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Olympia von Clèves

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»Ist das Ihr Ernst, was Sie da sagen?« rief Mailly, der durch die Kaltblütigkeit und das unbeugsame Räsonnement der Gräfin ganz außer sich kam.

»Nach der Art, wie ich mit Ihnen spreche, mein Herr, können Sie nicht daran zweifeln.«

»Sie schlagen mir einen Bruch vor?«

»Ganz offenherzig.«

»Mir! Ihrem Manne?«

»Allerdings. Ich würde ihn meinem Manne nicht vorschlagen, wenn mein Mann mein Liebhaber wäre.«

»Verzeihen Sie, Madame, Sie sind jung und ohne Erfahrung, obgleich sich Ihr Charakter mit einer seltsamen Entschiedenheit ankündigt; ich, der ich das Leben kenne, kann Sie also nicht einen so nachteiligen Handel machen lassen.«

»Ich begreife Sie nicht, mein Herr. In welcher Hinsicht wäre hierbei ein Nachtheil für mich?«

»Der freie Mann, Madame, genießt eben durch diese Freiheit alle Güter des Lebens.«

»Die Frau auch, mein Herr.«

»Wünschen Sie es deshalb zu sein?«

»Gewiss.«

»Ich bewundere Sie.«

»Nehmen Sie an?

»Aber . . .«

»Was aber?

»Sie haben also den Plan, Ihren Gatten zu ersetzen?«

»Sie legen mir keine Rechenschaft ab; erlauben Sie mir, dasselbe zu tun.«

»Indessen.«

»Übrigens sehe ich nicht ein, warum wir die Erörterung hierüber schwerfällig machen sollten. Sie wünschen, daß ich mich erkläre?«

»Ich gestehe, das wird wir Vergnügen machen.«

»Nun denn! so erfahren Sie, daß ich bis jetzt durchaus keinen Plan habe; hätte ich einen, Sie begreifen, so würde ich nur die Trennung verlangen, oder ich würde vielmehr gar nichts verlangen, während ich mit demselben Eifer entweder die Trennung oder die Wiedervereinigung fordere.«

Mailly fing an nachzudenken. Die Gräfin heftete einen fragenden Blick aus ihn und sagte:

»Wahrhaftig, so sind die Männer! vor dem Sichern zurückweichend, beschuldigen Sie die Frauen der Launenhaftigkeit und sind noch launenhafter, als die Frauen, die Wolken, das Wasser.«

»Hören Sie doch, Madame, die Sache ist wichtig.«

»Was ist wichtig?«

»Was Sie mir da vorschlagen.«

»In welcher Hinsicht, frage ich Sie? Sind wir nicht schon vollkommen getrennt? Sind nicht schon ein Monat und einige Tage vergangen, wenn ich richtig zählte, daß ich Sie nicht gesehen habe? Nehmen wir an, es sei nur ein Monat. Das ist ein Monat von zwölfen der Ehe. Lassen Sie hören, was verlieren Sie dabei, daß Sie gänzlich getrennt sind? Nichts! Wohl! ich, ich werde viel dabei gewinnen. Thun Sie das für mich, mein Herr, und das wird ein gutes Verfahren sein, wofür ich Ihnen Rechnung tragen werde.«

»Ich wäre begierig, zu erfahren, Madame, was Sie bei dieser Trennung gewinnen werden; sagen Sie es mir, ich bitte Sie, um liebenswürdig zu sein.«

»Ich werde dabei gewinnen, mein Herr, daß ich nicht immer zu warten habe. Ich werbe dabei gewinnen, daß ich mich nicht ermüde, um Toiletten für einen Mann zu machen, der sie nicht einmal sieht. Ich werde dabei gewinnen, daß ich von Ihnen geschätzt werde wie jeder Gegenstand, der im Streite begriffen ist. Ich werde endlich meinen Wert wiedererlangen, den der Herr und Meister, verblendet durch das Eigentum, wie er ist, nicht kennt.«

«Und den Andere schätzen, nicht wahr?«

»Nein, mein Herr, noch nicht.«

»Aber wenigstens schätzen werden?«

«Oh! das ist möglich.

