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Olympia von Clèves

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LXXXV.
Nach der Vorstellung

Wir legen nicht genug Gewicht daraus, aus Banniére einen mit allen Vorzügen begabten, in jeder Hinsicht vollendeten Romanhelden zu machen, um hier zu sagen, er habe auf der französischen Bühne so debütiert, daß er die Gunst seines Auditoriumo gefesselt und sich mit dem ersten Schlage unter den großen Talenten des Theaters hervorgethan.

Banniére ist eine wirkliche, leider durch die Geschichte wegen ihrer Missgeschicke und ihrer Fehler aufgezeichnete Person; wir werden es also nicht versuchen, aus ihm das zu machen, was er nicht war, was er nie war.

Er debütierte geräuschlos am Anfang des Abends; der König war noch nicht gekommen und sollte erst beim zweiten Stücke kommen.

Er debütierte übrigens mit einer schwierigen Rolle, welche wenig mit seiner Jugend und seiner Schönheit im Einklang stand.

Er debütierte unter der Wucht einer Erwartung, welche genügt hätte, um ein besseres Debüt als das seinige zu tödten: der Erwartung eines Königs, von dem man wusste, daß er bald kommen sollte, der Erwartung einer ausgezeichneten Person, welche schon das erste Mal, als sie auf dem Theater erschienen war, einen so großen Erfolg im Trauerspiele gehabt hatte.

Am Anfang ertragen, in der Mitte des Stücke geduldet, wurde Banniére am Ende des Stückes auf eine ganz specielle Art ausgepfiffen.

Als gewissenhafter Geschichtsschreiber beeilen wir uns, zu sagen, daß der arme Banniére den Kopf nicht mehr bei dem hatte, was er tat, weil die Freude und die heftige Aufregung ihn aus allem Maße hinauswarfen.

Er skandierte schlecht. Er wusste nichts mehr. Das unstörbare Gedächtnis, das ihm den Sieg bei seinen Debüts in Avignon errungen, hatte sich in einer Stunde mit allen Arten von Dingen gefüllt, welche nicht im Mithridates waren, und an die der sanfte Racine nie gedacht hatte.

Als man dann allmählich bemerkte, daß Banniére, im vierten Akt etwas ganz Anderes sprach, als seine Rolle, begann das Anfangs sehr große Erstaunen dem Zorn Platz zu machen.

Man murrte zuerst.

Gestört durch dieses Gemurre, machte Banniére einen Vers von fünfzehn Füßen, dann, um sich zu verbessern, einen von neun. Man pfiff.

Schon für die Falsche Agnes angekleidet, hatte, sich Olympia in die Kulissen gesetzt, um sich an dem Schauspiele, nicht des Darstellers, sondern ihres Geliebten, nicht an Mithridates, sondern an Banniére zu ergötzen.

Kaum war sie gekommen, kaum hatte sie sich niedergelassen, als sie dem wütenden Sturme von Pfeifen beiwohnen musste, welche, was die Intensität betrifft, den Seemannspfeifen ziemlich Ähnlich waren.

Banniére hatte Olympia erblickt, und er verlor Alles, was ihm an Gehirn blieb. Die Worte verwandelten sich zwischen seinen Zähnen oder verschwanden zwischen seinen Lippen.

Als er sich am Souffleur anklammern wollte, war es schon zu spät.

Die vornehmen Herren, auf dem Theater, die sich Anfangs krampfhaft auf Ihren Bänkchen und in ihren Fauteuils Gebärdet und dann sogar Zeichen und Worte mit den Zuschauern der Logen gewechselt hatten, standen auf und fingen an, Einer nach dem Andern die Achseln zuckend wegzugehen.

Banniére war dann wie Pompejus, der die Götter gegen sich, aber Cato für sich hatte.

Banniére hatte die vornehmen Herrn, die Logen, das Parterre gegen sich, aber er hatte Olympia für sich.

Olympia ließ ihr Lächeln unter diesem Sturme glänzen, wie ein Bote der lieblichen Iris am schwärzesten Himmel.

