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Ein Türsteher meldete den englischen Gesandten.



»Er möge eintreten! er möge eintreten!« rief die Königin. Dann reichte sie Sir William die Hand und sagte:



»Ah, Sie kommen gerade zu rechter Zeit. Sie wissen doch, was bei uns vorgeht?«



»Ich weiß, was man erzählt, weiter nichts. Mögen Ihre Majestät mir aber erlauben, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.«



»Jetzt kommt auf mein Befinden nichts an! Jetzt muß man sich um das Befinden des Königreiches bekümmern. Wir sind sehr krank, mein lieber Hamilton, und wenn Monsieur Pitt uns nicht zu Hilfe kommt, so fürchte ich ernstlich, daß man uns, gleich wie meinem Bruder Ludwig XVI. am 20. Juni die rote Mütze über die Ohren zieht.«



»Monsieur Pitt, Madame« sagte Sir William, »wird Ihnen zu Hilfe kommen, daran zweifeln Sie nicht. Er folgt jedoch einem Systeme, welches ich nicht billigen kann, da es den Wünschen Ihrer Majestät zuwiderläuft. Mr. Pitt ist ein Whig, der Tory geworden ist, das vergessen Sie nicht, er will, daß Frankreich selbst den Fluch der Nation auf sich lade.«



»Ja, das heißt, anstatt Ludwig XVI. zu retten, was wohl hätte geschehen können, wenn er sich der Koalition angeschlossen, will er ihn rächen, wenn die Franzosen ihn hingerichtet haben werden. Übrigens verlange ich sehr viel, wenn ich will, daß der Minister einer Nation, die Carl den Ersten enthauptet hat, erzürnt sein soll, weil eine andere Nation das Beispiel der englischen nachahmt. O, wenn er die Franzosen haßte, wie ich!«



»Ich will Ew. Majestät etwas sagen, was Ihnen unmöglich scheinen wird und dennoch wahr ist: Mr. Pitt haßt die Franzosen noch mehr, als Sie es tun.«



»Mehr als ich?«



»Ja, Madame.«



»Das kann ich kaum glauben.«



»O, ich kann Ew. Majestät versichern, daß dem so ist. Glauben Sie mir, ich habe den Vater, Lord Chatham gekannt, ich habe den Sohn gekannt, habe ihn als Kind gesehen; er ist heftig, krank, jähzornig geboren. Er ist ein trauriger, herber, über alles erbitterter Mensch. Jetzt ist er auf den Untergang der Revolution erpicht; er wartet nur, bis die geeignete Stunde schlägt. Fox und Sheridan, an die ich geschrieben, haben ihr Möglichstes getan, damit die Regierung bei dem Konvent interveniere, er aber hat es nicht gewollt. Es ist traurig, sagen zu müssen, und besonders Ew. Majestät gegenüber, er spekuliert aber auf das Entsetzen, welches das Ereignis in Europa hervorrufen wird. Mr. Pitt hat zweimal in seinem Leben gelacht, Madame, und zweimal hat er sich zu einem Scherze herabgelassen. Das erste Mal lachte er, als er erfuhr, daß in San Domingo eine Empörung ausgebrochen war, daß die Neger überall sengten und würgten. Er lachte und sagte: »Jetzt können die Franzosen braunen Zuckerkand zu ihrem Kaffee nehmen!« Das zweite Mal lachte er, es war vor vierzehn Tagen, als Fox und Sheridan, von mir dazu bewogen, ihm vorstellten, daß, wenn er sich nicht einmischte, die Franzosen ihre Raserei so weit treiben könnten, ihren König umzubringen. Er lachte und sagte: »In diesem Falle wird es auf der Karte von Europa eine leere Stelle geben.«



»Ihr Pitt ist aber ein Ungeheuer!« rief die Königin.



