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Karl Sand

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»Alle in dieser Untersuchungsache aufgelaufenen Kosten aber, mit Einschluß jener, welche auf dessen öffentliche Hinrichtung verwendet worden, und zwar erstere wegen der Vermögenslosigkeit, auf die Gerichtsbarkeitsgefälle zu übernehmen seien. Von Rechtswegen.«

Man sieht, daß der Spruch, obgleich er den Angeklagten zum Tode verdammte, was übrigens schwer zu vermeiden war, in der Form und im Grunde so mild als möglich ausfiel, weil er, indem er eben Sand traf, nicht durch die Kosten eines langen, kostspieligen Processes seine arme Familie zu Grunde richtete.

Doch zögerte man noch fünf Tage und das Urtheil wurde erst am 17. unterzeichnet. Als man Sand ansagte, zwei Justizräthe seien vor der Thüre, vermuthete er, daß sie kämen, um ihm sein Urtheil vorzulesen; er bat um einen Augenblick, um aufzustehen, was er seit 14 Monaten nur ein Mal, und zwar bei der Gelegenheit, die wir erwähnt, gethan hatte. Nichtsdestoweniger vermochte er nicht das Urtheil stehend zu hören, so schwach war er, und nachdem er die Abgesandten, die ihm die Todesstrafe ankündigten sollten, gegrüßt, bat er sie darum, daß er sich setze, nicht wie er sagte, aus Geisteserschlaffung sondern Körperschwäche; dann fügte er hinzu: »Sein Sie willkommen meine Herren, denn ich leide seit 14 Monaten so sehr, daß Sie für mich die Engel der Erlösung sind. – Er hörte das ganze Urtheil ohne fast Bewegung an, ein sanftes Lächeln auf den Lippen; dann, als das Vorlesen zu Ende war, sagte er: »Ich hatte kein besseres Schicksal erwartet, meine Herren; Und als ich vor länger als einem Jahre auf dem kleinen Hügel, der vor der Stadt liegt, stille stand, sah ich im Voraus die Stelle, wo mein Grab sein würde: ich muß also Gott und den Menschen danken, daß sie mein Dasein bisher verlängert.« Die Räthe entfernten sich: Sand erhob sich zum zweiten Mal, um die Weggehenden zu grüßen, so wie er sich erhoben, um sie beim Eintritt zu bewillkommnen; dann setzte er sich wieder nachdenkend auf den Stuhl, neben welchem M—g, der Gefängnißaufseher, stand. Nach einem Augenblick der Ruhe zeigte sich eine Thräne in dem Auge des Verurtheilten und rollte über seine Wangen; hierauf sich plötzlich zu M—g wendend, den er sehr gern hatte, sagte er: »Ich deute, es wird meinen Eltern lieber sein, wenn ich dieses gewaltsamen Todes sterbe, als wenn ich an einer gewissen verhaßten Krankheit stürbe. Es ist mir lieb, daß endlich bald die Stunde schlägt, in welcher mein Tod Diejenigen befriedigen wird, die mich hassen, und die ich nach meinen Grundsätzen hassen muß.«

– Alsdann schrieb er an seine Familie:

Mannheim den 17. des Frühlingsmondes 1820.

»Theure Eltern und Geschwister!

