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La San Felice

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»Von den Erfolgen unseres berühmten General Mack werde ich Sie in demselben Maße unterrichtet halten, wie ich selbst davon in Kenntniß gesetzt werde.

»Bleiben Sie immer bei guter Gesundheit und glauben Sie an die aufrichtige und ewige Zuneigung Ihres Schülers und Gatten

»Ferdinand B.«

»Nachschrift. Meine besten Grüße an Mesdames. Wenn diese guten Prinzessinnen auch ein wenig lächerlich sind, so sind sie doch deswegen nicht weniger die erhabenen Töchter des Königs Ludwig des Fünfzehnten. Sie können auch Airola ermächtigen, den sieben Corsen, welche ihnen als Leibgarde gedient haben und durch den Grafen Narbonne empfohlen worden, welcher, glaube ich, einer der letzten Minister Ihrer lieben Schwester Maria Antoinette gewesen ist, eine kleine Zahlung zu machen. Dies würde ihnen Vergnügen machen, ohne uns zu etwas zu verpflichten.«

Am nächstfolgenden Tage erließ Ferdinand wirklich, wie er seiner Gemahlin geschrieben, jenes Dekret, welches weiter nichts war, als die Wiederinkraftsetzung des von der »sogenannten« römischen Republik abgeschafften Edicts.

Unser Gewissen als Historiker gestattet uns nicht, eine Sylbe an diesem Decrete zu ändern. Uebrigens ist es das auch heutzutage noch zu Rom in Kraft bestehende Gesetz.

»Artikel 1. Kein in Rom oder in den römischen Staaten wohnhafter Israelit darf Christen beherbergen, oder beköstigen, oder in seinen Dienst nehmen, wenn er nicht in die von den päpstlichen Decreten bestimmte Strafe verfallen will.

»Artikel 2.

Sämtliche Israeliten in Rom und den päpstlichen Staaten müssen ihre bewegliche und unbewegliche Habe innerhalb drei Monaten verkaufen, außerdem wird dieselbe versteigert.

»Artikel 3. Kein Israelit darf ohne Erlaubniß der Regierung in Rom oder in irgend einer andern Stadt des Kirchenstaates wohnen. Im Uebertretungsfalle werden die Schuldigen in ihre betreffenden Ghetti zurückgeführt werden.

»Artikel 4. Kein Israelit darf die Nacht außerhalb seines Ghetto zubringen.

»Artikel 5. Kein Israelit darf freundschaftliche Beziehungen zu einem Christen unterhalten.

»Artikel 6. Die Israeliten dürfen bei Vermeidung von hundert Thaler Gefängnißstrafe und sieben Jahre Gefängniß keinen Handel mit heiligen Zierathen oder mit Büchern irgend welcher Art treiben.

»Artikel 7. Jeder katholische Arzt, der zu einem Juden gerufen wird, muß ihn vor allen Dingen zu bekehren suchen. Wenn der Kranke sich weigert, so muß er ihn ohne Hilfe lassen. Der Arzt, welcher diesem Befehle entgegenhandelt, jetzt sich der ganzen Strenge des heiligen Officiums aus.

»Artikel 8. Die Israeliten dürfen bei Beerdigung ihrer Todten keine Ceremonien veranstalten, namentlich bei Strafe der Confiscation sich keiner Fackeln bedienen.

»Vorstehendes Decret wird den Ghetti mitgetheilt und in den Synagogen publiciert werden.«

Am Tage nach dem, wo dieses Decret erlassen und angeschlagen ward, nahm der General Mack Abschied vom König, indem er fünftausend Mann zur Bewachung Roms zurückließ, und zog durch das sogenannte Volksthor, um, wie Ferdinand seiner Gemahlin geschrieben, Championnet zu verfolgen und ihn überall, wo er mit ihm zusammentreffen würde, anzugreifen.

In demselben Augenblicke, wo seine Arrieregarde sich in Marsch setzte, kam auf dem entgegengesetzten Ende von Rom, das heißt durch das Thor San Giovanni, ein Zug herein, der sich sehr originell ausnahm.

Vier berittene neapolitanische Gendarmen, die an ihren Tschakos die rothweiße Kokarde trugen, ritten zwei Männern voran, die mit den Armen an einander gebunden waren. Diese beiden Männer trugen weißbaumwollene Mützen und weite Kittel von unbestimmter Farbe, wie die Kranken in Hospitälern zu tragen pflegen.

Sie saßen auf zwei ungesattelten Eseln und jedes dieser Thiere ward von einem Manne aus dem Volke geführt, welcher, mit einem dicken Knüppel bewaffnet, die Gefangenen bedrohte und insultirte.

