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La San Felice Band 9

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»Die zahlreiche Bevölkerung von Neapel, welche der Generalvikar durch seine Sbirren zu Haß und Meuchelmord aufreizen ließ, diese Bevölkerung widersetzte nach sieben Tagen blutiger Anarchie, nachdem sie das Eigenthum verwüstet und das Leben des redlichen Bürger bedroht, dritthalb Tage lang sich dem Einzuge der französischen Armee. Die Braven, aus welchen diese Armee bestand, waren sechsmal weniger zahlreich als ihre Gegner. Von den Dächern herab, aus den Fenstern, von der Höhe der Bastionen, in engen Gassen oder auf steilen Wegen niedergeschmettert, mußten sie das Terrain mehr noch durch den intelligenten Muth als durch die materielle Kraft Fuß um Fuß erobern. Dennoch aber dieser verthierten Rohheit und Grausamkeit das Beispiel der Tugend und Civilisation entgegensetzend, umarmte der großmüthige Sieger, so wie das Volk sich genöthigt sah, die Waffen niederzulegen, die Besiegten und verzieh ihnen.

»Einige tapfere Bürger, welche den intelligenten Sieg unseres wackeren Nicolino Caracciolo benutzten, der des berühmten Namens, den er trägt, in so hohem Grade würdig ist, einige tapfere Bürger, sagen wir, welche in der Nacht vom 20. zum 21. Januar in das Castell San Elmo eingedrungen waren, hatten geschworen, sich unter den Trümmern desselben zu begraben, aber die Freiheit, wenn auch aus der Tiefe ihres Grabes, zu verkünden. Sie hatten deshalb nicht blos in ihrem Namen, sondern auch im Namen der andern Patrioten, welche die Umstände von ihnen fernhielten, den symbolischen Baum aufgerichtet.

»Im Laufe des 21. Januar, dieses ewig denkwürdigen Tages, sah man die unbesiegbaren Fahnen der französischen Republik heranrücken. Sie schwuren ihr Mitwirkung und Treue. Endlich am 23. ein Uhr Nachmittags hielt die Arme ihren siegreichen Einzug in Neapel. Welch' ein zauberhaftes Schauspiel war es dann, zwischen den Besiegten und Besiegern die Brüderlichkeit auf das Gemetzel folgen zu sehen und den braven General Championnet unsere Republik anerkennen, unsere Regierung begrüßen und durch zahlreiche, aufrichtig gemeinte Proclamationen einem Jeden die Ungestörtheit des Eigenthums und die Unverletzlichkeit seiner Person zusichern zu hören.«

Das Vorlesen, welches schon an einer früheren Stelle durch mehrstimmigen Beifallsruf unterbrochen worden, ward es jetzt durch ein einstimmiges Hurrah.

Der Verfasser hatte eine empfindliche, laut tönende Saite in den Herzen aller Neapolitaner berührt, nämlich die der Dankbarkeit des aufgeklärten Theiles der Bevölkerung gegen die französische Republik, welche durch so viele Gefahren hindurch und mit Hilfe unglaublicher und unverhoffter Erfolge dem Volke von Neapel die beiden Flammen brachte, welche von Gott selbst ausgehen, die Civilisation und die Freiheit.

Championnet bedankte sich für diesen Beifall mit seinem bezaubernden Lächeln und hob wieder an:

»Der verrätherische Einzug des gestürzten Despoten in Rom, seine schimpfliche Flucht nach Palermo auf englischen Schiffen, die Beladung dieser Schiffe mit öffentlichen und privaten Schätzen, mit der unseren Galerien und unseren Museen geraubten Beute, mit den Reichthümern unserer frommen Stiftungen, mit dem Geld unserer Banken, wodurch der Nation die letzten Hilfsmittel abgeschnitten worden – Alles ist jetzt bekannt.

