Kostenlos

Salvator

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Habe ich die Ehre, einen Collegen vor mir zu sehen.«

»Höchstens einen aspirierenden Collegen,« hatte der Capitän bescheiden geantwortet, »obgleich ich mein Recht als Mitarbeiter an einigen Tragödien in Anspruch nehmen könnte, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts aufgeführt wurden, namentlich an der Tragödie »Geneviève de Brabant«, welche ich in Verbindung mit dem Citonen Cecile verfaßt und die zum ersten Male am 14. Brumaire des Jahres 17 . . . auf dem Odeon ausgeführt wurde.«

Acht Tage verflossen auf solche Weise: man führte den Capitän in alle Theater von Paris; man machte einen Spazierritt im Bois de Boulogne mit ihm, bei welcher Gelegenheit er sich als vollendeter Stallmeister erwies; endlich erdachte man für ihn alle möglichen Zerstreuungen und der Capitän, bis zu Thränen gerührt, theilte Petrus mit, daß seine beiden Freunde Beweise der Dankbarkeit und Freundschaft erhalten sollten.

LXVII
Die Einzelcabinette

Am Sonntag, an welchem die erste Sitzung für das Portrait der kleinen Abeille stattfinden sollte, wartete Petrus von acht Uhr Morgens in seinem Atelier, obgleich die Besucherinnen erst um Mittag kommen wollten.

Um zehn Uhr ließ er den Capitän fragen, ober mit ihm frühstücken wollte.

Jean jedoch theilte ihm mit vorsichtiger Miene mit, daß der Capitän seit gestern nicht zurückgekommen sei.

Petrus fühlte sich behaglich, als er diese Abwesenheit erfuhr.

Er hatte gefürchtet, Regina möchte dem Capitän begegnen.

Wenn Naturen, wie die von Ludovic, wie die von Jean Robert, selbst wie die seine, bisweilen einen Widerwillen gegen diesen Menschen empfanden, was wäre dann von der aristokratischen Natur Reginas zu erwarten?

Es war ihm jetzt, als wenns er lieber gestanden, er sei ruiniert und genöthigt, seine Meuble zu verkaufen, als zu gestehen, daß er Aussicht habe, vier Millionen von seinem Pathen zu erben.

Deßhalb gab er Jean Befehl, falls der genannte Pathe, während Regina in seinem Atelier wäre, zurückkommen sollte, dem Capitän zu sagen, daß er eine Sitzung habe.

Nachdem diese Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, frühstückte er, die Augen auf die Standuhr geheftet.

Um elf Uhr machte er so langsam als möglich seine Palette.

Um halb zwölf Uhr begann er seine Composition mit. weißem Crayon auf die, Leinwand zu zeichnen.

Um zwölf Uhr hielt ein Wagen vor der Thüre.

Petrus legte seine Palette auf einen Stuhl und eilte oben an dies Treppe.

Am ersten Tage schon begünstigte ihn der Zufall.

Regina begleitete die kleine Abeille allein.

»Wir sagten, Regina habe für den ersten. Tag einen Sonntag gewählt.

Die Marauisin de la Tournelle hatte sich nicht dispensieren zu können geglaubt, die große Messe in ihrer Pfarrkirche von Saint Germain des Pres zu hören.

Die kleine Abeille lief auf ihren Freund Petrus, mit allen Freundschaftsbezeugungen zu.

Es war sehr lange, daß sie ihn nicht mehr gesehen.

Regina bot dem Maler die Hand.

Petrus nahm diese Hand, schob mit den Lippen den Aermel des Handschuhs zurück und küsste sie durch die Oeffnung lange, zärtlich, mit jenem heiteren Gemurmel, dessen Glück so groß ist, daß es nicht stumm zu bleiben vermochte.«

Dann zeigte er ihnen die gemachten Vorbereitungen.

Regina war vollständig mit der Anlage des Gemäldes einverstanden.

Abeille war entzückt über die Blumen, welche sie erwarteten.

Petrus hatte am Tage vorher, um sie sich zu verschaffen, die Gewächshäuser des Luxembourg und des Jardin des Plantes geplündert.

Man begann die Sitzung.

Das Portrait von Regina zu malen, war eine Freude gewesen.

Das von Abeille zu malen, war ein Rausch!

Beim ersteren war Regina das Model gewesen.

Beim zweiten war sie Beratherin.

