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Karl Sand

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»So lebt wohl, Ihr treuen Seelen! Es fällt die schnelle Trennung schwer und Eure Erwartungen, wie meine Wünsche, sind wohl getäuscht; doch mag dies Eine – Vorbereitung sein und trösten, daß wir ja immer, was die Noth des Vaterlandes erheischte, zuerst von uns selbst verlangen; – was sich bei mir zum unverbrüchlichsten Grundsatz eingelebt hat. Ihr werdet bei Euch sprechen: hat er doch durch unsre Opfer das ganze Leben auf dieser Erde, die Freuden in dieser Menschengesellschaft kennen gelernt und schien mit Innigkeit dies Land und den erwählten Beruf, zu lieben! Ja, dies war, dies that ich. – Unter Eurem Schutze, durch Eure unzähligen Opfer sind mir Land und Leben so innig lieb geworden. Ihr ließet mich in die Wissenschaft einführen; in freier Geistesbeschäftigung habe ich gelebt, habe in die Geschichte geschaut und bin dann wieder zurückgekehrt in mein eignes Gemüth, um mich an dem festen Pfeiler des Glaubens hinaufzuranken zum Ewigen und durch freie Forschung des Verstandes mir über mich selbst und die Größe meiner Umgebungen klarer zu werden. Ich habe die Wissenschaften in der gewöhnlichen Ordnung nach Kräften betrieben, wurde in den Stand gesetzt, das Gebiet unsers menschlichen Wissens zu erschauen und habe mich wieder ausgesprochen darüber mit Freunden und Männern, und habe, um für’s Leben selbst geschickt zu werden,Sitten und Getreibe der Menschen in verschiedenen Theilen Deutschlands kennen gelernt. Als ein Prediger des Evangeliums wollte ich freudig dies Leben bestehen, und bei allenfalsigem Umsturz unserer Lebensformen und der Wissenschaft sollte mir auch Gott helfen, meines Amtes treu mich zu bewähren. – Aber sollte michs dieses Alles abhalten, der nahen Gefahr des Vaterlandes selbst abzuwehren? Muß mich Eure unsägliche Liebe nicht gerade anfeuern, den Tod einzusetzen für da gemeinsame Wohl und unser Aller Streben? So viele der jetzigen Griechen sind schon gefallen, um ihr Volk von der Strafruthe der Türken zu befreien, und sind fast ohne allen Erfolg, ohne alle Ansicht gestorben, und Hunderte von ihnen, auch unter uns durch Bildung sich weihend, lassen dennoch den Muth nicht sinken und sind bereit, sogleich wieder das Leben für das heil ihres Landes dahinzugeben – und ich wollte nicht sterben?! Und wir, denen die Rettung und Erschlaffung der höchsten Güter so nahe liegt, wollten Nichts dafür thun?

»Ob ich Eure Liebe verkenne oder dagegen leichtfertig wäre? Glaubt’s nicht! Was sollte mich ausrüsten zum Tode, wenn nicht gerade jene Liebe zu Euch und zum Vaterlande, die mich treibt, sie Euch zu beweisen? Mutter, Du wirst sagen: warum habe ich einen Sohn groß gezogen, den ich lieb hatte und der mich liebte, für den ich in tausend Sorgen war und steten Kummer litt, der durch mein Gebet empfänglich wurde für das Gute und von dem ich auf meiner müden Lebensbahn in den letzten Tagen kindliche Liebe verlangen konnte? Warum verläßt er mich nun? Theure Mutter, möchte nicht auch die Pflegerin irgend eines Andern so klagen, wenn er für das Vaterland hinginge? Und wenn es Keiner thun wollte wo bliebe das Vaterland? Weit ist auch die Klage von Dir entfernt, und Da kennest solche Reden nicht, edle Frau! Schon einmal habe ich Deinen Ruf vernommen, und wenn jetzt Keiner hervortreten wollte für die deutsche Sache, so würdest Du mich auch diesmal selbst zum Kampfe voranschicken. Noch zwei Brüder und Schwestern, alle rechtschaffen und edel, habe ich vor mir; sie bleiben Euch; – ich folge meiner Pflicht, und an meiner Statt werden Euch als Jünglinge, die es redlich meinen mit dem Vaterlande, als treue Kinder zugethan sein.