»Ich habe mir keine Meinung über Mr. Pitt gebildet, dessen Gesandter zu sein ich die Ehre habe, Madame,« sagte Sir William lachend, »ich weiß jedoch, daß er es verstanden hat, sich von allen drei Englanden anbeten zu lassen.«



»Was meinen Sie von den drei Englanden, Sir William? England, Irland und Schottland?«



»O nein. Altengland, das feudale England, welches seit 89 vor Furcht verging, da es aus jedem Schiffe, welches aus Frankreich kam, die Menschenrechte ans Land steigen zu sehen glaubte, das handeltreibende England, welches das Meer wie sein Lehn betrachtet und dem Pitt die Vernichtung der französischen Marine versprochen, endlich das müßige, spekulative, wuchertreibende England. Frankreich teilt sein Ländergebiet, die Engländer teilen ihre Renten. Jeder Engländer hat seinen Koupon und an jedem Morgen berechnet er, was er in der Nacht gewonnen. Als Frankreich, welches seinem Bankerott entgegengeht, für zwei Milliarden Assignaten in Umlauf setzte, stiegen unsere Fünfprozentigen, welche zweiundneunzig standen, bis auf hundertzwanzig. Pitt war ein großer Mann! Die Vierprozentigen, welche fünfundsiebzig standen, stiegen auf hundertundfünf und Pitt war ein Heros! Die Dreiprozentigen endlich, welche siebenundfünfzig standen, stiegen auf siebenundneunzig und Pitt ist nun ein Gott!«



»Ein erbärmlicher Gott!«



»Ach, Sie wissen ja, Madame, daß die Menschen sich ihre Götter nach dem, was sie lieben, und nach dem, was sie hassen, bilden. Die Inder beten eine Kuh an, die Mongolen ein Lamm, die Siamesen einen weißen Elefanten. Lassen Sie uns das goldene Kalb anbeten; das ist noch der ausgebreitetste Kultus.«



In diesem Augenblicke vernahm man neuen Kanonendonner, der verkündigte, daß der Gesandte des Herrn von Latouche-Tréville in das Admiralboot stieg, und man benachrichtigte soeben Sir William, daß der König ihn bitten ließe, zu ihm zu kommen.



Zehntes Capitel.



Nach den Bestimmungen des Königs und des Staatsrates konnte schon im voraus wissen, daß der Gesandte des französischen Admirals auf keine großen Schwierigkeiten bei seinen Unterhandlungen stoßen würde. Der König war auch wirklich entschlossen, Frankreich alles zu bewilligen, was es fordern würde, natürlich mit dem stillen Vorbehalte, sein Wort zu brechen, oder Frankreich zu verraten, falls England sich entschließen sollte, sich einzumischen.



So hatte denn der König in der Sitzung mit lauter Stimme, wie auch schriftlich erklärt, daß er bereit sei, den Bürger Mackau zu empfangen und ihn wie den Gesandten einer befreundeten Macht zu behandeln.



Er hatte versprochen, in den Kriegen Frankreichs mit Europa die vollständigste Neutralität bewahren zu wollen, kurz, er hatte sich verpflichtet, seinen Gesandten, welcher es bewirkt, daß Herr von Sémonville nicht vom Sultan empfangen worden, aus Konstantinopel zurückzurufen. Er hatte also in allen Punkten nachgegeben und Frankreich alle nur mögliche Satisfaktion gegeben.



So sahen wir denn noch an demselben Abende die französische Flotte absegeln und sich in der Dämmerung verlieren. Am folgenden Morgen war kein einziges Schiff mehr zu sehen.



Vor der Abreise jedoch hatte der Admiral von Latouche-Tréville den französischen Gesandten in Neapel, wie auch den Gesandten am römischen Hofe, den Bürger Basseville, ans Land gesetzt.