Diese Gefangenen waren die beiden Consuln der römischen Republik, Mattei und Zaccalone, und die beiden Männer aus dem Volke, welche die Esel führten, waren der Klempner und der Kräuterhändler, welche versprochen hatten, sie auszuliefern.

Sie hatten Wort gehalten, wie man sieht.

Die beiden unglücklichen Flüchtlinge, die in einem Hospitale, welches Mattei in Valmontone, seiner Vaterstadt, gegründet, in Sicherheit zu sein glaubten, hatten sich dorthin geflüchtet und, um sich besser zu verbergen, das Kostüm der Kranken angelegt. Von einem Krankenwärter, welcher Mattei eine Anstellung verdankte, verrathen, waren sie hier ergriffen worden und man führte sie nun nach Rom, damit ihnen hier das Urtheit gesprochen würde.

Kaum hatten sie das Thor San Giovanni passiert, und waren erkannt, als das Volk mit jenem unheilvollen Instinkte, der es treibt, das, was es selbst erhoben und geehrt, wieder in den Staub zu treten und zu schänden, die Gefangenen zu insultiren begann, indem es sie mit Koth, dann mit Steinen warf, dann: »Nieder mit ihnen!« und: »Schlagt sie todt!« schrie und dann seine Drohungen in Ausführung zu bringen suchte.

Die vier neapolitanischen Gendarmen mußten dieser Menge auf das Bestimmteste versichern, daß man die Consuln nur in der Absicht nach Rom zurückbrächte, um sie zu hängen, und daß dies den nächstfolgenden Tag vor den Augen des Königs Ferdinand durch die Hand des Henkers auf dem Platze vor der Engelsburg, dem gewöhnlichen Orte der Hinrichtungen, und zwar zur größeren Schmach der französischen Besatzung geschehen würde.

Dieses Versprechen beschwichtigte die Menge, welche, da sie sich dem Könige Ferdinand nicht unangenehm machen wollte, sich dazu verstand, bis zu den nächstfolgenden Tag zu warten, sich aber für diese Verzögerung dadurch entschädigte, daß es die beiden Consuln immer noch mit Geheul und Hohngeschrei verfolgte, während es sie ununterbrochen mit Koth und Steinen warf.

Die Gefangenen warteten ergebungsvoll, stumm, traurig, aber ruhig und indem sie den Tod weder zu beschleunigen noch abzuwehren suchten. Sie sahen ein, daß für die Alles aus war und daß sie, wenn sie den Klauen des Volkslöwen entrannen, dann nur in die des königlichen Tigers fielen. Sie senkten daher das Haupt und warteten.

Ein Gelegenheitsdichter – dergleichen Dichten mangeln nie, weder bei Triumphen noch bei Niederlagen – hatte die folgenden vier Verse improvisiert und sofort unter das Volk ausgeheilt, welches dieselben nach einer ebenfalls improvisierten Melodie sang:

 
»Largo, o romano popolo! All' asinino ingresso
Qual fecero non Cesare, non Scipione istesso.
 
 
Di questo democratico ed augusto onore è degno
Chi rose un di da console d'impi tiranni il regno.«
 

In bescheidene Prosa übersetzt, bedeuten diese Verse Folgendes:

 
»Platz, o römisches Volk, bei dem Eseleinzuge.
wie er weder Cäsar noch Scipio beschieden war.
 
 
Dieser erhabenen und demokratischen Ehre war nur der würdig,
welcher einmal als Consul das Reich gottloser Tyrannen regierte.«14
 

So mußten die Gefangenen drei Viertheile Roms durchziehen, und wurden dann nach dem sogenannten neuen Gefängnisse gebracht.

Eine unzählige Volksmenge sammelte sich an dem Thor des Gefängnisses und man mußte ihr, damit sie dieses nicht einschlüge, versprechen, daß den nächstfolgenden Tag Mittags die Hinrichtung auf dem Platze vor der Engelsburg stattfinden würde und daß man zum Beweise schon den nächstfolgenden Morgen bei Tagesanbruch den Henker und seine Gehilfen das Schaffot aufschlagen sehen könne.

Zwei Stunden später verkündeten an allen Straßenecken angeschlagene Bekanntmachungen die Hinrichtung für den folgenden Tag Mittag.

Dieses Versprechen bereitete den Römern eine angenehme Nacht. Schon um sieben Uhr Morgens ward in der That das Schaffot auf dem Platze der Engelsburg zwischen dem Triumphbogen Gratians und der Tiber aufgeschlagen.

