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Ritter von Harmental

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XI.
Das Pasquill

Während der nächsten vier Tage blieb Buvat unter dem Vorwande eines Unwohlseyns von der Bibliothek weg und benutzte die Zeit, um die zwei verlangten Abschriften zu fertigen: die eine für den Prinzen de Listhnay, die andere für Dubois. Während dieser vier Tage, ohne Zweifel der bewegtesten seines ganzen Lebens, war der arme Abschreiber so schweigsam und so düster, daß Bathilde ihn oftmals besorgt fragte, was ihm fehle. Jedesmal erwiderte er ihr indeß, daß er sich ganz wohl befinde, und da er in seiner Lebensweise nichts änderte, sondern täglich zur bestimmten Zeit fortging und heimkehrte, so gab sich Bathilde zufrieden.

Was Harmental betraf so hatte er jeden Morgen den Besuch des Abbé Brigaud, welcher ihm berichtete, daß alles nach Wunsch gehe; so daß er, da es auch mit seinen Liebesangelegenheiten trefflich stand, die Lage eines Verschwörers für die glücklichste der Welt zu halten begann.

Hinsichtlich des Herzogs von Orleans, so setzte derselbe, da er nicht das Mindeste ahnte, eine gewohnte Lebensweise fort. An einem Sonntage aber trat Dubois, um zwei Uhr Nachmittags in ein Cabinet.

»Vortrefflich, daß Du kommst,« rief der Regent dem Letztern entgegen, ich wollte so eben zu Dir schicken, um Dich zu fragen, ob Du diesen Abend einer der Unsrigen seyn willst.«

»Sie haben an diesem Abend Ihr gewöhnliches Souper, gnädigster Herr?« fragte Dubois.

»Aber woher kommst Du mit Deinem Fasttagsgesicht? Weißt Du denn nicht, daß heute Sonntag ist?«

»Ganz recht, gnädigster Herr!«

»Nun so erwarten wir Dich. Da sieh die Liste unserer Tischgenossen: Noce, Lafare, Fargy, Ravanne, Broglie. Brancas lade ich nicht ein, er ist seit kurzer Zeit so abstoßend, ich glaube, er hat gar eine Verschwörung vor. Die Phalaris und die Avergne kommen auch, die können sich nicht leiden, sie möchten sich die Augen auskratzen, und das wird uns amüsieren. Ferner Lafouris und vielleicht die Sabran, wenn sie anders kein Rendezvous mit Richelieu hat.«

»Ist das Ihre Liste, gnädigster Herr?«

»Nun ja!«

»Wollten Ew. Königliche Hoheit wohl die Gnade haben, auch einen Blick auf die meinige zu werfen?«

»Wie, hast Du auch eine Liste entworfen?«

»Nein, gnädigster Herr, man hat sie mir ganz fertig überbracht.«

»Alle Teufel was ist das?« fragte der Regent, indem er einen Blick auf ein Papier warf, das ihm Dubois überreichte.

»Liste derjenigen Offiziere, welche in den Dienst des Königs von Spanien zu treten wünschen: Claude Francois de Ferrette, Ritter vom Ludwigs-Orden, Feldmarschall und Oberst der Cavallerie; Bochet, Ritter des Ludwigs-Ordens und Obrist der Infanterie; de Sabran, de Larochefaucould-Gondral, de Villeneuve, de Lafare, de Laval. Nun was weiter?«

»Hier ein anderes Papier, gnädigter Herr sprach Dubois.

Der Herzog von Orleans las: Protestation des Adels!«

»Sie sehen, daß der Prinz von Cellamare auch seine Listen anfertigt.«

»Unterzeichnet ohne Unterschied des Ranges: de Vieux, de la Pailleterie, de Baufremont, de Latour du Pin, de Montanban, Louis de Chaumont, Claude de Polignac, Charles de Laval, Antoine de Chastellux Armand de Richelieu. Und wo Teufel hast Du das aufgefischt?«

»Warten Ew. Hoheit, wir sind noch nicht zu Ende. Werfen Sie gefälligst auch einen Blick auf dieses Blatt.«

»Plan der Verschwörung: Nichts ist wichtiger, als sich der in der Umgegend der Pyrenäen gelegenen festen Plätze zu versichern, und die Garnion von Bayonne zu gewinnen; unsere Städte überliefern, den Spaniern die Schlüssel Frankreichs übergeben. Wer bei allen Teufeln will das thun? Dubois?«

»Geduld, gnädigster Herr, Geduld, ich habe Ew. Hoheit noch ganz andere Dinge vorzulegen. hier sind Briefe von Philipp dem Fünften, dem Könige von Spanien.