»Madame!«

»Ich frage Sie doch ein wenig,« sprach stolz die Gräfin, »wenn dem so wäre, ich bitte Sie, mit welchem Rechte würden Sie es mir zum Vorwurf machen?«

»Madame, ich sage das durchaus nicht und werfe Ihnen nichts vor, Gott soll mich behüten; ich wiederhole Ihnen nur, daß mich Ihre Festigkeit nach einer einjährigen Ehe mit Bewunderung erfüllt; Ich kannte Sie in der Tat nicht, und nun, da ich Sie kenne . . .«

»Nun?«

»Gestehe ich, daß Sie mir bange machen.«

»Sehr gut.»sagte die Gräfin, »das ist mir lieber, als wenn ich Ihr Mitleid errege. Ein Grund mehr, wenn ich Ihnen bange mache, daß Sie einwilligen.«

»Wollen Sie Ihren Vorschlag genau aussprechen, Gräfin?« sagte Herr von Mailly, durch diese unverbindliche Beharrlichkeit aus das Äußerste gebracht.

»Hören Sie, mein Herr.«

»Ich höre,« erwiderte der Graf, der die Gräfin auch durch einen Anschein von Entschlossenheit zu erschrecken beabsichtigte.

»Das ist ganz einfach, mein Herr: wir werden uns in Freundschaft, ohne Lärmen, ohne einen offenbaren Bruch, trennen; Sie werden die volle Freiheit haben, zu Handeln, wie es Ihnen beliebt, und ich werde dieselben Prärogative genießen. Ist das klar?«

»Vollkommen; doch wohin führt das?«

»Es führt Sie dahin, daß Sie nicht mehr hören, was Sie heute hören, denn ich werde es Ihnen nie mehr sagen, wenn Sie zu dem, was ich von Ihnen verlange, Ihre Einwilligung geben. Das ist schon etwas, wie mir scheint. Scheint es Ihnen nicht auch?«

«Und wer ist der Notar, der den Vertrag abfassen wird?« fragte ironisch der Graf.

»Er ist schon abgefasst, mein Herr, und wir bedürfen keines Notars hierzu,« erwiderte ruhig die Gräfin, indem sie aus dem Leibe ihres Kleides ein zusammengelegtes Papier zog. »Ich habe selbst die Urkunde unseres zukünftigen Glückes entworfen und abgefasst.«

»Unter welcher Garantie soll der Vertrag stehen?«

»Unter der Garantie Ihres Ehrenwortes als Edelmann und unter meiner Garantie als Fräulein von Stande.«

»Lesen Sie, Notar,« rief heiter der Graf.

Frau von Mailly las:

»Zwischen den Unterzeichneten:

»Louis Alexandré, Graf von Mailly, und

Louise Julie von Nesle, Gräfin von Mailly

»Ist folgende Übereinkunft geschlossen worden.«

»Und Sie haben dies allein abgefasst, Madame?« fragte der Graf.

»Ganz allein, mein Herr.''

»Das ist wunderbar!«

»Ich fahre fort,« sagte die Gräfin.

Und sie fuhr fort:

»Ist folgende Übereinkunft geschlossen worden:

»Der Graf nimmt mit Genehmigung der Gräfin wieder seine volle Freiheit, die ihm durch seine Heirat entzogen worden ist.

»Die Gräfin nimmt gleichfalls wieder, mit Genehmigung ihres Gemahls, ihre volle Freiheit.

»Kraft dessen Beide bei ihrer Ehre sich verbindlich machen, weder eine Störung, noch eine Beengung in den Vollzug gegenwärtigen Vertrags zu bringen, der auf der einen und der andern Seite unter den Schutz ihres Wortes gestellt ist.

Doppelt ausgefertigt zu Paris, im Hotel de Nesle, am. . .

»Sie haben das Datum weiß gelassen, Madame?«

»Ei! Sie begreifen, mein Herr, da ich nicht wusste wann ich das Vergnügen haben würde, Sie zu sehen. . .«

»Und es ist nicht nötig, das Datum des Vertrags zurückzusetzen. Gräfin?«

»Von Ihrer Seite vielleicht, mein Herr, von der meinigen nicht.«

»Wir werden also unterzeichnen . . .«

»Mit dem heutigen Datum, wenn Sie wollen.«

»Es sei.«

»Sie unterzeichnen?'

»Madame,« sprach der Graf, »ich bedenke, daß Sie mich mit einem Charakter, wie der Ihrige ist, wirklich sehr unglücklich machen würden. Ich bin nicht der Mann, um in meiner Haushaltung zu kämpfen; Sie würden mich besiegen. Ich will lieber mit den Ehren des Kriegs kapitulieren.«

»Ich habe die Dinge also wohl gemacht, Graf?«

»Vortrefflich, Madame, und wenn ich unterzeichne. . .«

»Wenn Sie unterzeichnen?«

»So geschieht es aus Egoismus.«

»Wie in der Liebe: Egoismus zu zweit,« versetzte, ruhig Frau von Mailly.