Olympia hielt ihren Fächer auf Ihre Lippen, indem sie Banniére anschaute, richtete das zärtlichste Lächeln an ihn und verblendete vollends den armen Debütanten.

Und mittlerweile fiel der Vorhang.

Olympia, während alle Welt Banniére den Rücken kehrte, ging gerade auf ihn zu, drückte ihm die Hand und sagte ihm nur das Wort:

»Sogleich.«

»Ja,« erwiderte Banniére, »und ich beeilte mich, durchzufallen, um diesen beseligenden Augenblick zu beschleunigen.«

Und er verschwand, Indem er sich schwor, nie mehr den Fuß auf die undankbare Bühne zu setzen.

Ruhig in diesem Chaos, suchte indessen Olympia mit den Augen Herrn von Mailly, welchen noch nicht gesehen zu haben sie sich wunderte.

Sie war nicht ohne Besorgniß: Mailly konnte Banniére begegnet sein und ihn erkannt haben.

Dieses Begegnen benahm ihr das ganze Verdienst der Initiative; was sie Herrn von Mailly zu sagen hatte, wurde eine einfache Erklärung.

Was Pecquigny betrifft, dieser hat ihn gesehen und sogar nach diesem unglücklichen Debüt ausgerufen:

»Oh! er Ist artig, der Schützling von Champmeslé. Man sage noch einmal,

die Schauspieler verstehen sich auf das Schauspiel!

Die Stunde rückte vor; die Geigen spielten; der König kam; Herr von Mailly erschien endlich und nahm seinen Platz aus den Bänkchen des Theaters.

Banniére war schon, und zwar seit mehr als zehn Minuten in seiner Loge.

Die Falsche Agnes begann.

Olympia war, ganz das Gegenteil des armen Banniére, sehr ermutigt worden. Sie hatte ihre beide, Hände Pecquigny gegeben, dem sie zuvor nicht eine hatte geben wollen; sie hatte die Komplimente Aller entgegengenommen: sie hatte das flehende Lächeln von Mailly aufgefangen; sie wusste zum Voraus, welche Wirkung jeder von ihren Schritten, jede von ihren Gebärden, jedes von ihren Worten hervorbringen würde.

Sie spielte als vollendete Künstlerin. Sie erregte die Bewunderung durch ihre idealistische Schönheit: sie setzte durch die Distinktion ihres ganzen Wesens in Erstaunen.

Der König sagte Pecquigny tausend angenehme Dinge, aber mit einem Tone, der nichtsdestoweniger viel Ruhe und sogar Hoffnung Richelieu ließ, welcher seinen Platz hinter dem Fauteuil Seiner Majestät hatte.

Was Herrn von Mailly betrifft, so darf man versichern, daß er mit den Augen die königliche Loge nicht verließ, und daß jeder Eindruck Seiner Majestät sich in seinem Geiste reflektierte und sein Herz verwundete.

Das Stück ging, wie die modernen Übertreiber sagen, unter einem Donner des Beifalls, der um so wärmer, je geräuschvoller der Sturz von Banniére gewesen war, zu Ende.

Der Vorhang fiel, Olympia, deren glänzendes Geschick schon Jedermann ahnte, wurde von Komplimenten und Huldigungen überströmt.

Herr von Mailly, nachdem er ihr die Hände geküsst, beeilte sich, im Saale über die Meinung des Königs und die interessanten Neuigkeiten Erkundigung einzuziehen.

Olympia warf in einen Winkel Blumen, Billetts und Komplimente, und kleidete sich so rasch als möglich aus.

Herr von Mailly trat bei Olympia in dem Augenblick ein, wo sie ihre Schminke abgelöst und ihre Haare hatte in Ordnung bringen lassen.

Die Coiffeuse, als sie den Grafen erblickte, entfernte sich, ehe dieser Zeit gehabt hatte, sie durch einen Wink zu verabschieden. Das Gesicht von Mailly drückte so viele ernste Dinge aus, daß die Fremde mit dem den Theaterleuten eigentümlichen Scharfsinn erriet, sie sei zu viel bei der Unterredung.

Erstaunt und unruhig über diese feierliche Miene, traf Olympia ihre Vorbereitungen.

