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La San Felice

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»Mein bester Herr Commandant, Sie sind ein ganz liebenswürdiger Mann und wissen ein Gespräch zu führen, welches Feuer und Leben hat, aber Sie verstehen, wären Sie auch der geistreichste Mann von Neapel –«

»Ja, so würden Sie die Conversation dieser Dame doch der meinigen vorziehen. Gut, ich bin ein gutmüthiger Mensch und besitze keine Eigenliebe. Jetzt vergessen Sie aber besonders Eins oder vielmehr Zweierlei nicht.«

»Was denn?«

»Erstens, daß, wenn ich die Dame nicht schon früher eingelassen, dies deshalb geschehen ist, weil ich fürchtete, ihr Besuch würde Ihnen mißfallen, und zweitens, daß wenn ich sie heute einlasse, ich dies thue, weil Sie mir versichern, ihr Besuch sei Ihnen angenehm.«

»Ja wohl versichere ich Ihnen dies, mein lieber Herr Commandant. Sind Sie nun zufriedengestellt?

»Versteht sich. Nichts macht mir mehr Freude, als meinen Gefangenen kleine Dienste zu leisten.«

»Ja, nur nehmen Sie sich damit ein wenig Zeit.«

»Herr Herzog, Sie kennen das Sprichwort: Dem, der warten kann, kommt Alles noch gelegen.«

Mit diesen Worten erhob sich der Commandant freundlich lächelnd, grüßte seinen Gefangenen und entfernte sich.

Nicolino folgte ihm mit den Augen und fragte sich, was wohl seit dem gestrigen Tage Außerordentliches geschehen sein könnte, um in dem Benehmen seines Richters und seines Kerkermeisters eine so große Veränderung in Bezug auf ihn herbeizuführen.

Noch hatte er keine genügende Antwort auf diese eine eigene Frage gefunden, als die Thür seines Kerkers sich wieder öffnete und eine verschleierte Dame eintrat, welche ihren Schleier zurückschlug und sich ihm in die Arme warf.

Elftes Capitel.
Die Diplomatie des Gouverneurs des Castells
San Elmo

Ganz wie Nicolino Caracciolo errathen, war die verschleierte Dame keine andere als die Marquise von San Clemente.

Auf die Gefahr hin, in Ungnade zu fallen und ihre Stellung bei der Königin zu verlieren, die ihr übrigens von dem, was geschehen, kein Wort gesagt, und sich in ihrem Benehmen gegen sie durchaus nicht geändert hatte, war sie, wie Roberto Brandi gesagt, schon zweimal dagewesen, um Nicolino zu sprechen.

Der Commandant war aber unbeugsam gewesen; keine Bitte hatte ihn zu rühren, ja selbst das Anerbieten eines Geschenkes von tausend Ducati hatte ihn nicht zu bestechen vermocht.

Dennoch war der Commandant Brandi nicht etwa die Perle der ehrlichen Leute, wohl aber war er klug genug, um zu berechnen, daß, wenn ein Posten jährlich zehn- bis zwölftausend Ducati einbringt, man sich nicht der Gefahr aussetzen muß, desselben für ein tausend verlustig zu gehen.

In der That, obschon der Gehalt des Gouverneurs des Castells San Elmo eigentlich nur fünfzehnhundert Ducati betrug, so zog er doch, da er die Gefangenen auch zu beköstigen hatte und die Verhaftungen in Neapel schon seit langer Zeit an der Tagesordnung waren und dies auch noch lange zu sein versprachen, eben so wie Delaunay, der als Gouverneur der Bastille zwölftausend Francs fixen Gehalt hatte, dennoch hundertundvierzigtausend Francs von seinem Amte zog, von einem Castell statt fünf- oder sechstausend Francs deren jährlich vierzig- bis fünfzigtausend.

Daraus erklärt sich Roberto Brandis Rechtschaffenheit. Als er die Nachricht vom 9. December, das heißt die Rückkunft des Königs und den Marsch der französischen Armee gegen Neapel erfuhr, hatte er sofort weiter gesehen als der Marquis Vanni, der sich Nicolino blos nicht zu einem unversöhnlichen Feind machen wollte.

Roberto Brandi faßte nämlich sofort den Entschluß, sich in Nicolino nicht blos einen Freund, sondern auch einen Gönner und Beschützer zu erwerben.

Zu diesem Zwecke hatte er, wie wir gesehen, versucht, in das Herz seines Gefangenen, ehe dieser noch eine Absicht ahnen konnte, jenes Samenkorn zu streuen, welches so selten keimt und noch seltener Früchte trägt, nämlich das Gefühl der Dankbarkeit.

