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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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»Sire,« erwiederte der Dauphin mit seiner unerschöpflichen Sanftmuth, aber auch mit seiner ewigen Beharrlichkeit, »ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, es handelt sich nicht um ihre Ehre, sondern um die Würde der Frau Dauphine, welche verletzt worden ist.«

»Monseigneur hat Recht, Sire; ein Wort aus dem Munde Eurer Majestät, und Niemand wird wieder beginnen.«

»Und wer sollte denn wieder beginnen? man hat noch nicht begonnen: Jean ist ein Tölpel, aber er ist nicht bösartig.«

»Das mag sein,« sprach Herr von Choiseul, »setzen wir das auf die Rechnung des Tölpels, und er entschuldige sich mit seiner Tölpelei bei Herrn von Taverney.«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß mich Alles dies nichts angeht,« rief Ludwig XV.; »Jean mag sich entschuldigen, das steht ihm frei; er mag sich nicht entschuldigen, das steht ihm abermals frei.«

»Wird die Sache so sich selbst überlassen, so muß sie nothwendig Lärmen machen, Sire; ich habe die Ehre, Euere Majestät hievon in Kenntniß zu setzen,« sagte Herr von Choiseul.

»Desto besser!« rief der König, »möchte sie so viel Lärmen machen, daß ich darüber taub würde, um alle Eure Albernheiten nicht mehr zu hören.«

»Euere Majestät bevollmächtigt mich also, zu veröffentlichen, Sie gebe Herrn Dubarry Recht?« versetzte Herr von Choiseul mit seiner unstörbaren Kaltblütigkeit.

»Ich!« rief Ludwig XV., »ich Jemand Recht geben in einer Angelegenheit, welche so schwarz ist wie Tinte! Man will mich offenbar auf das Aeußerste treiben. Oh! nehmen Sie sich in Acht, Herzog  . . . Louis, schonen Sie mich um Ihrer selbst willen  . . . Ich lasse Sie das, was ich Ihnen sage, überlegen, denn ich bin müde, ich bin erschöpft, ich halte es nicht mehr aus. Adieu, meine Herren, ich gehe zu meinen Töchtern und flüchte mich nach Marly, wo ich vielleicht ein wenig Ruhe haben werde, wenn Sie mir nicht überallhin folgen.«

In diesem Augenblick, und als sich der König gegen die Thüre wandte, öffnete sich diese, ein Huissier erschien auf der Schwelle und sprach:

»Sire, Ihre königliche Hoheit Madame Louise erwartet in der Gallerie den Augenblick, um vom König Abschied zu nehmen.«

»Abschied!« rief der König erstaunt, »und wohin geht sie?«

»Ihre Hoheit sagt, sie habe von Eurer Majestät die Erlaubniß erhalten, das Schloß zu verlassen.«

»Ah! abermals ein Ereigniß! Meine Bigotte macht ihre gewöhnlichen närrischen Streiche. In der That, ich bin der unglücklichste der Menschen.«

Und er lief in größter Eile ans dem Saale.

»Seine Majestät läßt uns ohne Antwort,« sagte der Herzog zum Dauphin, »was entscheidet Eure Königliche Hoheit.?«

»Ah! nun schlägt sie,« rief der junge Prinz, mit einer geheuchelten oder einer wirklichen Freude auf das Klingeln der wieder in Bewegung gesetzten Uhr horchend.

Der Minister runzelte die Stirne und entfernte sich rückwärts ans der Salle des Pendules, wo der Dauphin allein blieb.

XXVII.
Frau Louise von Frankreich

Die älteste Tochter des Königs erwartete ihren Vater in der großen Gallerie von Lebrun, derselben, wo Ludwig XIV. den Dogen Imperiali und die vier genuesischen Senatoren, welche um Verzeihung für die Republik flehten, empfangen hatte.

Am Ende dieser Gallerie, der Thüre gegenüber, durch die der König eintreten sollte, befanden sich einige Ehrendamen, die ganz bestürzt aussahen; Ludwig XV. kam in dem Augenblick, wo die Gruppen sich in dem Vestibule zu bilden anfingen; denn der Entschluß, den die Prinzessin am Morgen gefaßt zu haben schien, verbreitete sich allmälig im ganzen Palast,

Frau Louise von Frankreich, eine Prinzessin von majestätischem Wuchse und einer ganz königlichen Schönheit, dabei aber von einer unbekannten Traurigkeit, welche zuweilen ihre Stirne runzelte, Frau Louise von Frankreich, sagen wir, flößte dem ganzen Hofe durch die Uebung der strengsten Tugenden die Achtung für die großen Mächte des Staates ein, welche man seit fünfzig Jahren in Frankreich nur noch aus Interesse oder aus Furcht zu verehren wußte.