Wie der König bemerkt hatte, war die Menge, welche dem Schauspiel der Manöver einer französischen Flotte im Golfe von Neapel zusah, unermeßlich auf dem weiten Amphitheater, da aber, wo der Gesandte des französischen Admirals landete, hatte die Menschenmenge sich ärger und dichter gedrängt, als sonst wo. Die Trikolore, welche den Bug des Admiralsschiffes schmückte, hatte, da sie so dicht auf neapolitanischem Gebiete wehte, sehr verschiedene Empfindungen erweckt. Die Lazzaroni hatten sie mit einer Art stumpfsinnigen Hasses betrachtet, alle aber, die der aufgeklärten Jugend Neapels angehörten, wie auch die Männer, welche freisinnigen Berufszweigen angehörten, hatten ihr Herz klopfen hören, als sie dieses sichtbare Zeichen einer Revolution sahen, mit welcher die Fortschrittspartei sich eines Tages zu verbünden hoffte.



Man berichtete alle diese Einzelheiten der Königin und versicherte ihr sogar, daß einige junge Männer, unter denen auch ein gewisser Emanuele de Deo sich befunden, ihren Enthusiasmus nicht hätten beherrschen können und in dem Augenblicke, wo der Gesandte des französischen Admirals in seinem republikanischen Kostüm an ihnen vorübergekommen, gerufen hätten: Es lebe Frankreich!«



Als ich am Abend nach dem Palais der englischen Gesandtschaft, welche an der Ecke des Flusses und der Straße Chiaja lag, zurückkam, sah ich Gruppen in der Straße Chiatamone. Diese Gruppen waren durch die französische Trikolore, welche über einer Tür, der Tür des Bürgers Mackau, wehte, herbeigelockt worden.



Am folgenden Tags des Nachmittags erfüllte sich die Prophezeiung des Kapitäns Caracciolo. Der Wind schlug nach Südwesten um und ein furchtbarer Sturm brach los. Wenn Neapel nur vierundzwanzig Stunden Widerstand geleistet hätte, so wäre die französische Flotte entweder gezwungen gewesen, das Weite zu suchen, also zu fliehen, oder sie wäre vom ersten bis zum letzten Schiff verloren gewesen.



Als die Königin diesen Sturm sah, der ihr Begehren so vollkommen rechtfertigte, konnte sie sich nicht enthalten, dem König seine Feigheit vorzuwerfen.



Doch war dies ein Vorwurf, der, mir müssen es gestehen, keinen großen Eindruck auf Ferdinand hervorbrachte.



Anstatt sich wegen dieses Sturmes, welcher, ohne daß die neapolitanischen Kanonen etwas dabei zu tun brauchten, der Flotte des französischen Admirals schrecklichen Schaden zufügen konnte, Glück zu wünschen, beklagte er eine Jagdpartie, die am folgenden Morgen im Walde von Persano abgehalten werden sollte, und auf die er nun verzichten mußte.



Er hatte jedoch die Königin einigermaßen beruhigt, indem er ihr die Theorie, nach welcher er die Treue, die man abgeschlossenen Verträgen schuldig ist, betrachtete, darlegte und ihr sagte, daß er sich mit Sir William bestimmt entschlossen habe, Frankreich den Rücken zu kehren, sobald die Engländer sich der Koalition anschließen würden. Mr. Pitt brauchte ihm nur ein Zeichen zu geben, und Soldaten und Schiffe würden England sofort zur Verfügung stehen.



Am 20. Dezember, also vier Tage nach dem Verschwinden der französischen Flotte, ward ich durch lauten Ruf erweckt. Eine Menge Volks strömte lärmend über die Brücke von Chiaja und verbreitete sich bis in die Gärten der Villa.



Ich klingelte und fragte, was für ein Ereignis diesen Auflauf verursachte. Man erwiderte mir, daß die französische Flotte wieder in den Hafen segle.



Ich erhob mich und kleidete mich schnell an, denn ich dachte mir, daß die Königin mich holen lassen würde, und wirklich erhielt ich in dem Augenblicke, wo ich meine Toilette beendet, ein Billett von ihr, in welchem sie mich bat, in das Schloß zu kommen.

 



Fast in demselben Augenblick trat Sir William bei mir ein. Er hatte soeben vom König dieselbe Einladung bekommen und erbot sich, sich mit mir zugleich in das Schloß zu begeben.



