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Liebte sie, so mußte sie mit den Augen die verliebt verschlungenen Zweige suchen, wohin sie ihr Nest hätte setzen mögen; liebte sie nicht, so mußte sie vom üppigen Leben dieser herrlichen Vegetation das unaussprechliche Geheimniß der Liebe verlangen, von dem jedes Blatt, jede Blume, jeder Duft keusch und mysteriös die ersten Worte enthüllten.

Und nun, da wir hinreichend dieses unbekannte Eben der Rue d’Artois beschrieben haben, sprechen wir von der Eva, die es bewohnte.

Ja, Eva ist wohl der Name, den Lydie, so träumerisch, mit dem Arme aufgestützt und die Meditationen von Lamartine lesend, verdiente; Lydie bei jeder Strophe, – duftende Strophen! – schauend, wie sich die Knospen der Pflanzen öffneten und so in der Natur den im Buche angefangenen Traum fortsetzend. Ja, es war eine wahre Eva, rosig, frisch und blond; Eva am andern Tage nach der Sünde, mit dem Blicke auf Allem, was sie umgab, umherschweifend; Eva zitternd, unruhig, zuckend, ängstlich das Geheimniß dieses Paradieses suchend, wo man fühlte, daß sie zu zwei gewesen, und wo sie ganz betrübt war, daß sie sich wieder allein fand; rufend, durch die Schläge ihres Herzens, durch die Blitze ihrer Augen, durch das Scheuern ihrer Lippen, entweder den Gott, der sie zur Welt kommen gemacht, oder den Menschen, der sie sterben gemacht hatte.


Gehüllt, wie sie war, in Betttücher von feinem Batist, den Hals umgeben von einer Flaumpalatine, die Lippe feucht, das Auge in Feuer, die Wange in Blüthe – hätte ein Bildhauer von Athen oder Korinth kein anderes Modell, keinen vollendeteren Typus für eine Statue von Leda geträumt.

Sie hatte in der That von der vom Schwan umschlungenen Leda die verliebte Röthe und die wollüstige Beschauung. Sie so sehend, würde der Autor der Psyche, dieser heidnischen Eva, Canova ein Meisterwerk aus ihr gemacht haben, das seine Venus Borghese entthront hatte: Correggio hätte daraus eine träumerische Calypso, mit einem Amor hinter ihr in einen Winkel der Draperie verborgen gemacht. Dante hätte daraus die ältere Schwester von Beatrix gemacht, und von ihr durch die Krümmungen der Erde geführt zu werden verlangt, wie er von der jüngeren Schwester durch die Krümmungen des Himmels geführt worden war.

Sicherlich aber hätten sich Dichter, Maler und Bildhauer vor der bewunderungswürdigen Person verbeugt, in der zugleich, durch eine unbegreifliche Mischung, die Schamhaftigkeit des Mädchens, der Reiz der Frau, die Sinnlichkeit der Göttin residierten; ja, das zehnte, das fünfzehnte, das zwanzigste Jahr, das Kinderjahr, das mannbare Jahr, das Liebesjahr, diese drei Jahre, welche die Trilogie der Jugend bilden, welche, jedes der Reihe nach, dem Kinde, dem Mädchen, der Frau entgegenkommen, und, einmal überschritten, zurückbleiben; diese drei Jahre, wie die drei Gracien von Germain Pilon, schienen dem privilegierten Geschöpfe, dessen Portrait wir zu zeichnen suchen, das Geleite zu geben und auf seine Stirne die Blumen mit den reinsten Wohlgerüchen, mit den frischesten Farben zu entblättern.

Je nach der Art, wie man sie anschaute, erschien sie: ein Engel hätte sie für seine Schwester gehalten, Paul für Virginie, Desprieux für Manon Lescaut.

Woher kam bei ihr diese dreifache, unvergleichliche, seltsame, unerklärbare Schönheit? Das werden wir in der Folge unserer Erzählung, nicht zu erklären, aber begreiflich zu machen suchen, indem wir dieses Kapitel oder vielmehr das nächste den Unterredungen der Frau von Marande und ihrem Gatten vorbehalten.

Dieser Gatte wird sogleich eintreten; er ist es, den Lydie in einer so tiefen Zerstreuung erwartet; er ist es aber sicherlich nicht, den ihr unbestimmter Blick in den Halbtinten des Zimmers und in dem Halbschatten des Gewächshauses sucht.

Er hat sie indessen auf eine sehr zärtliche Art um diese Erlaubnis gebeten, die er sogleich benützen wird, um die Erlaubnis, einen Augenblick in ihrem Zimmer mit ihr plaudern zu dürfen, ehe er sich in seiner Wohnung einschließen würde.