»Bürger, Ihr kennt die Vergangenheit, Ihr seht die Gegenwart, an Euch ist es, die Zukunft zu bereiten und sicherzustellen.«

Die Verkündigung dieses Rufes der Freiheit, der nicht blos aus dem Munde, sondern auch aus dem Herzen kam, diese patriotische Ansprache an die Bürger einer Stadt, wo bis auf diesen Tag die Brüderlichkeit ein unbekanntes Wort war, diese Hingebung an das Vaterland, dessen Märtyrer der Vergangenheit den Märtyrern der Zukunft mit ihrem Beispiel vorangegangen waren, alles dies steigerte noch mehr als der Werth des Inhalts selbst in Verbindung mit dem Nationalitätsgefühl, welches am Tage der Revolution in den Gemüthern erwacht, den Beifall bis zur Exaltation.

Diejenigen, welche den Artikel verlesen gehört, riefen wie mit einer Stimme: »Der Verfasser!« und man sah nun die schöne, keusche, edle Eleonora Pimentel langsam und schüchtern die Stufen der Estrade herabsteigen und sich gleich der durch den Sieg beschützten Muse des Vaterlandes neben Championnet stellen.

Der Artikel war in der That von ihr geschrieben. Sie war jener unbekannte Oberredacteur des parthenopäischen Moniteur. Eine Frau machte Anspruch auf die vielleicht todbringende Ehre dieser Redaction, für welche furchtsame Männer, obschon anerkannte Patrioten, die Wohlthat des Incognito verlangten.

Die Exaltation ging in Begeisterung über. Alle diese Patrioten, Richter, Gesetzgeber, Schriftsteller, Gelehrte, Officiere stürzten auf Eleonora mit jenem südlichen Enthusiasmus zu, der sich durch leidenschaftliche Geberden und laute Ausrufungen kundgibt.

Die Männer stürzten auf die Knie nieder, die Frauen näherten sich, indem sie sich tief verneigten. Es war der Erfolg Corinnas, welche auf dem Capitol die entschwundene Größe der Römer besingt, ein um so größerer Erfolg für Eleonora, weil es nicht die Größe der Vergangenheit war, die sie besang, sondern die Hoffnung der Zukunft.

Es scheint Regel zu sein, daß das Groteske sich stets mit dem Erhabenen mische, und so hörte man auch hier in dem Augenblicke, wo die dreifache Salve des Beifalls verhallte, eine rauhe, seltsame Stimme, welche rief:

»Es lebe die Republik! Tod den Tyrannen!«

Es war die Stimme des Papageies der Herzogin Fusco. Er war, wie wir bereits erwähnt, Velasco's und Nicolino's Schüler. Er machte seinen Lehrern Ehre und zeigte, daß er ihren Unterricht zu benützen verstanden.

Er war jetzt zwei Uhr Morgens und diese komische Episode bildete den Schluß der Soirée. Ein Jeder rief nachdem er seinen Mantel umgeworfen, seine Leute und seinen Wagen, denn da alle diese Sansculotten, wie der König sie nannte, der Aristokratie des Reichthums oder der Wissenschaft angehörten, so besaßen sie auch, ganz im Gegensatz zu den französischen Sansculotten, Equipagen und Dienerschaft.

Nachdem die Herzogin von Fusco die Frauen umarmt, den Männern die Hand gedrückt und von Allen Abschied genommen, blieb sie allein in dem Salon, der, soeben noch erfüllt von Geräusch und Menschen, jetzt einsam und todt war. Sie ging stracks auf ein Fenster zu, vor welchem ein schwerer Vorhang von carmoisinrothem Damast herabfiel. Sie hob diesen Vorhang und dicht neben einander in der Brüstung dieses Fensters wie zwei Vögel in einem und demselben Nest, saßen Luisa und Salvato, welche mitten unter dieser ganzen Gesellschaft mit jener Ungezwungenheit, gegen welche in Italien Niemand etwas zu erinnern findet, sich isoliert hatten, und Hand in Hand, Kopf an Schulter gelehnt, einander jene süßen Dinge sagten, welche, obschon mit leiser Stimme gesprochen, für das Ohr, welches ihnen lauscht, das Rollen des Donners übertäubt.

