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Olympia von Clèves

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XI.
Ein Debüt

Drei Jahre waren seit dieser Erklärung verlaufen. Drei oder viermal von ihrem Liebhaber durch die Kriege oder die Garnisonen getrennt, halte Olympia allmählich die Kette ihrer Liebe schlaff werden gefühlt. Im Jahre 1727 war Herr von Mailly abermals in Garnison in Marseille; aber Olympia spielte Tragödie und Komödie in Avignon.

Seit zwei Monaten hatte sie den Grafen nicht erblickt; erst am Tage vorher hatte er sie benachrichtigt, genötigt durch die Pflichten seiner neuen Stelle, – Herr von Mailly war Kommandant der Gendarmerie geworden, – genötigt durch die Pflichten seiner neuen Stelle, sagen wir, sich nach Lyon zu begeben, werde er durch Avignon reisen, um der ersten Aufführung von Herodes und Marianna beizuwohnen.

Man wird vielleicht fragen, warum Herr von Mailly, reich und verliebt, geduldet habe, daß Mademoiselle Olympia von Clèves beim Theater blieb. Wir antworten hierauf, daß dies nicht von Herrn von Mailly abhing. Er hatte der Schauspielerin wirklich den Vorschlag gemacht, ihr Gewerbe auszugeben; aber nachdem sie aus Not Künstlerin geworden, hatte sie in ihr von Liebe leeres Herz eine Liebe weit verzehrender als die andere, die Liebe für die Kunst, eindringen lassen. Sie hatte daher jeden Vorschlag dieser Art zurückgewiesen und erklärt, nichts in der Welt würde sie bewegen, auf ihre Unabhängigkeit zu verzichten; sie hatte dem zu Folge fortwährend ihre vierzehntausend Livres jährlich ausgegeben, von Herrn von Mailly nur die Geschenke angenommen, wie sie der Liebhaber der Geliebten zu machen pflegt, und ihr Gewerbe als eine Hilfsquelle gegen die schlimmen Tage fortgesetzt.

Zwanzigmal hatte der Gras seine dringenden Bitten in dieser Hinsicht wiederholt, zwanzigmal hatte ihn Olympia zurückgewiesen. Man weiß, daß Olympia das, was sie wollte, sehr wollte, und besonders sehr wollte, wenn sie nicht wollte.

Auf den Brief, den sie vom Grafen erhalten, hatte sie nur geantwortet, der Graf könne am andern Tage in voller Sicherheit nach Avignon kommen, Herodes und Marianna werde am andern Tage gegeben werden.

Dieser andere Tag war ein Donnerstag; Herodes und Marianna musste also durchaus am Donnerstag gespielt werden.

Darum hatte Olympia so sehr darauf gedrungen. daß man die Rolle lese, darum hatte sie Banniére umarmt, als er sie zu spielen eingewilligt.

Olympia rechnete vielleicht aus den Succeß, den sie In dieser Rolle haben sollte, um die Zärtlichkeit ihres Liebhabers, die sie seit einiger Zeit abnehmen zu fühlen glaubte, wiederzubeleben; vielleicht setzen wir auch ein Verlangen bei ihr voraus, das sie nicht hatte, und sie rechnete aus nichts, denn die Nacht ist schwarz im Herzen der Frauen in Betreff Alles dessen, was die Mysterien der Liebe bildet.

Wir haben Banniére als Herodes gekleidet in dem Augenblick verlassen, wo das dreimalige Zeichen gegeben worden war, wonach der Vorhang aufgehen sollte.

Herr von Mailly befand sich mit seinem ganzen Generalstab im Saale und hatte die große Mittelloge inne. Er hatte mit dem Publikum die Kulissen angst geteilt, Jeder fragte sich: Wird Schauspiel sein oder wird keines sein? Zahlreich, glänzend und voll Ungeduld, atmete daher die Versammlung hoch aus, als sie, nachdem sie das dreimalige Zeichen hatte geben hören, den Vorhang ausgehen sah.