Obschon aber Nicolino Caracciolo nur ein halber Neapolitaner und mütterlicherseits Franzose war, so war er doch nicht so naiv, die Veränderung, welche er seit dem gestrigen Tage in dem Benehmen des Commandanten wahrgenommen, einer freiwilligen Sympathie zuzuschreiben.

Wir haben auch bereits gesehen, wie er sich fragte, was für außerordentliche Ereignisse es wohl seien, welche diese Umwandlung herbeigeführt haben könnten.

Die Marquise setzte ihn von der Katastrophe zu Rom und von der bevorstehenden Flucht der königlichen Familie nach Palermo in Kenntniß und gab ihm damit zugleich jeden Aufschluß, den er wünschen konnte.

Nicolino war aber – wir brauchen dies unserm Lesern nicht erst zu sagen, denn sie werden es hoffentlich schon selbst bemerkt haben – ein Mann von Geist. Er beschloß so viel Nutzen als möglich von der Situation zu ziehen, indem er Roberto Brandi sich ihm allmälig nähern ließ.

Ganz gewiß war mit dem Gouverneur des Castells San Elmo und den Republikanern in Zukunft und in einem gegebenen Augenblick ein für alle Welt vortheilhafter Pact zu schließen.

Bis jetzt waren alle Annäherungen von Roberto Brandi ausgegangen, während Nicolino seinerseits sich zu nichts verbindlich gemacht hatte.

Obschon die inständigen Bitten der Marquise von San Clemente, bei ihm vorgelassen zu werden – Bitten, die endlich mit Erfolg gekrönt worden – in Nicolino, ein so großer Skeptiker er auch war, wenig Zweifel an ihrer Anhänglichkeit übrig gelassen hatten, so hatte er doch, sei es nun, daß dieser Rest von Zweifel hinreichend war, um ihn ihr gegenüber zurückhaltend zu machen, oder sei es, daß er fürchtete, sie werde belauert und könne, wenn er ihr eine Botschaft an seine Gesinnungsgenossen auftrüge, diese und gleichzeitig sich selbst kompromittieren, die zwei Stunden, welche sie bei ihm zubrachte, nur dazu benutzt, um mit ihr von seiner Liebe zu sprechen und ihr dieselbe zu beweisen.

Die Liebenden trennten sich entzückt von einander und mit innigerem Gefühle als je. Die Marquise versprach Nicolino, alle Abende, wo sie nicht Dienst bei der Königin hätte, bei ihm zuzubringen, und da man Roberto Brandi über die Möglichkeit befragte, dieses Project in Ausführung zu bringen und er seinerseits kein Hinderniß entgegengesetzt, so kam man überein, daß Alles so geschehen solle.

Der Commandant wußte recht wohl, daß die verschleierte Dame die Marquise von San Clemente, das heißt eine in hoher Gunst stehende Ehrendame der Königin war, und mit Hilfe eines sehr einfachen Schaukelsystems gedachte er stets auf die Füße zu kommen, entweder durch die Marquise, wenn die königliche Partei den Sieg behauptete, oder durch Nicolino, wenn im Gegentheil die Republikaner die Oberhand gewannen.

Die Tage vergingen, wir haben gesehen auf welche Weise, mit Widerstandsprojekten von Seiten des Königs und dann von Seiten der Königin.

In Nicolino's Lage änderte sich nichts, ausgenommen, daß die freundliche Begegnung, die der Commandant ihm bewies, nicht blos dieselbe blieb, sondern sich auch noch immer mehr bethätigte. Er bekam Weißbrod, drei Gerichte zum Frühstück, fünf zum Mittagessen, französischen Wein, so viel er wollte, und die Erlaubniß, zweimal täglich auf dem Walle spazieren zu gehen, obschon er in dieser Beziehung sein Ehrenwort geben mußte, nicht etwa hinunter zu springen.

Seine Situation erschien ihm, besonders nach dem Verschwinden des Fiscalprocurators und dem Erscheinen der Marquise, gar nicht so verzweifelt, daß er, um sich derselben zu entreißen, einen Selbstmord riskiert hätte. Ohne sich daher lange bitten zu lassen, gab er sein Ehrenwort und konnte auf dieses hin ganz nach Belieben sich Bewegung machen.