Es war dies, wie wir gesagt haben, der gewöhnliche Hinrichtungsplatz, und um größerer Bequemlichkeit willen stand das Haus des Henkers nur wenige Schritte davon entfernt auf dem Quai, dem alten Gefängnisse Tordinone gegenüber.

Hier stand es noch im Jahre 1848, wo es, als Rom die Republik proclamierte, welche noch nicht einmal so lange dauern sollte, als die von 1798, demoliert ward.

Während die Zimmerleute des Todes das Schaffot bauten und Galgen aufschlugen – mitten unter den unfeinen Scherzen des Volkes, welches bei dergleichen Gelegenheiten allemal viel Witz entwickelt – schmückte man einen Balcon mit kostbaren Draperien, welche Arbeit sich mit der des Schaffots in die Aufmerksamkeit der Menge theilte. Dieser Balcon war nämlich die Loge, von wo aus der König dem Schauspiele beiwohnen wollte.

Eine ungeheure Volksmenge strömte von allen Richtungen her auf den Platz vor der Engelsburg, der bald so gedrängt voll war, daß man Wachen um das Schaffot herum aufstellen mußte, damit die Zimmerleute ihre Arbeit fortsetzen konnten.

Nur das rechte Tiberufer, auf welchem das Grabmal Hadrians steht, war leer. Die furchtbare Burg, welche in Rom das ist, was die Bastille in Paris war und was das Castell San Elmo in Neapel ist, flößte, obschon stumm und anscheinend unbewohnt, so große Furcht ein, daß Niemand sich auf die Brücke wagte, welche hinüberführt, und sich eben so wenig getraute, am Fuße einer Mauern vorüber zu gehen.

 

In der That schien die dreifarbige Fahne, die von der Spitze dieser Festung flatterte, diesem ganzen, von blutigen Orgien berauschten Volke zu sagen: »Bedenke wohl, was Du thust! Frankreich ist da!«

Da aber kein französischer Soldat sich auf den Wällen zeigte, da die Ausgänge der Festung sorgfältig geschlossen waren, so gewöhnte man sich allmälig an diese stumme Drohung, gerade so, wie Kinder sich an die Gegenwart eines schlafenden Löwen gewöhnen.

Um elf Uhr führte man die beiden Verurtheilten aus ihrem Gefängnisse heraus und ließ sie wieder ihre Esel besteigen. Man warf ihnen einen Strick um den Hals und die beiden Gehilfen des Henkers faßten jeder ein Ende des Strickes, während der Henker selbst voranschritt.

Begleitet waren sie von jener Brüderschaft von Büßern, welche die Delinquenten auf das Schaffot zu geleiten pflegten, während eine ungeheure Volksmasse hintendrein folgte.

So wurden sie immer noch in ihrer Hospitaltracht nach der Kirche San Giovanni geführt, vor deren Façade man sie von ihren Eseln herabsteigen ließ und auf deren Stufen sie barfuß und knieend Abbitte leisteten.

Der König passierte, indem er sich von dem Palaste Farnese nach dem Hinrichtungsplatze begab, die Via Julia in dem Augenblicke, wo die Gehilfen des Henkers die beiden Verurtheilten, indem sie dieselben an den Stricken zerrten, zum Niederknien zwangen. Früher war unter solchen Umständen die königliche Gegenwart die Rettung des Verurtheilten. Jetzt aber war Alles anders und die königliche Gegenwart machte im Gegentheile die Hinrichtung nur um so sicherer.

Die Menge öffnete sich, um den König passieren zu lassen. Er warf einen unruhigen Seitenblick nach der Engelsburg, machte beim Anblicke der dreifarbigen Fahne eine ungeduldige Geberde, stieg unter dem Beifallsrufe des Volkes aus dem Wagen, erschien auf dem Balcone und begrüßte die Menge.

Einen Augenblick später verkündete lautes Geschrei die Annäherung der Gefangenen.

Voran und hinterher kam ein Detachement neapolitanicher Gendarmen zu Pferde, welche, indem sie sich denen, welche schon auf dem Platze warteten, anschlossen, das Volk zurückdrängten und einen freien Raum machten, auf welchem der Henker und seine Gehilfen ruhig arbeiten konnten.

Die Stille und Einsamkeit der Engelsburg hatte alle Welt beruhigt, so daß man gar nicht mehr an sie dachte.