»An den König von Frankreich. Doch das sind nur Copien,« bemerkte der Herzog von Orleans, indem er las.

Ich werde Ew. Hoheit sofort berichten, wo sich die Originale befinden.«

»Wir wollen doch weiter sehen. »Seitdem mich die Vorsehung auf den spanischen Thron gesetzt hat u. s. w. u. s. w. Die Generalstaaten sollen zusammen berufen werden, und in wessen Namen?«

»Sie sehen es ja, gnädigster Herr, im Namen Philipp des Fünften.«

»Philipp der Fünfte ist König von Spanien, nicht aber König von Frankreich! Daß er sich in seiner Rolle nicht vergreife! Ich habe schon einmal die Pyrenäen überschritten, um seinen Thron zu stützen, er hüte sich daß ich sie nicht noch einmal passire, um denselben zu stürzen.«

»Daran wollen wir später denken, gnädigter Herr, für jetzt haben wir ein fünftes Papier zu lesen, und es ist nicht das am wenigsten Wichtige, wie Ew. Hoheit sich sogleich überzeugen werden.«

Der Herzog von Orleans nahm ungeduldig das Blatt und durchflog es, indem er es überblickte. »Richtig, richtig, wie ich es erwartet hatte! Es ist von nichts Geringerem die Rede, als von meiner Absetzung. Und die Briefe? sie sollten ohne Zweifel dem Könige übergeben werden?«

»Morgen schon, gnädiger Herr!«

»Durch wen?«

»Durch den Marschall von Villeroy.«

»Ha, wie konnte der dazu bewogen werden? »Durch seine Gemahlin, Ew. königliche Hoheit.«

»Ha ich begreife, ein Streich Richelieus. – Von wem hast Du alle diese Papiere?«

»Von einem armen Teufel von Abschreiber, dem man sie zu copiren gab.«

»Und dieser Abschreiber stand direct mit Cellamare in Verbindung?«

»Nein, gnädigster Herr, die Maßregeln waren besser getroffen, der Copist hatte es nur mit dem Prinzen de Listhnay zu thun.

»Mit dem Prinzen de Listhnay, wer ist das?«

»Er wohnt Rue du Bac No. 10«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Doch, doch, gnädigster Herr!«

»Und wo sah ich ihn?«

»In Ihrem Vorzimmer.«

»Es ist kein Anderer, als der Schelm, der Avranche, der Kammerdiener der Herzogin von Maine.«

»Die also, die kleine Schlange ist auch mit im Spiele?«

»Nicht bloß im Spiele, gnädigster Herr, sie mischt die Karten, und wenn es Ihnen jetzt daran liegt, ihrer und ihrer ganzen Clique habhaft zu werden, so steht nichts im Wege, wir haben sie sämmtlich in Händen.«

»Sprich, sprich, ich bin ganz Ohr!«

»Sind Sie zu einem kräftigen Schlage bereit, gnädigster Herr?«

»Allerdings, wir müssen mit Villeroy beginnen.«

»Das heißt, man muß sich seiner Person bemächtigen.«

»Gewiß, aber mit einer gewissen Vorsicht. Man muß ihn auf der That ertappen.«

»Nichts leichter als das. Er begiebt sich jeden Morgen um acht Uhr zu dem Könige. Wenn Ew. königliche Hoheit sich morgen um sieben Uhr in Versailles einfinden wollen.«

»Nun, und dann?«

»Dann kommen Sie ihm bei dem Könige zuvor.«

»Dort soll ich ihm im Angesicht des Königs sein Verbrechen vorhalten?«

»Oh nein, nein, gnädigster Herr, Ew. Hoheit müßten alsdann – –«

In diesem Augenblick öffnete der Huissier die Thür des Cabinetts.

