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La San Felice

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Sie hatte aber nicht gewagt, diesen Wunsch in Ausführung zu bringen. Was hätte Cirillo wohl von dem Geheimniß denken müssen, womit sie ihrem Gemal das furchtbare Ereigniß, welches unter ihren Augen stattgefunden, verschwieg, und wie sollte er die Gründe würdigen, welche sie zu haben glaubte, über dieses Ereigniß absolutes Schweigen zu beobachten?

Aber nichtsdestoweniger erschien es ihr eigenthümlich, daß Cirillo, den man seit mehreren Monaten nicht gesehen, sich einmal einfand und zwar gerade an dem Morgen, der auf die Nacht folgte, wo seine Anwesenheit im Hause so sehr herbeigewünscht worden.

Cirillo ließ, als er eintrat, seinen Blick eine Sekunde lang auf Luisa weilen. Dann rückte er, der Einladung des Chevaliers folgend, seinen Stuhl an den Tisch, woran seine Freunde frühstückten.

Der orientalischen Gewohnheit gemäß, die auch die Neapels, dieser ersten Station des Orients, ist, servierte Luisa ihm eine Taffe schwarzen Kaffee.

»In der That,« sagte San Felice, indem er seine Hand auf Cirillos Knie legte, »es bedurfte eines Besuchs um halb zehn Uhr Morgens, damit wir Ihnen die Vernachlässigung verzeihen, welche Sie uns jetzt so lange bewiesen. Man könnte zwanzigmal sterben, lieber Freund, ehe man erführe, ob Sie nicht selbst gestorben sind.«

Cirillo betrachtete San Felice mit derselben Aufmerksamkeit, womit er dessen Gattin angesehen. So sehr er aber bei letzterer die geheimnißvolle Spur einer aufgeregten, umruhigen Nacht gefunden, eben so sehr fand er bei ersterem die naive, heitere Ruhe der Sorglosigkeit und des Glückes.

»Also,« sagte er zu San Felice, »es macht Ihnen Vergnügen, mich diesen Morgen zu sehen, mein lieber Chevalier?«

Er betonte die beiden Worte: diesen Morgen mit unverkennbarer Absicht.

– »Es macht mir stets Vergnügen, Sie zu sehen, lieber Doctor,« fuhr der Chevalier fort, »Morgens wie Abends, und Abends wie Morgens. Gerade heute Morgen aber freue ich mich mehr als je, Sie zu sehen.«

»Warum? Sagen Sie mir das.«

»Aus zwei Gründen. Trinken Sie doch Ihren Kaffee! Ach, was den Kaffee betrifft, so haben Sie heute allerdings Unglück, denn Luisa hat ihn nicht selbst bereitet. Die Faulenzerin ist – zu welcher Stunde glauben Sie wohl, daß sie aufgestanden ist? Rathen Sie.«

»Fabiano!« rief Luisa erröthend.

»Da sehen Sie, sie schämt sich selbst. Um neun Uhr ist sie aufgestanden.«

Cirillo bemerkte Luisas Erröthen, auf welches eine tödtliche Blässe folgte.

Ohne noch zu wissen, was der Grund dieser Aufregung war, empfand Cirillo Mitleid für die arme Frau.

»Sie wünschten also aus zwei Gründen, mich zu sehen, mein lieber San Felice,« sagte er. »Welche waren die ?«

»Erstens, entgegnete der Chevalier, »denken Sie sich, daß ich gestern die Epochen der Natur von dem Herrn Grafen von Buffon aus der Bibliothek des Palastes mitgebracht habe. Der Prinz hat dieses Buch heimlich kommen lassen, denn es ist von der Censur verboten, vielleicht – etwas Gewisses weiß ich natürlich nicht – vielleicht weil es nicht ganz mit der Bibel übereinstimmt.«

»O, das wäre mir ganz gleich,« antwortete Crillo lachend, »dafern es nur mit dem gesunden Menschenverstand übereinstimmte.«

»Ah,« rief der Chevalier, »dann glauben Sie also wohl nicht wie er, daß die Erde ein durch den Zusammenstoß mit einem Kometen losgesprengtes Stück Sonne ist?«

»Eben so wenig als ich glaube, daß die Erzeugung der lebenden Wesen durch organische Kügelchen geschieht, was ebenfalls eine Theorie dieses Autors, und nach meiner Meinung eine nicht weniger abgeschmackte als die erste ist.«

»Das lasse ich mir gefallen. Ich bin also nicht so unwissend, wie ich fürchtete.«

»Sie, lieber Freund! Sie sind der gelehrteste. kenntnißreichste Mann, den ich kenne.«

»O, o, o! mein lieber Doctor, sprechen Sie leise, damit es Niemand höre. Also die Frage ist entschieden und ich brauche mir nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Die Erde ist nicht ein Stück Sonne. Einer der beiden Punkte wäre somit aufgeklärt und da es der weniger wichtige war, so habe ich denselben vorangestellt. Den zweiten haben Sie vor Augen. Was sagen Sie zu diesem Gesicht?«

Und er zeigte auf Luisa.

