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Zwanzig Jahre nachher

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XXI
Was die Pasteten des Nachfolgers vom Vater Marteau enthielten

Eine halbe Stunde nachher lehrte La Ramée munter und vergnügt zurück, wie ein Mensch, der gut gegessen und besonders gut getrunken hat. Er hatte vortreffliche Pasteten und köstlichen Wein gefunden.

Das Wetter war schön und gestattete die beabsichtigte Partie. Das Ballspiel von Vincennes war ein Langballspiel, das heißt in freier Luft. Nichts war also für den Herzog leichter, als das zu thun, was ihm Grimaud empfohlen hatte, daß heißt, die Bälle in den Graben zu schleudern.

So lange es indessen nicht zwei Uhr geschlagen hatte, war der Herzog nicht zu ungeschickt, denn zwei Uhr war die bestimmte Stunde. Er verlor jedoch die bis dahin eingegangenen Partien, was ihm zornig zu werden und das zu thun gestattete, was man in solchen Fällen thut, nämlich Fehler auf Fehler zu machen.

Als es zwei Uhr schlug, fingen die Bälle an, den Weg nach dem Graben zu nehmen und zwar zur großen Freude von La Ramée, welcher bei jedem Hinaus, das der Prinz machte, fünfzehn markierte.

Die Hinaus nahmen so zu, daß es bald an Bällen fehlte. La Ramée schlug nun vor, Jemand hinab zu schicken, um sie aus dem Graben zu holen. Aber der Herzog bemerkte vernünftiger Weise, das wäre verlorene Zeit, näherte sich dem Walle, der an dieser Stelle, wie der Gefreite gesagt hatte, wenigstens fünfzig Fuß hoch war, und erblickte einen Mann, der in einem von den tausend Gärtchen arbeitete, welche die Bauern auf der andern Seite des Grabens anlegten.

»He, Freund!« rief der Herzog.

Der Mann schaute empor, und der Prinz war im Begriff, einen Schrei des Erstaunens auszustoßen. Dieser Mann, dieser Bauer, dieser Gärtner war Rochefort, den der Prinz in der Bastille glaubte.

»Nun, was gibt es da oben?« fragte der Mann.

»Habt die Gefälligkeit, unsere Bälle zurückzuwerfen,« rief der Herzog.

Der Gärtner machte ein Zeichen mit Herz Kopfe und fing an, die Bälle zurückzuwerfen, welche La Ramée und die Wachen aufhoben. Einer derselben viel vor die Füße des Herzog und da dieser offenbar für ihn bestimmt war, so steckte er ihn in seine Tasche.

Dann machte er dem Gärtner ein Zeichen des Dankes und kehrte zu seiner Partie zurück.

Der Herzog hatte aber offenbar seinen schlimmen Tag. Die Bälle flogen fortwährend in’s Weite, statt sich in den Grenzen des Spieles zu halten. Zwei oder drei kehrten in den Graben zurück, da aber der Gärtner nicht mehr da war, um sie wieder hinauf zu schleudern, so gingen sie verloren. Dann erklärte der Herzog, er schäme sich so großer Ungeschicklichkeit und wolle nicht weiter spielen.

La Ramée war entzückt, einen Prinzen von Geblüt völlig geschlagen zu haben.

Der Prinz kehrte in sein Zimmer zurück und legte sich nieder. Das that er beinahe den ganzen Tag, seitdem man ihm seine Bücher genommen hatte.

La Ramée nahm die Kleider des Prinzen, unter dem Vorwande, sie wären mit Staub bedeckt und er müßte sie ausbürsten lassen, in Wirklichkeit aber um sicher zu sein, daß sich der Prinz nicht von der Stelle bewegte. Es war ein vorsichtiger Mann, dieser La Ramée.

Glücklicher Weise halte der Prinz Zeit gehabt, den Ball unter seinem Kopfpfühl zu verbergen.