Mehr noch: in diesem Augenblick allgemeiner Abneigung des Volkes gegen seine Gebieter (man sagte noch nicht öffentlich gegen seinen Tyrannen), liebte man sie. Dies kam davon her, daß ihre Tugend nicht harter, zurückschreckender Natur war; obgleich man nie laut von Ihr gesprochen hatte, erinnerte man sich doch, daß sie ein Herz besaß. Und jeden Tag bewies sie dies durch Wohltaten, während es die Andern nur durch den Scandal offenbarten,

Ludwig XV. fürchtete seine Tochter aus dem einzigen Grunde, weil er sie schätzte. Zuweilen war er sogar stolz auf sie. Es war auch das einzige von seinen Kindern, das er mit seinen beißenden Spöttereien, oder mit seinen trivialen Vertraulichkeiten verschonte, und während er seine drei anderen Töchter, Adelaide, Victoire und Sophie, Loque, Chiffe und Graille nannte, nannte er Louise von Frankreich Madame.17

Seitdem der Marschall von Sachsen die Seele der Turenne und der Condé, und Maria Leczinska den Geist des Benehmens von Maria Theresia mit in das Grab genommen hatten, machte sich Alles klein um den verkleinerten Thron; da bildete Madame Louise, eine Frau von wahrhaft königlichem Charakter, welche vergleichungsweise heldenmüthig erschien, den Stolz des Hofes, der mitten unter seinem Rauschgold und seinen falschen Steinen nur noch diese kostbare Perle besaß.

Wir sagen deshalb nicht, Ludwig XV. habe seine Tochter geliebt, Ludwig XV. liebte bekanntlich nur sich selbst. Wir behaupten nur, daß er größere Stücke auf sie hielt, als auf die Andern.

Als er eintrat, sah er die Prinzessin allein mitten in der Gallerie, auf einen mit Blutjaspis und Lapis-lazuli incustirten Tisch gestützt.

Sie war schwarz gekleidet; ihre schönen ungepuderten Haare verbargen sich unter einem dopelten Geschoße von Spitzen; minder streng als gewöhnlich, war ihre Stirne vielleicht trauriger als in andern Stunden. Sie betrachtete nichts um sich her, nur zuweilen ließ sie ihre schwermütigen Augen über die Portraite der Könige Europa’s laufen, an deren Spitze ihre Ahnen, die Könige von Frankreich, glänzten.

Das schwarze Costume war die gewöhnliche Reisetracht der Prinzessinnen; es verbarg die langen Taschen, welche man zu jener Zeit trug, wie in den Zeiten der wirthschaftlichen Königinnen, und Madame Louise hatte an ihrem Gürtel, gehalten von einem goldenen Ringe, die zahlreichen Schlüssel ihrer Kisten und Schränke.

Der König wurde sehr nachdenkend, als er sah, mit welchem Stillschweigen und besonders mit welcher Aufmerksamkeit man den Erfolg dieser Scene erwartete.

Doch die Gallerie war so lang, daß sich die Zuschauer, an die beiden Enden gestellt, feinen Verstoß gegen die Discretion für die handelnden Personen zu Schulden kommen lassen konnten. Sie sahen, das war ihr Recht; sie hörten nichts, das war ihre Pflicht.

Die Prinzessin ging dem König einige Schritte entgegen, nahm seine Hand und küßte sie ehrfurchtsvoll.

»Man sagt, Sie wollen reisen, Madame?« fragte Ludwig XV. »Gehen Sie in die Picardie?«

»Nein, Sire,« antwortete die Prinzessin.

»Ah! ich errathe,« sprach der König, die Stimme erhebend; »Sie geben als Pilgerin nach Noirmoutiers.«

»Nein, Sire,« erwiederte Madame Louise, »ich ziehe mich in das Kloster der Carmeliterinnen von Saint-Denis zurück, dessen Aebtissin ich sein kann, wie Sie wissen.«

Der König bebte, aber sein Gesicht blieb ruhig, obgleich sein Herz wirklich erschüttert war.

»O! nein,« sagte er, »nein, meine Tochter, nicht wahr, Sie werden mich nicht verlassen? Es ist unmöglich, daß Sie mich verlassen.«

»Mein Vater, ich habe seit langer Zeit diesen Rückzug beschlossen, und Eure Majestät hat die Gnade gehabt, mich dazu zu bevollmächtigen; widerstehen Sie mir also nicht, mein Vater, ich bitte Sie darum.«

»Ja, es ist wahr, ich habe diese Vollmacht ertheilt, doch nachdem ich lange gekämpft, wie Sie wissen. Ich habe sie ertheilt, weil ich immer hoffte, im Augenblick der Abreise würde Ihnen das Herz dazu fehlen. Sie können sich nicht in einem Kloster begraben; das sind vergessene Gebräuche; man tritt nur in das Kloster in Folge von Kummer oder Täuschungen des Glückes. Die Tochter des Königs von Frankreich ist nicht arm, so viel ich weiß, und wenn sie sich unglücklich fühlt, soll es Niemand erfahren.«

Das Wort und der Geist des Königs erhoben sich immer mehr, je mehr er in der Rolle des Königs und Vaters vordrang, die ein Schauspieler nie schlecht spielt, wenn der Stolz zu dem einen Theile räth und das Bedauern den andern einflößt.