»Mein letztes Schreiben wird Ihnen von der großherzoglichen Commission mitgetheilt worden sein. Ich beantwortete darin Ihre Schreiben und suchte Sie rücksichtlich meiner Lage dadurch zu trösten, daß ich Ihnen meinen Seelenzustand schilderte, so wie er ist: mir bewußt des Gebrechlichen und Irdischen und es achtend als das blos Nöthige, es verachtend in jedem Verhältnisse und Bezug zur Idee, so wie er ist: mir bewußt des Geistigen und Freien, das allein unsre unsterbliche Seele nährt; mit einem Worte; ich suchte Sie mit der Versicherung zu trösten, daß jetzt in meinen Leiden Nöthen die Gesinnungen, Ansichten und Grundsätze, von denen ich in früheren Zeiten sprach, ich bei mir ausgehalten haben und dieselben geblieben sind. – Ich hätte Sie nicht zu beruhigen gebraucht, denn Sie begehrten zu keiner Zeit von mir etwas Anderes , als daß ich Gott sollte vor Augen und im Herzen haben, und Sie sahen Dieses noch unter Ihrer Leitung in mein Herz übergehen und daß es mir zum eigenen und zum einzigen Seligkeitsstreben werde. – So ist Gott also gewiß jetzt in Freude mit und bei Ihnen, da ich Ihnen nun nach heute geschehener Vorlesung des Urtheils selbst noch sichere Nachricht von meinem herannahenden Tode geben kann. Ich sterbe gern und Gott wird mir Kraft verleihen, daß ich sterbe, wie man soll! – hiermit hoffe ich Sie über Alles völlig beruhigt und hoffe, daß Sie, wie ich es immer als des Menschen Bestimmung hielt; in Freude, in unvergänglicher geistiger Freude Ihre Tage auf Erden bis ans Ende verleben mögen, bis wir, die wir auch jetzt einander nicht fern sind, in jenem Seelenvereine mit frischeren Kräften fürs Gute; zusammentreten werden.

»Wie ich lebte, so lange ich mich kenne, in sehnsuchtsvoller Heiterkeit, die in den männlichen Jahren zur beherzten Freude der Freiheit sich hinaufrankte, so gehe ich nun meinem Ende entgegen.

»Gott sei mit Ihnen und mit mir!

Ihr Sohn, Bruder und Freund

Karl Ludwig Sand.«

Von diesem Augenblick an störte Nichts mehr seine Heiterkeit; den ganzen Tag plauderte er fröhlicher als gewöhnlich, schlief gut, wachte erst um halb 8 Uhr auf, sagte, er fühle sich gestärkt, und dankte Gott, daß er ihn also heimsuche.

Seit dem Abend vorher war der Inhalt des Urtheils bekannt geworden und man hatte erfahren, daß der Tag der Hinrichtung auf den 20. Mai festgesetzt sei, d. h. Drei volle Tage nachdem es dem Verurtheilten vorgelesen worden.

Von nun an ließ man mit Sands Erlaubniß die Personen, welche ihn zu sprechen wünschten und die er nicht mit Widerwillen sah, zu ihm hinein: unter diesen blieben Drei längere Zeit und in vertrautem Gespräch bei ihm.

Der Eine war der badische Major Holzungen, der die Wache befehligte, die ihn verhaftet oder vielmehr sterbend aufgehoben und ins Hospital gebracht hatte.

Er fragte ihn, ob er ihn wiedererkenne: Sand war so bei gesunden Sinnen, als er sich verwundet, daß er, obwohl er den Major nur einen Augenblick gesehen und ihn seit dem nie wieder gesehen hatte, sich doch an die geringsten Einzelheiten der Tracht erinnert; die er vor 14 Monaten trug, welches die große Uniform war. Als das Gespräch auf den Tod kam, de Sand so jung erleiden sollte, beklagte ihn der Major; aber Sand erwiderte ihm lächelnd: »Es ist nur der Unterschied zwischen Ihnen und mir, daß ich für meine Meinung sterbe, Sie aber, wenn Sie den Tod finden, für eine fremde.«

Nach dem Major kam ein junger Jenaischer Student, den Sand auf der Universität gekannt hatte. Er befand sich im Großherzogthume Baden und hatte ihn besuchen wollen: ihre Wiedererkennung war rührend, der Student weinte sehr, aber Sand tröstete ihn mit seiner gewöhnlichen Ruhe und Heiterkeit.

