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»Braßt Backbord vorne! hißt die Klüver! geit das große Segel und die Brigantine auf, Alles an Steuerbord.«

Diese mit der mächtigen Stimme, die den passiven Gehorsam auferlegt, befohlenen verschiedenen Manövers, wurden so rasch vollzogen, daß man, was auch die Befehle des englischen Capitäns waren, die zwei Schiffe nicht an einander binden konnte, und daß die Schöne Therese, als begriffe sie, welcher Gefahr sie preisgegeben war, sich von den Wänden des feindlichen Schiffes losmachte, indem sie ihre Drege abhackte und ihr Tauwerk durchschnitt, denn sie hatte keinen andern Gedanken mehr als den, der erschrecklichen Ansteckung der Flammen zu entkommen.

Der Capitän Herbel konnte es indessen nicht verhindern, daß ihm die feindliche Brigg, sich durch eine letzte Anstrengung um sich selbst drehend, ihre ganze Backbordsalve als einen letzten Abschied des Hasses oder der Rache zusandte. Doch die Mannschaft war so glücklich, sich der entsetzlichen Gefahr, der sie ihren Feind überließ, entkommen zu fühlen, daß man kaum aus den Fall von drei bis vier Todten und aus das Geschrei von fünf- bis sechs Verwundeten merkte.

»Und nun, Kinder,« sagte der Capitän, »das Feuerwerk, das ich Euch versprochen habe. Gebt Acht!«

Ein dichter Rauch fing an durch die Luken der englischen Brigg hervorzudringen, während ein Dampf anderer Art an den Stückpforten erschien und die Mündung der Kanonen verschleierte.

Man hörte die Stimme des englischen Capitäns, verstärkt durch das Sprachrohr, rufen:

»Die Boote in See!«

Aus der Stelle wurde das Manöver vollzogen und vier Boote schwammen um die Brigg.

»Das Boot vom Hintertheil und das Boot von der Douine für die Marinesoldaten!« rief der Capitän; »die zwei Seitenboote für die Matrosen. Laßt die Verwundeten zuerst hinab.«

Die Soldaten und Offiziere der Schönen Therese schauten einander an. Hier, und unter ihren Augen, trat die Ueberlegenheit der englischen Disciplin hervor. Das Manöver, das an Bord der Calypso mit so großer Regelmäßigkeit ausgeführt wurde, als ob das Schiff eine einfache Uebung im Hafen von Portsmouth oder im Meerbusen von Salmay gemacht hätte, wäre aller Wahrscheinlichkeit an Bord eines französischen Schiffes unmöglich gewesen.

Die Verwundeten wurden zuerst hinabgelassen; ihre Zahl war groß; man vertheilte sie in die vier Boote; dann nahmen mit vollkommener Ordnung die Marinesoldaten Platz in den zwei Booten, die man ihnen zugeschieden hatte.

Der Capitän saß auf seiner Quartbank, und gab seine Befehle mit derselben Ruhe, als hätte er nicht eine Mine unter seinen Beinen gehabt.

Von diesem Augenblicke an hörte der Ort der Scene auf, sichtbar zu sein; dichter durch alle Oeffnungen hervordringend, umhüllte der Rauch, das Schiff mit einem Schleier, durch den sich unmöglich etwas unterscheiden ließ.

Von Zeit zu Zeit schienen sich Feuerschlangen längs den Masten hinzurollen; alsdann gingen einige Kanonen, welche geladen geblieben waren, weil man keine Zeit gehabt hatte, sie zu entladen, von selbst los; hierauf sah man aus dem Brande ein Boot, dann zwei, dann drei hervorkommen; – plötzlich wurde ein Knall hörbar, das Schiff öffnete sich wie der Krater eines Vulkans, die Luft bestreifte sich mit entstammten Trümmern, welche Riesenraketen ähnlich zum Himmel ausstiegen.

Das war das vom Capitän Herbei versprochene Feuerwerk.

Alles fiel ins Meer zurück. Alles erlosch, Alles versank wieder in Dunkelheit, und nichts blieb vom Riesen, der sich einen Augenblick vorher in den Flammen krümmte: nur drei Barken durchfurchten das Meer, sich mit aller Gewalt der Ruder entfernend.