Wir stiegen in den Wagen und befahlen dem Kutscher, durch die Straße Santa-Lucia zu fahren.



Kaum waren wir auf dem Kai angekommen, so sahen wir, wie die ganze Flotte wieder in den Hafen segelte, nicht aber in der bewunderungswürdigen Ordnung wie vor einigen Tagen, sondern wie ein Schwarm verscheuchter Seevögel, deren jeder nach Kräften sich anstrengt, ein schützendes Obdach zu gewinnen.



Wir erreichten das Schloß. Eilig hatte man den Staatsrat zusammenberufen, und als wir die große Treppe hinaufstiegen, begegneten wir demselben Kapitän Caracciolo, den herbeizurufen man für gut erachtet, obgleich er das erste Mal ganz anderer Meinung gewesen als der König.



Sir William begleitete mich bis zu dem Zimmer der Königin und begab sich in das Konseilzimmer.



Als ich bei der Königin eintrat, erzählte ich ihr die Begegnung, die ich soeben auf der Treppe gehabt. Sie klingelte.



»Man soll den Kapitän Caracciolo bitten, zu mir zu kommen, ehe er sich in den Staatsrat begibt,« sagte sie, »ich habe mit ihm zu sprechen.«



Dann zog sie mich mit fort und sagte:



»Verstehst du etwas von dem, was vorgeht? Wir, die wir glaubten, diese französische Flotte los zu sein! Was will denn dieser Admiral von Latouche-Tréville mit seinen dreifarbigen Bannern und Kokarden bei uns? Will er hier republikanische Propaganda machen, um auch bei uns Revolution zu erregen! O, sie mögen sich nur in acht nehmen! Wir sind noch zeitig genug gewarnt worden. Mit uns haben sie nicht so leichtes Spiel wie mit Ludwig dem Sechzehnten und Marie Antoinette. Was mich betrifft, so erkläre ich, daß ich erbarmungslos sein werde.«



Ich hatte noch nicht Zeit zum Antworten gefunden, als die Tür sich öffnete, und man den Kapitän Francois Caracciolo anmeldete.



»Kommen Sie, kommen Sie, mein Herr!« sagte die Königin. »Sie sind der einzige, der neulich meiner Meinung war.«



Caracciolo verbeugte sich.



»Und das ist ein großes Glück für mich,« sagte er, »denn neulich sprachen Ew. Majestät im Namen der neapolitanischen Ehre.«



»Nun, heute sagen Sie einmal offen, was geht jetzt vor?«



»Das, was ich vorausgesehen habe, Madame. Die französische Flotte ist vom Sturm zerstreut und beschädigt worden. Wenn wir nun vierundzwanzig Stunden Widerstand geleistet hätten, so wären wir Herren der Situation.«



»Können wir es nicht noch werden?«



»Inwiefern, Madame?«



»Ihrer Meinung nach kommt die französische Flotte nur wieder nach Neapel zurück, weil sie Schaden gelitten?«



»Nach dem, wie ich es beurteilen kann,« sagte Caracciolo, indem er nach dem Meere blickte, »ist kein einziges Schiff unbeschädigt geblieben.«



»Nun gut, wenn man die Situation nun benutzte und heute das versuchte, was man neulich nicht zu tun gewagt, würden Sie dann immer noch bereit sein, das Admiralschiff mit Ihrer Korvette anzugreifen?«



»Das ist unmöglich, Majestät.«



»Wie, unmöglich?«



»Ja, denn neulich schlug ich vor, einen Feind angreifen zu wollen.«



»Und jetzt?«



»Und jetzt ist dieser Feind unser Verbündeter geworden.«



»Unser Verbündeter?«



»Gewiß. Ein Wort ist gewechselt, ein Vertrag ist unterzeichnet worden. Neulich wollte der Admiral von Latouche-Tréville einer feindlichen Nation Gesetze vorschreiben, heute sucht er um die Hilfe eines verbündeten Königreiches nach. Neulich zu kämpfen, war meiner Meinung nach eine Pflicht, heute anzugreifen, wäre ein Verrat.«



