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Salvator

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XXV

Ein Herr, der wissen will, ob er ins Paradies kommt

So gingen die Dinge seit bald einem Monat.



Fast alle Tage, zur selben Stunde, kam Caramelle vorüber und sandte mit dem Blicke taufend Zärtlichkeiten dem glücklichen Babylas zu, der, ganz nun von den Süßigkeiten einer platonischen Liebe erfüllt, sich mit diesen Blicken begnügte, – zurückgehalten durch den Eindruck, den auf sein, wir haben es zugestanden, sehr reizbares Nervensystem die Härte der Stimme des Herrn von Caramelle hervorgebracht. Vielleicht hatte Babylas diese Geduld auch nur, weil Caramelle, sei es mit dem Blicke, sei es mit der Stimme, Babylas zu verstehen gegeben hatte, früher oder später werde sie Gelegenheit finden, zu entwischen, um auf eine mehr unmittelbare Art seine Liebe zu erwidern.



Es geschah nun, daß ein paar Wochen nach der Nacht, wo Jean Taureau Herrn von Valgeneuse beinahe zuerst erstickt, sodann erschlagen und endlich ertränkt hätte, ungefähr zur Stunde, wo Caramelle vorüberzukommen pflegte, ein Herr in einem Ueberrock, à, la propriétaire gekleidet, – obschon die Temperatur diese Vorsichtsmaßregel durchaus nicht rechtfertigte,– mit einer Brille auf der Nase und in der Hand ein spanisches Rohr mit Vermeilknopf haltend, plötzlich in das Laboratorium der Schwarzkunst der Rue d’Ulm eintrat.



Die Herrin der Anstalt war an dem gewöhnlichen Platze, wo sie die Kunden erwartete.



»Seid Ihr die Brocante?« fragte rasch der Fremde.



»Ja, mein Herr,« antwortete diese mit einem gewissen Beben, über das sie, wie Babylas, nicht Meisterin war, so oft sie eine etwas rauhe Stimme hörte.



»Ihr seid Zauberin?«



»Das heißt Kartenschlagerin.«



»Ich glaubte, das sei dasselbe.«



»Ungefähr; man darf es indessen nicht vermengen.«



»Gut, vermengen wir nicht; ich komme, um Eure Wissenschaft zu befragen, Mutter.«



»Verlangt der Herr das kleine oder das große Spiel?«



»Das große Spiel, alle Wetter! das große Spiel!« erwiderte der Herr, eine starke Prise Tabak schlürfend. »Was ich zu wissen wünsche, ist von einer solchen Wichtigkeit, daß das Spiel nicht zu groß zu sein vermöchte.«



»Wünscht der Herr zu wissen, ob er eine gute Heirath machen werde?«



»Nein, Mutter, nein, da das Heirathen an und für sich ein Uebel ist, so kann keine Heirath gut sein.«



»Wünscht der Herr zu wissen, ob er von einem von seinen Verwandten erben werde?«



»Ich habe nur eine Tante, und ich gebe ihr eine Leibrente von sechshundert Livres.«



»Wünscht der Herr zu wissen, ob er ein hohes Alter erreichen werde?«



»Nein, gute Frau, ich habe schon viel gelebt für mein Alter, und dennoch bin ich keineswegs begierig, zu erfahren, wann ich sterben, werde.«



»Ah! ich verstehe: dann wünscht der Herr seine Heimath wiederzusehen?«



»Ich bin von Montrouge, und wer Montrouge einmal gesehen hat, wünscht es nie wieder zusehen.«



»Nun denn,« sagte die Brocante, befürchtend ein längeres Verhör, das so neben die Wünsche des Besuches griff, könnte ihrem Ansehen als Zauberin schaden, »was wünschen Sie?«



»Ich wünsche,« antwortete der geheimnißvolle Fremde, »ich wünsche zu wissen, ob ich in das Paradies komme?«



Die Brocante gab Zeichen des höchsten Erstaunens von sich.



»Nun,« fragte der Herr von Montrouge, »was ist dabei so Außerordentliches? Ist es schwieriger, in der andern Welt zu sehen, als in dieser?«



»Mit Hilfe der Karten, mein Herr, kann man überall sehen,« erwiderte die Brocante.



»Sie sollen also schauen!«



»Babolin,« rief die Alte, »das große Spiel!«



Babolin, der in der Ecke des Zimmers lag und beschäftigt war, dem weißen Pudel eine Lection im Domino zu geben, Babolin stand auf und holte das verlangte große Spiel.