Der Pfeil drang in die Eitelkeit des Grafen ein und braute ihr eine tiefe Wunde bei.

Er ergriff eine Feder, die ihm die Gräfin reichte, und setzte unter den Vertrag eine energische Unterschrift.

»Nun ist die Reihe an Ihnen, Madame,« sagte, er.

Sie zeigte ihm, daß sie zum Voraus unterzeichnet hatte. Er errötete.

Die Urkunde war doppelt ausgefertigt.

Die Gräfin reichte ihm eine von den Urkunden und behielt die andere. Dann bot sie ihm die Hand.

Einen Augenblick war der Graf von der Versuchung erfasst, diese Hand zurückzuweisen und mit Heftigkeit abzugehen. Doch auch diesmal kam ihm der Stolz zu Hilfe: er nahm die. Hand der Gräfin und legte einen äußerst anmutigen Kuß darauf.

»Madame sagte er, »ich hoffe, Sie sind nun wenigstens befriedigt.«

»So sehr, als Sie es morgen sein werten, Herr Graf.«

»Ich bitte, machen Sie keinen Missbrauch . . .«

»Graf, keine Bedingungen außerhalb des abgeschlossen?n Handels: volle Freiheit.«

»Volle Freiheit; es sei!«

Der Graf verbeugte sich, empfing die Verneigung seiner Frau und ging weg, ohne sich umzuwenden.

Die Gräfin verschloss sorgfältig das Blatt, das ihr ihre Freiheit gab.

Dann klingelte sie ihrer Kammerfrau und, ließ sich ankleiden.

Sie speiste diesen Abend in Rambouillet beim Herrn Grafen von Toulouse, der dem König Komödie gab.

LVI.
Rambouillet

Rambouillet, ein herrlicher Aufenthalt, verschönert durch alle Hilfsmittel der Kunst und des Reichtums, gehörte dem Herrn Grafen von Toulouse, einem der legitimierten Söhne von Ludwig XIV. und Frau von Montespan.

Kein Hof war zugleich galanter und glänzender.

Die Gräfin von Toulouse führte hier den Scepter mit jener holden Majestät, deren Überlieferung zehn Jahre nach der letzten Regierung, einer Regierung der Urbanität des Geistes und der wahren französischen Würde, zu verschwinden anfing.

König Ludwig XV. kam nach Rambouillet, um die gute Lust und die Freiheit zu atmen, denn man behandelte ihn hier als verwöhntes Kind. Hier atmete er auch die edlen Wohlgerüche des Königtums, welche sich an diesem Orte verewigt hatten, wie die Überreste der edlen Weine, von denen Horaz spricht, und deren berauschenden Geruch die Amphora, selbst wenn sie leer ist, bewahrt.

Die Gräfin von Toulouse war von Ludwig XV. geliebt worden. Schön und kokett ohne Geheimnis, denn sie liebte ihren Gemahl, hatte sie dem König Liebe eingeflößt. Das wahr ihr gelungen. Hier hatte der junge Prinz die Höflichkeit studiert und gelernt, die er äußerlich, wenigstens an seinem Hose, zu bewahren wusste, bis an das Ende eines durch die gemeinen Orgien abgenutzten Lebens, das aber, obwohl im Grunde vom Brand angegriffen, immer elegant aus der Oberfläche blieb.

 

Die gute Erziehung, die Zierlichkeit der Formen und Manieren, welche die Frauen geben, ist eine zweite Milch, deren Einfluss sich ewig aus den Geist und die Sitten ausübt. Die Krankheiten, welche eine so befestigte Konstitution durchziehen, können allerdings das Temperament verändern, zerstören es aber nie ganz.

Obgleich jung und immer dem Einfluss des Kardinal von Fleury unterworfen, begriff Ludwig XV., seine Liebschaft mit der Frau Gräfin von Toulouse wäre nur ein Ärgernis und nie ein Vergnügen. Er verzichtete daher rasch aus diese poetische Geliebte. Er behielt für die anmutige, reizende Frau die Achtung und die Wertschätzung, mit einem wohlwollenderen Gefühle, als das der Freundschaft, während es doch nicht die Liebe war.

Es ist nicht zu leugnen, Amor war, trotz seiner Binde, langsam, den Kopf zurückgewendet, entflogen, und war bereit, aus das erste Zeichen zurückzukehren.

Wir haben gesagt, König Ludwig XV. sei oft nach dem schönen Schlosse Rambouillet gekommen. Er jagte dort, machte Promenaden und belustigte sich mit dem Hose. Die Gesellschaft, die er dort fand, hatte nichts mehr von der Regentschaft an sich.