Diese Stellung als Beratherin gab ihr das Recht, sich Petrus zu nahen, sich auf seine Schulter zu stützen, mit ihm hinter der Leinwand zu verschwinden.

Und in jenen Momenten rasch, wie der Blitz aber auch zündend wie er, berührten die Haare der jungen Frau das Gesicht von Petrus; ihre Augen erzählten ihm alle Zaubereien der Liebe, ihre Lippen liebkosten ihn mit einem Hauche, der ihn hätte vom Tode aufwecken, dem Leben wieder schenken können, der ihn, da er noch lebte, in den Himmel hob.

Petrus nahm, wenn der Rath gegeben war, mit zitternder Hand und einem Blicke auf Regina seine Arbeit wieder auf.

Aber was brauchte er Abeille anzusehen? Hatte er nicht mit geschlossenen Augen das Portrait des kleinen Mädchens malen können?

Man mußte etwas sagen: nicht daß die Jungen Leute das Bedürfnis dazu gefühlt hatten; ihnen würde es genügt haben, sich ewig anzusehen und anzulächeln; ihre Blicke und ihr Lächeln sagten weit mehr als, ihre Worte.

Indeß man mußte sprechen.

Petrus erzählte deßhalb das Verschwinden Rose-de-Noëls, die Verzweiflung Ludovics, das Versprechen Salvators, sie wieder aufzufinden, den seltsamen Schwur Ludovics, sie zu heirathen, wenn sie auch reich wäre!

Regina erzählte dagegen, daß Carmelite sich bei ihr vor Herrn Sosthene de la Rochefoucauld habe hören lassen, enthusiastischen Beifall gefunden, und den Befehl zum Debut in der Oper erhalten habe.

Petrus fragte nach Neuigkeiten von Frau von Marande.

Frau von Marande sei noch immer die glücklichste Frau von der Welt.

Herr von Marende machte allerdings alle möglichen dummen Streiche wegen einer neuen Geliebten; aber er sei zu gleicher Zeit so voll Rücksicht für seine Frau, er lasse sie so frei schalten und walten, daß, in der Herzens- und Geistessituation, in der sich Frau von Marande befinde, sie nur eine tiefe Dankbarkeit für ihn fühlen müsse.

Im Uebrigen gingen die pecuniären und politischen Angelegenheiten des Banquiers ganz vortrefflich; er werde nach London reisen, um für Spanien eine Anleihe von 60 Millionen zu effectuiren,, und es sei gewiß, daß er bei dem ersten Umschlag der Ansichten des Königs zur liberalen Partei Minister werden würde.

Dann fragte Regina nach Fragola.

Sie sehe dass junge Mädchen selten: wie die Frucht, deren Namen sie führe, sich unter dem Grase verberge, so scheine sich auch Fragola in ihrem Glücke zu verbergen. Um sie zu sehen, mußte Regina sie in ihrem Hause aufsuchen. Wenn aber sie dahin ginge, komme sie auch mit ruhigem Herzen und lächelndem Gesichte zurück nie eine Undine, die sich in einem See gespiegelt, wie ein Engel, der sich im Himmel gespiegelt.

Petrus erhielt durch Salvator häufig Kunde von ihr.

Es war deßhalb nicht erstaunlich, dass Regina sich bei Petrus nach Fragola erkundigte.

Man konnte sich denken, wie rasch die Zeit bei dieser süßen Beschäftigung verfloß.

Ein reizendes Kindergesicht zu malen, das reizende Gesicht einer jungen Frau zu betrachten. Mit dem Kinde freundliches Lächeln, mit der jungen Frau Winke, Worthe beinahe Küsse auszutauschen!

Die Standuhr zog durch ihren Schlag die Aufmerksamkeit Reginas auf sich.

»Vier Uhr!« rief sie.

Die jungen Leute sahen sich an.

Es war ihnen, als wenn sie keine zwanzig Minuten bei einander gewesen.

Man mußte sich trennen.

Aber es war eine Sitzung für den übernächsten Tag angesetzt, und am Abend von Montag auf Dienstag, d.h. Von morgen auf übermorgen, glaubte Regina Petrus eine Stunde in dem Gewächshause des Boulevard des Invalides schenken zu können.

Regina ging mit der kleinen Abeille weg.

Petrus sieht ihnen, über die Treppe hinabgebeugt, nach, bis sie unter der großen Thüre verschwunden waren.

Dann eilte er an das Fenster, um sie nach einmal in dem Augenblick zu sehen, so sie in den Wagen steigen würden.

