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Ritter von Harmental

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VII.
Der dritte Himmel

Bathilde wich einige Schritte zurück, denn sie fühlte, daß sie sonst in die Arme des jungen Mannes sinken würde. Raoul dagegen schloß schnell die Thür und warf sich zu Bathildens Füßen. Die beiden jungen Leute wechselten einen einzigen Blick der unaussprechlichsten Liebe, jeder von ihnen sprach den Namen des Andern aus, ihre Hände schlossen sich in einander, und alles war vergessen. Die beiden armen Herzen, die sich so viel zu sagen hatten, schlugen fast aneinander und schwiegen dennoch. Ihre ganze Seele hatte sich in ihre Augen gedrängt, und sie redeten die stumme Sprache, welche in der Liebe so ausdrucksvoll ist, und vor der gewöhnlichen Rede den Vorzug besitzt, daß sie niemals lügt.

So vergingen einige Augenblicke, dann lehnte sie sich zurück, um Athem zu schöpfen, und stammelte: »Großer Gott, was habe ich gelitten!«

»Und ich, ich!« rief Harmental, »ich, auf dem der Schein der Schuld lastet, und der dennoch schuldlos ist!«

»Schuldlos – schuldlos? fragte Bathilde, bei der ihre vorigen Zweifel wieder erstiegen.

»Ja schuldlos,« versetzte Raoul, und nunmehr erzählte er der Geliebten alles, was er ihr aus seinem Leben erzählen durfte: das heißt, seinen Zweikampf mit Lafare; und wie er als Folge desselben sich in der Rue du Temps perdu verborgen gehalten habe. Wie er darauf Bathilde zum erstenmal geschauet und wie seine innige Liebe für sie bei ihm entstanden say. Er schilderte ihr sein Glück, als ihm die Überzeugung geworden, daß sie ihn gleichfalls mit inniger Theilnahme betrachte. Da say ihm, als Obristen der Carabiniers, plötzlich der Befehl geworden, sich augenblicklich nach der Bretagne zu begeben; vor seiner Rückkehr nach Paris aber Ihre Hoheit der Frau Herzogin von Maine in Sceaux Bericht von dem Erfolge seiner Sendung abzustatten. Er hoffte, in Sceaux angelangt, dort schnell expediert zu werden, war aber dort gerade in das Fest hineingerathen, an dem er wegen seiner Stellung zu dem Herzog von Maine, Theil nehmen mußte. Er schloß seine Mittheilung mit den Versicherungen der innigsten Liebe und der unwandelbarsten Treue.

Jetzt kam Bathilde an die Reihe. Sie hatte gleichfalls eine lange Geschichte zu erzählen, aber in dieser Geschichte war nichts verborgen, es herrschte darin kein Dunkel, sie war einfach und klar. Sie schilderte ihm ihr ganzes Leben mit getreuen Farben. Ihre Abkunft, ihre beklagenswerthe Lage als verlassene Waise, die Zärtlichkeit und unbeschreibliche Sorge des wackeren Buvat, kurz sie erschloß ihm ihr Herz bis zu dem Augenblick, in welchem sie ihn, Harmental am Fenster erschauete. Da schwieg sie erröthend denn sie fühlte daß sie jetzt nichts mehr zu erzählen habe.

Damit war Raoul aber nicht zufrieden, er drang in sie und das arme Mädchen mußte erröthend und stockend alles mittheilen, was seit dem in ihrem Herzen vorgegangen war. So waren zwei Stunden, wie zwei Sekunden vergangen und noch befanden sich die jungen Leute in derselben Stellung. Harmental auf den Knieen vor Bathilden, sie hatte sich über ihn geneigt, ihre Hände ruhten in einander, Auge war auf Auge gerichtet, da ward plötzlich die Klingel angezogen. Bathilde warf einen raschen Blick auf die Uhr, die vierte Stunde war vorüber der, Kommende konnte kein Andrer als Buvat seyn.

Bathilde schrak mächtig zusammen, Raoul aber beruhigt sie lächelnd; er hatte ja den Vorwand, den der Abbé Brigaud ihm angegeben hatte. Die beiden Liebenden wechselten noch einen Händedruck, noch einen Blick der Liebe und Treue, dann öffnete Bathilde die Thür ihrem Pflegevater, welcher wie gewöhnlich, sie umarmte, einen Kuß auf ihre Stirn drückte und dann erst Harmental bemerkte.

Buvats Bestürzung war gränzenlos; es war das Erste mal, daß ein anderer Mann, als er bei seiner Pflegetochter eintrat; er blickte Harmental mit großen Augen an und die Gestalt desselben schien ihm nicht ganz unbekannt. Harmental trat mit jener Leichtigkeit auf ihn zu, die den feinen vornehmen Mann bezeichnet. »Ich habe die Ehre, mit Herrn Buvat zu reden?« sprach er.