Sie begriff, daß diese Unterredung ein Kampf sein würde.

Der Graf schaute umher, trat an die Thür, durch welche die Coiffeuse abgegangen, versicherte sich, daß sie geschlossen war, und kam zu der jungen Frau zurück, die Ihn mit den Augen während dieser Bewegungen verfolgt hatte.

»Olympia,« sprach der Graf, »nicht wahr, Sie sind ganz allein, und Sie können ohne Störung das anhören, was ich Ihnen zu sagen habe?«

»Oh!« dachte Olympia,«er will mit mir von Banniére sprechen; er hat ihn gesehen! er weiß Alles!« Und sie erwiderte:

»Herr Graf! ich höre Sie!«

»Mit Geneigtheit, nicht wahr, Olympia?«

»Sie können nicht daran zweifeln.«

»Olympia, ich habe Sie vorhin einen Augenblick verlassen, Oh! ich weiß wohl, Sie haben es nicht bemerkt. Ich suchte diejenigen auf, welch den König während der Vorstellung umgeben hatten, und ich bringe Gedanken hierher, welche nicht sehr freudig sind. Sie werden darüber urteilen.«

Olympia machte eine Bewegung.

Mailly aber machte mit der Hand eine Gebärde, welche auf eine so bestimmte Art ein wenig Geduld forderte, daß Olympia wartete.

»Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen meine schmerzliche Geschichte erzähle,« sagte Mailly. »Sie wissen, daß ich verheiratet bin.«

»Ich weiß es,« erwiderte trocken Olympia, die sich nicht erklären konnte, aus welchem Anlass Mailly das Gespräch durch diese Worte in Angriff nahm.

Mailly fuhr aber fort, ohne daß er den Ton zu bemerken schien, mit dem man ihm die Antwort gegeben hatte:

»Sie wissen, daß Frau von Mailly für ziemlich schön gilt.«

»Ja, in der Tat, sie gilt hierfür,« antwortete Olympia mit einem noch trockeneren Tone.

»Nun Olympia, der König hat sich in meine Frau verliebt, und gewisse Freunde, – man hat immer von dieser Art, – haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Neigung des Königs für Frau von Mailly reussiren zu lassen.«

»Frau von Mailly liebt Sie also nicht, mein Herr?« fragte Olympia, deren Neugierde dieser Eingang sichtbar erregt hatte, während es sie doch drängte, zur Entwicklung zu kommen.

»Nein,« erwiderte Mailly,«Sie liebt mich nicht, Olympia, Sie haben das Wort gesagt, doch sie ist meine Frau und führt meinen Namen.«

»Nun! hernach?« versetzte Olympia mit einer gewissen Bangigkeit.

»Ich bitte, warten Sie.«

»Es ist . . .«

»Sie möchten vielleicht gern, daß unsere Unterredung bei Ihnen stattfände? Ich würde es auch vor, ziehen, Olympia, doch sie lässt sich nicht verschieben.«

«Ah!« machte Olympia, zu ihren ersten Befürchtungen zurückgeführt.

»Ich fahre fort: der König bedroht also meine Frau, und nur dies hat meine Ernennung zum Gesandten in Wien, von der Ihnen Pecquigny gestern sagte, veranlasst.«

»Nicht wahr, das geschieht, um Sie von Ihrer Frau zu entfernen?«

 

«Ja, doch ich habe es ausgeschlagen.«

«So handelt ein vortrefflicher Gatte.«

»Beurteilen Sie nicht so eilig die Ursache meiner Weigerung, Olympia.«

»Ob! mein Gott, Sie haben es aus ehelichem Zartgefühl für Frau von Mailly ausgeschlagen.«

»Nein, Olympia. Ich habe es aus Liebe für Sie ausgeschlagen.«

»Oh! Herr Graf!«

»Warten Sie, Olympia, ich will Ihnen den Beweis liefern; doch vorher schwören Sie mir, daß Sie mir mit der vollkommensten Aufrichtigkeit antworten werden.«

»Es ist unnötig, daß ich es Ihnen schwöre, mein Herr; wollte ich auch anders handeln, so könnte ich doch nicht. Ich habe nie getäuscht.«

»Gut. Nur aus Liebe für Sie habe ich den Gesandtschaftsposten ausgeschlagen. Er würde mich von, Ihnen entfernen, Olympia, und nicht damit zufrieden, daß er meine Frau bedroht, bedroht nun der König gerade auch meine Geliebte.«

Olympia schüttelte den Kopf.