Wie! so viel Schönheit! so viel Jugend, so viel Frische, Alles, was der Mann, zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre, das heißt zum Culminationspunkte seiner Jugend gelangt, Idealstes träumen kann, und was er nie trifft; wie! so viel Glück, so viel Freude, so viel Trunkenheit, alle diese Schätze gehören einem einzigen Manne, und dieser Mann ist der allerdings frische, blonde, rosenfarbige, zierliche, höfliche und geistreiche, aber trockene, kalte, egoistische, ehrgeizige Banquier, den wir kennen! Alles dies gehört ihm wie sein Hotel, wie seine Bilder, wie seine Kasse!

Welches mysteriöse Abenteuer, welche sociale Macht, welche tyrannische, unerbittliche Autorität konnten mit einander diese zwei, – wenigstens dem Anscheine nach, – so unähnlichen Wesen, diese zwei Stimmen, welche so wenig gemacht, um mit sich zu sprechen, diese zwei Herzen, welche so schlecht gemacht, um sich zu verstehen, verbinden?

Wahrscheinlich werden wir es später erfahren, Mittlerweile hören wir sie plaudern, und vielleicht wird uns ein Blick, ein Zeichen, ein Wort von einem dieser zwei an einander Gefesselten auf die Spur von Ereignissen bringen, welche für uns noch in der dunklen Nacht der Vergangenheit verbergen sind.

Plötzlich glaubte die schöne Träumerin das dumpfe Rauschen der Teppiche im vorhergehenden Zimmer zu hören; so leicht der Tritt war, der sich näherte, der Boden krachte unter ihm. Frau von Marande ließ ihre Toilette rasch eine letzte Revue passieren; sie kreuzte ihren Schwanenpelz enger auf ihrem Halse; sie zog die Spitze ihres Nachthemdes weiter auf ihr Handgelenke vor, und als sie sah, daß die ganze übrige Person auf eine tadellose Art verschleiert war, so machte sie nicht mehr die geringste Bewegung, um die Anordnung zu verändern.

Nur legte sie ihr offenes Buch auf das Bett zurück und hob ein wenig die Stirne empor, so daß nicht mehr der obere Theil ihres Kopfes, sondern ihr Kinn in ihrer Hand ruhte, und in dieser Stellung, wuchs noch mehr Gleichgültigkeit, als Coquetterie bezeichnete, erwartete sie ihren Herrn und Meister.

XXIII
Eheliche Plauderei

Herr von Marande hob den Vorhang auf, blieb aber auf der Thürschwelle stehen.

»Darf ich eintreten?« fragte er.

»Gewiß . . . Versprachen Sie nicht, Sie werden kommen? . . . Ich erwartete Sie seit einer Viertelstunde.«

»Ah! was sagen Sie mir da, Madame? Sie müssen so müde sein! Nicht wahr, ich bin.unbescheiden gewesen?«

»Nein; kommen Sie.«

Herr von Marande näherte sich, grüßte voll Anmuth, nahm die Hand, die ihm seine Frau reichte, neigte sich auf diese Hand mit dem zarten Gelenke, mit den weißen, schmalen Fingern, mit den rosigen Nägeln, und legte seine Lippen so leicht darauf, daß Frau von Marande mehr die Absicht begriff, als daß sie den Kuß fühlte.

Die junge Frau befragte mit den Augen ihren Gatten.

Es ließ sich leicht sehen, daß nichts ungewöhnlicher war, als ein solcher Besuch von Herrn von Marande; und dennoch ließ sich auch sehen, daß dieser Besuch weder gewünscht, noch gefürchtet war: es war eher der Besuch eines Freundes als der eines Gatten, und Lydie schien sogar mit mehr Neugierde als Besorgniß zu warten.

Herr von Marande lächelte; dann sagte er mit seiner sanftesten Stimme:

»Ich muß mich vor Allem entschuldigen, daß ich Sie so spät oder vielmehr so früh besuche. Glauben Sie mir, hielten mich nicht die wichtigsten Geschäfte den ganzen Tag außer dem Hause, so würde ich eine günstigere Gelegenheit abgewartet haben, um vertraulich mit Ihnen zu reden.«

»Welche Stunde Sie auch wählen mögen, mein Herr, um mit mir zu sprechen,« erwiderte Frau von Marande mit liebreichem Tone, »es ist immer eine kostbare Gelegenheit, um so kostbarer, je seltener sie ist.«

Herr von Marande verbeugte sich, diesmal aber zum Zeichen des Dankes; dann trat er an eine Bergère, rückte sie hinzu, und lehnte den Arm des Meuble an das Bett von Frau von Marande an, so daß er sich ihr gegenüber befand.

