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Salvator

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LXXI
Torre – Vergata

Der Mönch ging mit ernstem langsamem Schritte hinaus.

Im Vorzimmer fand er einen Thürsteher Sr. Heiligkeit.

»Seine Exzellenz der Vicomte von Chateaubriant?« fragte der Mönch.

»Ich bin beauftragt, Sie zu ihm zu führen, antwortete der Thürsteher.

Und er ging voran; der Mönch folgte ihm.

Der Dichter wartete, wie er gesagt, in den Stanzen Raphaels. Er saß vor dem »»h. Petrus, den der Engel befreit.«

Sobald er auf den Dielen das Geräusch einer Sandale hörte, wandte er sich um.

Er hatte geahnt, daß es der Mönch sei.

Und wirklich stand der Mönch vor ihm.

Er warf einen raschen Blick auf sein Gesicht, es war ruhig, wie eine Marmormaste, aber auch eiskalt, wie eine solche.

Der Mann mit dem tiefen Gefühl empfand einen Schauer gegenüber von diesem Menschen, der ganz Eis war.

»Nun?« fragte der Dichter.

»Nun, ich weiß jetzt, woran ich mich zuhalten habe,« antwortete der Mönch.

»Er hat Ihre Bitte abgeschlagen!« stotterte Herr von Chateaubriant.

»Ja, und er konnte nicht anders handeln. Ich habe wie ein Sinnloser gehandelt, daß ich einen Augenblick glauben konnte, man werde um meinetwillen, das heißt eines armen Mönches willen, um meines Vaters, das heißt eines Dieners von Napoleon willen, an einem Grundgesetze der Kirche, einem Dogma rütteln, das aus Christi eigenem Munde stammt.«

»So wird also,« fragte der Dichter seinen Blick in die Augen des Mönches tauchend, »so wird Ihr Vater also sterben?«

Der Mönch antwortete nicht.

»So hören Sie,« versetzte Herr von Chateaubriant, »wollen Sie mich versichern, daß Ihr Vater unschuldig ist?«

»Ich habe Sie bereits einmal dessen versichert. Wenn mein Vater schuldig wäre, so hätte ich gelogen.«

»Das ist wahr, Sie haben Recht; entschuldigen Sie mich, hören Sie, was ich Ihnen sagen wollte.«

Das Schweigen des Mönches deutete an, daß er hörte.

»Ich kenne Carl X persönlich; er ist ein gutes edles Herz. Ich war im Begriffe zu sagen, ein großes Herz, aber auch ich will nicht lügen; überdies werden vor Gott Die, welche gut waren, vielleicht mehr werth sein, als Die, welche groß waren.«

»Sie haben die Absicht,« unterbrach ihn Bruder Dominique, »mir anzubieten, bei ihm um Gnade für meinen Vater zu bitten.«

»Ja.«

»Ich danke Ihnen. Dieses Anerbieten machte mir bereits der Papst selbst und ich habe es ausgeschlossen.«

»Und welchen Grund führten Sie für Ihre Weigerung an?«

»Weil der König nur Schuldige begnadigen kann. Von ihm begnadigt, würde mein Vater, wie ich ihn kenne, den ersten freien Gebrauch seiner Rechten nur dazu benutzen, sich das Hirn zu zerschmettern.«

»Aber was wird nun geschehen?« fragte der Vicomte.

»Gott, der in der Zukunft und in meinem Herzen liest, weiß es allein. Wenn der Plan, den ich gefaßt, Gott mißfällt, wird Er, der mit einem Winke mich vernichten kann, dieses Zeichen geben und ich falle ins Staub . . . Billigt dagegen Gott meinen Plan, so wird er den Weg, den ich zu gehen habe ebnen.«

Erlauben Sie, mein Vater,« sagte der Gesandte, »daß ich diesen Weg weniger rauh und anstrengend mache.«

»Indem Sie meine Reise auf einem Schiffe oder mit einem Vetturin bezahlen?«

»Sie gehören einem armen Orden an, mein Vater, und es heißt nicht, Sie beleidigen, wenn ich Ihnen ein Almosen im Namen des Landes anbiete.«

»Unter allen andern Umständen,« antwortete der Mönch, »würde ich dieses Almosen von Frankreich oder von Ihnen annehmen, und die Hand küssen, die es mir gäbe. Aber ich bin zur Mühseligkeit geboren, und in der Geistes- und Gemüthsverfassung. in der ich mich befinde, ist die Anstrengung ein Genuß für mich.«

»Gewiß, aber auf einem Schiffe oder mit einem Wagen würden Sie schneller das Ziel Ihrer Reise erreichen.«

»Weshalb sollte ich rascher gehen, welches Bedürfniß habe ich, das Ziel zu erreichen. Alles, was ich bedarf, ist, daß ich am Tage vor der Hinrichtung meines Vaters ankomme. Ich habe das Wort König Carls X für drei Monate; ich verlasse mich auf sein Wort, komme ich am neunundachtzigsten Tage in Paris an, so komme ich zur rechten Zeit.«

»Da Sie somit keine Eile haben, so lassen Sie mich Ihnen die Gastfreundschaft des Hotels der französischen Gesandtschaft anbieten.«

»Eure Exzellenz mögen mir verzeihen, wenn ich Ihre gütigen Anerbietungen ausschlage; aber ich gehe.«.