Der Capitän Herbel hütete sich wohl, sie zu verfolgen: und sogar, als eine von diesen Barken unter dem Feuer der Backbordbatterie der Schönen Therese vorüberkam, nahmen die Matrosen und der Capitän selbst ihre Hüte ab, um diese Braven zu begrüßen, welche, der Gefahr des Brandes entkommen, einer andern minder nahen, minder sichtbaren, aber nicht minder großen: der doppelten Gefahr des Sturmes und des Hungers, trotzen sollten.

Das vierte Boot, der Capitän und das letzte Viertel der Mannschaft, war in die Lust gesprengt worden.

Herbel und seine Leute folgten mit den Augen den drei Booten bis zu dem Momente, wo sie dieselben in der finsteren Unermeßlichkeit völlig aus dem Gesichte verloren.

Alsdann zog der Capitän Herbel seine Uhr und sprach:

»Meine Kinder, es ist Mitternacht vorüber: doch bei meiner Treue, an Festtagen ist es wohl erlaubt, sich ein wenig später als gewöhnlich schlafen zu legen.«

Und fragt man uns nun, warum der Capitän Herbel, statt die drei Viertel der Mannschaft der Calypso zu Gefangenen zu machen, sie so entschlüpfen ließ, so antworten wir, die Schöne Therese, welche schon hundert und zwanzig Mann führte, habe sich nicht mit einem hundert Gefangenen überlasten können.

Fragen uns endlich, sich mit dieser Antwort nicht begnügend, einige schwierigere Leser, warum dann der Capitän, der mit drei Kanonenschüssen die drei Boote in den Grund bohren konnte, diese drei Schüsse nicht gethan habe, so antworten wir . . .

Nein, wir werden nicht antworten.

Vierter Band

XXXIX
Die Hochzeit eines Freibeuters

Während der zehn Jahre, welche auf die von uns so eben erzählten Ereignisse folgten – um, nach unserer Gewohnheit, durch Thatsachen, und nicht durch eine einfache Erzählung einen Begriff vom Charakter unserer Helden zu geben, – schritt der Capitän Herbel, dessen Art zu verfahren man gesehen hat, immer weiter fort auf dem Wege, den er eingeschlagen hatte.

Wir beschränken uns in Betreff dessen, was den gewaltigen Seemann betrifft, darauf, daß wir aus den Journalen jener Zeit Notizen über seine Prisen geben.

Der San-Sebastian, ein portugiesisches Schiff, von Sumatra auf Isle de France gefrachtet, dessen Ladung drei Millionen werth war – Herbel erhielt für seinen Theil viermal hunderttausend Livres.

Die Charlotte, ein holländisches Schiff von dreihundert sechzig Tonnen, zwölf Kanonen und siebzig Mann Equipage. – Die Charlotte wurde um sechsmal hunderttausend Livres verkauft.

Der Adler, eine englische Goëlette von hundert und sechzig Tonnen, um hundertfünfzigtausend Livres verkauft.

Der San-Jago und der Karl III., spanische Schiffe, um sechsmal hunderttausend Livres verkauft.

Der Argos, ein russisches Schiss von sechshundert Tonnen.

Der Hercules, eine englische Brigg von sechshundert Tonnen.

Der Glorieux, ein englischer Kutter, u.s.w. u.s.w.

Dieser von den offiziellen Blättern jener Zeit veröffentlichten Liste könnten wir noch die Nomenclatur von dreißig bis vierzig anderen Schiffen beifügen: doch es ist nie unsere Absicht gewesen, eine Biographie vom Capitän Herbel zu schreiben: wir wünschen nur unsern Lesern eine Idee von seinem Charakter zu geben.

Im Winter von 1800 nach St. Malo zurückgekehrt, mit seinem treuen Pierre Berthaud, empfing er von seinen Landsleuten alle möglichen Zeugnisse von Sympathie. Überdies erwartete ihn ein Brief vom ersten Consul, der ihn einlud, nach Paris zu kommen.

Bonaparte fing damit an, daß er dem wackern Maluiner über seine fabelhaften Kreuzfahrten sein Compliment machte: dann bot er ihm die Epauletten eines Capitäns und das Commando über eine Fregatte der republikanischen Marine an.

Pierre Herbel schüttelte jedoch den Kopf.

»Was verlangen Sie denn?« fragte der erste Consul erstaunt.

»Ich wäre sehr in Verlegenheit, sollte ich es Ihnen sagen,« antwortete Herbel.