Einige Römer, die muthiger waren als die andern, wagten sich bis auf die verlassene Brücke und insultierten sogar die Festung auf dieselbe Weise, wie die Neapolitaner den Vesuv insultiren. König Ferdinand lachte nicht wenig darüber, denn es erinnerte ihn an seine guten Lazzaroni vom Molo und bewies ihm, daß die Römer beinahe eben so viel Witz besaßen.

Fünf Minuten vor zwölf Uhr Mittag langte der unheimliche Zug auf dem kleinen Platze an. Die Verurtheilten schienen von Anstrengung und Qualen gänzlich erschöpft, dabei aber ruhig und ergeben zu sein.

Am Fuße des Schaffots ließ man sie von ihren Eseln steigen. Dann löste man ihnen den Strick vom Halse und befestigte ihn am Galgen. Die Büßenden drängten sich näher an die beiden Verurtheilten, ermahnten sie zum Tode und ließen sie das Crucifix küssen.

Mattei sagte, indem er dies that:

»O Christus, Du weißt, daß ich unschuldig und wie Du für das Wohl und die Freiheit der Menschen sterbe.«

Zaccalone sagte:

»O Christus, Du bist mein Zeuge, daß ich diesem Volke verzeihe, wie Du deinen Henkern verziehst!«

Die den Verurtheilten am nächsten befindlichen Zuschauer hörten diese Worte und beantworteten dieselben mit Hohngeschrei.

Dann ließ eine starke Stimme sich vernehmen, welche sagte:

»Betet für die Seelen der Sterbenden!«

Es war die Stimme des Anführers der Büßenden.

Alle knieten nieder, um ein Ave Maria zu beten, selbst der König auf seinem Balcon, selbst der Henker und seine Knechte auf dem Schaffot.

Einen Augenblick lang herrschte feierliches, tiefes Schweigen.

Plötzlich krachte ein Kanonenschuß. Das zerschmetterte Schaffot brach unter dem Henker und seinen Knechten zusammen. Das Thor der Engelsburg öffnete sich und hundert Grenadiere rückten unter Trommelschlag im Sturmschritte über die Brücke und bemächtigten sich, mitten unter dem Schreckensruf der Menge, der wilden Flucht der Gendarmen, des Erstaunens und Entsetzens Aller, der beiden Verurheilten, welche sie in die Engelsburg hineinschleppten, deren Thor sich hinter ihnen schloß, ehe noch Volk, Henker, Büßer, Gendarmen und König sich von ihrer Bestürzung erholt hatten.

Die Engelsburg hatte nur ein Wort gesprochen. Aber, wie man sieht, sie hatte es gut gesprochen und es hatte seine Wirkung geäußert.

Die Römer sahen sich gezwungen, diesen Tag auf das Hängen zu verzichten und sich wieder auf die Juden zu werfen.

König Ferdinand kehrte sehr schlecht gelaunt in den Palast Farnese zurück. Es war die erste Täuschung, die er seit Beginn des Feldzuges erfuhr, und unglücklicherweise für ihn sollte es nicht die letzte sein.

Drittes Capitel.
Nanno tritt wieder auf

Der von dem König Ferdinand an die Königin Caroline gerichtete Brief hatte die Wirkung geäußert, die er davon erwartet. Die Nachricht von dem Triumphe der königlichen Waffen hatte sich mit der Schnelligkeit des Blitzes von Margelina an bis zur Magdalenenbrücke und von der Karthause St. Martin bis nach dem Molo verbreitet, dann war sie von Neapel auf den schnellsten Wegen in das ganze übrige Königreich entsendet worden. Couriere waren nach Calabrien und leichte Fahrzeuge nach den liparischen Inseln abgegangen.

Während so die Boten und Scorridori ihrer Bestimmung entgegeneilten, waren die Wünsche des Siegers befolgt worden.

Die Glocken der dreihundert Kirchen von Neapel verkündeten mit lautem Schalle das Tedeum, und die von allen Castellen krachenden Geschützsalven priesen mit ihrer ehernen Stimme den Herrn der Heerschaaren.

Der Klang der Glocken und der Donner der Kanonen dröhnte daher in alle Häuser von Neapel hinein und erweckte darin je nach den Meinungen derer, die sie bewohnten, Freude oder Verdruß.

Alle, welche zur liberalen Partei gehörten, sahen mit Schmerz den Sieg Ferdinands über die Franzosen, denn es war dies nicht der Triumph eines Volkes über ein anderes Volk, sondern der eines Princips über ein anderes Princip.

Nun aber repräsentierte die französische Idee in den Augen der Liberalen von Neapel die Humanität, die Liebe für das allgemeine Beste, Fortschritt, Aufklärung und Freiheit, während die neapolitanische Idee in den Augen derselben Liberalen nur Barbarei, Egoismus, Stillstand, Verfinsterungssucht und Tyrannei repräsentierte.