»Wann?«

»Heute.«

»Um welche Stunde?«

»Sogleich.«

»Ohne in St. Peter Ihr Gebet verrichtet zu haben?«

»Mein Gebet ist verrichtet und dann bete ich unterwegs im Gehen.«

»So lassen Sie mich wenigstens Sie begleiten.«

»Sie so spät als möglich zu verlassen, nachdem ich Ihnen so vielfach verpflichtet bin, wird ein großes Glück für mich sein.«

»Sie werden mir wohl die Zeit gönnen, meine Gesandtenuniform abzulegen?«

»Euer Exzellenz persönlich werde ich gerne die Zeit gönnen, die Sie von mir zu fordern mir die Ehre erzeigen.«

»Nun so wollen wir einsteigen und nach der Gesandtschaft zurückfahren.«

Der Mönch machte ein zustimmendes Zeichen.

Der Wagen wartete am Thore des Vatican: der Mönch und der Gesandte stiegen ein.

Nicht ein Wort wurde auf der Fahrt zwischen ihnen gewechselt. Man kam beim Gesandtschaftshotel an.

Herr von Chateaubriant trat mit dem Mönch in sein Cabinet, nachdem er mit dem Thürsteher einige Worte gewechselt hatte.

Von seinem Cabinete begab er sich in sein Zimmer.

Kaum hatte sich die Thüre seines Zimmers geschlossen, als man einen vollständig servierten Tisch mit zwei Gedecken hereinbrachte.

Zehn Minuten später kehrte Herr von Chateaubriand zurück, der sich seiner Uniform entledigt und wieder in die gewöhnliche Kleidung geworfen.

Er lud den Bruder Dominique ein, sich mit ihm zu Tische zu setzen und zu essen.

»Ich habe ein Gelübde gethan, als ich von Paris wegging,« sagte der Mönch, »Klein Mahl stehend zu verzehren, nur Brot zu essen und nur Wasser zu trinken, bis ich wieder nach Paris zurückgekehrt wäre.«

»Für diesmal, mein Vater,« sagte der Poet, »werde ich Ihr Gelübde theilen; auch ich esse nur Brot und trinke nur Wasser. Freilich ist das Wasser von der Treviquelle!«

Beide aßen stehend ein Stück Brot und tranken ein Glas Wasser.

»Wir wollen ausbrechen!« sagte der Poet zuerst zum Mönche.

»Ja, wir wollen aufbrechen!« antwortete dieser.

Der Wagen wartete.

»Nach Torre Vergata.« sagte der Gesandte.

Dann sich nach dem Mönche umwendend, setzte er hinzu:

»Das ist meine tägliche Promenade, ich brauche also nicht mal um Ihretwillen von meiner Gewohnheit abzuweichen.«

Der Wagen fuhr durch die Corsostraße über die Piazza del Popolo und dann auf die Straße nach Frankreich.

Man kam an der Ruine vorüber, welche den Namen »das Grab des Nero« führt.

In Rom ist altes Nero.

Voltaire sagte von Heinrich IV.

»Der einzige König, dessen sich das Volk erinnert.«

Nero ist der einzige Kaiser, dessen sich die Römer erinnern »Wer ist dieser Coloß?« – Das ist die Statue des Nero, – »Was ist das für ein Thurm?« – Das ist der Thurm des Nero. – Was ist das für ein Grab?« – Das ist das Grab des Nero. Und all das hört man ohne die geringste Verwünschung sagen, ohne eine Spur von Haß. Die Römer von heutzutage lesen wenig im Tacitus.

Was konnte dem Mörder seines Bruders Britannicus, seiner Gemahlin Octavia und seiner Mutter Agrippiua diese ungeheure Popularität verschaffen?

War es. nicht das, daß Nero mitten unter seinen Verbrechen Künstler war?

Des Virtuosen, nicht des Kaisers erinnert sich das Volk; nicht des Cäsars mit dem goldenen Diademe, sondern des Histrionen mit der Rosenkrone.

Eine Meile ungefähr von dem Grabe des Nero hielt der Wagen.