»Und wenn der König Ihnen dennoch Befehl dazu gäbe?«



»Anzugreifen?«



»Ja.«



»Ich hoffe, Madame, daß der König mir keinen solchen Befehl geben wird.«



»Wenn er Ihnen aber dennoch einen solchen gäbe?«



»Dann würde ich den Kummer haben, meine Entlassung bei ihm einzureichen.«



»Du hörst es, Emma!« rief die Königin, indem sie sich nach mir herumdrehte. »Beurteile die andern nach ihm; dies ist ihre Ergebenheit für uns!«



Und zu Caracciolo gewendet fuhr sie fort:



»Es ist gut, mein Herr, ich habe alles von Ihnen erfahren, was ich wissen wollte; ich halte Sie nicht länger zurück.«



Caracciolo verneigte sich und ging hinaus.



»Jetzt erklärt sich alles,« fuhr die Königin fort. »Die Flotte hat Schaden gelitten und in Neapel will man sie wieder ausbessern. Warum nicht? Ist Neapel denn nicht, wie der Bürger Caracciolo«sie betonte das Wort Bürger »gesagt hat, mit dieser französischen Republik, welche soeben den Königen den Krieg erklärt hat, und meinen Schwager enthaupten will, verbündet?«



Ich blieb stumm.



»Nun,« fragte die Königin, »du antwortest mir nicht? Du hast mir nichts zu sagen?«



»Ich würde, fürchten die Königin zu verletzen, wenn ich ihr meine Meinung offen sagte.«



»Mich zu verletzen, du? Du bist wohl toll! Inwiefern könntest du mich denn verwunden?«



»Wenn ich mich der Meinung dieses Mannes anschlösse.«



»Welches Mannes?«



»Des Fürsten Caracciolo, und Gott weiß, daß dies nicht aus Entzücken über ihn geschieht.«



»Du findest also, daß diese Franzosen recht haben, wenn sie uns den Fuß auf den Nacken setzen?«



»Ich finde, Madame, daß man unrecht getan hat, mit ihnen zu unterhandeln.«



»Und, daß wir jetzt, wo man einmal unterhandelt hat, auch die Folgen unseres gegebenen Wortes tragen müssen. Vielleicht hast du recht. Wir wollen Sir William hierüber zu Rate ziehen.«



Unterdessen war die französische Flotte in den Hafen gesegelt, wie man in einen befreundeten Hafen kommt und hatte daselbst geankert.



Eine Stunde darauf erfuhren wir, daß alles, was der Kapitän Caracciolo vorausgesehen, auch geschehen war. Kaum auf dem offenen Meere, war die französische Flotte von einem furchtbaren Sturm ereilt von elf Schiffen waren sieben arg beschädigt worden und der Admiral von Latouche-Tréville verlangte, mit feinem Vertrag in der Hand, einem Vertrag, welcher ihm die Vorteile der begünstigsten Nationen sicherte, seine beschädigten Schiffe ausbessern, seinen Vorrat an süßem Wasser erneuern und mit dem Hafen unterhandeln zu dürfen, um Lebensmittel, Tauwerk und Segel zu kaufen.



Alle diese Bitten wurden ihm gewährt.



Man tat noch mehr. In der Eile, welche die neapolitanische Regierung hatte, um sich diese gefährlichen Gäste vom Halse zu schaffen, tat man sein möglichstes, um dem Admiral Arbeiter, Materialien und Lebensmittel herbeizuschaffen; durch einen provisorischen Kondukt leitete man die Wasser von Carmignano, die hellsten und gesündesten Wasser von Neapel, bis an die Spitze des Hafendammes.



Was die Königin betraf, so zog sie sich, um nicht fortwährend diese verhaßten Uniformen, und abscheulichen Trikoloren vor Augen zu haben, nach Caserta zurück, obgleich es im ärgsten Winter, das heißt im Januar war, und nahm mich mit sich.



Elftes Capitel

Während wir in Caserta waren, verwirklichten sich in Neapel alle Prophezeiungen der Königin.