Die Liberalen, welche sich moralisch besiegt fühlten, hielten sich daher in ihre Häuser eingeschlossen. Sie sahen ein, daß es für sie nicht gerathen sei, sich öffentlich zu zeigen. Sie dachten an den furchtbaren Tod des Herzogs della Torre und seines Bruders, und beklagten nicht blos für Rom, wo die päpstliche Gewalt wieder hergestellt werden sollte, sondern auch für Neapel, wo nun der Despotismus neuen Boden gewann, den Triumph des Königs Ferdinand, das heißt den Sieg der reactionären Ideen über die revolutionären.

Was die Absolutisten betraf – und die Zahl derselben war groß in Neapel, denn sie bestand aus Allem, was zum Hofe gehörte, oder was von demselben lebte oder abhing und aus dem ganzen Volke. Fischer, Lastträger, Lazzaroni, alle waren jetzt voll Freude und Jubel. Sie rannten in den Straßen umher und schrien: »Es lebe Ferdinand der Vierte! Es lebe Pius der Sechste! Tod den Franzosen! Tod den Jakobinern!«

Und mitten unter ihnen und stärker schreiend als alle Andern sah man Fra Pacifico, der seinen Esel Giacobino nach dem Kloster zurücktrieb.

Das arme Thier war nahe daran, der Last seiner mit Lebensmitteln aller Art angefüllten Körbe zu erliegen und blöckte aus Leibeskräften nach dem Beispiele seines Herrn, welcher behauptete, der Esel beklage die Niederlage seiner Brüder, der Jakobiner.

Dieser Witz fand bei den Lazzaroni, die in der Wahl ihrer Sarcasmen nicht sehr schwierig sind, großen Beifall.

So entlegen von dem Mittelpunkte der Stadt das Haus mit dem Palmbaume oder vielmehr das der Herzogin Fusco, welches an ersteres stieß, auch war, so war das Läuten der Glocken und der Donner des Geschützes doch bis zu Salvato gedrungen, welcher stutzte und horchte wie ein Schlachtroß beim Schmettern der Trompete.

Wie General Championnet durch das letzte anonyme Billet, welches er empfangen und welches, wie man schon errathen, von dem würdigen Doctor Cirillo herrührte, erfahren, ging es mit dem Verwundeten, obschon er noch nicht vollständig wieder hergestellt war, weit besser.

Nachdem er mit Erlaubniß des Arztes von Luisa und deren Zofe unterstützt das Bett verlassen, um sich in einen Sessel zu strecken, hatte er später diesen Sessel verlassen, und von Luisa geführt, einige Male die Runde durch das Zimmer gemacht.

Eines Tages endlich, als Giovannina in Abwesenheit ihrer Herrin sich erboten, ihn eine dieser Promenaden machen zu helfen, hatte er ihr Anerbieten dankend abgelehnt, aber dann ganz allein den beschränkten Spaziergang wiederholt, welchen er seither nur an Luisa's Arm gemacht.

Giovannina hatte sich hierauf, ohne etwas zu sagen, in ihr Zimmer zurückgezogen und lange geweint. Es war klar, daß es Salvato widerstrebte, von der Dienerin die Hilfe zu empfangen, welche ihn, wenn sie von der Herrin kam, so glücklich machte, und obschon sie sehr wohl begriff daß zwischen ihrer Herrin und ihr für einen Mann von Distinction kein Zögern möglich war, so empfand sie nichtsdestoweniger jenen tiefen Schmerz, über welchen die Ueberlegung nichts vermag oder den vielmehr die Ueberlegung nur noch bitterer macht.

Wenn sie durch die Glasthür hindurch ihre Herrin nach dem Weggange des Chevaliers leicht wie ein Vogel nach dem Zimmer des Kranken eilen sah, knirschte sie mit den Zähnen, stieß einen Seufzer aus, welcher einer Drohung glich, und eben so wie sie mit jenem sinnlichen Hange der Frauen des Südens den schönen jungen Mann liebte, ohne es zu wollen, eben so haßte sie ihre Gebieterin unwillkürlich und gewissermaßen ebenfalls ohne es zu wollen.

»O,« murmelte sie, es wird nicht allzu lange dauern, so ist er vollständig wieder genesen. Dann wird er das Haus verlassen und sie wird dann ihrerseits Schmerz empfinden.«

Bei diesen schlimmen Gedanken kehrte das Lächeln wieder auf ihre Lippen zurück und die Thränen trockneten in ihren Augen.