»Bis hierher fahre ich gewöhnlich,« sagte der Poet; »wollen Sie, daß der Wagen Sie weiterfahre!«

»Da Euer Exzellenz anhält, halte auch ich an; aber nur so lange, als ich brauche, um Ihnen Lebewohl zu sagen.«

»So leben Sie wohl, mein Vater,« sagte der Poet, »Gott geleite Sie!«

»Leben Sie wohl, mein erlauchter Beschützer!« sagte der junge Mann. »Ich werde nie vergessen, was Eure Exzellenz für mich gethan, und namentlich, was Sie für mich zu thun beabsichtigen.«

Und der Mönch trat mit auf der Brust gekreuzten Händen einen Schritt zurück.

»Geben Sie mir nicht Ihren Segen, ehe Sie mich verlassen?« sagte der Greis zu dem jungen Manne.

Der Mönch schüttelte den Kopf.

»Diesen Morgen,« sagte er, »konnte ich noch segnen; aber diesen Nachmittag, mit den Gedanken, die ich im Herzen trage, wäre der Segen Fluch und könnte Ihnen Unglück bringen.«

»So sei es denn,« sagte der Poet. »Lassen Sie mich Sie segnen. Ich mache von dem Rechte Gebrauch, das mir mein Alter gibt. Gehen Sie und Gott sei mit Ihnen!«

Der Mönch verbeugte sich zum letzten Male und schlug den Weg nach Spoleto ein.

Er ging eine halbe Stunde lang fort, ohne sich ein einziges Mal nach Rom umzusehen, das er verließ, um es ohne Zweifel nie wieder zu sehen und das nicht mehr Raum in seinem Geiste einzunehmen schien, als das letzte Dorf in Frankreich.

Der Poet folgte ihn mit den Blicken, unbeweglich stumm, so lange er ihn sehen konnte, indem er ihn mit seinen Augen bei der Heimkehr aus Italien begleitete, wie Salvator ihn beim Weggehen nach Italien begleitet hatte.

Endlich verschwand Dominique hinter der kleinen Anhöhe von Storta.

Nicht ein einzig Mal hatte der Schmerzenspilger den Kopf umgewandt.

Der Poet sandte ihm einen letzten Seufzer nach und mit gesenktem Haupte und schlaff herabhängenden Armen trat er zu einer-Gruppe von Leuten, die ihn links vom Wege bei einer begonnenen Ausgrabung zu ermatten schienen.

Am selben Abende schrieb er an Madame Recamier:

»Ich muß Ihnen schreiben, denn mein Herz ist traurig.«

 

»Ich werde Ihnen indessen nicht von dem schreiben, was mein Herz traurig macht, sondern von dem, was meinen Geist beschäftigt, von meinen Ausgrabungen, Torre-Vergata ist ein Besitzthum von Mönchen, ungefähr eine Meile vom Grabe des Nero, auf der linken Seite, wenn man von Rom kommt, am schönsten und einsamsten Punkte. Dort befindet sich eine ungeheure Masse von Ruinen, welche beinahe zu Tage liegen und nur mit Gras und Disteln bedeckt sind. Ich habe vorgestern, Dienstag, eine Ausgrabung vorgenommen, indem ich meinen Briefwechsel mit Ihnen unterbrach; Visconti begleitete mich, da er die Ausgrabungen leitet. Es war das schönste Wetter von der Welt; ein Dutzend Menschen, mit Spaten und Hacken versehen, welche Gräber und Häusertrümmer und Paläste in der tiefsten Einsamkeit aufgruben, boten ein Ihrer würdiges Schauspiel; ich hatte einen einzigen Wunsch: Sie möchten da sein. Ich würde gerne mit Ihnen unter einem Zelte inmitten dieser Trümmer leben.

»Ich habe selbst Hand an’s Werk gelegt; die Anzeichen sind vortrefflich; ich hoffe etwas zu finden, was mich für das Geld entschädigen wird, das ich in diese Lotterie der Todten sehe. Am ersten Tage schon fand ich einen Blatt von griechischem Marmor, der groß genug ist, um die Büste des Poussin daraus zu meißeln. Geistern haben wir das Skelett eines gothischen Soldaten und den Arm einer weiblichen Statue aufgefunden. Das hieß gewissermaßen den Zerstörer mit der Raine, die er gemacht, finden; wir haben große Hoffnung, diesen Morgen die Statue selbst zu finden. Wenn die architektonischen Trümmer, die ich zu Tage fördere, der Mühe lohnen, so werde ich sie nicht zerstückeln lassen, um die Mauersteine zu verkaufen, wie dies gewöhnlich geschieht; sondern ich lasse sie ganz und sie sollen meinen Namen tragen; sie stammen aus der Zeit des Domizian; wir haben eine Inschrift, welche darauf hindeutet. Es ist die gute Zeit der Römischen Kunst.