»Meine Bestimmung ist diesem nach gegeben. Ob m ich noch 50 Jahre leben würde, ich könnte reger und inniger leben, als in diesen letzten Jahren. Dies ist unsre Bestimmung, daß wir erkennen den einzig wahren Gott, gegen das Böse ankämpfen und dagegen den Vater mit unserm ganzen Leben preisen. In der Welt haben wir Angst, aber in Gott können wir diese, wie Christus, überwinden. O daß uns in vollem Maße sein Friede werde! – Verlassen auf dem einsamen Weg, den ich wandeln soll, habe ich keine andere Aussicht, als auf ihn, den gnädigen Vater; in ihm fasse ich aber auch Muth und Stärke, die letzte Bangigkeit zu überwinden und meine ernste That männlich zu vollführen.

»Seinem Schutze, seiner Tröstung empfehle ich Euch; möge er Euch zu der Freude erheben, die Unfälle nicht zu trüben vermögen! Gebet den Harm auf gegen die dauernde Freude in ihm und achtet nicht so sehr auf meinen Thränengruß, als vielmehr auf die Liebe, die zwischen uns besteht und nicht untergehen kann. Dann aber stehet in allen Stürmen treu mit dem Vaterterlande! Führer Eure Kleinen, denen ich so gern ein liebender Freund geworden wäre, baldigst hinaus auf unsre gewaltigen Berge und lasset sie dort auf dem erhabenen Altar in Mitten Deutschlands der Menschheit sich weihen und gelübden, nie ruhen, vom Schwerte nie ablassen zu wollen, bis wir Brüderstämme in Freiheit geeinigt, bis alle Deutsche, wie das eine Volk, so auch in Einem Reiche freier Verfassung, groß vor Gott und mächtig gegen die Nachbarn, aufs Innigste verbunden sind! Im freudigen Aufblick zu Dir, ewiger Gott, bestehe mein Vaterland! Dein Segen komme reichlich über die kampfrüstige Schaar im deutschen Volke, die, Deine großen Gnadengaben erkennend, die Sache der reinen Menschheit, Dein Abbild auf Erden zu fördern muthig entschlossen ist.

 
Das letzte Heil, das höchste, liegt im Schwerte:
Drück’ dir den Speer ins treue Herz hinein,
Der (deutschen) Freiheit eine Gasse!
 
Jena, Anfang März 1819.
Euer in Liebe Euch ewig verbundener Sohn
und Bruder und Freund
Karl Ludwig Sand.«

Anfangs ins Hospital gebracht, wie schon gesagt, ward Sand hierauf, nach drei Monaten, in das Zuchthaus von Mannheim geschafft, wo der Director M—g ihm ein Zimmer hatte in Stand setzen lassen. Dort blieb er noch zwei Monate in einer außerordentlichen Schwäche: sein linker Arm war völlig gelähmt; seine Stimme war sehr schwach; jede Bewegung, die er machte, verursachte ihm furchtbare Schmerzen; auch konnte er erst am 11. August, d. h. Fünf Monate nach dem Ereigniß, das wir erzählt, an seine Familie folgenden Brief schreiben:

»Theuerste Eltern und Geschwister!

»Die großherzogliche Untersuchungscommission hat mir gestern endlich mitgetheilt, daß es möglich wäre, daß mir die hohe Freude zu Theil werden könnte, von Ihnen hier aufgesucht zu werden und vielleicht Sie, gute Mutter, mit einigen von den Geschwistern dahier zu sehen.

»Ohne überrascht zu sein von diesem neuen Beweise Ihrer elterlichen Liebe, wurde die innere Sehnsucht nach freudigem Zusammenleben mit Ihnen durch diese schmeichelnde Hoffnung wieder mächtig in mir rege, Freude und Schmerz, Verlangen und Entsagung regten mein Herz auf und ich mußte die aufgährenden Regungen vor der machthabenden Vernunft gegen einander abwägen, um mein selbst Herr zu werden und zu einer richtigen Entscheidung rücksichtlich meiner Wünsche zu gelangen.