»Dieses Gesicht ist reizend wie immer, antwortete Cirillo; nur ein wenig matt und bleich, vielleicht in Folge des Schreckens, welchen Signora in der vergangenen Nacht gehabt haben kann.«

Der Doctor sprach die letzten Worte mit besonderem Nachdruck.

»Was für einen Schrecken?« fragte Felice.

Cirillo sah Luisa an.

»Ist diese Nacht nichts vorgefallen, was Sie erschreckt hätte, Signora?« fragte er dann.

»Nein, nichts, gar nichts, lieber Doctor,« antwortete Luisa, indem sie Cirillo einen bittenden Blick zuwarf.

»Nun dann,« bemerkte Cirillo in leicht hingeworfenem Tone, »dann haben Sie schlecht geschlafen, weiter ist es nichts.«

»Ja,« sagte San Felice lachend, »sie hat böse Träume gehabt und gleichwohl lag sie, als ich aus dem englischen Gesandtschaftshotel nach Hause kam, in so festem Schlafe, daß ich sie küßte, ohne daß sie davon erwacht wäre.«

»Und zu welcher Stunde kamen Sie nach Hause zurück?«

»Gegen halb drei Uhr.«

»Sehr richtig«, sagte Cirillo; »da ist Alles vorüber gewesen.«

»Was ist vorüber gewesen?«

»Nichts,« sagte Cirillo. »Es ist blos in der vergangenen Nacht ein Mensch vor Ihrer Thür ermordet worden, weiter ist es nichts.«

Luisa ward so bleich wie das battistene Negligé, mit welchem sie bekleidet war.

»Aber, fuhr Cirillo fort, »da der Mord um zwölf Uhr stattgefunden, da Signora zu dieser Stunde geschlafen hat und da Sie selbst erst um halb drei Uhr nach Hause gekommen sind, so haben Sie natürlich nichts davon wissen können.«

»Nein und Sie sind der Erste, der mir etwas davon erzählt. Unglücklicherweise ist ein Mord in den Straßen von Neapel nichts Seltenes, ganz besonders nicht in Mergellina, wo die Straßenbeleuchtung so mangelhaft ist und alle Welt um neun Uhr Abends schon im Schlafe liegt. Ach, nun verstehe ich, warum Sie heute so früh gekommen sind.«

»Sehr richtig, mein Freund. Ich wollte wissen, ob jener Mord, welchem etwas ganz Außergewöhnliches zu Grunde zu liegen scheint, nicht, da er unter Ihren Fenstern geschehen, Störung in Ihrem Hause hervorgerufen habe.«

»Nein, durchaus nicht. Sie sehen dies selbst. Auf welche Weise haben aber Sie denn diesen Mord erfahren?«

»Ich ging nur wenige Augenblicke, nachdem er stattgefunden, an Ihrem Hause vorüber. Der Ermordete – es muß ein überaus starker und muthiger Mann gewesen sein – hat zwei Sbirren getödtet und zwei andere verwundet.«

Luisa verschlang jedes Wort, welches aus dem Munde des Doctors kam. Alle jene Einzelheiten, welche man nicht vergißt, waren ihr unbekannt.

»Wie?« fragte San Felice, indem er die Stimme senkte, »die Mörder waren Sbirren?«

»Unter dem Commando Pasquales de Simone, antwortete Cirillo, indem er eben so leise sprach als der Chevalier.

»Glauben Sie denn an alle diese Verleumdungen?« fragte San Felice.

»Ich muß wohl daran glauben.«

Cirillo faßte den Chevalier bei der Hand und führte ihn an das Fenster.

»Sehen Sie,« sagte er, den Finger ausstreckend, »auf der andern Seite des Löwenbrunnens, an der Thür jenes Hauses, welches die Ecke des Platzes und der Straße bildet, sehen Sie dort jene zwischen vier Kerzen ausgestellte Bahre?«

»Ja.«

»Wohlan. Dieselbe enthält die Leiche eines der beiden verwundeten Sbirren. Er starb unter meinen Händen und hat mir, ehe er starb, noch Alles erzählt.«

Cirillo drehte sich rasch um, um sich von der Wirkung zu überzeugen, welche die Worte, die er so eben gesprochen, auf Luisa geäußert hätten.

Sie war aufgestanden und trocknete sich mit ihrem Tuche den Schweiß von der Stirn.