»Der bin ich,« versetzte der ehrliche Abschreiber, indem er bei dem Klange der Stimme Raouls zitterte, denn auch diese schien ihm nicht unbekannt. Die Ehre ist ganz und gar auf meiner Seite.«

»Sie kennen den Abbé Brigaud?, fuhr Harmental fort.

»Ja, mein Herr, sehr gut. Es ist der – – der Beichtiger der Madame Denis.«

»Derselbe. Sie haben sich seinerzeit an ihn gewandt, damit er Ihnen Beschäftigung im Abschreiben verschaffe.«

»Ganz recht, mein Herr, denn ich bin Copist, Ihnen zu dienen.«

»Der Abbé Brigaud, mein Lehrer, hat Ihnen eine treffliche Kundschaft zugewandt.«

»Wirklich? Ey das freut mich. Setzen Sie sich doch, mein Herr.«

»Und wer ist es, der mir Arbeit geben will?«

»Der Prinz de Listhnay, Rue de Bac No. 10.«

»Ein Prinz, mein Herr, ein Prinz?«

»Ja, ein spanischer Prinz, wie ich glaube, er steht mit einer Zeitung in Madrid in Verbindung und berichtet derselben alle Neuigkeiten aus Paris.«

»Vortrefflich,« erwiderte Buvat, sich die Hände reibend.

»Es wird Ihnen aber einige Mühe machen,»nahm Harmental wieder das Wort, »denn alle seine Berichte sind in spanischer Sprache geschrieben. Aber man braucht nicht gerade eine Sprache zu verstehen, um in derselben Abschriften zu fertigen.«

»Ey, das versteht sich. Die Calligraphie ist gewissermaßen eine Kunst, wie das Zeichnen, sie besteht im genauen Nachmalen.«

»Und ich weiß, daß Sie in dieser Kunst ein Meister sind,« schmeichelte Harmental.

»Sie beschämen mich in der That, mein Herr,« entgegnete der wackere Abschreiber, »darf ich Sie jetzt fragen um welche Stunde ich Sr. Hoheit auf warten soll?«

»In einer Stunde, wenn es Ihnen paßt, nachdem Sie Ihr Mittagsmahl eingenommen, zwischen fünf und fünf ein halb Uhr. Sie haben doch die Adresse nicht vergessen?«

»Keineswegs, mein Herr, keineswegs, Rue de Bac No. 10, ich werde mich pünktlich einfinden.«

»Also auf Wiedersehen, mein Herr Buvat,« sprach Harmental, »und Sie Mademoiselle,« fuhr er zu Bathilden gewandt fort, »empfangen Sie meinen Dank, daß Sie die Güte hatten, mir, während ich Herrn Buvat erwartete, Gesellschaft zu leisten, eine Güte, für die ich Ihnen ewig erkenntlich seyn werde.«

Mit diesen Worten verbeugte sich Harmental noch einmal gegen Buvat und Bathilde, und verließ das Gemach.

»Das ist ein sehr liebenswürdiger junger Mann, bemerkte Buvat.

»Sehr liebenswürdig, wiederholte Bathilde maschinenmäßig.

»Es ist indeß seltsam, mir ist als hätte ich ihn schon früher gesehen.«

»Das ist wohl möglich, versetzte Bathilde.

»Seine Stimme war mir keinesweges fremd,« sprach Buvat nachdenkend.

Bathilde erschrak, denn sie erinnerte sich des Abends, an welchem Buvat ganz verstört zurückgekehrt war, wegen des ihm in der Rue des bonnes Enfans begegneten Abenteuers. Harmental hatte ihr in seiner Mittheilung nichts gesagt, was darauf Bezug hatte.

In diesem Augenblick erschien Nanette und berichtete, daß das Mittagsessen warte, und Buvat, welcher sich beeilen wollte, sich zu dem Prinzen zu begeben, trat zuerst in das kleine Speisezimmer. »Nun Mademoiselle, fragte Nanette leise, »er ist also zurückgekehrt, der hübsche junge Mann?«

»Ja Nanette, ja,« erwiderte Bathilde, mit zum Himmel emporgehobenem dankerfüllten Blick, »und ich bin sehr glücklich.« So sprechend folgte die Buvat, welcher ihrer bereits im Speisezimmer harrte.