»Diese Ausgrabungen werden das Ziel meiner Spaziergänge werden; ich werde mich alle Tage in mitten dieser Trümmer niederlassen und wenn ich mit meinen zwölf halbnackten Bauern den Ort mal verlasse, wird alles wieder in Vergessenheit und Stille zurücksinken. Können Sie sich all die Leidenschaften, all’ die Interessen denken, die einst an diesem verlassenen Orte spielten? Hier wohnten Herren und Sklaven, Glückliche und Unglückliche, schöne Personen, die man liebte und Ehrgeizige, die Minister werden wollten; jetzt nisten dort nur einige Vögel und ich habe meinen Sitz für kurze Zeit an dieser Stelle aufgeschlagen: wir werden bald wieder davonfliegen. Sagen Sie mir, glauben Sie, daß es sich der Mühe lohnt, eines der Glieder des Rathes eines kleinen gallischen Königs zu sein, für mich, den Barbaren der Armorika, den Reisenden bei den Wilden einer unbekannten Römerwelt, und den Gesandten bei den Priestern, die man den Löwen vorwarf? Als ich Leonidas in Lacedämonien rief, antwortete er mir nicht; das Geräusch meiner Schritte in Torre Vergata wird niemand geweckt haben, und wenn ich im Grabe liege, werde ich selbst den Ton Ihrer Stimme nicht mal hören. Ich muß deßhalb eilen, mich Ihnen zu nahen und all den Chimären des Menschenlebens ein Ende zu machen. Es gibt nichts Gutes als den Rückzug und nichts Wahres, als eine Anhänglichkeit wie die Ihre.«

F. von Chateaubriant.

Die Post, welche jeden Abend um sechs Uhr von Rom abgeht, nahm diesen Brief mit und gegen elf Uhr in der Nacht kam sie zwischen Baccano und Nepi an einem Pilger vorüber, der am Rand des Weges auf einem Steine saß.

Dieser Pilger war Bruder Dominique, der seinen ersten Halt auf dem Wege von Rom nach Paris machte.

LXXII
Epistel eines Gesangmeisters

Während der Abbé Dominique mit einem durch das düstere Resultat seiner Pilgerfahrt gebrochenen Herzen nach zurückkehrt, wollen unsere Leser uns gestatten, sie nach der Rue Mâcon zu Salvator zu führen.

Dort sollen sie erfahren, »welch furchtbares Ereigniß Regina Morgens sieben Uhr zu Petrus führte.

Salvator, welcher seit einigen Tagen abwesend gewesen, war so eben nach Hause zurückgekehrt, als er mitten in den Zärtlichkeiten Fragola’s und den Liebkosungen Rolands durch drei Schläge an die Thüre unterbrochen wurde.

An dieser Art zu pochen, erkannte er einen seiner drei Freunde; er öffnete: es war Petrus.

Salvator trat zwei Schritte zurück, als er das entstellte Gesicht des jungen Menschen sah.

Er ergriff lebhaft seine beiden Hände.

»Mein Freund,« sagte er, »es ist Ihnen ein großes Unglück begegnet, nicht wahr?«

»Ein nicht wieder gut zu machendes Unglück,« versetzte Petrus mit beinahe tonloser Stimme.

»Ich kenne nur ein nicht wieder gut zu machendes Unglück,« antwortete Salvator ernst: »es ist dies der Verlust unserer Ehre und ich brauche nicht hinzuzufügen, daß ich eben so großes Vertrauen zu der Ihren, als zu der Meinigen habe.«.

»Dank,« antwortete Petrus gerührt, indem er die Hände seines Freundes herzlich drückte.

»Nun, so lassen Sie hören, wir sind Männer, lassen Sie uns als Männer sprechen. Was ist Ihnen begegnet, Petrus?« fragte Salvator.

»Lesen Sie,« antwortete der junge Mann, indem er seinem Freunde einen ganz zerknitterten, und von Thränen durchnässten Brief übergab.

Salvator nahm den Brief, entfaltete ihn und sah dabei Petrus an.

Dann die Augen von dem jungen Manne auf den Brief richtend, las er:

An die Fürstin Regina de la Motte-Houdan, Gräfin Rappt.

»Madame!

»Einer der ergebensten und respectvollsten Diener der edlen und alten Familie de la Motte-Houdan fand durch einen jener Zufälle, in welcher sich die Hand der Vorsehung sichtbar offenbart, Gelegenheit, Ihnen anonym den größten Dienst zu erweisen; den ein Mensch einem andern Menschen erweisen kann.

