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Olympia von Clèves

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»Oh! mein Fräulein, Sie sind nun sehr unglücklich!«

»Ich? Sie irren sich. Ich bin frei, das ist das Ganze,« erwiderte Olympia lächelnd.

In diesem Augenblick klopfte man zum zweiten Male an die Hausthüre, diesmal jedoch aus eine viel kräftigere Art als das erste Mal.

XV.
Die Jesuiten im Schauspiel

Ehe wir unsern Lesern sagen, welcher neue Überlästige den Helden und die Heldin dieser Geschichte gerade in dem zarten Augenblick, zu dem wir sie geführt, störte, ist es, wir denken dies wenigstens, unerläßlich, aus einige Augenblicke zu den Personen zurückzukehren, die, obgleich allerdings minder wichtig, doch nicht ganz von uns verlassen werden dürfen, da sie bei dieser ein wenig romanhaften Handlung beteiligte Parteien sind.

Wir sprechen von der Gesellschaft Jesu, welche während der drei bis vier letzten Kapitel ein wenig von uns geopfert worden ist. Wir wollen mit unsern Lesern vom Puter Mordon und vom Pater de la Sante sprechen, die uns zu mächtige Schauspieler zu sein scheinen, um so ihre Rollen sich beschneiden zu sehen.

Wir haben gesagt, die Jesuiten seien ins Theater gegangen; in jenen Zeiten war es den Priestern erlaubt, die Literatur anzuhören und die Moral zu beurteilen. Es war eine angenommene Idee, der Prediger könne vom Histrio einige seiner Gebärden und seiner Darstellungsmittel entlehnen. Alles, was zur Verherrlichung Gottes zu dienen vermochte, wurde als gute Prise betrachtet, besonders von der Gesellschaft Jesu.

»Ad majorem dei gloriam, « sagte der Gesellschaftswahlspruch.

Es konnte also für die Verherrlichung Gottes wichtig sein, daß die ehrwürdigen Väter Mordon und de la Sante die Verse des Heiden Voltaire, vorgetragen von den abtrünnigen Komödianten, anhörten.

Man durfte nicht bezweifeln, es würden der Pater Mordon in einer seiner Predigten und der Pater de la Sante in einem seiner heiligen Trauerspiele mit Nutzen einige in diesem Misthaufen gefundene Goldtheilchen anwenden. Margaritas in sterquilinio.

Darum halte Banniére hinter seiner Säule verborgen, zur Stunde, wo das Schauspiel anfing, zwei Jesuiten im Wagen vor der Thür des Theaters ankommen sehen.

Wir haben gesagt, Banniére sei bei diesem Anblick von einem solchen Schrecken ergriffen worden, daß, er sich aus der Stelle in den Gang des Theaters geflüchtet.

Sein Schrecken war so groß gewesen, daß er sich nur Zeit gelassen hatte, das Ende des Rockes und die Spitze des Hutes zu erschauen. Diese zwei Brüche der Kleidung der ehrwürdigen Väter hatten genügt, ihn seinen Posten mit der Hast, von der wir gesprochen, verlassen zu machen.

Es wäre, wie man leicht begreift, etwas Anderes gewesen, hätte er erraten können, wer die wichtigen Personen waren, deren Leib diese Röcke bekleideten, deren Kopf diese Hüte bedeckten.

Was die guten Väter betrifft, so hatten sie nicht einmal das Ende des Rockes und die Spitze des Hutes von Banniére gesehen, und so sehr wir auch von ihrem Scharfsinn überzeugt sind, so sagen wir doch, hätten sie dies auch gesehen, sie wären weit entfernt gewesen, zu erraten, von den dreihundert ihrem Orden untergebenen jungen Leuten sei derjenige, welcher so behende vor ihnen fliehe, der Gefangene der Meditationsstube.

Die guten Väter traten also ein, ohne auch nur im Geringsten an Banniére zu denken, und nahmen Besitz von einer kleinen vergitterten Loge, – eine Batterie von wo aus sie mit glühenden Kugeln auf Voltaire, schießen und in aller Ruhe ihre Beute machen konnten, was der Religion einen doppelten Vorteil bot.