»Oh! sagen Sie nicht nein, Olympia! Das in bewiesen: man hat mir berichtet, daß der König Sie schön gefunden, und in diesem Augenblicke sind Versuche zugleich gegen meine Ehre und gegen mein Glück im Werke. Olympia, ich wende mich an Ihre Rechtschaffenheit; ach! ich würde so gern sagen, ich wende mich an Ihre Liebe.«

«Sprechen Sie, mein Herr,« sagte Olympia kalt.

»Ich weiß wohl, daß Sie keinen großen Fond von Zärtlichkeit für mich haben, liebe Olympia, und wenn Sie mir treu geblieben sind, so ist es rein aus Redlichkeit geschehen; aber Sie wissen so gut, daß ich Sie mehr als Alles liebe; Sie haben es so wohl erfahren, daß ich Sie nicht durch meine Wiederholungen ermüden werde; es ist immer an Ihnen, sich auszusprechen! Sie werden über das Schicksal meines ganzen Lebens entscheiden; denn ich muss gestehen, die Trennung, die ich vor einem Jahre so leicht genommen habe, ist heute für mich eine unmögliche Sache, ein tödtliche Sache geworden. Ohne Sie, Olympia, gefällt mir nichts mehr auf dieser Welt. Olympia, schwören Sie mir, daß Sie den König nicht lieben werden.«

Olympia machte eine Bewegung.

»Schwören Sie mir das,« fuhr Mailly fort, ich werde den mit Beute beladenen Arabern nachahmen, welche ihre am wenigsten kostbaren Reichtümer fallen lassen, um den Feind, der sie aufrafft, zurückzuhalten, – zu glücklich, Sie zu retten, wenn Sie die Güte haben wollen, mir ein wenig dabei zu helfen. Dann werden wir die Wahl zwischen zwei Entschließungen haben: entweder reisen Sie mit mir ab, Olympia, und ich nehme die Gesandtschaft an, oder Sie bleiben, und ich schlage sie aus, um mit Ihnen zu bleiben. Sie haben mich gehört, Olympia; lassen Sie sich einige Minuten, um zu überlegen, wenn Ihnen Ihr Herz nicht eine unmittelbare Antwort eingibt, und erklären Sie sich auf eine entschiedene Art über das, was ich von Ihnen erwarten darf.«

Es lag so viel wahre Liebe in den beinahe unsinnigen Worten des Grafen, daß Fräulein von Clèves, abgesehen von ihrer besonderen Lage, eine Verlegenheit einem Gewissensbiss ähnlich empfand.

Doch sie war zu edelmütig, um lange in ihren Entschließungen unter so kritischen Umständen zu zögern, und sie erwiderte:

»Herr Graf, ich werde den König nie lieben.«

»Oh!« rief Mailly Im höchsten Maße erfreut,«ein Wort gegeben von der redlichen Frau, die Sie sind, Olympia, ist heiliger als ein Schwur. Ich danke Ihnen. Oh! wie gut sind Sie, Olympia. Sprechen Sie, soll ich die Gesandtschaft annehmen, und werden wir mit einander abreisen? – Welches Glück! – Oder ist Ihnen an Ihrem Paris gelegen, liebe Schöne? und werden Sie mir das Glück verschaffen, Ihnen ein vollständiges Opfer dadurch zu bringen, daß ich die Gesandtschaft ausschlage, wodurch ich mir die Ungnade zuziehe?«

»Herr Graf,« antwortete Olympia, welche, nachdem sie einen Augenblick gezaudert, alle diese Worte abwog, deren Gewicht sie so wohl fühlte, »nehmen Sie die Gesandtschaft nicht an, das ist edler für Sie, und Verteidigen Sie Ihre Frau, die Ihren Namen führt.«

»Aber Sie,« rief Mailly erstaunt über diese Antwort, »Sie, auf welche alle Angriffe des Königs gerichtet sind?«

»Oh! ich, ich werde gut verteidigt sein,« erwiderte mutig Olympia.