Die junge Frau ließ ihren Kopf wieder auf ihre Hand fallen und wartete.

»Erlauben Sie mir, Madame,« sagte Herr von Marande, »daß ich, ehe ich in die Sache selbst eingehe, oder, wenn Sie lieber wollen, um besser in dieselbe einzugehen, Ihnen meine Complimente über Ihre außerordentliche Schönheit wiederhole, welche alle Tage zunimmt und heute Nacht wahrhaft den Culminationspunkt der menschlichen Schönheit erreicht zu haben schien.«

»In der That, mein Herr, ich weiß nicht, wie ich auf eine solche Höflichkeit antworten soll: sie bereitet mir um so mehr Freude, als Sie mir gewöhnlich die Complimente mit einer gewissen Sparsamkeit zumessen. Gestatten Sie, daß ich mich darüber beklage, ohne es Ihnen vorzuwerfen.«

»Klagen Sie wegen meines Geizes nur die auf die Arbeit eifersüchtige Liebe an. Meine ganze Zeit ist der Aufgabe gewidmet, die ich mir vorgesetzt habe; würde es mir aber eines Tages erlaubt sein, einen Theil meiner Stunden in der süßen Muße zuzubringen, die Sie mir in diesem Augenblicke gewähren, glauben Sie mir, dieser Tag wäre einer der schönsten meines Lebens.«

Frau von Marande schlug die Augen zu ihrem Gatten auf und schaute ihn, als könnte ihr nichts seltsamer scheinen, als das, was er ihr so eben gesagt hatte, mit Erstaunen an.

»Ei! mich dünkt, mein Herr,« antwortete sie mit allem Zauber, den sie ihrer Stimme zu geben vermochte, »mich dünkt, so oft Sie diese Muße zu genießen verlangen, werden Sie nur zu thun haben, was Sie diesen Morgen gethan . . . mich zu benachrichtigen, Sie wünschen mich zu sehen, oder auch,« fügte sie lächelnd bei, »sich bei mir einzufinden, ohne mich zu benachrichtigen.«

»Sie wissen,« sagte Herr von Marande ebenfalls lächelnd, »das liegt nicht in unseren Bedingungen.«

»Diese Bedingungen, mein Herr, Sie haben sie dictirt, und nicht ich; ich habe sie einfach angenommen. Es war nicht an der, welche, ohne Ihnen irgend eine Mitgift zu bringen, von Ihnen ihr Vermögen, ihre Stellung . . . und sogar die Ehre ihres Vaters erhielt, Bedingungen zu machen, wie mir scheint.«

 

»Glauben Sie, liebe Lydie, der Augenblick sei gekommen, etwas an diesen Bedingungen zu ändern, und würde ich Ihnen nicht sehr überlästig scheinen, käme ich, zum Beispiel, diesen Morgen und würfe ungeschlachter Weise meinen ehelichen Realismus mitten unter die Träume, die Sie heute Nacht gemacht haben, und vielleicht in diesem Augenblicke, wo ich mit Ihnen spreche, noch machen?«

Frau von Marande fing an zu begreifen, worauf die Conversation abzielte, und fühlte eine Purpurwolke über ihr Gesicht ziehen. Der Banquier ließ dieser Wolke Zeit, sich zu zerstreuen, und fragte dann gerade auf den Punkt zurückkommend, wo das Gespräch unterbrochen worden war, mit seinem ewigen Lächeln und seiner unbeugsamen Höflichkeit:

»Diese Bedingungen« Madame« Sie erinnern sich derselben ?«

»Vollkommen, mein Herr,« antwortete die junge Frau mit einer Stimme, die sie ruhig zu erhalten sich anstrengte.

»Ich habe das Glück« bald drei Jahre Ihr Gatte zu sein, und in drei Jahren vergißt man viele Dinge.«

»Ich werde nie vergessen, was ich Ihnen verdanke, mein Herr.«

»Hierin, Madame, sind wir verschiedener Ansicht. Ich glaube nicht, daß Sie mir etwas verdanken; sollten Sie aber das Gegentheil denken und irgend eine Schuld mir gegenüber eingegangen zu haben meinen, so würde ich Sie bitten, gerade diese Schuld zu vergessen.«

»Man vergißt nicht, wann man will, und wie man will, mein Herr; und es gibt gewisse Leute, für die der Undank nicht nur ein Verbrechen, sondern auch eine Unmöglichkeit ist! Mein Vater, ein in den Geschäften ungeschickter alter Soldat, steckte sein ganzes Vermögen, das er zu verdoppeln hoffte, in eine industrielle Speculation und wurde zu Grunde gerichtet. Er hatte Verbindlichkeiten bei dem Banquehause übernommen, bei welchem Sie Nachfolger wurden, und diese Verbindlichkeiten konnten zur Verfallzeit nicht gehalten werden. Ein junger Mann . . . «

