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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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»Gewiß.«

»Und der König wird ihn wie gewöhnlich brennen?« fragte die Gräfin.

»Wenn die Dame des Schlosses sich nicht widersetzt.«

Die Gräfin stand auf.

»Was machen Sie?«

»Ich will Sie bedienen, Sire.«

»Immer zu,« sprach der König, indem er sich auf seinem Stuhle ausstreckte, wie ein Mensch, der vollkommen zu Nacht gespeist, und bei dem ein gutes Mahl die Launen in’s Gleichgewicht gesetzt hat; »immer zu, es ist das Beste, was ich thun kann, daß ich Sie gewähren lasse.«

Die Gräfin brachte auf einem silbernen Rechaud eine feine Kaffeekanne, welche heißen Mokka enthielt; dann stellte sie vor den König einen Teller, der eine Tasse von Vermeil und einen kleinen Caraffon von böhmischem Krystall trug; endlich legte sie neben den Teller einen papierenen Anzünder.

Mit der tiefen Aufmerksamkeit, die er gewöhnlich dieser Operation schenkte, berechnete der König seinen Zucker, maß er seinen Kaffee, goß sachte seinen Branntwein ein, daß der Alkohol obenauf schwamm, nahm die kleine Papierrolle, zündete sie an der Kerze an, und theilte mit derselben die Flamme dem heißen Tranke mit.

Dann warf er die Rolle in den Rechaud, wo sie sich vollends verzehrte. Fünf Minuten nachher schlürfte er seinen Kaffee mit der ganzen Wollust eines vollendeten Gastronomen.

Die Gräfin ließ ihn machen, aber bei dem letzten Tropfen rief sie:

»Ah! Sire, Sie haben Ihren Kaffee mit den Versen von Herrn von Voltaire angezündet, das wird den Choiseul Unglück bringen.«

»Ich täuschte mich,« sagte der König lachend.

Die Gräfin stand auf und sprach:

»Sire, will Eure Majestät sehen, ob der Gouverneur zurückgekehrt ist?«

»Ah! Zamore? Bah! warum dies?«

»Um nach Marly, zu fahren, Sire.«

»Es ist wahr,« sprach der König, und machte einen Versuch, sich dem Wohlbehagen zu entreißen, das er empfand. »Wir wollen sehen, Gräfin, wir wollen sehen.«

Madame Dubarry gab Chon ein Zeichen und diese verschwand.

Der König begann wieder seine Nachforschungen, doch es ist nicht zu leugnen, mit einem Geiste, der weit von dem verschieden war, welcher sein erstes Suchen geleitet hatte. Die Philosophen behaupten, die düstere Art oder die Rosenfarbe, mit der der Mensch die Dinge betrachte, hänge beinahe immer von dem Zustande seines Magens ab. Da nun die Könige menschliche Magen haben, welche allerdings in der Regel minder gut sind, als die ihrer Unterthanen, aber ihr Wohlbehagen oder ihr Uebelbefinden, gerade wie die anderen, dem übrigen Körper mittheilen, so schien Ludwig XV. von einer so reizenden Laune zu sein, als dies einem König nur immer möglich ist.

Nachdem er zehn Schritte in dem Corridor gemacht, kam ein neuer Wohlgeruch in Stößen dem König entgegen

Eine Thüre, welche auf ein reizendes Zimmer ging, das mit blauem, von natürlichen Blumen brochirtem Atlaß ausgeschlagen war, öffnete sich und enthüllte, erhellt durch ein geheinmißvolles Licht, den Alkoven, nach welchem seit zwei Stunden die Schritte der Zauberin gestrebt hatten.

»Nun, Sire,« sagte sie, »es scheint, Zamore ist nicht wieder erschienen; wir sind immer noch eingeschlossen, und wenn wir nicht durch das Fenster aus dem Schlosse fliehen  . . .«

»Mit den Betttüchern?« fragte der König.

