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Ritter von Harmental

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IV
Der Mensch denk

Ihre Königliche Hoheit hier! Hier in meiner armseligen Behausung!« rief Harmental, was habe ich gethan, um eine solche Ehre zu verdienen?«

»Der Augenblick ist gekommen, Chevalier, versetzte die Herzogin, in welchem wir denjenigen, die wir hochachten, beweisen müssen, wie werth Sie uns sind. Ueberdem soll man nicht sagen, daß die Freunde der Herzogin von Maine, alles für sie aufs Spiel setzen, während sie nichts für sie wagt. Ich bin, dem Himmel sei Dank! die Enkelin des großen Condé und ich fühle, daß ich nicht ausgeartet bin!«

»Ew, Hoheit Erscheinen zieht uns aus einer großen Verlegenheit,« nahm Pompadour das Wort, »wir besorgten daß eine Zusammenkunft im Arsenal allzugefährlich seyn würde in diesem Augenblick, in welchem die Polizei ohne Zweifel die Augen auf Ew. Hoheit gerichtet hat.«

»Ich habe das eingesehen,« versetzte die Herzogin, »und deshalb kam ich hierher. Ich ließ mich durch Valef zu der Gräfin Chavigny, einer Freundin der Delaunay begleiten, wo wir uns diese Verkleidung verschafften, und von wo wir uns hierher begaben.«

»Ich sehe mit Vergnügen,« sprach Malezieux, »daß die Begebenheiten dieses unglücklichen Tages Ew. Hoheit nicht niedergebeugt haben.«

»Niedergebeugt mich! Malezieux, ich glaubte daß Sie mich genügsam kennten, um nur das einen Augenblick lang zu fürchten. Niedergebeugt! Im Gegentheil, ich habe mich nie kräftiger, nie willensstärker gefühlt. Ach, warum bin ich kein Mann!

»Ew. Hoheit brauchen nur zu befehlen,« rief Harmental, »und was Sie vollbracht hätten, soll durch uns vollbracht werden, durch uns an Ihrer Stelle.«

»Nein, nein, was ich thäte, kann kein Andrer thun,« versetzte Frau von Maine.

»Fünf entschlossenen, Ihnen ganz ergebenen Männern ist nichts unmöglich,« erwiderte Harmental, »überdem verlangt unser eigenes Interesse einen raschen energischen Entschluß. Man muß ja nicht glauben, daß der Regent dabei stehen bleiben wird; Morgen, ja heute schon sind wir vielleicht sämmtlich arretiert. Dubois behauptet, daß das Papier, welches er bei Cellamare dem Feuer entrissen, nichts Geringeres als die Liste der Verschworenen enthalte. Uns allen hängt also in diesem Augenblick das Schwert über dem Haupte. Warten wir nicht, bis der Faden, der es hält, zerreißt, ergreifen wir es im Gegentheil und schlagen wir drein.«

»Drein schlagen? Auf wen, und wie?« fragte Brigaud. »Das unglückselige Parlament hat alle unsere Pläne über den Haufen geworfen.«

»Unser erster Plan war der beste,« bemerkte Pompadour, »schlimm, daß ein Zufall ihn vereitelte.«

»Wir können ja zu ihm zurückkehren, fiel Valef ein.

»Allerdings!« rief Malezieux, »aber wir scheiterten, jener Plan hat den Regenten vorsichtig gemacht.«

»Im Gegentheil,« versetzte Pompadour, »grade, weil dieser Plan mißlang, wird man glauben, daß er aufgegeben worden. Der Regent ist in dieser Rücksicht im Gegentheil noch unvorsichtiger als früher: seit Mademoiselle de Chartres sich in dem Kloster zu Chelles befindet, begiebt er sich jede Woche einmal dorthin; er fährt alsdann nur von seinem Kutscher und zwei Lakaien begleitet durch das Gehölz von Vincennes, und zwar um acht oder neun Uhr Abends.«

»Und an welchem Tage geschieht das?« fragte Brigaud.

»Am Mittwoch,« antwortete Malezieux.

»Also morgen!« rief die Herzogin.

»Brigaud, haben Sie noch immer den Paß nach Spanien?« fragte Valef.