Was unsern Harmental betraf, so war er nicht minder glücklich als Bathilde. Er wußte, daß er geliebt say; Bathilde hatte es ihm mit derselben Freude gesagt, mit der sie die Erklärung seiner Liebe von ihm vernommen hatte. Er war geliebt, aber nicht von dem armen unbedeutenden Mädchen, von einer Grisette – sondern von einer Jungfrau, deren Vater bei dem Herzoge von Orleans, einem wichtigen Ehrenamte vorgestanden hatte. Nichts also stand einer Verbindung zwischen Harmental und Bathilden im Wege. Nur eines hatte er vergessen, das Geheimniß, welches er Bathilden nicht entschleiert hatte, weil es ihm nicht angehörte, diese Verschwörung die zu seinen Füßen einen Abgrund grub, der ihn jeden Augenblick verschlingen konnte.

Harmental aber war weit entfernt, die Dinge in diesem Lichte zu betrachten. Harmental war gewiß, daß er geliebt say, und diese Gewißheit verleiht dem noch so trüben und dunklen Himmel des Verliebten, die freundliche Farbe der Rose.

Ihrerseits hegte Bathilde gleichfalls keinen düstren Zweifel hinsichtlich der Zukunft. Das Wort »Heirath« war zwar weder von ihr noch von Harmental ausgesprochen worden, ihre beiden Herzen aber hatten sich einander in ihrer ganzen Reinheit gezeigt, und kein schriftlich abgefaßter Contract war so gültig, als die Ansprüche derselben; auch befand sich Bathilde, nachdem Buvat nach dem Mittagsessen Hut und Stock genommen hatte, um sich zu dem Prinzen Listhnay zu begeben, kaum allein, als sie auch sofort auf ihre Knie sank, um dem Ewigen zu danken, worauf sie freudig und vertrauensvoll ohne Zögern das verhängnißvolle Fenster öffnete, welches so lange geschlossen gewesen war. Was unsern Harmental betraf, so hatte er seit seiner Rückkehr in sein Stübchen das seinige nicht verlassen.

In wenigen Augenblicken waren die Liebenden über Alles einverstanden. Die gute Nanette sollte in das Vertrauen gezogen werden. Jeden Tag, wenn Buvat sich entfernt haben würde, sollte Harmental herüber kommen, und zwei Stunden bei Bathilde bleiben. Die übrige Zeit wollte man an den Fenstern mit einander plaudern. Und mußten diese geschlossen seyn, wollte man sich schreiben.

Gegen sieben Uhr Abends sah man den wackern Buvat um die Ecke der Rue Montmartre biegen; er schritt gravitätisch und majestätisch daher, und hielt in der einen Hand seinen Stock, in der anderen eine Rolle Papier; man sah in seinem Antlitz, daß ihm etwas Großes begegnet seyn müsse. Buvat war zu dem Prinzen eingeführt worden, und hatte mit dem gnädigen Herrn selbst gesprochen.

 

Die beiden Liebenden gewahrten Buvat erst, als er sich unter ihnen befand. Harmental schloß sofort das Fenster. Bathilde war einen Augenblick lang besorgt gewesen, daß Harmental, als er des Prinzen Listhnay erwähnte, nur ein Mährchen vorgebracht habe, um seine Anwesenheit zu entschuldigen, und da sie keine Zeit gehabt hatte, den Geliebten deshalb zu befragen, so sah sie jetzt der Rückkehr ihres, ihr so theuren Pflegevaters, mit einiger Besorgniß entgegen. Das Antlitz Buvats aber glänzte vor Freude.

»Nun, lieber Papa?« fragte Bathilde, noch immer ein wenig ängstlich.

»Ich habe mit Sr. Hoheit selbst gesprochen,« bemerkte Buvat.

Bathilde schöpfte Athem.

»Ein schöner Mann, sag’ ich Dir, Bathilde, fuhr Buvat fort, »mehr als fünf Fuß acht Zoll hoch, von majestätischem Ansehen, er wirft mit den Louisd’ors um sich, als ob es Pfennige wären. Er bezahlt mir meine Abschriften mit fünfzehn Livres für die Seite, und hat mir 25 Louisd’ors im Voraus eingehändigt.«

Jetzt durchzuckte Bathildens Köpfchen eine andere Besorgniß: sie glaubte, daß Raoul die Absicht habe, ihrem Pflegevater auf diese Weise Geld in die Hände zu spielen, welches er wähnte, verdient zu haben. Diese Idee hatte etwas so Demüthigendes, daß Bathildens Herz zusammengepreßt ward. Sie warf einen Blick auf Harmentals Fenster und sah, daß er verstohlen hinter einer Scheibe desselben, mit einem solchen Ausdruck der Liebe nach ihr schaute, daß sie schnell alles Uebrige vergaß, außer ihn anzusehen. Und dies that sie mit einer so gänzlichen Vergessenheit, daß sogar der ehrliche Buvat es bemerkte, und sich ihr näherte, um zu erfahren, was ihre Aufmerksamkeit so ausschließlich in Anspruch nähme. Harmental aber hatte ihn erblickt und ließ schnell den Vorhang fallen, so daß Buvats Neugier unbefriedigt blieb.