»Sie sind also bedeutend ehrgeizig?«

»Im Gegentheile, ich finde das, was Sie mir anbieten, zu schön für mich.«

»Sie wollen also nicht der Republik dienen?«

»Doch; ich will ihr aber auf meine Weise dienen.«

»Wie dies?«

»Als Corsar . . . Lassen Sie mich Ihnen die Wahrheit sagen.«

»Sprechen Sie.«

»Sobald ich befehle, bin ich ein trefflicher Seemann; sobald ich gehorchen muß, bin ich nicht so viel werth, als der Letzte von meinen Matrosen.«

»Man muß indessen immer Jemand gehorchen.«

»Bei meiner Treue,« erwiderte der Capitän, »bis jetzt, Bürger Consul, habe ich nur Gott gehorcht, und dabei, wenn er mir durch seinen ersten Ordonnanzoffizier Seine Excellenz den Wind sagen ließ, ich soll die Segel aufgeien und vor Topp und Takel treiben, ist es mir mehr als einmal begegnet, dergestalt bin ich vom Dämon der Unbotmäßigkeit besessen, daß ich mit meinen unteren Segeln, meiner Brigantine und meinem Klüver die See hielt. Was besagen will, daß ich, wenn ich Fregattencapitän wäre, nicht nur Gott, sondern auch meinem Viceadmiral, meinem Admiral, dem Marineminister, was weiß ich? gehorchen müßte, und das sind zu viel Herren für einen Diener.«

»Ah!« sagte der erste Consul, »ich sehe wohl, Sie haben nicht vergessen, daß Sie von der Familie der Courtenay stammen, und daß Ihre Ahnen in Constantinopel regiert haben.«

»Es ist wahr, Bürger erster Consul, ich habe das nicht vergessen.«

»Ich kann Sie aber nicht zum Kaiser von Constantinopel ernennen?«

»Nein, Bürger, doch Sie können etwas Anderes thun.«

»Ja, ich kann Ihnen ein Majorat für Ihren ältesten Sohn konstituieren, Sie die Tochter von einem meiner Generale heirathen lassen, wollen Sie sich mit dem Ruhme verbinden, einer meiner Lieferanten, wollen Sie sich mit dem Gelde verbinden?«

»Bürger erster Consul, ich habe drei Millionen, was wohl so viel werth ist als ein Majorat, und was meine Verheirathung betrifft, so ist das meine Sache.«

»Sie heirathen eine Prinzessin von der Pfalz, eine deutsche Markgräfin?«

»Ich heirathe ein armes Mädchen Namens Therese, das ich seit acht Jahren liebe, und das seit acht Jahren auf mich wartet.«

»Teufel!« rief Bonaparte, »ich habe kein Glück; dort Saint-Jean-d’Acre, und Sie hier! . . . Was gedenken Sie also zu thun?«

 

»Hören Sie, Bürger! zuerst will ich heirathen, ich habe große Eile, und wäre es nicht Ihnen zu Liebe gewesen, ich stehe Ihnen dafür, ich hätte St, Malo nicht vor der Hochzeit verlassen.«

»Gut; doch sind Sie einmal verheirathet?«

»Ruhig den Frieden genießen, meine drei Millionen verzehren, und wie der Schäfer von Virgil sagen:

»O Melibaee deus nobis haec otia fecit!«

»Bürger Capitän, ich verstehe nicht sehr gut Lateinisch.«

»Ja, nicht wahr, besonders wenn es sich um den Frieden handelt? Ich verlange von Ihnen keinen dreißigjährigen Frieden; nein, nur die Zeit, ein paar Jahre den Honigmonat zu genießen, nicht mehr. Alsdann, hiernach, bei dem ersten Kanonenschusse, den ich . . . nun wohl, die Schöne Therese ist noch nicht ganz geschlagen.«

»Ich vermag also nichts für Sie?«

»Bei meiner Treue, ich suche.«

»Und Sie finden nicht?«

»Nein, doch finde ich, so werde ich Ihnen schreiben, so wahr ich Herbel heiße.«

»Ich kann nicht einmal der Pathe Ihres ersten Knaben sein?«

»Sie spielen unglücklich, Bürger Consul, mein Wort ist verpfändet.«

»Wem denn?«

»Pierre Berthaud, genannt Monte-Hauben, meinem Hochbootsmanne.«

»Und dieser Bursche kann mir nicht seinen Platz abtreten, Capitän?«

»Ah! ja wohl, er würde ihn nicht dem Kaiser von China abtreten; über dies ist nichts zu sagen: er hatte ihn mit seiner Degenspitze gewonnen.«

