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Ritter von Harmental

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»Und womit soll ich mich dagegen vertheidigen, sprach er, im Zimmer umherblickend, »haben Sie nicht etwa zufällig die Stricknadeln Ihrer Geliebten zur Hand, Chevalier?«

»Vertheidigen Sie sich doch mit dem Degen, der an Ihrer Seite hängt,« entgegnete Harmental, »so lang er auch ist, Sie sehen, ich kann nicht weichen.«

»Was denkst du dazu, mein Bratspieß?«, lachte Roquefinette, indem er seinem langen Degen den Titel gab, den ihm Ravanne spottweise beigelegt hatte.

»Er denkt, daß Sie ein Feigling sind,« rief der Chevalier. »weil man Sie ins Gesicht schlagen muß, um Sie zum Zweikampf zu zwingen.« So sprechend versetzte er dem Capitain mit Blitzesschnelle mit seiner flachen Klinge einen Schlag ins Gesicht. Roquefinette stieß einen Schrei aus, den man für das Gebrüll eines Löwen hätte halten können, sprang einen Schritt zurück, entriß seinen Degen der Scheide und stellte sich kampfbereit hin.

Jetzt begann zwischen den Beiden ein furchtbarer Zweikampf. Nun hatte sich das Blatt gewendet, Harmental hatte seine Kaltblütigkeit wieder gewonnen, das Blut des Capitains kochte vor Wuth. Jeden Augenblick wurde der Erstere von dem langen Rappiere des Letzteren bedroht, jedesmal aber wußte der kleine Degen den Stoß geschickt zu parieren. Fünf Minuten begnügte sich der Chevalier damit sich zu vertheidigen, da aber fühlte er plötzlich wie die Spitze des Degens seines Gegners seine Brust traf, Blutstropfen träufelten herab. Jetzt in Wuth gebracht, entschloß er sich zum Angriff, er sprang so nah auf seinen Gegner zu, daß sein langer Degen diesem nichts mehr nutzen konnte. Er wollte zurückweichen, glitt aber auf dem glatten Fußboden aus und stürzte, während Harmental ihm seinen Degen bis an den Griff in die Brust stieß.

»Teufel von Lerchenspieß!« stammelte der Capitain, indem er seinen letzten Athemzug aushauchte; die Waffe Harmentals war bis in das Herz des Riesen gedrungen.

Harmental starrte auf ihn hinab, und ließ seinen Degen nach und nach sinken, so wie sich der Tod des Gefallenen bemächtigte. Endlich lag nur noch ein Leichnam vor ihm. Die Augen dieses Leichnams aber waren geöffnet und starr auf ihn gerichtet. Harmental stand einen Augenblick wie niedergedonnert da, dann raffte er sich zusammen und fragte sich, was er jetzt beginnen solle? – Wie konnte er unter den zwei- bis dreihundert Pferdehändlern, die zwölf bis fünfzehn Bursche herausfinden, die den Regenten entführen sollten? In diesem Augenblick beginnt das Pferd vor der Thür zu stampfen und zu wiehern; Harmental weiß nicht was er thun soll, er nähert sich der Thür, deren Schwelle von dem der Wunde des Capitains entströmenden Blute gefärbt ist. Da fällt ihm ein, daß Roquefinette vielleicht Papiere bei sich haben könne, eine Liste, ein Billet, die als Leitfaden zu gebrauchen wären. Er durchsucht die Taschen des Entseelten, findet aber nichts, als ein Paar Rechnungen von einen Restaurateur, und einen Liebesbrief von der Normannerin.

Da Harmental nun nichts weiter in diesem Zimmer zu schaffen hat, eilt er zu seinem Secretair, füllt eine Taschen mit den Goldrollen und den Wechseln, macht die Thür hinter sich zu, steigt rasch die Treppe hinab, wirft sich auf das ungeduldig harrende Pferd, und sprengt von dannen.