»Also lieber Papa, Sie sind zufrieden?« fragte Bathilde schnell.

»Das will ich meinen, liebe Bathilde. Aber ich muß Dir noch Etwas mittheilen. Du weißt ich sagte Dir, daß mir die Gestalt und die Stimme des jungen Mannes bekannt schienen.«

»Ganz recht. Nun?«

»Denke nur, als ich heute die Rue des bonnes Enfans passierte, und vor dem Hause No. 25 vorbeikam, ging mir plötzlich ein Licht auf. Es war mir, als ob dieser junge Mann derselbe say, der mir in jener furchtbaren Nacht entgegen trat, an die ich nie ohne Schrecken denken kann.«

»Ei lieber Papa, welch ein Gedanke,« versetzte Bathilde, indem sie selbst ein wenig schauderte.

»Ja, was sagst Du dazu? Ich war schon auf dem Punkte wieder umzukehren, denn ich dachte, dieser Prinz von Listhnay könnte wohl gar das Oberhaupt der Räuberbande seyn, und ich würde auf diese Weise in eine Diebeshöhle gelockt. Da ich aber niemals Geld bei mir trage, so sah ich ein, daß ich nichts zu besorgen hatte, und setzte zum Glück für mich meinen Weg fort!«

»Und jetzt mein lieber Papa, nicht wahr, sind Sie überzeugt, daß der gute junge Mann, der heute im Auftrage des Abbé Brigaud hier war, nicht derselbe ist, der Ihnen in der Rue des bonnes Enfans begegnete?«

»Allerdings! Wie kann ein Räuberhauptmann mit einem Prinzen in Verbindung stehen?« Aber da stehe ich und plaudere, und vergesse die Arbeit. Ich habe Sr. Hoheit versprochen, sogleich daran zu gehen, und muß mein Wort halten Also gute Nacht mein liebes Kind, gute Nacht!«

»Gute Nacht, mein lieber Papa!«

Und Buvat ging auf sein Zimmer hinauf, und setzte sich an eine Abschriften, die ihm der Prinz de Listhnay im Voraus so großmüthig bezahlt hatte. – Was die Liebenden betraf, so knüpften sie ihre durch Buvats Ankunft unterbrochene Unterhaltung wieder an, und der Himmel weiß, wann die beiden Fenster geschlossen wurden.

VIII.
Der Nachfolger Fenelons

Dank der zwischen den beiden Liebenden getroffenen Verabredung, es schwanden ihnen die nächsten drei oder vier Tage, wie Augenblicke dahin; sie waren während dieser Zeit die glückseligsten Geschöpfe der Welt. Die Erde aber, die für sie still zu stehen schien, drehte sich nichts desto weniger für die übrige Menschheit, und die Begebenheiten, welche sie in einem Moment, in welchem sie es am wenigsten erwarteten, aus ihrem Liebesrausche aufschrecken sollten, bereiteten sich schweigend vor.

Der Herzog von Richelieu hatte pünktlich sein Wort gehalten. Der Marschall von Villeroy war am vierten Tage seiner Abwesenheit durch einen Brief seiner Gemahlin, der Marschallin, wieder zurückgerufen worden, welche ihm schrieb, daß seine Gegenwart bei dem Könige in diesem Augenblicke mehr als je nothwendig say. Als Gouverneur des Königs hatte der Marschall das Vorrecht, ihn nur auf seinen eigenen ausdrücklichen Befehl zu verlassen, und bei ihm zu bleiben, wer auch immer zu ihm eintreten möge, den Prinz Regenten selbst nicht ausgenommen. Es war besonders in Rücksicht des Letzteren, daß der Herzog von Villeroy eine auffallende Vorsicht affectirte, und da diese Vorsichtsmaßregeln dem Hasse der Herzogin von Maine und ihrer Partei zusagte, so lobten sie deshalb den Marschall ungemein; auch ward das Gerücht verbreitet, daß derselbe auf dem Camin Ludwigs XV. vergiftete Bonbons entdeckt habe, von denen man nicht wußte, wer sie hingelegt. Das Resultat von diesem allen, war eine gesteigerte Verläumdung gegen den Herzog von Orleans, und eine Vermehrung des Einflusses des Marschalls von Villeroy, der den jungen Monarchen glauben gemacht hatte, daß er ihm die Erhaltung seines Lebens verdanke. Das auf diese Weise eingeschüchterte arme königliche Kind, setzte daher auch nur Vertrauen in den Marschall von Villeroy und in den Herrn von Frejus.