Die Brocante nahm ihre Stellung, rief Phares, – der den Kopf nachlässig unter seinem Flügel verborgen schlief, – hieß ihre Hunde einen Kreis bilden, während sie in ihrer mütterlichen Schwäche Babylos am Fenster ließ, und ging ungefähr zu Werke, wie wir dies für Justin haben thun sehen.



Es waren übrigens dieselben Personen in einem andern Rahmen, außer Rose-de-Noël, welche abwesend, und außer Justin, der durch den Herrn von Montrouge ersetzt wurde.



»Sie wissen, es kostet dreißig Sous?« sagte die Brocante.



Trotz der Verbesserung, welche in ihrem Hauswesen eingetreten war, hatte sie ihre Preise nicht erhöhen zu müssen geglaubt.



»Dreißig Sous, gut!« erwiderte der Herr, während er majestätisch eines von jenen Dreißig-Sous Stücken hinwarf, deren Kupfer man durch die Versilberung sah, und die schon damals in den Zustand von Medaillen überzugehen ansingen, »ich kann am Ende wohl dreißig Sous wagen, um zu erfahren, ob ich ins Paradies komme.«



Die Brocante fing an zu schneiden und wieder zu schneiden, das Spiel zu schlagen und wieder zu schlagen und in einem Halbkreise die Karten auf ihrem Brette auszubreiten.



Man war gerade beim Interessantesten der Wahrsagerei und schon schickte sich der, vom Kreuzkönig bezeichnete, heilige Petrus an, wie der von der Zauberin von Endor heraufbeschworene Schatten von Samuel, die Mysterien der oberen Welt zu entschleiern, als Babylas, der wie immer aufrecht an seinem Fenster stand, Caramelle erblickte, welche, ihr Versprechen haltend, allein, leicht, schlank, zierlich, frischer, heiterer, zärtlicher, herausfordernder als je durch die Straße, kam.



»Caramelle, Caramelle, allein!« rief Babylas. »Ah! Du hast also dein Versprechen gehalten, anbetungswürdige Hündin . . . Ich kann nicht widerstehen, Caramelle, oder den Tod!«



Und rasch aus dem Fenster springend, verfolgte Babylas sein Ideal, das ihn fortwährend mit dem Blicke rief, indes; es im Trabe ging, um so schnell als möglich in der benachbarten Straße zu verschwinden, und zwar, während der Herr geduldig seine Antwort erwartete.



Die Brocante kehrte der Straße den Rücken zu; bei dem Lärmen aber, den Babylas, aus dem Fenster springend, machte, wandte sie sich um.



Diese Bewegung, obschon sie die ganze Schnelligkeit der mütterlichen Sorgfalt hatte, war noch zu langsam, im Vergleiche mit dem Liebesbeginn der von Babylas, denn sich umwendend, erblickte die Brocante nur noch das Hintertheil ihres Hundes, welcher eben verschwand.



Bei diesem Anblicke vergaß die Brocante Alles: sowohl den Mann von Montrouge, der zu wissen wünschte, ob er ins Paradies käme, als die angefangene Consultation und das Dreißig-Sous-Stück, das sie bezahlen sollte, um sich nur noch ihres theuren Babylas zu erinnern.



Sie stieß einen Schrei aus, warf fern von sich das Brett und die Karten, stieg mit der erhobenen Schamlosigkeit großer Leidenschaften über die Brustlehne des Fensters, ließ sich auf die Straße hinabgleiten und fing an Babylas zu verfolgen.



Phares, als er seine Gebieterin durch das Fenster, statt durch die Thüre, wie es ihre Gewohnheit war, weggehen sah, glaubte ohne Zweifel, es brenne im Hause, stieß einen Schrei aus und schwang sich aus die Straße.



Als sie die Brocante und die Krähe entflogen sahen, und ohne Zweifel neugierig, zu erfahren, welche Ereignisse die Liebschaft von Babylas erwarteten, stürzten die Hunde ebenfalls aus dem Fenster, rasch und gedrängt, wie die berühmten Schafe von Panurgos, welche, seitdem sie von Rabelais erfunden worden sind, als Vergleichungspunkt für jeden in Gesellschaft springenden Trupp dienen.



Babolin endlich, als er Babylas abgegangen, die Brocante verschwunden, Phares entflogen und den letzten der Hunde aus der Straße sah, bestieg schon das Fenster, so mächtig wirkt das Beispiel, als ihn der Herr von Montrouge am Boden seiner Hose festhielt.