Sie begriff recht wohl, daß diese Worte um ihretwillen gesagt worden. Die Kräfte wurden ihr untreu und sie sank mit gefalteten Händen auf ihren Stuhl nieder.

Cirillo machte ihr durch eine Geberde bemerklich, daß auch er verstand und beruhigte sie durch einen Blick.

»Mein lieber Chevalier, fuhr er fort, »ich freue mich, daß dies Alles in partibus geschehen, das heißt ohne daß Sie oder Signora etwas davon gesehen oder gehört haben. Da Signora aber dennoch ein wenig leidend ist, so erlauben Sie mir wohl, sie zu befragen und ihr ein kleines Recept zu schreiben. Da nun die Aerzte stets sehr indiscrete Fragen thun, da ferner die Damen in Bezug auf ihre Gesundheit gewisse verschämte Geheimnisse haben, über welche sie sich nur unter vier Augen aussprechen können, so werden Sie mir gestatten, Signora, Sie in Ihr Zimmer zu geleiten und Sie dort ganz in aller Ruhe und Bequemlichkeit zu befragen.«

»Es ist nicht nöthig, lieber Doctor. Eben schlägt es zehn Uhr. Ich habe mich um zwanzig Minuten verspätet. Bleiben Sie bei Luisa und nehmen Sie sie in die Beichte, während ich mich nach meiner Bibliothek verfüge. Apropes, Sie wissen wohl, was diese Nacht im Hotel der englischen Gesandtschaft geschehen ist?«

»Ja, wenigstens so ziemlich.«

»Wohlan, ich bin überzeugt, daß dies schon bedeutende Folgen herbeigeführt hat. Der Prinz kommt sicherlich früher herunter als gewöhnlich, ja er erwartet mich vielleicht schon; Sie haben mir heute Morgen Neuigkeiten mitgebracht, vielleicht kann ich Ihnen heute Abend, wenn Sie wieder hier vorbeikommen, auch einige mittheilen. Doch was schwatze ich denn. Man kommt ja hier nicht vorbei; man kommt blos hierher, wenn man sich verirrt. Mergellina ist der Nordpol von Neapel und ich sitze hier zwischen Eisbergen.«

Dann küßte er seine Gattin auf die Stirn und sagte:

»Auf Wiedersehen, theures Kind. Erzähle nur dem Doctor alle deine kleinen Geschichten. Bedenke, daß deine Gesundheit meine Freude und daß dein Leben mein Leben ist. Auf Wiedersehen, lieber Doctor.«

Dann warf er einen Blick auf die Wanduhr.

 

»Ein Viertel auf elf!« rief er, »ein Viertel auf elf!« Und Hut und Parapluie gen Himmel reckend, eilte er die Stufen der Rampe oder Terrasse hinunter.

Cirillo sah ihn sich entfernen, hatte aber nicht einmal so viel Geduld, daß er gewartet hätte, bis der Chevalier zum Garten hinaus war, sondern drehte sich sofort nach Luisa herum.

»Er ist hier, nicht wahr?« fragte er im Tone der ängstlichsten Theilnahme.

»Ja, ja, ja!«, murmelte Luisa, indem sie vor Cirillo auf die Knie niedersank.

»Todt oder lebendig?«

»Lebendig!«

»Gott sei gepriesen!« rief Cirillo, »und Sie, Luisa?«

Er betrachtete sie mit einem Gemisch von Bewunderung und Zärtlichkeit.

»Und ich?« fragte sie an allen Gliedern zitternd.

»Sie,« sagte Cirillo, indem er sie aufhob und an sein Herz drückte, »Sie sollen gesegnet sein.«

Und Cirillo sank nun einerseits auf einen Stuhl nieder und trocknete sich die Stirn.

Zweites Capitel.
Die beiden Verwundeten

Luisa begriff nicht den Auftritt, der so eben stattgefunden. Sie errieth blos, daß sie einer Person das Leben gerettet, welche Cirillo theuer war – dies war Alles.

Als sie den guten Doctor unter der Last der Gemüthsbewegung, die er erfahren, erbleichen sah, goß sie ihm ein Glas frisches Wasser ein und reichte es ihm.

Er trank es halb aus.

»Und nun,« sagte Cirillo, indem er sich rasch erhob, »nun lassen Sie uns keine Minute versäumen. Wo ist er?«

»Dort,« sagte Luisa, indem sie nach dem Ende des Corridors zeigte.

Cirillo machte eine Bewegung in der angedeuteten Richtung. Luisa hielt ihn zurück.

»Aber –« sagte sie zögernd.

»Nun, aber?« wiederholte Cirillo.