VI.
Der Retter Frankreichs

Während diese furchtbare Catastrophe in dem Dachstübchen der Madam Denis stattfand, hatte Bathilde, ängstlich, weil das Fenster ihres Nachbars so lange verschlossen blieb, das ihrige geöffnet, und der erste Gegenstand, den sie gewahrte, war der vor der Thür angebundene Apfelschimmel; da sie den Capitain nicht hatte hineingehen sehn, schloß sie, daß das Pferd für Raoul bestimmt say. Sie blieb also am Fenster stehen und blickte scharf auf alle Vorübergehenden, um sich zu überzeugen, ob dieser oder jener bestimmt say, in dem geheimnißvollen Drama, welches sich vorbereitete, eine Rolle zu spielen. Mit hochklopfendem Herzen und vorgestrecktem Halle, den Blick hin und her schweifen lassend, fand sie da, bis plötzlich ein Gegenstand ihre Augen fesselte. In demselben Augenblick stieß das junge Mädchen einen Freudenschrei aus, sie gewahrte nämlich, wie Buvat, aus der Rue Montmartre kommend, um die Ecke der Straße bog. Es war in der That der ehrliche Calligraph, welcher indem er dann und wann um sich blickte, so als fürchte er verfolgt zu werden, so rasch daher schritt als ihn eine kleinen Beine fortzutragen vermochten. –

Es ist aber nun wohl an der Zeit, bei unsern geneigten Lesern die Unruhe zu heben, die sie ohne Zweifel über das lange Ausbleiben des ehrlichen Buvat, mit Bathilden und Nanetten getheilt haben. – Man wird sich erinnern, wie der arme Mann von Dubois gezwungen ward, in dessen Hause täglich die Abschriften der Papiere zu fertigen, die ihm der vorgebliche Prinz von Listhnay übergab. Auf diese Weise ward der Minister des Regenten, nach und nach mit allen Plänen der Verschwörer bekannt die er durch die Gefangennahme des Marschalls von Villeroy und durch die Zusammenberufung des Parlaments vereitelte.

Am Montag Morgen war Buvat wie gewöhnlich erschienen, mit neuen Papieren, die er am Abend zuvor von Avranches empfangen hatte; es waren ein von Malezieux und Pompadour redigiertes Manifest und die Briefe der angesehensten Edelleute der Bretagne, die, wie wir wissen, sich der Verschwörung angeschlossen hatten.

Buvat setzte sich wie immer an seine Arbeit. Um vier Uhr als er wie gewöhnlich aufhören wollte, und schon Stock und Hut in der Hand hatte, um sich hinwegzubegeben, hatte Dubois ihn in ein kleines Zimmer geführt, das sich über dem befand, in welchem er arbeitete, und dort angelangt, hatte er ihn gefragt; was er von diesem Gemache halte? Von dieser Auszeichnung des ersten Ministers geschmeichelt, der sein Urtheil verlangte, hatte Buvat erwidert, daß er es ungemein angenehm finde.

»Desto besser,« entgegnete Dubois, »es freut mich, daß es Ihnen gefällt, denn es ist für Sie bestimmt.«

»Für mich?« fragte Buvat erstaunt.

»Nun ja, für Sie! Es ist nicht zu verwundern, daß ich wünsche, einen so wichtigen Mann wie Sie, stets zur Hand und vor allen Dingen unter Augen zu haben.«

»Wie, ich soll im Palais Royal bleiben?« fragte Buvat.

»Wenigstens einige Tage,« antwortete Dubois. »So lassen Sie mich wenigstens Bathilde benachrichtigen, gnädigster Herr.«

»Das ist eben die Sache, Demoiselle Bathilde soll es nicht wissen.«

»Aber so wie ich wieder ausgehe, so erlauben Sie doch – –«

»So lange Sie hier sind, werden Sie nicht ausgehen.«

»Aber, rief Buvat von Schrecken erfaßt, »da bin ich ja ein Gefangener.«

»Ein Staatsgefangener, Sie haben es ausgesprochen. Aber beruhigen Sie sich, Ihre Gefangenschaft wird nicht lange währen; und so lange sie dauert, wird man Sie mit der Auszeichnung behandeln, die dem Retter Frankreichs gebührt; denn Sie haben Frankreich gerettet, mein lieber Buvat, das Verdienst kann Ihnen niemand rauben.«