Ein Handwerker verlangte alsdann zu Sand gelassen zu werden, aus dem Grunde, weil er sein Schulkamerad zu Wunsiedel gewesen sei, und obgleich er sich seines Namens nicht erinnern könne, ließ er Ihn doch eintreten. Der Handwerker erinnerte ihn daß er bei der kleinen Armee gewesen, die Sand am Tage des Sturmes des Katharinenthurmes befehligte. Diese Andeutung leitete Sand, der ihn völlig wiedererkannte und dann mit zärtlicher Liebe von seinem Geburtslande und seinen lieben Bergen mit ihm sprach, zu dem Auftrage, seine Familie zu grüßen wobei er seine Mutter, seinen Vater, seine Geschwister aufs Neue bitten ließ, sich nicht über ihn zu bekümmern, da der Bote, der den Auftrag übernahm, ihnen diese letzten Worte zu dringen, bezeugen kannte, mit welcher Ruhe und Geistesfreudigkeit er den Tod erwartete. – Auf diesen Handwerker folgte einer der Gäste, die Sand gleich nach Kotzebue’s Tode auf der Treppe begegnet. Er fragte ihn, ob er sein Unrecht einsehe und Reue empfinde; Sand erwiederte ihm: »Ich habe ein Jahr vorher darüber nachgedacht und seitdem wieder 14 Monate, und meine Ansicht hat sich um Nichts geändert; ich habe gethan, was ich thun mußte.«

Nach dem Weggange dieses letzten Besuchs ließ Sand M—g, den Gefangnißaufseher, rufen, und sagte ihm, er möchte gern vor der Hinrichtung mit dem Henker sprechen, da er ihn um Unterweisungen zu bitten habe über die Art und Weise, wie er sich verhalten müsse, um die Ausführung ihm sicherer und leichter zu machen. M—g machte einige Einwürfe; doch Sand drang mit seiner gewöhnlichen Sanftmuth darauf und M—g versprach ihm endlich, den Mann, denn er verlangte, zu benachrichtigen, daß er gleich nach seiner Ankunft aus Heidelberg, wo er wohnte, in das Zuchthaus ginge. – Der übrige Theil des Tages verfloß unter neuen Besuchen und philosophisch-moralischen Gesprächen, in denen Sand seine sozialen und religiösen Theorien mit einer Deutlichkeit des Ausdruckes und einer Erhabenheit der Gedanken entwickelte, wie vielleicht nie vorher. Der Gefängnißaufseher von dem ich diese Einzelheiten habe, sagte mir, er würde es sein ganzes Leben hinanch bedauern, daß er nicht hätte schnell schreiben können, um alle diese Gedanken zu sammeln, die ein Seitenstück zum Phädon geliefert.

Die Nacht kam heran; Sand brachte einen Theil des Abends mit Schreiben zu: man glaubte, er mache ein Gedicht; ohne Zweifel verbrannte er es aber, denn man fand keine Spur davon. Um 11 Uhr legte er sich zu Bett und schlief bis früh um 6 Uhr; am folgenden Tage ertrug er das immer sehr schmerzhafte Verbinden mit außerordentlichem Muthe, ohne wie es zuweilen geschah, ohnmächtig zu werden und ohne einen einzigen Klagelaut von sich zu geben: er hatte wahr gesprochen, im Angesicht des Todes erwies ihm Gott die Gnade, daß er wieder zu Kräften kam.

Das Verbinden war zu Ende: Sand lag wie gewöhnlich da; M—g saß am Fuße seinen Bettes, als die Thür sich öffnete und ein Mann hereintrat, Sand und M—g grüßend. Der Gefängnißaufseher erhob sich sogleich und sagte mit einer Stimme, deren Bewegung er nicht verbergen konnte, zu Sand: »Der Grüßende ist Herr Widmann aus Heidelberg, den Sie zu sprechen wünschten.«

Da erglänzte Sands Gesicht von einer seltsamen Freude, er richtete sich auf seinem Lager in die Höhe und sagte zu ihm: »Sein Sie willkommen;« dann ließ er ihn neben sein Bett setzen, nahm die Hand in die seinige und begann ihm für seine Gefälligkeit mit so innigem Gefühl und so sanfter Stimme zu danken, daß Widmann, tief bewegt, ihm nicht antworten konnte. Sand ermuthigte ihn zu sprechen und ihm die Einzelheiten, die er wünschte, zu geben, wobei er zu dessen Beruhigung sagte: Bleiben Sie nur standhaft, an mir soll es nicht fehlen, ich werde nicht zucken; und wenn auch zwei oder drei Hiebe erforderlich sind, meinen Kopf vom Rumpfe zu trennen, so sollen Sie darum die Fassung nicht verlieren.«