»Die Entscheidung fiel auf Seite des Entsagens. – So sehr auch nur ein Blick in Ihre Augen, geschweige denn der völlige Umgang auf kurze Zeit und die erhabenen Worte Ihres Herzens mich stärken und erfreuen könnten, so kennen Sie doch meine Lage überhaupt – kennen den natürlichen Gang einer jeden peinlichen Untersuchung zu gut, als daß Sie nicht, wie ich, finden sollten, daß die mancherlei möglichen Störungen auf alle Fälle den Grad der Freude unsers Zusammenseins trüben, wo nicht gar völlig vernichten würden, so daß der Schmerz des Abschiedes, zum Ersatz einer langen beschwerlichen Reise, am Ende heftiger werden möchte, als der, der uns in unserer körperlichen Trennung begleitet. Lassen Sie uns nach Gottes Willen abermals bei der Entsagung stehen bleiben und und jene fröhliche Gemeinschaft im Geiste pflegen, aus der ich täglich so viele Freude schöpfe und die uns stets vergönnt sein wird, ob sie gleich weit über jenem irdischen Gute steht.

»Wie es mit meiner körperlichen Lage steht, weiß ich selbst nicht. Sie sehen schon aus meinem eigenhändigen Schreiben, daß ich jener anfänglichen Ungewißheit entrissen hin, im unsrigen kenne ich den Zustand meines Körpers zu wenig, um über den anhaltenden, täglich fast sich gleich bleibenden, aber leicht zu ertragenden Krankheitszustand ein geltendes Urtheil fällen zu können. Dabei bin ich aber immer recht getröstet und Gott hilft mir in Allem, was da kommen mag, Muth und Standhaftigkeit zu bewahren. Er möge mir auch helfen, aus Allem immer die Freude des Geistes herauszufinden und im Geiste stark zu werden! Amen. – Leben Sie wohl!«

Mannheim, den 11. August 1819.

Ihr

Sie innig ehrender

Karl Ludwig Sand.

Einen Monat nach diesem Briefe kamen rührende Antworten von Seiten der ganzen Familie: wir wollen nur die von Sands Mutter anführen, weil sie die Vorstellung vervollständigt, die man sich schon von dieser edlen Frau, wie sie ihr Sohn immer nennt, hat machen können.

»Theurer, unaussprechlich theurer Karl!

»Wie erfreulich war es mir, nach so langer Zeit die Züge Deiner lieben Hand wieder zu erblicken. Es wäre mir keine Reise zu beschwerlich, kein Weg zu weit! Mit treuer Liebe und Zärtlichkeit würde ich Dich an jedem Ende der Erde aufsuchen, um Dich nur zu sehen.

»Da ich aber Deine zärtliche Liebe und Sorgfalt gegen mich auch ganz kenne und Du mit so vieler männlicher Standhaftigkeit und Ueberlegung Gründe mir vorlegst, denen ich gar Nichts entgegnen kann, als daß ich sie ehre: so soll es bleiben, lieber Karl, wie Du es bestimmt und beschlossen hast! Wir wollen unsere Geistesunterhaltung fleißig fortsetzen, aber einander nicht sprechen. Nichts kann, nichts wird mich von Dir trennen; jeden Augenblick umschwebe ich Dich und meine Gedanken trennen sich nie von Dir!

 

»Jene unendliche Liebe, welche uns Alle trägt, Alle erquickt und uns Alle für ein höheres Leben und Wirken bestimmt hat, bewahre Dir, lieber Karl, Muth und Standhaftigkeit. Sie lasse Dich aus Allem die höchste Freude des Geistes herausfinden und Dich, inniggeliebter Sohn, im Geiste immer und immer stärker werden.

»Deinen lieben Vater haben bisher allerlei Verhinderungen abgehalten, Dir zu schreiben und ich und Deine guten Geschwister wünschen sehnlich, Dich bald von unsern Empfindungen zu überzeugen; daher wird, ein Brief von dem Ersten nachfolgen. Er grüßt Dich einstweilen auf das Herzlichste und versichert Dich seiner vollen Liebe.

»Lebe recht wohl und bleibe unwandelbar überzeugt, daß ich nie aufhören werde, Dich stark und innigst zu lieben.

Deine treue Dich ewig liebende Mutter.«

Sand antwortete:

Aus meinem Patmos. Neujahr 1820 den 16/1.

»Theure Eltern und Geschwisterte!