»Wie, ich hätte Frankreich gerettet, ich,« rief Buvat, »und dennoch bin ich ein Staatsgefangener, und soll unter Schloß und Riegel gehalten werden?«

»Wo zum Teufel sehen Sie denn Riegel und Eisenstangen, mein lieber Buvat, lachte Dubois, »die Thür hat ja nichts als eine einfache Klinke, nicht einmal ein Schlüsselloch! Das Fenster geht in den Garten des Palais Royal hinaus, nicht das kleinste Gitter verhindert Ihnen die Aussicht; eine herrliche Aussicht! Sie wohnen hier wie der Regent in eigener Person.«

»Oh mein kleines Dachstübchen, meine liebe Terrasse,« murmelte Buvat, indem er schmerzerfüllt in einen Lehnsessel sank. Dubois, welcher andere Dinge zu thun hatte, als ihn zu trösten, verließ das Zimmer, und stellte eine Schildwache vor dasselbe.

Diese Maßregel ist leicht zu erklären. Dubois besorgte, daß man, sobald die Gefangennahme Villeroys kund werden würde, errathen könne, auf welche Weise das Geheimniß entschleiert worden; und daß Buvat, falls man ihn befragen würde, alles eingestände. Das würde die Verschwörer veranlaßt haben, mit ihren ferneren Projekten inne zu halten; Dubois aber wollte, daß sie immer tiefer und tiefer in die Schlinge gehen sollten, um alsdann mit einem einzigen Schlage alle diese kleinen Verschwörungen zu beendigen.

Gegen acht Uhr Abends, und als es zu dämmern begann, vernahm Buvat vor seiner Thür einen gewaltigen Lärm, wie ein Geraffel von metallenen Gegenständen, welches ihn aufs höchste erschreckte. Er erinnerte sich gehört zu haben, daß Staatsgefangene oft insgeheim ermordet wurden, und er sprang demnach angsterfüllt und an allen Gliedern zitternd, von seinem Sessel auf, und rannte zum Fenster. Der Hof und der Garten des Palais Royal war mit Menschen angefüllt, die Gallerieen wurden erleuchtet, überall, wohin Buvat blickte, war Alles Leben und Bewegung. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, denn er gedachte, daß er von dieser schönen lebendigen Welt vielleicht bald auf immer scheiden solle. In diesem Augenblick ward seine Thür geöffnet; Buvat schreckte zusammen, und gewahrte zwei Diener in rother Livree, welche einen völlig servierten Tisch trugen. Das Geraffel, welches Buvat so erschreckt hatte, war durch das Ordnen der silbernen Schüsseln und Teller veranlaßt worden.

Das erste Gefühl des ehrlichen Abschreibers war jetzt ein Ausbruch der Dankbarkeit gegen den Ewigen, der die Gefahr, in welcher er zu schweben geglaubt, so plötzlich in einen, wenigstens erträglichen Zustand umgewandelt hatte; aber fast eben so schnell kam ihm der Schreckensgedanke, daß man vielleicht nur ein anderes Mittel gewählt habe, um ihn aus dem Wege zu schaffen, und daß er am Ende gar mit den Speisen vergiftet werden solle. Er ließ seinen Blick über die beiden Lakaien schweifen und glaubte in ihren Zügen etwas Düsteres, schwarze Absicht Verrathendes zu erkennen; sein Entschluß stand demnach fest, und trotz des Aromas der Speisen, der ihm nur ein Fallstrick schien, entgegnete er majestätisch, daß er weder Hunger noch Durst habe.