»Madame . . . « versuchte Herr von Marande zu unterbrechen.«

»Ich will über nichts weggehen,« sagte Lydie: »Sie würden glauben, ich habe vergessen. Ein junger Mann, der meinen Vater für reich hielt, bat um meine Hand; ein instinctartiger Widerwille gegen diesen jungen Mann machte, daß mein Vater von Anfang sein Gesuch zurückwies. Doch besiegt durch meine Bitten, – dieser junge Mann hatte mir gesagt, er liebe mich, und ich glaubte ihn zu lieben . . . «

»Sie glaubten?« sagte Herr von Marande.

»Ja, mein Herr, ich glaubte. Ist man mit sechzehn Jahren seiner Gefühle ganz sicher, besonders, wenn man aus der Pension kommt und die Welt ganz und gar nicht kennt? . . . Ich wiederhole also, besiegt durch mein Bitten, empfing am Ende mein Vater Herrn von Bedmar. Alles wurde festgesetzt, selbst meine Mitgift: dreimal hunderttausend Franken. Doch es Verbreitete sich das Gerücht vom Ruine meines Vaters, mein Bräutigam stellte plötzlich seine Besuche ein und verschwand! nur empfing mein Vater einige Zeit nachher von ihm einen Brief datiert von Mailand, in welchem er ihm sagte, da er seinen ersten Widerwillen, ihn zum Schwiegersohne anzunehmen, erfahren habe, so wolle er seinen Sympathien keine Gemalt antun. Meine Mitgift war abgesondert deponiert und vor jedem Angriffe geschützt worden; es war ungefähr die Hälfte von dem, was mein Vater Ihrem Banquehause schuldete. Drei Tage vor der Verfallzeit seiner Verbindlichkeiten erschien er bei Ihnen, bot Ihnen die dreimal hunderttausend Franken an und bat Sie um Frist für das Uebrige. Sie antworteten ihm, er möge sich vor Allem beruhigen, und fügten bei, da Sie ihm ein Geschäft vorzuschlagen haben, so bitten Sie ihn um ein Rendezvous in seinem Hause am andern Tage . . . Ist das so ?«

»Ja, Madame . . . nur muß ich gegen das Wort Geschäft Einsprache thun.«

»Ich glaube, es ist das, dessen Sie sich bedienten.«

»Ich brauchte einen Vorwand, um Eintritt in Ihr Haus zu erlangen, Madame: das Wort Geschäft war keine Bezeichnung, sondern ein Vorwand.«

»Ich verlasse das Wort; mein Herr: bei solchen Umständen ist das Wort nichts, dies Sache ist Alles. Sie kamen und machten meinem Vater den unerwarteten Antrag, mein Gatte zu werden, als meine Mitgift die von ihm Ihrem Hause gegenüber contrahirten sechsmal hunderttausend Franken Schulden zu nehmen, und ihm die hundertausend Thaler zu lassen, die er Ihnen angeboten hatte.«

»Ihrem Vater mehr antragend, Madame, hätte ich befürchtet, er würde es ausschlagen.«

»Ich kenne Ihr ganzes Zartgefühl, mein Herr. Mein Vater, so sehr er von dem Vorschläge betäubt war, nahm an, mit Vorbehalt meiner Einwilligung, und diese Einwilligung ließ, wie Sie wissen, nicht auf sich warten.«

»Ah! Sie haben ein frommes, kindliches Herz, Madame.«

»Erinnern Sie sich unserer Zusammenkunft mein Herr? Meine ersten Worte waren, daß ich von der Vergangenheit sprach, daß ich Ihnen gestand . . . «

»Eines den den Mädchengeheimnissen, welche zu vollenden ein delicater Mann seiner Braut nie die Zeit lassen darf. Uebrigens fügte ich bei: »»Nehmen Sie meinen Antrag aus welchem Gesichtspunkte es Ihnen beliebt, mein Fräulein, »entweder als ein Geschäft, das ich mache . . . ««

»Sie sehen wohl, daß dies das Wort war, dessen Sie sich bedienten!«

»Ich bin Banquier,« sagte Herr von Marande, »man muß der Gewohnheit verzeihen, »»entweder als ein Geschäft, das ich mache, und dessen Resultate, obgleich unbekannt, für mich vortheilhaft sein müssen, oder als eine Schuld, die ich im Namen meines Vaters bezahle.««