In ihr Schloß mit weniger Wut, als die Herzogin von Maine nach Sceaux, zurückgezogen, beschäftigten sich der Großadmiral von Frankreich und die Frau Gräfin von Toulouse nur mit dem König und opferten die alten Chimären der Legitimierung der Wirklichkeit des Grundsatzes der legitimen Erbschaft.

Die Politik war auch aus immer aus allen Unterhaltungen verbannt. In Rambouillet plauderte man über Literatur, man opferte dort den Künsten, wie man um jene Zeit sagte; man liebte und feierte die Schönheit, die Intelligenz und die Kriegstaten. Das war der Hof des wahren Sohnes von Ludwig XIV. Man konnte an den Giebel des Schlosses den Wahlspruch des großen Königs: Nec pluribus impar setzen. Es fehlte nur, und das war ein Glück, der Ehrgeiz, der das Herz schwärzt. Der König fühlte, wenn er in Rambouillet, In dieses Asyl des Glückes eintrat, daß jede schädliche Befangenheit in Beziehung aus ihn entfernt worden war, daß die Blumen hier für ihn einen süßeren Wohlgeruch annahmen, daß er hier in seiner wahren Familie war.

Ludwig XV. brachte daher nach Rambouillet die ganze Tollheit seiner Jugend, die ganze Hitze seines Blutes, sein ganzes Herz mit, wenn Ludwig XV. überhaupt ein Herz hatte.

Zum Voraus eingeladen, wurde Seine Majestät an diesem Tage in Rambouillet erwartet. Der Graf von Toulouse hatte die beste Gesellschaft gebeten, um das Gefolge der Lilien zu bilden.

Man musste es versuchen, den König zu belustigen, der seit einigen Tagen von einer unbegreiflichen Schwermut befallen zu sein schien, und von dem die wunderlichen und wenig verbindlichen Köpfe erklärten, es sei unmöglich, ihn zu belustigen.

Die Einen schrieben diese Traurigkeit der Krankheit zu, die der König kurz zuvor ausgestanden; Andere suchten für diese tiefe Melancholie unbekannte Ursachen. Die großen Höflinge kannten allein die wahren Motive dieses Übels, ohne die Mittel, um es aufhören zu machen, zu kennen.

Die Straße nach Rambouillet war den ganzen Tag bedeckt von Karossen mit Wappen verziert und wohl geschlossen wegen der Kälte, die sehr scharf zu werden anfing, von Reitern, welche die Befehle oder die seltenen Beigerichte überbrachten, die man, obwohl sie außer der Jahreszeit, in Paris, der Heimat der Frühprodukte, gekauft hatte, oder von Musikern in Mietwagen, welche heiter, als Künstler, die Fahrt machten und sich mit der königlichen Gastfreundschaft des Schlosses Rambouillet für die mageren Mahle und die Langweile des Weges zu entschädigen hofften.

Das Programm besagte, der König werde während dieses Tages im Walde jagen, er werde um sechs Uhr zum Souper zum Grafen von Toulouse kommen, es werde sodann Schauspiel stattfinden, kurzes Schauspiel, damit die Damen spielen und plaudern könnten, ehe sie in ihre Gemächer zurückkehrten. Das Programm erfüllte, wie man sieht, alle Bedingungen des Vergnügens und der Schicklichkeit.

Der König kam in der Tat um elf Uhr Morgens an. Er hatte selbst die Stunde des Abgangs bestimmen wollen. Die Prinzen, zwei Gesandte und seine Vertrauten waren im Gefolge des Königs.

Ludwig XV. jagte, nach der Aussage von Sergens, den ganzen Tag mit Zerstreuung. Er frühstückte kaum bei einem Halt und hatte den Hirsch nehmen lassen, ohne dem Halali beiwohnen zu wollen.

Auf den Schlag fünf Uhr kam der König nach Rambouillet zurück.

Die Gerüchte des Tages hatten sich schon unter den Höflingen verbreitet. Man kannte sein zerstreutes Wesen, und diese königliche Niedergeschlagenheit hatte eine Art von Traurigkeit bis in die Gemächer der Gräfin von Toulouse gebracht.

Jeder componirte sich daher sein Gesicht nach dem Gesicht des jungen Gebieters. Die Höflinge von Alexander dem Großen trugen alle den Kopf auf die Schulter geneigt nach dem Beispiele des Eroberers.