Durch die Marquise, welche gewissenhaft Wort hielt und die in Folge der Gleichgültigkeit, welche sie gegen den Gefangenen affectirte, und die Vorsicht, welche sie bei ihren Besuchen anwendete, durchaus nicht beunruhigt ward, erfuhr Nicolino alle Neuigkeiten des Hofes. Er kannte den König und glaubte nicht an einen ernsten Widerstand desselben.

Da die Marquise sich unter der Zahl der Personen befand, welche den Hof nach Palermo begleiten sollten, so erfuhr er die Wahrheit hierüber zwischen sieben und acht Uhr am Abend des 21. Dezember selbst, das heißt drei Stunden vor der Flucht der königlichen Familie.

Von dem, was eigentlich vorgehen sollte, wußte die Marquise nichts. Sie hatte blos Befehl erhalten, sich um zehn Uhr Abends in den Gemächern der Königin einzufinden, wo ihr dann von dem gefaßten Entschluß Mittheilung gemacht werden würde. Die Marquise zweifelte aber nicht, daß der gefaßte Entschluß der zur Abreise sei.

Sie kam daher, um Nicolino auf jeden Fall Lebewohl zu jagen. Dieser Abschied machte sie zu nichts verbindlich, und wenn sie dablieb, so war es immer noch Zeit, ihn zu erneuen.

Man weinte viel, man versprach, sich stets zu lieben, man ließ den Commandanten kommen, welcher sich verbindlich machte, die Briefe der Marquise, wenn sie an ihn adressiert würden, an Nicolino zu befördern, und ebenso die Briefe Nicolinos, nachdem er sie vorher gelesen, der Marquise zuzusenden.

Nachdem auf diese Weise Alles verabredet war, wechselte man so nahe als möglich einige Ausdrücke einer Verzweiflung, die aber so ruhig war, daß sie selbst den Liebenden keine allzugroßen Besorgnisse für einander einflößte.

Eine leichtherzige Liebe und vernünftige Leidenschaft ist etwas außerordentlich Schönes. Gleich den Seevögeln im Sturme benetzt sie nur die Spitze ihrer Schwingen. Der Wind trägt sie in der Richtung, in welcher er weht, und anstatt gegen ihn zu kämpfen, läßt sie sich, unter Thränen lächelnd, in graziöser Attitüde, gleich Flaxmann's Oceaniden, von ihm dahintragen.

Der Kummer der Trennung äußerte auf Nicolino's Appetit eine sehr bedeutende Einwirkung. Er soupirte auf eine Weise, daß sein Kerkermeister, den er zwang, mit ihm auf die Gesundheit der Marquise zu trinken, sich darüber entsetzte. Der Kerkermeister protestierte gegen die Gewalt, die ihm angethan ward, aber er trank doch.

 

Ohne Zweifel hatte der Schmerz Nicolino bis weit in die Nacht hinein wach gehalten, denn als der Commandant gegen acht Uhr Morgens in den Kerker seines Gefangenen trat, fand er ihn fest eingeschlafen.

Dennoch war die Neuigkeit, welche er ihm brachte, ernst genug, daß er es über sich gewann, munter zu werden.

Man hatte dem Commandanten, um sie an den innern und äußern Mauern des Castells anzuschlagen, einige der Proclamationen zugesendet, welche die Abreise des Königs meldeten, seine baldige Rückkehr versprachen und den Fürsten Pignatelli zum Generalvicar und den General Mack zum Generallieutenant des Königreichs ernannten.

Die Rücksichten, welche der Commandant jetzt seinem Gefangenen widmete, machten es ihm zur Pflicht, ihm diese Proclamation eher als Jemandem andern mitzutheilen.

Die Nachricht war in der That eine ernste, Nicolino aber war darauf vorbereitet. Er begnügte sich zu murmeln; »Arme Marquise!«

Dann als er das Heulen des Windes in den Corridors und das Plätschern des Regens über seinem Kopfe hörte, setzte er, wie Ludwig der Fünfzehnte, als er den Leichenzug der Frau von Pompadour vorüberkommen sah, hinzu:

»Sie wird schlechtes Wetter auf ihrer Reise haben.«

»Ja,« antwortete Roberto Brandi, »das Wetter ist so schlecht, daß die englischen Schiffe noch auf der Rhede liegen und nicht auslaufen gekonnt haben.«

»Wirklich!« rief Nicolino. »Und kann man, obschon jetzt nicht die Stunde der Promenade ist, ein wenig auf den Wall hinaufgehen?«

»Ja wohl. Der Ernst der Situation wäre eine Entschuldigung, wenn man mir aus meiner Gefälligkeit ein Verbrechen machen wollte. Nicht wahr, Herr Herzog, in diesem Falle würden Sie die Güte haben zu sagen, daß Sie diese Gefälligkeit von mir verlangt haben?«

Nicolino ging auf den Wall hinauf und erkannte, in seiner Eigenschaft als Neffe eines Admirals, wie er sagte, auf dem »Vanguards und der »Minerva« die Flaggen, welche die Anwesenheit des Königs auf einem dieser Schiffe und die des Herzogs von Calabrien auf dem andern verkündeten.