Der Pater de la Sante besonders, der am Tage vorher Champmeslé Beichte gehört hatte, der Pater de la Sante versprach sich ein gewisses Vergnügen, seinen Bußfertigen in der Ausübung seiner Schwächen und in der Begehung seiner Sünden zu sehen, und während der Beichtiger nachsichtig gewesen, drohte der Kritiker, es nicht zu sein.

Es geschah in diesem Moment, wo unter seinen dicken, grauen Brauen seine Augen von einer Feindseligkeit, welche bei diesen, vortrefflichen Manne noch etwas Wohlwollendes hatte, zu glänzen anfingen, daß der Redner der Truppe sein Vergnügen dadurch störte, daß er die Unpässlichkeit von Champmeslé und das Anerbieten der Gefälligkeit eines Stellvertreters ankündigte.

Die guten Väter brummten ein wenig, aber sie mussten, wie alle Welt, diesen Unfall in Geduld hinnehmen, und belebt durch die Vorstellung der zwei ersten Acte, in denen man viel von Herodes spricht, ohne daß Herodes in denselben erscheint, hatten sie diese Substitution beinahe vergessen, als der syrische König im dritten Akt auftrat.

Dieses Austreten, das wir an seiner Stelle beschrieben haben, machte den Eindruck aus die ehrwürdigen Väter, den es aus die übrigen Zuschauer machte, aber nach einigen Secunden fingen seltsame Empfindlichkeiten an im Geiste von jedem derselben zu erwachen.

Diese Stimme, dieser Gang, was man von diesem Gesicht sah, – der Bart und die Perücke verbargen, wie man sich erinnert, einen großen Teil davon, – Alles dies, sagen wir, rief ins Gedächtnis der zwei Jesuiten ein Individuum ihrer Bekanntschaft, aber aus eine so schwankende, so unbestimmte Art, so groß war die Entfernung von dem mit Sammet und Seide bedeckten Herodes bis zu Banniére in seiner schwarzen Robe und mit dem dreieckigen Hut, daß Beide den Kreis Ihrer Bekannten erschöpften, ohne bei Banniére stehen zu bleiben; dann verriet sich plötzlich durch eine Gebärde, durch eine Betonung, durch eine angenommene Gewohnheit der Debütant jedem von ihnen, so daß sich jeder von ihnen augenblicklich, noch leise aber, sagte, denn weder der Eine, noch der Andere wagte es, einen so ungereimten Gedanken an den Tag zu legen: »Das ist Banniére!«

Eine Folge hiervon war, daß, als einige Secunden, nachdem dieses Licht in ihrem Geiste aufgegangen, Herodes durch eine richtige Intonation und einen leidenschaftlichen Aufschwung den Beifall des Parterre gewonnen und einen Sturm von Bravos erregt hatte, der Pater de la Sante. der sich von seiner Künstlernatur hinreißen ließ, an diesem für das Ohr des Schauspielers so süßen Konzert Teil zu nehmen, ausrief:

»Der Bursche spielte den Isaak zu gut, als daß es ihm nicht hätte gelingen sollen, eines Tags den Herodes trefflich zu geben.«

Dieser Ausruf antwortete so gut dem Gedanken, der sich ganz leise im Geiste des Pater Mordon bildete, daß er sein flammendes Auge aus de la Sante heftete, ihn beim Handgelenke packte und zu ihm sagte:

»Nicht wahr, er ist es?«

»Ich gestehe,« erwiderte der lateinisch« Tragiker, »wenn Sie von einer Ähnlichkeit sprechen wollen.«

»Nicht wahr, unerhört?«

»Fabelhaft.«

»Zwischen diesem Schauspieler und dem kleinen Banniére?«

»Sie finden also wie ich?«

»Das heißt, ich würde daraus schwören, wenn. . .«

»Gerade wie ich, wenn ich nicht durch einen Zweifel zurückgehalten würde. . .«

»Durch welchen Zweifel?«

»Daß ich Banniére in die Meditationsstube eingesperrt habe.«

»Sie selbst?«

»Ich selbst.«

»Nun?«

»Nun!« erwiderte Mordon lächelnd. »Sie wissen, mein Bruder, daß diese Stube mit vortrefflichen Riegeln geschlossen ist.«