»Allerdings! Auch sind noch alle Veranstaltungen getroffen; der Postmeister ist auf unserer Seite und wir brauchen uns nur mit ihm zu verständigen.«

»Wolan,« rief Valef »wenn Ew. Königl. Hoheit mich dazu authorisieren, so versammle ich morgen sieben bis acht Freunde, ich erwarte den Regenten im Gehölz von Vincennes, ich entführe ihn und in drei Tagen sind wir mit ihm in Pampelona.«

»Halt, halt, lieber Baron,« siel Harmental ein, »ich bemerke Ihnen, daß Sie mir in die Rolle fallen, und daß ich es bin, dem dieses Unternehmen zukommt. Meine Ehre steht auf dem Spiele, ich muß mich revangieren.«

»Die Ehre dieses Unternehmens gebührt allerdings Ihnen, Chevalier,« entschied die Herzogin von Maine. »Ja in Ihre Hände lege ich das Schicksal des Sohnes Ludwigs des Vierzehnten, und der Enkelin des großen Condé. Ich verlasse mich ganz auf Ihre Ergebung und Ihren Muth, und ich hoffe um so mehr, daß Sie dießmal reussiren werden, da das Glück Ihnen eine Entschädigung schuldig ist. Ihnen also, mein lieber Harmental, say alle Gefahr, aber auch alle Ehre!«

»Ich übernehme beides mit dankbarem Herzen, sprach Harmental, indem er ehrerbietig die ihm dargereichte Hand der Herzogin küßte. »Morgen um diese Zeit bin ich entweder todt, oder der Regent befindet sich auf dem Wege nach Spanien.«

»Das heiße ich wie ein Mann gesprochen,« fiel Pompadour ein, »wenn Sie einer hilfreichen Hand bedürfen, so zählen Sie auf mich.«

»Und auf mich, fügte Valef hinzu. »Und wir Anderen?« fragte Malezieux, »sind wir denn zu nichts zu gebrauchen?«

»Mein lieber Kanzler,« versetzte die Herzogin, »jedem das Seine. Sind Sie überzeugt, Chevalier, dieselben Leute wiederzufinden, die Ihnen das Erste mal Beistand leisteten?«

»Ich kann wenigstens auf ihren Anführer zählen.«

»Wann werden Sie ihn sprechen?«

»Diesen Abend.

»Um welche Zeit?«

»Jetzt gleich, wenn Ew. Hoheit befehlen.«

»Je eher, je lieber!«

»In einer Viertelstunde bin ich bei ihm.«

»Wo werde ich Bescheid erhalten?«

»Wo Ew. Hoheit sich befinden werden.«

»Nur nicht im Arsenal,« fiel Brigaud ein, »das ist zu gefährlich!«

»Können wir hier auf Sie warten?«, fragte die Herzogin.

»Unser verlängerter Aufenthalt hier könnte Verdacht erwecken,« bemerkte der Abbé.

»Wolan, so treffen wir uns auf dem Rundplatze der Champs Elysées,« versetzte die Herzogin. »Ich und Malezieux, wir begeben uns dorthin in einem Wagen ohne Wappen und Livree. Pompadour, Valef und Brigaud kommen gleichfalls dorthin, jeder einzeln. Dort warten wir auf Harmental und verabreden unsere letzten Maaßregeln.«

»Trefflich,« rief Harmental, »mein Mann wohnt grade in der Rue St. Honoré.«

»In einer Stunde also auf dem Rundplatze der elyseichen Felder,« sprach die Herzogin von Maine. Darauf zog sie ihren Schleier wieder sorgfältig über das Gesicht und verließ mit Valef zuerst das Dachstübchen. Malezieux folgte in einiger Entfernung, doch so, daß er sie nicht aus den Augen verlor; dann verließen die Uebrigen das Haus zu gleicher Zeit. Harmental begab sich sofort in die Rue Saint Honoré, wo er den Capitain Roquefinette zu finden wußte. – Er sah sich also jetzt noch einmal, und zwar mehr als je in die Verschwörung verwickelt; er ging indessen dem Unternehmen muthig entgegen, fest entschlossen, demselben sein Leben – ja selbst seine Liebe zu opfern.

Er trat also ohne Weiteres zu der Fillon ein und fragte, ob der Capitain Roquefinette zu sprechen say. Die Fillon fragte ihn, ob er nicht derselbe Herr say, der schon vor einigen Monaten einmal nach dem Capitain verlangt habe und Harmental, welcher schnellen Bescheid wünschte, antwortete bejahend. Die Fillon rief darauf sogleich eine Magd und gebot ihr, den Herrn zum sechsten Stockwerk nach No. 72 zu führen. Die Magd zündete ein Licht an und that wie ihr geboten worden. Harmental folgte; aber es schallte ihm diesmal nicht, wie früher, ein fröhlicher Gesang entgegen, das tiefste Schweigen herrschte im ganzen Hause. Die ernsten Begebenheiten des Tages hielten ohne Zweifel die gewöhnlichen Kunden fern von der Wohnung der ehrwürdigen Wirthin des Capitains.