Sobald die Thüre geschlossen war, zerriß der Herzog den Ueberzug des Balles mit seinen Zähnen, denn man ließ ihm kein schneidendes Instrumente zum Essen hatte er nur Messer mit silbernen Klingen, welche nicht schnitten.

Unter dem Ueberzug war ein Brief, welcher folgende Zeilen enthielt:

»Monseigneur, Eure Freunde wachen und die Stunde Eurer Befreiung naht. Verlangt übermorgen eine Pastete zu essen, gemacht von dem neuen Pastetenbäcker, welcher den Laden des früheren gekauft hat, und niemand Anderes ist, als Noirmont, Euer Haushofmeister. Oeffnet die Pastete erst, wenn Ihr allein seid. Ich hoffe, Ihr werdet mit dem, was sie enthält, zufrieden sein.

Der stets ergebene Diener Eurer Hoheit,

in der Bastille wie anderswo,

Graf von Rochefort.

»N. S. Eure Hoheit kann Grimaud in jeder Beziehung trauen. Es ist ein seht gescheiter und uns ergebener Bursche.«

Der Herzog von Beaufort, dem man sein Feuer zurückgegeben hatte, seitdem er auf die Malerei Verzicht geleistet, verbrannte den Brief, wie er dies zu seinem großen Bedauern mit dem von Frau von Montbazon gethan hatte, und er war im Begriff, dasselbe mit dem Balle zu thun, als es ihm einfiel, er könnte ihm nützlich sein, um seine Antwort zu Rochefort gelangen zu lassen.

Er war wohl bewacht, denn in dem Augenblick, wo er es gethan hatte, trat La Ramée ein.

»Bedarf Monseigneur etwas?« sagte er.

»Ich hatte kalt,« antwortete der Herzog, »und schürte das Feuer an, damit es mehr Wärme gebe, Ihr wißt, mein Lieber, die Zimmer des Thurmes von Vincennes sind berühmt wegen ihrer Frische. Man könnte Eis darin aufbewahren und sammelt Salpeter in denselben. Diejenigen, in welchem Puylaurens, Marschall von Ornano und des Großprior mein Oheim, starben, waren Arsenik werth, wie Frau von Rambouillet sagte.«

Und der Herzog legte sich, seinen Ball unter den Kopfpfühl steckend, wieder nieder. La Ramée lächelte. Es war im Grunde ein braver Mann, der eine große Vorliebe für seinen erhabenen Gefangenen gefaßt hatte und in Verzweiflung gerathen wäre, wenn er ihm hätte ein Unglück begegnen sehen müssen. Die Unglücksfälle aber, welche hinter einander die drei genannten Personen betroffen hatten, waren unbestreitbar.

»Monseigneur,« sagte er, »man muß sich nicht solchen Gedanken hingeben. Solche Gedanken sind es, welche tödten, und nicht der Salpeter.«

»Ei, mein Lieber,« sprach der Herzog, »Ihr seid entzückend. Wenn ich, wie Ihr, zu dem Nachfolger von Vater Marteau gehen und Pasteten essen und Burgunderwein trinken könnte, das würde mich zerstreuen.«

»Es ist wahr, Monseigneur,« versetzte La Ramée, feine Pasteten sind ausgezeichnet und sein Wein ist vortrefflich.«

»Jeden Falls,« versetzte der Herzog, brauchen sich sein Keller und seine Küche nicht anzustrengen, um mehr werth zu sein, als Keller und Küche von Herrn von Chavigny.«

»Nun wohl, Monseigneur,« sagte La Ramée in die Falle gehend, »wer hindert Euch, davon zu kosten? Ueberdies habe ich ihm Eure Kundschaft versprochen.«

»Du hast Recht,« sprach der Herzog, »wenn ich lebenslänglich hier bleiben soll, wie Monsignore Mazarini zu verstehen zu geben die Güte gehabt hat. so muß ich mir für meine alten Tage eine Zerstreuung schaffen; ich muß mich zum Gourmand machen.«

»Monseigneur,« versetzte La Ramée, »hört auf einen, guten Rath, wartet zu diesem Behufe nicht, bis Ihr alt geworden seid.«