»Sie werden meine Ansicht theilen, deß bin ich gewiß, Madame, wenn Sie wissen, daß es sich nicht allein um das Glück und die Ruhe Ihrer ganzen Existenz, sondern auch um die Ehre des Herrn Grafen Rappt und vielleicht sogar um etwas weit Kostbareres, das Leben des erlauchten Marschalls, Ihres Vaters, handelt.

»Ich bitte Sie um die Erlaubnis, Ihnen die Mittel zu verschweigen, mit Hilfe deren ich zu der Entdeckung der Gefahr gelangt bin, die Ihnen droht, sowie zu der Hoffnung, Sie für immer davor zu bewahren. Die wahre Ergebenheit ist bescheiden; erlauben Sie mir, es zu wiederholen, ich habe die Ehre, mich einen der ergebensten Diener der Familie de la Motte-Houdan zu nennen.

»Vernehmen Sie denn, Madame, die Sache in ihrer ganzen Schrecklichkeit:

»Ein Mann, ein Bösewicht, ein Elender, ein Schuft, der die furchtbarste Strafe verdient, hat durch Zufall, sagt er, bei Herrn Petrus elf mit dem Namen Regina, Gräfin von Brignolles unterzeichnete Briefe gefunden. Er weiß genau, Madame, daß Sie nicht Gräfin von Brignolles sind; Ihr Adel ist von ganz anderem Alter, als der jener würdigen Pflaumenhändler; aber er sagt, wenn Sie auch den Namen verleugnen könnten, so könnten Sie nicht die Schrift verleugnen. Ich-weiß nicht, durch welchen unglücklichen Zufall diese Briefe in seine Hände gefallen sind; aber ich bin im Stande, Sie von dem exorbitanten Preise in Kenntniß zusetzen, den er für ihre Zurückgabe verlangt . . . «

Salvator sah Petrus an, als wollte er ihn fragen, was an dem Anfang dieses Briefes Wahres sein könnte.

»O lesen Sie, lesen Sie,« sagte Petrus, »wir sind noch nicht zu Ende.«

Salvator fuhr fort:

»Er verlangt nicht weniger, als die wahnsinnige Summe von fünfmal hunderttausend Franken, dies bei einem Vermögen, wie das Ihre, ein kaum bemerkbares Defizit sein wurden, während sie in seinen Händen die Ruhe seines ganzen Lebens begründete . . . «

Als er diese Ziffer sah, zog Salvator die Brauen so bedenklich zusammen, daß Petrus mit halberstickter Stimme und das Gesicht in den Händen bergend, ausrief:

»Nicht wahr, das ist furchtbar?«

»Allerdings, furchtbare!« antwortete Salvator traurig den Kopf schüttelnd.

Aber mit jener ruhigen Stimme, die selbst der Untergang der Welt nicht erschüttern zu kennen schien fuhr er fort:

»Dieser Elende, Madame, sagt, um den exorbitanten Preis zu rechtfertigen, den er für diese kostbaren Briefe stellt, daß jede der Episteln, welche durchschnittlich fünfzig Zeilen enthalten, in Ansehung der Schönheit und der Stellung der Person, welche sie geschrieben, nicht unter fünfzigtausend Franken im Werthe geschätzt werden dürfe, was für jede Zeile tausend Franken und für elf Briefe fünfmal hunderfünfzigtausend Franken machte.

»Erschrecken Sie indes; nicht zu sehr, Madame; Sie werden sogleich sehen, daß mein Freund – habe ich gesagt, mein Freund? – ich wollte sagen, daß der Elende seine Anmaßungen auf fünfmal hunderttausend Franken reduzierte.

»Welche Bemerkungen ich ihm auch machte, welche Bitten, Mahnungen, ja Drohungen ich an ihn richtete, er beharrte nicht nur auf seinem abscheulichen Plane, sondern er behauptete sogar, daß angesichts der wahren Gefühle, welche in diesen Briefen sich aussprechen und deren Veröffentlichung die Ehre des Herrn Grafen Rappt und die kostbaren Tage des Herrn Marschall de la Motte Haudan aufs Spiel setzte, fünfmal hunderttausend Franken eine wahre Bagatelle seien.

»Ich suchte ihn dadurch zu schrecken, daß ich ihm die Gefahr vorhielt, die er selbst dabei laufe, indem er ein solches Spiel spiele; ich wies ihn darauf hin, daß sie sichere Polizeibeamte aufstellen lassen würden, um ihn in dem Momente ergreifen zulassen, wo er Hand an diese Summe lege, die er so nothwendig zu haben scheint, daß er gegen ihre Ziffer nicht den geringsten Einwand duldete; ich sagte ihm, daß jede andere Frau, als, Sie, welche sich in ihren theuersten Neigungen bedroht sähe, noch weiter gehen und ihn ermorden lassen wurde, aber bei dieser Bemerkung, welche mein voller Ernst war, lachte der Bube laut auf, indem er sagte, daß in dem einen, wie in dem andern Falle, ein Prozeß entstehen wurde, daß die Briefe bei dem Prozesse natürlich auf den Tisch des Gerichts gelegt, von dem Procurator des Königs zitiert, von den Journalen abgedruckt werden würden und in Folge dessen mehr als je, ganz abgesehen von Ihrem guten Rufe, die Ehre des Herrn Rappt und die kostbaren Tage des Herrn Marschalls in Gefahr wären.