 

Die beiden Lakaien blickten bedeutungsvoll einander an. Es waren ein Paar schlaue Bursche, welche Buvat auf den ersten Blick richtig beurtheilten, und die, da sie nicht begreifen konnten, wie man vor einem Fasan mit Trüffeln und einer Flasche Chambertin, weder Hunger noch Durst haben könne, sogleich die Ursache seiner Weigerung einsahen. Sie wechselten leise einige Worte mit einander, dann trat, entschlossen Vortheil aus der Lage der Dinge zu ziehen, der Keckte unter ihnen auf Buvat zu, welcher erschreckt zurückwich, bis der Camin ihn verhinderte, weiter zu retirieren.

»Mein Herr,« sprach er mit einem, den Anscheine nach theilnehmenden Tone, »wir begreifen Ihre Besorgnisse. Als ehrliche Leute aber wollen wir Ihnen beweisen, daß wir unfähig sind, die Hand zu einer That zu leihen, wie Sie solche argwöhnen. Mein Camerad und ich, wir sind demnach während Ihres hiesigen Aufenthalts bereit, abwechselnd von den Speisen und dem Weine zu genießen, die man Ihnen vorsetzen wird. Wir werden uns glücklich schätzen, können wir durch ein solches Verfahren Sie einigermaßen beruhigen.

»Mein lieber Herr,« entgegnete Buvat, beschämt, daß eine geheimsten Gedanken durchschaut wurden, ich bin Ihnen für Ihre Höflichkeit ungemein verbunden, aber ich habe weder Hunger noch Durst.«

»Gleichviel,« versetzte der Lakai, »mein Camerad und ich, wir sind dennoch fest entschlossen, Ihnen diesen Beweis unserer Redlichkeit zu liefern. »Comtois! mein lieber Freund!« fuhr er fort, indem er den für Buvat bestimmten Platz einnahm, »say so gefällig, mir einige Löffel von dieser Suppe, einen Flügel von jenem Capaun mit Reis, und einen Schnitt jener Pastete vorzulegen. So recht! Auf Ihre Gesundheit, mein Herr!«

»Bin Ihnen sehr verbunden, mein Herr!« sprach Buvat, welcher den Schmauser mit großen Augen betrachtete. Auf diese Weise fuhr dieser fort, allen Schüsseln und der Flasche wacker zuzusprechen, ja selbst der Nachtisch und der Caffee blieben nicht verschont.

»Jetzt hoffe ich, mein Herr, sind Sie von unserer Ehrlichkeit vollkommen überzeugt,« rief der Lakai alsdann, »jetzt also fort mit dem Uebrigen, denn es ist nichts unangenehmer, als der Speisen- und Weingeruch für diejenigen, welche weder Hunger noch Durst haben. Mein Herr,« fuhr er darauf fort, indem er mit seinem Cameraden den Tisch wieder hinaustrug; »wenn Sie etwas bedürfen sollten, so belieben Sie nur zu schellen. Die Klingel am Camin gilt uns, die am Bett, dem Kammerdiener.«

»Schönen Dank mein Herr, versetzte Buvat, »ich wünsche. Niemand zu belästigen.«

»Geniren Sie sich nicht, mein Herr,« entgegnete der Lakai, »der gnädige Herr wünscht, daß Sie hier thun möchten, als ob Sie zu Hause wären.« Die Lakaien entfernten sich.

Nichts reizt indeß den Appetit mehr, als der Anblick eines trefflichen Mahles, von dem man nur den Geruch einathmet. Das ihm so eben vorgesetzte übertraf an Köstlichkeit. Alles, was der ehrliche Buvat bisher gesehen hatte, und er bereute jetzt seinen allzugroßen Argwohn, den er rücksichtlich der Arglist seiner Verfolger gefaßt hatte, aber es war zu spät, und so beschloß er, seinen Hunger wo möglich zu verschlafen. Bei diesem Gedanken aber beschlich ihn eine neue Angst.