Endlich folgte er Wagen mit seien Blicken, so lange er ihn sehen konnte.

Dann schloß er die Thüre und das Fenster des Atelier, als ob er fürchtete, der Duft dieses reizenden Besuches möchte versiegen.

Er berührte alle Gegenstände, welche Regina berührt hatte, und als er ihr Battisttaschentuch mit Brüsseler Spitzen gefunden, ihr Taschentuch das sie vergessen oder absichtlich hatte liegen lassen, nahm er es in beide Hände und tauchte sein Gesicht hinein, um den Duft desselben einzuathmen.

Er war ganz in diesen süßen Traum versunken, als der Capitän rasch mit großem Jubel eintrat.

Er hatte endlich in Nouneau Athènes ein Haus gefunden, das ihm convenierte.

Uns drittfolgenden Tage sollte die Verkaufsacte bei dem Notare aufgesetzt und in der folgenden Woche das neue Haus durch einen Schmaus eingeweiht werden.

Petrus gratulierte dem Capitän aufrichtig.

»So, Junge?« sagte der Seemann, »es scheint, Du bist sehr zufrieden damit, daß ich ausziehe.«

»Ich?« sagte Petrus, »im Gegentheil und als Beweis dafür bitte ich Sie, Ihre meublirte Wohnung bei mir als Landhaus beizubehalten.

»Wahrhaftig, ich sage nicht nein,« machte der Capitän; »aber unter der Bedingung, daß ich Dir Miethe bezahle und selbst den Miethzins festsetze.«

Des Arrangement sein-de von beiden Seiten angenommen.

Die drei Freunde hatten sich zum Diner verabredet.

Jean Robert und Ludovic kamen um fünf Uhr.

Ludovic war sehr traurig: man hatte keine sichere Nachricht von Rose-de-Noël; Salvator war nur ab und zu und sehr kurz nach Hause gekommen, um Fragola Nachricht zu bringen; sie erwartete ihn am Abend des folgenden oder am Morgen des nächstfolgenden Tages.

»Um Ludovic zu zerstreuen, an dessen Kummer der Capitän das lebhafteste Interesse zu nehmen schien , wurde beschlossen, daß man bei Legriel in Saint Cloud dinieren wolle.

Ludovic und Petrus sollten im Coupé fahren, Jean Robert und der Capitän reiten.

Um sechs Uhr machte man sich auf den Weg: um drei viertel auf sieben hatten die vier Freunde in einem Cabinete bei Legriel sichs bequem gemacht.

Es war zahlreiche und heitere Gesellschaft bei dem Restaurant; in dem an das ihrige stoßenden Cabinet hörte man namentlich lautes Schwatzen und helles Lachen.

 

Die Neuankömmlinge gaben jedoch nicht darauf acht.

Sie hatten Hunger und das Geräusch der Löffel und Teller übertönte beinahe den Lärm der Stimmen und des Gelächters.

Bald jedoch horchte Ludovic aufmerksamer. Er war in Folge dessen der traurigste und aufmerksamste der Drei.

Er lächelte flüchtig.

»Ei!« sagte er, »eine Stimme, ich könnte sagen, zwei Stimmen, die ich kenne!«

»Wäre es vielleicht die Stimme der reisenden Noël?« fragte der Capitän

»Nein, unglücklicher Weise nicht,« antwortete Ludovic mit einem Seufzer; »es ist eine heitere, aber weniger reine Stimme.«

»Und was für eine Stimme ist es denn?« fragte Petrus.

Ein Lachen, das durch alle Töne der Scala variierte, drang von einem Cabinet in das andere.

Alle Cabinete, welche bei großen Gelegenheiten einen einzigen Salon bildeten, waren durch Bretterwände getrennt, welche mit Tapeten auf Leinwand tapeziert waren.

»Jedenfalls ist das Lachen ächt,« sagte Jean Robert, »dafür stehe ich.«

»O! Du kannst dafür stehen, lieber Freund; denn die beiden Frauen im anstoßenden Zimmer sind die Fürstin von Vanvres und die Gräfin du Battoir.«

»Chante-Lilas?« sagten die Stimmen der beiden Freunde zu gleicher Zeit.