Bei dem Lichtschein, welcher jetzt in ihr zeither in traulichen Halbschatten gehüllt gewesenes Asyl drang, kehrten Luisa und Salvato wieder in das wirkliche Leben zurück, welches sie auf den vergoldeten Schwingen des Idealen verlassen, und wendeten, ohne ihre Stellung zu verändern, ihre lächelnden Augen auf die Herzogin ungefähr in der Weise, wie es von den ersten Bewohnern des Paradieses geschehen sein mag, als ein Engel des Herrn sie in der grünen Laube und mitten im Blumendickicht in dem Augenblicke überraschte, wo sie zum ersten Mal das Wort: »Ich liebe Dich!* ausgetauscht hatten.

Sie hatten sich gleich beim Beginn der Soirée hierher zurückgezogen und waren geblieben bis zum Ende. Von Allem, was gesprochen worden, hatten sie nichts gehört, ja sie ahnten nicht einmal etwas von dem, was vorgegangen. Montis Verse, Cimarosas Musik, Eleonora's Zeitungsartikel, Alles hatte sich an diesem Damastvorhange gebrochen, welcher ein unbekanntes Eden von der Welt trennte.

Als sie sahen, daß der Salon leer, daß die Herzogin allein war, begriffen sie blos Eines, nämlich, daß es Zeit sei, sich zu trennen.

Sie stießen einen Seufzer aus und murmelten gleichzeitig und mit demselben Tone:

»Morgen!«

Dann drückte Salvato tief bewegt, vor Liebe taumelnd, die Geliebte noch einmal an sein Herz, nahm Abschied von der Herzogin und entfernte sich, während Luisa, ihre Arme um den Hals der Freundin schlingend, gleich jener antiken Mädchengestalt, welche der Venus ihr Geheimniß anvertraut, der Herzogin die Worte ins Ohr murmelte:

»O wenn Du wüßtest, wie ich ihn liebe!«

Neuntes Capitel.
André Backer

Als Luisa wieder die Schwelle der Verbindungsthür überschritt, traf sie Giovannina, welche sie auf dem Corridor erwartete.

In dem Gesichte der Dienerin lag jener Ausdruck von Freude, welche untergeordnete Personen empfinden, wenn die Gelegenheit erhalten, sich mit in das Privatleben ihrer Herrschaften zu mischen.

Luisa empfand in diesem Augenblicke gegen Giovannina eine Anwandlung von Widerwillen, die sie bis jetzt noch nicht empfunden.

»Was machst Du hier und was willst Du von mir?« fragte sie.

»Ich erwartete Sie, Signora, um Ihnen etwas von der größten Wichtigkeit mitzutheilen,« antwortete Giovannina.

»Und was ist dies?«

»Der schöne Bankier ist da.«

»Der schöne Bankier? Von wem sprichst Du?«

»Von Signor André Backer.«

»Von Signor André Backer? Wie kommt Signor André Backer hierher?«

»Er kam im Laufe des Abends, es mochte gegen zehn Uhr sein. Er wünschte Sie zu sprechen. Ihren Befehlen gemäß weigerte ich mich erst ihn zu empfangen. Er bestand jedoch mit so großer Hartnäckigkeit darauf, daß ich ihm die Wahrheit sagte, nämlich daß Signora nicht zu Hause sei. Er glaubte, es sei dies blos ein Vorwand, und da er mich im Namen Ihres eigenen Interesse inständig bat, ihn nur einige Worte mit Ihnen sprechen zu lassen, so führte ich ihn im ganzen Hause herum, um ihm zu zeigen, daß Sie wirklich und wahrhaftig ausgegangen seien. Trotz aller seiner weiteren Bitten weigerte ich mich, ihm zu sagen, wo Sie wären, und er trat dann, ohne daß ich es verhindern konnte, in das Speisezimmer, setzte sich auf einen Stuhl und sagte, er würde Sie erwarten.«

 

»Da ich,« entgegnete Luisa, »durchaus keine Veranlassung habe, Signor André Backer um zwei Uhr Morgens zu empfangen, so kehre ich jetzt zur Herzogin zurück und werde nicht eher wieder zum Vorscheine kommen, als bis Signor André Backer mein Haus verlassen hat.«

Und Luisa machte in der That eine Bewegung, um zu ihrer Freundin zurückzukehren.