»Sire,« erwiederte die Gräfin mit einem bewunderungswürdigen Lächeln, »wir wollen gebrauchen und nicht mißbrauchen.«

Der König öffnete lachend die Arme, und die Gräfin ließ die schöne Rose fallen, welche sich, auf dem Boden fortrollend, entblätterte.

XXXIV.
Voltaire und Rousseau

Das Schlafzimmer in Luciennes war, wie gesagt, ein Wunder hinsichtlich des Baus und der Einrichtung.

Gegen Osten liegend, war es so hermetisch durch die vergoldeten Läden und die atlaßenen Vorhänge geschlossen, daß der Tag nie eindrang, ohne zuvor wie ein Höfling den kleinen und den großen Zutritt erlangt zu haben.

Im Sommer bewegten unsichtbare Ventilatoren eine gereinigte Luft, der ähnlich, welche tausend Windfächer hätten hervorbringen können.

Es war zehn Uhr, als der König das blaue Zimmer verließ.

Diesmal warteten die Equipagen des Königs seit neun Uhr im großen Hofe.

Zamore gab mit gekreuzten Armen Befehle, oder that wenigstens, als ob er Befehle ertheilte.

Der König trat an das Fenster, und sah alle diese Vorkehrungen zu seiner Abreise.

»Was soll das heißen, Gräfin?« fragte er, »frühstücken wir nicht? Es ist, als ob Sie mich nüchtern wegschicken wollten?«

»Gott verhüte es, Sire,« antwortete die Gräfin, »aber ich glaubte, Eure Majestät habe in Marly Rendezvous mit Herrn von Sartines.«

»Bei Gott! man könnte Sartines sagen lassen, er soll mich hier aufsuchen; es ist sehr nahe,« sprach der König.

»Eure Majestät wird mir die Ehre erweisen, zu glauben, es sei nicht ihr zuerst dieser Gedanke gekommen,« versetzte die Gräfin lächelnd.

»Und dann ist der Morgen überdies zu schön, als daß man arbeiten sollte: wir wollen frühstücken.«

»Sire, Sie müssen mir wenigstens einige Unterschriften geben.«

»Für Frau von Béarn?«

»Allerdings, und auch mir den Tag bezeichnen.«

»Welchen Tag?«

»Und die Stunde.«

»Welche Stunde?«

»Den Tag und die Stunde meiner Vorstellung.«

»Meiner Treue,« sagte der König, »Sie haben Ihre Vorstellung wohl verdient, Gräfin; bestimmen Sie den Tag selbst.«

»Sire, es geschehe so bald als möglich.«

»Ist Alles. bereit?«

»Ja.«

»Haben Sie Ihre drei Verbeugungen machen gelernt?«

»Ich glaube wohl; denn seit einem Jahre übe ich mich darin.«

»Sie haben Ihr Staatskleid?«

»Vierundzwanzig Stunden genügen, um es zu machen.«

»Sie haben Ihre Pathin?«

»In einer Stunde wird sie hier sein.«

»Nun, Gräfin, hören Sie einen Vertrag.«

»Welchen?«

»Sie sprechen mir nicht mehr von der Angelegenheit des Vicomte Jean mit dem Baron von Taverney?

»Wir opfern also den armen Vicomte?«

»Meiner Treue, ja!«

»Wohl, Sire, wir werden nicht mehr davon sprechen  . . . Der Tag?«

»Uebermorgen.«

»Die Stunde?«

»Zehn Uhr Abends wie gewöhnlich.«

»Abgemacht.«

»Königswort?«

»So wahr ich ein Edelmann bin!«

»Hier. Frankreich.«

Und Madame Dubarry reichte dem König ihre kleine Hand, in welche Ludwig XV. die seinige fallen ließ.

An diesem Morgen empfand ganz Luciennes die Heiterkeit des Herrn.