»Chante-Lilas selbst, hört nur.«

»Meine Herren,« sagte Jean Robert, welcher etwas verlegen schien, »ist es uns wohl erlaubt, zu hören was im anstoßenden Zimmer gesprochen wird.«

»Gewiß,« sagte Petrus, »sobald so laut gesprochen wird, daß wir es hören können, will es so viel bedeuten, als die, welche sprechen, haben keine Geheimnisse.«

»Richtig geurtheilt, mein Pathe,« sagte Pierre Berthaud, »ich habe in dieser Hinsicht eine ähnliche Theorie, wie die Deine. Ich glaubte jedoch außer den Stimmen der Frauen auch eine Männerstimme zu hören.«

»Sie werden doch wissen, mein lieber Capitän,« sagte Jean Robert, »daß jede Stimme ihr Echo hat; nur ist gewöhnlich das Echo einer Frauenstimme eine Männerstimme, während das Echo der Männerstimme eine Frauenstimme ist.«

»Da Du so geschickt im Erkennen der Stimmen bist,« sagte Petrus zu Ludovic, »weißt Du, wessen die Männerstimme ist?«

»Ich glaube,« sagte Ludovic, »daß ich den Cavalier nennen könnte, ohne mich mehr zu täuschen, als da ich die Namen der Frauen nannte und Ihr selbst, wenn Ihr genau hören wollt, werdet, glaube ich, so wenig im Zweifel sein, als ich.«

Die jungen Leute horchten.

»Laß mich Dich in dieser Rücksicht, so höflich es möglich ist, Lügen strafen für sie,« sagte die-Stimme.

»Aber wenn ich Dir schwöre, daß es die reine Wahrheit ist, die lautre Wahrheit?«

»Was hilft es mir, daß es die Wahrheit, wenn die Wahrheit unwahrscheinlich ist. Sage mir eine glaubwürdige Lüge und ich werde Dir glauben.«

»Frage vielmehr Paquerette und Du wirst sehen.«

»O die gute Vorsicht! Sophie Arnould, die für Madame du Barry steht, die Gräfin du Battoir, welche für die Fürstin von Vanvres steht, Paguerette, die für Chante-Lilas steht.«

»Ihr hört?" sagte Ludovic.

»Wir brennen also immer Petarden los, Herr Camille?« sagte Chante-Lilas.

»Mehr als je, Fürstin! und dieß mal habe ich einen Grund: es geschieht zu Ehren Ihres Hotels in der Rue de la Bruyère, Ihrer vier Brandfuchsen und Ihrer zwei kirschrothen Jokey’s, Alles umsonst.

»Sprich mir nicht davon; ich glaube er sucht Rosenzweige und hat die Absicht mich damit zu krönen.«

»O nein, er reserviert Dich vielleicht für die Heirath.«

»Einfältiger Mensch! er ist ja verheirathet.«

»Pfui! Fürstin! Mit einem verheiratheten Manne leben, das ist ja ganz unmoralisch.«

»Gut, aber was sind denn Sie?«

»O, ich bin es so wenig! und dann lebe ich nicht mit Dir!«

»Nein, dinieren mit mir, das ist Alles! O! Herr Camille, Sie hätten besser daran gethan, die arme Carmelite zu heirathen oder ihr zur rechten Zeit zu schreiben, daß Sie sie nicht mehr lieben; sie hätte Herrn Colombau geheirathet, und trüge jetzt nicht Trauer.«

Und Chante-Lilas stieß einen Seufzer aus.

»Aber, wer zum Teufel kann das auch ahnen?« antwortete der sorglose Creole; man macht einer Frau die Cour, man ist ihr Geliebter, aber man ist nicht verpflichtet sie zu heirathen.«

»Diese Ungeheuer!,« machte die Gräfin du Battoir.

»Ich habe Carmelite eine nicht mit Gewalt genommen,« fuhr der junge Mann fort, »so wenig als Dich, Chante-Lilas; sei offen, habe ich Dich mit Gewalt genommen?«

»O, mein Herr Camille! vergleichen Sie uns nicht mit einander; Fräulein Carmelite ist ein ehrbares Mädchen.«

»Nun und was bist Du?«

»O, ich bin nur ein gutes Mädchen.«

»Ja, Du hast Recht, ein gutes, ein ausgezeichnetes Mädchen.«

»Und dann, wenn sich nicht von meinem Esel gefallen und ohnmächtig auf dem Rasen liegen geblieben, wäre es auch nicht so weit gekommen.«

»Und mit Deinem Banquier?«

»Mit meinem Banquier, nun, da ist es gar nicht so weit gekommen.«

»Du bestehest darauf, Du weißt, daß Salomo sagt, es gebe drei Dinge in der Welt, die keine Spur zurücklassen: der Flug des Vogels in der Luft, der Weg der Schlange auf dem Felsen und . . . der . . . ,«