»Gut,« sagte der Herzog von Beaufort zu sich selbst, »nur seine Seele oder seinen Leib zu verlieren, muß jeder Mensch von der himmlischen Großmuth eine von den sieben Todsünden empfangen haben, wer nicht gar zwei empfangen hat. Es scheint, daß die des Meister La Ramée Leckerhaftigkeit ist. Es sei, wir werden Nutzen daraus ziehen.«

»Wohl, mein lieber La Ramée,« fügte er laut bei, übermorgen ist Festtag.«

»Ja, Monseigneur, es ist das Pfingstfest.«

»Wollt Ihr mir übermorgen eine Lection geben?«

»Worin?«

»In der Leckerhaftigkeit.«

»Sehr gerne-I Monseigneur.«

»Aber eine Lection unter vier Augen. Wir schicken die Wachen in das Speisezimmer von Herrn von Chavigny und machen hier ein Abendbrod, dessen Leitung ich Euch überlasse.

»Hm,« sagte La Ramée.

Das Anerbieten war verführerisch, aber La Ramée, was auch der Herr Cardinal, als er ihn sah, Unvortheilhaftes von ihm gedacht haben mag, war ein alter Ausgelernter, der alle Fallen kannte, welche ein Gefangenen zu stellen vermag. Herr von Beaufort hatte, wie er sagte vierzig Mittel vorbereitet, um aus dem Gefängniß zu entfliehen. Verbarg dieses Abendbrod nicht eine List?

Er dachte einen Augenblick nach. Aber das Resultat seiner Betrachtungen war, daß er die Speisen und den Wein befehlen würde und daß folglich kein Pulver auf die Speisen gestreut und kein Trank in den Wein gemischt werden könnte. Was das ihn betrunken machen betrifft, so konnte der Herzog nicht wohl eine solche Absicht haben, und er lachte bei diesem Gedanken. Dann kam ihm eine Idee, welche Alles ausglich.

Der Herzog war den inneren Selbstgesprächen von La Ramée mit ziemlich unruhigem Auge gefolgt. Endlich aber erleuchtete sich das Antlitz des Gefreiten.

»Nun,« fragte der Herzog, »geht es?«

»Ja, Monseigneur, unter einer Bedingung.«

»Unter welcher?«

»Daß uns Grimaud bei Tafel servirt.«

»Nichts konnte den Prinzen angenehmer sein. Er hatte jedoch die Gewalt über sich, sein Gesicht eine sehr stark hervortretende Färbung von übler Laune annehmen zu lassen.

»Zum Teufel, mit Eurem Grimaud!« rief er, »er wird mir den ganzen Schmaus verderben.«

»Ich befehle ihm, sich hinter Eurer Hoheit zu halten, und da er kein Wort spricht, so wird ihn Eure Hoheit weder sehen noch hören und mit etwas gutem Willen sich einbilden, er sei hundert Meilen entfernt.«

»Mein Lieber,« entgegnete der Herzog, »wißt Ihr, was ich am klarsten in Allem dem sehe? Daß Ihr mir mißtraut.«

»Monseigneur, es ist übermorgen Pfingsten.

»Was geht mich Pfingsten an? Habt Ihr bange, der heilige Geist könnte in der Gestalt einer feurigen Zunge herabsteigen, um mir die Thüre meines Kerkers zu öffnen?«

»Nein, Monseigneur, aber Ihr wißt, was der Magier prophezeiht hat.«

»Und was hat er prophezeit?«

»Der Pfingsttag werde nicht vorübergehen, ohne daß Eure Hoheit sich außerhalb Vincennes befände.«

»Du glaubst also an Magier, Dummkopf?«

»Ich?« sagte La Ramée, »ich kümmere mich nicht so viel darum,« und er ließ seine Finger schnalzen, »aber Monsignor Giulio kümmert sich darum: als Italiener ist er abergläubisch.«

 

Der Herzog zuckte die Achseln.