»Signora!« rief eine bittende Stimme vom andern Ende des Corridors.

Luisas Erstaunen, wir wollen nicht sagen ihr Zorn, denn ihr Taubenherz kannte dieses Gefühl nicht, verwandelte sich in unwilliges Befremden.

»Ah, Sie sind es, mein Herr!« sagte sie, indem sie entschlossen auf den jungen Mann zuging.

»Ja, Signora,« antwortete der junge Mann, sich tief neigend, mit dem Hut in der Hand und in der ehrerbietigsten Stellung.

»Sie haben wohl gehört, was ich soeben in Bezug auf Sie zu meiner Zofe sagte?«

»Ja, ich habe es gehört.«

»Aber da Sie beinahe mit Gewalt bei mir eingedrungen sind und wissen, daß ich Ihre Besuche mißbillige, wie kommt es dann, daß Sie noch hier sind?«

»Weil ich unbedingt mit Ihnen sprechen muß. Verstehen Sie, Signora?«

»Sie müssen unbedingt mit mir sprechen?« wiederholte Luisa im Tone des Zweifels.

»Signora, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dieses Wort, welches seit dreihundert Jahren kein Mann unseres Namens und unseres Hauses leichtsinnig gegeben, ich gebe, sage ich, Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie mich hören müssen, wenn Ihnen an der Sicherheit Ihres Vermögens und Ihres Lebens gelegen ist.«

Der Ton der Ueberzeugung, womit der junge Mann diese Worte aussprach, machte Luisa ein wenig wankend.

»Nun denn, auf diese Versicherung hin, Signor, werde ich Sie morgen zu einer passenden Stunde empfangen.«

»Morgen, Signora, wird es vielleicht schon zu spät sein. Und übrigens, Sie sprechen von einer passenden Stunde – was verstehen Sie unter einer paffenden Stunde?«

»Im Laufe des Tages, gegen Mittag zum Beispiel, oder auch Morgens ganz früh, wenn Sie wollen.«

»Am Tage würde man mich in Ihr Haus gehen sehen, Signora, und es kommt viel darauf an, Niemanden wissen zu lassen, daß Sie mich gesprochen haben.«

»Warum?«

»Weil mein Besuch eine große Gefahr zur Folge haben könnte.«

»Für mich oder für Sie?« fragte Luisa, indem sie zu lächeln versuchte.

»Für alle beide, antwortete der junge Bankier ernsthaft.

Es trat ein augenblickliches Schweigen ein. Der ernste Ton des nächtlichen Besuchers war nicht zu verkennen.

»Nach den Vorsichtsmaßregeln, welche Sie beobachten, hob Luisa wieder an, »scheint es mir, als sollte diese Unterredung ohne Zeugen stattfinden.«

»Ja, was ich Ihnen zu sagen habe, Signora, kann nur unter vier Augen gesagt werden.«

»Sie wissen aber doch, daß bei einer Unterredung unter vier Augen es etwas gibt, wovon es Ihnen verboten ist mit mir zu sprechen?«

»Wenn ich davon spreche, Signora, so wird es blos geschehen, um Ihnen begreiflich zu machen, daß ich nur Ihnen allein die Mittheilung machen kann, welche Sie hören werden.«

»Kommen Sie, Signor,« sagte Luisa.

André, der dicht an die Wand des Corridors trat, um Luisa vorbeizulassen, voranschreitend führte sie ihn in das Speisezimmer, welches Giovannina erleuchtet hatte. Sobald er hier eingetreten war, schloß sie die Thür hinter ihm.

»Wissen Sie gewiß, Signora,« sagte Backer, indem er sich rings umschaute, »daß uns hier Niemand belauschen und behorchen kann?«

»Es ist weiter Niemand da, als Giovannina, und Sie haben selbst gesehen, daß diese in ihr Zimmer gegangen ist.«

»Aber dennoch könnte sie hinter jener Thür oder hinter der des Schlafzimmers horchen.«

»Verschließen Sie beide Thüren, Signor, und lassen Sie uns in das Arbeitscabinet meines Gemahls gehen.«

Eben die Vorsicht, welche André Backer gebrauchte, damit das Gespräch nicht belauscht werde, beruhigte Luisa in Bezug auf den Gegenstand der Conversation vollständig Der junge Mann würde nicht gewagt haben, dergleichen Vorsichtsmaßregeln zu verlangen, wenn er beabsichtigt hätte, mit ihr von einer Liebe zu sprechen, welche schon so offen und freimüthig zurückgewiesen worden.