Jedesmal, wo der Doctor Cirillo kam – und seine Besuche wurden immer seltener – beobachtete Giovannina auf seinem Gesicht den Ausdruck von Freude über den Fortschritt, welchen der sich immer mehr bessernde Zustand des Verwundeten machte, und bei jedem Besuche wünschte und fürchtete sie gleichzeitig, daß der Arzt den Kranken für vollständig genesen erkläre.

Am Vorabende des Tages, wo gleichzeitig das Geläute der Glocken und der Donner der Kanonen sich vernehmen ließ, fand Doctor Cirillo sich abermals ein, und sprach mit strahlendem Lächeln, nachdem er Salvato's Athemzug untersucht, ihm mehrmals auf die Brust gepocht und erkannt, daß der Schall immer mehr von seiner Mattigkeit verlor, die Worte, welche gleichzeitig in zwei Herzen, ja sogar in dreien widerhallten:

»Na, in zehn bis zwölf Tagen kann unser Patient zu Pferde steigen und dem General Championnet selbst Kunde von seinem Befinden bringen.«

Giovannina hatte bemerkt, daß bei diesen Worten zwei große Thränen in Luisas Augen traten, daß sie dieselben nur mit Mühe zurückzuhalten vermochte und daß der junge Mann sehr bleich ward.

Was sie selbst betraf, so fühlte sie lebhafter als jemals jene doppelte Empfindung von Freude und Schmerz, welche sie schon mehr als einmal in sich wahrgenommen.

Unter dem Vorwande, Cirillo das Geleite zu geben, war Luisa diesem, als er sich wieder entfernte, gefolgt. Giovannina ihrerseits hatte den Beiden nachgeschaut, bis sie verschwunden waren. Dann war sie an das Fenster, ihr gewöhnliches Observatorium, getreten.

Fünf Minuten später sah sie den Doctor den Garten verlassen, und da ihre Herrin nicht unmittelbar wieder in das Zimmer des Verwundeten trat, so sagte sie:

»Ha, sie weint, sie weint!«

Nach Verlauf von zehn Minuten trat Luisa wieder ein.

Giovannina bemerkte, daß ihre Augen, trotzdem, daß sie dieselben mit frischem Wasser benetzte, noch roth waren, und murmelte wieder:

»Sie hat geweint.«

Salvato seinerseits hatte nicht geweint. – Thränen schienen diesem ehernen Antlitze etwas Unbekanntes zu sein.

 

Als Luisa das Zimmer verlassen hatte, war ein Kopf blos auf die Hand gesunken und er schien gegen Alles, was ihn umgab, so gleichgültig zu werden, als ob er in eine Bildsäule verwandelt worden wäre. Es war dies überhaupt sein gewohnter Zustand, wenn Luisa nicht in seiner Nähe war.

Bei ihrem Wiedereintritte, ja noch ehe sie wieder eintrat, das heißt beim Geräusch ihrer Tritte, richtete er den Kopf empor und lächelte, so daß diesmal, wie immer, das Erste, was sie beim Wiedereintritte in das Zimmer sah, das Lächeln des Mannes war, den sie liebte.

Das Lächeln ist die Sonne der Seele und ihr geringster Strahl genügt, um jenen Thau des Herzens zu trocknen, welchen man die Thränen nennt.

Luisa ging gerade auf den jungen Mann zu, bot ihm beide Hände und lächelte ebenfalls.

»O, wie glücklich bin ich, daß Sie nun ganz außer aller Gefahr sind!«

Am nächsten Tage war Luisa bei Salvato, als gegen ein Uhr Mittags das Geläute der Glocken und die Geschützsalven begannen. Die Königin hatte die Depesche ihres erhabenen Gemahls erst um elf Uhr Morgens erhalten, und es hatte zweier Stunden bedurft, um die zu dieser freudigen Kundgebung erforderlichen Befehle zu ertheilen.

Salvato zuckte, wie wir gesagt haben, bei diesem doppelten Getöse auf einem Sessel zusammen. Er richtete sich auf seine Füße empor. Seine Stirn runzelte sich, und seine Nüstern erweiterten sich, als ob er schon den Pulverdampf, nicht der öffentlichen Freudenfeste, sondern des Schlachtfeldes witterte, und er fragte, indem er bald Luisa, bald die Zofe ansah:

»Was ist das?«

Die beiden Frauen machten gleichzeitig eine ähnliche Geberde, welche bedeutete, daß sie Salvato's Frage nicht beantworten konnten.