Herr von Villeroy war also ganz der Mann, um den Auftrag zu übernehmen, den man für ihn bestimmt hatte. Nachdem er noch eine Weile überlegt hatte, ward beschlossen, daß am folgenden Montag, wo der Regent wegen des am Sonntag stattfindenden Soupers, den König nur selten sah, diesem die beiden Briefe des Königs von Spanien, Philipp des Fünften vorgelegt werden sollten. Der Herzog von Villeroy sollte alsdann den Tag seines Alleinseyns mit seinem königlichen Zögling benutzen, um von diesem die Zusammenberufung der Generalstaaten zu erlangen; die dann auf der Stelle expediert, und am folgenden Morgen, noch bevor der Regent den jugendlichen Monarchen gesprochen, veröffentlicht werden sollte, so daß diese Maßregel nicht mehr widerrufen werden könne.

Während diese Verschwörung gegen ihn eingeleitet wurde, setzte der Herzog von Orleans seine gewöhnliche Lebensweise, die aus Arbeit, Studium, Vergnügungen, und ganz besonders auch aus häuslichen Tracaßerien bestand, fort. Drei seiner Töchter machten ihm wahrhaften Verdruß. Frau von Berry, die er über Alles liebte, weil sie ihm sein in einer Krankheit von den Aerzten schon aufgegebenes Leben gerettet hatte, lebte öffentlich mit Riom, den sie bei jedem Vorwurfe ihres Vaters zu heirathen drohte.

Mademoiselle de Chartres ihrerseits beharrte noch immer in ihrem Entschlusse, den Schleier zu nehmen, ohne daß man wußte, ob dieser Vorsatz durch einen verliebten Aerger, oder durch einen wirklichen inneren Beruf herbeigeführt say. Es ist erwiesen, daß sie, obgleich schon Novize, sich allen weltlichen Vergnügungen hingab, die in das Kloster eingeführt werden konnten, auch hatte sie sogar in ihre Zelle Gewehre, Pistolen, Raketen und Dinge ähnlicher Art schaffen lassen, denn jeden Abend bereitete sie ihren jungen Freundinnen eine pyrotechnische Unterhaltung. Sie verließ übrigens niemals das Kloster de Chelles, wo ihr Vater sie jeden Mittwoch besuchte.

Die dritte Person der Familie des Regenten, welche diesem gleichfalls vielen Aerger bereitete, war Demoiselle de Valois, von der er glaubte, daß sie Richelieu’s Geliebte say; obgleich er sich in dieser Rücksicht keine Gewißheit verschaffen konnte, so sehr er auch die beiden Liebenden durch seine geheime Polizei beobachten ließ. Sein Argwohn ward noch durch ihre Weigerung bestärkt, dem Prinzen von Piemont ihre Hand zu reichen. Der Regent aber bestand in dieser Rücksicht fest auf ein Verlangen und die Liebenden wußten nicht mehr aus noch ein, als eine ganz unerwartete Begebenheit die Verhandlung plötzlich abbrach. Madame, die Mutter des Regenten, hatte mit ihrer deutschen Freimüthigkeit an die Königin von Sizilien, eine ihrer fleißigsten Correspondentinnen, geschrieben, daß sie sie zu sehr liebe, um ihr nicht mitzutheilen, daß die junge Prinzessin, die man dem Prinzen von Piemont zur Gemahlin bestimme, schon einen Geliebten habe, und daß dieser Geliebte der Herzog von Richelieu say. Man kann sich leicht denken, daß von der anderen Seite sofort alles abgebrochen wurde, und einen Tag nach dem dies geschehen, erfuhr es der Regent, so wie die Ursache des Bruches. Er hatte einige Tage lang mit seiner Mutter gezürnt und ihre Schreibseligkeit zum Teufel gewünscht; da er aber einen überaus versöhnlichen Charakter besaß, so lachte er bald selbst über diese Angelegenheit, von der er übrigens durch eine andere, nämlich durch Dubois Zudringlichkeit abgezogen wurde, der mit aller Gewalt Erzbischof werden wollte.

Wir haben bereits bei Dubois Rückkehr von London gesehen, in welchem Lichte der Herzog von Orleans sein Gesuch betrachtete; doch Dubois war nicht der Mann, sich durch eine abschlägliche Antwort zurückschrecken zu lassen. Das Erzbisthum Cambrai war durch den Tod des in Rom verstorbenen Cardinals Tremouille erledigt worden, es war eine der reichsten und angesehendsten Pfründen, welches ein jährliches Einkommen von 150.000 Livres einbrachte. Da nun Dubois das Geld ungemein liebte, und sich jedes nur erdenklichen Mittels bediente, um sich dasselbe zu verschaffen, so weiß man nicht, ob es mehr die bedeutenden Einkünften, oder die Ehre, ein Nachfolger Fenelons zu werden, war, was ihn nach dieser Würde so sehr trachten ließ.