Wir vermöchten nicht zu sagen, ob es ein Glück oder ein Unglück für Banniére war, daß er weder im ersten, noch im zweiten Act etwas zu tun hatte, wir wissen nur, daß er es zwischen jedem Act sehr bedurfte, durch die Gegenwart von Olympia wieder gestärkt zu werden, welche, um ihn in seiner guten Stimmung zu erhalten, hinter den Vorhang kam und mit ihm die Hauptszene probierte.

Was den unglücklichen Novizen besonders mit Besorgnissen erfüllte, war nicht der päpstliche Legat, der dieser feierlichen Vorstellung beiwohnte, es war nicht Herr von Mailly mit seinem Generalstab, es waren nicht die Behörden der Stadt aus den ersten Bänken des Saales, es waren die zwei Jesuiten-Väter, von denen er wusste, sie seien anwesend, als wären sie gekommen, um seine Erscheinung zu belauern, und die ihn vielleicht. trotz seines Bartes und seines königlichen Mantels erkennen würden.

Banniére wurde auch mehr als einmal von einem unwiderstehlichen Verlangen, zu entfliehen, ergriffen. Doch zwei Dinge widersetzten sich diesem: einmal die Anziehungskraft, die ihn an Olympia fesselte, und dann die Bewachung, die man um ihn her übte. Niemand, vom ersten Schauspieler bis zum letzten Komparsen, war es unbekannt, daß der Debütant beinahe durch Überrumpelung debütierte, daß er das Novizenkleid abgelegt hatte, um das Kostüm von Herodes anzuziehen, und da er, im Ganzen genommen und mit noch viel mehr Grund, von einem Gewissensbisse, dem ähnlich, welcher Champmeslé fort getrieben halte, gepackt werden konnte, so wollte man nicht, daß eine und dieselbe Ursache ein und dasselbe Resultat herbeiführe, und daß das Stück, welches beinahe nicht angefangen hätte, nachdem es angefangen, der Gefahr, nicht zu, endigen, ausgesetzt sei.

Herodes war also in der Tat durch die Wachen bewacht, welche bei jedem Schritte, den er in den Kulissen machte, ihren Platz verließen und ihm mit eben so viel Regelmäßigkeit folgten, als wir seitdem in dem vortrefflichen Drama Marion de Lorme die Garden des Herrn von Nangis ihrem Oberherrn haben folgen sehen.

Endlich ging der Vorhang, den man nach dem ersten und zweiten Act heruntergelassen hatte, zum dritten Male aus; der furchtbare Augenblick nahte heran. Banniére hörte, mehr todt als lebendig, einen Vers nach dem andern entfliegen, und bei jedem Verse, der entflog, fühlte er seinen Eintritt näher kommen. Obgleich die Schauspieler die gewöhnlichen Tempi nahmen, schien es ihm doch, als beschleunigten sie ihren Vortrag aus eine wahnsinnige Art. Die Szenen gingen eine nach der andern an seinen Augen vorüber, wie jene dunkeln Dünste, welche an einem niedrigen Himmel die stürmischen Westwinde fortreißen. Endlich kam die dritte Szene des dritten Acts, diejenige, welche unmittelbar dem Eintritte von Herodes vorhergeht. Wie eine steigende Flut sah der unglückliche Banniére den Augenblick, wo er vor dem Publikum zu erscheinen hatte, aus sich zukommen; bald waren zwischen ihm und diesem äußersten Augenblicke nur noch vier Verse, bald nur noch zwei, nur noch einer! Mit dem letzten Halbverse floß ein kalter Schweiß über die Stirne von Banniére. Eine Art von Schwindel bemächtigte sich seiner, er schaute umher, ob ein Weg für seine Flucht offen sei; als er sich aber umwandte, sah er Olympia, die ihm zulächelte und ihn mit einem Blicke ermutigte. Er hörte um sich her leise sagen: »Auf! auf!« er fühlte, wie eine kleine Hand, mächtiger als die Hand eines riefen, ihn von hinten schob, und eine Stimme voll Harmonie rief ihm zu: »Mut! Mut!« Der Hauch, der dieses Wort begleitete, brannte aus seiner Wange. Er machte einen Schritt und fand sich den Lichtern, dem Lustre und dreitausend Blitzen gegenüber, welche aus den Augen der Zuschauer hervorsprangen, und unter denen er schimmernd von ihrem höllischen Glanz die der zwei ehrwürdigen Väter der Gesellschaft Jesu funkeln zu sehen glaubte.