»Ganz richtig, mein Herr! ich erinnere mich Alles dessen. Es handelte sich um einen von meinem Vater dem Ihrigen während des Kaiserreichs, oder am Anfange der Restauration geleisteten Dienst.«

»Ja, Madame . . . Dann fügte ich bei, da ich nicht glaube, daß dieser doppelte Titel, unter dem ich Ihr Gatte werde, Sie zu irgend einem Danke verpflichte, so lasse ich Ihnen vollkommene Freiheit hinsichtlich Ihrer Gefühle für mich; ich selbst, obschon ich Verbindlichkeiten übernommen habe, behalte mir meine Unabhängigkeit vor; nie, so verführerisch Gott Sie geschaffen habe, sollen Sie durch meine ehelichen Ansprüche belästigt werden. Ich setzte endlich hinzu, schön, jung und zur Liebe fähig, wie Sie es seien, glaube ich sogar dieser angebotenen Freiheit keine andere Gränze geben zu müssen, als das Maß, das sie derselben, sie nach den gesellschaftlichen Convenienzen regelnd, würden setzen wollen. Nur nahm ich mir vor, über Sie zu wachem wie es ein nachsichtiger Vater bei seiner Tochter thut, und, – immer als ein Vater, unter dem Titel Wächter Ihres Rufes, der der meinige wurde, – den ungebührlichen Versuchen zu steuern, welche gewisse Menschen, durch Ihre Schönheit angezogen und geblendet, zu machen nicht verfehlen würden.«

»Mein Herr . . . «

»Ach! dieser Vatertitel, ich hatte bald das Recht, ihn anzunehmen: der Oberste starb plötzlich auf einer Reise, die er in Italien machte; mein Correspondent in Rom sandte mir diese traurige Nachricht zu. Ihr Schmerz, als Sie es erfuhren, war groß; die ersten Monate unserer Ehe sahen uns in Trauer gekleidet.«

»Oh! von Herzen, wie von Körper, das schwöre ich Ihnen, mein Herr.«

»Kann ich daran zweifeln, Madame, ich, der ich so viel Mühe hatte, nicht Sie dieses Unglück vergessen zu machen, sondern von Ihnen zu erlangen, daß Sie Ihre Verzweiflung in die Grenzen der Vernunft einschließen. Sie hatten die Güte, mir Gehör zu schenken; Sie legten am Ende die düsteren Kleider ab, oder vielmehr die düsteren Kleider verließen Sie am Ende; man sah Sie aus dieser Trauer hervortreten, wie in den ersten Frühlingstagen eine Blume aus der grauen Winterhülle hervortritt. Der Sammet der Jugend, die Frische der Schönheit waren nie von Ihren Wangen verschwunden, doch das Lächeln hatte sich von Ihren Lippen verbannt. allmählich . . . ah! machen Sie sich keinen Vorwurf daraus, Madame, das ist ein Gesetz der Natur . . . allmählich kam das verbannte Lächeln wieder, die verdüsterte Stirne klärte sich auf, die durch Seufzer beengte Brust fing an sich in freudigem Aufathmen zu erweitern; Sie kehrten zum Leben, zum Vergnügen, zur Coquetterie zurück; Sie wurden wieder Frau, und, lassen Sie mir diese Gerechtigkeit widerfahren, ich diente Ihnen als Führer und Stütze auf diesem schwierigen Wege, – schwieriger, als man glaubt, – der von den Thränen zum Lächeln, vom Schmerze zur Freude zurückbringt.«

»Ja,« sagte Frau von Marande, die Hand ihres Gatten ergreifend, »und lassen Sie mich diese redliche Hand drücken, die mich so geduldig, so liebreich, so brüderlich geführt hat.«

»Sie danken mir für eine Gunst, die Sie mir erwiesen haben! das ist wahrhaftig zu viel Güte von Ihnen.«

»Aber, mein Herr,« fragte Frau von Marande, ganz bewegt, – sei es nun von der Scene, welche stattfand, sei es von den Erinnerungen, die diese Scene in ihr zurückrief, »werden Sie wohl die Güte haben, mir zu erklären, worauf Sie abzielen?«

»Ah! verzeihen Sie Madame! ich vergaß sowohl die Stunde, die es ist, als den Ort, wo ich mich befinde, und die Müdigkeit, die Sie fühlen müssen.«

»Mein Herr, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie sich ewig in meinen Intentionen irren.«

»Ich fasse mich kurz, Madame. Ich sagte also, Ihre Rückkehr in die Welt nach einer Abwesenheit von mehr als einem Jahre habe eine lebhafte Sensation hervorgebracht. Sie hatten die Welt schön verlassen, sie sah Sie bezaubernd wieder: nichts verschönert so sehr, als der Succeß: von reizend wie Sie waren, machten Sie Ihre Successe anbetungswürdig.«