Er hatte bei einem Punkte nachgegeben, bei welchem er seit langer Zeit nachzugeben beschlossen, aber er hatte bei einem andern gewonnen. Es war Alles Vortheil: er würde hunderttausend Franken Jean unter der Bedingung geben, daß er sie in den Bädern der Pyrenäen oder von Auvergne verlöre, und das müßte als eine Verbannung in den Augen der Choiseul gelten. Er hatte Louisd’or für die Armen, Kuchen für die Karpfen und Complimente für die Malereien von Boucher.

Obgleich Seine Majestät am Abend vorher vollkommen zu Nacht gespeist hatte, frühstückte sie doch mit gutem Appetit.

Es schlug indessen eilf Uhr. Die Gräfin, während sie den König bediente, schaute immer wieder nach der Pendeluhr, welche für ihren Willen zu langsam ging.

Der König hatte sich selbst die Mühe gemacht, zu bemerken, wenn Frau von Béarn käme, konnte man sie in den Speisesaal einführen.

Der Kaffee wurde aufgetragen, gekostet, getrunken, ohne daß Frau von Béarn kam.

Ein Viertel nach eilf Uhr hörte man den Galopp eines Pferdes im Hof erschallen.

Madame Dubarry stand rasch auf und schaute durch das Fenster.

Ein Courrier von Jean Dubarry sprang von einem von Schweiß triefenden Pferde.

Die Gräfin bebte; aber da sie ihre Unruhe nicht durfte sichtbar werden lassen, um den König in seiner guten Stimmung zu erhalten, setzte sie sich wieder neben ihn.

Einen Augenblick nachher trat Chon mit einem Blatt in der Hand ein.

Es war nicht zurückzuweichen, man mußte es lesen.

»Was ist das, große Chon, ein zärtliches Billet?« fragte der König.

»Oh! mein Gott, ja, Sire.«

»Und von wem?«

»Vom armen Vicomte.«

»Gewiß?«

»Sehen Sie selbst.«

Der König erkannte die Handschrift, und da er dachte, es könnte in dem Billet von dem Abenteuer in Lachaussée die Rede sein, so sagte er, indem er das Papier mit der Hand auf die Seite schob:

»Gut, gut, das genügt.«

Die Gräfin saß auf Dornen.

»Ist das Billet für mich?« fragte sie.

»Ja, Gräfin.«

»Der König erlaubt?«

»Immer zu, bei Gott! Chon wird mir während dieser Zeit Meister Rabe vorsagen.«

Und er zog Chon zwischen seine Beine und sang mit der falschesten Stimme seines Königreichs:

 
»Jai perdu mon serviteur.
Jai perdu tout mon bonheur!23«
 

Die Gräfin zog sich in eine Fenstervertiefung zurück und las:

»Warten Sie nicht auf die alte Ruchlose, sie behaupten sie habe sich gestern Abend den Fuß verbrannt, und hütet das Zimmer. Danken Sie Chon für ihre geeignete Ankunft gestern, denn ihr haben wir Alles dies zuzuschreiben; die Hexe hat sie erkannt und unsere Komödie ist nun umgekehrt.

Zum Glück ist dieser kleine Schuft von einem Gilbert, der an Allem dem Schuld ist, verloren gegangen. Ich würde ihm den Hals umdrehen. Aber er mag unbesorgt sein, wenn ich ihn wiederfinde, soll ihm das nicht entgehen.

Ich fasse mich kurz. Kommen Sie schnell nach Paris, oder wir werden wieder Alle, was wir zuvor waren.

 
Jean.«

»Was gibt es?« fragte der König, der über das plötzliche Erblassen der Gräfin in Erstaunen gerieth.

»Nichts, Sire, ein Bulletin über die Gesundheit meines Schwagers.«

»Und es geht immer besser bei dem lieben Vicomte?«

»Immer besser,« antwortete die Gräfin. »Ich danke, Sire. Doch dort fährt ein Wagen in den Hof.«

»Unsere Gräfin, ohne Zweifel?«

»Nein. Sire, es ist Herr von Sartines.«

»Nun!« machte der König, als er sah, daß Madame Dubarry auf die Thüre zuging.