»Still!« gebot der Herzog, und zu dem Huissier gewandt sprach er: »Was willst Du?«

»Der Herzog von Saint Simon.«

»Frage ihn, ob er mir etwas Wichtiges mit zutheilen habe.«

»Etwas höchst Wichtiges, wie er versichert, gnädigster Herr,« erwiderte der Huissier.

»So laß ihn eintreten.«

Der Herzog von Saint Simon erschien.

»Entschuldigen Sie, Herzog, sprach der Regent, »ich habe nur eine kleine Angelegenheit mit Dubois zu beendigen, dann bin ich für Sie bereit.« Er trat darauf mit Dubois in eine Fenstervertiefung und beide besprachen sich einige Augenblicke lang mit einander, dann zog sich der Letztere zurück. »Es ist diesen Abend kein Souper,« sprach er, als er das Cabinet verließ, zu dem Huissier gewandt, »benachrichtigen Sie die Eingeladenen davon, Sr. Königliche Hoheit befinden sich nicht wohl.«

»Ist das wirklich wahr, gnädigster Herr?« fragte, nachdem sich Dubois entfernt hatte, der Herzog von Saint Simon.

»Nein, nein, mein lieber Herzog, wenigstens fehlt mir nichts von Bedeutung. Chirac aber versichert, ich würde am Schlagflusse sterben, wenn ich nicht regelmäßiger lebte, und da will ich denn etwas ordentlicher werden.«

»Ew. königliche Hoheit werden in der That wohl daran thun,« sprach Saint Simon, »die Verläumdung wird dann wenig Gelegenheit haben, Sie mit ihrem Geifer zu beschmutzen

»Die Verläumdung bah! ich lache ihrer,« versetzte der Regent. »Was hat sie denn schon wieder aufs Tapet gebracht?«

»Hier dieses Pasquill vertheilte so eben, als ich aus der Messe kam, ein armseliger Bettler, der auf den Stufen der Kirchthür saß.« So sprechend überreichte der Herzog von Saint Simon dem Regenten ein auf grobes Papier gedrucktes Gedicht. Der Regent nahm das Blatt, es waren Wort für Wort jene schmachvollen Verse, welche, wie unsere geneigten Leser sich erinnern werden, bei dem Feste in Sceaux, nach beendigter Abendtafel, von dem böswilligen, mürrischen Poeten vorgetragen wurden, den Harmental als er den Saal verließ, versicherte, daß er ihn mit Freuden über den Haufen rennen würde, wenn er sicher wäre, ihn zu zertreten.

»Erkennen Ew. Königliche Hoheit den Style fragte Saint Simon.

»Allerdings!« entgegnete der Regent, »das Schmähgedicht ist von Lagrange Chancel. »Aber ich erkenne Sie darin, meine Damen Sie Frau von Maintenon, Sie Frau von Maine. Der elende Lagrange Chancel ist nur Ihr Werkzeug! – Saint Simon, wenn ich nun bedenke, daß ich sie sämmtlich unter meinen Füßen habe, daß ich nur niederzutreten brauche, um sie zu zermalmen – –«

»Sie zu zermalmen, gnädigster Herr,« wiederholte Saint Simon, eine solche Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage, und wenn sie sich zeigt, muß man sie benutzen.«

Der Regent sann einen Augenblick nach und sein zorniges Gesicht nahm den ihm eigenthümlichen Ausdruck von Gutmüthigkeit wieder an.

»Ich sehe, die Zeit dazu ist noch nicht gekommen, gnädigster Herr,« bemerkte Saint Simon, als er die Veränderung im Antlitz des Regenten gewahrte.

 

»Nein, mein Herr Herzog, »sprach Philipp, denn für heute habe ich etwas besseres zu thun, als die dem Herzog von Orleans zugefügten Beleidigungen zu rächen. Ich muß Frankreich retten!« Und nachdem er dem Herzog von Saint Simon die Hand gereicht hatte, zog er sich in ein andres Zimmer zurück.

Am Abend desselben Tages um neun Uhr verließ der Regent das Palais Royal, um gegen seine Gewohnheit in Versailles zu übernachten.