Die Thür des Cabinets blieb offen und die sorgfältig verschlossenen Thüren des Speisezimmers gaben Backer die Gewißheit, daß sie nicht belauscht werden konnten.

Luisa war auf einen Stuhl niedergesunken, stützte den Kopf auf die Hand und den Ellbogen auf den Tisch, an welchem sonst ihr Gemahl zu arbeiten pflegte.

Seit der Abreise des Chevalier war es jetzt das erste Mal, daß sie wieder in dieses Cabinet kam. Eine Menge Erinnerungen traten zugleich mit ihr ein und umlagerten sie.

Sie dachte an jenem Mann, der so vollkommen gut gegen sie gewesen und dessen Andenken gleichwohl so leicht und beinahe vollständig aus ihrem Herzen entschwunden war. Beinahe mit Schrecken ermaß sie den Umfang jener Liebe, welche die Salvato gewidmet, jener eifersüchtigen, ausschließlichen Liebe, die sich ihrer bemächtigt und so zu jagen aus ihrem Herzen jedes andere Gefühl verbannt hatte. Sie fragte sich, wie weit sie nun noch von vollständiger Untreue entfernt sei, und gewahrte, daß die zurückgelegte moralische Entfernung größer war als die materielle, welche ihr nun noch zurückzulegen übrig blieb.

André Backers Stimme schreckte sie aus dieser Betrachtung auf Sie hatte schon vergessen, daß er da war.

Durch eine Geberde lud sie ihn ein, Platz zu nehmen.

André verneigte sich, blieb aber stehen.

»Signora,« hob er an, »wie streng Sie mir auch verboten haben, Ihnen jemals wieder von meiner Liebe zu sprechen, so muß ich doch, damit Sie den Schritt, den ich bei Ihnen thue, und den Umfang der Gefahr, welcher ich mich dabei aussetze, verstehen, Ihnen begreiflich machen, wie tief, ehrerbietig und innig diese Liebe war.«

»Signor,« sagte Luisa, indem sie sich erhob, »wenn Sie auch von dieser Liebe anstatt in der gegenwärtigen in der vergangenen Zeit sprechen, so sprechen Sie nichtsdestoweniger von einem Gefühl, dessen Ausdruck ich Ihnen unbedingt untersagt habe. Ich hoffte, indem ich Sie zu dieser Stunde empfing und nachdem ich Ihnen mein Widerstreben zu erkennen gegeben, wenigstens, daß ich Sie nicht hieran zu erinnern brauchte.«

»Haben Sie die Güte mich anzuhören, Signora, und geben Sie mir Zeit, mich zu erklären. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie an diese Liebe erinnern muß, um Ihnen die Wichtigkeit meiner Mittheilung begreiflich zu machen.«

»Wohlan, Signor, so kommen Sie nun zu dieser Mittheilung.«

»Ich wünschte aber vorher, Signora, Sie zu üben zeugen, daß diese Mittheilung von meiner Seite eine Thorheit, beinahe eine Verrätherei ist.«

»Dann, Signor, machen Sie mir diese Mittheilung nicht. Nicht ich habe Sie aufgesucht, nicht ich dringe in Sie.«

»Das weiß ich wohl, und ich sehe auch voraus, da Sie mir für das, was ich Ihnen sagen will, keinen Dank wissen werden. Doch gleichviel! Mein Verhängniß treibt mit vorwärts und mein Geschick muß sich erfüllen.«

»Ich warte, Signor,« antwortete Luisa.