Es herrschte einen Augenblick ein Kampf, ob der Herr es wäre, der den Boden der Hose von Babolin würde loslassen, oder ob Babolin die Brustlehne des Fensters losließe: als er das sah, sagte der Herr von Montrouge, der ohne Zweifel die Brustlehne für solider hielt, als die Hose:



»Mein Freund, Du bekommst fünf Franken, wenn Du . . . «



Er hielt inne, denn er kannte den Werth eines unterbrochenen Satzes.



Babolin ließ aus der Stelle die Brustlehne los und blieb waagerecht an der Hand des Herrn hängen.



»Wenn was?« fragte er.



»Wenn Du machst, daß ich Rose-de-Noël sprechen kann.«



»Wo ist das Geldstück?«



»Hier,« erwiderte der Herr, indem er es ihm in die Hand gab.



»Aechte fünf Franken!« rief der Straßenjunge.



»Schau,« sagte der Herr.



Babolin schaute, doch am Zeugniß seiner Augen zweifelnd, rief er:



»Laßt sehen, wie das klingt.«.



Und er ließ das Geldstück, das einen silbernen Klang von sich gab, aus den Boden fallen.



»Sie sagen, Sie wollen Rose-de-Noël sehen?«



»Ja.«



»Doch nicht, um ihr etwas zu Leide zu thun?«



»O nein! ganz im Gegentheile.«



»Dann lassen Sie uns hinausgehen,« erwiderte Babolin.



Und er öffnete die Thüre und eilte nach der Treppe des Entresol.



»Gehen wir hinaus,« rief der Herr, der die Stufen der Treppe mit einer Geschwindigkeit, ähnlich der erstieg, die er angewandt hätte, um die Stufen des Paradieses zu ersteigen.



In einem Augenblicke waren sie vor der Thüre von Rose-de-Noël, wo der Herr nur anhielt, um aus einer Porzellandose eine ungeheure Prise Tabak zu nehmen und seine Brille aus seine Nase niederzudrücken.




XXVI

Was der Herr von Montrouge wirklich bei der Brocante wollte

In dem Augenblicke, wo der Herr von Montrouge, dem Babolin voranschritt, seine lange Gestalt beugte, um seinen Kopf nicht an das Gesims zu stoßen und wie ein Wiesel durch die ein wenig geöffnete Thüre schlüpfte, saß Rose-de-Noël an einem Lacktischchen, einem Geschenke von Regina, und unterhielt sich damit, daß sie Blumen, ein Geschenk von Petrus, kolorierte.



»Höre, Rose-de-Noël,« sagte Babolin, »da ist ein Herr von Montrouge, der Dich sprechen will.«



»Mich?« fragte Rose-de-Noël, den Kopf erhebend.

 



»Dich in Person.«



»Ja, Sie, meine liebe Kleine,« sprach der Herr, während er seine blaue Brille aus seine Stirne emporschob, um das Kind mit seinen Augen zusehen, welche durch die Stellung von zwei Gläsern zwischen sie und den Gegenstand, aus den sie sich hefteten, mehr gehindert, als unterstützt zu sein schienen.



Rose-de-Noël stand aus. Sie war seit drei Monaten außerordentlich gewachsen. Es war nicht mehr das krankhafte, verkrümmte Kind, das wir in der Rue Triperet gesehen; es war ein allerdings noch bleiches, mageres, schwächliches Mädchen; doch ihre Magerkeit und ihre Blässe kamen offenbar von ihrem Wachsen. In eine ihrer Organisation mehr sympathetische Sphäre versetzt, hatte sich ihre Gestalt entwickelt; es war eine zärtliche, biegsame, junge Staude, immer bereit, sich beim geringsten Winde zu beugen, aber schon in Blüthe.



Sie grüßte den Herrn von Montrouge, schaute ihn mit ihren großen Augen erstaunt an, und sprach:



»Nun, mein Herr, sagen Sie mir, was Sie mir zu sagen haben.«



»Mein Kind,« erwiderte der Herr mit seinem sanftesten Tone, »ich bin von Personen abgesandt, die Sie ungemein lieben.«



»Von der Fee Carita?« rief das Kind.



»Nein, ich kenne die Fee Carita nicht,« erwiderte lächelnd der Herr.