»Wie, verteidigt!«

»Ja, Herr von Mailly, die Frau, welche liebt, wird hinreichend durch ihre Liebe verteidigt.«

Mailly wechselte die Farbe.

Er fühlte sich nicht genug von Olympia geliebt, daß sie ihm solche wonnige Dinge sagen sollte.

»Olympia, Olympia, Sie lieben Einen?« sprach der Graf, während er um das Lächeln bettelte, das er selbst traurig versuchte.

»Ich liebe, mein Herr, und bin verbunden.«

»Verbunden zu was?«

»Zu heiraten.«

»Seit wann?«

»Seit zwei Stunden.«

»Olympia!« rief Mailly, »was sagen Sie da?«

«Ich sage, Herr Graf, daß ich mich heute Abend mit einem Manne, den ich liebe, verheirate.«

Der Graf erbleichte und hätte beinahe das Bewusstsein verloren. Er erstickte.

»Und wer ist denn der Mann, den Sie lieben, ohne daß ich es weiß, Olympia?«

»Sie irren sich, mein Herr, Sie wissen, daß ich ihn liebe.«

»Aber mit mir, Olympia, haben Sie nur einen einzigen Mann geliebt, und das ist. . .«

Die Logenthüre wurde geöffnet und unterbrach den Grafen; Banniére erschien auf der Schwelle ganz geschäftig, ganz strahlend, ganz verwandelt.

Der Graf wich zurück, als ob er ein Gespenst erblickt hätte.

LXXXVI.
Wo sich Mailly für die Gesandtschaft entscheidet

Olympia streckte die Hand gegen Banniére aus, der, als er Mailly erblickte, aus der Schwelle stehen blieb.

«Der Mann, den ich liebe, ist hier, Herr Graf,« sagte sie; »er ist es, den Sie nennen sollten; es ist Herr Banniére. Ich glaubte, ich habe aufgehört, ihn zu lieben, denn ich wähnte, er habe mich betrogen. Er hatte mich nicht betrogen, ich besitze den Beweis hiervon. Ich liebe ihn immer noch, und ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Graf.«

Das tiefe Erstaunen von Banniére, die völlige Niedergeschlagenheit von Mailly, diese stolze und mutige Blässe von Olympia bildeten ein Gemälde, dem es nicht an Interesse mangelte.

Olympia stand auch auf, nahm die Hand des Grafen und sprach:

»Sie sind ein edler und wackerer Mann, Herr Graf, und man hintergeht Ihres Gleichen nicht. Gott ist mein Zeuge, daß ich lieber selbst leiden, als Sie leiden machen wollte. Aber ach, ich bin nicht mehr Gebieterin über die Gefühle, die ich hege, und folglich auch nicht mehr über die Empfindungen, die ich einflöße. Das Schicksal hat mich in die schmerzliche Alternative versetzt, Ihnen gegenüber feig oder grausam zu sein. Ich bin fest überzeugt, Sie ziehen es vor, wenn ich mich zu Letzterem entschließe, was der Entschluss der Redlichkeit ist. Ich überantworte mich Ihrer Gnade, Herr Graf, mich und den Mann, den ich liebe; Sie sind mächtig genug, um uns Beide wie zwei Rohre zu zerbrechen. Machen Sie von Ihrer Macht nach Ihrem Herzen Gebrauch, und wenn Sie mich nicht zwingen, Sie zu segnen, sein Sie doch versichert, daß ich Ihnen nie fluchen werde, was auch geschehen mag.«

Der Graf hatte noch nicht das Haupt erhoben.

Bleicher als der unglückliche Märtyrer, »Ei! er wusste, was Alles der Graf in diesem Augenblicke leide, musste, trat Banniére aus Zartgefühl in den Hintergrund und bewunderte von fern diese erschreckliche Frau, von der jedes Wort das Leben oder den Tod gab.