»Hören Sie mich und ganz besonders entschuldigen Sie mich, mein Freund,« sagte sie zu ihm mit ihrer liebkosenden Stimme und indem sie ihre beiden Hände auf seine Schultern legte.

»Ich höre, sagte Cirillo lächelnd. »Er liegt doch nicht etwa in den letzten Zügen?«

»Nein, Gott sei Dank. Er befindet sich sogar, glaube ich, so gut, als ein Mensch in seiner Lage sich befinden kann, wenigstens war dies der Fall, als ich ihn vor zwei Stunden verließ. Dies ist es, was Sie erfahren mußten, ehe Sie ihn sehen. Ich wagte nicht, Sie rufen zu lassen, weil Sie der Freund meines Gatten sind und weil ich instinctartig fühlte, daß mein Gatte von all diesem nichts erfahren dürfe. Ich wollte keinem Arzte, dessen ich nicht sicher wäre, ein wichtiges Geheimniß anvertrauen, denn es liegt hier ein wichtiges Geheimniß zu Grunde, nicht wahr, mein Freund?«

»Ja, ein furchtbares Geheimniß, Luisa.«

»Ein königliches Geheimniß, nicht wahr?«, hob diese wieder an.

»Ruhig! Wer hat Ihnen dies gesagt?«

»Der Name eines der Mörder selbst.«

»Sie erkannten diesen?«

»Michele, mein Milchbruder, erkannte Pasquale de Simone. Aber lassen Sie mich ausreden. Ich wollte Ihnen also sagen, daß ich nicht wagte, Sie rufen zu lassen, und da ich auch keinen andern Arzt holen lassen wollte, als Sie, so bat ich eine zufällig anwesende Person, dem Verwundeten die erste Pflege zu widmen.«

»Gehört diese Person dem Fache der Heilkunde an?« fragte Cirillo.

»Nein, aber sie behauptet im Besitze von Geheimmitteln zu sein.«

»Also irgend ein Charlatan.«

»Nein; aber entschuldigen Sie mich, lieber Doctor; ich bin so unruhig, daß mein armer Kopf sich verwirrt. Mein Milchbruder Michele, der, welchen man Michele den Narren nennt, Sie kennen ihn wohl?«

»Ja, und beiläufig gesagt, fordere ich Sie sogar auf, ihm nicht zu trauen. Er ist ein engagierter Royalist, in dessen Gegenwart ich nicht hier vorbeikommen möchte, wenn mein Haar à la Titus gestutzt wäre und ich Pantalons anstatt kurzer Beinkleider trüge. Er spricht von weiter nichts, als daß die Jacobiner gehängt und verbrannt werden müßten.«

»Ja, aber er ist nicht fähig, ein Geheimniß zu verrathen, bei welchem ich in irgend einem Grade betheiligt wäre.«

»Das ist wohl möglich. Unsere Leute aus dem Volke sind ein Gemisch von Gutem und Bösem, nur behauptet bei der Mehrzahl von ihnen das Böse die Oberhand. Was wollten Sie mir also von Ihrem Milchbruder Michele erzählen?«

»Unter dem Vorwande, mir wahrsagen zu lassen – ich schwöre Ihnen, mein Freund, daß diese Idee von ihm, aber nicht von mir ausging – hatte er mir eine albanesische Zigeunerin zugeführt. Sie hatte mir allerhand thörichte Dinge prophezeit und war mit Einem Worte noch da, als ich jenen unglücklichen jungen Mann bei mir aufnahm. Sie ist es, die mit Hilfe der Kräuter, deren Heilkraft sie zu kennen vorgibt, das Blut gestillt und den ersten Verband angelegt hat.«

»Hm!« sagte Cirillo in unruhigem Tone.

»Was meinen Sie?«

»Sie hatte doch keinen Grund zu Feindseligkeiten gegen den Verwundeten, nicht wahr nicht?«

»Nein; sie kennt ihn nicht, und schien im Gegentheile an seiner Lage großes Interesse zu nehmen.«

»Dann fürchten Sie also nicht, daß sie, um einen Zweck der Rache zu erreichen, vielleicht giftige Kräuter in Anwendung gebracht habe?«

»Mein Gott!« rief Luisa erbleichend, was sagen Sie! Doch nein, es ist unmöglich. Der Verwundete schien, abgesehen von großer Schwäche, sogleich Linderung zu fühlen, als der Verband angelegt war.«