»Ich weiß,« unterbrach ihn Chante-Lilas, »daß Sie mit all Ihrem Geiste ein Thor sind, Herr Camille de Rozan, und daß ich meinen Banquier zweimal mehr liebe, obgleich er mir hunderttausend Franken gegeben. als Sie, der Sie mir nichts gegeben.«

»Wie! ich hätte Dir nichts gegeben, Undankbare? . . . Und mein Herz, wofür hältst Du das?,«

»O, Ihr Herz,« sagte Chante-Lilas, indem sie aufstand und den Stuhl zurückstieß, »das ist wie das Huhn aus Pappe, das ich gestern im Théâtre de la Porte Saint-Martin servieren sah: man serviert es bei allen Vorstellungen und Niemand schneidet es an. Fragen Sie, ob mein Wagen bereit ist.«

Camille läutete.

Der Garcon erschien.

»Zuerst die Rechnung,« machte der Creole, »und dann fragen Sie, ob der Wagen der Frau Fürstin bereit ist.«

»Er steht vor der Thüre.«

»Führst Du mich nach Paris zurück, Fürstin?,«

»Weshalb nicht?«

»Und Dein Banquier?«

»Mein Banquier läßt mir alle Freiheit; überdies muß er zu dieser Stunde bereits unterwegs nach England sein.«

»Dann wirst Du diese Gelegenheit benutzen, um mir Dein Hotel in der Rue de la Brayère zu zeigen.«

»Mit Vergnügen.«

»Nun! Gräfin du Battoir,« sagte Camille, »ich hoffe, daß Dir dies Hoffnung einflößen wird.,«

»Ja!« machte Paquerette, »gibt es denn zwei Marande aus der Welt?«

»Wie?« riefen Petrus und Ludovic zugleich, »Herr von Marande macht also diese Tollheiten um der Fürstin von Vanvres willen. Ist das wahr, Jean Robert?«

»Gewiß!« sagte Jean Robert, »ich wallte sie euch nur nicht nennen; da Paquerette jedoch die Indiskretion begangen hat, so muß ich sagen, daß ich die Sache von Jemand erzählen hörte, der gut unterrichtet sein muß.«

In diesem Augenblick kam die Fürstin von Vanvres in auffallender Toilette an dem Fenster des Cabinets vorüber und hatte Camille den Rozan den Arm gegeben, während Paquerette folgte, da der Weg nicht breit genug war, um den weit abstehenden Röcken der beiden-Frauen Raum zu geben.

LXIII
Katastrophe

An dem Tage hatte sich Petrus Abends zehn Uhr in der Hoffnung, Regina werde ihr freundlich gegebenes Versprechen halten, hinter den dicksten Baum des Boulevards des Invalides versteckt, der sich in der Nähe der kleinen Thüre des Hotel des Marschall de Lamothe-Houdan befand.

Fünf Minuten nach zehn Uhr öffnete sich sachte die Thüre und die alte Manon erschien.

Petrus schlich in dies große Lindenallee.

»Nun, nun!« fragte die alte Amme.

»Am Rondell,, nicht wahr? . . . nicht wahr, am Rondell?«

»O, Sie werden nicht soweit zu gehen brauchen, um sie zu treffen.«

Und wirklich, ehe Petrus das Ende der Alle erreicht hatte, schlang sich sein Arm in den von Regina.

»O, wie gut, wie reizend Sie sind, meine schöne Regina, daß Sie Ihr Versprechen gehalten! Und wie sehr ich Ihnen danke und wie ich sie liebe!« rief der junge Mann.

»Nun, nun, sagte die junge Frau, »Sie werden das noch ganz laut rufen!«

Und sie legte ihm auf den Mund eine Hand, welches Petrus leidenschaftlich küßte.

»O mein Gott! was haben Sie diesen Abend?« machte Regina.