Als der König die Gallerte durchschritt, um sich in den Salon zu begeben, bemerkte man, daß er seine so klaren und so schönen Augen eher aus die Männer, als aus die Frauen heftete. Er schien Jemand zu suchen, der nicht da war.

Beim Mahle seufzte er wiederholt.

Die Gräfin von Toulouse saß bei Tische neben dem König. Sie hatte bei ihm die Vorrechte einer älteren Schwester.

Diese Traurigkeit des Königs, diese anhaltende Schwermut, welche weder die Fahrt, noch die Jagd, noch die Vergnügungen, die man, um den Monarchen zu belustigen, zu vereinigen gesucht, hatten besiegen können, diese innere Pein beunruhigte die Gräfin.

Von ihrem Privilegium als Weib, als Verwandte und als geliebte Frau Gebrauch machend, neigte sich Frau von Toulouse zu ihrem königlichen Gast und sagte zu ihm:

»Sire. . .«

Ludwig XV. schien aus einer langen Träumerei zu erwachen. Er schaute sie an.

«Sire,« fuhr sie fort, »Eure Majestät langweilt sich in Rambouillet?«

»Madame, ich langweile mich ein wenig überall, ausgenommen hier, das versichere ich Sie.«

»Eure Majestät hat schlecht gejagt?«

»Ich weiß nicht einmal, ob ich gejagt habe.«

Dieses Wort wurde gehört, es rief bei den Anwesenden einen lebhaften Schrecken hervor. Der König, da er so bleich war, da er so wenig aß, da er Zerstreuungen hatte, der König war also immer krank.

Was sollte man diese Krankheit zuschreiben, nun, da der Regent todt? Zur Zeit, da der Regent lebte, hatte man die Verleumdung, und das war immerhin ein Trost.

Man befragte den König nicht. Frau von Toulouse saß aus Nadeln.

Sie wartete darauf, daß der König zuerst spreche.

Der König sprach nicht.

Nach dem Mahle ging der König in den Schauspielsaal, wo eine kleine Oper aufgeführt wurde.

Als er in seinem Fauteuil Platz nahm, erschien Herr von Richelieu.

Aus der Stelle klärte sich die Stirne des Königs aus, sein Blick fixierte sich, er machte dem Herzog ein kleines freundschaftliches Zeichen, und dieses Zeichen rief ihn zu Ludwig XV.

Man kann sich denken, mit welcher Geschwindigkeit der Höfling dem Zeichen gehorchte, denn wir wollen es nicht leugnen, er hatte dieses Zeichen ein wenig erwartet.

Die Oper begann. Nichts war zauberhafter, als dieser so geschmückte Saal.

In dem reizenden Kostüm jener Zeit hundert Frauen ausgezeichnet an Schönheit, Jugend und Rang, hundert Männer mit Orden und Stickereien bedeckt; der Krieg, die Politik, die Finanzen, vom Ministerium an bis zur Oberintendanz, Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe: das war es, was man im Saale bewunderte.

Richelieu geriet in Entzückung; der König fing an auf die Musik zu horchen.

»Wir wollen,« sagte Richelieu zu sich selbst, »wir wollen unter den hundert Frauen, die ich unter meiner Hand halte, diejenige sehen, welche der König anschauen wird.«

Und er schaute abwechselnd den König und die Frauen an.

Plötzlich neigte sich der König gegen Pecquigny und sagte zu ihm:

»Herzog, wenn man gewisse Rollen spielt, kann man gewisse andere auch spielen?«

»Ja, sicherlich, Sire,« erwiderte der Herzog, ohne zu wissen, woraus der König abzielte, »gewisse andere, und noch andere.«

»Es war unerlässlich, dem König immer zu antworten, wenn er fragte, und sollte man ihm auch mit etwas Widersinnigem oder mit einer Lüge antworten. Ludwig XV. hatte seit seiner Jugend die Gewohnheit angenommen, immer zu fragen, ohne je auf die Antwort zu warten.

Es lag ihm also wenig daran, was diese Antwort war, wenn man ihm nur antwortete.

Diesmal wartete er gegen seine Gewohnheit.

Pecquigny war ganz erstaunt und befürchtete, eine Albernheit gesagt zu haben.

»Ah!« versetzte der König, »und wenn man spricht, kann man also auch singen?«

»Ja, Sire,« antwortete Pecquigny.

Diesmal war die Antwort durch die Betonung der Frage befohlen.,

Richelieu hörte Fragen und Antworten.

»Warum, in des Henkers Namen, hat er dies Pecquigny gefragt?« sagte neugierig Richelieu zu sich.