»In der Mitte Septembers vorigen Jahres wurden mir durch die Großherzogliche Special-Untersuchungscommission, mit der Ihnen schon gepriesenen menschenfreundlichen Gesinnung, Ihre werthen Briefe vom Ende August und Anfang Septembers eingehändigt, und sie hatten die, zaubervolle Kraft, mich ganz in den Kreis Ihrer Herzen zu versetzen, mich mit Freude völlig zu überschütten.

»Sie, theurer Vater, schreiben mir an Ihrem 67. Geburtstage und segnen mich mit dem Ergusse Ihrer vollsten, reinsten Liebe, und Sie, theure Mutter, lassen sich sogar herab zu Versicherung der Fortdauer Ihrer von mir schon jederzeit unwankbar geglaubten mütterlichen Gesinnung gegen mich und

so erhielt ich Ihrer beiden Segen,

der in meiner gegenwärtigen Lage wohlthätiger als Alles auf mich einwirken muß, ich wurde mit der segenvollsten Liebe und Freude reichlich genährt, und dafür danke ich Ihnen, theuerste Eltern, mit der kindlichen Ergebenheit, die mir, nach Gebühr des Sohnes, mein Herz nie vorzuschreiben aufhören wird. Aber wie ich also das mir so unendlich theure Verhältniß zu Ihnen lebendig vor meine Seele führe, so vermag ich auch nicht zu verschweigen, daß ich durch einige Ausdrücke Ihrer über alles innigen Liebe, die sich frei über alle Rücksicht auf Verhältnisse hinweg erhebt, als Sohn in einen zaghaften Zustand versetzt werden mußte.

»Auch Ihr, theurer Schwager und theure Schwester, versichert mich Eurer ununterbrochenen innigen Liebe; Ihr scheint nach dem Schreck, den ich plötzlich über euch Alle brachte, noch nicht recht zu wissen, was Ihr aus mir machen sollt; ich fühle mich daher in der innigsten Ergebenheit eines Bruders, voll von nie ersterbendem Danke gedrungen, Euch zu sagen, daß Eure, durch viele Jahre hindurch so reichlich durch die That bekräftigte Liebe mehr ausweist für das Verständniß wahrer geschwisterlicher Gesinnung zwischen uns – sobald ich auf meiner Seite nur deren werth befunden werde, – als alle möglichen, auch die zärtlichsten Versicherungen in Worten.

»Und Du, guter Bruder, wolltest gern mit der theuren Mutter an die Fluthen des Rheines geeilt sein, hierher, wo das rechte geistige Verhältniß zwischen uns Beiden uns aufgegangen ist; wo wir durch gleiche Gesinnung nach außen auch zu den innigsten Brüdern geworden sind, – Du seiest wirklich hier gewesen, muß ich Dir sagen, meine ich, wenn ich auf Bereiche Quelle brüderlicher Tröstungen und Aufmunterungen schaue, die mir in Deinem treuen, zarten Briefe zu theil wurde.

»Und Du, gute Schwägerin, wie Du Dich gleich bei dem ersten Bekanntwerden mit so vieler Zärtlichkeit als liebende Schwester zu uns stelltest, so erkenne ich auch in jetziger Zeit die Fortdauer dieses schönen Verhältnisses aus diesem Deinem frommen und liebevollen Briefe. Deine gottergebenen Tröstungen erquickten mich in innerster Seele, aber auch Dir kann ich nicht verhehlen, daß Du in der Ausspendung Deiner Achtung und Deines Lobes zu freigebig warst. Ich wurde dadurch, wie billig, vor meinen innern Richter gestellt, der mir den ganzen Umfang aller meiner Schwächen im Spiegel sehen ließ. —

»Du, gute Julie, möchtest weiter Nichts, als Das, was mir zu tragen auferlegt ist, mir abnehmen zu können, Du versicherst mich, wie ich es ja von Euch Allen weiß, daß Du es gern für mich tragen wolltest, und daran erkenne ich Dich ganz und auch besonders das Verhältniß, in dem wir mit einander aufgewachsen sind. Ach! ich sage Dir, unter Gottes Schutz wird mir gar leicht, weit leichter al ich erwarten konnte, Das zu bestehen, was mir zugefallen ist. Aber womit soll ich, indem ich Dir danke, Dich trösten für diese nothwendiger Weise abschlägliche Antwort?– Du kannst ja frei zu Gottes Altar treten 2c.