»Nichts, als daß ich aus lauter Liebe ein Narr bin, Regina; nichts, als daß die Aussicht aus das Glück, die Sie mir eröffnet, Sie einen ganzen Monat alle zwei Tage bei mir zu sehen und Abends hier . . . «

»Nicht alle zwei Tage.«

»So oft als mögliche Regina . . . Wie, hatten Sie den Muth, wenn mein Glück in ihren Händen liegt, damit zu spielen?«

»Ach! mein Gott,« versetzte die junge Frau, »Ihr Glück, Freund, ist das meine.«

»Nun, Sie fragten mich, was ich habe.«

»Ja.«

»Ich habe Furcht; ich zittere. Eben während ich nach der Thüre kam, während ich wartete . . . «

»O Sie haben nicht lange gewartet.«

»Nein, und ich danke Ihnen von ganzer Seele dafür, Regina! . . . Während ich kam, während ich wartete, lief mir ein Schauer üben das Herz.«

»Armer Freund!«

»Und ich sagte mir: O ich werde sie in Thränen, in Verzweiflung finden; sie wird mir sagen: Petrus unmöglich Ich habe Sie empfangen, um Ihnen heute zu sagen, Ich kann Sie morgen nicht sehen!«

»Nun, Sie sehen, Freund, statt mich in Verzweiflung und Thränen zu finden; bin ich heiter und lache; statt Ihnen zu sagen: Ichs werde Sie morgen nicht sehen, sage ich Ihnen:,Morgen Punkt zwölf Uhr werde ich bei Ihnen sein, Petrus. Nur werde ich diesmal nichts allein sein, mit der kleinen Abeille: die Tante wird zugegen sein; aber die Tante sieht schlecht ohne Brille und sie ist so coquett, daß sie sie nicht aufsetzt, wenn sie nicht absolut; dazu gezwungen ist; die Tante schläft von Zeit zu Zeit ein und wenn. sie schläft sieht sie noch weniger, als wenn sie keine Brille hat. Unsere Augen, unsere Hände, die Berührung meines Kleides, mein Hinabbeugen über Ihre Schulter, um die Aehnlichkeit genauer zu beobachten: ist all’ das nicht Freude, Glück, berauschende Seligkeit, gegenüber von dem Schmerz, sich nicht zu sehen?«

»O, sich nicht zu sehen, Regina! sprechen Sie das Wort nicht aus: das ist’s was unaufhörlich mein Herz quält: es möchte ein Augenblick kommen, wo ich Sie nicht mehr sehen kann.«

Regina zuckte leicht mit den Achseln.

»Mich nicht mehr sehen!« sagte sie; »und welche Macht der Welt könnte mich hindern, Sie zu sehen? Jener Mensch? Sie wissen ja, daß ich nichts von ihm zu fürchten habe. Der Marschall, der Marschall allein, wenn er von unsrer Liebe erführe . . . aber wer wird es ihm sagen? niemand und sagt man es ihm, so werde ich es leugnen, ich werde lügen, ich werde sagen, daß es nicht wahr sei. O! es wird mich hart ankommen, Petrus, zu sagen, daß ich Sie nicht liebe, und ich weiß nicht, ob ich den Muth dazu habe.«

»Liebe Regina! so hat sich also nichts bezüglich der Gesandtschaft geändert?«

»Nichts.«

»Er geht noch immer am Ende dieser Woche.«

»Er ist im Augenblick in den Tuilerien, ums eine letzten Instructionen zu empfangen.«

»Vorausgesetzt, daß es dabei bleibt.«

»Es bleibt dabei; es scheint im Rathe der Minister beschlossen zu sein; und wenn es nicht so langweilig wäre, von Politik zu sprechen, so würde ich Ihnen das Gespräch erzählen, das ich zwischen meinem Vater und Herrn Rappt hörte und das würde Sie ganz und gar beruhigen.«

»O erzählen Sie, erzählen Sie, liebe Regina sobald die Politik den Einfluß haben kann, daß ich Sie sehe, wird die Politik für mich das interessanteste Studium, dem sich der menschliche Geist hingeben kann.«

»Nun denn, man ist im Augenblick im Begriffe, ein neues Ministerium zu bilden.«

»Ha, Teufel! das erklärt mir die Abwesenheit meines Freundes Salvator,« sagte Petrus ernst: »er arbeitet daran.«

»Was sagen Sie?«

»Nichts, fahren Sie fort, liebe Regina.«

»Dieses Ministerium besteht aus Herrn von Martignac, Herrn Portalis, Herrn von Caux und Herrn Roy; – man hatte das Finanzministerium dem Herrn von Marande angeboten, aber er hat es ausgeschlagen; – aus Herrn de la Perronnays und vielleicht aus meinem Vater; aber mein Vater will nicht in ein gemischtes Ministerium, in ein Uebergangsministerium, wie er es nannte, eintreten.«