»Das ist ein Grund,« murmelte der Pater de la Sante, »jedoch . . .«

»Jedoch?«

»Es sind so sehr seine Stimme, sein Gang, seine Gebärde, besonders für mich, der ich den Jungen habe probiren lassen . . .«

»Thun Sie mir einen gefallen, mein Bruder.«

«Zu Ihren Befehlen, mein Ehrwürdiger.«

»Gehen Sie ins Noviciat und sehen Sie nach.«

Der Pater de la Sante machte ein saures Gesicht. Es war nicht sehr anziehend für ihn, sich in seiner süßen Beschäftigung stören zu lassen. Seine Überzeugung, Herodes und Banniére seien ein und derselbe Mensch, schien auch plötzlich gewaltig erschüttert zu werden.

»Mein Ehrwürdiger,« sagte er, »je mehr ich schaue, desto mehr glaube ich, daß wir uns geirrt haben. Sehen Sie doch den Menschen, der dort spielt.«

»Ich sehe ihn.« versetzte der Pater Mordon.

»Nun wohl! derjenige, welcher dort spielt, ist meiner Ansicht nach ein vollendeter Schauspieler, während der kleine Banniére die Bretter nie betreten hatte.«

»Ausgenommen unter Ihrer Leitung,«

»Oh! eine Schultragödie kann nicht genügen, um eine dramatische Bildung zu machen.«

»Das ist wahr; aber . . .«

»Schauen Sie, Ehrwürdiger: derjenige, welchen wir sehen, hat Gebärde, Majestät, mimische Beredsamkeit, und der kleine Banniére konnte Alles dies nicht haben,«

»Hm!« machte der Pater Mordon, »der Beruf gibt den Einen, was Übung und Gewohnheit den Andern nicht immer geben.«

«Einverstanden, einverstanden; doch sehen Sie, wie die Augen dieses Schauspielers Marianna verschlingen; sehen Sie, wie schmachtend und sanft Marianna ist, während sie diesen Herodes anschaut, den sie hassen und verabscheuen muss. Ich kann Sie versichern. Ich, der ich vieler Verliebten Beichte höre, daß diese Augen sich schon lange kennen.«

»Nun,« fragte der Pater Mordon, »warum sollte Banniére, der so verdorben ist, diese Schauspieler nicht seit langer Zeit kennen?«

»Weil, wenn er sie kennt, ich es wüsste.«

»Sie wüssten es?«

»Allerdings, da ich sein Beichtvater bin.«

Dieses Wort endigte die Debatte, und der lateinische Trauerspieldichter konnte nach seinem Wohlgefallen die französische Tragödie anschauen. Nach einem »Ah!« das keinen Zweifel mehr bezeichnete, wandte sich der Pater Mordon auch wieder dem Schauspiele zu, jedoch mit um so offenherzigeren Schwankungen, als er keinen Grund hatte, sie zu verbergen.

Diese Schwankungen dauerten so lange, als das Schauspiel dauerte.

Als der Vorhang heruntergelassen war, kehrten die zwei Jesuiten in voller Eile in das Noviciat zurück.

Alles war ruhig in der Umgebung des Hauses; nichts verkündigte jene Art von Verwirrung, welche immer bei den Aufsehern eine Entweichung oder ein entdeckter Skandal verursachen.

 

All dieser Anschein beruhigte indessen nur schwach den Pater Mordon, da er immer von dem Gedanken erfüllt war, Banniére und Herodes seien ein und derselbe Mensch.

Kaum war er auch In der Hausflur, als er sich Gewissheit verschaffen wollte.

»Hat man dem Novizen In der Meditation Abendbrot, gebracht?« fragte er.

«Mein Vater,« antwortete derjenige, an welchen er sich wandte, »Euer Ehrwürden hatte es nicht befohlen.«

»Das ist wahr. Ist Jemand im Gange?'

»Der Wächter, wie gewöhnlich.«

»Man bringe eine Laterne und führe mich.«

Die dienenden Brüder gehorchten.