Vor No. 72 angelangt, pochte Harmental an die Thür. »Herein!« rief Roquefinette mit seiner tiefen Baßstimme. Der Chevalier ließ einen Louisd’or in die Hand der Magd gleiten, öffnete die Thür und befand sich dem Capitain gegenüber. Dieser war allein in dem kleinen dunklen, nur durch ein Stümpfchen Licht erleuchteten Dachstübchen. Der ehrenwerthe Capitain fand vor dem Camin; in einem Winkel sah man seinen uns schon bekannten langen Degen.

»Ah, Sie sinds, Chevalier,« rief er, »ich erwartete Sie.«

»Sie erwarteten mich? Was konnte Sie dazu veranlassen?« fragte Harmental.

»Die Begebenheiten, Chevalier, die Begebenheiten. Man hat geglaubt, einen offenen Krieg führen zu können, und da hat man den armen Roquefinette bei Seite geschoben. Man hat eine Fronde bilden wollen, aber der gute Dubois hat alles erfahren. Die Pairs, auf die man glaubte zählen zu können, sind abgefallen, und das Parlament hat statt Nein, Ja gesagt. Jetzt sucht man den ehrlichen Capitain wieder auf: Da heißts denn lieber Capitain hier, lieber Capitain da!« Sagen Sie, Chevalier, habe ich nicht Recht? Nun da ist er, der Capitain, was verlangt man von ihm?«

»Was Sie da sagen, Capitain, hat etwas Wahres,« versetzte Harmental, »aber darin irren Sie, daß Sie glauben, daß ich Ihrer vergessen hätte. Wäre unser Plan gelungen, so würden Sie den Beweis erhalten haben, daß mein Gedächtniß in dieser Hinsicht nicht kurz ist. Ich hätte Ihnen alsdann meinen ganzen Einfluß angeboten, wie ich jetzt komme, Sie um Ihren ferneren Beistand zu ersuchen.«

»Hm, hm, seit drei Tagen, daß ich diesen Käfig bewohne, habe ich allerhand Betrachtungen über die menschliche Eitelkeit angestellt, mehr als einmal habe ich die Lust verspürt, mich ganz aus allen Geschäften zurückzuziehen, oder wenigstens kein Anderes zu unternehmen, als eines, glänzend genug, mir eine ruhige Zukunft zuzusichern.«

»Ein solches bietet sich jetzt gerade dar, Capitain,« sprach der Chevalier. »Es handelt sich jetzt darum –« er hielt ängstlich inne und blickte um sich – »doch wie, ich glaube Schritte zu hören, oder ein Geräusch im Holzwerk – –«

»Ei das sind Ratten, daran fehlt es hier nicht,« versetzte der Capitain.

»Das kann seyn. Es handelt sich also jetzt darum, fuhr Harmental beruhigt fort, »den Umstand zu benutzen, daß der Regent von Chelles zurückkehrt, nachdem er dort seine Tochter besucht hat; ihn unterwegs im Vincenner Gehölz aufzuheben und ihn sogleich nach Spanien zu führen.«

 

»Bevor Sie weiter gehen,« Chevalier, fiel der Capitain ein, »muß ich ich Ihnen bemerken, daß dies ein neuer Tractat ist und daß ein neuer Tractat auch neue Conditionen bedingt.«

»Sie selbst sollen diese Bedingungen feststellen, Capitain. Aber können Sie auch noch immer über Ihre Leute verfügen, das ist die Hauptsache.«

»Ei das versteht sich.«

»Können sie morgen um zwei Uhr bereit seyn?« fragte Harmental weiter.

»Allerdings!«

»Das ist alles was wir brauchen!«

»Etwas fehlt noch, entschuldigen Sie. Wir brauchen Geld um ein Pferd und Waffen zu kaufen.«

»In dieser Börse befinden sich hundert Louis d’ors, nehmen Sie.«

»Gut, Sie sollen pünktlich Rechnung davon erhalten.«

»Also, ich erwarte Sie morgen um drei Uhr in meiner Wohnung.«

»Abgemacht!«

»Auf Wiedersehn, Capitain!«

»Auf Wiedersehn, Herr Chevalier. Wir sind also einverstanden, daß Sie sich nicht wundern werden, wenn ich etwas viel fordern werde?«

»Keineswegs! Sie wissen, daß ich das Letztemal mich dagegen über Ihre Bescheidenheit beklagte. Adieu!«

»Warten Sie, bis ich Ihnen leuchte, rief der Capitain, »es wäre schade, wenn ein so freigebiger Cavalier wie Sie auf der Hühnerstiege den Hals bräche.«

So sprechend nahm er das Licht zur Hand und Harmental gelangte glücklich die steile Treppe hinab.