»O, Regina, Regina, es ist eines schöne Sache um die Politik, wenn Sie davon sprechen . . . Fahren Sie fort, ich höre Ihnen zu.«

»Herr von Chateaubriand, der seit einem Brief, den er drei Tage vor der berühmten Revue der Nationalgarden, bei der man: Nieder mit den Ministern! Rief, an den König geschrieben, in Ungnade war, Herr von Chateaubriand, der sich nach Rom, unter die Ruinen zurückgezogen, wird dort sein Gesandtschaftsbeglaubigungsschreiben erhalten: kurz, es tritt, wie man sagt, ein Umschlag in der Politik ein.«

 

»Und Sie, liebe Regina, wozu sind Sie bei alle dem ernannt?«

»Ich bin zur Hüterin des Hotel aus dem Boulevard des Invalides ernannt, während mein Vater wahrscheinlich zum Gouverneur des Schlosses ernannt werden wird und Herr Rappt bereits zum außerordentlichen Gesandten am Hofe Seiner Majestät Nicolaus l ernannt ist.«

»Das ist’s, was ich fürchtet daß die Gesandtschaft scheitere.«

»Im Gegentheil, sie ist sicher: man will sich von der englischen Allianz losmachen und sich der russischen Allianz nähern: der Marschall arbeitet mit aller Macht darauf hin: man würde dadurch die Provinzen am Rhein gewinnen, und Preußen auf Kosten Englands entschädigen . . . Das ist alles ganz klar!«

»Sie sehen mich ganz bestürzt! mein Gott: wie kann dieser reizende Kopf all das beherbergen; wenn Sie mich nicht Ihre Stirne küssen lassen, liebe Regina, so würde ich glauben, sie sei runzlig geworden.«

Regina warf den Kopf zurück, damit Petrus sich versichern könne, daß sie seit diesem Morgen nicht um fünfzig Jahre gealtert.

Petrus küßte nicht blos diese schöne Stirne, sondern auch die Augen.

Etwas wie ein Seufzer entschlüpfte dem Munde des jungen Mannes.

Regina trat lebhaft zurück.

Sie hatte auf ihren Lippen den Hauch von Petrus zittern fühlen.

Petrus sah sie mit bittender Miene an und sie hing sich von selbst wieder an seinen Hals.

»So wird er also,« murmelte Petrus, »am Ende der Woche abreisen und Sie sind frei.«

»Ja, mein Freund.«

»O, wie lange ist es noch von jetzt bis zum Ende des Monats! Wie viel Raum für ein Unglück von jetzt bis dahin, zwischen den Tagen, zwischen den Nächten, zwischen den Stunden, zwischen den Minuten!«

Und der junge Mann, der von einer furchtbaren Ahnung gedrückt schien, setzte sich auf eine Rasenbank, indem er Regina neben sich niederzog.

Die reizende Gruppe schmiegte sich weich aneinander, als bildeten diese beiden Körper nur einen.

Der Kopf Reginas ruhte auf Petrus Schulter.

Sie wollte eine Bewegung machen, um ihn zurückzuziehen.

»O, Regina!« murmelte Petrus.

Und der Kopf senkte sich wieder.

Sie fühlten sich so angenehm in dieser Stellung, daß die Zeit verfloß, ohne daß das Eine oder Andere den Flug derselben bemerkt hätte.

Plötzlich ließ sich das Rollen eines Wagens hören.

Regina erhob den Kopf und lauschte.

Man hörte die Stimme des Kutschers, welcher rief:

»Die Thüre auf!«

Das Gitterthor öffnete sich.

Das Rollen kam näher.

Der Wagen fuhr in den Hof.

»Da sind sie!« sagte Regina; »ich muß meinem Vater entgegen gehen. Bis morgen, lieber Petrus.«

»O, mein Gott!« murmelte Petrus, »wir sehr wünschte ich, bis morgen hier bleiben zu können.«

»Aber was haben Sie denn?«

»Ich weiß nicht; ich ahne ein Unglück!«

»Kind!«

Und Regina bot Petrus zum zweitens Male ihre Stirne.

Petrus berührte sie mit den Lippen und die junge Frau verschwand in den dunkeln Alleen, indem sie dem, welchen sie verließ, als Trost die beiden Worte zuwarf:

»Bis morgen!«

»Bis morgen!« murmelte Petrus traurig, wie wenn dieses Wort, statt ein Liebesversprechen zu sein, eine Unglücksprophezeihung wäre.