Man erinnert sich, daß, gerade am Abend des Debüts von Olympia in der Comédie-Francaise angekommen, Richelieu bei diesem Debüt nicht anwesend sein und daher die Folgen dieses Debüt, auf welches der König anspielte, auch nicht kennen konnte; und nach den zwei Fragen, die dieser an Pecquigny gerichtet, wusste Pecquigny auch nicht, was der König sagen wollte.

«Warten wir noch, bis er sich offenbart,« dachte der Kapitän der Garden.

Es verging ein Stück, dann noch eines.

»Wer singt in dieser Oper?« fragte Ludwig XV.

Man nannte ihm die Namen der Sänger.

»Wie!« sagte er, »das ist Alles? keine andere Schauspieler, keine andere Schauspielerinnen?«

Ein Blitz durchzuckte das Gehirn des Kapitäns.

»Ah! Ah!« sagte er, »gut. ich begreife.

»Hätte Eure Majestät etwas Anderes gewünscht?« fragte Richelieu.

Der König beobachtete ein Stillschweigen: Pecquigny brach es.

«Wetten wir,« sagte er, »Eure Majestät erwartet andere Gesichter auf dieser Bühne«

»Ich? und aus welchem Anlass sagen Sie mir das, Herzog?« versetzte Ludwig XV.

»Weil Eure Majestät kein großes Vergnügen an der Oper zu finden scheint.«

»Ich hasse die Musik,« erwiderte der König.

Dann, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, fragte Ludwig XV. errötend:

»Das Mädchen von neulich, singt es?«

Es war sichtbar, daß sich der König angestrengt hatte, um dahin zu gelangen.

»Welches Mädchen?« sagte rasch Richelieu, der die Frage im Fluge auffing.

»Mademoiselle Olympia,« erwiderte Pecquigny, »eine Schauspielerin. – Nein, Sire.«

»Wer ist diese Olympia?« fragten die zwei Augen des Herzogs Pecquigny.

»Ein Wunder, mein Lieber,« antwortete der Kapitän der Garden.

»Ein Mädchen, das ich neulich am Abend in Britannicus habe spielen sehen,« fügte der König bei.

»Ah! er hat Jemand ausgezeichnet!« dachte Richelieu; »es ist gut, davon unterrichtet zu sein.«

»Er ist entschieden verliebt,« sagte Pecquigny zu sich selbst; »er hat wohl daran gethan, daß er sich preisgegeben.«

Der König nahm keinen Anteil mehr am Schauspiel; er plauderte bis zum Schluss mit Frau von Toulouse, und die Oper endigte, ohne daß er Beifall geklatscht hatte.

»Er langweilt sich wohl,« dachte Richelieu. »Wie Schade, daß man nicht hier bei der Hand das Mittel hat, nach welchem er verlangt!«

Und er zog seine Tabletten aus der Tasche und schrieb auf's Geratewohl und ohne daß Jemand vermutete, was er tat: »Olympia bei der Comédie-Francaise.«

Dann durchging er langsam den blendenden Kreis schöner Frauen, aus denen der König, trotz des Luxus ihrer Toiletten und ihrer Reize, nicht einen Moment seine Blicke hatte verweilen lassen, und sagte:

»Es ist seltsam! In seinem Alter hätte ich alle diese Frauen geliebt.«

Als er so weit war, rief etwas Leuchtendes, gewaltsam Anziehendes sein Auge auf die Linke des Königs. Er erblickte am Ende der Reihe der Damen einen trotz der Hofschminke bleichen Kopf, blendende Haare, große, schwarze, durch eine fieberhafte Aufmerksamkeit erweiterte Augen. Dieses Gesicht hatte die Augen unveränderlich, schwärmerisch aus seine Seite geheftet. Richelieu war schön, ein Mann, um den man sich bewarb, nach dem man begehrte; er hatte oft, offen oder unter dem Fächer, jene stummen, aber ausdrucksvollen Liebeserklärungen erlauert.

Richelieu bezweifelte nicht, diese Blicke seien für ihn. Er betrachtete die Frau mit größerer Aufmerksamkeit.

Dieses, durch seinen Ausdruck, seltsam schöne Gesicht ergriff Richelieu und erregte in ihm sogleich den Wunsch, die Person, deren Augen so aus sich zu ziehen er das Glück gehabt, besser kennen zu lernen.

 

Nur war ihm diese Frau unbekannt: seit beinahe drei Jahren vom Hofe abwesend, hatte der Jäger viele Spuren verloren.