Konnte man nicht seinen Schlaf benutzen, um ihn aus dem Wege zu räumen. Die Nacht ist einer solchen Missethat nur allzu günstig. Er hatte in seiner Jugend erzählen hören von Betthimmeln, welche herabgelassen werden konnten, um den Schläfer zu ersticken, von Betten welche in eine Fallthür versanken, von verborgenen Thüren, welche sich öffneten, um den Mördern Einlaß zu gestatten. Buvat stellte demnach, die brennende Wachskerze in der Hand, die genaueste Untersuchung an. Endlich hatte er sich in dieser Rücksicht einigermaßen beruhigt; er entkleidete sich, ließ, um nicht ohne Licht zu bleiben, eine der Wachskerzen brennen, und streckte sich auf das weichste Lager, auf dem er jemals geruht. Das Bett aber giebt den Schlaf nicht. Sey es nun Angst, oder Leerheit des Magens, genug, Buvat verbrachte eine sehr unruhige Nacht, und erst gegen Morgen senkte sich der Schlummer auf ihn herab. Noch träumte ihm, daß er durch eine Hammelkeule vergiftet worden, als die Stimme des Kammerdieners ihn erweckte, welcher vor seinem Bette erschien und ihn fragte, um welche Zeit er zu frühstücken wünsche.

Diese Frage hatte mit dem so eben gehabten Traume so viel Zusammenklang, daß Buvat schauderte bei dem Gedanken, auch nur das Mindeste zu genießen; er antwortete daher nur durch ein unverständliches Gemurmel, welches der Kammerdiener aber für eine bejahende Antwort nahm, denn er zog sich zurück, mit dem Bemerken, daß der Herr unverzügich bedient werden solle. Buvat sprang aus dem Bette, und hatte seine einfache Toilette kaum beendigt, als auch schon die beiden Lakaien mit dem Frühstück erschienen.

Die gestrige Scene beim Mittagsessen, ward beim Frühstück wiederholt, bis auf den Kaffee, den Buvat, vom Hunger angetrieben, nachdem der Laka einige Löffel davon gekostet, sich entschloß, selbst zu sich zu nehmen, und der ihm demnach nebst einem kleinen Brödchen gelassen wurde, während die Lakaien das andere schmunzelnd forttrugen. Nachdem Buvat mit großer Begierde den trefflichen Kaffee und das Brödchen verzehrt hatte, fing er an die Dinge in einem etwas weniger schwarzen Lichte zu betrachten. Er begann nach und nach zu begreifen daß wenn man auch aus irgend einem politischen Grunde seine Freiheit beschränken wolle, man ihm doch nicht nach dem Leben trachte. Der ihn umgebende Luxus, den er bisher nicht gekannt, wirkte ebenfalls auf ihn ein, und was ihm jetzt bedeutend quälte, war nur noch der Gedanke, daß die arme Bathilde seinetwegen in großer Unruhe schweben würde.

Der ehrliche Buvat befand sich demnach in einer ruhigeren, besseren Stimmung, als die beiden Lakaien um ein Uhr mit dem Mittagsessen erschienen. Diesmal aber erklärte Buvat, daß er von der edlen Absicht seines erhabenen Wirths vollkommen überzeugt say, und das Mahl selbst verzehren wolle, weshalb er sie ersuche, ihm zu servieren. Die Lakaien machten zwar ein schiefes Gesicht, mußten aber gehorchen.

Man begreift, daß das treffliche Mahl den wackeren Buvat mit seiner Lage noch mehr aussöhnte. Am Abend äußerte das Souper dieselbe Wirkung auf ihn. Von dem Chambertin und dem Sillery in einen angenehmen kleinen Rausch versetzt, streckte er sich in einer wonnigen Empfindung auf sein Lager, wo er im Laufe der Nacht träumte, daß er der König Salomo say, und dreihundert Weiber habe; das einzige, etwas lockere Traumgebilde, das den ehrlichen Buvat während eines ganzen Lebens umgaukelte.