Der Commandant, der ihn auf einen Augenblick verlassen, fand sich wieder ein und brachte ihm ein vortreffliches Fernrohr.

Mit Hilfe desselben konnte Nicolino alle Scenen des von uns bereits erzählten Drama’s verfolgen.

Er sah die Municipalität und den Magistrat, welche kamen und den König vergebens baten, nicht abzureisen.

Er sah den Cardinal-Erzbischof an Bord des »Vanguard« steigen und dieses Schiff wieder verlassen.

Er sah Vanni, nachdem derselbe von der »Minerva« zurückgewiesen worden, verzweifelt hinter den Hafendamm zurückkehren.

Ein- oder zweimal sah er sogar die schöne Marquise auf dem Deck erscheinen. Es kam ihm vor, als richtete sie die Augen traurig gegen Himmel und trocknete sich eine Thräne.

Dieses Schauspiel erschien ihm so interessant, daß er den ganzen Tag mit dem Fernrohr in der Hand auf dem Walle blieb und seinen Beobachtungsposten nur verließ, um in aller Eile zu frühstücken und später zu dinieren.

Am nächstfolgenden Morgen war es abermals der Commandant, welcher zuerst in die Zelle des Gefangenen trat.

Es hatte sich, meldete er, seit dem vorigen Abend nichts verändert. Der Wind war noch immer widrig und die Schiffe lagen immer noch im Hafen.

Endlich gegen drei Uhr lichtete man die Anker. Die Segel fielen graziös an den Masten herab und schienen den Wind aufzufordern, ihnen günstig zu sein.

Der Wind gehorchte, die Segel blähten sich auf, Linienschiffe und Fregatten setzten sich in Bewegung und schwammen langsam nach der offenen See.

Nicolino erkannte an Bord des »Vanguard« eine Dame, welche unzweideutige Geberden der Erkennung machte, und da diese Dame keine andere sein konnte als die Marquise von San Clemente, so sendete er ihr durch, die Weite ein zärtliches und letztes Lebewohl zu.

In dem Augenblick, wo die Flotte hinter Caprea zu verschwinden begann, meldete man Nicolino, daß sein Diner aufgetragen sei, und da ihn nun nichts mehr auf dem Walle zurückhielt, so stieg er rasch hinunter, um die Gerichte, welche immer delicater wurden, nicht kalt werden zu lassen.

Denselben Abend ging der Commandant, besorgt um den Gemüthszustand, in welchem sich ein Gefangener nach den furchtbaren Aufregungen des Tages befinden mußte, in seine Zelle hinunter und fand ihn mit einer Flasche Syrakuser beschäftigt.

Der Gefangene schien sehr bewegt zu sein. Seine Stirn war träumerisch und sein Auge feucht.

Er reichte dem Commandanten wehmüthig die Hand, schenkte ihm ein Glas Syrakuser ein und stieß kopfschüttelnd mit ihm an.

Dann, nachdem er sein Glas bis auf den letzten Tropfen geleert, sagte er:

»Wenn man bedenkt, daß Alexander der Sechste seine Gäste mit einem solchen Nektar vergiftete! Dieser Borgia muß ein großer Bösewicht gewesen sein.«

Ueberwältigt von der Gemüthsbewegung, welche diese historische Erinnerung in ihm hervorrief, ließ Nicolino nach wenigen Augenblicken den Kopf auf den Tisch niedersinken und schlief ein.

Zwölftes Capitel.
Was der Gouverneur des Castells San Elmo
erwartete

Wir haben nicht nöthig, jedes der Ereignisse, welche wir bereits an unseren Augen vorübergehen gesehen, noch einmal die Musterung passieren zu lassen. Nur wird es nicht unzweckmäßig sein, zu erwähnen, daß von der Höhe der Festungswälle des Castells San Elmo Nicolino mit Hilfe des vortrefflichen Fernrohrs, welches der Commandant ihm gelassen, Alles mit ansah, was in den Straßen von Neapel vorging.