»Wohlan, Signora, so wissen Sie denn, daß ein große Verschwörung im Gange ist, und daß eine neue sicilianiche Vesper sich nicht blos gegen die Franzosen, sondern auch gegen ihre Anhänger vorbereitet.«

Luisa fühlte sich von einem kalten Schauer überrieselt und ward sofort aufmerksam. Es war ja jetzt nicht mehr von ihr die Rede, sondern von den Franzosen und folglich von Salvato. Sein Leben war bedroht und diese Mittheilung des jungen Bankiers gab ihr vielleicht das Mittel an die Hand, dieses so theure Leben noch einmal zu retten.

Mit unfreiwilliger Bewegung und sich über den Tisch neigend, näherte sie sich dem jungen Mann. Ihr Mund war stumm, aber ihre Augen fragten.

»Darf ich fortfahren?«, fragte André Backer.

»Ja, fahren Sie fort,« entgegnete Luisa.

»In drei Tagen, das heißt in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend, werden nicht blos die zehntausend Mann Franzosen, welche in Neapel und der Umgegend stehen, sondern auch, wie ich Ihnen schon gesagt habe, Alle, die zur Zahl ihrer Parteigänger gehören, niedergemetzelt werden. Zwischen zehn und elf Uhr Abends wird man die Häuser, in welchen das Blutbad stattfinden soll, mit einem rothen Kreuz bezeichnen und um Mitternacht soll das Morden beginnen.«

»Aber das ist ja entsetzlich und gräßlich, was Sie mir da sagen, Signor!«

»Nicht entsetzlicher als die sicilianische Vesper, nicht gräßlicher als die Bartholomäusnacht. Was Palermo gethan, um sich der Franzosen, und Paris, um sich der Hugenotten zu entledigen, das kann auch Neapel thun, um sich von den Republikanern zu befreien.«

»Und Sie fürchten nicht, daß ich die Kunde von diesem Vorhaben weiter verbreite?«

»Nein, Signora, denn Sie werden bedenken, daß ich Ihnen nicht einmal das Versprechen abverlangt habe, mein Geheimniß zu bewahren. Nein, Signora, Sie werden bedenken, daß eine Hingebung wie die meinige nicht durch eine Undankbarkeit vergolten werden darf. Nein, Signora, Sie werden bedenken, daß Ihr Name zu schön und zu rein ist, um durch die Geschichte an den Pranger des Verraths geschlagen zu werden.«

Luisa zuckte zusammen. Sie begriff in der That die Seelengröße und Hingebung des jungen Banquiers, welcher ihr dieses Geheimniß ohne irgend welche Bedingung anvertraute.

»Entschuldigen Sie, Signor,« sagte Luisa, »wenn ich mich frage, was ich mit den Franzosen und den Anhängern der Franzosen zu schaffen habe – ich, die Gattin des Bibliothekars, ja noch mehr, des Freundes des Kronprinzen.«

»Das ist wohl wahr, Signora, der Chevalier San Felice ist aber nicht mehr hier, um Sie durch seine Gegenwart zu schützen, oder durch seine Loyalität zu decken, und lassen Sie mich Ihnen sagen, Signora, mit Schrecken habe ich gesehen, daß Ihr Haus zur Zahl derjenigen gehört, welche mit einem Kreuz bezeichnet werden sollen.«

»Mein Haus!« rief Luisa, indem sie sich erhob.

»Signora, ich begreife, daß das, was ich Ihnen sage, Sie in Erstaunen setzt, ja empört. Hören Sie mich aber zu Ende. In Zeiten wie die unsrigen, in Zeiten der Unruhe und des Sturmes ist Niemand gegen Argwohn und Verdacht gesichert, und übrigens wenn der Argwohn auch schläft, so sind doch stets die Denunzianten da, um ihn zu wecken. Wohlan, Signora, ich selbst habe eine Denunciation, die allerdings anonym, aber so genau war, daß ihre Echtheit nicht zu bezweifeln stand, in meinen eigenen Händen gehabt und mit meinen eigenen Augen gelesen.«

»Eine Denunciation?«, fragte Luisa erstaunt.

»Ja, eine Denunciation, Signora.«

»Eine Denunciation gegen mich?«

»Ja, gegen Sie.«

»Und was sagte diese Denunciation?« fragte Luisa unwillkürlich erbleichend.