Fünf Minuten später hörte Petrus Schritte, welche auf ihn zukamen, und eine Stimme, die ihn leicht rief.

Es waren die Schritte und die Stimme Manons.

»Die kleine Thüre ist offen,« sagte sie.

»Ja, ja, meine gute Manon,« antwortete Petrus, indem er eine Anstrengung machte, um sich von seinem Platze loszureißen.

Und sein Herz, sein Leben, seine Seele Regina in einem Kusse zuwerfend, eilte er nach der kleinen Thüre und ging hinaus, ohne daß er gesehen wurde.

Sein Wagen erwartete ihn hundert Schritte von d.

Beim Nachhausekommen fragte er seinen Diener nach dem Capitäin.

Der Capitän war gegen gegen Uhr gekommen hatte nach Petrus gefragt und als er erfahren, daß er ausgegangen sei, ihn mehr als eine Stunde im Atelier erwartet.

Als er gesehen, daß Petrus nicht nach Hause komme, war er auf sein Zimmer gegangen.

Petrus, welchen eine unklare Unruhe quälte, stieg hinab und pochte an die Thüre.

Man antwortete nicht.

Petrus suchte den Schlüssel, um zu öffnen.

Der Schlüssel steckte nicht.

Er pochte abermals.

Dieselbe Stille.

Entweder schlief der Capitän, oder er war ausgegangen.

Petrus stieg wieder hinauf.

Er ging lange zwischen seinem Atelier und seinem Wohnzimmer hin und her.

Der Capitän hatte eine Spur von sich in dem Atelier zurückgelassen

Die Lampe brannte.

Ein Band von Malebranche lag offen auf dem Tische.

Petrus entschloß sich endlich in sein Zimmer zurückzukehren.

Es wer zum Ersticken: er öffnete ein Fenster und athmete einen Augenblick die bereits kühle Luft der Nacht.

Diese nächtliche Frische beruhigte ihn ein wenig.

Endlich legte er sich zu Bette.

Es dauerte lang, bis er einschlief, und als ihn endlich der Schlaf überkam, war dieser unruhig, fieberhaft und unterbrochen.

Gegen fünf Uhr Morgens überwältigte ihn jedoch die Müdigkeit.

Um sieben Uhr Morgens pochte man lebhaft an der Thüre.

Er sah seinen Diener eintreten.

Er fuhr rasch auf.

»Was gibt’s, Jean?« fragte er.

»Eine verschleierte Dame verlangt mit dem Herrn zu sprechen,« antwortete der Diener ganz bestürzt.

»Eine verschleierte Dame, mich!«

»Eine verschleierte Dame, Sie !«

»Kennst Du sie?« fragte Petrus.

»O, mein Herr, sie hat ihren Namen nicht genannt . . . aber . . . «

»Was aber?«

»Ich glaube . . . «

»Du glaubst? Vollende.«

»Ich glaube, daß es die Frau Fürstin ist.«

»Du glaubst, daß es Regina ist?«

»Ich bin sogar gewiß.«

»Regina!« rief Petrus aus seinem Bette springend und rasch in ein Beinkleid und seinen Schlafrock fahrend; »Regina hier! zu dieser Stunde! Es muß eine Catastrophe eingetreten sein! O meine Ahnungen! meine Ahnungen!«

Petrus hatte sich in der Eile angekleidet.

»Sie möge sich heraufbemühen, sagte er, »ich erwarte sie im Atelier.«

Der Diener ging hinab.

»Mein Gott! mein Gott!« murmelte Petrus beinahe wahnsinnig, »Du gabst mir die Ahnung meines Unglücks; aber was kann geschehen sein?«

In diesem Augenblick erschien die verschleierte Frau auf der Schwelle.

Der Diener folgte ihr.

Er hatte sich nicht getäuscht: Petrus erkannte Regina durch den Schleier.

»Gehen Sie!« sagte er zu dem Diener.

Jean gehorchte und schloß die Thüre hinter der, welche er hereingeführt hatte.

»Regina!« rief Petrus indem er auf die junge Frau zuschritt, welche ihm zu wanken schien. »Regina! Sind Sie es?«

Regina – denn sie war es – hob ihren Schleier und sagte:

»Ich bin es, Petrus.«

Petrus trat zwei Schritte zurück, als er die Maske von Marmor, das leichenblasse Gesicht der Gräfin Rappt, sah.

Was war geschehen?