Sei es, das Latouche-Tréville wirklich seine Schiffe ausbessern lassen mußte, sei es, daß dies nur eine List war, und daß er den geheimen Instruktionen der Republik folgte, welche, dahin lauteten, alle Völker, mit welchen Frankreich in Berührung käme, auf den Weg der Revolution zu treiben, kurz, er benutzte seine Gegenwart in der Hauptstadt des Königreiches beider Sizilien, indem er die neapolitanischen Patrioten veranlaßte, eine geheime Gesellschaft zu organisieren und für Süditalien den Sieg der Prinzipien, welche damals in Frankreich herrschten, vorzubereiten.



Täglich begaben sich seine Offiziere – und man weiß, daß die Offiziere der französischen Marine im allgemeinen ausgezeichnete und unterrichtete Männer sind ans Land, mischten sich unter die Bevölkerung, machten Proselyten und streuten in alle jungen Herzen den Samen der Empörung, der einige Jahre später soviel Blutvergießen herbeiführen sollte.



Am Abend vor dem Tage, an welchem die Flotte die Anker lichten sollte, gaben die jungen Männer den Offizieren der Flotte eine großes Diner. Man sang revolutionäre Lieder, und unter diesen die

Marseillaise

, welche Rouget du Liste verfaßt und welche, indem sie am 10. August zu Tage trat, dem Dichter eine so furchtbare Unsterblichkeit verliehen.



Man hatte die rote Mütze aufgepflanzt und geschworen, auch in Neapel eine dreifarbige Kokarde haben zu wollen, welche die weiße Kokarde der Bourbonen ersetzen sollte.



Dann hatten alle die, welche an diesem Diner teilgenommen, die französische Mode angenommen, welche Talma in seiner Tragödie »Titus« aufgebracht. Sie hatten sich nämlich das Haar kurz schneiden lassen, den Puder verschmäht, und alle, welche der alten Mode Treue bewahrten, mit dem Namen

Caudini

, das heißt Schwanzträger getauft.



Während dieser ganzen Zeit war mir die Königin, ohne mich irgendwie zu ihrer Vertrauten zu machen, mit einem dunklen Werk beschäftigt erschienen. Oft, wenn wir zusammen waren, sprach man leise mit ihr, sagte ihr, daß jemand sie zu sprechen wünsche, worauf sie sich, ohne weiter zu fragen, erhob, als ob sie schon im voraus die Ursache dieser Störung gewußt hätte, und dann kam sie nach einer viertel, einer halben, einer ganzen Stunde zurück, drückte mir die Hand und sagte:



»Es geht alles gut.«



Eines Tages, während die Königin in eine dieser geheimen Konferenzen gegangen war, ging ich in den Garten hinunter und sah einen schwarzgekleideten, mir unbekannten Mann in demselben.



Ohne zu wissen, daß dieser Mann später eine furchtbare Berühmtheit erlangen würde, konnte ich dennoch nicht umhin, mir sein Äußeres genau einzuprägen.



Er war eher groß als klein, und trug den Kopf auf die Brust gesenkt, obgleich sein finsterer und unheimlicher Blick in Mannshöhe vor ihm hinstarrte; doch dieser Blick sollte, das verstand man wohl, oft umherblicken, ohne zu sehen. Sein Gesicht war aschfarben, sein Gang unregelmäßig wie der wilder oder unruhiger Tiere, bald langsam und bald schnell. Er ging an mir vorüber und schien mich dennoch nicht zu sehen; er sprach mit sich selber und ich hörte folgende Worte, die er zwischen den Zähnen hervorstieß:



»Die Tortur! Ich muß die Tortur anwenden! Was soll ich ohne die Tortur ausrichten! Sie werden sonst niemals Geständnisse ablegen!«



Dieser Mann flößte mir Furcht ein.



Ich folgte ihm mit den Augen,man suchte ihn im Auftrage der Königin.



Ich setzte mich auf eine Bank, alle meine Glieder zitterten mir.