»Ich mußte mich diesem peremptorischen Grunde fügen.

»Ach! Madame, es gibt in unserer armen Welt sehr große Schufte!

»Ich habe daher den Schmerz, Ihnen anzuzeigen, daß, nachdem ich vergeblich alle ordentlichen Mittel ausgesucht, diese Catastrophe abzuwenden, Sie nach meiner Ansicht nur ein einiges Mittel haben, die Ruhe Ihrer Familie zu sichern: nämlich das Verlangen dieses unwürdigen Menschen zu erfüllen.

»So vernehmen Sie denn die Vorschläge, die er die Ehre hat Ihnen zu machen, und die ich die Ehre habe, Ihnen in seinem Namen zu unterbreiten, indem ich hoffe und wünsche, Madame, daß die Worte dieses Erzschuftes, in dem sie durch den Mund eines loyalen und ehrenhaften Mannes gehen, einen Theil ihrer Bitterkeit verlieren werden.

»Er verlangt also fünfmal hunderttausend Franken, und um Ihnen seine Legalität und seine Uneigennützigkeit zu beweisen – das menschliche Herz ist ein unerforschliches Labyrinth, das nicht seines Gleichen hat, es sei denn der Mißbrauch, den man zuweilen von der Sprache macht – und um Ihnen, wie gesagt, seine Loyalität und Uneigennützigkeit zu beweisen, macht er Ihnen das Anerbieten, Ihnen einen der Briefe ohne Bedingung zurückzugeben, damit, wenn Sie so blind sein sollten, irgend einen Zweifel zu behalten, dieser Zweifel Ihnen benommen sei, und er beauftragt mich, ihn diesem Briefe beizuschließen.

»Auf diese Weise setzt er seine Forderung, die er auf fünfmal hundertfünfzigtausend Franken stellen, könnte, nicht höher als fünfmal hunderttausend Franken.«

»Er denkt übrigens, daß, nachdem er Ihnen einen so eclatanten Beweis seines Vertrauens gegeben, Sie nicht mehr an der fernerweitigen Offenheit seiner Beziehungen zu Ihnen zweifeln werden.

»Wenn Sie diese Bedingungen annehmen, woran er nicht zweifelt, so bittet er Sie, diesen Abend zum Zeichen Ihrer Einwilligung ein Licht an das letzte Fenster Ihres Pavillous zu stellen.

»Er wird pünktlich um Mitternacht unter diesem Fenster sein.

»Ist dieser erste Punkt angenommen, so bittet er Sie, sich am andern Tage zur selben Stunde hinter dem Gitter Ihres Gartens, auf der Seite des Boulevard des Invalides einzufinden.

»Ein Mann, dessen Anblick Sie durchaus nicht erschrecken darf, – denn so sehr sein Herz von schwarzer Treulosigkeit erfüllt ist, so sehr trägt sein trügerisches Gesicht das Gepräge der Sanftmuth und Unschuld, – ein Mann wird sich dem Gitter nahen und Ihnen von weitem ein Paket Briefe zeigen.

 

»Sie. Madame, werden dann das erste Pakt mit fünfzigtausend Franken in Bankbillets von tausend oder fünftausend zeigen. Dies wird von Ihrer Seite der Beweis sein, daß Sie begriffen heben. Er wird dann drei Schritte auf Sie zu machen, Sie machen drei Schritte gegen ihn und zu gleicher Zeit, während er seine Hand ausstreckt, strecken Sie die Ihre aus; Sie werden ihm dann den Preis des ersten Briefes geben und er gibt Ihnen den Brief.

»Dasselbe wird mit gleicher Regelmäßigkeit beim zweiten, dritten bis zum letzten Male einschließlich stattfinden.

»Er glaubt, Madame, daß die schlimmen Tage, die er in Gemeinschaft mit ganz Frankreich durchzumachen hat, die Theuerung der Lebensmittel, der exorbitante Aufschlag der Wohnpreise, der herzzerreißende Schrei einer zahlreichen und hungrigen Familie ebenso viele, wenn auch nicht zureichende, so doch scheinbare Gründe sind, die Kühnheit seiner Bitte zu rechtfertigen, oder wenigstens zu mildern.