»Nun kommen Sie wieder auf Ihre Complimente zurück.«

»Nun kommen wir wieder auf die Wahrheiten zurück, dahin muß man immer zurückkommen, Madame. Lassen Sie mich Ihnen nun sagen, und ich werde mit ein paar Worten geendigt haben.«

»Ich höre.«

»Nun wohl, Madame, indem ich Sie aus der Dunkelheit hervorzog, die Ihre Trauerkleider auf Sie warfen, that ich, was Pygmalion that, als er seine Galatea aus dem Marmorblocke zog, wo sie vor Alter Augen verborgen war. Denken Sie sich nun Pygmalion als unsern Zeitgenossen, denken Sie sich, er führe seine Galatea in die Welt unter dem Namen . . . Lydie; denken Sie, statt Phygmalion zu lieben, liebe Galatea . . . nichts; – stellen Sie sich die Herzensangst des armen Pygmalion vor, die Leiden, ich sage nicht einmal seiner Liebe, sondern seines Stolzes, wenn er wird sagen hören: »»Nicht für sich hat der arme Bildhauer den Marmor belebt, sondern . . . für . . . ««

»Mein Herr, die Vergleichung . . . «

»Ja, ich kenne das Sprichwort: »»Vergleich ist nicht Vernunft;««9 das ist wahr. Kommen wir also auf die Wirklichkeit zurück, rein ohne Metapher. Nun wohl, Madame, diese erstaunliche Schönheit, die Ihnen tausend Freunde erobert, und mir tausend Neider schafft; diese wunderbare Anmuth, welche um Sie, wie Bienen um einen Rosenstrauch, die Blüthe der Elegants summen macht; diese Gewalt, die Sie über Alles üben, was Sie umgibt, und die unwiderstehlich Alles anzieht, was in Ihre Sphäre kommt; diese zauberische Schönheit endlich erschreckt mich und macht mich zittern, wie mich würde der Anblick eines Absturzes zittern machen, über dem ich in Ihrer theuren Gesellschaft spazieren ginge . . . Verstehen Sie mich, Madame?«

»Ich versichere Sie, nein, mein Herr,« antwortete Lydie.

Und mit einem reizenden Lächeln fügte sie bei:

»Was Ihnen, beiläufig bemerkt, beweist, daß ich nicht so viel Geist habe, als Sie manchmal zu sagen mir die Ehre erweisen.«

»Es ist mit dem Geiste wie mit der Sonne, Madame: er hat seine Stunden der Zurückgezogenheit und der Sammlung. Ich will also zugleich wie zu Ihrem Geiste, so zu Ihren Augen zu sprechen suchen. Erinnern Sie sich, daß Sie eines Tags, auf unserer Reise nach Savoyen, als wir von Entremont kommend, von der Höhe des Berges herab die Rhone erblickten, welche in der Sonne schimmerte wie ein Fluß von Silber, im Schatten wie ein Fluß von Azur, erinnern Sie sich, daß Sie plötzlich meinen Arm verließen, auf das Ploteau liefen und dann ganz erschrocken stehen blieben, da Sie, durch die einen schwachen Teppich bildenden Blumen und Kräuter, einen vor Ihren Schritten geöffneten Abgrund erschauten, der nur sichtbar war, wenn man den Rand erreicht hatte?«

»Oh! ja, ich erinnere mich dessen,« erwiderte die Augen schließend und leicht erbleichend Frau von Marande, »und es freut mich, daß ich mich erinnere, denn hätten Sie mich nicht festgehalten und zurückgezogen, so hätte ich wahrscheinlich nicht das Glück, Ihnen meinen Dank zu erneuern.«

 

»Ich begehrte ihn nicht, Madame; nur wünschte ich Ihnen durch ein Bild, und Ihre Erinnerungen erweckend, deutlicher, als ich es noch gethan, das zu erklären, was ich vorhin einen Abgrund nannte. Nun wohl, ich wiederhole, Ihre Schönheit erschreckt mich wie jene Schlucht von sechshundert Fuß Tiefe, welche Blumen und Kräuter bedeckten, und ich befürchte, wir werden eines Tags Beide davon verschlungen werden! . . . Diesmal verstehen Sie, Madame?«

»Ja, mein Herr, ich glaube, daß ich zu begreifen anfange,« antwortete die junge Frau die Augen niederschlagend.