Was die Ereignisse betraf, die nicht am hellen lichten Tage geschahen, so erzählte der Commandant Roberto Brandi, welcher für seinen Gefangenen ein wirklicher Freund geworden, dieselbe ihm mit einer Treue und Genauigkeit, welche einem seinem Souverän rapportierenden Polizeipräfecten zur Ehre gereicht haben würde.

So sah Nicolino von der Höhe des Walles das furchtbare und prachtvolle Schauspiel der Verbrennung der Flotte, erfuhr den Vertrag von Sparanisi, konnte mit den Augen den Wagen folgen, in welchen die französischen Officiere kamen, welche die dritthalb Millionen erheben wollten, erfuhr den nächstfolgenden Tag, in welcher Münze die dritthalb Millionen bezahlt worden, wohnte endlich allen Auftritten bei, welche auf die Abreise des Generalvikars von der Ernennung Maliterno‘s zur Dictatur bis zu der Buße folgten, welche wir ihn mit Rocca Romana thun gesehen.

Alle diese Ereignisse würden Nicolino, wenn er sie blos mit seinen Augen gesehen hätte, ziemlich dunkel geblieben sein, die Erklärungen des Commandanten aber brachten für ihn Licht hinein und spielten in diesem politischen Labyrinth die Rolle des Ariadnefadens.

So erreichte man den 20. Januar.

An diesem Tage erfuhr man den definitiven Bruch des Waffenstillstandes in Folge der Unterredung zwischen dem französischen General und dem Fürsten von Maliterno, und man wußte, daß um sechs Uhr Morgens die französischen Truppen sich in Bewegung gesetzt hatten, um gegen Neapel zu marschieren.

Bei dieser Nachricht heulten die Lazzaroni vor Wuth und stellten, alle Disciplin mit Füßen tretend, Michele und Pagliuccello an ihre Spitze, indem sie schrieen, daß sie nur diese beiden als ihre Anführer anerkennen würden.

Dann begannen sie gemeinschaftlich mit den Soldaten und den Officieren, welche mit dem General Naselli von Livorno zurückgekommen waren, Kanonen nach Poggioreale, Capodichino und Capodimonte zu schleppen. Anderweite Batterien wurden an der Porta Capuana, auf der Marinella, auf dem Largo delle Pigne und auf allen Punkten aufgepflanzt, wo die Franzosen in Neapel einzudringen versuchen konnten.

Während dieses Tages, wo man die Verteidigungsanstalten traf, waren trotz der Bemühungen Michelles und Pagliuccellos die Plünderungen, Brandstiftungen und Mordthaten am fürchterlichsten gewesen.

Von den Walle des Castells San Elmo herab sah Nicolino mit Entsetzen die Grausamkeiten, welche verübt wurden.

Er wunderte sich, daß er die republikanische Partei keine Maßregeln gegen diese Gräuel treffen sah, und fragte sich, ob das republikanische Comité in solche Unthätigkeit versunken sei, daß es die Lazzaroni die Stadt beherrschen ließe, ohne etwas gegen diese Ungeheuerlichkeiten zu thun zu versuchen.

In jedem Augenblicke erhob sich von irgend einem Punkte der Stadt neues Geschrei, welches bis zu der Höhe heraufdrang, auf welcher die Festung steht.

Plötzlich stiegen Rauchwirbel von einer Häusergruppe empor und zogen sich, von dem Sirocco getrieben, wie ein Vorhang zwischen die Stadt und das Schloß. Metzeleien, die in den Straßen begonnen worden, setzten sich die Treppen hinauf fort und entwickelten sich auf den Terrassen der Paläste beinahe in Schußweite von den Schildwachen.

Roberto Brandi überwachte die Thore und Ausfallpförtchen des Castells, dessen Schildwachen er verdoppelt, mit dem Befehle, auf Jeden zu feuern, der sich nähern würde, seien es Lazzaroni oder Republikaner.

Augenscheinlich führte er einen bei sich selbst beschlossenen Plan einem verborgenen Ziele entgegen.

Die königliche Fahne flatterte immer noch auf den Mauern des Castells und war trotz der Abreise des Königs keinen Augenblick verschwunden. Diese Fahne, das Unterpfand der Treue des Commandanten, erfreute die Augen der Lazzaroni.

Sein Fernrohr in der Hand, suchte Nicolino in den Straßen von Neapel vergebens einige bekannte Gesichter.