Der Chevalier eilte nunmehr sofort in die Champs Elysées, die zwar noch nicht ganz menschenleer waren, sich aber doch schon zu entvölkern begannen. Auf dem Rundplatze angelangt, gewahrte er einen dort haltenden Wagen, zwei Männer schritten in einiger Entfernung auf und ab. Ein Frauenzimmer steckte neugierig den Kopf aus dem Wagenfenster, und Harmental erkannte die Herzogin von Maine, welche von Valef und Malezieux begleitet war. Die beiden andern Männer, welche jetzt ebenfalls zu dem Wagen eilten, waren Brigaud und Pompadour.

Der Chevalier berichtete, ohne Roquefinette zu nennen, in der Kürze was er ausgerichtet hatte, diese Nachricht ward mit allgemeiner Freude aufgenommen. Die Herzogin reichte ihre Hand Harmental zum Kusse, die vier Männer drückten die seinige.

Es ward abgemacht, daß am folgenden Tage um zwei Uhr die Herzogin nebst ihren vier Begleitern sich zu der Mutter des Avranche begeben sollten, welche im faubourg Saint Antoine No. 15 wohnte, wo sie den Erfolg des Unternehmens abwarten wollten. Dieses Resultat sollte ihnen d’Avranche selbst überbringen, der sich von drei Uhr an bei der Barriere du Trone stationieren sollte, mit zwei Pferden, das eine für ihn selbst, das andere für den Chevalier. Er sollte in der Ferne Harmental folgen, und als dann berichten, was sich zugetragen. Fünf andere Pferde sollten gesattelt und gezäumt im Stalle des Hauses Rue St. Antoine bereit stehen, damit die Verschwornen entfliehen könnten, falls das Unternehmen des Chevaliers mißlingen sollte.

Nachdem dies Alles verabredet und festgestellt war, nöthigte die Herzogin den Chevalier zu ihr in den Wagen zu steigen, auf dem Platze de la Victoire aber entließ sie ihn, weil man befürchtete, daß das Erscheinen der Carosse vor dem Hause der Madame Denis, Aufsehen erregen könne. – Es war bereits zehn Uhr Abends. Harmental hatte im Lauf des Tages Bathilde kaum geschaut; er wollte sie gern noch einmal sehen; er war sicher, sie am Fenster zu erblicken, das aber genügte ihm nicht; was er ihr unter den obwaltenden Umständen zu sagen hatte, war zu ernst und zu gewichtig, als daß er es ihr über die Straße zurufen konnte. Er sann also über ein Mittel nach, sich zu so später Stunde noch zu ihr zu begeben, da aber gewahrte er plötzlich vor der Thür ihres Hauses ein Frauenzimmer, es war Nanette. Sie stand da auf Befehl Bathildens, welche sich in der größten Angst befand; Buvat war noch immer nicht wiedererschienen. Den ganzen Abend hatte sie am Fenster zugebracht, um die Rückkehr Harmentals abzuwarten, dieser aber kam ebenfalls nicht. Eine Ahnung sagte ihr, daß zwischen Buvats Ausbleiben, und der umwölkten Stirne, die sie gestern an dem Geliebten bemerkt hatte, irgend eine Verbindung bestehen müsse. Nanette wartete also vor der Thür auf Buvat und den Chevalier. Als der Letztere anlangte, blieb sie vor der Thür, um auf Buvat zu harren, während Harmental zu Bathilden eilte.

»Großer Gott, Raoul,« rief sie dem Eintretenden entgegen, dessen ernstes Antlitz die neuerdings erschreckte, »sprich, ist Dir ein Unglück begegnet?«

»Bathilde,« versetzte Harmental mit einem schwermüthigen Lächeln, »Du hast mir oft gesagt, daß mein ganzes Wesen etwas Geheimnißvolles hätte, das Dich beängstige.«

»Ja, ja, ja,« rief Bathilde, »und das ist meine einzige Qual, meine einzige Besorgniß!«

»Und Du hast vollkommen Recht, Bathilde! Denn ehe ich Dich kannte, Du Geliebte, ehe ich Dich nur sah, habe ich einen Theil meines freien Willens weggegeben. Ein Theil meiner selbst gehört mir nicht mehr an, er muß sich einem höheren Gesetze unterwerfen, er muß unvorhergesehene Ereignissen gehorchen. Das ist der schwarze Punkt an einem schönen Himmel! Je nachdem der Wind weht, kann er plötzlich verschwinden, oder sich zu einer schweren Gewitterwolke zusammenballen. Die Hand, welche die meine gefaßt hält und leitet, kann mich zu der glänzendsten Ehre erheben, kann mich aber auch in den tiefsten Abgrund stürzen. Sprich Bathilde, bist du entschlossen, mein Glück wie mein Unglück, meinen Sonnenschein wie meinen Sturm zu theilen?«