»Nun wohl, es sei,« sagte er mit vortrefflich gespielter Gutmüthigkeit, »ich nehme Grimaud an, denn ohne dieses würde die Sache nie zu Ende kommen; aber ich will Niemand außer Grimaud. Ihr besorgt Alles und bestellt ein Abendbrod, wie Ihr es für gut findet; das einzige Gericht, welches ich bezeichne ist eine von den Pasteten, von denen Ihr gesprochen habt. Ihr bestellt sie für mich, damit der Nachfolger von Vater Marteau sich selbst übertrifft, und Ihr versprecht ihm meine Kundschaft, nicht nur für die ganze Zeit, die ich im Kerker bleibe, sondern auch für den Augenblick, wo ich denselben verlassen haben werde.«

»Ihr glaubt also immer noch, Ihr werdet hinauskommen?« versetzte La Ramée.

»Bei Gott,« rief der Prinz, »und wäre es erst bei dem Tode des Mazarin; ich bin fünfzehn Jahre jünger als er. Allerdings,« fügte er bei, »allerdings lebt man in Vincennes rascher.«

»Monseigneur,« sprach La Ramée, »Monseigneur! …«

»Oder man stirbt früher,« fügte der Herzog von Beaufort bei, »was auf dasselbe hinausläuft.«

»Monseigneur, sagte La Ramée, »ich will das Abendbrod bestellen.«

»Und Ihr glaubt, Ihr werdet etwas aus Eurem Zögling machen können?«

»Ich hoffe es,« antwortete La Ramée.

»Ich lasse Euch Zeit dazu,« murmelte der Herzog.

»Was sagt Monseigneur?« fragte La Ramée.«

»Monseigneur sagt, Ihr sollt die Börse des Herrn Cardinals nicht schonen, der meine Pension zu übernehmen die Güte gehabt hat.«

La Ramée blieb an der Thüre stehen.

»Wer! befiehlt Monseigneur hierher zu schicken?«

»Wen Ihr wollt, nur Grimaud nicht.«

»Den Offizier der Wache also. Mit seinem Schachspiel?«

»Ja.«

La Ramée entfernte sich.

Fünf Minuten nachher trat der Offizier der Wache ein und der Herzog schien ganz vertieft in die seltsamen Combinationen des Schachspiels.«

Es ist ein seltsames Ding um den Geist, und, welche Revolutionen bringen ein Zeichen, ein Wort, eine Hoffnung darin hervor. Der Herzog war seit fünf Jahren im Gefängniß, und ein Blick rückwärts geworfen, ließ ihm diese fünf Jahre, welche jedoch sehr langsam abgelaufen waren, minder lang erscheinen, als die acht und vierzig Stunden, die ihn noch von der zu seiner Entweichung bestimmten Stunde trennten.

Dann war ein Umstand, der ihn furchtbar beschäftigte; auf welche Weise sollte sich diese Flucht bewerkstelligen? Man hatte ihn auf ein günstiges Resultat hoffen lassen, aber dabei verborgen, was im Einzelnen die geheimnißvolle Pastete enthalten sollte. Welche Freunde harrten seiner? Er hatte also noch Freunde nach fünfjähriger Gefangenschaft? In diesem Fall war er ein bevorzugter Prinz.

Er vergaß auch nicht, daß außer seinen Freunden, was etwas sehr Seltenes ist, eine Frau sich seiner erinnert hatte; vielleicht war sie ihm nicht sehr gewissenhaft treu gewesen, aber sie hatte ihn wenigstens nicht vergessen, und das war viel.

Das war mehr, als es bedurfte, um den Herzog in Anspruch zu nehmen, es ging auch beim Schach, wie beim langen Ball. Herr von Beaufort machte Fehler über Fehler und der Offizier schlug ihn am Abend, wie ihn La Ramée am Morgen geschlagen hatte.«

Aber seine fortwährenden Niederlagen hatten einen Vortheil; es waren drei Stunden gewonnen, dann sollte die Nacht kommen und mit der Nacht der Schlaf.