Als er die so wohl vorgeschobenen Riegel erblickte, als er das Schloß und die Thür so vollkommen unversehrt sah, lächelte Mordon und de la Sante rieb sich die Hände.

»Wir haben uns getäuscht,« sagte der Letztere, »induxit nos diabolus in errorem

»Wenn man entweicht,« erwiderte Mordon, der weniger leicht zu beruhigen war, »so geschieht es selten durch die Thür.«

»Aber,« versetzte der Pater de la Sante, »die Meditationsstube bat keine Fenster.«

»Fingit diabolus fenestras ad libitum,« entgegnete Mordon.

»Banniére!« rief der Pater de la Sante, »Banniére! Banniére!«

Und so oft er dem jungen Manne rief, erhöhte er die Stimme um einen Ton.

Doch Banniére konnte nicht antworten.

Die zwei Jesuiten schauten sich mit einer Miene an, welche besagen wollte:

»Ho! ho! Herodes und Banniére waren also entschieden derselbe Mensch.»

Dieser Ungewißheit sollte ein Ende gemacht werden. Auf einen Befehl des Pater Mordon wurde die Thür geöffnet.

Da traf das traurige Schauspiel des eingestoßenen Fensters, der zerrissenen Tapete, der zerstückelten und aufgetrennten Inschriften die Blicke des Pater Mordon und des Pater de la Sante.

»Er war es, den wir Herodes haben spielen sehen,« sagte Mordon mit einem Seufzer der Wut. Ich vermutete es nicht nur, als ich ihn seine Rolle vortragen, sondern auch, als Ich ihn den Andern ihre Rolle einblasen hörte. Der Elende hat gestanden, da er die Broschüre abgeben musste, er könne das ganze Stück auswendig.«

»Mea culpa, mea culpa,« wiederholte der Pater de la Sante, indem er an seine Brust schlug.

»Abermals ein Bursche, der uns gern entwischen möchte, wie uns der verfluchte Arouet entwischt ist,« sagte der Pater Mordon.

»Oh! was das betrifft, »erwiderte der Pater de la Sante, »seien Sie ohne Furcht . . . Der Bursche hat nur ein Hilfsmittel: Kaninchen oder Fuchs, muss er in den Bau zurückkehren. Wohl denn, um ihn solche mutwillige Streiche machen zu lehren, nehmen Sie ihm seinen Strick weg: er wird sehr dumm sein, denn er rechnet ohne Zweifel darauf, da hinaufsteigen zu können, wo er herabgestiegen ist. Schneiden Sie diese flatternden Fetzen ab, und der Flüchtling wird gezwungen sein, mit hängenden Ohren und zerknirschter Miene an die Thür zu klopfen.«

»Ihm seinen Strick entziehen!« rief Mordon lebhaft. »Ah! Sie sind verrückt! eher als daß ich ihm denselben entzöge, würde ich ihm eine Leiter von Seide und mit Absätzen reichen lassen, wenn ich eine finden könnte. Aber wird er auch nur zurückkommen?«

»Was soll denn aus ihm werden?« versetzte der Pater de la Sante wahrhaft erschrocken bei dem Gedanken, der sich ihm zum ersten Male bot, Banniére sei für immer entflohen.

»Ich weiß nicht, was aus ihm werden könnte,« erwiderte der Pater Mordon; »aber ich weiß, daß er schon zurückgekehrt sein müsste.«

»Vielleicht sieht er unser Licht, und das erschreckt ihn,« sagte der Pater de la Sante.

»Ja, das ist möglich, und doch . . . Gleichviel, blasen Sie die Laterne aus.«

Man blies die Laterne aus und wartete ungefähr eine Viertelstunde, ohne daß der Pater Mordon ein Wort aus die ungeduldigen Äußerungen seines Gefährten erwiderte.