Er trat langsam, keuchend, geblendet und bereit, bei jedem Schritte auf dem unmerklichen Abhang des Bodens zu stolpern, ein.

Doch er war so schön von Gestalt und Gesicht, er trug in seinen Zügen einen Charakter von so düsterer Melancholie, er hatte ein so wohlgeformtes Bein, ein Auge so voll Flammen, daß, um ihn gleich von Anfang zu beruhigen, und dann, um ihm für seine Gefälligkeit zu danken, ein Beifallsdonner in diesem stehenden Parterre losbrach, das die Neugierde unter ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft schwanken machte, wie unter einem Sommerwinde ein Kornfeld sich beugt und schwankt.

Die Wirkung war rasch; die Wolke, welche die Augen von Banniére bedeckte, hellte sich auf; das Blut, das In seinen Ohren brauste, unterbrach sein Klingen, und elektrisiert durch diese Bravos, wie der Renner durch das Lob oder durch die Peitsche angestachelt wird, griff er mutig seinen ersten Vers an.

Das, woraus er sich verlassen konnte, war sein Gedächtnis, das, woraus er sich nicht verlassen konnte, war seine Person. Seine Person machte Effekt. Die Hälfte der Partie war also gewonnen.

Unter den Bravos stählte sich Banniére wieder; er sagte sich, im Ganzen sei er ein Mensch wie alle andere Menschen, durch den Verstand den Leuten des Saales gleich, durch sein Talent vielleicht Meister der Leute der Szene.

Banniére sprach daher seine Tiraden beinahe so beherzt auf dem Theater, als er sie im Foyer gesprochen hatte.

In Ermangelung des Wissens hatte er die Stärke, In Ermangelung des Detail hatte er das Feuer, und da in seiner ersten Szene mit Olympia diese ihm leise zwei oder dreimal sagte: »Gut! sehr gut!« so spielte er in der Tat sehr gut, denn er spielte, wie er es in der Meditationsstube gethan hätte, ohne die Gefahr zu kennen.

Was Olympia betrifft, welche ihr Theater seit langer Zeit kannte, was Olympia betrifft, die statt böswillige Jesuiten im Saale zu haben, hier Herrn von Mailly und einen ganzen Generalstab von Anbetern hatte, so ließ sie sich fortreißen, wie sie es vielleicht nie bei Champmeslé gethan hatte, und machte alle ihre Effekte, ohne einen einzigen zu verfehlen, unterstützt, wie sie war, durch das billigende Gemurmel des ganzen Saales und durch die geräuschvolleren Bravos der Garnison.

Die Vorstellung war schön. Banniére hatte sich nicht nur nicht geirrt, sondern er hatte auch die Stichwörter den Wachen, den Vertrauten, den Schauspielern, den Mimen eingeblasen.

Man erinnert sich, daß Banniére das ganze Stück auswendig konnte.

Nach seinem ersten Austreten wurde er auch von allen Frauen und allen Männern der Truppe mit Komplimenten überschüttet. Nach seinem zweiten Auftreten hatte er auch nur noch die Frauen für sich, welche ihm, man muss es sagen, in ihrer Bewunderung bis zum Ende des Stückes treu blieben.