So dachte der Herzog wenigstens; aber der Schlaf ist eine sehr launenhafte Gottheit, und gerade, wenn man sie ruft, läßt sie auf sich warten; der Herzog erwartete den Schlaf bis Mitternacht, drehte sich wieder und immer wieder auf seiner Matratze um, wie der heilige Lorenz auf seinem Roste. Endlich entschlummerte er. Aber bei Tagesanbruch erwachte er wieder; er hatte phantastische Träume gehabt; es waren ihm Flügel gewachsen; er wollte ganz natürlich entfliehen, und Anfangs unterstützten ihn seine Flügel vollkommen; als er aber eine gewisse Höhe erreicht hatte, fehlte ihm plötzlich diese seltsame Stütze, seine Flügel waren gebrochen und es kam ihm vor, als stütze er in bodenlose Abgründe, und er erwachte, Schweiß aus der Stirne und gerädert, als ob er wirklich einen Sturz durch die Luft gemacht hätte.

Dann entschlummerte er abermals, um auf’s Neue in einem Irrsale von Träumen umherzuschweifen, von denen der eine immer unsinniger war, als der andere. Kaum waren seine Augen geschlossen, als sein Geist, nach einem Ziele hingezogen, nach seiner Flucht, diese Flucht wieder zu versuchen anfing. Dann gestaltete sich etwas Anderes: man hatte einen unterirdischen Gang gefunden, der aus Vincennes hinausführen sollte; er drang in diesen Gang ein und Grimaud marschierte, eine Laterne in der Hand, vor ihm her, aber allmälig verengte sich der Gang und dennoch setzte der Herzog seinen Weg fort. Endlich wurde das unterirdische Gewölbe so eng, daß der Flüchtling vergebens weiter zu gehen suchte; die Wände schlossen sich an einander an und preßten sich, er machte unerhörte Anstrengungen, um vorzurücken, es war unmöglich; dabei sah er jedoch in der Ferne, seine Laterne in der Hand, Grimaud vor sich, der immer vorwärts marschierte; er wollte ihm rufen, daß er ihm aus diesem Engpaß, der ihn erstickte, sich hervorarbeiten helfe, aber er war nicht im Stande ein Wort auszusprechen. Dann vernahm er am andern Ende, an dem, wo er hereingekommen war, die Tritte derjenigen, welche ihn verfolgten; diese Tritte kamen immer näher, er war entdeckt, er hatte keine Hoffnung, zu entfliehen. Die Mauer schien mit seinen Feinden einverstanden zu sein; sie Preßte ihn um so mehr, je mehr er der Flucht bedurfte; endlich hörte er die Stimme von La Ramée; er hörte ihn, er sah ihn. La Ramée streckte die Hand aus und legte ihm in ein schallendes Gelächter ausbrechend, die Hand auf die Schulter; er war wieder gefangen und wurde in das niedere gewölbte Zimmer geführt, in welchem der Marschall Ornano, Puylaurens und sein Oheim gestorben waren; ihre drei Gräber ragten über den Boden empor, ein viertes Grab war geöffnet und schien nur einen Leichnam zu erwarten.

Als der Herzog abermals erwachte, gab er sich eben so viel Mühe, wach zu bleiben, als er sich gegeben hatte, um einzuschlafen, und als La Ramée eintrat, fand er ihn so bleich und abgemattet, daß er ihn fragte, ob er krank wäre.

»In der That,« sprach eine von den Wachen, welche im Zimmer gelegen war und wegen eines Zahnwehs ins Folge der Feuchtigkeit nicht hatte schlafen können, »Monseigneur hat eine sehr unruhige Nacht gehabt und zwei oder drei mal im Traume um Hilfe gerufen.«

»Was fehlt denn, Monseigneur?« fragte La Ramée.

»Du bist es, Dummkopf,« sagte der Herzog, »der Du mit Deinem albernen Entweichungs-Geschwätz mir gestern den Kopf verwirrt hast; Du bist die Ursache, daß ich träumte, sich fliehe und breche mir auf der Flucht den Hals.