Buvat erwachte, frisch wie eine Rose, ward durch das herrliche Frühstück noch muthiger gemacht, und da er jetzt sonst keine Besorgniß hegte, als den Gedanken an Bathildens Unruhe, fragte er, ob es ihm erlaubt say, an den Herrn Erzbischof von Cambrai zu schreiben. Man erwiderte ihm, daß dem nichts im Wege stände, und er bat darauf um Tinte, Federn und Papier, zog ein Federmesser hervor, das er stets bei sich führte, ordnete Alles und schrieb an Dubois eine äußerst rührende Epistel, in welcher er den Erzbischof demüthig ersuchte, falls feine Gefangenschaft noch länger dauern solle, ihm doch huldreichst zu gestatten, Bathilde zu sich kommen zu lassen, oder sie wenigstens über fein Ausbleiben zu beruhigen.

Als ihm das Mittagsmahl gebracht wurde, übergab er ein Schreiben einem der Lakaien, der ihm schon nach einer Viertelstunde den Bescheid brachte, daß der Herr Erzbischof in diesem Augenblick sich nicht in seinem Hause befinde, daß aber sein Substitut in den politischen Angelegenheiten verlangt habe, man solle den Bittsteller nach eingenommener Mahlzeit zu ihm führen.

Dies geschah und der ehrliche Buvat schritt stolz an der Schildwache vorüber. Er ging durch einen langen Gang eine hohe Treppe hinab, bis zu einem Zimmer, dessen Thür der Lakai öffnete, indem er Herrn Buvat meldete.

Buvat befand sich im Rez de Chaussée, in einer Art von Laboratorium, vor einem Manne von ungefähr 42 Jahren, dessen Aeußeres ihm nicht ganz unbekannt schien. Er war ganz einfach gekleidet und beschäftigt, vor einem Camin den Erfolg einer chemischen Operation mit großer Aufmerksamkeit zu beobachten. Dieser Mann richtete sich auf, als er Buvat gewahrte; er betrachtete ihn mit einiger Neugier und fragte: »Sie nennen sich Jean Buvat, mein Herr?«

»Ihnen zu dienen, mein Herr,« antwortete dieser, indem er sich verbeugte. »Die Bittschrift, die Sie so eben an den Herrn Erzbischof gerichtet, ist von Ihrer Hand geschrieben?«

»Von meiner eigenen Hand, mein Herr!«

»Sie haben eine sehr schöne Handschrift, Herr Buvat.«

Buvat verbeugte sich mit einem gewissen selbstgefälligen Lächeln.

»Der Herr Erzbischof, fuhr der Unbekannte fort, »hat mir mitgetheilt, welche Dienste. Sie uns erwiesen haben.«

»Se. Eminenz sind allzugnädig, was ich that, ist nicht der Rede werth.«

»Im Gegentheil, Herr Buvat, was Sie thaten, ist so sehr der Rede werth, daß falls Sie etwas von dem Regenten zu erlangen wünschen, ich es übernehme, ihm Ihr Gesuch vorzutragen.«

»Da Sie die Güte haben wollen, mein Herr, bei Sr. Königlichen Hoheit mein Fürsprecher zu seyn,« versetzte Buvat, »so bitte ich Sie die Güte zu haben, ihm zu sagen, daß er mir, versteht sich, wenn es ihn nicht allzusehr geniert, huldreicht meinen kleinen Rückstand auszahlen lasse.«

»Wie, Ihren Rückstand, Herr Buvat, was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, mein Herr, daß ich die Ehre habe, in der Königlichen Bibliothek angestellt zu seyn, daß ich aber seit sechs Jahren kein Gehalt empfangen habe.«

»Und wie hoch beläuft sich dieser Rückstand?«

»Auf 5300 und einige Livres ungefähr.«

»Und Sie wünschen die Bezahlung, nicht wahr, Herr Buvat?«

»Ich gestehe Ihnen, mein Herr, daß mir das sehr angenehm seyn würde.«

»Und weiter wünschen Sie nichts?«

»Nicht das Mindeste.«

»Aber fordern Sie denn nichts für den Dienst den Sie Frankreich geleistet?