 

Als das Stück beendigt war, umarmte Olympia Banniére nicht mehr, sie dankte ihm.

Banniére fühlte diese Nuance nicht. Er war zu sehr betäubt. Der Mensch, der sich mit schwerem Weine berauscht hat, kennt des Aroma der zarten Weine nicht mehr.

Man wünschte also Banniére Glück, man schmeichelte ihm, man umringte ihn; er entzog sich allen diesen Glückwünschen, denn er hegte immer noch aus eine unbestimmte Art die Hoffnung, in das Noviciat zurückzukommen, und floh nach der Loge, wo er sich aus- und angekleidet hatte.

Er hatte viel Mühe, sie wieder zu finden, doch er fand sie am Ende.

Das Erste, was Banniére beim Eintritt in seine Loge bemerkte, war ein Bad bestimmt, die Befleckung des Körpers durch das Wasser zu tilgen, wie man die Befleckungen der Seele durch die Beichte tilgt. Champmeslé hatte die Gewohnheit, ein Bad nach jeder neuen Leistung zu nehmen. Banniére schaute dieses Bad mit Begierde an. Banniére dachte, da er die Rolle von Champmeslé gespielt habe, so könne er wohl das Bad von Champmeslé nehmen. Von Folgerung zu Folgerung kam er sogar dahin, daß er sich bewies, er habe alle Rechte aus dieses Bad, während Champmeslé keines darauf habe.

Banniére legte also sein Herodes-Kostüm ab und streckte sich wollüstig in diesem Bade aus.

Er war hier seit zehn Minuten, rieb sich nach Herzenslust mit der Seife von Champmeslé und sah, wie einen vergangenen Traum, vor sich bis aus die kleinsten Einzelheiten alle Ereignisse dieser feierlichen Vorstellung, als man an die Thür seiner Loge klopfte.

Banniére bebte in seinem Bade wie ein Dieb, der aus frischer Tat ertappt wird.

»He! was will man von mir?« fragte er. »Man kann nicht herein.«

Banniére war voll Schamhaftigkeit.

»Man verlangt nicht hineinzukommen,« antwortete die Stimme des Friseur.

»Man verlangt den König Herodes.«

»Wo?«

»Im Foyer.«

»Und was will man vom König Herodes?«

»Der Herr Graf von Mailly gibt den Herren und Damen ein Abendessen und sagt, dieses Abendessen wäre unvollständig, wenn es die Königin Marianna ohne den König Herodes hätte.«

Banniére antwortete einen Augenblick nichts; er dachte, er habe keine andere Kleider anzuziehen, als seine Jesuitenkleider, und er würde eine traurige Figur bei diesem heiteren Abendbrot mit seiner schwarzen Tracht spielen.

»Sagen Sie, ich danke von ganzem Herzen dem Herrn Grafen von Mailly für die Ehre, die er mir erweisen wolle,« erwiderte Banniére, »aber ich könne sie nicht annehmen, da ich kein Kleid habe.«

»Wie, kein Kleid?« rief der Friseur; »haben Sie nicht das Kostüm des Königs Herodes, ganz von Hermelin, Sammet und Seide?«

»Ja,« versetzte Banniére, »doch das ist ein Kostüm und kein Kleid.«

»Ei! Jedermann ist im Kostüm,« sagte der Friseur; »das ist im Gegenteil eine der Bedingungen des Abendbrots.«

»Fräulein Olympia auch?« fragte Banniére.