»Sie sagte, Signora, daß Sie in der Nacht vom 22. zum 23. September des vergangenen Jahres einen Adjutanten des Generals Championnet in Ihr Haus aufgenommen hätten.«

»Ha!«, murmelte Luisa, indem sie fühlte, wie ihr der kalte Schweiß auf die Stirne trat.

»Die Denunciation behauptet weiter, dieser von Pasquale de Simone verwundete Adjutant sei durch Sie der Rache der Königin entzogen, durch eine albanesische Wahrsagerin, Namens Nanno, verbunden und bei Ihnen sechs Wochen lang verborgen gehalten worden; dann habe er, als Bauer aus den Abruzzen verkleidet, Ihr Haus blos verlassen, um sich zu dem General Championnet zurückzubegeben, bei welchem er gerade zur rechten Zeit eingetroffen sei, um sich an der Schlacht von Civita Castellane zu betheiligen.«

»Wohlan, Signor,« sagte Luisa, »wenn dem auch so wäre, ist es wohl ein Verbrechen, einen Verwundeten auf- zunehmen, einem Menschen das Leben zu retten, und muß man, ehe man den Balsam des barmherzigen Samariters in seine Wunden träufelt, sich nach seinem Namen, seinem Vaterlande oder seiner Meinung erkundigen?«

»Nein, Signora; in den Augen der Humanität ist dies kein Verbrechen, wohl aber in den Augen der Parteien. Dennoch aber hätten die Royalisten Ihnen vielleicht verziehen, wenn Sie nicht später dadurch, daß Sie sämtlichen Soiréen der Herzogin Fusco beigewohnt, dieser Denunciation eine schwerere Bedeutung gegeben hätten. Die Abendgesellschaften der Herzogin Fusco, Signora, sind nicht blos Abendgesellschaften. Es sind vielmehr Clubbs, wo Projecte besprochen, Gesetze ausgearbeitet, patriotische Lieder gedichtet, in Musik gesetzt und gesungen werden. Sie, Signora, wohnen allen diesen Soiréen bei, und obschon man recht wohl weiß, daß dies aus einem ganz andern als einem politischen Beweggrund geschieht, so –»

»Nehmen Sie sich in Acht, Signor, Sie stehen im Begriff, den mir gebührenden Respekt aus den Augen zu setzen.«

 

»Davor bewahre mich Gott, Signora,« antwortete der junge Mann.

»Zum Beweise, daß dies nicht meine Absicht ist, werde ich das, was ich Ihnen noch zu sagen habe, knieend mittheilen.«

Und André Backer ließ sich wirklich auf ein Knie nieder.

»Signora,« sagte er, »da ich weiß, daß Ihr Leben gefährdet ist, weil Ihr Haus zur Zahl der dem Messer der Lazzaroni Bezeichneten gehört, so bin ich gekommen, um Ihnen einen Talisman zu bringen, eben so wie ein Zeichen mitzutheilen, welches bestimmt ist, Sie zu schützen. Dieser Talisman, Signora, ist dieser.«

Mit diesen Worten legte er eine Karte, auf welcher man das Bild einer Lilie sah, auf den Tisch.

»Das Zeichen, fuhr er dann fort, »besteht darin, daß Sie den Daumen Ihrer rechten Hand an den Mund halten und sich in das erste Glied beißen.«

»Um mir dies zu sagen, brauchten Sie nicht erst niederzuknieen, Signor,« sagte Luisa mit einem Ausdrucke von Wohlwollen, welcher unwillkürlich ihr Gesicht erhellte.

»Nein, Signora, wohl aber um dessentwillen, was mir noch zu sagen übrig bleibt.«

»Nun, so sagen Sie es.«

»Es kommt mir nicht zu, Signora, in Ihre Geheimnisse einzudringen. Es ist daher nicht eine Frage, welche ich an Sie richte, sondern vielmehr ein guter Rath, den ich Ihnen gebe, und Sie werden sehen, daß dieser Rath nicht blos uneigennützig, sondern auch großmüthig ist. Man sagt nämlich, mit Recht oder Unrecht, daß dieser junge Adjutant des französischen Generals, dieser junge Mann, dem Sie das Leben gerettet, von Ihnen geliebt werde.«

Luisa machte eine unwillkürliche Bewegung.