»So habet denn Alle den herzlichsten Dank, daß Ihr mein Herz so sehr erfreut habt! – Ich will jetzt, da ich aus diesen stärkenden Briefen ersehen habe, daß ich als der verlorene Sohn besonderer Gegenstand Ihrer Liebe und Güte geworden bin, auch mit möglichem Fleiße Ihnen meinen geistigen körperlichen Zustand schildern und bitte Gott, er möge diesen Worten mit seiner Kraft beistehen, daß sie, als eine gemäße Gegengabe gegen diese Ihre Briefe, Ihnen zu mehrerer Beruhigung mögen gereichere können.

»Hart gegen Glück und Unglück der Erde, wissen sie schon von mir, lebe ich seit den letzteren Jahren der reinen geistigen Freude, und ich muß bekennen, daß mich jener heilige Urquell alles Guten auch geschickt gemacht hat, diese suchen zu können sie auch wirklich in reichlichem Maaße zu finden. – Gott ist mir immer noch nahe, wie jemals; ich finde in ihm, diesem ewigen Urgrund des Seins aller Dinge, in unserm heiligen Vater, Trost und Stärke und einen unwankbaren Freund voll der heiligsten Liebe, der mich überall hinbegleiten wird, wo ich der Aufrichtung bedarf. Hätte er mir freilich ferne werden, hätte ich ihn aus den Augen verlieren können, so müßte ich jetzt höchst unselig sein, und in verderblichen Zustande mich befinden; aber so macht er mich, den Schwachen, stark zu Allem, was noch über mich kommen mag. – Was ich sonst als heilig verehrte, wonach ich mich sehnte, wonach ich in innigem Streben erglühte, das ist auch jetzt nicht anders geworden; höchst unselig würde ich mich befinden, wenn ich erkennen müßte, daß mein Herz Trugbildern ergeben und, in leere Scheingestalten verwickelt gewesen wäre. So möge denn die Einsicht rücksichtlich dieser Urbilder unserer Vernunft und die reine Liebe zu diesen Schutzengeln unsers menschlichen Geistes bis an mein Ende immer mehr in mir wachsen, damit sie mich umso williger in die Ewigkeit hinüber begleiten mögen!

In Begeisterung und christlich ergebener Demuth führe ich mein stilles Leben und es wird mir auch häufig jene höhere Heimsuchung zu Theil, in der ich Zeitlebens den Himmel auf Erden verehrte – ich vermag mich recht oft in andächtigem Gebete zum Höchsten und Heiligen aufzuschwingen. – Meine Krankheit ließ mir immer so viel Ruhe übrig, daß ich mich mit ernsten Gegenständen des Wissens, mit schönen Theilen, meiner Gottesgelahrtheit und der Geschichte anhaltend beschäftigen konnte, und wenn ein heftigerer Krankheitszustand diese Beschäftigung auch auf einige Zeit-unterbrach, so verfiel ich doch nie in Langeweile, denn Bilder aus vergangener Zeit und ein forschender Glaube, so wie die Alles göttlich ahnende Liebe, waren reich und stark genug in mir, um mich auch hier nicht aus meinem irdischen Himmel hinausfallen zu lassen. – Ich würde, nach meinen Grundsätzen, in der Lage, in welche ich mich selbst versetzte, nie für-meine Bequemlichkeit haben sprechen und für Gegenstände derselben bitten können, aber dem ohngeachtet wurde ich durch nie genug anzuerkennende Menschenfreundlichkeit und durch die Liebe, die allenthalben trägt, duldet und unterstützt, von allen Seiten, mit denen mich die Fremde, in die ich hinausgestoßen, in Berührung setzte, in allem Betreff mit so viel Güte überhäuft, daß Wünsche, die ich selbst nicht im geheimen Innersten meines Herzens für meine Krankenpflege zu hegen gewagt haben würde, häufiger noch übertroffen wurden. – Der körperliche Schmerz war nie so überwältigend für mich, daß ich nicht dabei in innerer Erhebung hätte für mich sprechen können: »der Bettel!« und ich mag ihn nicht in Vergleichung setzen mit jenem Seelenschmerz, den wir im Gefühl unserer Schwächen, unserer Schuld so tief einschneidend empfinden, wiewohl jener auch immer schon wieder zur ewigen, geistigen Freude sich herüberneigt. Nur selten griff dieser Schmerz nach meinem Bewußtsein, Geschwulst und Entzündung nahmen nie sehr überhand, und die Fieber waren immer mäßig. Ob ich gleich seit Dreivierteljahren immer auf dem Rücken liege, ohne mich aufrichten zu können, und obgleich unmittelbar von der Stelle des Herzens mehr denn 40 Maaß Eiter ausliefen, so habe ich mich doch noch nicht aufgelegen, und die Krankheit fraß noch nicht so sehr um sich, daß sie Abscheu erregend und sehr eklig wäre; dies verdanke ich sowohl der vortrefflichen Pflege, als dem gesunden Blute, das ich von Ihnen ererbt habe.