Vierter Teil

I.
Die Schlinge

Am folgenden Tage, um sieben Uhr Morgens, grade als der König aufstand, ward demselben gemeldet, daß Sr. Königliche Hoheit, der Herr Herzog von Orleans, um die Ehre ersuche, Sr. Majestät bei Ihrer Toilette die Aufwartung machen zu dürfen. Ludwig XV., welcher damals noch gewohnt war, niemals etwas aus sich selbst zu thun, wandte sich zu dem Herrn von Frejus, welcher in dem entferntesten Winkel des Gemachs saß und fragte denselben durch eine Geberde,was er antworten solle. Herr von Frejus begnügte sich nicht, durch ein Kopfnicken dem Könige zu verstehen zu geben, daß er den Herzog von Orleans empfangen müsse, sondern er erhob sich auch von seinem Sitze, um dem Letzteren die Thür zu öffnen. Der Regent hemmte auf der Schwelle einen Augenblick lang seine Schritte um Frejus zu danken, ließ seinen Blick über das Gemach streifen, um zu erfahren, ob der Marschall von Villeroy noch nicht eingetroffen say und näherte sich alsdann dem Könige.

Ludwig XV. war damals ein schönes Kind von neun bis zehn Jahren, mit langen castanienbraunen Locken, schwarzen glänzenden Augen, einem kleinen Munde und einem rosigen Teint, der aber wie der seiner Mutter, Maria von Savoyen, oft einem plötzlichen Erblassen unterworfen war. Obgleich ein Charakter noch sehr unentschlossen war, in Folge des doppelten Einflusses, welchen der Marschall von Villeroy und Herr von Frejus auf ihn äußerten, so hatte doch eine jugendliche Physiognomie etwas Feuriges und Entschlossenes, was den Abkömmling Ludwigs XIV. bezeichnete. Anfangs eingenommen gegen den Herzog von Orleans, den man sich bemüht hatte, ihm als den Mann zu schildern, der in ganz Frankreich gegen ihn am feindseligsten gesinnt say, war dieses Vorurtheil nach und nach geschwächt worden durch die verschiedenen Zusammenkünfte, die er mit dem Regenten hatte, und mit jenem jugendlichen Instinkte der Kinder, der fast niemals trügt, hatte er in demselben bald einen Freund erkannt.

Der Herzog von Orleans dagegen bezeigte dem Könige nicht nur die demselben gebührende Achtung, sondern auch die zuvorkommendsten und liebevollsten Aufmerksamkeiten. Sr. Majestät empfingen daher auch diesmal den Regenten mit dem wohlwollendsten Lächeln, und reichten ihm mit vieler Grazie die kleine Hand zum Kusse hin, während der Bischof von Frejus, seinem Demuthsysteme getreu, sich wieder in einen entlegenen Winkel zurückzog.

»Ich freue mich sehr, Sie zu sehen, Herr Herzog,« sprach Ludwig XV. mit seinem sanften Tone und jenem bezaubernden Lächeln, dem selbst die ihm anbefohlene Etikette seine Grazie nicht ganz hatte rauben können, »und zwar um so mehr, da Ihr Erscheinen zu so ungewohnter Stunde mich vermuthen läßt, daß Sie mir eine gute Nachricht mitzutheilen haben.«

»Ich überbringe deren zwei, Sire!« erwiderte der Regent, »zuvörderst ist bei mir so eben aus Nürnberg eine große Kiste angelangt, welche ohne Zweifel – –«

»Recht viel Spielzeug für mich enthält! Recht sehr viel, nicht wahr, Herr Regent?»unterbrach ihn freudig das königliche Kind, indem es fröhlich in die Hände klatschte und umhersprang, ohne sich um seinen Kammerdiener zu bekümmern, welcher ehrerbietig hinter ihm stand und in seiner Hand den kleinen Degen hielt, den er an den Gürtel befestigen wollte. »Wie freue ich mich, wie sehr bin ich Ihnen verpflichtet, Herr Regent, wie gut sind Sie!«

»Sire, ich thue nur meine Schuldigkeit,« versetzte der Herzog von Orleans, indem er sich ehrerbietig verbeugte. »Ew. Majestät sind mir dafür keinen Dank schuldig!«

»Und wo ist sie? Wo ist diese köstliche Kiste?