»Derjenige aber, der es auf eine ganz uneigennützige Weise über sich nimmt der Vermittler dieses Elenden bei Ihnen zu sein, wirft sich demüthig zu Ihren Fäden und bittet Sie zum dritten Male, Madame, ihn unter die Zahl Ihrer ergebensten und respectvollsten Diener zu rechnen.

»Graf Ercolano ***.«

»Das ist allerdings ein großer Schuft,« sagte Salvator mit seiner sanften und ruhigen Stimme.

»Ja wohl, ein heilloser Bube,« versetzte Petrus mit knirschenden Zähnen und geballten Händen.

»Und was gedenken Sie zu thun?«. fragte Salvator, indem er Petrus fest ansah.

»Ich weiß nicht,« antwortete Petrus, außer sich.

»Ich glaubte, daß ich ein Narr würde; zum Glücke dachte ich ganz natürlich an Sie und eilte herbei; um Sie um Rath und Hilfe zu bitten.«

»So haben Sie also kein Mittel gefunden?«

»Ich gestehe, daß ich bis jetzt nur auf ein einziges gekommen bin.«

»Welches?«

»Mir das Hirn zu zerschmettern.«

»Das ist kein Mittel, das ist ein Verbrechen,« antwortete Salvator kalt, »und ein Verbrechen hat nie seinen Schmerz geheilt.«

»Verzeihen Sie,« antwortete der junge Mann, »aber Sie müssen bedenken, daß ich nicht mehr bei Sinnen bin.«

»Und doch, wenn Sie je Ihres Kopfes bedurften, so ist es heute.«

»O mein Freund, mein lieber Salvator,« sagte der junge Mann, indem er sich in seine Arme warf, während Fragola sie mit gefalteten Händen, den Kopf auf die Schulter geneigt und einer Statue des Mitleids ähnlich, ansah, »o mein Freund, retten Sie mich.«

»Ich werde es versuchen,« sagte Salvator, »damit mir dies jedoch gelinge, muß ich die Umstände in all’ ihren Einzelheiten kennen. Sie sehen ein, daß es nicht Neugierde ist, nicht wahr, wenn ich Sie bitte, mich in Ihre Geheimnisse einzuweihen?«

»O! Gott behüte mich, daß ich vor Ihnen welche hätte, hat Regina welche vor Fragola?i«

Und Petrus bot dem jungen Mädchen die Hand.

»Warum ist sie denn nicht gekommen, mich aufzusuchen?« sagte Fragola.

»Was konnten Sie in einem solchen Falle thun?« fragte Petrus.

»Mit ihr weinen,« antwortete Fragola einfach.

»Sie sind ein Engels,« murmelte Petrus.

»Nun lassen Sie hören,« sagte Salvator, »es ist keine Zeit zu verlieren. Wie kam dieser Brief, der an die Frau Gräfin Rappt gerichtet ist, in Ihre Hände? wie kamen die Briefe der Frau Gräfin Rappt in die Hände dieses Banditen? und wen haben Sie im Verdacht, daß er sie Ihnen gestohlen ?«

»Ich werde versuchen, soviel Ordnung in meine Antworten zu bringen, als Sie in Ihre Fragen brachten, mein lieber Salvator, aber tadeln Sie mich nicht, wenn ich, da ich nicht die Gewalt über mich habe, wie Sie über sich, von der Linie entferne, die Sie wir gezogen.«

»Sprechen Sie, mein Freund, sprechen Sie, versetzte Salvator in seinem weichsten und ermuthigendsten Tone.

»Sprechen Sie und haben Sie Vertrauen auf Gott.« fügte Fragola hinzu, indem sie eine Bewegung machte, als wollte sie sich entfernen.

»O bleiben Sie, bleiben Sie,« sagte Petrus, »sind Sie nicht seit weit längerer Zeit Reginas Freundin, als Salvator der meinige ist?«

Fragola verneigte sich zum Zeichen der Zustimmung.

»Nun denn, diesen Morgen, vor einer halben Stunde,« sagte Petrus nach einer Pause, während welcher er sich gesammelt hatte, kam Regina in der größten Bestürzung, die aus allen ihren Zügen sprach, zu mir.«

»»Haben Sie meine Briefe?«« fragte sie mich.

»Ich war so weit entfernt, an das, was geschehen, zu denken, daß ich sie fragte:

»»Welche Briefe?««

»»Die Briefe, die ich an Sie geschrieben, mein Freund; elf Briefe!««

»»Sie sind hier,«« antwortete ich.

»»Wo?««

»»In dieser Truhe, in diesem Kistchen.««

»»Oeffnen Sie, sehen Sie nach und zeigen Sie mir.««

»Ich hatte den Schlüssel an meinem Halse hängen; ich lies ihn nie von mir. Das Kistchen war an die Truhe gesiegelt. Ich glaubte deßhalb bejahend antworten zu dürfen.«

Zeigen Sie sie mir rasch, rasch!« wiederholte sie.