Bei der ersten Gelegenheit brachte er demnach diese Geschichte wieder auf das Tapet; der Herzog wollte, wie das Erste mal, aus der Angelegenheit einen Scherz machen, Dubois aber nahm die Sache ernster und ward immer dringender. Der Regent konnte keine Langeweile ertragen und Dubois begann ihn nachgerade mit seiner Zudringlichkeit so zu ennuyiren, daß der Regent endlich, um der Sache auf einmal ein Ende zu machen, ihn aufforderte, einen Prälaten aufzufinden, der es übernehmen würde, ihn einzuweihen.

»Ist es weiter nichts?« rief der Abbé Dubois, »der ist leicht gefunden, gnädigster Herr.

»Unmöglich, ganz unmöglich, meinte der Herzog.

»Ew. Hoheit werden sich gleich überzeugen, entgegnete Dubois, indem er schnell das Cabinet verließ. Nach fünf Minuten schon kehrte er zurück.

»Nun?« fragte der Regent.

»Ich habe unsern Mann,« versetzte Dubois.

»Und wer ist der fromme Mann, der einen frommen Mann wie Dich einweihen will?«

»Ew. Hoheit erster Almosenier, gnädigster Herr.«

»Der Bischof von Nantes?«

»Derselbe.«

»Tressan?«

»Kein Anderer.«

»Unmöglich!« rief der Regent.

»Sehen Ew. Hoheit selbst. Da ist er schon.«

In diesem Augenblick ward die Thür geöffnet, und der Huissier meldete: den Herrn Bischof von Nantes.

»Kommen Sie, kommen Sie,« rief ihm Dubois entgegen, »Sr. Königlichen Hoheit ehren uns alle Beide. Mich, indem Sie mich zum Erzbischof von Cambrai ernennen, Sie, indem Sr. Hoheit Sie wählen mich einzuweihen.«

»Herr Bischof von Nantes, nahm der Regent das Wort, »sind Sie wirklich bereit, aus unserm Abbé hier einen Erzbischof zu machen?«

»Die Wünsche Ew. Hoheit sind mir stets Befehle,« lautete die Antwort.

»Aber Sie wissen doch, er besitzt nur die Tonsur, keine höhere Würde.«

»Was thut das zur Sache, gnädigster Herr?« fiel Dubois ein, »der Herr Bischof von Nantes wird Ihnen sagen, daß alles was mir fehlt, mir an einem einzigen Tage verliehen werden kann.«

»Aber man hat bisher keine Beispiele.«

»Doch, doch, gnädigster Herr, St. Ambroise zum Exempel.«

»Nun, wenn Du die Väter der Kirche für Dich hast, dann habe ich nichts einzuwenden,« lächelte der Regent, »ich überlasse Dich also dem Herrn von Tressan.«

»Ich werde Ihnen den Herrn Abbé mit dem Krummstabe und der Mitra wieder zustellen, gnädigster Herr.«

»Aber es fehlt doch der Grad eines Licenciaten, erwiderte der Regent, den die Sache zu belustigen anfing.

»Die Universität von Orleans hat mir versprochen – –«

»Du bedarft der Zeugnisse?«

»Ist denn Beson nicht da?«

»Eines Attestes über ein sittenreines Leben,« lachte der Herzog von Orleans.

»Nouailles wird mir unbedingt ein solches ausstellen!«

»Daran zweifle ich denn doch, Abbé.«

»Nun, dann fertigen mir Ew. Hoheit ein solches aus. Zum Henker, die Unterschrift des Regenten in Frankreich wird in Rom doch eben so viel gelten, als die eines armseligen Cardinals!«

 

»Dubois, ich bitte, etwas mehr Respekt für die Fürsten der Kirche,« sprach der Regent.

»Ew. Hoheit haben Recht, man weiß nicht was aus einem noch werden kann.«

»Du, ein Cardinal, das wäre schön!« rief der Herzog, indem er in ein lautes Gelächter ausbrach.

Man muß an nichts verzweifeln, gnädigter Herr, versetzte Dubois, warum sollte ich nicht noch einmal Papst werden können? Gott erhalte uns Beide nur noch lange am Leben und Sie werden Wunderdinge schauen.«

Bah, ich fürchte mich nicht vor dem Tode. bemerkte der Herzog.