»Wie so?«

»Indem er als der Zweite an Bord der Calypso sprang . . . und unter uns, die wir Tapfere sind, sage ich, indem er zuerst darauf sprang . . . nun, ich habe die Augen darüber geschlossen.«

»Gleichviel, Capitän, obschon ich nicht glücklich mit Ihnen bin, erlauben Sie mir doch wohl, nicht wahr, daß ich mich nach Ihnen erkundige?«

»Haben Sie Krieg, Bürger erster Consul, und ich werde Ihnen Nachrichten von mir geben, das verspreche ich Ihnen.«

»Wohlan, von einem schlechten Zahler muß man nehmen, was man kann: aus Wiedersehen, wenn wir Krieg haben.«

»Aus Wiedersehen, Bürger erster Consul!«

Pierre Herbel ging bis zur Thüre und kam dann wieder zurück.

»Das heißt aus Wiedersehen,« sagte er, »nein, ich kann mich nicht hierzu verbindlich machen.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie ein Landgeneral sind, und ich ein Seemann bin: es ist aber keine Wahrscheinlichkeit, daß wir, wenn wir, Sie in Italien oder in Deutschland, ich im Atlantischen Meere oder im Indischen Meere sein werden, oft zusammentreffen: also viel Glück in Ihren Feldzügen, Bürger erster Consul.«

»Und Ihnen wünsche ich viel Glück bei Ihren Kreuzfahrten.«

Hiernach trennten sich der Capitän und der erste Consul, um sich erst fünfzehn Jahre später in Rochefort wieder zu sehen.

Drei Tage nach seinem Abgange aus den Tuilerien trat Pierre Herbel mit offenen Armen in das Häuschen von Therese Brea ein, das im Dorfe Plancoët, am Arquenon, vier bis fünf Meilen von St. Malo lag.

Therese stieß einen Freudenschrei aus und warf sich Pierre in die Arme.

Sie hatte ihn drei Jahre nicht gesehen. Therese hatte seine Rückkehr nach St. Malo und sodann seine Abreise nach Paris an demselben Tage erfahren.

Jede Andere als Therese wäre in Verzweiflung gewesen und hätte sich gefragt, welche wichtige Angelegenheit bei ihrem Geliebten das Verlangen, sie wieder zu sehen, überwiegen könne, doch dem Worte von Pierre vertrauend kniete sie in Notre-Dame in Plancoët nieder, und begnügte sich damit, daß sie Gott für seine Rückkehr dankte, ohne daß es ihr einfiel, Rechenschaft über die darauf gefolgte unerwartete Abreise zu verlangen.

In der That, wie gesagt, in Paris eine Stunde vor seiner Audienz angelangt, war Pierre Herbel eine Stunde nach derselben wieder abgereist . . . Seine Abwesenheit dauerte also nur sechs Tage. – Diese sechs Tage schienen Therese allerdings sechs Jahrhunderte.

Als sie ihren Geliebten erblickte, war auch die Bewegung, welche sie in seine Arme trieb, sehr rasch, und der Schrei, der ihrem Munde oder vielmehr ihrem Herzen entschlüpfte, sehr freudig.

»Ah!« fragte Pierre Herbel, nachdem er von den Wangen Theresens zwei gute, ganz mit Thränen gefüllte, Küsse genommen hatte; »wann die Hochzeit, Therese?«

»Wann Du willst,« antwortete diese; »ich bin seit sieben Jahren bereit, und unser Aufgebot ist seit drei Jahren angeschlagen.«

»Wir haben also nur den Maire und den Pfarrer in Kenntniß zu setzen?«

»Ah! mein Gott, ja!«

»Thun wir das, Therese: ich bin nicht der Ansicht von denjenigen, welche sagen: »»Er hat sechs Jahre gewartet, er kann auch noch länger warten.«« Nein, ganz im Gegentheil sage ich: »»Ich habe sechs Jahre gewartet, das ist ziemlich hübsch und ich will nicht mehr warten.««

Ohne Zweifel war Therese derselben Ansicht wie ihr Bräutigam, denn er hatte diese letzten Worte nicht vollendet, als ihr Shawl auf ihren Schultern und ihre Haube aus ihrem Kopfe waren.