 

– Nun erhob sich Sand, gestützt auf M—g, um mit dem Henker das seltsame und schreckliche Schauspiel zu probieren, wo er am folgenden Tage die Hauptrolle spielen sollte. Widmann ließ ihn auf Stuhl setzen, ließ ihn die erforderliche Lage nehmen und ging mit ihm in alle Einzelheiten der Hinrichtung ein. Hierauf hat Sand, völlig unterrichtet, er möge sich nicht beeilen und sich Zeit nehmen. Dann dankte er ihm im Voraus; »denn nachher,« fügte er hinzu, werde ich Ihnen nicht mehr danken können.« Sand ging nun wieder zu Bett und ließ den Henker bleicher und schwankender als er selbst war. Alle diese Dinge sind von M—g aufbewahrt worden, denn bei dem Henker war die Bewegung so groß, daß er sich an Nichts mehr erinnerte.

Nach Widmann führte an drei Geistliche ein, mit denen Sand über religiöse Gegenstände sich unterhielt. Der Eine von ihnen blieb sechs Stunden bei ihm und sagte ihm bei seinem Weggehen, er habe den Auftrag, ihm das Versprechen abzufordern, auf dem Richtplatz nicht zum Volke zu reden, Sand versprach es und setzte hinzu: »wenn ich auch wollte, so ist doch meine Stimme zu schwach; das Volk würde sie nicht vernehmen.«

Während dem errichtete man das Schaffot auf der Wiese, links von der Straße nach Heidelberg. Es war ein Bühnengerüst von fünf die sechs Fuß Höhe, aus jeder Seite zehn Fuß breit. Da man vermuthete, daß vermöge des Interesse, das der Verurtheilte einflößte, und bei der Nähe von Pfingsten, die Menge unermeßlich sein würde, und da man eine Bewegung der Studenten fürchtete, so war die Gefängnißwache verdreifacht worden, und man hatte den General Neuenstein mit 1200 Mann Infanterie, 350 Mann Cavallerie und einer Compagnie Artilleristen mit ihren Stücken von Karlsruhe nach Mannheim kommen lassen.

Am 19. Nachmittags kamen, wie man vorausgesehen, so viel Studenten, die sich in den benachbarten Dörfern einquartierten, daß man beschloß, die Hinrichtung solle am folgenden Tage, anstatt früh um 11 Uhr, wie man bestimmt, eher vorgenommen werden und um 5 Uhr Statt finden. Doch brauchte man dazu Sands Einwilligung, denn man durfte ihn erst nach Verlauf dreier Tage nach der Vorlesung seines Urtheils hinrichten, und da ihm das Urtheil erst um ½ 11 Uhr vorgelesen worden, so hatte Sand das Recht bis 11 Uhr zu leben.

Vor vier Uhr des Morgens kam man in das Zimmer des Verurtheilten; er schlief so fest, daß man ihn aufwecken mußte. Lächelnd, wie dies seine Gewohnheit war, öffnete er die Augen und vermuthend, weshalb man käme, sagte er: »Hätte ich so gut geschlafen, daß es schon 11 Uhr wäre?« Man verneinte es, man komme aber, ihn um Erlaubniß zu, bitten, die Stunde eher zu bestimmen, denn wie man ihm sagte, fürchtete man ein Zusammentreffen der Studenten und Soldaten; und da die militärischen Anstalten sicher getroffen wären, so könnte dieses Zusammentreffen seinen Freunden nur nachtheilig sein. Sand erwiderte, er sei in diesem Augenblicke bereit, er verlange nur Zeit um ein Bad zu nehmen, so wie es die Alten gethan hätten, ehe sie ins Treffen gingen. Weil indeß die mündliche Erklärung, die er gegeben, nicht genügte, so reichte man ihm Feder und Papier, und er schrieb mit sicherer Hand und mit seiner gewöhnlichen Schrift:

»Ich danke den Behörden von Mannheim, daß sie meinen innigsten Wünschen zuvorkommen, indem sie meine Hinrichtung auf 6 Uhr festsetzen.