Dann nach einer Viertelstunde sagte der Pater Mordon:

»Es ist gut, er wird nun nicht mehr zurückkehren; es gibt nur noch eine Hoffnung, die, daß er die Zeit, die wir mit Warten zugebracht, dazu angewandt hat, seine profanen Kleider auszuziehen und sein Jesuitengewand wieder anzuziehen. Wollen Sie ins Theater gehen, de la Sante?«

»Ich?« versetzte der Pater; »das dünkt mir schwierig.«

»In wie fern?«

»In so fern, als man mich erkennen und ihn benachrichtigen wird.«

»Sie haben Recht. Schicken Sie die zwei dienenden Brüder ab; nur sollen sie keine Minute Verlieren.«

Die zwei Väter verließen die Meditationsstube und fanden die zwei dienenden Brüder beim Eingange der Flur.

»Lauft Ins Theater,« sagte Mordon zu ihnen: »erkundigt Euch, ob der Jesuit, der durch den Gang der Schauspieler eingetreten ist, sich wieder entfernt oder nicht entfernt hat; hat er sich nicht entfernt, so lauert aus ihn im Gange; und wenn er vorübergeht, packt ihn und bringt ihn hierher, geknebelt, wenn es sein muss, aber bringt ihn.«

Der Pater Mordon sprach diese Worte mit der einschneidenden Kürze eines Richters, der ein Urteil fällt, und der will, daß der Spruch ohne Verzug, wie ohne Abänderung vollstreckt werde.

Aus diesen bestimmten Befehl enteilten auch die zwei dienenden Brüder und liefen nach dem Theater.

Sie kamen an, als die letzten Feuer erloschen, und da sie vom Hausmeister erfuhren, er habe den Novizen, der eingetreten, nicht herauskommen sehen, so legten sie sich in dem Gange, durch den sich gewöhnlich die Schauspieler einer nach dem Andern entfernten, in den Hinterhalt und lauerten im Schatten verborgen aus ihre Beute.

XVI.
Eine Seele, die sich rettet, für eine Seele, die sich ins Verderben stürzt

Aber es stand da oben im Buche der kleinen Ursachen und der großen Wirkungen geschrieben, daß an diesem Tage eben so viel burleske oder tragische Ereignisse geboren, werden sollten, als er Stunden zählte.

Während des letzten Aktes der Vorstellung, gerade in dem Augenblick, wo der Vorhang gefallen war, und wo man sich um den Debütanten drängte, um ihm Glück zu wünschen, kam ein finsterer, bleicher Mann, in nachlässiger Kleidung, in den noch öden Gang, stieg langsam die holperigen Stufen der Treppe hinauf und gelangte, ohne rechts oder links, ohne vor sich oder hinter sich zu schauen, geleitet durch den maschinenmäßigen Instinkt, welcher macht, daß die Natur beinahe ohne die Teilnahme der Seele die Sache vollbringt, die sie zu vollbringen gewohnt ist, er gelangte, sagen wir, in den Korridor, aus den sich die Logen der Schauspieler öffneten.

Dieser Mann war Champmeslé, müde, gelähmt, vernichtet durch ein wahnsinniges Umherlaufen in den schwärzesten und einsamsten Straßen von Avignon; Champmeslé, der am Abend vielleicht mehr als zweitausend Stufen auf und abgestiegen war, Champmeslé, der, nachdem er Träume, Schrecknisse und Gebete, besonders aber seine Kräfte erschöpft, sich entschlossen hatte, zurückzukehren, einmal, um zu erfahren, was vorgegangen, sodann, um seine Kameraden wegen des Schadens, den er ihnen dadurch zugefügt, daß er ihnen den Verlust ihrer Einnahme zugezogen, um Verzeihung zu bitten, und endlich, um, wenn er diese Verzeihung erhalten hätte, zu schlafen und beim Erwachen mit der Frische der Ideen eine Gott entflossene Eingebung zu finden.

Wohl hörte Champmeslé in der Ferne, in der Richtung der Bühne, Geräusche und Bravos; aber diese Geräusche hatten keinen entschiedenen Charakter und konnten in dieser Entfernung eben so wohl für Gemurre und Wehklagen, als für Applaus gelten.

Champmeslé ging also weiter nach seiner Loge.

Mit den Gefühlen, die wir geschildert, trat er In diese Loge, das Tabernakel seiner Missetaten, mehr als je geneigt, Buße zu tun, ein.