»Alles, Alles mit Dir, Raoul, Alles, Alles!«

»Bedenke, welche Verpflichtung Du über Dich nimmst, Bathilde! Vielleicht ist uns ein glänzendes, glückseliges Leben – vielleicht aber die Verbannung aufbewahrt – vielleicht droht mir Gefangenschaft, vielleicht – – vielleicht wirst Du Wittwe, ehe Du Frau wirst.«

Bathilde erblaßte und zitterte so heftig, daß Harmental glaubte, sie werde in Ohnmacht sinken, so daß er schon die Arme ausstreckte, um sie aufzufangen. Bathilde aber besaß Seelenkraft und festen Willen, die raffte sich zusammen, reichte ihre Hand dem Geliebten und sprach: »Habe ich Dir nicht gesagt, Raoul, daß ich Dich über Alles liebte, daß ich nie einen Andern liebte, als Dich, nie einen Andern lieben würde? Es scheint mir, daß diese wenigen Worte jedes Versprechen umschließen, das Du von mir verlangen kannst. Dein Leben, Raoul, wird das meine seyn, Dein Tod der meine! Beide stehen in Gottes Hand. Der Wille des Herrn geschehe im Himmel wie auf der Erde!«

»Und ich, Bathilde,« nahm Harmental das Wort, indem er die Geliebte vor das Christusbild führte, das sich am Fuße ihres Bettes befand, »ich schwöre im Angesicht des Heilands, daß Du von diesem Augenblick an mein Weib bist vor Gott und den Menschen. Jetzt, Bathilde, reiche Deinem Gatten vor unserm Erlöser den ersten Kuß.«

Und vor dem Bilde des Gekreuzigten sanken die Liebenden sich in die Arme, und wechselten den ersten Kuß, und tauschten den Schwur ewiger Liebe, und Treue aus. Als Harmental Bathilde verließ, war Buvat noch nicht heimgekehrt.

V.
David und Goliath

Gegen acht Uhr Morgens trat der Abbé Brigaud zu Harmental ein. Er brachte ihm 20000 Livres, theils in Gold, theils in Wechseln auf Spanien.

Die Herzogin war die Nacht bei der Gräfin Chavigny Rue du Mail, geblieben. Sie rechnete fest auf den Chevalier Harmental, wie auf ihren Erretter. Man hatte sichere Kunde erhalten, daß der Regent, sich seiner Gewohnheit gemäß, im Laufe des Tages nach Chelles begeben werde.

Um zehn Uhr verließen Brigaud und Harmental das Haus, der Erstere um sich Pompadour und Valef anzuschließen, mit denen er ein Rendezvous auf dem Boulevard du Temple verabredet hatte, der Letztere, um sich zu Bathilden zu begeben.

Die Unruhe in dem kleinen Haushalte war auf das Höchste gestiegen, Buvat war noch immer abwesend, und an den Augen der lieblichen Bathilde war zu bemerken, daß sie nur wenig geschlafen, aber desto mehr geweint hatte. Ihrerseits gewahrte das junge Mädchen, auf den ersten Blick, den sie auf den Geliebten warf, daß die Catastrophe, von der er gesprochen, nahe say. Harmental trug ganz denselben dunklen Anzug, in welchem sie ihn in jener Nacht geschauet hatte, wo er Pistolen in seinem Gürtel trug; seine hohen, mit Sporen versehenen Stiefeln verkündeten, daß er einen Ritt unternehmen wolle. Bathilde versuchte es, dem Geliebten rücksichtlich seines Vorhabens Rede abzugewinnen, er aber wiederholte ihr, daß sein Geheimniß nicht ihm angehöre, und bat sie, nicht weiter in ihn zu dringen.

Eine Stunde nach Harmentals Ankunft bei Bathilden, öffnete Nanette plötzlich die Thür mit ganz verstörtem Angesicht, sie kam von der Bibliothek. Buvat hatte sich auch dort nicht gezeigt, und Niemand konnte ihr Auskunft über ihn geben. Jetzt konnte sich Bathilde nicht länger halten, sie warf sich in Harmentals Arme und weinte laut.

Raoul theilte ihr jetzt seine Besorgnisse in dieser Hinsicht mit. Die Papiere, welche der vorgebliche Prinz von Listhnay ihrem Pflegevater zu copiren gab, waren von großer politischer Wichtigkeit. Buvat war vielleicht compromittiert und arretiert. Aber er hatte durchaus nichts zu fürchten, die passive Rolle, welche er in dieser Angelegenheit gespielt, schützte ihn vor jeder Gefahr. Da Bathilde in ihrer Ungewißheit noch ein weit größeres Unglück befürchtet hatte, so klammerte sie sich an diese Idee, die ihr wenigstens einige Hoffnung übrig ließ.