Bald sah ich die Königin an der Gartentür erscheinen. Sie sah sich überall um, sie suchte mich. Ich stand auf und ging ihr entgegen.



»Guter Gott, teure Königin,« fragte ich, »wer ist dieser Mann, dem ich hier im Garten begegnet bin, und der so traurige Worte murmelte?«



»Welcher Mann denn?« fragte die Königin.



»Der, welchen Ew. Majestät haben holen lassen.«



»Ah!« sagte die Königin lachend, »du hast ihn gesehen? – Das ist mein Spürhund. Ich bin, wie der König von der Leidenschaft zur Jagd erfaßt; wie er will auch ich meine Meute haben und es wird nicht lange dauern, so können wir den Jakobiner hetzen. Er ist ein sehr gefährliches Tier, doch nur, wenn man ihm einen Vorteil über den Jäger gewinnen läßt.«



»So ist also dieser Mann, Madame —?«



»Nun, was ist mit diesem Mann?«



»Dieser Mann ist wohl der Scharfrichter?«



»Nicht ganz; ich hoffe jedoch, daß er der Lieferant desselben sein wird.«



Dann breitete sie die Arme nach Frankreich zu aus und rief:



»O meine Schwester, meine arme Schwester, sie haben dich, ich aber habe sie! Und sei ruhig, denn da alle Menschen Brüder sind, so werden die Brüder von Neapel für die Brüder von Paris büßen.«



Ich blieb stumm. Ich begriff wohl den Haß der Königin gegen die Revolution, allein so viel Energie in einer Frau erschreckte mich. Diese Frau war in Wahrheit die Tochter der

Königin

 Maria Theresia.



Ich ging still, auf den Arm der Königin gestützt, weiter, auf den Arm, der infolge eines nervösen Krampfes die Kraft eines Männerarmes zu besitzen schien.



»Was willst du, meine arme Emma!« sagte Karoline, nachdem sie einen Augenblick lang mit festem und schnellem Schritt gegangen war; »jetzt mußt du dich entschließen. Du glaubtest in ein Land der Wonne zu kommen, du hattest sagen hören, die Luft von Pästum sei so mild, daß die Rosen zweimal im Jahre daselbst blüheten; die Luft von Sorrento sei so balsamisch, daß man eine Sorrentinerin an ihrem duftenden Haar erkennte. Du glaubtest, daß das Leben hier wie in dem alten Sybaris inmitten von Festen und Lustbarkeiten verflösse, daß man auf Mooslagern ruhete und auf Blumenteppichen wandelte. Allein man hatte vergessen, dir zu sagen, daß inmitten dieser Herrlichkeit ein Berg stünde, der die Hölle in seinen Eingeweiden verschlösse, der wie die ganze andere Schöpfung zu lächeln schien und der plötzlich, indem er die Häuser wie Kartenhäuschen erschütterte, Herkulanum mit Lava, Pompeji mit Asche bedeckte und das erschreckte Meer vom Ufer von Regina bis an den Felsen von Capri zurückweichen ließe. Das hatte man dir zu sagen vergessen, ich aber sage es dir.«

 



Ich blickte sie beinahe entsetzt an.



»Wir beginnen einen furchtbaren Kampf, in welchem wir unterliegen können, obgleich wir fast mit Gewißheit darauf rechnen können, daß wir die Sieger sein werden; doch aber müssen wir kämpfen und der Kampf wird hart sein. Kind der frischen Wiesen und grünen Rasen, fühlst du dich zu schwach, auf meinen Kriegswagen zu steigen? Dann verlasse deine Königin, kehre in dein Land Wales zurück zu deiner Wiege, wie ein klarer Bach, welcher sich fürchtet, sich mit den unruhigen Fluten des Meeres zu vermischen und zu seiner Quelle zurückkehrt.«