»Sire,« erwiederte die Gräfin, »ich lasse Sie mit ihm und gehe zu meiner Toilette.«

»Und Frau von Béarn?«

»Wenn sie kommt, Sire, werde ich die Ehre haben Eure Majestät davon in Kenntniß zu setzen« sprach die Gräfin, während sie im Grunde der Tasche ihres Morgengewandes das Billet zerknitterte.

»Sie verlassen mich also, Gräfin?« sagte der König mit einem schwermüthigen Seufzer.

»Sire, es ist heute Sonntag, die Unterschriften, die Unterschriften«

Und sie reichte dem König ihre frischen Wangen, Ludwig XV. drückte auf jede derselben einen Kuß, und Madame Dubarry verließ das Gemach.

»Zum Teufel die Unterschriften und diejenigen, welche sie holen,« rief der König. »Wer mag die Minister, die Portefeuilles und das Stempelpapier erfunden haben?«

Der König hatte kaum diesen Fluch ausgesprochen, als der Minister mit dem Portefeuille durch die Thüre der gegenüber, durch welche die Gräfin «gegangen war, eintrat.

Der König stieß einen zweiten Seufzer aus, der noch viel schwermüthiger klang als der erste.

»Ah! Sie hier, Sartines?« sagt’ er, »wie pünktlich sind Sie!«

Diese Worte wurden mit einem Tone gesprochen, daß man unmöglich wissen konnte, ob es ein Lob oder ein Vorwurf war.

Herr von Sartines öffnete das Portefeuille und schickte sich an, die Arbeit herauszuziehen. Man hörte jetzt die Räder eines Wagens ans dem Sande der Allee knarren.

»Warten Sie, Sartines« sagte der König.

Und er lief an das Fenster.

»Wie!« rief der König, »es ist die Gräfin, welche wegfährt?«

»Sie selbst, Sire,« sprach der Minister.

»Sie wartet also die Frau Gräfin von Béarn nicht ab?«

»Sire, ich bin versucht, zu glauben, daß sie müde geworden ist, auf sie zu warten, und daß sie dieselbe holen will.«

»Die Dame sollte aber doch diesen Morgen kommen?«

»Sire, ich kann beinahe mit Gewißheit behaupten, daß sie nicht kommen wird.«

»Wie! Sie wissen das, Sartines?«

»Sire, ich muß Alles ein wenig wissen, damit Eure Majestät mit mir zufrieden ist.«

»Was ist denn geschehen? sagen Sie es mir, Sartines.«

»Bei der alten Gräfin, Sire?«

»Ja.«

»Was bei allen Dingen geschieht, Sire; es sind Schwierigkeiten eingetreten.«

»Aber wird denn diese Gräfin von Béarn endlich kommen?«

»Hm! hm! Sire, das war gestern Abend sicherer als diesen Morgen.«

»Arme Gräfin!« rief der König, in dessen Augen unwillkührlich ein Strahl der Freude glänzte.

»Oh! Sire, die Quadrupelallianz und der Familienvertrag waren nur von geringer Bedeutung im Vergleich mit der Angelegenheit der Vorstellung.«

»Arme Gräfin!« wiederholte der König den Kopf schüttelnd, »sie wird nie zu ihrem Ziele gelangen.«

»Ich befürchte es, Sire, wenn nicht Eure Majestät ärgerlich wird.«

»Sie glaubte ihrer Sache so sicher zu sein.«

»Das Schlimmste für sie ist,« bemerkte Herr von Sartines, »daß ihre Vorstellung, wenn sie nicht vor der Ankunft der Frau Dauphine stattgefunden hat, wahrscheinlich nie stattfinden wird.«

»Das ist mehr als wahrscheinlich, Sartines, Sie haben Recht, Man sagt, meine Söhnerin sei sehr streng, sehr gottesfürchtig, sehr züchtig. Arme Gräfin!«

»Sicherlich,« versetzte Herr von Sartines, »sicherlich wird es Madame Dubarry einen schweren Kummer bereiten, wenn sie nicht vorgestellt wird, aber es wird auch Eurer Majestät manche Unannehmlichkeit ersparen.«