La Ramée brach in ein Gelächter aus.

»Ihr seht Monseigneur,« sprach La Ramée, »das ist eine Verkündigung des Himmels; ich hoffe auch, Monseigneur wird nie Unklugheiten begehen, wie man sie träumt.«

»Und Ihr habt Recht, mein lieber La Ramée, erwiderte der Herzog den Schweiß abtrocknend, der noch über seine Stirne lief, obgleich er völlig wach war, »ich will nur noch an Essen und Trinken denken.«

»St!« flüsterte La Ramée.

Und er entfernte die Wachen eine nach der andern unter irgend einem Vorwand.

»Nun?« fragte der Herzog, als sie allein waren.

»Eure Mahl ist bestellt,« antwortete La Ramée.

»Und worin wird es bestehen? laßt hören, mein Herr Obersthofmeister.«

»Monseigneur hat versprochen, sich auf mich zu verlassen.«

Es wird eine Pastete dabei sein?«

»Ich glaube wohl, so dick, wie ein Thurm.«

»Gemacht von dem Nachfolger des Vaters Marteau?«

»Befohlen.«

»Und Du hast gesagt, es sei für mich?«

»Ich habe es ihm gesagt.«

»Und was antwortete er?«

»Er würde thun, was in seinen Kräften läge, um Eure Hoheit zufrieden zu stellen.«

»Vortrefflich!« rief der Herzog sich die Hände reibend.

»Teufel! Monseigneur,« sprach La Ramée, »wie Ihr Euch plötzlich auf ein leckeres Mahl freut; seit fünf Jahren habe ich Euch nie so vergnügt gesehen, wie in diesem Augenblick.«

Der Herzog sah, daß er sich nicht genug bemeistert hatte; aber in diesem Momente, als hätte er gehorcht und begriffen, es wäre dringend, La Ramée von seinen Gedanken abzubringen, trat Grimaud ein und bedeutete La Ramée durch ein Zeichen, er hätte ihm etwas zu sagen.

La Ramée näherte sich Grimaud, der ganz leise mit ihm sprach.

Der Herzog gewann mittlerweile wieder seine Ruhe und sagte:

»Ich habe diesem Menschen bereits verboten, sich hier ohne meine Erlaubniß zu zeigen.«

»Monseigneur,« erwiderte La Ramée, »man muß ihm vergeben, denn ich habe ihn bestellt.«

»Warum habt Ihr ihn bestellt? … weil Ihr wißt, daß er mir mißfällt?«

»Monseigneur erinnert sich, was verabredet worden, ist,« erwiderte La Ramée, »und daß er uns bei dem bekannten Abendbrod bedienen muß. Monseigneur hat das Adendbrod vergessen.«

»Nein. Aber ich hatte Herrn Grimaud vergessen.«

»Monseigneur weiß, daß es ohne ihn kein Abendbrod gibt.«

»Nun, so macht es, wie Ihr wollt.«

»Tretet näher, mein Lieber,« sprach La Ramée, »und hört, was ich Euch sage.«

Grimaud näherte sich mit seinem grießgrämigsten Gesichte.

La Ramée fuhr fort:

»Monseigneur erweist mir die Ehre, mich auf morgen zum Abendbrod unter vier Augen einzuladen.«

Grimaud machte ein Zeichen, durch das er sagen wollte, er wisse nicht, in welcher Beziehung dies ihn angehe.

»Doch, doch,« erwiderte La Ramée, die Sache geht Euch allerdings an, denn Ihr sollt die Ehre haben, uns zu serviren, abgesehen davon, daß, so guten Appetit und so großen Durst wir auch haben werden, immer noch etwas im Grunde der Platten und auf dem Boden der Flaschen zurückbleiben wird, und dieses Etwas ist für Euch.«

Grimaud verbeugte sich zum Danke.«

»Und nun Monseigneur,« sprach La Ramée, »bitte ich Eure Hoheit um Entschuldigung, es scheint, Herr von Chavigny entfernt sich auf einige Tage, und er läßt mir sagen, er habe vor seiner Abreise noch einige Befehle zu geben.«

Der Herzog versuchte es, mit Grimaud einen Blick zu wechseln, aber Grimauds Auge war ohne Blick.