Maliterno war, wie man weiß, nicht nach Neapel zurückgekehrt, Rocca Romana hielt sich verborgen und Manthonnet, Schipani, Cirillo und Velasco warteten.

Um zwei Uhr Nachmittags löste man die Schildwachen ab, wie dies von zwei zu zwei Stunden geschah.

Plötzlich kam es Nicolino vor, als ob die Schildwache, die sich ihm am nächsten befand, ihm ein Zeichen mit dem Kopfe gäbe.

Er that, als ob er es nicht bemerkte, wendete aber nach Verlauf einiger Secunden seine Augen wieder nach dieser Richtung.

Diesmal blieb ihm kein Zweifel. Das Zeichen war um so sichtbarer, als die drei andern Schildwachen die Augen theils auf den Horizont in der Richtung von Capua, wo man die Franzosen debouchiren zu sehen erwartete, theils auf Neapel gerichtet, welches mit Feuer und Schwert kämpfte, auf die vierte Schildwache und den Gefangenen nicht im Mindesten achteten.

Nicolino konnte deshalb seine Schritte nach der Schildwache lenken und in einer Entfernung von kaum einem Schritt an ihr vorübergehen.

»Wenn Sie heute dinieren, so achten Sie auf Ihr Brod,« warf die Schildwache ihm im Vorübergehen zu.

Nicolino stutzte, setzte aber seinen Weg weiter fort.

Seine erste Regung war eine Regung der Furcht. Er glaubte, man wolle ihn vergiften.

Nachdem er etwa zwanzig Schritte zurückgelegt, kehrte er um, ging wieder an der Schildwache und fragte:

»Gift?«

»Nein,« antwortete der Soldat, »ein Billet.«

»Ah,« sagte Nicolino, dem es etwas leichter ums Herz ward, und sich von der Schildwache entfernend, hielt er sich von nun an abseits, ohne wieder nach jener Richtung zu blicken.

Die Republikaner entschlossen sich also endlich zu etwas. Der Mangel an Initiative ist der Hauptfehler des neapolitanischen Adels und Mittelstandes. Eben so bereit wie das Volk, dieser durch den geringsten Wind aufzuwirbelnde Staub, zu Emeuten ist, eben so schwierig in Bezug auf Revolutionen ist die Aristokratie und der bessere Bürgerstand.

Der Grund hiervon liegt darin, daß bei jeder eintretenden Veränderung der Mittelstand und die Aristokratie einen Theil von dem, was sie besitzen, zu verlieren fürchten, während das Volk, welches nichts besitzt, nur gewinnen kann.

Es war drei Uhr Nachmittags, Nicolino dinierte um vier und hatte folglich nur noch eine Stunde zu warten. Diese Stunde kam ihm aber vor wie ein Jahrhundert.

Sie ging endlich vorüber, während Nicolino die Halb- und Viertelschläge auf den dreihundert Kirchen Neapels zählte.

Er stieg von dem Wall herab, fand seinen Tisch gedeckt wie gewöhnlich und sein Brod auf dem Tisch. Er betrachtete es nachlässig, sah aber keine Ritze darin. Die Rinde war rund herum glatt und unversehrt. Wenn ein Billet sich im Innern befand, so konnte es nur beim Backen selbst hineinpracticirt worden sein.

Der Gefangene begann eine falsche Mittheilung zu vermuthen.

Er sah den Schließer an, der seit der steigenden Verbesserung seiner Mahlzeiten beauftragt war, ihn bei Tische zu bedienen, und hoffte an ihm eine Ermuthigung zum Brechen des Brodes wahrzunehmen.

Der Schließer zuckte aber keine Miene.

Nicolino sah, um eine Ursache zu haben, ihn fortzuschicken, nach, ob auf dem Tische nichts fehle. Der Tisch war aber vollkommen serviert.

 

»Mein lieber Freund,« sagte Nicolino zu dem Schließer, »der Commandant ist so gütig gegen mich, daß ich nicht bezweifle, er werde mir eine den Appetit fördernde Flasche Asprino verabfolgen lassen, wenn ich ihn darum bitte.«

Der Asprino ist in Neapel ungefähr dasselbe, was der Wein von Suresne in Paris ist.

Der Schließer verließ die Zelle und machte mit den Schultern eine Bewegung, welche bedeutete:

»Das nenne ich doch einen wunderlichen Einfall, Weinessig zu verlangen, wenn man Lacrymä Christi und Monte de Procida auf dem Tische hat!«

Da ihm aber eingeschärft worden, gegen den Gefangenen artig und gefällig zu sein, so beeilte er sich so sehr, zu gehorchen, daß er, um schneller fortzukommen, als er sich entfernte, nicht einmal die Thür der Zelle verschloß.