»O nein, nein, nein!« rief ich, indem ich beide Arme um den Hals der Königin schlang, »ich liebe Sie zu sehr, als daß ich Sie in einem Augenblicke verlassen könnte, in welchem Sie, wie Sie mir selbst sagen, in Gefahr sind. Ich bin schwach, Sie aber sind stark, stark für Sie und für mich. Sie werden mich stützen, wenn ich schwach bin, Sie werden mich aufrichten, wenn ich falle. Ich bin nicht so tief in die Geheimnisse der Politik eingedrungen, um zu wissen, wer in diesem großen Kampfe der Völker gegen die Könige Recht hat; wenn Sie aber Unrecht haben, teure Königin, will ich auch mit Ihnen Unrecht haben, und wenn der Vesuv oder die Revolution über Neapel hereinbricht, dann will ich von derselben Lava verbrannt und unter derselben Asche erstickt werden, wie Sie.«



Die Königin umarmte mich und drückte mich an ihr Herz.



»Gut denn!« sagte sie. »Es schien mir seit einiger Zeit, als ob ich dich halb verloren hätte; jetzt aber finde ich dich wieder. Ich betrübte mich schon, mich so allein zu fühlen. O, ich will keine Geheimnisse vor dir haben. Ja, ich arbeite an einem finstern Werke, wie die Eumeniden, ich flechte Schlangen in der Finsternis. Mit Gold und Titeln kann man hier tun, was man will. Der Mann, den du gesehen hast, und der dich so sehr erschreckt hat, ist eine meiner Vipern: er heißt Vanni. Die beiden andern heißen Guidobaldi und Castelcicala. Der letztere ist Fürst; er war unser Gesandter in London. Ich habe ihm vorgeschlagen zurückzukommen und der Chef meiner Spione, der Präsident meiner Staatsjunta zu werden, und er hat meinen Vorschlag angenommen. O, ich werde den Anklägern solche Belohnungen schenken, daß ich, wie im alten Rom, aus der Anklage ein ehrenwertes Amt, oder wenn nicht ein ehrenwertes, so doch wenigstens ein beneidenswertes machen werde.«



»Nun,« sagte ich, »erkläre ich mir, warum dieser Vanni von Tortur sprach und sagte, daß man ohne Tortur nichts gestehen würde.«



»Ja, die Tortur ist seine fixe Idee, und von seinem Gesichtspunkte aus hat er auch recht. Er hat Ehrgeiz dieser Mann. Wenn andere sich begnügen, zu sagen: ›

Unser König

,‹ sagt er: ›

Mein König

,‹ als ob der König ihm ganz allein gehörte, und als ob er ganz allein beauftragt wäre, ihn zu behüten. So werden denn die Angeklagten, die Denunzierten nicht fehlen, vielleicht aber die Schuldigen, denn der Meinung gewisser hartnäckiger Leute nach sind nur diejenigen anerkannte Schuldige, welche ihr Verbrechen gestehen, und hier gesteht niemand etwas. Vanni behauptet nur, daß er mit Hilfe gewisser Mittel, die er erfunden, und vorausgesetzt, daß man ihm Vollmacht gibt, diese Mittel in Anwendung zu bringen, Steine zum Reden bringen könnte. Ich habe ihm gesagt, daß ich mich dem durchaus nicht widersetze, und daß die Wahrheit ein so köstliches Ding sei, daß alle Mittel zur Erlangung derselben gut wären. Jetzt ist nur noch eine Schwierigkeit vorhanden. Es schien nämlich, als ob nichts davon in den Gesetzen stünde. Doch die Jakobiner sind ebensowenig in den Gesetzen, der Jakobinismus ist kein vorhergesehenes Verbrechen. Deshalb konnte man auch kein Gesetz gegen denselben schreiben, und weil er nicht im Gesetz steht, kann man sich, um ihn zu bestrafen, auch der Mittel bedienen, welche nicht im Gesetz stehen. Du wirst dir wohl denken, daß ich kein so geschickter Rechtsgelehrter bin, um dies alles selbst zu wissen; meine Viper, mein Vanni hat mir diesen Beweisgrund eingeblasen. Er hat Cicero angeführt, als er Lentulus und Cethegus erwür