»Diese Frauen, sagte Cirillo, wie mit sich selbst sprechend, »besitzen zuweilen in der That ganz vortreffliche Geheimnisse. Im Mittelalter, ehe die Wissenschaft mit Avicenna aus Persien und mit Averrhoé aus Spanien zu uns kam, waren sie die Vertrauten der Natur, und wenn die heutige Medicin weniger stolz wäre, so würde sie gestehen, daß sie ihnen einige ihrer besten Entdeckungen verdankt. Nur, meine theuere Luisa,« fuhr er fort, indem er sich wieder zu der Gattin des Chevalier wendete, »nur sind diese Geschöpfe sehr wild und eifersüchtig, und es würde dem Kranken Gefahr bringen, wenn die Wahrsagerin erführe, daß außer ihr noch ein anderer Arzt ihm seine Sorgfalt widmet. Suchen Sie daher sie zu entfernen, damit ich den Verwundeten allein sehen kann.«

»Daran hatte ich auch schon gedacht, mein Freund, und ich wollte Sie eben davon in Kenntniß setzen,« sagte Luisa. »Jetzt, wo Sie Alles wissen und wo Sie sogar meinen Befürchtungen entgegengekommen sind, bitte ich Sie, mich zu begleiten. Sie werden in ein Nebenzimmer treten, ich werde Nanno unter irgend einem Vorwand entfernen und dann, o bester Doctor, sagte Luisa, indem sie die Hände faltete, wie sie vor Gott gethan haben würde, »dann werden Sie ihn retten, nicht wahr?«

»Die Natur rettet, nicht wir, mein Kind, antwortete Cirillo; »wir unterstützen die Natur blos, das ist Alles, und ich hoffe, daß sie auch bereits für unsern lieben Verwundeten Alles gethan haben wird, was sie thun kann. Doch verlieren wir keine Zeit. In dergleichen Fällen hängt die Heilung in hohem Grade von der Schnelligkeit der Hilfeleistung ab. Wenn man sich auch auf die Natur verlassen muß, so darf man doch auch nicht verlangen, daß sie Alles thue.«

»Nun, dann kommen Sie,« sagte Luisa.

Sie ging voran und der Doctor folgte ihr.

Man durchschritt die lange Reihe von Gemächern, welche zu dem Hause San Felice gehörten, dann öffnete man die Verbindungsthür, welche in das benachbarte Haus führte.

»Ah,« sagte Cirillo, als er diese Combination des Zufalls bemerkte, welche bei diesem Ereigniß so gut zu Statten gekommen war, »das ist ganz vortrefflich. Ich verstehe, ich verstehe. Er ist nicht bei Ihnen, sondern bei der Herzogin Fusco. Es gibt eine Vorsehung, mein Kind.«

Und mit einem Blick gen Himmel dankte Cirillo jener Vorsehung, an welche die Aerzte im Allgemeinen sonst so wenig zu glauben pflegen.

»Dann muß er also versteckt gehalten werden, nicht wahr?« fragte Luisa.

Cirillo verstand, was Luisa sagen wollte.

»Ja, vor Jedermann ohne alle Ausnahme, verstehen Sie wohl? Würde eine Anwesenheit in diesem Hause, obschon es nicht das Ihrige ist, bekannt, so würde zunächst Ihr Gemahl auf grausame Weise compromittiert werden.«

»Dann,« rief Luisa freudig, »hatte ich mich also doch nicht geirrt und ich habe wohl daran gethan, mein Geheimniß für mich zu behalten, nicht wahr?«

»Ja, Sie haben wohl daran gethan, und ich will nur noch ein Wort hinzufügen, um Ihnen jedes Bedenken zu benehmen. Würde dieser junge Mann erkannt und festgenommen, so wäre nicht blos sein Leben in Gefahr, sondern auch das Ihrige, das Ihres Gemahls, das meinige und das noch vieler anderer Leute, welche mehr werth sind, als ich.«

»O, Niemand besitzt größeren Werth als Sie, mein Freund, und Niemand weiß das besser als ich. Doch wir sind nun an der Thür, lieber Doctor. Wollen Sie einstweilen hier bleiben und mich zuerst eintreten lassen?«

»Thun Sie es,« sagte Cirillo, indem er auf die Seite trat.

Luisa legte die Hand auf das Schloß und ließ die Thür sich ohne das mindeste Knarren in ihren Angeln drehen.

Ohne Zweifel waren alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, damit die Thür sich so ohne Geräusch öffne.

Zum großen Erstaunen Luisa's fand sie den Verwundeten allein mit Nina, welche einen kleinen Schwamm in der Hand haltend ihm denselben auf die Brust hielt und mittelt eines sanften Druckes den Saft der von der Wahrsagerin gepflückten Kräuter darauf träufeln ließ.

»Wo ist Nanno? Wo ist Michele?« sagte Luisa.