»Doch, doch, mein Herr! Ich bitte dafür um die Erlaubniß, meine Pflegetochter, die sich meinetwegen in großer Unruhe befinden wird, beruhigen zu dürfen, und ihr sagen zu können, daß ich ein Staatsgefangener im Palais Royal bin. Ja, wenn es Ihre Güte überhaupt nicht mißbrauchen hieße, mein Herr, so möchte ich wohl den Wunsch äußern, daß sie mich auf einige Augenblicke besuchen könnte.«

»Wir wollen weiter gehen als das,« lautete die Antwort, »da die Ursachen, um deretwillen wir Sie hier zurückhielten, nicht mehr vorhanden sind, so geben wir Ihnen Ihre Freiheit zurück und Sie können sich selbst zu Ihrer Pflegetochter begeben.«

»Wie, mein Herr, ich bin kein Gefangener mehr?«

»Sie können sich hinwegbegeben, wann Sie wollen?«

»So bin ich denn Ihr ganz gehorsamer Diener. Ich bleibe Ihnen mein ganzes Leben lang verpflichtet.«

»Entschuldigen Sie, Herr Buvat, ein Wort noch. Ich wiederhole Ihnen, Frankreich hat gegen Sie Verpflichtungen, deren es sich entledigen muß. Schreiben Sie an den Regenten, setzen Sie auseinander, was man Ihnen schuldet, schildern Sie ihm Ihre Lage und wenn Sie irgend einen Wunsch auf dem Herzen haben sollten, so sprechen Sie denselben dreist aus, ich stehe Ihnen dafür, er soll erfüllt werden.«

»Sie sind allzu gütig mein Herr, ich werde nicht ermangeln. Ich darf also hoffen, daß so wie Gelder in die Staatskasse eingehen,« – – –

»Wird man an Sie denken, mein Wort darauf.«

»Heute noch werde ich meine Bittschrift anfertigen.«

»Dann werden Sie Morgen bezahlt sein.«

»Ach, mein Herr, wie unbeschreiblich gütig sind Sie.«

»Gehen Sie Herr Buvat, Ihre Pflegetochter harrt Ihrer.«

»Sie haben Recht, mein Herr! ach, wie wird sie sich über die Nachricht freuen, die ich ihr bringe. Ihr ganz unterthänigster Diener, mein Herr. Aber darf ich nicht so frei seyn, mich zuvor nach Ihrem Namen zu erkundigen, mein werther Herr?«

»Ich heiße – Philipp.«

»Auf die Ehre, Sie wiederzusehen, Herr Philipp!«

»Adieu, Herr Buvat. adieu! Doch halt, ich muß zuvor den Befehl ertheilen, daß man Sie hinauslasse.« So sprechend, klingelte Herr Philipp, ein Huissier erschien. Ruft den Ravanne herbei.« Zwei Minuten darauf trat ein junger Gardeoffizier herein. »Ravanne,« sprach Herr Philipp, »geleiten Sie diesen wackeren Mann bis zum Eingang des Palais- Royal, es steht ihm frei sich hinzubegeben, wohin er will.«

»Zu Befehl, gnädigster Herr!« erwiderte der junge Offizier. »Buvat riß die Augen groß auf, und öffnete eben den Mund um zu fragen, wer dieser gnädigste Herr eigentlich say; Ravanne ließ ihm aber dazu keine Zeit. »Kommen Sie, mein Herr, kommen Sie,« rief er, »ich warte auf Sie.«

Buvat gehorchte, indem er sich große Schweißtropfen von der Stirn trocknete. An der Eingangspforte wollte ihn die Schildwache anhalten. Ravanne aber sprach: »Auf Befehl Sr. Königlichen Hoheit, des Regenten, laßt diesen Herrn passieren, er ist frei!« Die Schildwache präsentierte das Gewehr.

 

»Wie,« stammelte Buvat, »der Herr, mit dem ich so eben gesprochen, wäre – – –

»Se. Königlichen Hoheit in eigner Person.«

Buvat eilte in großer Bestürzung von dannen, nachdem ihm Ravanne zuvor sein Bedauern geäußert hatte, daß er ihn nicht weiter begleiten könne, weil der Regent sich in einer halben Stunde nach der Abtey Chelles begeben wolle und ihm zuvor noch einige Befehle zu ertheilen habe.