»Sie glauben, Sartines?«

»Ganz gewiß, die Neidischen, die Schmähsüchtigen, die Pasquillanten, die Schmeichler, die Zeitungen werden wegfallen. Würde Madame Dubarry vorgestellt, so hätten wir hunderttausend Franken außerordentliche Polizeikosten.«

»In der That! Arme Gräfin! sie wünscht es doch so sehr.«

»Dann mag Eure Majestät befehlen, und die Wünsche der Gräfin werden in Erfüllung gehen.«

»Was sagen Sie da, Sartines?« rief der König. »Ehrlich gesprochen, kann ich mich in Alles dies mischen? Kann ich den Befehl, gegen Madame Dubarry zuvorkommend zu sein, unterzeichnen? Sie, ein Mann von Geist, Sartines, rathen Sie mir einen Staatsstreich, um die Laune der Gräfin zu befriedigen?«

»Oh! nein, Sire; ich begnüge mich wie Eure Majestät zu sagen: Arme Gräfin.«

»Ueberdies ist ihre Lage nicht so verzweifelt,« sprach der König. »Sie sehen Alles mit der Farbe Ihres Kleides an, Sartines. Wer sagt uns, Frau von Béarn werde sich nicht eines Andern besinnen? Wer versichert uns, die Frau Dauphine werde so bald ankommen? Wir haben noch vier Tage, ehe sie Compiègne berührt; in vier Tagen thut man Vieles  . . . Werden wir diesen Morgen arbeiten, Sartines?«

»Oh! Eure Majestät, nur drei Unterschriften.«

Und der Polizeilieutenant zog ein erstes Papier aus dem Portefeuille.

»Oh! oh!« machte der König, »ein geheimer Verhaftsbefehl.«

»Ja, Sire.«

»Und gegen wen?«

»Eure Majestät kann es sehen.«

»Gegen den Sieur Rousseau? Wer ist dieser Rousseau, Sartines, und was bat er gemacht?«

»Den Contrat social, Sire.«

»Ah! ah! das ist gegen Jean Jacques? Sie wollen ihn also in die Bastille setzen.«

»Sire, er macht Scandal.«

»Was Teufels soll er denn machen?«

»Uebrigens schlage ich nicht vor, ihn in die Bastille zu setzen.«

»Wozu dann der Verhaftsbefehl?«

»Sire, um die Waffe bereit zu haben.«

»Nicht als läge mir etwas an Eurem Philosophen,« sprach der König.

»Und Eure Majestät hat Recht.«

»Aber man würde schreien; überdies glaubte ich, man habe seine Anwesenheit in Paris gestattet.«

»Geduldet, Sire, doch unter der Bedingung, daß er sich nicht zeigen würde.«

»Und er zeigt sich?«

»Fortwährend.«

»In seiner armenischen Tracht?«

»Oh! nein, Sire, wir haben ihm bedeutet, daß er sie ablegen müsse.«

»Und er gehorchte?«

»Ja, aber er schrie über Verfolgung.«

»Und wie kleidet er sich jetzt?«

»Wie Jedermann, Sire.«

»Dann ist der Scandal nicht groß.«

»Wie, Sire, ein Mensch, dem man verbietet sich zu zeigen  . . . errathen Sie, wohin er jeden Tag geht?«

»Zu dem Marschall von Luxembourg, zu Herrn d’Alembert, zu Madame d’Epinay.«

»In das Café de la Régence, Sire! er spielt dort jeden Abend Schach, aus Halsstarrigkeit, denn er verliert beständig; und jeden Abend brauche ich eine Brigade, um die Versammlung zu überwachen, welche sich um das Haus bildet.«

»Ah!« rief der König, »die Pariser sind noch dümmer, als ich glaubte. Lassen Sie diese Menschen sich hiemit belustigen, Sartines, während dieser Zeit werden sie nicht über Elend schreien.«

»Ja, Sire, doch wenn es ihm eines Morgens einfiele, Reden zu halten, wie er dies in London gethan hat?«

»Oh! dann fände ein Verbrechen statt, und zwar ein öffentliches Verbrechen, und Sie hätten keinen geheimen Verhaftsbefehl nöthig, Sartines.«

Der Polizeilieutenant sah, daß die Verhaftung von Rousseau eine Maßregel war, bei der Ludwig XV. die königliche Verantwortlichkeit befreit wissen wollte, und bestand nicht länger darauf.