»Nanno ist fort,« sagte Nina; »sie sagte, es ginge nun Alles gut und sie habe für den Augenblick hier nichts weiter zu thun, während sie anderwärts sehr viel zu thun habe.«

»Und Michele?«

»Michele sagte, in Folge der Ereignisse der vorigen Nacht würde es wahrscheinlich auf dem Altmarkt Lärm geben und da er einer der Anführer seines Quartiers ist, so meinte er, wenn es Lärm gäbe, so wolle er auch mit dabei sein.«

»Dann bist Du also allein? »Ganz allein.«

»Kommen Sie herein, kommen Sie herein, Doctor,« sagte Luisa, »das Feld ist frei.«

Der Doctor trat ein.

Der Kranke lag auf einem Bett, dessen Kopfende dicht an der Wand stand. Seine Brust war vollkommen entblößt, bis auf eine Leinwandbinde, welche kreuzweise um die Schultern herumgezogen, den Verband auf der Wunde festhielt. Diese Stelle der Wunde war es, auf welche Nina, indem sie sanft mit dem Schwamm darüber hinwegfuhr, den Saft der Kräuter träufelte.

Salvato lag unbeweglich da, und hielt die Augen in dem Moment, wo Luisa die Thür öffnete, geschlossen. Sofort öffneten sie sich auch und sein Gesicht gewann einen Ausdruck von Freude, welche beinahe den des Leidens verschwinden ließ.

Durch die Signora aufgefordert einzutreten, erschien Cirillo seinerseits.

Der Verwundete betrachtete ihn anfangs mit Unruhe. Wer war dieser Mann? Wahrscheinlich ein Vater, vielleicht ein Gatte.

Plötzlich aber erkannte er ihn, machte eine Bewegung, wie um sich zu erheben, murmelte den Namen Cirillo und reichte ihm die Hand.

Dann sank er, erschöpft durch die kurze Anstrengung, die er gemacht, auf den Pfühl zurück.

Cirillo legte den Finger an den Mund und gab ihm dadurch zu verstehen, daß er weder sprechen noch sich bewegen solle.

Er näherte sich dem Verwundeten, löste die Binde, welche die Brust umschlossen hielt, besichtigte aufmerksam die Ueberreste der von Michele gestampften Kräuter, kostete die daraus gepreßte Flüssigkeit und lächelte, als er die dreifach zusammenziehende Combination der Feldraute, des Wegerich und des Wermuth erkannte.

»Das ist gut, sagte er zu Luisa, auf welcher wiederum der Blick und das Lächeln des Kranken haftete. »Sie können mit diesen Mitteln fortfahren. Ich hätte vielleicht nicht dieselben, ganz gewiß aber keine bessern verordnet.«

Dann wendete er sich wieder zu dem Verwundeten und untersuchte ihn mit der größten Aufmerksamkeit.

In Folge der Einwirkung der zusammenziehenden Kräuter, welche den Verband bildeten, und des Saftes derselben, womit die Wunde fortwährend benetzt worden, hatten die Lefzen der Wunde sich schon bedeutend genähert. Sie waren rosenfarben, sahen sehr gut aus und es war durchaus nicht wahrscheinlich, daß ein innerer Bluterguß erfolgt war. Hatte auch der Anfang eines solchen stattgefunden, so war er doch sicherlich durch das unterbrochen worden, was die Chirurgen den »Klumpen« (geronnenes Blut) nennen, ein bewundernswürdiges Werk der Natur, welche für die von ihr geschaffenen Wesen mit einer Intelligenz kämpft, die von der Wissenschaft niemals erreicht werden wird.

Der Puls war schwach, aber gut.

Es blieb nun noch übrig zu wissen, in welchem Zustand die Stimme wäre. Cirillo begann damit, daß er sein Ohr an die Brust des Kranken legte und auf seinen Athenzug horchte. Ohne Zweifel war er damit zufrieden, denn er richtete sich auf und beruhigte durch ein Lächeln Luisa, welche alle seine Bewegungen mit den Augen verfolgte.

»Wie fühlen Sie sich, mein lieber Salvato?« fragte er den Verwundeten.

 

»Schwach, aber sonst sehr wohl,« antwortete er. »Ich möchte immer so bleiben.«

»Bravo!« rief Cirillo. »Die Stimme ist besser, als ich hoffte. Nanno hat eine herrliche Cur ausgeführt und ich glaube, Sie können, ohne sich allzusehr anzustrengen, einige Fragen beantworten, deren Wichtigkeit. Sie selbst fühlen werden.«

»Ich begreife,« sagte der Kranke.

In der That würde Cirillo in jedem andern Falle das Verhör, welches er mit Salvato anzustellen im Begriff stand, auf den andern Tag verschoben haben, die Situation war aber so ernst, daß er keinen Augenblick zu verlieren hatte, um die Maßregeln zu ergreifen, welche diese Lage nöthig machte.