»So fehlte es mir denn nicht an den mannigfaltigsten und nachdrücklichsten Aufmunterungen zum Guten. So hatte ich alle Ursache an meinem Geburtstage – ach! nicht der Stunde meiner Geburt zu fluchen! – sondern mit heiterer Beschauung dieser Welt, Gott und Ihnen, theuerste Eltern, für mein Dasein zu danken. Den 18. October feierte ich in stiller Ergebung in den heiligen Willen Gottes; an Weihnachten suchte ich mich in die Stimmung gottergebener Kinder zu versetzen, und der Jahreswechsel brachte mir einen neuen Zeitabschnitt, dessen Inhalt sich mit Gottes Hilfe eben so zur geistigen Freude kehren wird, wie das vergangene Jahr. Und mit diesem Wunsche, dem einzigen, wende ich mich denn auch zu Ihnen, beste Eltern, und zu Euch, geliebteste Geschwister, und zu den Eurigen, und bitte, daß uns die Welt durch diese stetige höhere Freude täglich neu werden und daß wir Alle unser Leben so wahrhaft beseligt bis an’s Ende führen mögen; denn dies ist die göttliche Bestimmung unseres Erdendaseins, und ich wage es kühn gegen jeden Angriff zu vertheidigen, daß wir schon hier jene reine Freude des Jenseits vorkosten und finden sollen, daß uns schon hier der Vorgeschmack des Himmels werde! —

»Ein 25. Neujahr kann ich nicht hoffen, noch, wiederkehren sehen;,– möge denn mein obiges Gebet erfüllt werden, und Sie durch diesen treuen Abriß meines zeitherigen Lebens zu mehrerer Beruhigung gelangen, mögen diese Worte mir auch dazu dienen; mich Ihrer Aller unauflöslichen Liebe als nicht entartet und unwürdig darzustellen, sondern mir vielmehr jene für alle Ewigkeit zu sichern! So zum Himmel flehend will ich verharren, bis der Tod mich abruft.

»In diesen Tagen erhielt ich auch Ihren lieben Brief, theure Mutter, vom 2. December v. J., und die Großherzogliche Commission hatte die Gewogenheit, mir auch den Brief des guten Bruders, der diesem beigelegt war, lesen zu lassen. Sie geben mir die froheste Nachricht von Ihrer Aller völligem Wohlsein und Sie schicken mir eingemachte Früchte aus der geliebten Heimath. Ich danke Ihnen hierfür von ganzem Herzen. Was mir das Liebste hierbei ist, nämlich, daß Sie im Sommer und Winter mit gleicher Liebe für mich sorgen, daß Sie und die gute Julie mit sorglichem Sinne sie selbst in der Heimath pflückten und zubereiteten; diesem bleibenden Genusse überlasse ich mich mit ganzer Seele.

»Ueber den neu angelangten kleinen Vetter mich herzlich freuend und die guten Eltern und Großeltern darum fröhlich begrüßend, versetze ich mich zu seiner Taufe in jene geliebte Gemeinde, wo ich ihm als christlicher Mitbruder meine Liebe entgegen bringe und alle Segnungen des Himmels auf ihn herab erflehe.