Doch kaum war er hier eingetreten, da war das Erste, was er auf einem Stuhle sauber zusammengelegt erblickte, das Kleid des Jesuiten, eine Pyramide bildend, und auf dieser Pyramide der dreieckige Hut eben desselben Jesuiten, den die Theaterdiener frommer Weise ausgebürstet hatten.

Bei diesem Anblick gab Champmeslé einen Schrei des Erstaunens von sich: er konnte seinen Augen nicht trauen, schaute näher, befühlte, und als er sich überzeugt hatte, daß es keine Malerei war, sondern, daß er praktikable Kleider, wie man mit dem Theaterausdrucke sagt, vor sich hatte, hob er seine beiden Hände zum Himmel empor und fiel aus die Knie.

Die Kleider, welche die Stelle von denen von Herodes einnahmen und auf Champmeslé in seiner Loge warteten, das war ganz einfach für ihn eine Hindeutung des Himmels auf den Weg, dem er zu folgen hatte.

Er erinnerte sich nicht mehr, Banniére als Jesuiten gesehen zu hoben: er erriet entfernt nicht, mit Gewalt ins Foyer geführt, sei Banniére unwillkürlich durch die schönen Augen von Olympia dazu gebracht worden, daß er die Rolle des Herodes gespielt habe. Dieses Kleid war das Zeichen seiner Vorherbestimmung, es war das Unterpfand des göttlichen Willens; ein Jesuitenrock vom Himmel in die Loge eines Schauspielers herabgekommen, das war eine ganz andere Offenbarung, als ein Traum; die Vorsehung war in einem Fortschritte bei den Visionen der Champmeslé begriffen. Kein Zweifel! keine Schwankungen mehr! das Ordenskleid! ins Kloster!

Von diesem Augenblick an verschwand die Müdigkeit, hörte die Unentschlossenheit aus. In einem Nu hatte Champmeslé seine Kleider abgeworfen; er nahm die Soutane und die kurze Hose von Banniére, setzte seinen Hut aus und ging mit einer begeisterten Miene hinaus, während sich alle seine Kameraden in das Foyer begaben, um dem Mahle von Herrn von Mailly Ehre anzutun.

Kaum hatte Champmeslé in dem finsteren Gange, die fünf Pater und die fünf Ave sprechend, die ihm de la Sante als Buße auferlegt, zehn Schritte gemacht, als die dienenden Brüder des Pater Mordon, welche einen Jesuiten aus sich zukommen sahen und nicht begriffen, daß auswärts um Mitternacht andere Jesuiten seien, als sie oder Banniére, über ihn herfielen, wobei ihm der Eine seinen Hut aus die Augen niederdrückte, der Andere«in Taschentuch um den Mund knüpfte, Beide ihm aber eine gute Anzahl Rippenstöße gaben, und ihn dann fortschleppten, wie es zwei Sperber mit einem Sperlinge tun, den sie in Gesellschaft gejagt haben.

Zehn Minuten nachher waren sie im Noviciat, ohne die Aufmerksamkeit, der, um diese vorgerückte Stunde der Nacht allerdings nur seltener, Vorübergehenden er»regt zu haben.

Da sie erwartet wurden, so hatten sie kaum angeklopft, als man die Thür öffnete und wieder hinter ihnen schloss.

In demselben Augenblick verkündigte das Triumphgeschrei, das die zwei dienenden Brüder und der Bruder Pförtner ertönen ließen, daß Banniére wieder Gefangen und in das Noviciat eingebracht war.

«Wer ist es?« fragte der Pater Mordon von der Thürschwelle aus, wo er wartete.

»Es ist der Flüchtling! es ist Banniére!« riefen acht bis zehn Stimmen.

»Gut!« sprach der Ehrwürdige, »bringt Ihn in die Meditationsstube hinaus.«

Der Befehl des Pater Mordon wurde buchstäblich vollzogen; man führte den unglücklichen Champmeslé, den man immer für Banniére hielt, in die Meditationsstube und legte ihn auf den Boden nieder, nach welcher Operation aus einen Wink die dienenden Brüder, ein Lächeln und ein Optime ihres Superior mit sich nehmend, weggingen.