»In meinen Zimmern, Sire! Wenn Ew. Majestät befehlen, soll sie noch heute, oder morgen früh, hierher geschafft werden.«

»Noch heute, ja noch heute, mein Herr, oder sogleich, ich bitte darum.«

»Aber sie ist schon in meinen Gemächern.«

»So wollen wir dorthin, auf der Stelle!« rief der kleine König, indem er zur Thür rannte, ohne daran zu denken, daß zur Vervollständigung seiner Toilette noch der Degen, die kleine atlassene Weste und das blaue Band des Heiligengeistordens fehlten.

»Sire, nahm jetzt der Bischof von Frejus nähertretend das Wort, »ich erlaube mir, Ew. Majestät darauf aufmerksam zu machen, daß Sie sich allzusehr dem Vergnügen überlassen, welches Ihnen der Besitz von Dingen verschafft, die Sie jetzt schon als unbedeutende Spielereien betrachten sollten.«

»Sie haben Recht, mein Herr, Sie haben Recht, antwortete Ludwig der Fünfzehnte, indem er sich Gewalt anthat, seine Freude zu mäßigen, »aber Sie müssen es mir verzeihen, ich bin noch nicht zehn Jahre alt, und habe gestern viel gearbeitet.«

»Das ist freilich wahr,« lächelte Herr von Frejus, »auch werden sich Ew. Majestät an dem herrlichen Spielwerk ergötzen, sobald Sie zuvor von dem Herrn Regenten erfahren haben, wie die zweite Nachricht lautet, die er überbringt.«

»Ach ja, mein Herr, und wie lautet denn Ihre zweite Nachricht?«

»Sie betrifft eine Arbeit, die für Frankreich von Nutzen seyn wird, und die so wichtig ist, daß ich es für nöthig erachte, sie. Ew. Majestät vorzulegen.«

»Haben Sie sie mitgebracht?« fragte der kleine König.

»Nein Sire, ich glaubte nicht, Sie für die selbe so gut disponiert zu finden und habe sie in meinem Cabinette zurückgelassen.«

»Wohlan, versetzte Ludwig der Fünfzehnte, indem er bittend bald auf den Herrn von Frejus, bald auf den Regenten sah, »da könnten wir ja Beides vereinigen, statt meinen gewöhnlichen Morgenspaziergang zu machen, könnten wir uns ja in Ihre Zimmer begeben, ich sähe dort das schöne Spielwerk, und wir gingen alsdann in Ihr Cabinet.«

»Das ist gegen die Etikette, Sire, entgegnete der Regent; »wenn aber Ew. Majestät befehlen –«

»Ja, ja, ich will es,« rief das königliche Kind, wobei es aber zu gleicher Zeit einen sanften, bittenden Seitenblick auf den Herrn von Frejus richtete, »das heißt, wenn mein guter Lehrer es erlaubt.«

»Sollte Herr von Frejus es für unziemlich halten?« fragte der Herzog von Orleans, sich zu diesem wendend, und in einem Tone, aus welchem deutlich hervorging, daß es ihn verletzen würde, falls der Hofmeister die Bitte eines königlichen Zöglings nicht bewilligen sollte.

»Durchaus nicht, lautete die Antwort, »im Gegentheil, es ist gut, wenn Se. Majestät sich an Arbeit gewöhnen. Und wenn auch die Gesetze der Etikette verletzt werden sollten, so kann dies geschehen, wenn für das Volk. Nutzen daraus entsprießt. Ich will Sie, gnädigster Herr, nur um die Erlaubniß ersuchen, Se. Majestät begleiten zu dürfen.«

»Mit dem allergrößten Vergnügen, mein Herr, entgegnete der Regent.

»O, wie freue ich mich! wie bin ich glücklich! jubelte Ludwig XV., »schnell meine Weste, meinen Degen, meinen Orden! Sehen Sie, Herr Regent, da bin ich fertig;« so sprechend wollte er die Hand des Letztern erfassen; der Herzog von Orleans aber, statt sich einer solchen Vertraulichkeit hinzugeben, verbeugte sich ehrerbietig vor dem jungen König, öffnete ihm selbst die Thür, bat ihn durch eine Geberde voranzuschreiten und folgte in einer kleinen Entfernung, mit dem Herrn von Frejus, mit entblößtem Haupte.