»Nun handelt es sich noch um einen andern Philosophen, Sire,« sprach Herr von Sartines.

»Abermals?« erwiederte der König müde, »wir werden also nicht mit ihnen zu Ende kommen?«

»Ach! Sire, sie sind es, die nie mit uns endigen.«

»Und von wem ist die Rede?«

»Von Herrn von Voltaire.«

»Dieser ist auch nach Frankreich zurückgekehrt?«

»Nein, Sire, doch es wäre vielleicht besser, wenn er sich hier befände, wir könnten ihn wenigstens überwachen.«

»Was hat er gethan?«

»Er thut nichts, sondern seine Parteigänger thun für ihn: es handelt sich um nichts Geringeres, als ihm eine Statue zu errichten.«

»Eine Reiterstatue?«

»Nein, Sire, und dennoch ist er ein großer Städteeroberer, dafür stehe ich.«

Ludwig XV. zuckte die Achseln.

»Sire, ich habe keinen ähnlichen seit Poliorketes gesehen,« fuhr Herr von Sartines fort; »er unterhält überall Einverständnisse , er hat überall Eingang; die ersten Ihres Königreiches sind Schmuggler, um seine Bücher einzuführen. Ich habe kürzlich acht Kisten voll mit Beschlag belegt; zwei waren unter der Adresse von Herrn von Choiseul.«

»Er ist sehr belustigend.«

»Sire, mittlerweile bemerken Sie, daß man für ihn thut, was man für die Könige thut; man votirt ihm eine Statue.«

»Man votirt den Königen keine Statuen, Sartines, sie votiren sich dieselben. Und wer ist mit diesem schönen Werke beauftragt?«

»Der Bildhauer Pigale. Er ist nach Ferny abgereist, um das Modell auszuführen. Indessen regnet es Unterschriften. Bereits sind sechstausend Thaler beisammen, und bemerken Sie wohl, Sire, nur die Gelehrten haben das Recht, zu unterzeichnen. Alle kommen mit ihrer Opfergabe; es ist eine wahre Prozession. Herr Rousseau hat selbst seine zwei Louisd’or gebracht.«

»Nun, was soll ich machen?« versetzte Ludwig XV. »Ich bin kein Gelehrter, das geht mich nichts an.«

»Sire, ich wollte die Ehre haben, Eurer Majestät den Vorschlag zu machen, diese Kundgebung kurz abzuschneiden.«

»Hüten Sie sich wohl, Sartines. Statt ihm eine Bildsäule von Bronze zu votiren, würden sie ihm eine von Gold errichten. Lassen Sie die Leute machen. Ei! mein Gott, er wird noch häßlicher sein in Bronze, als in Fleisch und Knochen.«

»Eure Majestät wünscht also, daß die Sache ihren Lauf nehme?«

»Wünscht! verständigen wir uns, Sartines, wünscht ist nicht das richtige Wort. Ich möchte gewiß gern Alles dies verhindern; aber was wollen Sie? die Sache ist unmöglich. Die Zeit ist vorüber, wo das Königthum zu dem philosophischen Geiste, wie Gott zum Weltmeer sagen konnte: ‚Du wirst nicht weiter gehen.’ Ohne Erfolg schreien, ohne zu erreichen schlagen, hieße unsere Ohnmacht zeigen. Wenden wir unsere Augen ab, Sartines, und stellen wir uns, als ob wir nichts sehen würden.«

Herr von Sartines stieß einen Seufzer aus und erwiederte:

»Sire, wenn wir die Menschen nicht bestrafen, so zerstören wir wenigstens die Werke. Hier ist eine Liste von Werken, denen nothwendig der Prozeß gemacht werden muß; denn die einen greisen den Thron an, die andern den Altar, die einen sind ein Aufruhr, die andern eine Gotteslästerung.«

Ludwig XV. nahm die Liste und las mit matter Stimme:

La Coniagion sacrée, ou Histoire naturelle de la superstition; Systeme de la nature, ou Louis du monde physique et moral; Dieu et les Hommes, Discours sur Ies miracles de Jesus-Christ, Instructions du Capucin de Raguse à frère Pediculoso partant pour la terre sainte. 24 «

Der König war noch nicht bei dem vierten Theil der Liste, und dennoch ließ er das Papier fallen; seine sonst so ruhigen Züge nahmen einen Ausdruck der Traurigkeit und Entmuthigung an.

Er blieb einige Augenblicke träumerisch, in Gedanken versunken, wie vernichtet.

»Da müßte man eine Welt erregen, Sartines,« murmelte er, »das mögen Andere versuchen.«

Sartines sah ihn mit dem Einverständniß an, das Ludwig XV. so gern bei seinen Ministern gewahrte, weil es ihm eine Arbeit des Geistes, oder eine Handlung ersparte.

»Die Ruhe, nicht wahr, Sire, die Ruhe, das ist es, was der König will?« sagte Sartines.

Der König schüttelte den Kopf von oben nach unten.

»Ei, mein Gott! ja, ich verlange nichts Anderes von Euren Philosophen, Euren Encyklopädisten, Euren Wundertätern, Euren Illuminaten, Euren Dichtern, Euren Oekonomisten, welche schreiben, krächzen, verleumden, rechnen, predigen, schreien. Man kröne sie, man errichte ihnen Statuen, man baue ihnen Tempel, aber man lasse mich in Ruhe.«

Sartines stand auf, verbeugte sich vor dem König und murmelte, während er wegging:

 

»Zum Glück steht auf unsern Münzen nicht: Domine saIvum fac regem.«

Als Ludwig XV. allein war, nahm er eine Feder und schrieb an den Dauphin:

»Sie haben mich gebeten, die Ankunft der Frau Dauphine zu beschleunigen, ich will Ihnen dieses Vergnügen machen.

»Ich gebe Befehl, in Noyon nicht anzuhalten, sie wird folglich Dienstag Morgen in Compiègne sein.

»Ich selbst werde mich dort auf den Punkt zehn Uhr, das heißt eine Viertelstunde vor ihr, einfinden.«

»Auf diese Weise,« sagte er, »werde ich von der albernen Vorstellungsangelegenheit befreit, die mich mehr quält, als Herr von Voltaire, Herr Rousseau und alle gegenwärtige und zukünftige Philosophen. Das ist dann eine Sache zwischen der armen Gräfin, dem Dauphin und der Dauphine. Meiner Treue! wir wollen den Aerger, den Haß und die Rache ein wenig auf die jungen Geister ablenken, welche die Kraft zum Kämpfen haben. Die Kinder mögen dulden lernen, das bildet die Jugend.«

Entzückt, die Schwierigkeit so beseitigt zu haben, überzeugt, es könne ihm Niemand vorwerfen, die Vorstellung, welche ganz Paris beschäftigte, sei von ihm begünstigt oder verhindert worden, stieg der König hieraus wieder in den Wagen und fuhr nach Marly, wo ihn der Hof erwartete.

23Ich habe meinen Diener verloren, ich habe mein ganzes Glück verloren.
24Die heilige Ansteckung oder Naturgeschichte des Aberglaubens; System der Natur, oder Gesetze der physischen und moralischen Welt; Gott und die Menschen, Rede über die Wunder Jesu Christi, Instructionen des Kapuziners von Ragusa an den Bruder Pediculoso bei seiner Abreise nach dem heiligen Land.