Die Zeit floh den Liebenden mit Blitzesschnelle dahin, und um ein ein halb Uhr erinnerte sich Harmental daran, daß er den Capitain Roquefinette um zwei Uhr zu sich beschieden hatte. Er erhob sich rasch von seinem Sitze. – Bathilde erblaßte. – Harmental begriff was sie litt, und versprach, zu ihr zurückzukehren, so wie derjenige den er erwartete, ihn verlassen haben würde. Dieses Versprechen beruhigte das arme Mädchen einigermaßen. Sie schieden zwar traurig, aber gegenseitig einer des andern gewiß. Ueberdem glaubten sie ja sich nur auf eine Stunde zu trennen.

Der Chevalier befand sich kaum einige Augenblicke an seinem Fenster, als er auch schon den Capitain um die Ecke der Rue Montmartre biegen sah. Er saß auf einem Apfelschimmel, welcher offenbar zu gleicher Zeit für einen schnellen Ritt und für die Ausdauer geschaffen war. Er ritt jetzt indeß im langsamen Schritt, wie Jemand, dem es gleichviel gilt, ob er bemerkt wird, oder nicht. Durch die Bewegungen des Pferdes aber hatte sein Hut eine Mittelhaltung bekommen, welche selbst seinen intimsten Bekannten nicht das Mindeste rücksichtlich des damaligen Zustandes seiner Finanzen errathen ließ.

Vor der Thür des Hauses angelangt, saß Roquefinette ab, mit den gehörigen drei Tempi, so als ob er sich in einer Reitschule befunden hätte. Er band sein Pferd an einen Fensterladen, überzeugte sich, daß die Pistolen in ihren Haltern steckten, und trat in das Haus. Einige Augenblicke darauf öffnete sich die Thür des Zimmers, und der Capitain befand sich bei Harmental.

Wie am vergangenen Abend war sein Gesicht ernst und nachdenkend, sein Blick und seine zusammengepreßten Lippen verkündeten einen festen Entschluß. »Ich sehe, mein lieber Capitain, daß Sie fortwährend pünktlich und ein Mann von Wort sind,« begann der Chevalier, den das Wesen Roquefinettes etwas unruhig machte.

»Das ist so militairische Gewohnheit, Chevalier, das ist bei einem alten Soldaten nicht zu bewundern.«

»Auch zweifelte ich nicht, daß Sie Ihr Versprechen halten würden; aber Sie konnten vielleicht Ihre Leute nicht auffinden.«

Ich bemerkte Ihnen ja, daß ich wüßte, wo ich sie treffen könnte.«

»Sie sind also schon auf ihrem Posten?«

»Das sind sie.«

»Und wo ist der?

Auf dem Pferdemarkte, bei der Porte St. Martin.«

»Und Sie besorgen nicht, daß man sie dort bemerkte?«

»Wie soll man zwölf bis fünfzehn als Bauern gekleidete Bursche unter drei- bis vierhundert Pferdehändlern herauskennen? Ich allein finde sie heraus.«

»Wie aber können diese Leute Sie begleiten, Capitain?«

»Auf die einfachste Weise von der Welt. Jeder von ihnen hat sich das Pferd erhandelt, das ihm passend scheint; ich lange an, gebe einem jeden 25 bis 30 Louisdors, jeder bezahlt sein Thier, läßt es satteln, sitzt auf und schiebt in die Halfter die Pistolen, die er im Gürtel trägt, reitet davon und findet sich um fünf Uhr mit den Uebrigen im Bois de Vincennes an einem bestimmten Ort ein. Dort erst erfahren sie, zu welchem Vorhaben sie beschieden sind; ich vertheile aufs Neue Geld unter ihnen, ich setze mich an die Spitze meines Eskadrons, und führe den Streich aus, wenn wir anders über die Bedingungen einig werden.«

»Ich glaube, Capitain, Sie werden mit dem zufrieden seyn, was ich Ihnen anbieten kann.«

 

»So lassen Sie einmal hören, sprach Roquefinette, indem er sich an den Tisch setzte, die Ellbogen auf denselben, den Kopf in die Hände stützte, und mit festem Blick auf Harmental schaute, der ihm gegenüber stand, den Rücken zum Camin gewendet.

»Zuvor verdoppele ich die Summe, die Sie das Letztemal empfingen,« begann der Chevalier.

»Oh!« rief Roquefinette, »es liegt wir nichts am Gelde.«

»Woran liegt es Ihnen denn, Capitain?«

»An einer Stellung im Leben.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß ich jeden Tag um 24 Stunden älter werde, und daß die Philosophie mit dem Alter kommt.«

»So sprechen Sie, Capitain, wonach verlangt Ihre Philosophie? Ich bin bereit zu hören.