»Von Herrn Petrus?«



»Auch nicht von Herrn Petrus.«



»Also,« fuhr Rose-de-Noël fort, »also muß es von Herrn Salvator sein!«



»Ganz richtig,« antwortete der Herr von Montrouge, »von Herrn Salvator.«



»Ah! mein guter Freund Salvator,« rief das kleine Mädchen, »er vergißt mich also, daß ich ihn wenigstens vierzehn Tage nicht gesehen habe?«



»Aus diesem Grunde komme ich. »»Mein lieber Herr,«« sagte er zu mir »»suchen Sie Rose-de-Noël auf, beruhigen Sie sie über meine Gesundheit, und bitten Sie sie, auf die Fragen, die Sie an sie machen werden, zu antworten, als ob sie mir selbst antworten würde.««



»Also,« erwiderte Rose-de-Noël, ohne sich beim letzten Theile des Satzes auszuhalten, »Herr Salvator ist also wohl?«



»Sehr wohl!«



»Wann werde ich ihn sehen?«



»Morgen, übermorgen vielleicht . . . Für den Augenblick ist er sehr beschäftigt: darum bin ich in seinem Namen gekommen.«



»Dann setzen Sie sich, sagte Rose-de-Noël, indem sie dem Herrn von Montrouge einen Stuhl zuschob.



»Was Babolin betrifft, als er sah, daß Rose-de-Noël mit einem Freunde von Salvator war, und folglich nichts zu befürchten hatte, überdies begierig, zu erfahren, was aus Caramelle, Babylas, den andern Hunden, Pharcs und der Brocante geworden, – Babolin schlich sich sachte davon, während der Herr von Montrouge Platz nahm, seine Brille wieder aus seine Nase setzte und eine Prise Tabak schlürfte.



Als er sich sodann wohl versichert hatte, die Thüre sei wieder hinter Babolin geschlossen, fuhr der Unbekannte fort:



»Ich sagte Ihnen, mein Kind, Herr Salvator habe mich beauftragt, mehrere Fragen an Sie zu richten.«



»Thun Sie das, mein Herr.«



»Und Sie werden offenherzig antworten?«



»Sobald Sie im Auftrag von Herrn Salvator kommen . . . « sagte Rose-de-Noël.



»Lassen Sie hören, erinnern Sie sich Ihrer ersten Jahres«



Rose-de-Noël schaute den Fragenden starr an.



»Was verstehen Sie hierunter, mein Herr?«



»Ich frage, zum Beispiel, ob Sie sich Ihrer Verwandten erinnern?«



»Welcher?«



»Ihres Vaters und Ihrer Mutter.«



»Ein wenig meines Vaters; meiner Mutter gar nicht.«



»Und Ihres Oheims?«



Rose-de-Noël erbleichte merkbar.



»Welches Oheims?« fragte sie.



»Ihres Oheims Gérard.«



»Meines Oheims Gérard?«



»Ja; würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?«



Ein leichtes Zittern fing an, die Glieder von Rose-de-Noël zu bewegen.



»Ah!« sagte sie, »gewiß. Haben Sie Kunde von ihm?«



»Ich habe welche!« antwortete der Herr.



»Er lebt also noch?«



»Er lebt noch!«



»Und . . . ?«



Das Mädchen zögerte; man sah, daß sie sich gewaltig anstrengte, um einen unüberwindlichen Widerwillen zu bekämpfen.



»Und Madame Gérard?« sagte der Herr von Montrouge, indem er seine Brille emporhob und auf sie kleine durchdringende Augen heftete, welche die Zaubermacht des Basilisks zu haben schienen.



Als aber Rose-de-Noël den Namen von Madame Gérard aussprechen hörte, warf sie sich, einen Schrei ausstoßend, zurück, glitt von ihrem Stuhle herab und wurde von einem erschrecklichen Nervenanfalle ergriffen.



»Teufel! Teufel! Teufel!« sagte der Herr von Montrouge, während er seine Brille wieder auf seine Nase setzte, »man könnte vermuthen, diese kleine Zigeunerin habe Nerven wie eine Prinzessin!«



Und er versuchte es, sie wieder auf den Stuhl zu setzen; doch das Kind krümmte sich, als wäre es vom Starrkrampfe befallen.



»Hm!« murmelte der Herr umherschauend, »das wird peinlich!«



Er erblickte das Bett von Rose-de-Noël, nahm das Kind in seine Arme und trug es auf dieses Bett.



»Kleine Schelmin!« sagte er immer mehr verlegen; »hat man je dergleichen gesehen? gerade beim interessantesten Orte anhalten!«



Er zog einen Flacon aus seiner Tasche und ließ sie davon einathmen; doch bald, als ob ein neuer Gedanke sich in seinem Geiste klar machte, entfernte er von der Nase des Kindes den Flacon, den er schon daran gehalten hatte.



»Ah! ah!« sagte er, »mir scheint, die Sache beruhigt sich.«



Die Bewegungen des Körpers von Rose-de-Noël wurden in der That minder heftig, und die Convulsionen wandten sich einer einfachen Ohnmacht zu.