Sit nomen domini benedictum

Auf der Stube des Gefängnisses, den 20. Mai

früh, am Tage meiner Befreiung.

Karl Ludwig Sand.«

Als Sand diese Zeilen dem Gerichtsschreiber eingehändigt, näherte der Arzt sich ihm, um seine Wunde wie gewöhnlich zu verbinden. Sand blickte ihn lächelnd an, dann fragte er: »Ist’s wol der Mühe werth?« – »Sie werden stärker danach sein,« erwiderte der e Arzt. – »Dann thun Sie es,« sagte Sand.

Man brachte ein Bad, Sand legte sich in die Wanne und ließ sein schönes langes Haar mit der größten Sorgfalt ordnen; dann nach geendigter Toilette zog er einen altdeutschen, d. h. kurzen Rock an, den Hemdkragen auf die Schultern herausgeschlagen, anliegende weiße Beinkleider und Stiefel darüber. Hierauf setzte sich Sand auf sein Bett und betete einige Zeit leise mit den Geistlichen; als er geendigt, sagte er jene beiden Verse von Körner:

 
Alles Ird’sche ist vollbracht
Und das Himmlische geht auf.
 

Nun nahm er Abschied von dem Arzte und von den Geistlichen, wobei er sagte: »Meine Rührung ist nicht die der Weichlichkeit, sondern die der Dankbarkeit.« Dann, als Letztere sich erboten, ihn bis aufs Schaffot zu begleiten, sagte er: »Es ist unnütz, ich bin völlig vorbereitet, mit Gott und meinem Gewissen im Reinen. Ueberdies, bin ich nicht selbst fast Geistlicher?« Und als ihn Einer von ihnen fragte, ob er ohne Groll scheide, sagte er: »Den habe ich nicht, nie gehabt.«

Man vernahm nun den wachsenden Lärm auf der Straße und Sand wiederholte, man könne über ihn verfügen, er sei bereit. In diesem Augenblick kam der Henker mit seinen beiden Helfern; er trug einen langen schwarzen Rock, unter dem er sein Schwert verbarg: Sand reichte ihm liebreich die Hand und als Widmann, von dem Schwerte, das er Sands Blicken zu entziehen suchte, gehindert, nicht vorzugehen wagte, sagte Sand: »Kommen Sie doch und zeigen Sie mit Ihr Schwert, ich habe noch nie eins gesehen und möchte gern wissen, wie es aussieht.«

Widmann reichte ihm bleich und zitternd das Schwert; Sand untersuchte es aufmerksam, fuhr mit dem Finger über die Schneide und sagte; »Die Klinge ist gut; zittern Sie nicht, so wird Alles gut gehen.« Dann sich zu M—g wendend, welcher weinte, sagte er: »Sie erweisen mir wol den Dienst und führen mich bis ans Schaffot?« M—g gab mit dem Kopfe ein Zeichen der Einwilligung, denn er konnte nicht antworten. Sand nahm seinen Arm und wiederholte zum dritten Male: »Wohlan, was warten Sie, meine im Herren? ich bin bereit.«

Als Sand in den Hof kam, fand er alle Gefangenen weinend in den Fenstern. Obgleich er sie nie gesehen, so waren es doch für ihn alte Freunde; denn so oft sie vor seiner Thüre vorübergingen, indem sie wußten, daß dort der Student liege, der Kotzebue getödtet, hoben sie ihre Ketten in die Höhe, um ihn nicht durch das Geräusch zu belästigen. Ganz Mannheim war aus den Straßen, die nach dem Richtplatz führten und die zahlreiche Patrouillen durchzogen. An dem Tage, wo das Urtheil war vorgelesen worden, hatte man in der ganzen Stadt eine Kalesche gesucht, um Sand zum Schaffot zu führen; aber Niemand, selbst nicht die Kutschenmacher hatte eine leihen oder verkaufen wollen; man war also genöthigt, eine in Heidelberg zu kaufen, ohne zu sagen, zu welchem Zwecke man sie kaufte.