»Ich habe es schon einmal ausgesprochen, Chevalier, nach einer Stellung, die meinen langen Diensten angemessen ist; nicht in Frankreich, Sie verstehen mich. In Frankreich habe ich gar zu viele Feinde, den Herrn Polizei-Lieutenant an der Spitze. Aber sehen Sie, in Spanien zum Beispiel! In Spanien, da könnte es mir gefallen! Ein herrliches Land, schöne Weiber, blanke Dublonen! Ja, ich möchte eine Anstellung in Spanien.«

»Die Sache würde sich machen lassen, es kommt darauf an, welchen Rang. Sie verlangen.«

»Ei, wenn man einmal wünscht, dann wünscht man etwas Rechtes. Ich sah schon so manchen Gelbschnabel an der Spitze eines Regiments, daß es mir durch den Kopf gegangen ist, Obrist zu werden.«

»Obrist? Obrist! unmöglich!« rief Harmental.

»Und weshalb das?« fragte der Capitain.

»Weil ich,« antwortete Harmental, wenn man Sie, der Sie bei unserer Angelegenheit doch nur eine untergeordnete Rolle spielen, zum Obristen machte, in der That nicht wüßte, wozu ich mich erheben lassen sollte.«

»Ich will aufrichtig mit Ihnen reden, Chevalier! Die Sache hat sich anders gestaltet, das Schwert schwebt über Ihrem Haupte, und dem aller Mitverschwornen. Der Kerl, der Dubois hat die Namensliste, ohne einen Gewaltstreich sayd Ihr diesen Abend vielleicht sämmtlich arretiert, und wer kann Euch dann retten – – der ehrsame Capitain Roquefinette! Und mit dem handeln Sie! Pfui, schämen Sie sich; die Ansprüche steigen mit den Diensten, die geleistet werden. Ich bin jetzt eine wichtige Person geworden, behandeln Sie mich also als eine solche, oder ich lege die Hände in den Schooß, und lasse den Dubois schalten.«

Harmental biß sich in die Lippen, aber er begriff, daß er es mit einem alten Condottieri zu thun habe, der daran gewohnt war, seine Dienste so theuer wie möglich zu verkaufen, und er kämpfte daher einen Stolz nieder.

»Sie wollen also durchaus Obrist werden, Capitain?« fragte er.

»So ists, versetzte Roquefinette.

»Wenn ich Ihnen nun aber auch diesen Rang verspreche, wer sichert Ihnen, daß mein Einfluß hinreicht, Ihnen denselben zu verschaffen?

»Ich denke alsdann meine kleine Angelegenheit selbst zu leiten, Chevalier.«

»Und wo das?«

»In Madrid.«

»Wer sagte Ihnen denn, daß ich Sie dorthin führen will?«

»Ich weiß nicht, ob Sie mich dorthin führen wollen, ich weiß aber, daß ich mich dorthin begeben werde.«

»Sie nach Madrid? Und was wollen Sie dort beginnen?«

»Ich will den Regenten dorthin bringen.«

»Sie sind toll!

»Keine solche Ausdrücke, Chevalier, wenn ich bitten darf. Sie fragen nach meinen Bedingungen, ich sage sie Ihnen, sie gefallen Ihnen nicht, auch gut, wir bleiben darum nicht minder gute Freunde.« So sprechend stand Roquefinette auf, nahm seinen Hut und that einige Schritte gegen die Thür.

»Wie, Sie wollen fort?« fragte Harmental.

»Allerdings, ich gehe.«

»Aber Sie vergessen, Capitain – –«

»Ja so, Sie haben Recht, Chevalier,« entgegnete der Capitain, der sich stellte, als ob er Harmentals Anmahnung falsch verstände und eine Börse hervorzog. »Es ist wahr, ich muß Ihnen zuvor Rechnung ablegen. Sie gaben mir hundert Louisd’ors. Hiervon ausgegeben: für einen Apfelschimmel 30 Louisd’ors, für ein Paar Pistolen mit Doppelläufen, 10 Louisd’ors, für einen Sattel u. s. w. 2 Louisdors, zusammen 42 Louisd’ors. Hier sind 58 Louisd’ors, Pferd, Sattel u. s. w. gehören Ihnen, und somit wären wir quitt.« Bei diesen Worten warf er die Börse auf den Tisch.

»Ach davon ist ja nicht die Rede,« Capitain, fuhr Harmental fort.

»Und wovon denn?«

Ich meinte nur, daß es ganz unmöglich sei, Ihnen eine so wichtige Sendung zu übertragen.