»Sobald Sie sich ermüdet fühlen, schweigen Sie,« sagte er zu dem Verwundeten, »und wenn die Fragen, die ich an Sie stellen werde, von Luisa beantwortet werden können, so bitte ich diese, Ihnen die Mühe des Selbstantwortens zu ersparen.«

»Sie heißen Luisa?«, sagte Salvato.

»Es war dies auch der Vorname meiner Mutter. Gott hat also für die, welche mir das Leben gegeben, und für sie, die es mir gerettet, nur einen und denselben Namen geschaffen. Ich danke ihm dafür.«

»Mein Freund,« sagte Cirillo, seien Sie mit Ihren Worten nicht so verschwenderisch. Ich mache mir Vorwürfe über jedes Wort, welches ich Sie nöthige auszusprechen. Sprechen Sie daher keines aus, was überflüssig wäre.«

Salvato nickte zum Zeichen des Gehorsams leicht mit dem Kopf.

»Zu welcher Stunde,« fragte Cirillo, halb zu Salvato, halb zu Luisa gewendet, »zu welcher Stunde kam der Verwundete wieder zum Bewußtsein?«

Luisa beeilte sich für Salvato zu antworten:

»Um fünf Uhr Morgens, mein Freund; gerade als der Tag zu grauen begann.«

Der Verwundete lächelte; bei den ersten Strahlen dieser Morgenröthe hatte er Luisa erblickt.

»Was dachten Sie, als Sie sich in diesem Zimmer fanden, und eine unbekannte Person in Ihrer Nähe sahen?«

»Mein erster Gedanke war, ich sei todt, und ein Engel des Herrn sei herniedergestiegen, um mich in den Himmel emporzutragen.«

Luisa machte eine Bewegung, um sich hinter Cirillo zu verstecken, Salvato aber streckte die Hand mit so plötzlicher Bewegung nach ihr aus, daß Cirillo die Gattin des Chevalier festhielt, damit der Verwundete sie sehen könnte.

»Er hat Sie für den Engel des Todes gehalten,« sagte Cirillo zu ihr. »Beweisen Sie ihm, daß er sich geirrt hat und daß Sie im Gegentheile der Engel des Lebens sind.«

Luisa seufzte, legte die Hand aufs Herz, ohne Zweifel, um das Klopfen desselben zu beschwichtigen, und indem sie, ohne Kraft zum Widerstande, dem Zwange nachgab, welchen Cirillo ihr auflegte, näherte sie sich dem Verwundeten.

Die Blicke Beider kreuzten sich, um sich nicht wieder zu trennen.

»Haben Sie eine Vermuthung, wer Ihre Mörder gewesen seien?« fragte Cirillo.

»Ich kenne dieselben,« sagte Luisa rasch, »und ich habe sie Ihnen schon genannt. Es sind Leute, die im Dienste der Königin stehen.«

Der Empfehlung Cirillos, Luisa so oft als möglich für sich antworten zu lassen, folgend, begnügte Salvato sich damit, daß er eine bejahende Geberde machte.

»Und vermuthen Sie auch, in welcher Absicht diese Leute Sie zu ermorden versucht haben?«

»Sie haben es mir selbst gesagt,« antwortete Salvato. »Es geschah, um mir die Papiere abzunehmen, deren Ueberbringer ich war.«

»Wo befanden sich diese Papiere?«

»In der Tasche des Rockes, welchen Nicolino mir geliehen.«

»Und diese Papiere?«

»In dem Augenblicke, wo ich die Besinnung verlor, war es mir, als würden sie mir geraubt.«

»Ermächtigen Sie mich, Ihren Rock zu visitieren?«

Der Verwundete gab durch Kopfnicken eine Zustimmung zu erkennen.

Luisa mischte sich ein.

»Ich will Ihnen den Rock geben, wenn Sie ihn haben wollen, sagte sie, »aber es wird nichts nützen, denn die Taschen sind leer.«

Cirillo schien mit den Augen zu fragen:

»Woher wissen Sie das?«

»Unsere erste Sorge, antwortete Luisa auf diese stumme Frage, »war darauf gerichtet, wo möglich einen Aufschluß ausfindig zu machen, der uns die Identität des Verwundeten feststellen helfen könnte. Hätte er eine Mutter oder eine Schwester in Neapel gehabt, so wäre es meine Pflicht gewesen, dieselbe auf jede Gefahr hin von dem Vorfalle zu unterrichten. Wir fanden aber nichts, nicht wahr, Nina?«

»Nein, wir fanden nichts, Signora.«

»Und was waren es für Papiere, welche sich in diesem Augenblicke in den Händen Ihrer Feinde befinden? Können Sie sich noch darauf besinnen, Salvato?«