Sand fand diese Kalesche im Hofe und stieg mit hinein. Dann sich zu ihm wendend, sagte er ihm ganz leise ins Ohr: »Wenn Sie mich zufällig erbleichen sehen; so rufen Sie meinen Namen, verstehen Sie? nur meinen Namen, das genügt.«

Man öffnete das Thor und Sand erschien: da riefen alle Stimmen mit Einem Laute: »Lebe wohl, Sand, lebe wohl!« und zu gleicher Zeit warf man ihm aus der dichtgedrängten Menge auf der Straße und aus den Fenstern Blumenstrauße zu, von denen einige in den Wagen selbst fielen. Bei diesem Freundesrufen und bei diesem Anblick fühlte Sand, der bis dahin keinen einzigen Augenblick schwach geworden, wider seinen Willen Thränen in seinen Augenwimpern und die Begrüßungen, die man ihm von allen Seiten erwies, erwidernd, sagte er mit leiser Stimme: »Gott stärke mich!«

Als dieser erste Ausbruch vorüber, setzte sich der Zug unter tiefem Stillschweigen in Bewegung; nur dann und wann rief eine einzelne Stimme: »Sand, lebe wohl!» und ein Taschentuch von einer Hand aus der Menge geschwungen, sagte dem Verurtheilten, von woher dieser letzte Ruf gekommen war. Zu beiden Seiten der Kalesche gingen zwei Unterbeamte des Gefängnisses mit Trauerflören um den Arm und hinter der Kalesche kam ein zweiter Wagen mit Stadtbeamten.

Die Lust war sehr kalt; es hatte die ganze Nacht geregnet und der Himmel, umzogen und trübe, schien die allgemeine Trauer zu theilen. Sand, zu schwach um aufrecht sitzen zu können, lehnte sich an die Schultern M—g’s, der ihn begleitete; sein Gesicht war sanft, ruhig und leidend; seine Stirn offen und frei, und seine Züge, interessant ohne regelmäßig schön zu sein, schienen in den 14 Monaten Leiden, die vergangen waren, um mehrere Jahre gealtert zu haben. Der Zug kam endlich auf den Richtplatz, welcher umgeben war von einem Bataillon Infanterie; Sand senkte seine Augen vom Himmel aus die Erde und bemerkte m das Schaffot. Bei diesem Anblick lächelte er sanft und sagte beim Heraussteigen aus dem Wagen: »Bis hierher hat mich Gott gestärkt.«

Der Gefängnißaufseher und die Unterbeamten hoben ihn die Stufen hinan. Während dieses kurzen Aufsehens hielt ihn der Schmerz gebeugt, doch oben angelangt richtete er sich wieder auf mit den Worten: »Dies ist also der Ort, wo ich sterben werde!« Ehe er den Stuhl erreicht, auf den er sich zur Hinrichtung, setzen mußte, wandte er die Augen nach Mannheim und durchlief mit dem Blick die ganze ihn umgebende Menge; in diesem Augenblick zuckte ein Sonnenstrahl durch das Gewölk. Sand grüßte ihn lächelnd und setzte sich.

Da man ihm nach dem erhaltenen Befehle sein Urtheil zum zweiten Mal vorlesen mußte, so fragte man ihn, ob er sich stark genug fühle, um dieses Vorlesen stehen anzuhören. Sand erwiderte, er wolle es versuchen und er hoffe, bei dem Mangel der physischen Kraft werde ihn die moralische unterstützen. Alsbald erhob er sich von dem verhängnißvollen Stuhle, indem er M—g bat, er möchte sich neben ihn stellen, um ihn zu halten, wenn er wanken sollte. Die Vorsicht war unnütz, Sand wankte nicht.