»Geh, und erkundige Dich, Giovannina,« sagte Luisa. »Wahrscheinlich ist heute ein Fest, welches wir vergessen haben.«

Giovannina verließ das Zimmer.

»Was für ein Fest?« fragte Salvato, indem er Luisa ansah.

»Welchen Monatstag haben wir heute?« fragte diese.

»O,« sagte Salvato, »es ist schon lange her, daß ich die Tage nicht mehr zähle.«

Und mit einem Seufzer setzte er hinzu:

»Heute will ich aber wieder anfangen.«

Luisa streckte die Hände nach einem Kalender aus.

»In der That,« sagte sie ganz freudig, »wir haben heute den ersten Adventsonntag.«

»Ist es denn,« fragte Salvato fort, »in Neapel gebräuchlich, die Ankunft unsers Herrn und Heilandes durch Kanonensalven zu feiern? Wenn es das Weihnachtsfest selbst wäre, dann könnte ich es mir allenfalls denken.«

Giovannina trat wieder ein.

»Nun?«, fragte Luisa.

»Signora,« antwortete Giovannina, »Michele ist da.«

»Was sagt er denn?«

»O, ganz merkwürdige Dinge. Er sagt – doch, fuhr sie fort, »es wird am besten sein, wenn er Ihnen dies selbst erzählt, Signora. Sie werden dann selbst urtheilen.«

»Ich komme wieder, mein Freund,« sagte Luisa zu Salvato, »ich will selbst hören, was unser Narr sagt.«

Salvato antwortete durch eine Kopfbewegung und ein Lächeln.

Luisa verließ das Zimmer.

Giovannina machte sich nun darauf gefaßt, von Salvato ausgefragt zu werden.

Sobald aber Luisa hinaus war, schloß er die Augen und versank wieder in eine gewöhnliche Unbeweglichkeit und Schweigsamkeit. Da sie nicht gefragt ward, so wagte sie nicht zu sprechen, wie große Lust sie auch dazu hatte.

Luisa fand ihren Milchbruder im Speisezimmer.

Sein Gesicht strahlte. Er hatte seine Festtagskleider angelegt und von seinem Hute flatterte eine Flut von Bändern.

»Victoria!« rief er, als er Luisa erblickte. »Victoria, Schwesterchen! Unser großer König Ferdinand ist in Rom eingezogen; der General Mack ist auf allen Punkten siegreich, die Franzosen sind ausgerottet, die Juden werden verbrannt und die Jakobiner gehängt! Evviva la Madonna! – Nun, was ist Dir?«

Diese Frage hatte ihren Grund darin, daß Luisa plötzlich blaß ward. Ihre Kräfte wurden ihr, als sie diese Nachricht vernahm, untreu, und sie sank auf einen Stuhl nieder.

Sie begriff in der That nur Eins, und dieses war, daß, wenn die Franzosen siegten, Salvato bei ihr bleiben und dieselben sogar in Neapel erwarten konnte.

Wurden dagegen die Franzosen besiegt, so mußte Salvato Alles, selbst sie, verlassen, um das Unglück seiner Waffenbrüder zu theilen.

»Aber ich frage Dich, was Dir ist?«, sagte Michele.

»Nichts, mein Freund; diese Nachricht ist aber so erstaunlich und unerwartet. – Bist Du derselben auch gewiß, Michele?«

»Nun, hörst Du nicht die Glocken? Hörst Du nicht die Kanonen?«

»Allerdings höre ich sie.«

Und mit halber Stimme murmelte sie:

»Unglücklicherweise wird auch er es hören.«

»Wenn Du noch zweifelst,« sagte Michele, »so kommt hier der Chevalier San Felice, welcher Dir bestätigen wird, was ich gesagt habe. Er ist bei Hofe gewesen; er muß wissen, was dort für Nachrichten eingegangen sind.«

»Mein Gemahl!« rief Luisa; »das ist ja gar nicht seine Stunde!«

Und sie wendete den Kopf rasch nach der Seite des Gartens herum.

In der That war es der Chevalier, der eine Stunde eher als gewöhnlich nach Hause kam. Es war klar, daß er zu dieser Abweichung von der Regel nur durch ein großes Ereigniß bewogen worden sein konnte.

»Rasch, rasch, Michele!« rief Luisa, »geh in das Zimmer des Verwundeten, erwähne aber kein Wort von dem, was Du mir soeben gesagt hat, und sieh zu, daß auch Giovannina schweige. Verstehst Du mich?«

»Ja, ich verstehe, daß ihn dies sehr betrüben würde, den armen jungen Mann. Wenn er mich nun aber wegen des Glockengeläutes und der Kanonensalven fragt?«

»Dann sage, es geschähe wegen des Adventfestes. Geh!«

Michele verschwand in dem Corridor, dessen Thür Luisa wieder hinter ihm verschloß.