Geknebelt, gebunden, bis über die Augen mit dem Hute bedeckt, war indessen der arme Sünder kaum von seinen Henkern losgelassen, als er röchelte, sich wälzte und sich von dem Taschentuche, das ihn erstickte, zu befreien suchte. De la Sante, der ein mildes Herz hatte, half ihm hierbei, so gut er konnte, und es wurde zuerst das Sacktuch und dann der Hut weggenommen.

»Es ist nicht Banniére!« rief der Superior.

»Es ist Champmeslé!« rief de la Sante.

Und Beide betrachteten ganz verblüfft den Schauspieler, der, auf dem Boden sitzend, die Hände hängend, die Knie in der Höhe der Nase, abwechselnd den Pater Mordon und den Pater de la Sante anstarrte, ohne den Einen oder den Andern zu erkennen, ohne zu wissen, wohin man ihn geführt, ohne zu begreifen, was mit ihm vorging, und vergebens sich fragend, wer die zwei Personen seien, die ihm als guter und böser Schächer dienten.

Endlich erkannte er das Kleid, und durch das Kleid die Menschen, und durch die Menschen das Haus. Gott offenbarte sich ihm fortwährend, da er ihn mit Gewalt dahin geführt, wohin zu gehen er sich so glücklich gefühlt hätte, wäre er sicher gewesen, ausgenommen zu werden. Er sprang in die Höhe, fiel wieder auf die Knie mit der Geschicklichkeit eines Equilibristen, nahm eine Hand von jedem der Väter und rief:

»Ah! gelobt sei Gott, der mich in Ihre Arme wirft.«

Bei diesem Ausruf kreuzten Mordon und de la Sante die ihrigen und befragten sich mit einem stummen Blicke.

Und wie die dunkelsten Dinge am Ende sich, selbst in den spanischen Imbroglios, aufklären, so wickelten die zwei Jesuiten den so verworrenen Faden dieser Intrige aus einander. Man ließ Champmeslé in der Meditationsstube, bei weit geöffneten Thüren, ohne Furcht, ihn entweichen zu sehen, und während de la Sante mit bestimmten Befehlen für den Fall eines Ereignisses zurückblieb, lief der Pater Mordon zum Gouverneur, um feinere und offiziellere Spürhunde, als die des Noviciats, Banniére nachsetzen zu lassen.

 

Der Beamte, der sich im Theater sehr belustigt hatte, belustigte sich noch vielmehr, als er erfuhr, was für ein Mensch sein Schauspieler war, und unter einem schallenden Gelächter befahl er, Banniére überall, wo man ihn treffen würde, in Verhaft zu nehmen.

Ob der Gouverneur Banniére lachend oder ohne zu lachen verhaften ließ, das war dem Pater Mordon gleichgültig, wenn Banniére nur verhaktet wurde. Er dankte also dem Gouverneur für seine Gefälligkeit, und dieser begleitete beständig lachend den Jesuiten bis zur Thür zurück.

Zur Stunde war es also Jedem nach seinen Wünschen geglückt. Banniére befand sich bei Fräulein Olympia; Champmeslé ging mit großen Schritten aus dem Pfade des Heils! der Pater Mordon hatte alle Aussicht, seinen Novizen wieder zu erwischen. Der Gouverneur, während er seine Schützen aus den Schuldigen hegte, lachte aus vollem Halse, so daß Voltaire, die erste Ursache dieser ganzen Verwirrung, dies sehend, wie er es zwanzig Jahre später tat, ausgerufen hätte. Alles stehe aus das Beste in dieser besten der möglichen Welten.

Derjenige, welcher diese Maxime zuerst für falsch erklären sollte, war der arme Banniére.

Man erinnert sich, daß wir ihn strahlend, mit gefalteten Händen und bereit, auf die Knie zu fallen, im Zimmer der schönen Olympia verlassen haben, als ihn das Geräusch eines plötzlichen, heftigen Schlages an die Thür beben machte.

Ohne Zweifel verkündigte diese Unterbrechung ein ernstes Ereignis, denn Olympia bebte ebenfalls und bedeutete Banniére durch ein Zeichen mit der Hand, er möge horchen.