»Sie haben mich reich gemacht, Herr Graf,« fuhr sie fort. »Glauben Sie nicht, daß ich elender Weise das Gold und die Juwelen, die Sie mir geschenkt, zurücklassen werde; nein, Sie sind ein Mann von einer zu hohen Lebensstellung, als daß ich von Ihrem Hause zur Armut übergehen sollte. Glauben Sie mir, wenn ich Banniére nicht wiedergefunden hätte, nie wäre mein Geist anderswo, als bei Ihnen und mit Ihnen gewesen: aber die Bestimmung, der wir alle Drei folgen, war geschrieben. Befehlen Sie, ich gehorche; doch vorher, ich bitte Sie demütig darum, verzeihen Sie mir den Anschein der Grausamkeit, die ich anwende, um wahr zu sein. Oh! Herr Graf, bedenken Sie doch, daß ich, wenn ich Ihnen nicht sagte, was ich Ihnen in diesem Augenblicke sage, nicht den Schatten des Schmerzes Wert wäre, den meine Worte aus Ihrem Gesicht verbreitet haben.«

Der Graf erhob sich.

Er fuhr mit einer eiskalten Hand über seine Stirne und sprach:

»Es ist gut, Sie sind in der Tat ein, redliche Frau in der vollen Bedeutung des Wortes, und ich bezeuge Ihnen aufrichtig, indem ich Ihrem Biedersinn Gerechtigkeit widerfahren lasse, daß Sie mir heute den größten Kummer bereiten, den ich im meinen Leben empfunden habe.«

Dann wandte sich Mailly, gegen Banniére um, der weich und bebend dastand, denn dieser Edelmut, dessen er sich nicht fähig fühlte, hatte ihn tief erschüttert, und sprach:

»Ich bin wirklich zu tief betrübt, um dem Herrn über sein Glück Verbindliches zu sagen. Der einzige Wunsch, für welchen ich Kraft habe, mein Fräulein, und ich bezweifle nicht, daß dieser, von meiner Seite sehr aufrichtige, Wunsch, von der Vorsehung erhört wird, ist, er möge Sie so glücklich machen, als Sie es zu sein verdienen, so glücklich, als ich Sie hätte machen wollen, hätte er sich nicht zu meinem Unglücke gefunden, um mich daran zu verhindern.«

Und nachdem er so gesprochen, grüßte er Olympia aus das Ehrerbietigste, machte ein paar Schritte in der Loge, als wollte er seinen Weg suchen, den er nicht fand, ging endlich hinaus und ließ die zwei Liebenden, mitten in ihrem Glücke, in eine der bittersten Traurigkeiten versunken, die sie je empfunden, zurück.

Olympia verbarg ihr Gesicht in ihren Händen, und man sah Tränen zwischen ihren Fingern durch bis auf den Tisch rollen, auf den sich ihre Ellenbogen stützten.

Düster, unbeweglich, stumm, suchte sie Banniére nicht zu trösten; er fühlte den Umfang dieser Liebe, die sie verachtet hatte; er ermaß den ganzen Adel dieser Seele, die man mitleidslos zermalmt hatte, um sie seiner Liebe zu opfern.

Allmählich verödete sich indessen das Theater, und die zwei Liebenden blieben allein in der Stille und in der Finsternis.

Herr von Mailly war mit sicherem Schritte seines Weges gegangen. Sein Unglück war so groß, so vollständig, daß es allen seinen physischen Fähigkeiten eine neue Federkraft verlieh.

Das Moralische war bei ihm völlig gebrochen.

Im Säulengange des Theaters erblickte der Graf einen Mann, der, an eine Statue angelehnt, aus dem Bänkchen saß und ruhig, ohne irgend eine Ungeduld, mit einem seiner Beine spielte, das er auf dem andern tanzen ließ.

Zwanzig Schritte von diesem Manne, dessen Auge»sein Hut bedeckte, warteten zwei Lackeien in der Livree von Richelieu stehend und mit entblößtem Kopfe.