Es war die höchste Zeit, denn der Kopf des Chevaliers kam in demselben Augenblick über dem Perron zum Vorschein.

Luisa eilte ihm mit lächelndem Munde, aber unruhig pochendem Herzen entgegen.

»Meiner Treu!« sagte er eintretend, »das ist eine Nachricht, die ich nicht erwartet hätte! König Ferdinand, ein Held! Nun urtheile Einer noch nach dem Scheine. Die Franzosen sind auf dem Rückzuge! Rom ist von dem General Championnet aufgegeben! Und unglücklicherweise finden schon Mordthaten und Hinrichtungen statt, als ob der Sieg durchaus nicht rein bleiben könnte. So verstanden ihn die Griechen nicht. Bei ihnen hieß die Siegesgöttin die Nike; sie machten sie zur Tochter der Kraft und der Tapferkeit und reihten sie mit Themis dem Gefolge Jupiters an. Allerdings, die Römer gaben ihrer Victoria keine Wage als Attribut, ausgenommen, um vielleicht das Gold der Besiegten zu wägen. Vae victis! jagten sie und ich, ich sage: Vae victoribus! so oft die Sieger ihren Trophäen noch Schaffote und Galgen hinzufügen. Ich wäre ein armseliger Eroberer gewesen, Luisa, und will lieber in mein Haus, welches mich anlächelt, einziehen, als in eine Stadt, welche weint.«

»Dann ist es also wahr, was man erzählt, mein Freund?« fragte Luisa, die immer noch zögerte, zu glauben.

»Ja, die Sache ist officiel, meine theure Luisa. Ich habe die Nachricht aus dem Munde Sr. Hoheit des Herzogs von Calabrien selbst und er hat mich eben schnell nach Hause geschickt, damit ich mich umkleide, weil er bei dieser Gelegenheit ein Diner gibt.«

»Zu welchem Du gehen wirst?« rief Luisa hastiger, als sie eigentlich gewollt.

»Mein Gott, ich muß,« antwortete der Chevalier. »Es ist ein Diner von Gelehrten. Es gilt, lateinische Inschriften zu fertigen und Allegorien zu erfinden, wie man deren für die Wiederankunft des Königs bedarf. Man will ihm prachtvolle Feste bereiten, mein Kind, von welchen es – beiläufig gesagt – sehr schwer sein wird, Dich zu dispensieren. Du begreift dies selbst. Als der Prinz in die Bibliothek kam, um mir diese Neuigkeit mitzutheilen, war ich so weit entfernt, darauf gefaßt zu sein, daß ich beinahe von der Leiter heruntergefallen wäre. Dies wäre aber durchaus nicht höflich gewesen, denn ich hätte dadurch bewiesen, daß ich an dem militärischen Genie des Königs große Zweifel gehegt. Nun bin ich da, mein armes Kind, und zwar in so großer Aufregung, daß ich nicht einmal weiß, ob ich die Gartenthür hinter mir verschlossen habe. Du wirst mir beim Ankleiden behilflich sein, nicht wahr? Gib mir Alles, was ich bedarf, um kleine Hoftoilette zu machen. Ein akademisches Diner! Wie werde ich mich in Gesellschaft dieser Pedanten langweilen. Sobald es mir möglich ist, komme ich wieder, vor zehn bis elf Uhr Abends aber wird es kaum geschehen können. Komm' denn also, meine kleine Luisa, komm'! Es ist jetzt zwei Uhr und um drei soll das Diner beginnen. Aber was siehst Du denn?«

Und der Chevalier machte eine Bewegung, um zu sehen, was die Blicke einer Gattin nach der Richtung des Gartens hinzog.

»Nichts, mein Freund, nichts, sagte Luisa, indem sie ihren Gatten bewog, seinen Schritt nach seinem Schlafzimmer zu lenken. »Du hast Recht; Du mußt Dich beeilen, sonst wirst Du nicht fertig.«

14Der Verfasser hat in dem Augenblicke, wo er diese Zeilen schreibt, einen Kupferstich aus jener Zeit vor sich liegen, welcher den Einzug jener Unglücklichen darstellt. Wir brauchen nicht erst zu sagen, daß wir uns in den vier oder fünf letzten Capiteln nicht einen einzigen Augenblick von der Geschichte entfernt haben.