»Fangen Sie an zu begreifen, so bin ich ganz ruhig,« erwiderte lächelnd Herr von Marande. »Sie werden sogleich völlig begreifen! . . . Ich sagte also, Madame, für Sie einen Vater ersetzend, – Sie wissen, daß ich nie andere Rechte, als diese in Anspruch nahm? – müsse ich die Augen mit einer gewissen Besorgniß auf die Schaaren von Schönen, Elegants, Dandys werfen, welche meine Tochter umgeben . . . Bemerken Sie wohl, Madame, daß meine Tochter jede Freiheit hat: in dieser funkelndem geputzten Schaar kann sie ihre Wahl treffen; aus dieser Wahl wird nie ein Unglück entstehen; nur halte ich es, nicht für mein Recht, sondern für meine Pflicht, ihr, immer als Vater, zu sagen: »»Gut gewählt, mein Kind . . . Schlecht gewählt, meine Tochter!««

»Mein Herr!«

»Doch, nein! ich irre mich, ich werde ihr das nicht sagen: ich lasse die Männer, die sich besonders mit ihr beschäftigen, die Revue passieren, und ich werde ihr meine Ansicht über diese Männer sagen . . . Wollen Sie meine Ansicht über Einige von denjenigen wissen, die sich gestern am meisten mit Ihnen beschäftigt haben?«

»Reden Sie, mein Herr-«

»Lassen Sie uns mit Monseigneur Coletti anfangen.«

»Oh! mein Herr!«

»Ich nenne Ihnen ihn nur der Erinnerung wegen und als passende Eröffnung der Liste; übrigens, Madame, ist Monseigneur Coletti ein reizender Prälat!«

»Ein Priester!«

»Sie haben Recht; auch bringen Sie mich sogleich auf Ihr Gefühl: ein Priester ist nicht gefährlich für eine Frau wie Sie . . . schön, jung, reich, frei . . . oder beinahe frei; und Monseigneur Coletti kann sich öffentlich oder insgeheim mit Ihnen beschäftigen, beim hellen Tage oder in der tiefsten Finsternis kommen, Niemand wird es einfallen, zu sagen, Frau von Marande sei die Geliebte von Monseigneur Coletti.«

»Und dennoch, mein Herr . . . « sagte die junge Frau, ihren Satz mit einem Lächeln abschneidend.

»Dennoch liebt er Sie, oder er ist vielmehr verliebt in Sie: Monseigneur Coletti liebt nur sich selbst; – das ist es, was Sie sagen wollen, nicht wahr?«

Das in Permanenz auf den Lippen von Frau von Marande gebliebene Lächeln war eine stillschweigende Beipflichtung zur Meinung ihres Mannes.

»Nun wohl,« fuhr der Banquier fort, »ein Anbeter in den hohen Würden der Kirche steht einer hübschen jungen Frau ziemlich wohl an, besonders wenn diese hübsche junge Frau weder spröde noch devot ist, und einen andern Liebhaber hat.«

»Einen andern Liebhaber!« rief Lydie.

»Bemerken Sie wohl, daß ich nicht gerade von Ihnen rede; ich generalisiere, ich sage eine hübsche junge Frau . . . Sie sind jung unter den Jungen, hübsch unter den Hübschen; doch Sie sind nicht die einzige junge, die einzige hübsche Frau von Paris, nicht wahr ?«

»Oh! ich hege diese Anmaßung durchaus nicht, mein Herr.«

»Monseigneur Coletti mag also gelten! Er läßt für Sie die beste Loge des Conservatoire aufbewahren, wenn die Orotorien kommen; er reserviert Ihnen die beste Tribune von Saint-Roch, um das Magnificat und das Dies irae zu hören, und er hat meinem Haushofmeister Recepte von Wildpretpurée gegeben, welche die Bewunderung Ihrer zwei alten Cicisbei, der Herrn von Courchamp und Montrond, erregten. Sodann ist da ein reizender Junge, den ich von ganzem Herzen liebe . . . «

Frau von Marande befragte ihren Gatten mit dem Blicke; dieser Blick bedeutete klar: »Wer das?«

»Lassen Sie mich auch sein Lob gegen Sie aussprechen, nicht als Dichter, nicht als dramatischer Schriftsteller, – Sie wissen, es ist abgemacht, daß die Banquiers nichts von der Poesie oder dem Theater verstehen, – sondern als Mensch . . . «

»Sie meinen Herrn . . . ?«

Frau von Marande zögerte.

»Ich meine Herrn Jean Robert, bei Gott!«

Eine zweite Purpurwolke, noch viel intensiver und tiefer gefärbt als die erste, zog über das Gesicht von Frau von Marande, ihr Gatte verlor nicht die kleinste Nuance hiervon; er hatte jedoch den Anschein, als gäbe er nicht darauf Acht.