Nach dem Vorlesen des Urtheils setzte er sich wieder und sagte mit lauter Stimme: »Ich sterbe im Vertrauen auf Gott. . .« Bei diesen Werten unterbrach ihn M—g »Sand, was haben Sie versprochen?« »Es ist wahr,« antwortete er, »ich hatte es vergessen.«

Er schwieg alsdann; doch die Rechte erhebend, und feierlich ausstreckend, sagte er leise und so daß es nur von den Umstehenden gehört werden konnte:

»Ich nehme Gott zum Zeugen, daß ich für Deutschlands Freiheit sterbe.«

Bei diesen Worten warf er, wie Conradin es mit seinem Handschuh gemacht, über die Reihe der ihn umgebenden Soldaten sein festgeballtes Taschentuch, mitten unter das Volk.

Dann näherte sich ihm der Henker, um ihm das Haar abzuschneiden; er widersetzte sich Anfangs.

– »Es ist für Ihre Mutter,« sagte ihm Widmann. – »Auf Ehre?« fragte ihn Sand. – »Auf Ehre.« – »Dann thut es,« meinte Sand und bot sein Haar dem Henker.

Man schnitt ihm nur einige Locken ab und einzig die, welche hinten herunterfielen, die andern knüpfte man in die Höhe. Alsdann band ihm der Henker die Hände auf die Brust; da ihn diese Lage aber schmerzte und wegen seiner Wunde zwang den Kopf zu beugen, so legte man sie ihm auf den Schoos und befestigte sie so mit Stricken. Als man ihm hierauf die Augen verbinden wollte, bat er Widmann die Binde so zu legen, daß er bis zum setzten Augenblick das Licht sehen könne. Es geschah, wie er wünschte.

Ein tiefes, tödtliches Schweigen herrschte über dieser Menschenmenge bis ans Schaffot. Der Henker zog sein Schwert, es funkelte wie ein Blitz und schlug das Haupt. Da tönte ein Schreckensruf aus 200,000 Herzen zugleich: der Kopf war nicht gefallen und hielt, wenn auch auf die Brust geneigt, doch noch am Halse fest. Der Henker schlug zum zweiten Mal und mit demselben Streiche fiel das Haupt und ein Theil der Hand. In demselben Augenblicke ward trotz den Bemühungen der Soldaten die Reihe durchbrochen, Männer und Frauen stürzten sich nach dem Schaffot, das Blut wurde bis auf den letzten Tropfen mit den Taschentüchern aufgetrocknet; der Stuhl, auf dem Sand gesessen, ward zerbrochen und in Stücke gerissen und Die es erreichen konnten, schnitten blutige Holzspäne selbst vom Schaffot. Kopf und Körper wurden in einen schwarz ausgeschlagenen Sarg gelegt und mit zahlreicher Militärbedeckung ins Gefängniß zurückgebracht. Um Mitternacht wurde der Leichnam in aller Stille und ohne Fackeln und Licht auf den protestantischen Kirchhof geschafft, wo 14 Monate vorher Kotzebue schon begraben worden. Ein Grab hatte man heimlich gegraben; der Sarg wurde eingesenkt und man ließ Die, welche der Bestattung beiwohnten, auf das Evangelium schwören, den Ort, wo Sand begraben, nicht zu verrathen, bevor sie ihres Schwures entbunden wären. Darauf wurde das Grab wieder mit dem Rasen bedeckt, den man genau ausgestochen und dann an denselben Platz gelegt hatte, so daß man kein frisches Grab sah, die nächtlichen Todtengräber entfernten sich nun und ließen am Eingange eine Wache.

 

Dort ruhen zwanzig Schritt von einander Sand und Kotzebue; Kotzebue, dem Thor gegenüber, an der sichtbarsten Stelle des Kirchhofs und unter einem Grabstein, auf dem folgende Inschrift eingegraben:

 
Die Welt Verfolgt’ ihn ohn’ Erbarmen,
Verläumdung war sein traurig Loos,
Glück fand er nur in seiner Gattin Armen
Und Ruhe in des Todes Schoos.
Stets wacht’ der Neid, um Dornen ihm zu streuen,
Die Liebe ließ ihm Rosen blühn:
O mag der Himmel ihm verzeihen,
Wie er der Erde hat verziehn.
 