Nicolino rief ihn zurück.

»Was gibt es, Excellenz?« fragte der Schließer.

»Ich bitte Euch, eure Thür zu verschließen, mein Freund, antwortete Nicolino. »Offene Thüren führen die Gefangenen in Versuchung.«

Der Chevalier, welcher wußte, daß aus dem Castell San Elmo die Flucht unmöglich war, dafern man sich nicht, wie Hector Caraffa, an einem Seil von der Mauer herabließ, schloß die Thür, nicht um seiner Pflicht zu genügen, sondern um gegen Nicolino nicht ungefällig zu sein.

Nachdem der Schlüssel in dem Schlosse die Bewegung und das Geräusch gemacht, welches verrieth, daß er zweimal herumgedreht worden, erbrach Nicolino, nun sicher, nicht überrascht zu werden, sein Brot.

Man hatte ihn nicht getäuscht. Mitten in der Krume stak ein zusammengerolltes Billet, welches, fest an dem Teig anklebend, verrieth, daß es, ganz wie der Gefangene gedacht, nur beim Backen des Brotes hineingebracht worden sein konnte.

Nicolino horchte, und da er kein Geräusch hörte, so öffnete er rasch das Billet.

Es enthielt folgende Worte:

»Werfen Sie sich auf Ihr Bett, ohne sich auszukleiden. Beunruhigen Sie sich nicht wegen des Geräusches, welches Sie von elf Uhr bis Mitternacht hören werden. Es wird durch Freunde verursacht werden. Halten Sie sich blos bereit, sie zu unterstützen.«

»Zum Teufel!«, murmelte Nicolino, »man hat wohl gethan, mich zu benachrichtigen. Ich hätte die Freunde für Lazzaroni gehalten. Lesen wir noch das Postscript.«

»Es ist dringend nothwendig, daß morgen Früh bei Tagesanbruch die französische Fahne von den Mauern des Castells San Elmo wehe. Wenn unser Versuch scheitern sollte, so thun Sie Ihrerseits, was Sie können, um diesen Zweck zu erreichen. Das Comité stellt fünfhunderttausend Francs zu Ihrer Verfügung.«

Nicolino zerriß das Billet in ungreifbare Stückchen, welche er in seiner ganzen Zelle umherstreute.

Eben war er mit dieser Operation fertig, als der Schlüssel sich wieder in dem Schloß umdrehte, und sein Aufseher mit einer Flasche Asprino in der Hand eintrat.

Nicolino, der von seiner Mutter einen französischen Gaumen geerbt, hatte den Asprino niemals leiden können; bei der gegenwärtigen Gelegenheit aber glaubte er seinen Vaterland ein Opfer bringen zu müssen. Er füllte demgemäß sein Glas, hob es empor, brachte einen Toast auf den Commandanten aus, leerte es auf einen Zug und schnalzte mit der Zunge, als ob er ein Glas Chambertin, Chateau Laffitte oder Bouzi getrunken hätte.

Die Bewunderung des Schließers für Nicolino verdoppelte sich. Man mußte mit heroischem Muthe begabt sein, um ein Glas solchen Wein zu trinken, ohne das Gesicht zu verziehen.

Das Diner war heute noch besser als gewöhnlich. Nicolino machte darüber dem Gouverneur, welcher, wie er seit einiger Zeit gewöhnlich that, ihm beim Kaffee seinen Besuch machte, sein Compliment.

»Ihre schmeichelhafte Anerkennung,« sagte Roberto Brandi, »gebührt nicht dem Koch, sondern dem Asprino, welcher Ihnen erst rechten Appetit gemacht hat.«

Nicolino pflegte nach seinem Diner, welches er, besonders seitdem es besser geworden, bis um halb fünf, ja zuweilen bis sechs Uhr Abends ausdehnte, nicht wieder auf den Wall zu gehen. Aufgeregt jedoch, nicht durch den Asprino, den er getrunken, wie der Commandant glaubte, sondern durch das Billet, welches er empfangen, und da er sah, daß der Commandant auch guter Laune war und weil er nicht zweifelte, daß Neapel des Nachts einen wenigstens ebenso merkwürdigen Anblick gewähre als am Tage, beklagte er sich so hartnäckig über ein gewisses Drücken im Magen und einen gewissen Schwindel im Kopfe, daß der Commandant ihn selbst fragte, ob er nicht ein wenig frische Luft schöpfen wolle.

