai begegneten sie Bazin, welcher ganz athemlos herbeilief.

»Ah! gnädiger Herr,« rief Bazin, »Gott sei Dank, ich komme noch zu rechter Zeit!«

»Was gibt es?«

»Herr Porthos hat mir dieses übergeben und dabei gesagt, es hätte große Eile und müßte Euch vor Eurer Abreise eingehändigt werden.«

»Gut,« erwiderte Aramis und nahm eine Börse, die ihm Bazin darreichte, »was ist das?«

»Wartet, Herr Abbé, es ist auch ein Brief dabei.«

»Du weißt, daß ich Dir bereits gesagt habe, ich schlüge Dir Arm und Bein entzwei, wenn Du mich anders als Herr Chevalier nennen Würdest. Gib den Brief.«

»Wie wollt Ihr lesen?« fragte Athos; »es ist finster, wie in der Hölle.«

»Wartet,« sagte Bazin, schlug Feuer und zündete das Licht an, mit dem er seine Kerzen in der Kirche anzuzünden Pflegte.

Beim Scheine dieses Lichtes las Aramis:

»Mein lieber d’Herblay!,

»Ich erfahre von d’Artagnan, der mich in Euerem und in dem Namen des Grafen de la Fère umarmt, daß Ihr in einem Unternehmen abreist, welches vielleicht zwei bis drei Monate dauern wird: da ich weiß, daß Ihr nicht gern von Eueren Freunden fordert, so biete ich Euch. Hier sind, zweihundert Pistolen, über die Ihr verfügen könnt; Ihr gebt sie mir bei Gelegenheit zurück. Fürchtet nicht, mich dadurch zu beengen; brauche ich Geld, so lasse ich mir von einem meiner Schlösser kommen; ich habe allein in Bracieux zwanzigtausend Livres in Gold. Schicke ich heute nicht mehr, so geschieht es nur, weil ich befürchte, Ihr könntet eine zu starke Summe nicht annehmen.

»Ich wende mich an Euch, weil Ihr wißt, daß mir der Graf de la Fère unwillkürlich immer etwas imponirt, obgleich ich ihn von ganzem Herzen liebe; aber wohl verstanden, was ich Euch biete, biete ich zu gleicher Zeit auch ihm.

»Ich bin, wie Ihr wohl nicht bezweifelt, Euer ergebener

»Du Ballon de Bracieux
de Pierrefonds.«

»Nun,« sprach Aramis, »was sagt Ihr dazu?«

»Ich sage, mein lieber d’Herblay, daß es ein arges Verbrechen ist, an der Vorsehung zu zweifeln, wenn man solche Freunde hat.«

»Also?«

Also theilen wir die Pistolen von Porthos, wie wir die Louisd’or von d’Artagnan getheilt haben.«

Die Theilung wurde bei dem Lichte von Bazin vorgenommen und man setzte sich in Marsch.

Eine Viertelstunde nachher waren die zwei Freunde an der Porte Saint-Denis, wo Lord Winter ihrer harrte.