Der Unbekannte wartete, bis der letzte Schauer erloschen war, und Rose-de-Noël auf ihrem Bette so unbeweglich, als wäre sie todt, ausgestreckt lag.



»Gut!« murmelte er, »benützen wir diesen Umstand.«



Und er ließ Rose-de-Noël bewegungslos auf dem Bette ausgestreckt, ging auf eine Thüre zu und öffnete sie.



»Ein Cabinet ohne Ausgang,« sagte er.



Sodann das Fenster öffnend:



»Und dieses Fenster?«



Er neigte sich hinaus.



»Kaum zwölf Fuß!«



Dann ging er zur Eingangsthüre, nahm mit einer Hand den Schlüssel aus dem Schlosse, während er mit der andern ein Stück Wachs aus der Tasche zog, näherte seine beiden Hände einander und machte mit dem Wachse einen Abdruck vom Schlüssel.



»Bei meiner Treue,« sagte er, »es ist noch ein Glück, daß die Kleine ohnmächtig geworden: wir wären genöthigt gewesen, durch Schätzung zu Werke zu gehen, und das ist immer weniger sicher, während nun . . . «



Er schaute den Abdruck an und verglich ihn mit dem Schlüssel.



»Während wir nun mit Sicherheit verfahren werden,« sagte er.



Und er steckte das Stück Wachs in seine Tasche, den Schlüssel ins Schloß, schloß die Thüre wieder und sprach:



»Ah! man muß immer auf den guten Voltaire zurückkommen: »»Alles steht aufs Beste in dieser bestmöglichen Welt!«« Und dennoch . . . «



Der Unbekannte kratzte sich am Ohr, wie ein Mensch, der zwischen einem guten und einem schlechten Gefühle schwankt; das gute gewann – seltsam! – die Oberhand.



»Und dennoch kann ich dieses Kind nicht in seinem Zustande verlassen!« sagte er.



In diesem Augenblicke klopfte man an die Thüre.



»Wer Ihr auch sein möget, tretet ein, Sacredi!« rief der Herr.



Die Thüre öffnete sich in der That ziemlich heftig, und Ludovic erschien.



»Ah! bravo!« rief der Herr von Montrouge; »Sie kommen teufelmäßig gelegen, mein junger Aesculap, und hat je ein Arzt auf den Ruf geantwortet, so können Sie sich rühmen, daß Sie es sind.«



»Herr Jackal!« sagte Ludovic erstaunt.



»Ihnen zu dienen, lieber Herr Ludovic,« erwiderte der Polizeimann, indem er dem jungen Doctor eine Prise aus seiner Tabaksdose bot.



Ludovic schob aber die Hand von Herrn Jackal zurück, trat ans Bett und sagte, als hätte er das Recht, zu fragen:



»Mein Herr, was haben Sie diesem Kinde gethan?«



»Ich, mein Herr?« antwortete Herr Jackal sanftmüthig; »durchaus nichts! Doch es scheint, sie ist Krämpfen unterworfen.«



»Allerdings, mein Herr, aber nicht ohne Ursache,« entgegnete Ludovic,



Und er tauchte sein Sacktuch in einen Topf voll Wasser und drückte es an die Stirne und an die Schläfe des Mädchens.



»Was haben Sie ihr denn gesagt? was haben Sie ihr denn gethan?«



»Gethan? nichts . . . Gesagt? wenig . . . « antwortete laconisch Herr Jackal.



»Aber . . . ?«



»Mein Gott! mein lieber Herr Ludovic, Sie wissen, daß die Bettler, die Zauberer, die Schwarzkünstler, die Zauberlaternen zeigen, Zigeuner und Kartenschläger zu meiner Gerichtsbarkeit gehören.«



»Nun, da die Brocante, mit ihren Hunden und mit ihrer Krähe ausziehend, vergessen hatte, mir das neue Quartier mitzutheilen, wo es ihr ein Domicil zu wählen gefallen, so mußte ich sie durch meine Leute aufspüren lassen. Sie entdeckten, daß sie in der Rue d’Ulm wohnte, und machten mir ihre Meldung. Da ich weiß, daß sie zu den Freundinnen von Herrn Salvator gehört, den ich von Herzen liebe, so begab ich mich alsdann zu ihr, statt sie zu verhaften und nach der Salle Saint-Martin bringen zu lassen, wie es mein Recht und meine Pflicht war; doch wie es scheint, war sie seit einem Augenblick durch das Fenster weggegangen, gefolgt von ihren Hunden und ihrer Krähe, so daß ich das Haus leer und die Thü