»Um die Großherzogliche Commission nicht zu häufig zu beschweren, werden wir diesen Briefwechsel wohl abbrechen müssen, und, ich schließe daher in kindlicher Ergebenheit und brüderlicher Treue ewig verharrend

»Ihr Sie innig liebender .
Karl Ludwig Sand.«

In der That hörte von diesem Augenblick an aller Briefwechsel zwischen Karl und seiner Familie auf und er schrieb ihr nur noch ein Mal, als sein Loos ihm bekannt war, einen Brief, den wir später finden werden.

Man sieht daraus, mit welcher Sorgfalt man Sand behandelte: diese Menschlichkeit verleugnete sich keinen Augenblick. Zwar muß man auch sagen, daß Niemand in ihm einen gewöhnlichen Mörder sah, daß Viele ihn in der Stille beklagten und Einige ihn ganz laut entschuldigten. Die großherzogliche Commission selbst zog die Sache so sehr als möglich in die Länge, denn die bedeutenden Wunden Sands ließen sie Anfangs glauben, es sei unnütz, zum Henker zu greifen, und sie wäre froh gewesen, hatte es Gott über sich genommen, die Haft zu endigen. Ihre Vermuthungen wurden jedoch getäuscht: die Geschicklichkeit des Doctors siegte, nicht über die Wunde, sondern über den Tod. Sand wurde nicht geheilt, er blieb aber am in Leben und man sah bald, daß man ihn werde tödten müssen. Wirklich verlangte der Kaiser Alexander, der Kotzebue zum Geheimen Rath ernannt und sich in dem Morde selbst nicht irrte, unablässig, daß die Gerechtigkeit ihren Lauf habe. Die Untersuchungscommission ward daher gezwungen, sich ans Werk zu machen, wobei sie jedoch offen einen Vorwand zu haben wünschte, um den Rechtsgang in die Länge zu ziehen: sie befahl, ein Arzt aus Heidelberg solle Sand besuchen und über seine Lage genauen Bericht abstatten; da Dieser beständig darnieder lag und man ihn in seinem Bette nicht hinrichten konnte, hoffte sie, der Bericht des Arztes würde dadurch, daß er die Unmöglichkeit des Aufstehens bei dem Gefangenen darlegte, ihr zu Hilfe kommen und ihr eine neue Frist geben.

 

In Folge dessen kam der bezeichnete Arzt von Heidelberg nach Mannheim und indem er sich Sand vorstellte, als durch das Interesse, das er ihm einflößte, fragte er ihn, ob er in seinem Zustande nicht einige Besserung fühle und ob es ihm unmöglich sei aufzustehen. Sand blickte ihn einen Augenblick an, dann sagte er lächelnd: »Ich verstehe, mein Herr: man wünscht zu wissen, ob ich stark genug bin, um auf das Schaffot zu steigen; ich weiß es selbst nicht, wir wollen zusammen eine Probe machen.«

Bei diesen Worten stand er auf und mit einem übermenschlichen Muthe ging er, was er seit 14 Monaten nicht versucht, zwei Mal durch das Zimmer, und nachdem er sich wieder auf sein Bett gesetzt hatte, sagte er:

»Sie sehen, mein Herr, ich bin stark genug; es hieße folglich, meine Richter eine kostbare Zeit verlieren zu lassen, wenn ich noch länger in meiner Sache zurückhielte; mögen sie denn ihr Urtheil herbei bringen, denn Nichts steht seiner Vollziehung mehr im Wege.« Der Arzt stattete Bericht ab: es gab kein Mittel auszuweichen; Rußland wurde immer zudringlicher und am 5. Mai 1820 sprach das Oberhofgericht folgendes Urtheil, welches »am 12. von Sr. königlichen Hoheit, « dem Großherzog von Baden, bestätigt« ward: .

»In Untersuchungssachen 2c. wird auf amtspflichtiges Verhör, eingebrachte Vertheidigung, erhobenes Gutachten des Hofgerichts in Mannheim und weitere Rechtsberathung am Oberhofgerichte, von diesem zu Recht erkannt: daß Inquisit Karl Ludwig Sand von Wunsiedel des an dem kaiserlich russ. Staatsrathe v. Kotzebue verübten Meuchelmordes für schuldig und geständig zu erklären, daher derselbe, ihm zur gerechten Strafe, Andern aber zum abschreckenden Beispiel, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode zu bringen sei.