»So soll es indeß seyn, oder es unterbleibt ganz. Ich führe den Regenten nach Madrid, ich allein, oder der Regent bleibt im Palais Royal.«

»Sie glauben sich also edelgeboren genug, fragte Harmental, »um Philipp von Orleans den Degen zu entreißen, mit dem er die jungfräuliche Festung Lerida eroberte.«

»Ich hörte in Italien,« versetzte der Capitain ganz ruhig, »daß in der Schlacht bei Pavia, Franz I. den seinigen einem Schlachter übergab.«

»So nehmen Sie Vernunft an, Capitain, wir wollen uns verständigen. Ich führe den Regenten nach Spanien und Sie begleiten mich.«

»Ey das wäre! damit der arme Capitain sich in dem Staube verliert, den der schöne Chevalier aufwirft! Damit der glänzende Obrist den armen Condottieri ganz und gar verdunkle. Unmöglich, Chevalier! das geht nicht! Ich leite die ganze Sache, oder ich ziehe meine Hand zurück.«

»Aber das ist Verrath!« rief Harmental.

»Verrath, Verrath! Wie Chevalier, wann hat sich denn der Capitain Roquefinette als Verräther gezeigt? Wo sind die Bedingungen, die ich nicht gehalten, wo die Geheimnisse, die ich verrathen hätte? Ich, ein Verräther! Hölle und Teufel, Chevalier! Sie wollten meine Bedingungen hören, ich habe sie Ihnen genannt, wo ist da der Verrath?«

»Und wenn ich feige genug wäre, sie anzunehmen,« fragte Harmental, »glauben Sie denn, daß die Frau Herzogin von Maine das Vertrauen, mit welchem sie mich beehrt, auf den Capitain Roquefinette übertragen würde?«

»Was zum Henker, hat die Herzogin von Maine hiermit zu schaffen? Sie haben die Sache übernommen, nun ja, aber unübersteigbare Hindernisse verhindern Sie, solche selbst auszuführen, Sie übertragen mir Ihre Vollmacht, das ist Alles!«

»Das heißt mit andern Worten,« fiel Harmental ein, »Sie wollen Herr seyn, den Regenten frei zu lassen, wenn er Ihnen das Doppelte von dem verspricht, was Sie erwarten können, wenn Sie ihn nach Spanien führen.«

»Vielleicht! Vielleicht!« erwiderte Roquefinette mit höhnischem Tone.

»Hören Sie, Capitain,« nahm Harmental, bemüht kaltes Blut zu behalten und die Negociationen wieder anzuknüpfen, das Wort: »Hören Sie, ich zahle Ihnen 20.000 Livres baar. Ich nehme Sie mit mir nach Spanien – ich verpflichte mich, Ihnen ein Regiment zu verschaffen.«

Roquefinette trällerte ein Liedchen und schüttelte den Kopf.

»Hüten Sie sich, Capitain,« sprach Harmental in einem ernsten Tone, »es ist, so weit die Sache gediehen, für Sie viel gefährlicher sich zurückzuziehen, als die Sache auszuführen.«

»Und wenn ich mich nun zurückziehe, was könnte mir dann passieren?«

»Dann verlassen Sie dieses Zimmer nicht wieder, Capitain,« rief Harmental entschlossen.

»Und wer würde mich daran verhindern?«

»Ich! Ich!« entgegnete Harmental, indem er sich, in jeder Hand ein Pistol, rasch vor die Thür stellte.

»Sie, Sie?« fragte der Capitain, indem er die Arme kreuzweis übereinander schlug, sich Harmental um einen Schritt näherte und ihn fest betrachtete.

»Noch einen einzigen Schritt, Capitain!« donnerte Harmental, und ich zerschmettere Ihnen das Gehirn, mein Ehrenwort darauf!«

»Mir das Gehirn zerschmettern, dann müßte Ihre Hand nicht so gewaltig zittern. wissen Sie was passieren würde? Sie würden fehlschießen, der Schuß würde die Nachbaren herbeiziehen, man würde nach der Wache schicken, man würde mich fragen, weshalb Sie auf mich geschossen und ich müßte die Wahrheit eingestehen.«

»Sie haben Recht, Capitain,« versetzte Harmental, indem er den Hahn seiner Pistolen in den Ruhestand versetzte, und sie wieder in seinen Gürtel steckte. »Sie sollen einen ehrenwertheren Tod finden, als Sie ihn verdienen. Heraus also mit dem Degen! mein Herr!« Mit diesen Worten zog Harmental den seinigen und nahm seine Stellung ein. Es war nur ein Galanteriedegen mit elegantem Handgriff. Roquefinette lachte laut auf.