»In großem Kostüm. Sie hat nur ihre Schminke und ihre Schönfleckchen weggemacht und ein Bad genommen; darum ist man noch nicht bei Tische.«

Ein Abendbrot mit Herrn von Mailly, ein Abendbrot unter dem Vorsitze von Olympia, ein Abendbrot, wo er sie wiedersehen sollte, wo sie ihm sagen würde, er habe gut gespielt, ein Abendbrot besonders, wobei er nicht mit seinem schmutzigen Novizenkleide, sondern mit seinem glänzenden Kostüm des Herodes erscheinen würde! Das war mehr, als er brauchte, um Banniére zu bestimmen, zwei Stunden später in das Noviciat zurückzukehren. Überdies wusste man entweder seinen Ausgang oder man wusste ihn nicht; wusste man ihn nicht, so machten die zwei Stunden nichts; wusste man ihn, so machten die zwei Stunden nicht viel, und die Strafe würde so erschrecklich sein, daß die zwei Stunden mehr sie kaum erschweren könnten.

Banniére war in der Lage eines Menschen, der gehenkt zu werden verurteilt ist, und der, indem er sich einen großen Genuss erlaubt, Gefahr läuft, gerädert zu werden. Sterben, um zu sterben – Banniére wollte sich vor seinem Tod das Vergnügen eines Gottes machen.

Er antwortete daher ziemlich hoffärtig:

»Nun denn, so sagen Sie Herrn von Mailly, ich werde die Ehre haben, seiner Einladung zu entsprechen.«

Banniére ging in der Tat strahlend und duftend aus seinem Bade hervor. Aus das Roth des Theaters war das matte Braun seiner Hut diese Schminke der Leute des Süden, gefolgt; an der Stelle seiner flatternden Perücke wogten seine schwarzen Haare, denen das Wasser den bläulichen Glanz des Rabenflügels gegeben hatte. Er beschaute sich im Spiegel von Champmeslé und bemerkte zum ersten Mal, daß er schön war.

Doch beinahe in demselben Augenblick sagte er mit einem Seufzer:

»Ah! sie auch, sie ist sehr schön!«

Und er begab sich nach dem großen Foyer, wo das Abendbrot zugerichtet war.

XII.
Das Abendbrot

Olympia war, wie man es Banniére gesagt hatte, in das Foyer herabgegangen. Aber hier erwartete sie eine Überraschung. Sie fand Herrn von Mailly und seine Offiziere gestiefelt und gespornt und In Reisekleidern. Während der zehn Minuten, welche Olympia in ihrer Loge geblieben war, hatten der Graf und sein Generalstab diesen raschen Wechsel in ihren Anzügen vorgenommen.

Der Graf eröffnete Olympia nun mit der schwermütigsten Miene, die er annehmen konnte, er habe während des Schauspiels eine Stafette vom König erhalten; Seine Majestät Berufe ihn ohne Verzug nach Versailles, und er wäre sogar sogleich nach Empfang dieser Stafette, gemäß der Ehrfurcht, die er den königlichen Befehlen schuldig sei, abgereist, hätte er nicht vor die Ehrfurcht vor dem Königtum die Ehrfurcht der Liebe gesetzt; dem zu Folge habe er seinen Offizieren, sobald der Vorhang gefallen, Befehl gegeben, sich wie für eine Expedition zu stiefeln, wozu er ihnen nur zehn Minuten bewilligt. .

Alle waren, wie gesagt, schon im Foyer, als Olympia eintrat.

Nachdem er sich vor ihr verbeugt hatte, wandte er sich gegen die andern Damen um und sprach:

»Meine Damen, wir kommen, um Sie zu begrüßen und Ihnen zu danken; setzen Sie sich zu Tische.«

In diesem Augenblick erschien Banniére an der Thür; bei dem Ausrufe der Verwunderung, den ein paar Frauen von sich gaben, wandte sich Olympia um.

Banniére verdiente in der Tat diesen Ausruf, den seine Gegenwart veranlasst hatte; man konnte unmöglich regelmäßiger schön und auf eine ausgezeichnetere Art schön sein, als er es war.

Olympia gab keinen Ausruf von sich; sie schaute ihn nur mit Erstaunen an.

Herr von Mailly grüßte leicht.

Banniére kreuzte die Hände über seiner Brust, wie es die Orientalen und die Jesuiten machen, und verbeugte sich.