Nicolino ließ sich einen Augenblick lang bitten, verstand sich aber endlich, um gegen den Commandanten nicht ungefällig zu erscheinen, dazu, mit ihm auf den Wall hinaufzugehen.

Neapel bot am Abend dasselbe Schauspiel dar wie während des Tages, ausgenommen, daß es durch die Finsterniß hindurch gesehen um so entsetzlicher ward. Plünderung und Mord wurden jetzt beim Schein der Fackeln ausgeführt, welche, gleich Besessenen sich in der Nacht umherbewegend einen von dem Tode erfundenen phantastischen furchtbaren Tanz auszuführen schienen.

Die hier und da lodernden Feuersbrünste mit ihrem sich von den Flammen ablösenden dicken Rauch boten Nicolino dasselbe Schauspiel dar, wie Rom achtzehnhundert Jahre früher dem blutdürstigen Nero dargeboten hatte.

Hätte Nicolino sich mit Rosen bekränzen und Verse von Horaz zur Leier singen wollen, so hätte ihn nichts gehindert, sich für den göttlichen Kaiser, den Nachfolger des Claudius und Sohn der Agrippina und des Domitius, zu halten.

Einen so großen Spielraum aber gestattete Nicolino seiner Phantasie nicht. Er hatte ganz einfach ein Schauspiel von Mord und Brand vor Augen, wie Neapel seit der Empörung Masaniello's keines wieder gegeben, und er sah mit Muth im Herzen die Geschütze, deren eherner Hals in den Wall hinausragte, und sagte sich, daß er, wenn er anstatt Roberto Brandi Gouverneur des Castells wäre, sehr bald dieses ganze Gesindel zwingen würde, eine Zuflucht in dem Schlupfwinkel zu suchen, aus welchem es hervorgekommen.

In diesem Augenblick fühlte er, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte, und als ob man eine geheimsten Gedanken gelesen, sagte eine Stimme zu ihm:

»Was würden Sie thun, wenn Sie an meiner Stelle wären?«

Nicolino brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wer so sprach. Er erkannte die Stimme des würdigen Commandanten.

»So wahr ich lebe,« antwortete er, »ich würde keinen Augenblick zögern, sondern im Namen der Humanität und der Civilisation diese Mörder niederschießen.«

»Wie? Das sollte ich thun, ohne vorher zu wissen, was jeder Kanonenschuß, den ich abfeuerte, mir einbringen oder mich kosten würde? In Ihren Jahren freilich und als Anhänger der französischen Grundsätze sagen Sie: Thue, was Du sollst, möge daraus kommen, was da wolle.«

»Das hat der Ritter Bayard gesagt.«

»Ja, aber in meinem Alter und als Familienvater sage ich: Die richtige Wohlthätigkeit beginnt im eigenen Hause. Dies hat allerdings nicht der Ritter Bayard gesagt, wohl aber sagt es der gesunde Menschenverstand.«

»Oder der Egoismus, mein werther Herr Gouverneur.«

»Das sieht sich verteufelt ähnlich, mein werther Herr Gefangener.«

»Aber was wollen Sie eigentlich?«

»Ich will nichts. Ich stehe in aller Ruhe hier auf meinem Balcon. Hier kann mich nichts erreichen. Ich sehe zu und erwarte.«

»Daß Sie zusehen, sehe ich wohl, worauf Sie aber warten, weiß ich nicht.«

»Ich erwarte, was der Gouverneur einer uneinnehmbaren Festung allemal erwartet. Ich erwarte, daß man mir Anträge mache.«

Nicolino nahm diese Worte für das, was sie waren, das heißt für eine Eröffnung; abgesehen aber davon, daß er keinen Auftrag hatte, im Namen der Republikaner zu unterhandeln – obschon er diesen Auftrag sich im Nothfalle selbst ertheilt hätte – empfahl ja das Billet, welches er empfangen, ihm ganz einfach, sich ruhig zu verhalten, und, wenn es in seiner Macht stünde, die Ereignisse, welche von elf bis zwölf Uhr diese Nacht stattfinden sollten, fördern zu helfen.

Wie konnte er wissen, ob das, was er mit dem Commandanten verabredete, wie vortheilhaft es auch nach seiner Ansicht für die Interessen der künftigen parthenopäischen Republik wäre, mit den Planen der Republikaner sich vertrüge?