Mailly wollte nicht gesehen werden und ging rasch an dem Unbekannten vorüber.

Doch während er vorüberging, stand dieser auf und rief:

»He! Mailly!«

Der Graf wandte sich lebhaft um, er hatte die Stimme zu erkennen geglaubt.

»Herr von Richelieu!»sagte er.

»Guten Abend, Mailly.«

«Guten Abend.«

»Wie geht es?«

»Gut. . .«

»Ich wartete aus Dich.«

»Auf mich?«

»Gewiss; Du siehst wohl, daß alle Welt abgegangen ist, und daß nur wir noch hier sind.«

Und er legte einen bezeichnenden Nachdruck auf das Wort hier. Mailly blieb stehen, ohne zu antworten.

»Nun! mein armer Mailly,« sagte Richelieu, »ich habe Dich gefragt, wie es gehe.«

»Und ich habe Dir geantwortet: Gut.«

Richelieu schüttelte den Kopf.

»Ja, gut,« wiederholte Mailly, »und ich bin besonders entzückt. Dich zu treffen.«

»Ah! bah.«

»Du wirst mir einen Dienst leisten.«

»Gern, mein lieber Freund.«

»Du wirst diese Angelegenheit wieder in Ordnung bringen. Ja, ich weiß, daß das schwierig sein wird, doch da Du ein erstes Mal die Macht gehabt hast, zu knüpfen, so wirst Du wahrscheinlich auch die Haben, einen zweiten Knoten zu machen.«

»Wo dies, einen Knoten?«

»Ei! bei Gott, in der Wiener Angelegenheit.«

»Ah! sehr gut. Ich erwartete Dich gerade deshalb.«

»Es ist also tunlich?«

»Vollkommen.«

»Und der König ist nicht zu wütend?«

»Wütend, worüber?«

»Über meine Weigerung.«

»Der König weiß nicht einmal, daß Du Dich geweigert hast. Du begreifst wohl, mein Lieber, man ist Dein Freund, oder man ist es nicht. Ist man es, so ist man es nicht, um Dich in Ungnade zu bringen.«

»Oh! welche Güte, Herzog!« sagte Mailly mit einem Lächeln, dem er vergebens seine Bitterkeit zu benehmen suchte.

»Oh! lache nicht, Mailly, er ist ein besserer Mann, als Du glaubst, dieser Herzog von Richelieu, und es war nichts Leichtes, Dich gut mit dem König zu erhalten.«

»Glaube auch, daß meine Dankbarkeit dem Dienste angemessen ist.«

»Dann ist sie groß und genügend für meine Ansprüche. Du bist also entschlossen?«

 

»Ja, ich will Frankreich verlassen.«

»Du hast Recht.«

»Ich will ans Ende der Welt gehen.«

«Halte in Wien an und begnüge Dich hiermit; Du wirst sehen, das ist schon sehr weit.«

»Oh! was ich an Schmerz mit mir nehme, das wird mir, sei unbesorgt, wohl bis dahin folgen,« sprach Mailly, indem er die Hand aus seine Brust legte.

»Der Schmerz! ah! ja, das galoppiert, obgleich ich nie etwas Anderes als Verdruss empfunden habe. Armer Mailly!«

»Beklage mich!«

»Warum nicht, wenn Du zu beklagen bist.«

»Solltest Du es leugnen?«

»Gut! wirst Du mich nicht etwa glauben machen, Du bedauerst den Verlust Deiner Frau?«

»Ich bedaure nichts.«

»Doch, Du bedauerst den Verlust von Olympia: was willst Du, mein lieber Graf, die Teufelsweiber vom Theater, wenn sie sich einmal gemein gemacht haben, sind unbezähmbar. Diese ist aber sehr schlich, mit Dir umgegangen, armer Freund.«

»Ah! Du weißt es?«

»Weiß ich nicht Alles? Doch an dieser kannst Du Dich wenigstens rächen.«

»Mich an Olympia rächen!«

»Wenn Du Dich nicht an der Frau rächst, so kann? Du Dich wenigstens am Mann rächen.«

»Am Mann?«

»Ja, ist er nicht in Lyon bei Deinen Dragonern angeworben worden? Ist er nicht ein Deserteur?«

»Oh! rief Mailly, indem er mit der Hand an seine Stirne fuhr, »Du bringst mich auf einen Gedanken . . . Der Unglückliche!«

Dann zu Richelieu zurückkehrend:

»Endigen wir rasch, Herzog. Du sagst, Du habest aus mich gewartet?«

»Ja, und das war wohlgethan.«

»Warum?«

»Weil ich nach dem Übel das Heilmittel bringe.'