»Geht,« sagte der Herzog zu La Ramée, »und kommt bald zurück.«

»Will Monseigneur Revanche für die Ballpartie von gestern haben?«

Grimaud machte ein unmerkliches Zeichen von oben nach unten.

»Ja,« sagte der Herzog, aber nehmt Euch in Acht, mein lieber La Ramée, die Tage folgen sich, aber gleichen sich nicht; heute bin ich entschlossen, Euch gehörig zu schlagen.«

La Ramée entfernte sich, Grimaud folgte ihm mit den Augen, ohne daß sein übriger Körper nur um eine Linie von seiner Richtung abging; als er die Thüre wieder geschlossen sah, zog er rasch aus seiner Tasche einen Bleistift und ein Blatt Papier und sagte:

»Schreibt, Monseigneur.«

»Und was soll ich schreiben?«

Grimaud machte ein Zeichen mit dem Finger und diktierte:

»Alles ist für morgen Abend bereit; habt Acht von sieben Uhr bis neun Uhr, bringt zwei Reitpferde mit Euch, wir steigen durch das erste Fenster der Galerie hinab.«

»Weder,« sprach der Herzog.

»Weiter, Monseigneur?« erwiderte Grimaud erstaunt. »Weiter? unterzeichnet.«

»Und das ist Alles?«

»Was wollt Ihr mehr, Monseigneur,« sprach Grimaud, der sehr sehr für die Kürze eingenommen war.

Der Herzog unterzeichnete.

Hat Monseigneur den Ball verloren?« fragte Grimaud.

»Welchen Ball?«

»Denjenigen, welcher den Brief enthielt.«

»Nein, ich dachte, er könnte uns nützlich sein. Hier ist er.«

Und der Herzog zog den Ball unter dem Kopfpfühl hervor und reichte ihn Grimaud.

Grimaud lächelte so angenehm, als es ihm nur immer möglich war.

»Nun?« fragte der Herzog.

»Ich nähe das Papier in den Ball, und wenn Ihr spielt, werft Ihr denselben in den Graben.»

»Aber vielleicht geht er verloren?»

»Seid unbesorgt, es ist Einer da, der ihn aufhebt.«

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen.

»Derselbe wie gestern?«

Grimaud wiederholte sein Zeichen.

»Der Graf von, Rochefort also?«

Grimaud machte zum dritten Male ein bejahendes Zeichen.

»Aber sage mir doch etwas über die Art und Weise, wie wir fliehen sollen,« sprach der Herzog.

»Es ist mir vor dem Augenblick der Ausführung verboten.«

»Wer sind diejenigen, welche mich auf der andern Seite des Grabens erwarten werden?«

»Ich weiß es nicht, Monseigneur.«

»Aber theile mir doch wenigstens mit, was die Pastete enthalten wird,wenn Du nicht willst, daß ich verrückt werden soll?«

»Monseigneur, sie wird zwei Dolche, einen Strick mit Knoten und eine Maulbirne8 enthalten«

 

»Gut, ich begreife.«

»Monseigneur sieht, daß für Alles gesorgt ist.«

»Wir nehmen für uns die Dolche und den Strick,« sagte der Herzog.

»Und lassen La Ramée die Birne essen,« versetzte Grimaud.

»Mein lieber Grimaud,« sprach der Herzog, »Du sprichst nicht oft, aber man muß Dir Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn Du sprichst, sprichst Du goldene Worte.«

8Die Maulbirne war ein vervollkommnter Knebel; er hatte die Form einer Birne, wurde in den Mund geschoben und mittelst einer Feder so sehr erweitert, daß er den Mund und die Kinnbacken so weit als möglich auseinanderzog.