Er hatte aus eine ganz natürliche Art eine der ehrerbietigsten und elegantesten Begrüßungen gefunden, die man erfinden konnte.

Herr von Mailly richtete an den jungen Mann mit ein paar Worten, welche Olympia durch ein Lächeln billigte, ein Kompliment.

Dann nahm er ein Glas, füllte es mit Champagner, bot es Olympia, schenkte sich ein zweites ein, hob dieses empor und sprach:

»Aus die Gesundheit des Königs, meine Damen und meine Herren.«

Die Offiziere ahmten ihren Kommandanten nach; jeder nahm sein Glas, hob es zuerst empor und leerte es dann aus die Gesundheit des Königs.

Herr von Mailly schenkte sich sein Glas abermals voll, wandte sich gegen Olympia und sprach:

»Und nun, Madame, auf Ihre Anmut, aus Ihre Schönheit.«

Dieser Toast wurde, wie man leicht begreift, mit stürmischem Beifall von aller Welt überschüttet, Banniére ausgenommen, der nicht den Mut hatte, ein zweites Glas zu trinken, obgleich er das erste sehr gut gefunden.

Nicht als hätte ihm Olympia nicht schön wie Venus selbst geschienen, aber Herr von Mailly hatte, so höflich er auch war, den Toast mit einer gewissen Eigentümermiene ausgebracht, die ihm das Herz beklomm.

Herr von Mailly, der im Gegenteil alle Gründe hatte, zu trinken, stellte sein Glas auf den Tisch, nachdem er es bis aus den letzten Tropfen geleert, nahm die Hand von Olympia, küßte sie und sagte:

»Aus baldiges wiedersehen, mein liebes Herz.«

Olympia antwortete nichts; es schien ihr, als sähe sie etwas Seltsames in den Manieren, die der Graf an diesem Abend gegen sie hatte.

Sie beschränkte sich darauf, daß sie ihm mit dm Augen bis zur Thür folgte, lenkte dann ihren Blick in den Saal zurück und heftete ihre Augen aus Banniére.

Er war sehr bleich und stützte sich aus einen Stuhl, ohne welche Stütze man hätte glauben können, er werde fallen.

»Auf, mein König,« sagte sie zu dem jungen Mann, indem sie aus einen Sitz zu ihrer Rechten deutete, »nehmen Sie diesen Stuhl, der für den Grafen bestimmt war. Ehre dem Ehre gebührt.«

Banniére gehorchte mit einer maschinenmäßigen Bewegung und setzte sich zitternd.

In diesem Augenblick hörte man den Tritt der Pferde der Offiziere aus dem Pflaster erschallen und sich in der Richtung von Lyon entfernen.

Banniére atmete.

Olympia stieß im Gegenteil einen Seufzer aus.

Sie setzte sich indessen zu Tische, und da sie eine große Selbstbeherrschung besaß, so schüttelte sie den Kopf und schien ihre Beklommenheit zu vertreiben.

Das Abendbrot war vortrefflich; sich selbst überlassen, wurden diese Herren und diese Damen um so heiterer. Banniére besonders hatte Mailly mit einem Vergnügen weggehen sehen, von dem er sich keine Rechenschaft geben konnte, das er aber zu verbergen sich nicht bemühte.

Die Schauspieler, und besonders die Provinzschauspieler, welche nicht alle Tage essen, haben im Allgemeinen einen guten Appetit. Das Abendbrot von Herrn von Mailly wurde verschlungen.

Banniére, der neben Olympia saß, trank, aß, wurde gereizt, geneckt, sagte kein Wort, und während er mit dem Munde und seinen beiden Händen aß und trank, – man erinnert sich, daß Banniére seit sechsunddreißig Stunden nur ein Mahl gemacht hatte, – verschlang er mit den Augen seine schöne Gefährtin.