»Das ist nur leider zu wahr,« sprach der Abbé, »Ew. Hoheit würden aber wohl thun, die nächtlichen Ausflüge einzustellen.

»Und weshalb?«

»Weil Ihr theures Leben dabei in Gefahr kommen kann, gnädigster Herr.«

»Was kümmerts mich?«

»Auch aus einem andern Grunde.«

»Der wäre?«

»Weil,« entgegnete Dubois mit scheinheiliger Mief, »weil diese Ausflüge ein Anstoß für die heilige Kirche sind.«

»Geh zum Teufel!« lachte der Regent.

»Sie sehen, mein Herr,« sprach Dubois zu dem Bischof von Nantes gewandt, unter welchen Wüstlingen und verhärteten Sündern ich zu leben genöthigt bin; ich hoffe, daß Ew. Eminenz das berücksichtigen, und gegen mich nicht allzu strenge seyn werden.«

»Wir werden unser Bestes thun,« mein Herr,« antwortete Tressan.

»Und wann soll die heilige Handlung vor sich gehen?« fragte Dubois, der keinen Augenblick verlieren wollte.

»Sobald Sie alles in Ordnung gebracht haben werden.«

»Ich bedarf dazu nur dreier Tage.«

»Wolan, am vierten stehe ich zu Ihrem Befehl.«

»Heut haben wir Sonnabend – also am Mittwoch.«

»Am Mittwoch denn,« entgegnete Tressan.

»Ich muß Dich aber auch noch zuvor darauf aufmerksam machen,« nahm der Regent wieder das Wort, »daß bei Deiner Einweihung eine bedeutende Person fehlen wird.«

»Und wer würde es wagen, mir diese Beleidigung anzuthun?«

»Ich!«

»Sie, gnädigster Herr, Sie werden zugegen seyn!«

»Ich sage Dir, nein!«

»Ich wette tausend Louisdors!«

»Und ich gebe Dir mein Ehrenwort!«

»Ich wette das Doppelte.«

»Unverschämter!«

»Auf Mittwoch also, mein Herr von Tressan; auf Wiedersehen bei meiner Einweihung, gnädigter Herr!«

Und Dubois eilte freudig von dannen, um überall eine neue Ernennung auszuposaunen.

Dubois hatte sich indeß in einer Sache getäuscht, nämlich in der Bescheinigung des Cardinals von Nouailles. Alle angewandten Bitten, Versprechungen und Drohungen halfen zu nichts; er weigerte sich hartnäckig, das Attestat der Sittenreinheit für Dubois auszustellen. Es ist wahr, daß er der Erste und Einzige war, welcher die schöne und edle Handlung beging, sich dem Scandal zu widersetzen, von dem die Kirche bedroht war. Die Universität von Orleans, ertheilte das Licentiat; Beson, der Erzbischof von Rouen, lieferte das Verlangte, und da Alles zu dem bestimmten Tage in Bereitschaft war, begab sich Dubois um fünf Uhr Morgens, in Jagdkleidung, nach Pontoise, wo Herr von Tressan seiner harrte und ihm die unteren priesterlichen Würden verlieh; gegen Mittag war Alles beendet, und um vier Uhr Nachmittags kehrte Dubois aus dem Regierungs-Conseil, dem er im alten Louvre, wo dasselbe der in den Tuilerien herrschenden Masern wegen, damals gehalten wurde, beigewohnt hatte, in erzbischöflichem Ornate in seine Wohnung zurück. Die erste Person, die er dort in seinem Zimmer traf, war die Fillon. Als Agentin der geheimen Polizei, hatte sie zu jeder Stunde Zutritt bei dem Minister, und so hatte man, trotz der Feierlichkeit des Tages, zumal da sie behauptete, Dinge von Wichtigkeit mittheilen zu müssen, es nicht gewagt, sie zurückzuweisen.

»Du hier, heut!« rief Dubois, als er seine alte Freundin gewahrte. »Traun,, an diesem Tage ein seltsames Zusammentreffen!«

»Ei was, Gevatter!« lachte die Fillon, »wenn Du undankbar genug bist, Deiner alten Freunde nicht zu gedenken, so bin ich nicht dumm genug, die meinigen zu vergessen, zumal wenn sie höher steigen.«

»Was soll denn das?« fragte Dubois, indem er anfing die Zeichen seiner heiligen Würde abzulegen, »wirst Du mich immer noch Gevatter nennen, mich, der ich jetzt Erzbischof bin?«

»Ey, das versteht sich, lachte die Fillon, »das Erste mal, daß ich den Regenten zu Gesicht bekomme, werde ich ihn ersuchen, mich zur Aebtissin zu ernennen, damit wir beide gleichen Schrittes vorwärts gehen.«