»Es war nur ein einziges, der Brief des Generals Championnet, welcher dem Gesandten Frankreichs empfahl, das gute Einvernehmen zwischen den beiden Staaten so lange als möglich zu erhalten, weil er jetzt noch nicht in den Stand gesetzt sei, den Krieg zu beginnen.«

»Sprach er auch von den Patrioten, welche sich mit ihm in Mittheilungen gesetzt haben?«

»Ja, um ihm zu sagen, daß er sie beschwichtigen solle.«

»Hat er auch ihre Namen genannt?«

»Nein.«

»Wissen Sie dies gewiß?«

»Ja, ganz gewiß.«

Erschöpft durch die Anstrengung, welche es ihm kostete, diese rasch auf einander folgenden Fragen zu beantworten, schloß der Verwundete die Augen und ward bleich.

Luisa stieß einen lauten Schrei aus. Sie glaubte, er werde wieder ohnmächtig.

Bei diesem Schrei öffneten Salvatos Augen sich wieder und ein Lächeln – war es das der Dankbarkeit oder der Liebe? – umspielte seine Lippen.

»Es ist nichts, Signora,« sagte er, »es ist nichts.«

»Gleichviel, sagte Cirillo, »jetzt kein Wort weiter. Ich weiß, was ich wissen wollte. Hätte blos mein Leben auf dem Spiele gestanden, so würde ich Ihnen das unbedingteste Schweigen empfohlen haben, aber Sie wissen, daß ich nicht allein bin und Sie verzeihen mir.«

Salvato ergriff die Hand, welche der Doctor ihm bot, und drückte sie mit einer Kraft, welche bewies, daß seine Energie ihn nicht verlassen hatte.

»Und nun,« sagte Cirillo, »schweigen Sie und beruhigen Sie sich. Das Uebel ist weniger groß, als ich fürchtete und als es hätte sein können.«

»Der General aber,« sagte der Verwundete trotz des ihm erheilten Befehls zu schweigen, »der General muß erfahren, woran er sich zu halten hat.«

»Der General,« antwortete Cirillo, »wird, ehe drei Tage vergehen, einen Boten oder eine Botschaft erhalten, die ihn über Ihr Schicksal beruhigen wird. Er soll erfahren, daß Sie gefährlich aber nicht tödlich verwundet sind. Er soll erfahren, daß Sie sich außerhalb des Bereichs der neapolitanischen Polizei befinden, so geschickt diese auch sein mag. Er soll erfahren, daß Sie eine Krankenwärterin haben, welche Sie für einen Engel des Himmels gehalten, ehe Sie wußten, daß es eine einfache barmherzige Schwester war. Er soll endlich erfahren, mein lieber Salvato, daß jeder Verwundete an Ihrer Stelle sein möchte und von seinem Arzt weiter nichts verlangen würde, als daß er ihn nicht zu schnell heilen möge.«

Cirillo erhob sich, ging an einen Tisch, auf welchem Schreibmaterialien lagen, und während er ein Recept schrieb, suchte und fand Salvato die Hand Luisa's, welche diese ihm erröthend überließ.

Als das Recept geschrieben war, übergab Cirillo es der Zofe, welche sich sofort damit entfernte, um es ausführen zu lassen.

Dann rief er Luisa zu sich und sagte ihr so leise, daß der Verwundete es nicht hören konnte:

»Pflegen Sie diesen jungen Mann, wie eine Schwester ihren Bruder, oder vielmehr wie eine Mutter ihr Kind pflegen würde. Niemand, selbst nicht der Chevalier, darf etwas von seiner Anwesenheit hier erfahren. Die Vorsehung hat Ihre weichen, keuschen Hände erkoren, um ihnen das kostbare Leben eines seiner Auserwählten anzuvertrauen. Sie sind der Vorsehung dafür Rechenschaft schuldig.

Luisa ließ seufzend den Kopf sinken.

Ach, diese Ermahnung war überflüssig und die Stimme ihres Herzens empfahl ihr den Verwundeten nicht weniger zärtlich als die Cirillos, wie mächtig diese auch war.

»Uebermorgen komme ich, wenn mich sonst nichts abhält, wieder, fuhr Cirillo fort. »Schicken Sie daher nicht nach mir, denn nach Allem, was diese Nacht geschehen, wird die Polizei mich scharf ins Auge fassen. Es gibt jetzt weiter nichts zu thun, als was schon geschehen ist. Sehen Sie zu, daß der Verwundete keine materielle oder moralische Erschütterung erfahre. Für alle Welt und selbst für den Chevalier sind Sie die Patientin, welcher meine ärztlichen Besuche gelten.«