Er näherte sich also Pecquigny, und während der König die verzweifelnde Frau von Toulouse zu überreden suchte, er unterhalte sich sehr gut, sagte er:

»Herzog.«

»Was?« fragte Pecquigny, der plötzlich aus seiner Träumerei ausfuhr.

Richelieu schaute ihn mit Erstaunen an: es lag nicht in den Gewohnheiten des Kapitäns der Garden, zu träumen.

»Herzog,« sagte er; »wer ist denn jene brünette Dame?«

»Wo dies? Wir haben viel zu viel Brünetten hier. Der König liebt die Brünetten nicht.«

Pecquigny antwortete seinem Gedanken und nicht Richelieu. Dieser lächelte.

»Es handelt sich nicht um den König,« erwiderte er:«ich frage Dich, wer die brünette Frau sei, dort, links, ganz am Ende der Galerie, die Vorletzte beim Theater, in einem hellgrau und silbernen Kleide, mit spärlichen Diamanten und viel Glanz.«

»Ah!« versetzte der Kapitän. »Das ist nichts.«

»Wie! das ist nichts?«

»Nein, es ist die Frau von Mailly.«

«Bah! eine von Nesle?«

»Ja, mein Lieber, es gibt vier so. Kennst Du ihre Unterbringung?«

»Bemerkst Du, wie sie mich anschaut? Sieh nur!«

»Ah! es ist wahr!« sagte Pecquigny.

Und er neigte sich vorwärts.

»Gut!« versetzte Richelieu. »Du erschreckst sie.«

»Siehst Du das?«

»Ei! sie wendet den Kopf ab. Was für eine Frau ist es?«

»Oh! mein Lieber, eine unerträgliche Frau.«

»Was macht Mailly mit ihr?«

»Was Du mit der Deinigen machst, mein Lieber: er lässt sie.«

»Oh! armes Weibchen!«

»Schau sie doch nicht an, sie ist hässlich.«

»Es ist sonderbar! ich finde das nicht.«

»Abscheulich! mager!«

»Ich glaube, Du hast Recht, Herzog.«

»Ah! der Meister von uns Allen schmachtet nicht Wegen so wenig.«

»Sie schaut übrigens nicht mehr.«

»Oh! ärgere Dich nicht, Herzog. Du kennst die Mutter, die Töchter werden nicht von der Art lassen. Willst Du mit aller Gewalt, daß sie Dich noch anschaut, nun, sie wird Dich beim Teufel anschauen.«

»Sie hat einen schlechten Ruf?«

»Noch etwas Schlimmeres: sie hat gar keinen,«

»Was macht aber dann Mailly mit ihr?«

»Mailly hat sie heute verlassen, in Folge eines geheimen Vertrags, eines Vergleichs. Wenn Du die Geschichte wissen willst, geh zum Orchester, er hat sie Brancas erzählt, der sie Dir erzählen wird, wie er sie mir erzählt hat.«

»Mailly ist nicht hier?«

»Nein; seine Frau sucht, doch er, er hat gesunden.«

»Ah! nun schaut sie abermals. Weißt Du Eines, Herzog? Wenn Mailly nicht von ihr getrennt wäre, und wenn ich nicht ein Muster von Weisheit geworden wäre, bei meinem Ehrenwort! ich würde dieser Frau den Hof machen.«

»Du bist verrückt.«

»Ich habe immer die Frauen geliebt, die alle Welt liebt oder die alle Welt lieben.«

»Du liebst sie also alle?«

»Das ist ein wenig wahr.«

»Nimm Dich in Acht, der König hört Dich!«

In der Tat, während er ein Ohr Frau von Toulouse lieh, öffnete der König das andere für das Gespräch der zwei Edelleute, und unsere Achtung für die Wahrheit nötigt uns, zu sagen, daß das offenste Ohr nicht dasjenige war, welches sich dem Anhören von Frau von Toulouse weihte.

Das Gespräch war leichtfertiger Art. Sehr Neuling in der Liebe, gab sich der König auch, wie gesagt, ganz diesem Gespräche hin.

Die Herzöge unterbrachen sich.

»Nun! was sagen Sie, Herr von Richelieu?« fragte der König.

»Ich. Sire?«

»Ja, in Betreff der Frauen, welche alle Welt liebt . . .«

»Seine Majestät hat ein seines Gehör.«

»Das heißt nicht antworten, Herzog,«

»Sire, Pecquigny, der ein Schelm ist, sagte mir Schlimmes von den Frauen.«

»Und Sie?«

»Und ich, bei meiner Treue! ich ließ es ihn sagen.«

Das Schauspiel war zu Ende; der König stand auf und bot der Gräfin von Toulouse den Arm.