Buvat bog um die Ecke der Rue du Temps perdu grade in dem Augenblick, in welchem Harmental seinen Degen in die Brust des Capitains Roquefinette stieß.

Bathildens Freude über das Wiedersehen ihres Pflegevaters war unbeschreiblich, sie flog ihm bis auf die Treppe entgegen, schloß ihn in ihre Arme und bestürmte ihn mit Fragen über sein langes Ausbleiben.

»Sprechen Sie, oh sprechen Sie, lieber guter Papa, wo waren Sie die ganze Zeit, woher kommen Sie jetzt?«

»Vom Palais Royal, mein theures Kind!«

»Und bei wem waren Sie denn dort?«

»Bei Sr. Königl. Hoheit dem Regenten.«

»Sie, Sie, lieber Papa, bei dem Regenten? was machten Sie denn bei ihm?«

»Ich war ein Gefangener, ein Staatsgefangener.«

»Und weshalb das?«

»Weil ich Frankreich gerettet habe.«

»Ach du mein Gott, mein lieber Papa, Sie haben doch nicht etwa den Verstand verloren,« rief Bathilde erschrocken.

»Ey behüte! Man könnte den Kopf wohl dabei verlieren. Es war eine Verschwörung gegen den Regenten im Werke. Ohne es zu wissen, war ich in dieselbe mit hineingerathen. Du weißt, jener Prinz de Listhnay – – ein falscher Prinz, Kind, ein falscher Prinz. Die Abschriften, die ich für ihn fertigen mußte, waren aufrührerische Manifeste und Proclamationen. Ein allgemeiner Aufstand: die Bretagne – die Normandie – die Generalstaaten – der König von Spanien – sieh, und das Alles habe ich entdeckt!«

»Ewiger Gott, Sie!« rief Bathilde.

»Ja, ich, ich,« fuhr Buvat eifrig fort, »ich, den der Dubois den Retter Frankreichs genannt. Ich, dem er seinen Rückstand zahlen wird.«

»Sie sprechen von einer Verschwörung,« fragte Bathilde bebend, »kennen Sie die Namen der Verschworenen?«

»Ey, freilich! Da ist zuvörderst der Herzog du Maine, der armselige Bastard, dann ein Graf von Laval, ein Marquis von Pompadour, ein Baron von Valef, der Prinz von Cellamare, der Abbé Brigaud, denke nur der Abbé Brigaud – –.«

»Aber unter allen den Namen,« fiel Bathilde mit angstvoll pochendem Herzen ein, »fanden Sie etwa auch unter ihnen den Namen des – des – Ritters – des Ritters Raoul von Harmental

»Das will ich meinen,« versetzte Buvat, »der Ritter von Harmental ist gerade das Haupt der Verschwörung! Der Regent aber kennt sie alle! Diesen Abend werden sie sämmtlich arretiert, und morgen gehängt, geviertheilt oder lebendig gerädert!«

»Unglückseliger!« jammerte Bathilde, die Hände ringend, »was haben Sie gethan? Sie haben den Mann getödtet, den ich liebe! Aber ich schwöre es Ihnen, bei meiner Mutter, stirbt er, sterbe auch ich!« Schnell aber bedenkend, daß es vielleicht noch Zeit sey, den Geliebten zu retten, flog sie die Treppe hinab, in das Haus der Madame Denis bis hinauf zu Harmentals Dachstübchen. Sie schlug an die Thür Harmentals, diese gab nach, und das unglückliche Mädchen fand vor dem in seinem Blute schwimmenden Leichnam des Capitains Roquefinette. Von Schrecken überwältigt, schrie sie laut auf und stürzte zusammen.

Bei ihrem Schrei eilten die Nachbaren herbei, Der Fall hatte ihr schwer den Kopf verletzt. Man trug Bathilde zu Madame Denis, die ihr bereitwillig Pflege spendete.

Was den Capitain Roquefinette anbetraf, so schaffte man ihn nach der Morgue, wo sein Leichnam drei Tage später von der Normannerin erkannt wurde.