»Ich trat; an die Truhe, öffnete den Deckel, das Kistchen war an seinem Platz.«

»»Sehen Sie ist« sagte ich zu ihr.

»»In der That,«« antwortete sie, »»ich sehe das Kistchen; aber die Briefe, die Briefe?««

»»Die Briefe sind drinnen.««

»»Zeigen Sie sie mir, Petrus.««

»Ich öffne das Kistchen voll Zuversicht und mit einem Lächeln auf den Lippen.«

»Das Kistchen war leer!«

»Ich stieß einen Schrei der Verzweiflung aus, Regina jammerte.«

»»Ha!«« sagte sie, »»so ist es also doch wahr!««

»Ich war vernichtet, ich wagte nicht, den Kopf zu erheben, ich sank vor ihr auf die Kniee.«

»Nun erst bot sie mir den Brief, den Sie kennen.

»Ich las ihn . . . «

»Mein Freund, ich begreife jetzt, wie leicht man ein Mörder werden kann.«

»Haben Sie Jemand im Verdachte? Sind Sie Ihres Dieners sicher?«

»Mein Diener ist ein Dummkopf; aber er ist einer schlechten Handlung durchaus unfähig.«

»Es ist aber doch unmöglich, daß Sie auf gar Niemanden Verdacht haben sollten.«

»Ich habe allerdings einen Verdacht, aber keine Gewißheit.«

»Man kommt von dem Bekannten auf das Unbekannte. Auf wen haben Sie Verdacht?«

»Einen Mann, den Sie bei mir gesehen hätten, wenn Sie mich in letzter Zeit besucht haben würden.«

Salvator, statt sich zu entschuldigen daß er seinen Freund nicht besucht habe, schwieg.

»Ein Mann,« sagte Petrus, welcher die Ursache von Salvators Schweigen begriff, »ein Mann, der sich meinen Pathen nannte.«

»Ihren Pathen? Ah, ja, eine Art von Schiffscapitän, nicht wahr?«

»Ganz recht.«

»Er oder Bilderliebhaber?«

»Allerdings, ein alter Camerade meines Vaters: kennen Sie ihn?«

»Nein; aber vor meiner Abreise sagte mir Jean Robert zwei Worte von ihm und nach dem Signalement, das er mir von ihm gab, hatte ich ein dunkles Vorgefühl, daß Sie der Dupe einer Gaunerei oder wenigstens einer Mystifikation werden wurden; unglücklicher Weise mußte ich auf einige Tage verreisen; aber noch heute wollte ich zu Ihnen kommen, um die Bekanntschaft dieser Person zu machen . . . Und Sie sagen, daß dieser Mensch . . . ?«

»Sieh mir als ein alter Freund meines Vaters dargestellt, indem er einen Namen nannte, der mir wohl bekannt war, und den ich schon als Knabe als den eines tapferen und braven Seemannes hatte achten lernen.«

»Aber hatte der, welcher sich bei Ihnen einführte, das Recht diesen Namen zu führen?«

»Wie hatte ich daran zweifeln sollen und was konnte sein Zweck sein?«

»Sie sehen es jetzt: Ihnen die Briefe zu rauben.«

»Warum hätte ich diesen Verdacht schöpfen sollen: Er stellte sich mir reich wie ein Nabob vor und begann damit, mir einen Dienst zu leisten.«

»Einen Dienst.?« fragte Salvator, Petrus fest anblickend. »Welchen Dienst?«

Petrus fühlte, daß er von denn Blicke Salvator’s bis in’s Weiße seiner Augen erröthen.

»Er trat in’s Mittel, stotterte Petrus, »daß ich meine Möbel und meine Bilder nicht verkaufe, indem er mir zehntausend Franken lieh.«

»Gut, und für diese verlangt er fünfmal hunderttausend von der Gräfin Rappt. Sie müssen mir zugestehen, mein lieber Petrus, ein Spitzbube, der sein Geld zu verwerten weiß.«

Petrus konnte nicht umhin Salvator einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen.

»Nun,« sagte der junge Maler, »es ist ein Fehler, ich muß das zugeben; aber diese zehntausend Franken habe ich nun einmal angenommen.«

»Auf diese Weise sind Sie also jenem zehntausend Franken schuldig,« sagte Salvator.

»O,« sagte Petrus, »von diesen zehntausend Franken habe ich sechs- bis siebentausend Franken dringender Schulden bezahlt.«

»Darum handelt es sich nicht,« sagte Salvator, »wir wollen auf das wirkliche Unglück zurückkommen. Dieser Mann ist also verschwunden?«