Er Hätte lieber an seinem Platze bleiben und das Gespräch fortsetzen mögen.

Ludwig XV, ging in den Tanzsaal und tanzte ein Menuet mit Frau von Toulouse.

Richelieu benützte diese Bewegung, um sich Frau von Mailly zu nähern und zu sehen, was die so starr aus ihn gehefteten Augen machen würden. Sein Erstaunen war groß, als er, nachdem er den Platz gewechselt, wahrnahm, daß die Augen der Gräfin immer derselben Richtung folgten. Nur, statt sich aus ihn zu heften, hefteten sie sich auf den König.

Es war also der König»den die junge Frau so anschaute.

Richelieu, der in dieser Entdeckung eine Menge interessanter Beobachtungen sah, hütete sich wohl, sie zu unterbrechen. Es war ihm beinahe eben so lieb, daß Frau von Mailly den König anschaute, als wenn sie ihn angeschaut hätte. Er stellte sich hinter einen großen Lehnstuhl und hörte seinerseits nicht aus, die schöne Aufmerksame anzuschauen.

Da sah er sie mit langen Zügen das Liebesgift trinken, das von den Augen zum Herzen gebt. Er sah sie den Kopf so oft drehen, als Ludwig XV. den seinigen drehte, ihre schwarzen Augenbrauen zusammenziehen, so oft Frau von Toulouse bei dem, was ihr der König sagte, lächelte.

Frau von Mailly war nicht nur verliebt, sondern auch eifersüchtig.,

Allein, verloren in der Menge, durchaus nicht bemerkt, weil ihr mehr daran lag, zu sehen, als gesehen zu werden, ahnte sie nicht, daß zehn Schritte von ihr ein forschendes Auge jeden ihrer Gedanken in der Tiefe ihrer Seele las.

Und sie dachte mit jeder Muskel ihres Gesichts, die, arme Frau, wie sie mit jeder Fieber ihres Herzens empfand.

Was konnten nun die Gedanken der Gräfin sein? Ist es schwierig, dies zu sagen? Nein. Da Herr von Richelieu aus diesem Gesicht las, so werden wir wohl auch daraus lesen. Frei, mit Wonne atmend, im Gefühle, an keine irdische Kette mehr genietet zu sein, genoss sie das Glück, ihr ganzes Wesen mit neuen Säften zu füllen, zog sie gierig die Eindrücke mit einem Geiste in sich, den bis dahin nichts hatte sättigen können.

Zum ersten Male seit ihrer Kindheit lebte sie nach ihrer Phantasie. Emanzipiert durch den Gatten, hatte sie das hohe, allen kleinmütigen Leuten und allen plumpen Leuten unbekannte, Glück, sich ein Glück gerade in dem Augenblick zu versagen, wo sie es sich gewährte. Sie hatte ihren Blick in die Versammlung getaucht, um hier gemächlich ein Ideal zu wählen, welches sie lieben könnte, da ihre Seele von Liebe überströmte und Niemand in der Welt ihr auch nur einen Anschein davon bezeigte.

»So,« sprach sie in ihrer Einbildungskraft, »so, Ihr übermütigen Prinzen, Ihr unbezähmbaren Alcibiadesse, die Ihr nicht einmal einen hoffärtigen Blick auf die arme Verlassene werfen würdet! so kann ich Euch lieben, wenn ich will. Was sage ich, die Prinzen! Ich kann den König lieben, wenn es mir gefällt. Der König ist der Schönste, der Stolzeste, der Anbetungswürdigste der Herren des Hofes; nun! nichts verhindert mich, ihn mit meiner Einbildungskraft für mich zu nehmen. Nichts verhindert mich, ihm zu sagen, wie ich mir selbst sage: seine Augen haben den Glanz des Diamants, seine Züge seien edel, sein Wuchs sei reizend, er könne keinen Schritt, keine Gebärde, kein Zeichen machen, ohne daß die Anmut um ihn her ausdufte. Wer kann mich also verhindern, den König zu lieben? Ich habe das Recht dazu, unterzeichnet, in meiner Schublade.«

Obgleich gewohnt, in den Zügen der Frauen zu lesen, hatte Richelieu diesen Gedanken nicht erraten; er hatte hauptsächlich, trotz seiner Wissenschaft, die er für so vollständig hielt, nicht erraten, wie die Gräfin von Mailly durch die verführerischsten Illusionen gewiegt, schlecht rechnete, In diesem Augenblick besonders, und wie sehr sie ihren Bruch mit Herrn von Mailly zu hohen Interessen angelegt hatte.