Pierre Herbei nahm sie beim Arme.

Wie sehr sich auch der Maire und der Pfarrer beeilten, man mußte drei Tage warten. Während dieser drei Tage war der Capitän wie ein Verrückter.

Am dritten Tage, als der Maire sprach: »Im Namen des Gesetzes seid Ihr verbunden,« sagte Pierre Herbel:

»Das ist ein Glück: hätte das noch länger angestanden, heute Abend legte ich an.«

Neun Monate nachher, auf den Tag, gebar Therese einen starken Knaben, dessen Pathe, nach dem gegebenen Worte, Pierre Berthaud, genannt Monte-Hauban, war: man schrieb ihn auch in den Civilregistern von St. Mala unter dem Namen Pierre Herbel von Courtenay – das heißt Vicomte, ein … Er war doppelt Pierre: Pierre durch seinen Vater, Pierre durch seinen Pathen.

Wir haben gesagt, wie, um sich nach der Mode der Zeit zu richten, der junge Maler seinen Namen latinisiert und dem ein wenig gemeinen Namen des renegaten Apostels, den mehr aristokratischen Namen Petrus substituiert hatte.

Doch Geduld, liebe Leser, wir haben noch nicht ganz geendigt mit seinem Seeräuber von einem Vater, wie ihn der General Herbel nannte.

Der Honigmonat des Capitäns dauerte gerade die Zeit, welche der Friede von Amiens dauerte; wir irren uns: er dauerte ein paar Tage länger.

Zehn Geschichtsschreiber für Einen werden Ihnen sagen, wenn Sie sich die Mühe nehmen, sie zu fragen, wie der Vertrag von 1802 gebrochen wurde; ich allein kann Ihnen sagen, wie der Honigmonat unseres würdigen Capitäns endigte.

So lange der Friede gedauert hatte, war Alles vortrefflich in der Wirtschaft von Herbel gewesen. Er betete seine Frau, welche sanft und liebevoll wie ein Engel war, an; er vergötterte seinen Sohn, von dem er behauptete – und zwar vielleicht mit Recht – es sei das schönste Kind, nicht nur von St. Malo, sondern auch von der ganzen Bretagne und von ganz Frankreich. Kurz, er war der glücklichste Mensch der Welt, und wäre nicht der Krieg ausgebrochen, so würde dieser Zustand der Ruhe Monate lang, Jahre lang, immer vielleicht gedauert haben, ohne daß eine einzige Wolke die Heiterkeit seines Himmels getrübt hätte.

Doch der Sturm häufte sich auf der Seite von England auf. Die englische Regierung hatte den Frieden nur gezwungen gemacht; um dazu zu gelangen, hatte die Coalition vom Kaiser Paul I. mit Preußen, Dänemark und Schweden das Ministerium Pitt stürzen und den Redner Addington zum Lord der Schatzkammer ernennen müssen. Unglücklicherweise bestand dieser Friede nur auf der Oberfläche: die Ermordung von Kaiser Paul machte den Hauptstein des Gewölbes fallen: die Engländer beklagten sich, Frankreich räume zu langsam Rom, Neapel und die Insel Elba: Frankreich beklagte sich, England räume Malta und Aegypten gar nicht. Bonaparte, um für jedes Ereigniß bereit zu sein, traf Anstalten zu einer Expedition nach St. Domingo. Der politische Barometer bezeichnete einen nahe bevorstehenden Krieg.

Seitdem diese Expedition, obgleich noch im Projekte, den Seehäfen Frankreichs die fieberhafte Aufregung verliehen hatte, die den Seekriegen vorangeht, war der Capitän Herbel auch fieberhaft und aufgeregt geworden. Das Familienleben war nie die Sache dieses abenteuerlichen Temperaments gewesen: das war für ihn eine jener blühenden Inseln des Oceans, wo ein Seemann einen mehr oder einen minder langen Aufenthalt machen kann, jedoch nichts Anderes. Das wahre Element des Capitäns war die See: die See, die ihn am User aufgenommen hatte, reclamirte ihn, wie eine eifersüchtige Geliebte ihren Liebhaber reclamirt und zog ihn unwillkürlich an sich: von heiter, wie es bis dahin gewesen, war sein Gesicht traurig geworden: er erkundigte sich bei jeder Fischerbarke nach dem Tage, wenn die Feindseligkeiten beginnen würden: ganze Tage brachte er aus dem höchsten Gestade zu, die Augen verloren in der doppelten Unermeßlichkeit des Himmels und der Wogen.