Als eine Frau von Geist schien diese den Abgang der Herren Offiziere nicht zu bedauern; sie machte die Honneurs des Schmauses, mit der größten Anmut, sie trieb sogar ihre Freundlichkeit so weit, daß sie alle Männer berauschte, indem sie die Zahl der bestellten Flaschen verdoppelte und das Supplement aus ihre Kosten nahm.

Jeder Moment exaltierte Banniére; denn jeden Moment begegneten seine Augen den Augen, begegnete seine Hand der Hand seiner schönen Nachbarin.

Am Ende des Mahles war Banniére auch kein Mensch mehr: er nannte sich Roscius, er nannte sich Baron.

Nur war er tief verliebt und leicht betrunken. Seine bleiche, melancholische Schönheit hatte sich in eine glühende Schönheit verwandelt. Seine Augen schleuderten zugleich alle Feuer der Liebe und des Weines.

Dann war er es, der Olympia die Augen niederschlagen machte; sobald dies die züchtige Königin bemerkte, begriff sie, daß es Zeit war, den Tisch zu verlassen; sie stand daher auf, grüßte ihre Gefährten, wünschte ihnen viel Vergnügen und ging ohne Zorn, aber auch ohne Schwäche weg.

Sie hatte nur Wasser getrunken.

Als sie die Männer ausstehen und weggehen sahen, versuchten sie es auch, aufzustehen, und ihr Artigkeit zu erweisen; doch in dem Augenblick, wo es sich darum handelte, diese Bewegung auszuführen, stolperte die eine Hälfte, die sich nur mit Mühe sitzend erhalten hatte, und rollte aus die andere Hälfte, deren Beine unter dem Tische hervorkamen.

Die Frauen ahmten Olympia nach; nur fand der Unterschied statt, daß sie, als sie sich zurückzogen, vor dem jungen Manne defilierten und, da es sich um eine ewige Trennung handelte, weil Banniére in sein Kloster zurückkehren sollte, ihn zum Abschied alle umarmten.

Bei der Letzten wandte sich Olympia, welche eben über die Schwelle schritt, um und sah den schamhaften Joseph die Lippen abwischen.

Sie lächelte und verschwand.

Da wurde Banniére, der allein unter diesen Trinkern blieb, welche aus dem Boden des Foyer zerstreut umher lagen, wie entwurzelte Bäume aus der Erde eines Waldes liegen, wieder von einer unaussprechlichen Traurigkeit erfasst.

Mit dem Abgang von Olympia war in der Tat der Traum entflohen, und die Wirklichkeit war wiedergekehrt.

Die Wirklichkeit, das heißt:, statt des goldenen Himmels, in welchem er in Gesellschaft der Götter und der Göttinnen gelebt hatte, das Kloster, wo er wieder schwarze Menschen finden sollte; statt des von Lichtern funkelnden Foyer, wo noch das Beifall klatschen des Saales und das Anstoßen der Gläser erscholl, die Meditationsstube mit ihrem trockenen Brot, ihrem klaren Wasser und ihren finsteren Inschriften.

Alles dies war nicht sehr anziehend, und dennoch musste er Alles dies wieder aufsuchen.

Er durchschritt den Speisesaal langsam und mit großer Vorsicht, um nicht aus die Leiber der Unglücklichen Streiter zu treten, welche dem Rottenfeuer des Chambertin und des Champagners unterlegen. Er war schwermüthig wie ein siegender General, der das Schlachtfeld besucht, aus dem er die Hälfte seines Heeres gelassen hat. Man hätte glauben sollen, es wäre Pyrrhus nach dem Siege von Heracles.

 

Er kehrte in die Loge zurück, wo er sich angekleidet hatte: die Lampen waren im Verscheiden begriffen; er fachte die dem Erlöschen nahe Flamme wieder an und schritt zur Aufsuchung seiner Novizenkleider, die er in einem Winkel gelassen hatte.

Zu seinem großen Erstaunen waren sie verschwunden.