Im Gegensatz zu diesem hohen prachtvollen Denkmal, wie schon erwähnt, an der sichtbarsten Stelle des Kirchhofs, muß man Sands Grab in der Ecke an der äußersten linken Seite des Kirchhofthores suchen; und ein wilder Pflaumenbaum, von dem jeder Wanderer im Vorübergehen einige Blätter abbricht, erhebt sich allein über diesem inschriftlosen Grabe.

Die Wiese, auf welcher Sand hingerichtet wunde, nennt das Volk jetzt: Sands Himmelfahrtswiese:

__________

Zu Ende Septembers 1838 waren wir in Mannheim wo ich mich drei Tage aufhielt, um alle Einzelheiten zu sammeln, die über Karl Ludwig Sands Leben und Tod zu finden. Aber nach diesen drei Tagen waren trotz meiner eifrigen Nachforschungen die Einzelheiten noch sehr unvollständig, sei es, daß ich mich an die Unrechten wandte, sei es, daß ich als Fremder den Leuten, an die ich mich wandte, Mißtrauen einflößte. Ich verließ also Mannheim, in meinen Erwartungen ziemlich getäuscht, und nachdem ich den kleinen protestantischen Kirchhof besucht, wo zwanzig Schritt von einander Sand und Kotzebue begraben liegen, ließ ich meinen Kutscher die Heidelberger Straße einschlagen, als er, von dem Gegenstande meiner Nachforschungen unterrichtet, nach einigen Schritten selbst still hielt mit der Frage, ob ich den Platz sehen wollte, wo Sand hingerichtet worden. Zugleich zeigte er mit dem Finger auf einen kleinen Hügel mitten auf einer Wiese und einige Schritte von einem Bache. Ich nahm es eifrig an und hatte bald, obgleich mein Kutscher mit meinen Reisegefährten auf der Straße zurückgeblieben war, den angegebenen Platz an einigen aus der Erde umhergestreuten Resten von Zypressenzweigen, Immortellen und Vergißmeinnicht wiedererkannt. Man wird begreifen, daß dieser Anblick, statt meine Forschbegierde zu verringern, sie vermehrte. Ich wurde daher immer unzufriedener, daß ich mit so geringer Auskunft abreisen sollte, als ich einen Mann von 45 bis 50 Jahren bemerkte, der einige Schritte von dem Platze, wo ich stand, spazieren ging und, die Ursache, die mich herbeizog, ahnend, mich mit Neugierde betrachtete. Ich entschloß mich, einen letzten Versuch zu machen, ich ging zu ihm und sagte: »Ach Gott, mein Herr, ich bin fremd; ich reise, um alle so reichhaltigen und poetischen Ueberlieferungen aus Ihrem Deutschland zu sammeln. Nach der Art, wie Sie mich ansehen, vermuthe ich, daß Sie die kennen, die mich nach dieser Wiese zieht. Könnten Sie mir vielleicht einige Auskunft geben über das Leben und den Tod Sandes« – »Zu welchem Zweck, mein Herr?« fragte mich Der, an den ich mich wandte, in einem fast unverständlichen Französisch. – »Sein Sie versichert, mein Herr,« erwiderte ich, »zu einem sehr deutschen Zweck. Nach dem Wenigen, was ich davon vernommen, ist Sand für mich einer von jenen Schatten, die Ihnen nur deshalb größer und poetischer erscheinen, um in ein blutgeflecktes Leichentuch gehüllt zu werden. Man kennt ihn aber in Frankreich nicht; man könnte ihn leicht mit einem Fieschi oder einem Meunier verwechseln und ich möchte, so viel es mir möglich, die Meinung meiner Mitbürger über ihn aufklären.«