Therese, welche in ihm und durch ihn zu sehen schien, bemerkte diese Veränderung und wußte lange nicht, welchem Umstande sie dieselbe zuschreiben sollte. Diese bizarre Laune, diese finstere Schweigsamkeit waren so fern von den Gewohnheiten ihres Mannes, daß sie erschrak, jedoch ohne mit ihm darüber zu sprechen.

Sie begriff indessen, daß früher oder später eine Erklärung stattfinden mußte, als sie in einer Nacht plötzlich durch die wüthenden Bewegungen, die der Capitän machte, und das seltsame Geschrei, das er ausstieß, aufgeweckt wurde.

Er träumte, er sei mitten in der Schlacht und brüllte aus Leibeskräften.

»Drauf! drauf! auf die Engländer! zum Entern, und es lebe die Republik!«

Der Kampf war äußerst heftig, doch nach einigen Minuten endigte er, ohne Zweifel wie der des Cid, in Ermangelung von Streitern.

Der Capitän, der sich halb ausgerichtet hatte, fiel mit dem Kopf wieder aus sein Kissen und rief:

»Streich’ die Flagge, englischer Hund! Sieg! Sieg!«

Und er versank in den friedlichen Schlaf des Sieges.

Von da an war der armen Therese Alles erklärt.

»Ah!« murmelte sie, denn ihr Schlaf verschwand beim Traume ihres Mannes, »er hat mir, ohne es zu wissen, die Ursache seiner schlimmen Stunden gesagt! Armer Pierre, aus Liebe für mich ist er hier angekettet geblieben, Gefangener im Hause, seinen Kopf ans Gitter schlagend, wie ein Löwe im Käsig. Ach! ich begreife, dieses friedliche Leben ist nicht für Dich gemacht, mein armer Pierre! Du brauchst Raum, die freie Luft des Himmels über Dir, die See unter Deinen Füßen, Du brauchst die großen Stürme und die großen Schlachten, den Zorn der Menschen und den Zorn Gottes. Ich hatte nichts gesehen, nichts begriffen, nichts errathen, ich liebte Dich! Verzeih’ mir, mein theurer Pierre!«

Und Therese erwartete den Morgen mit Todesangst.

Als der Tag gekommen war, sprach sie mit einer Stimme, die sie fest zu machen suchte: »Pierre, Du langweilst Dich hier!«

»Ich?« erwiderte Pierre.

»Ja.«

»Glaube das nicht.«

»Pierre, Du hast nie gelogen; bleibe, sogar für mich, offenherzig und ehrlich wie ein Seemann.«

Pierre stammelte.

»Dein müßiges Leben gereicht Dir zum Verderben,« fuhr Therese fort.

»Deine Liebe entzückt mich,« sagte Pierre.

»Du mußt aufbrechen, Pierre, wir werden Krieg haben.«

»Ja, in der That, Jedermann sagt das.«

»Und Du, mein Theuerster, hast die Feindseligkeiten begonnen.«

»Was willst Du damit sagen?« fragte Pierre erstaunt.

Therese erzählte ihm seinen Traum von der vorhergehenden Nacht.

»Ah! ja,« sagte Pierre, »was das betrifft, das ist möglich; meine ganze Nacht war nur ein langer Traum und ein erbitterter Kampf.«

»Und aus der Leidenschaft, mit der Du bei diesem Kampfe, so eingebildet er auch war, zu Werke gingst, entnahm ich, die Zeit unseres ruhigen Lebens sei vorüber: Dein wahres Leben sei da, wo es Gefahren zu trotzen und Ruhm zu erwerben gebe: ich habe auch einen großen Entschluß gefaßt, mein Freund!«