»Erkläre Dich.«

»Du willst nach Wien abreisen? Du nimmst du Gesandtschaft an? Wohl, mein Lieber, hier ist Den Diplom,« sagte der Herzog.

Und er zog aus seiner Tasche dasselbe Papier, das er dem Grafen angeboten, und das der Graf ausgeschlagen hatte.

»Wie!« rief Mailly ganz erstaunt, »Du hast dieses Diplom behalten?«

»Ich war so sicher, Du würdest es von mir zurückverlangen, daß ich es seit dem letzten Male, wo ich Dich gesehen, nicht einen Augenblick von mir gelassen habe.«

»Gib es also, und ich reise.«

»Bei meiner Treue, zu rechter Zeit.«

Diese Worte machten, daß Mailly, der sich abermals seinen düsteren Gedanken überließ, den Kopf aufrichtete. Doch als hätte er es für unnötig erachtet, sich einen letzten Schlag geben zu lassen, der vielleicht noch grässlicher, als die vorhergehenden, grüßte er Richelieu und ging aus dem Theater weg.

Richelieu, der während dieser ganzen Szene sitzen geblieben war, reckte seine Arme und streckte seine zarten Beine aus, welche in ihren seidenen Strümpfen krachten.

»Bei Gott!« sagte er, »das ist ein sehr glücklicher Mensch! Er ist auf einmal von zwei furchtbaren Frauen befreit! Dieser Bursche wird fortan angebetet werden. Als er nicht zu lieben wusste, liebte man ihn; als er liebte, liebte man ihn nicht mehr. Die erste Frau, die er nun verführt, beklage ich: er wird sie liebestoll machen! Und so,« fuhr er philosophisch fort, »und so macht immer das Glück der Einen das Unglück der Andern, und dies wechselseitig!«

Hiernach rief Richelieu die Lackeien und ließ seinen Wagen vorfahren.

Während er einstieg, sah er durch eine Seitenthüre Olympia am Arme eines jungen Mannes herauskommen.

Es war halb ein Uhr nach Mitternacht.

Der Herzog folgte ihnen ein paar Secunden mit den Augen und sagte dann zu sich selbst:

»Teufel! ich habe da eine Gelegenheit versäumt! Ich hätte Richelieu gegen diese Frau versuchen müssen!

Welch ein schöner Kampf wäre das geworden! Doch nun ist es zu spät.«

Der Lackei näherte sich dem Wagenschlage,

»Was gibt es?« fragte Richelieu.

»Der Herr Herzog hat keinen Befehl gegeben.«

»Ah! es ist wahr: ganz einfach nach Hause.«

Doch beinahe in demselben Augenblick hielt er den Lackei durch einen Wink zurück.

»Ho!ho!« dachte er, »mir scheint, ich begehe eine Dummheit. Er ist in der Tat genug zu Grunde gerichtet, um heute Abend seine Frau um Verzeihung zu bitten und sie nach Wien mitzunehmen, während Pecquigny dem König den Kopf für Olympia heiß macht. Teufel! ich hätte Unrecht, wenn ich die liebe Gräfin nicht ein wenig überwachen würde.«

»Nach dem Hotel Mailly!« rief er, »rasch!«

Der Wagen von Herrn von Richelieu ging rasch ohne daß er es befahl.

Auf den gegebenen Befehl liefen die Pferde im Galopp.

Nach fünf Minuten hielt der Wagen vor der Thür des Hotel Mailly an.

Richelieu irrte sich: es fiel Mailly nicht ein, seine Frau zu entführen.

Er schrieb an Olympia.