Die Zimmer des Königs befanden sich wie die des Herzogs von Orleans, in dem untersten Stockwerk und waren nur durch ein Vorgemach getrennt, durch welches man zu dem Ersteren gelangte, und das mittelst einer Gallerie in das Vorzimmer des Letzteren führte. Der Weg war also nur kurz, und mit einem lauten Jubelruf eilte der kleine König, die versammelten Höflinge des Regenten unbeachtet lassend, auf die ersehnte Kiste zu, die in der Mitte des Zimmers auf einem Tische stand. Zwei Kammerdiener flogen, auf den Wink des Regenten, mit Werkzeugen herbei; unter ihren Händen sprang der Deckel der Kiste bald auf, und diese zeigte nunmehr das köstlichste Spielzeug, das je einem Könige von neun Jahren die Augen geblendet.

Bei diesem verlockenden Anblick vergaß der kleine Monarch, Etikette, Hofmeister und Höflinge, er warf sich auf das ihm geöffnete Paradies, und wie aus einem Zauberkorbs zog er jubelnd daraus: Städte, Thürme, Schiffe, Cavallerie, Infanterie, Artillerie, kurz jene zahllosen Wunder hervor, welche am Weihnachtsabend die Köpfe von so vielen Tausend Kindern verrücken. Herr von Frejus selbst achtete diesen kindlichen Freudenmoment; die Höflinge aber beobachteten ein gewisses religiöses Schweigen. – Da aber ward plötzlich im Vorzimmer ein lauter Lärm vernehmbar.

Die Thür öffnete sich und der Huissier meldete: den Herrn Herzog von Villeroy. Gleich darauf erschien der Marschall, seinen Stock in der Hand, aufgeregt, und fragte ungestüm nach dem Könige. Da man schon an eine derbe Art und Weise gewohnt war, begnügte sich der Regent, ihm den jungen König zu zeigen, welcher noch immer beschäftigt war, die Kiste zu leeren, und der Tische, Stühle und Fußboden mit dem glänzenden Spielzeug bedeckte. Der Marschall brummte in den Bart, da aber Herr von Frejus, der Gouverneur, ihm zur Seite war, wagte er nicht, das Kind in seiner Beschäftigung zu stören.

Als endlich die Kiste ganz geleert war, und Ludwig XV. sich eine Weile lang an dem Inhalte derselben geweidet hatte, näherte sich ihm der Herzog von Orleans, noch immer den Hut unter dem Arme haltend, und erinnerte ihn freundlich daran, wie er ihm versprochen habe, jetzt eine Stunde den Staatsgeschäften zu widmen.

Ludwig XV. warf noch einen letzten Blick auf die Spielsachen, bat um die Erlaubniß, die Herrlichkeiten in seine Gemächer schaffen zu dürfen, und begab sich alsdann in das angrenzende Cabinet, dessen Thür ihm der Regent selbst öffnete. Herr von Frejus zog sich wieder, nach seiner Art und Weise, in einen Winkel zurück, der Marschall von Villeroy aber wollte ohne Weiteres dem Könige in das Cabinet folgen. Dieser Augenblick war es, den der Regent mit Ungeduld erwartet hatte.

»Entschuldigen Sie, Herr Marschall, sprach er, indem er ihm den Weg vertrat, »die Geschäfte, welche ich mit Sr. Majestät zu verhandeln habe, bedingen die größte Geheimhaltung, ich bitte Sie daher, mich mit Sr. Majestät einige Augenblicke lang allein zu lassen.«

»Allein? Allein? Herr Regent!« rief Villeroy auffahrend, »Sie wissen, Herr Herzog, daß das unmöglich ist!«

»Unmöglich, Herr Marschall?« fragte der Regent mit der größten Ruhe, »unmöglich, und weshalb das, wenn ich fragen darf?«

»Weil ich als Gouverneur Sr. Majestät das Recht habe, dieselben überallhin zu begleiten.«