»Sie lieben Herrn Jean Robert?»fragte die junge Frau.

»Warum nicht? Er ist von gutem Hause; sein Vater nahm bei den republikanischen Heeren einen Grad ein, der über dem war, welchen der Ihrige bei den kaiserlichen Heeren einnahm; hätte er sich mit der Familie Napoleon vereinigen wollen, so wäre er als Marschall von Frankreich gestorben, statt sterbend seine Familie im Elend oder beinahe im Elend zurückzulassen. Der junge Mann hat Alles das in die Hand genommen; er ist muthig durch die Schwierigkeiten des Lebens gegangen; das ist ein offenes redliches Herz, das vielleicht seine Liebe, aber durchaus nicht seine Antipathien zu verbergen weiß. Sehen Sie, mich zum Beispiel, mich liebt er nicht . . . «

»Wie, er liebt Sie nicht?« rief Frau von Marande, die sich hinreißen ließ; »ich habe ihm doch gesagt . . . «

»Er soll sich den Anschein geben, als liebte er mich . . . Nun wohl, der arme Junge, obschon er, ich bezweifle es nicht, die größte Rücksicht für Ihre Ermahnungen hat, vermöchte doch bei diesem Punkte nicht dazu zu gelangen, daß er Ihnen gehorchen würde. Nein, er liebt mich nicht! sieht er mich auf einer Seite der Straße kommen, und er kann ohne Unhöflichkeit auf die andere gehen, so thut er es; begegne ich ihm, und er ist, unversehens erfaßt, genöthigt, mich zu grüßen, so geschieht es mit einer Kälte, von der jeder Andere als ich verletzt wäre, der ich diese Pflicht der Höflichkeit erfülle, um ihn eine Einladung bei Ihnen annehmen zu machen. Gestern habe ich ihn gezwungen, buchstäblich gezwungen, mir die Hand zu geben, und wenn Sie wüßten, was der arme Junge während der ganzen Zeit, die seine Hand in der meinigen blieb, gelitten hat! Das hat mich gerührt, und je mehr er mich haßt, desto mehr liebe ich ihn . . . Sie begreifen das, nicht wahr, Madame? Das ist ein undankbarer Mensch, aber ein redlicher Mensch.«

»Wahrhaftig, mein Herr, ich weiß nicht, wie ich das, was Sie mir sagen, nehmen soll!«

»Wie man Alles nehmen muß, was ich sage: als die Wahrheit. Der arme Junge glaubt sich im Unrechte gegen mich, und das macht ihn befangen.«

»Mein Herr, in welchem Unrechte?«

»Ich sage Ihnen nicht, er sei kein Geisterseher; er ist Dichter, und jeder Dichter ist es mehr oder weniger . . . Ah! eine Empfehlung: nicht wahr, er macht Ihnen Verse?«

»Mein Herr . . . «

»Er hat gemacht; ich habe sie gesehen.«

»Er läßt sie aber nicht drucken!«

»Er hat Recht, wenn sie schlecht sind; er hat Unrecht, wenn sie gut sind. Er thue sich meinetwegen keinen Zwang an. Ich setze indessen eine Bedingung.«

»Welche, wenn ich fragen darf? Daß mein Name nicht dabei stehe?«

»Im Gegentheile, im Gegentheile! Teufel! Geheimnisse gegen uns, seine Freunde! Nein! . . . Ihr Name mag mit allen Buchstaben dabei stehen! Wer Henkers wird Schlimmes in Versen gemacht von einem Dichter an eine hübsche Frau finden? Wenn Herr Jean Robert Verse an eine Blume, an den Mond, an die Sonne macht, setzt er einen Anfangsbuchstaben dazu? Nicht wahr, nein? er setzt ihren ganzen Namen. Wie die Blume, wie der Mond, wie die Sonne, sind Sie eine von den sanften, schönen, wohlthätigen Schöpfungen der Natur: er behandle Sie also wie die Sonne, wie den Mond, wie die Blumen.«

»Ah!«mein Herr, wenn Sie im Ernste sprechen . . .

»Ja, ich verstehe, das macht Ihnen die Brust ein wenig leicht.«

»Mein Herr . . . «

»Das ist also abgethan; Herr Jean Robert bleibt, er mag wollen oder nicht, unter der Zahl unserer Freunde; und wundert man sich über seine unausgesetzten Aufmerksamkeiten, so sagen Sie, – was wahr ist« – weder Sie, noch er haben diese beharrlichen Aufmerksamkeiten gewünscht, sondern ich, der ich dem Talente, dem Zartgefühle und der Discretion von Herrn Jean Robert volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.«

9Comparaison n’est pas raison.