»Er kommt also noch immer zu Dir, der Bruder Liederlich?«

»Ach, leider nicht mehr um meinetwillen, Gevatter! Die schönen Tage sind vorüber, aber ich hoffe, daß er um Deinetwillen zu mir zurückkehren, und daß also dadurch Deine Erhebung meinem Hause von Nutzen seyn wird.«

»Die Zeiten, meine liebe Gevatterin, haben sich gewaltig verändert, erwiderte Dubois, »Du siehst ein, daß ich jetzt nicht mehr zu Dir kommen kann wie früher.«

»Ey, Du bist sehr stolz geworden. Kommt doch selbst Philipp noch dann und wann.«

»Philipp ist nur Regent von Frankreich, ich aber bin Erzbischof. Aber um von anderen Dingen zu reden: Weißt Du auch, daß Du seit einiger Zeit Dein Geschäft als Agentin der geheimen Polizei ungemein vernachlässigt? wenn das sich nicht ändert, wirst Du Deines Amtes entsetzt werden.«

»So also behandelst Du Deine alten Bekannten rief die Fillon. Ich kam grade hierher, um Dir eine Entdeckung zu machen, jetzt aber kommt kein Wort über meine Lippen und Du erfährst nichts.«

»Rede, rede, ist etwa Spanien dabei im Spiele? so sprich doch,« rief heftig der neue Erzbischof, indem er die Stirn runzelte, denn er errieth instinktmäßig, daß die Gefahr von dieser Seite kam.

»Ich habe nichts zu sagen, gar nichts, also gute Nacht!« rief die Fillon, indem sie einige Schritte gegen die Thür trat.

»Ey, so bleibt doch, Gevatterin, entgegnete Dubois, während er sich seinerseits einem Schreibtische näherte; und die beiden alten Bekannten, die so würdig waren, einander zu verstehen, blickten sich einen Moment lang an und lachten.

»Nun ich sehe doch, Gevatter, Du bist noch nicht ganz verloren,« sprach die Fillon; »öffne daher nur immerhin Deine Schatulle und laß mich sehen was sie im Leibe hat; ich öffne dagegen meinen Mund und erschließe Dir mein Herz.«

Dubois zog eine Rolle von hundert Louisdors hervor und zeigte sie der Fillon.

»Wie viel enthält denn die Bratwurst? aber sprich die Wahrheit, Gevatter, und lüge mir nichts vor; sonst werde ich es nachzählen, damit Du mich nicht betrügt.«

»2400 Livres! traun ein hübsches rundes Sümmchen, will ich meinen!«

»O ja, für einen Abbé allenfalls, aber nicht für einen Erzbischof.«

»Aber weißt Du, Unglückskind, denn nicht, wie schlecht es mit den Finanzen steht?«

»Wie kann Dich das beunruhigen, Spaßvogel? Kann doch der Law Euch Millionen schaffen?«

»Willst Du etwa statt dieser Goldrolle 10.000 Livres in Assignationen auf den Mississippi?«

»Schönen Dank, lieber Schatz, schönen Dank, ich ziehe die hundert Louisd’ors vor. Ich bin eine ehrliche Haut, weiß Du, und ein anderes Mal wirst Du freigebiger seyn!«

»Wolan, jetzt rede, was hast Du mir zu sagen?«

»Zuvor, Gevatter, muß Du mir etwas versprechen.«

»Und was dann?«

»Daß, da von einem alten Freunde die Rede seyn wird, ihm kein Leid zugefügt werden soll.«

»Wenn nun aber Dein alter Freund den Galgen verdient? Geh’ zum Teufel, ich kann das nicht versprechen.«

»Also gute Nacht, Gevatter, da liegen die hundert Louis d’ors.«

»Ey was, ich glaube, Fillon, Du wirst gewissenhaft.«

»Das nicht, aber ich habe jenem alten Freunde Verpflichtungen, er hat mich in die Welt eingeführt?«

»Nun, der kann sich rühmen, der menschlichen Gesellschaft einen schönen Dienst geleistet zu haben!«

»Er wird es wenigstens nicht zu bereuen haben; ich rette ihm heute das Leben, da ich Dir nichts offenbare.«

»Nun denn, Gevatterin, sein Leben soll verschont bleiben, ich verspreche es Dir, Bist Du jetzt zufrieden?«

»Und wobei versprichst Du mir das?«

»Auf meine Ehre!«

»Gevatter, Gevatter, Du willst mich betrügen!«

»Aber weißt Du, daß Du mir Langeweile macht?«

»Ich ennuyire Dich? Gut, Adieu!«

»Weißt Du was, Gevatterin, ich werde Dich festhalten lassen?«