»Nicht ich sage dies; nicht ich glaube es. Ich will nichts sagen, ich will nichts glauben; ich will, daß Sie glücklich seien, weiter nichts. Ich will, daß dieses so edle, so keusche, so reine Herz nicht vom Schmerze gebrochen werde. Ich will, daß diese schönen Augen nicht Thränendes Jammers vergießen. Ich sage Ihnen daher blos, Signora, wenn Sie einem Mann, möge er sein, wer er wolle, mit schwesterlicher oder anderer Liebe zugethan sind und wenn dieser Mann als Franzose, als Patriot Gefahr läuft, wenn er unter irgend einem Vorwande die Nacht vom Freitage zum Samstage hier zubringt, so entfernen Sie diesen Mann, damit er durch seine Abwesenheit dem Blutbade entrinne, und damit ich – es soll dies meine Belohnung sein – mir sagen kann: »Ihr, die mich so viel hat leiden lassen, ihr habe ich einen Schmerz erspart.« Nun stehe ich wieder auf, Signora, denn ich habe gesprochen.«

Luisa fühlte, wie ihr angesichts dieser großen und doch so einfachen Selbstverläugnung die Thränen in die Augen traten und ihre Lider benetzten. Sie reichte André ihre Hand, welche dieser mit Begeisterung ergriff.

»Ich danke Ihnen, Signor,« sagte sie; »woher der Verrath kommt, kann ich nicht errathen, aber Ihnen kann ich sagen: Der Denunciant ist gut unterrichtet gewesen. Nie habe ich irgend Jemanden mein Geheimniß anvertraut, Ihnen aber sage ich: »Ja, ich liebe, obschon mit einer mütterlichen, weil unermeßlichen Liebe, einen Mann, dem ich das Leben gerettet. Als ich fühlte, wie diese Liebe mit der Gewalt einer unwiderstehlichen Leidenschaft sich meines Herzens bemächtigte, wollte ich fort von hier. Ich wollte Neapel verlassen, meinem Gemahl nach Sicilien folgen, nicht um einem unheilvollen Schicksal, einem tödtlichen Schicksal, welches mir prophezeit ist, zu entrinnen, sondern um dem Chevalier die Treue zu bewahren, die ich ihm versprochen, um meine Frauenehre unverletzt zu erhalten. Gott hat es nicht gewollt. Der Sturm trennte mich von meinem Gemahl, die Woge, die ihn hinwegtrug, warf mich an das Gestade zurück. Sie werden mir sagen, ich hätte, nachdem der Sturm vorüber war, das erste beste Schiff besteigen und meinem Gemahl nach Sicilien nachfolgen sollen. Hätte er es befohlen, oder hätte er es auch nur zu wünschen geschienen, so hätte ich es gethan. Da ich aber nicht dazu aufgefordert ward, so hatte ich auch nicht die Kraft dazu, sondern blieb. Sie sprachen von dem Verhängniß, welches Sie treibt, mir Ihr Geheimniß zu offenbaren. Wenn Sie Ihr Verhängniß haben, so habe auch ich das meinige. Folgen wir jedes der Richtung, in welcher das Schicksal uns treibt. Wohin auch das meinige mich führen möge, so wird es da, wo ich bin, ein dankbares Herz für Sie geben. Leben Sie wohl, Signor. Selbst die grausamsten Martern werden mich nicht zwingen, Ihren Namen zu nennen, das verspreche ich Ihnen.«

»Und der Ihrige,« antwortete André Backer, indem er sich verneigte, »wird niemals aus meinem Herzen weichen, selbst nicht auf dem Blutgerüste, wenn ich dieses um Ihretwillen besteigen wüßte.«

Mit diesen Worten verneigte er sich abermals und entfernte sich, indem er die Karte mit der Lilie, welche ihr als Erkennungszeichen dienen sollte, auf dem Tische zurückließ.