»Zuvörderst, mein Herr Marschall, versetzte der Regent, »scheint mir dieses sogenannte Recht durch nichts klar bewiesen; und wenn ich bis jetzt nicht diesem Rechte, sondern diesem Anspruche gewillfahrt habe, so geschah es, weil das Alter des Königs denselben unwichtig machte. Jetzt aber, wo Se. Majestät bereits das zehnte Jahr erreicht haben, jetzt, wo dieselben gestatten, daß ich sie in die Regierungskunst einweihe, eine Kunst, in welcher Frankreich mich zum Präsidenten erwählt hat; jetzt werden Sie es für gut finden, mein Herr Marschall, daß ich, wie Sie und Herr von Frejus, mich mit dem Könige allein besprechen darf.«

»Aber, Herr Herzog,« rief der Marschall, der je heftiger er ward, immer mehr und mehr seine Fassung verlor, »ich bemerke Ihnen, daß der König mein Zögling ist.«

»Ich weiß das sehr wohl, Herr Marschall,« entgegnete der Regent, in einem ironischen Tone, »machen Sie aus Sr. Majestät immerhin einen großen Feldherrn, ich werde Sie darin nicht verhindern; Ihre Feldzüge in Italien und Flandern beweisen, daß wir dem jungen Monarchen darin keinen bessern Lehrmeister geben konnten. In diesem Augenblick aber, mein Herr, ist nicht die Rede von der Kriegswissenschaft, es handelt sich hier von einem Staatsgeheimnis, welches ich nur Sr. Majestät mittheilen kann; Sie werden es also für gut finden, wenn ich Ihnen meinen Wunsch ausspreche, mich mit Sr. Majestät unter vier Augen zu unterhalten.«

»Das ist unmöglich, ganz unmöglich! gnädiger Herr, rief der Marschall von Villeroy, dessen Heftigkeit immer mehr und mehr zunahm.

»Unmöglich!« wiederholte der Regent, »und weshalb, frage ich, weshalb?«

»Weshalb?« versetzte der Marschall; »weil es meine Pflicht ist, den König auch nicht auf einen Moment lang aus den Augen zu verlieren, und weil ich nicht erlauben werde – –«

»Nehmen Sie sich in Acht, Herr Marschall, unterbrach ihn der Regent mit einem unbeschreibbaren Ausdruck von Hoheit, »ich fürchte, Sie werden den mir gebührenden Respekt verletzen.«

 

»Gnädigster Herr,« nahm Villeroy, sich immer mehr und mehr erhitzend, wieder das Wort, »ich weiß eben so gut, welchen Respect ich Ew. Königlichen Hoheit schuldig bin, als ich die Pflichten kenne, die ich gegen mein Amt und den König habe, und deshalb werde ich St. Majestät auch nicht auf einen Augenblick lang aus den Augen verlieren, zumal da – –«. Er zögerte.

»Zumal was?« rief der Herzog, »fahren Sie fort, Herr Marschall, fahren Sie fort.«

»Zumal da ich für seine Person einstehen muß,« sprach der Marschall.

Der Herzog von Orleans erhob jetzt das Haupt mit einem stolzen verächtlichen Lächeln. »Mein Herr von Villeroy,« sprach er, »Sie vergreifen sich, wie es mir scheint, ungemein, Sie glauben zu einem Andern zu reden. Da Sie aber vergessen haben, wer ich bin, so muß ich Sie wohl daran erinnern. Marquis de Lafare, fuhr er darauf zu einem anwesenden Gardelieutenant gewandt fort, »thun Sie Ihre Schuldigkeit!

Jetzt erst sah der Marschall von Villeroy ein, welchen Abgrund er sich selbst erschlossen hatte; er öffnete den Mund, um eine Entschuldigung hervorzustammeln, der Regent aber ließ ihm nicht die Zeit seine Phrase zu vollenden, sondern schlug ihm die Thür des Cabinetts vor der Nase zu. Noch bevor sich der Marschall von seinem Schrecken erholen konnte, näherte sich ihm der Herr von Lafare, und bat um seinen Degen.

Herr von Villeroy stand einen Augenblick lang wie niedergedonnert da, er wollte sprechen, aber seine Zunge versagte ihm den Dienst, und auf die zweite Aufforderung, die in einem bestimmteren Tone ausgesprochen wurde, reichte er seinen Degen dem Herrn von Lafare hin.