»Welchen?«

»Dich aufzumuntern, sobald als möglich in See zu gehen.«

»Du! liebe Therese des guten Gottes!«

»Ich, Pierre: die Vorsehung hat uns zwei verschiedene Aufgaben zugewiesen, mein Freund: ich habe sieben Jahre auf Dich gewartet, und war glücklich, aus Dich zu warten. Du bist gekommen und hast aus mir zwei Jahre lang die glücklichste Frau der Welt gemacht. Du wirst wieder abreisen, Pierre, und ich werde aufs Neue Deine Rückkehr erwarten: doch diesmal werde ich an der Wiege unseres Kindes warten, und das Warten wird mir leichter sein. Ich habe das theure Kind viele Dinge zu lehren, um bei ihm mein Mutterwerk zu vollbringen. Ich werde mit ihm von Dir sprechen, ich werde ihm Deine Kämpfe erzählen, von denen das Gerücht bis zu uns gelangen wird. Sodann werden wir alle Tage das hohe Gestade steigen, in der Hoffnung, Dein Schiff am Horizont erscheinen zu sehen. Und so, mein Freund, werden wir Beide vor dem Herrn die Pflicht erfüllen, die uns auferlegt ist. Als Mann wirst Du Dein Vaterland vertheidigen, als Weib werde ich unser Kind erziehen: und der Herr wird uns segnen.«

 

Pierre war kein sehr demonstrativer Verliebter; doch bei diesen letzten Worten glaubte er die Stirne seiner Frau wie die der Jungfrau von Plancoët glänzen zu sehen, und er fiel ihr zu Füßen.

»Du versprichst mir also, nicht unter meiner Abwesenheit zu leiden?« fragte er sie.

»Nicht leiden, Pierre,« antwortete Therese, »das hieße Dich nicht lieben! Ich werde also leiden, doch ich werde mich erinnern, daß Du glücklich bist, und Dein Glück wird mir mehr Freude bereiten, als mir Deine Abwesenheit Gram verursacht haben wird.«

Pierre warf sich seiner Frau in die Arme; dann stürzte er aus dem Hause, lies in den Straßen von St. Malo umher, rief alle seine alten Matrosen bei ihren Namen und beauftragte seinen Freund, Pierre Berthaud, Alle diejenigen, welche er unterwegs oder in ihren Wohnungen treffen würde, zu sammeln.

Und acht Tage nachher lief, gründlich neu ausgerüstet, frisch angemalt, mit ihrer alten wohlbekannten Equipage, vermehrt durch etwa zwanzig Mann, mit ihren einundzwanzig Achtzehnpfündern und ihren zwei Sechsunddreißigpfündern, die schöne Therese aus dem Hafen von St. Malo aus, um die indischen Seegegenden wiederzusehen, wo Pierre Herbel zuerst seinen furchtbaren Ruf als Corsar erlangt hatte, der dem seines Freundes und Landsmannes Surcous die Wagschale hielt.

Am 6.Mai 1802 auslaufend, nahm die Schöne Therese schon am 8. desselben Monats, nach einem zehnstündigen Kampfe, ein Sklavenschiff, das sechzehn Zwölfpfünder führte.

Am 15, caperte sie ein portugiesisches Schiff von achtzehn Kanonen und siebzig Mann Equipage.

Am 25. enterte sie einen Handelsdreimaster, unter holländischer Flagge, befrachtet mit fünftausend Ballen Reis und fünfhundert Fässern Zucker.

Am 15. Juni, in einer Nacht ähnlich der, wo wir den Capitän Herbel die Calypso haben vernichten sehen, machte sie einen englischen Dreimaster rhedelos, der, wenn nicht unter dem Commando, doch wenigstens unter der Führung von Pierre Berthaud vorüber kam, welcher eben zum Grade eines Lieutenants erhoben worden war.

Am Anfang des Juli endlich, nach achtzehn Gefechten und fünfzehn Prisen ging die Schöne Therese bei Isle de France vor Anker, von wo sie, mit Beute aller Art beladen, erst 1805, das heißt nach der Schlacht bei Austerlitz, zurückkehrte.

Therese hatte ihrem Manne Wort gehalten; alle Tage hatte sie mit ihrem schon über drei Jahr alten Kinde das schroffe Gestade erstiegen; so daß, sobald die Gegenstände bemerkbar wurden, Pierre Herbel auf der Küste eine Frau und ein Kind zu erkennen vermochte, die ihm Willkommzeichen machten.

Therese hatte die Brigg ihres Gatten erkannt, lange, ehe dieser sie hatte erkennen und sogar nur unterscheiden können.