Ein zweiter Schlag, noch heftiger als der erste, erscholl unmittelbar darauf.

Olympia lief ans Fenster, während Banniére, der instinktartig erriet, er sei bei diesem nächtlichen Besuche beteiligt, unbeweglich in der Stellung blieb, in der ihn der erste Schlag des Klopfers überrascht hatte.

Olympia hob den Vorhang aus, öffnete ganz zart das Fenster und schaute durch die Zwischenräume des Ladens.

Durch dieses offene Fenster gelangte zu Banniére etwas wie ein verworrenes Geräusch von abgemessenen Schritten und leise gesprochenen Worten.

Ohne eine Silbe zu sagen, winkte Olympia dem jungen Manne zu sich.

Mit drei Schritten war er an ihrer Seite, und er schaute durch dieselbe Öffnung, durch welche sie schaute.

Unter dem Fenster war ein Dutzend Männer, von denen die Einen bewaffnet, die Andern ohne Waffen, indes in der Vertiefung eines Torweges ein mit zwei Pferden bespannter Wagen stand.

»Was sagen Sie hierzu?« fragte Olympia Banniére mit so leiser Stimme, daß er die Worte mehr an ihrem Hauche, der sein Gesicht liebkoste, als am Geräusche ihrer Artikulierung verriet.

»Ah! mein Fräulein,« erwiderte Banniére mit einem Seufzer, »ich sage, alle diese Leute kommen mir vor, als hätten Sie es aus den König Herodes abgesehen.«

»Ja, nicht wahr,« versetzte Olympia, »das riecht auf eine Meile nach dem Jesuiten? Haben Sie im Geringsten Lust, zu diesen abscheulichen schwarzen Menschen zurückzukehren?«

»Oh! mein Fräulein,« rief Banniére lauter, als es zu tun klug war, »ich würde bis an das Ende der Welt gehen, um sie zu fliehen!«

»Stille doch!« flüsterte Olympia, »man hat Sie gehört.«

Ein Commissär, leicht zu erkennen an seinem steifen Beamtenwesen und der üblen Laune, in der er sich darüber befand, daß man ihn im Schlafe gestört hatte, »in hässlicher, schwarzer Commissär, mit zwei Adjutanten in grauen Röcken an seiner Seite, schaute in der Tat empor, trennte sich von der Gruppe und trat bis unter den Balkon vor.

»Ah! ah!« sagte Olympia, »es ist keine Zeit zu verlieren; man hat es wohl aus Sie abgesehen. Zum Glück ist die Thür solide, und wir haben zehn Minuten vor uns, ehe man sie sprengt.«

»Sie glauben also, man werde sie sprengen?«

»Sie werden es nicht unterlassen; in zehn Minuten macht man aber viel, vorausgesetzt,« fügte Olympia bei, »vorausgesetzt, daß man den Kopf nicht verliert.«

»Mein Fräulein,« erwiderte Banniére, »nur Eines wäre im Stande, es dahin zu bringen, daß ich den Kopf verlöre: wenn ich das Unglück hätte, Ihnen zu missfallen; doch Ihrer Billigung und Ihrer Sympathie sicher, würde ich der ganzen Welt trotz bieten.«

»Gut geantwortet,« sagte Olympia. »Kommen Sie.«

»Aber,« erwiderte Banniére, aus sein unglückliches Kostüm des König Herodes deutend, »dieses Kleid setzt mich in Verlegenheit.«

»Sie werden es auch wechseln,« sagte Olympia, indem sie Banniére in das Ankleidekabinett fortzog.

Als sie zu einem großen, in der Tapete verborgenen Schranke kam, öffnete sie ihn, und Banniére befand sich vor einer vollständigen Kleiderkammer.

»Kleiden Sie sich um, ohne eine Sekunde zu verlieren,« sagte Olympia, »ich werde dasselbe tun. Sie haben fünf Minuten für Ihre Toilette.«

In demselben Augenblick erscholl ein dritter Schlag, noch kräftiger als die zwei ersten, an der Thür, und man vernahm die feierlichen Worte:

»Im Namen des Königs, öffnet!«