In demselben Augenblick öffnete sich eine Thür; die Zimmer waren Parterre, ein Tragsessel wird herbeigeschafft, zwei Musquetaire heben den Marschall hinein, die Thür wird wieder zugeworfen, Lafare und der Lieutenant Artagan nehmen Platz an beiden Seiten, mehrere Cheveauxlegérs folgen und der Gefangene wird ohne Weiteres durch den Garten in ein Zimmer der Orangerie geschafft, wo die genannten Cavaliere allein bei ihm zurückbleiben.

Der Marschall, der endlich ruhiger geworden war, glaubte sich verloren. »Meine Herren,« rief er erblassend, »man hat doch hoffentlich nicht die Absicht, mich zu ermorden?«

»Nicht doch, Herr Marschall, nicht doch, beruhigen Sie sich,« erwiderte Lafare, »es handelt sich um eine weit einfachere, keinesweges tragische Sache.«

»Und warum handelt es sich denn?« fragte der Marschall, dem diese Versicherung seine Ruhe in etwas wiedergab. »Es ist die Rede von zwei Briefen, mein Herr, welche Sie dem Könige diesen Morgen übergeben wollten, und die sich in einer Tasche Ihres Rocks befinden müssen.«

Der Marschall von Villeroy fing wieder an zu zittern, und führte die Hand zu der Tasche, in welcher sich die Briefe befanden; er hatte über seine eigene Angelegenheit, bisher die der Herzogin von Maine vergessen.

»Entschuldigen Sie, Herr Marschall, rief Artagan, indem er die Hand Villeroys aufhielt, »wir sind authorisiert, Sie zu benachrichtigen, daß falls Sie suchen sollten uns diese Briefe vorzuenthalten, der Herr Regent davon die Abschriften besitzt.«

»So wie, daß wir, fügte Lafare hinzu, »in diesem Falle berechtigt sind, uns mit Gewalt in den Besitz dieser Briefe zu setzen; jede Folge die einen Kampf deshalb herbeiführen sollte, wird uns nicht zugerechnet werden.«

»Sie sagen meine Herren, daß der Herr Regent Abschriften von diesen Briefen habe?«, fragte Villeroy.

»Unser Ehrenwort darauf,« entgegneten Beide.

»In diesem Falle sehe ich nicht ein, meine Herren, warum ich Ihnen diese Briefe vorenthalten sollte, die mich übrigens ganz und gar nichts angehen, und die ich nur aus Gefälligkeit zu übergeben versprach.«

»Wir wissen das, Herr Marschall, versetzte Lafare.

»Ich hoffe indeß, meine Herren,« fuhr Villeroy fort, »Sie werden Sr. Königlichen Hoheit berichten, wie schnell ich bereit war, seinem Verlangen zu willfahren, und wie sehr es mich schmerzt, dieselben beleidigt zu haben.«

»Zweifeln sie nicht daran, Herr Marschall, es soll alles geschehen, wie Sie wünschen, aber die Briefe?«

»Hier sind sie,« sprach Villeroy, indem er Lafare die beiden Briefe überreichte.

»Artagan,« sprach darauf der Letztere, »führen Sie jetzt den Herrn Marschall nach dem Orte seiner Bestimmung, und behandeln Sie, so wie diejenigen, welche die Ehre haben werden, ihn zu begleiten, ihn mit der hohen Achtung, die seinen Verdiensten gebührt.«

Der Tragsessel ward darauf wieder geschlossen, die Träger wurden herbeigerufen, und der Marschall, der jetzt erst die Schlinge merkte, in die er gerathen war, ward bis zum Gartenthor getragen, wo ein mit sechs raschen Pferden bespannter Wagen hielt. Der Marschall ward in den Wagen hineingehoben, Artagan setzte sich ihm zur Seite, ein Offizier der Musquetairs und du Libois, ein Cavalier des Königs, nahmen den Rücksitz ein, eine Abtheilung berittener Musquetairs umringte den Wagen, man gab dem Kutscher ein Zeichen und der Wagen rollte schnell von dannen.

Der Marquis von Lafare kehrte darauf mit den beiden Briefen Philipps V. in der Hand, in den Palast zurück.