Banniére glaubte Anfangs, der Schneider habe die Kleider hinter eine Thür oder in einen Schrank geworfen; er stieß alle Thüren auf, er öffnete alle Schränke, aber vergebens.

Nachdem er eine Viertelstunde gesucht hatte, verzweifelte er und ging hinab.

Der Hausmeister wachte allein noch im Theater: Schneider, Friseur, Aufwärter und Diener, Alles war weggegangen.

Der Hausmeister schaute ihn an und sagte:

»Das gehörte also Ihnen, ein schwarzer Rock, eine schwarze Hose und ein Hut wie ein vierpfündiger Laib Brot?«

»Allerdings, das gehörte mir.«

»Ei! Ei! es muss Ihnen nicht so gut stehen, als das Kostüm, das Sie noch haben.«

«Sie haben die Kleider also gesehen?« sagte Banniére zur Erklärung antreibend.

»Gewiss habe ich sie gesehen,« antwortete der Hausmeister.

»Und wo dies.«

»Auf dem Rücken von Herrn Champmeslé, bei Gott!«

»Wie, auf dem Rücken von Herrn Champmeslé?«

»Ja; er ist in seine Loge zurückgegangen; als er in seine Loge zurückkam, sah er Ihre Kleider, und als er sie sah, machte er das Zeichen des Kreuzes.«

»Ohne etwas zu sagen?«

»Doch. Er hat gesagt: »»Es ist entschieden der Wille Gottes, da er mir nicht nur den Beruf, sondern auch das Kleid schickt.««

»Und dann?«

»Dann hat er seine weltlichen Kleider ausgezogen und Ihre Novizenkleider angezogen.«

»Aber was ist aus seinen Kleidern geworden?«

»Er hat sie dem Schneider geschenkt, unter der Bedingung, daß seine Frau acht Tage lang fünf Pater und fünf Ave für ihn bete.«

»Und er ist schon lange weggegangen?«

»Oh! über eine Stunde.«

Das war, um den Kopf zu verlieren: Banniére blieb auch ganz verblüfft durch diesen Vorfall.

Wenn es schon eine ernste Sache war, um zwei Uhr Morgens in das Noviciat im Jesuitenkleide zurückzukehren, so war es noch viel ernster, dies im Kostüm von Herodes zu tun.

Es kam ihm indessen ein Gedanke.

Das war keine Stunde, um In den Straßen herumzulaufen, nicht einmal in Jesuitenkleidern. Champmeslé musste nach Hause gegangen sein.

»Wo wohnt Herr Champmeslé?« fragte Banniére.

»In der Grande-Rue, der Nische des heiligen Benedict gegenüber, unmittelbar neben Fräulein Olympia.«

»Fräulein Olympia!« wiederholte unwillkürlich Banniére, indem er einen Seufzer ausstieß. »Fräulein Olympia! Ah!«

Dann, da er unbeweglich blieb, fragte der Hausmeister:

»Nun, wozu entscheiden Sie sich? Ich muss schließen; es ist Zeit. Morgen werden Sie den ganzen lieben, langen Morgen in Ihrem Bette schlafen, während ich um sechs Uhr bei meinem Geschäfte sein muss.«

Banniére lächelte bitter.

Den ganzen lieben, langen Morgen in seinem Bette schlafen! Es war wohl hiervon für ihn die Rede!

»Nun!« wiederholte der Hausmeister, »haben Sie nicht gehört? Champmeslé wohnt in der Grande-Rue der Statue des heiligen Benedict gegenüber, unmittelbar neben Fräulein Olympia.«

»Doch, ich habe gehört,« erwiderte Banniére; »zum Beweise mag dienen, daß ich dahin gehe.«

Und als ein Mensch, der seinen Entschluss gefasst bat, stürzte er mutig aus die Straße, immer im Kostüm des Herodes,

Der Hausmeister schloß die Thür hinter ihm.