»Sire,« antwortete Louise, welche die Erschütterung ihres Vaters wahrnahm und von dieser bei dem selbstsüchtigen Ludwig XV. so seltenen Gemüthsbewegung ebenfalls tiefer gerührt wurde, als sie es durchblicken lassen wollte, »Sire,– schwächen Sie meine Seele nicht dadurch, daß Sie mir Ihre Zärtlichkeit offenbaren. Mein Kummer ist kein gewöhnlicher Kummer, deshalb steht mein Entschluß über den Gewohnheiten unseres Jahrhunderts.«

»Sie haben also Kummer?« rief der König mit einem Blitze des Gefühls, »Kummer, mein armes Kind!«

»Grausamen, ungeheuren, Sire!« antwortete Madame Louise.

»Ei! meine Tochter, warum sagten Sie mir das nicht?«

»Weil es ein Kummer ist, den eine menschliche Hand nicht zu heilen vermag.«

»Selbst nicht die eines Königs?«

»Selbst nicht die eines Königs, Sire.«

»Selbst nicht die eines Vaters?«

»Eben so wenig, Sire, nein, eben so wenig.«

»Sie sind fromm, Louise, und können Kraft in der Religion schöpfen.«

 

»Noch nicht genug, Sire, und ich ziehe mich in ein Kloster zurück, um mehr zu finden. In der Stille spricht Gott zum Herzen des Menschen; in der Einsamkeit spricht der Mensch zum Herzen Gottes.«

»Aber Sie bringen dem Herrn ein ungeheures Opfer, das nichts ausgleichen wird Der Thron Frankreichs wirft einen erhabenen Schatten auf die um ihn her erzogenen Kinder; genügt Ihnen dieser Schatten nicht?«

»Der der Zelle ist noch tiefer, mein Vater, er erquickt das Herz, er ist sanft für die Starken, wie für die Schwachen, für die Demüthigen, wie für die Stolzen, für die Großen, wie für die Kleinen.

»Glauben Sie denn irgend eine Gefahr zu laufen? Dann, Louise, ist der König da, um Sie zu beschützen.«

»Sire, Gott beschütze zuerst den König!«

»Ich wiederhole Ihnen, Louise, Sie lassen sich durch einen schlecht verstandenen Eifer irre leiten. Beten ist schön, aber nicht immer beten. Sie, die Sie so gut, so fromm sind, was brauchen Sie so viel zu beten?«

»Nie werde ich genug beten, o mein Vater! nie werde ich genug beten, o mein König! um alles Unglück abzuwenden, das über uns einbrechen wird! Die Güte, welche mir Gott verliehen hat, die Reinheit, welche ich seit zwanzig Jahren unablässig zu läutern trachte, bilden, wie ich befürchte, noch nicht das Maß von Reinheit und Unschuld, dessen das Sühnopfer bedürfen würde.«

Der König wich einen Schritt zurück, ’schaute Madame Louise erstaunt an und sagte:

»Nie haben Sie so mit mir gesprochen. Sie verwirren sich, liebes Kind, der Ascetismus richtet Sie zu Grund.«

»O, Sire! nennen Sie nicht mit diesem weltlichen Namen das wahrste und besonders das nothwendigste Opfer, das je eine Unterthanin ihrem König und eine Tochter ihrem Vater in dringender Noth dargebracht hat. Sire, Ihr Thron, dessen beschützenden Schatten Sie mir so eben stolz anboten, Ihr Thron wankt unter Stößen, die Sie noch nicht fühlen, die ich aber bereits ahne. Etwas Tiefes gräbt sich dumpf wie ein Abgrund, worein sich plötzlich die Monarchie versenken kann. Hat man Ihnen je die Wahrheit gesagt, Sire?«

Madame Louise schaute umher, um zu sehen, ob Niemand sie zu hören vermöchte, und als sie bemerkte, daß Jedermann weit genug entfernt war, fuhr sie fort:

»Nun wohl! ich kenne sie, ich, die ich unter dem Gewande einer barmherzigen Schwester zwanzigmal die düsteren Gassen, die ausgehungerten Mansarden, die Kreuzwege voll Seufzer besucht habe. In diesen Gassen, auf diesen Kreuzwegen, in diesen Mansarden, Sire, stirbt man vor Hunger und Kälte im Winter, vor Durst und Hitze im Sommer. Die Felder, die Sie nicht sehen, Sire, denn Sie fahren nur von Versailles nach Marly und von Marly nach Versailles, die Felder haben kein Korn mehr, ich sage nicht, um das Volk zu ernähren, sondern um die Furchen einzusäen, welche, verflucht durch irgend eine feindliche Macht, verschlingen und nicht zurückgeben. Alle diese Leute, denen es an Brod gebricht, murren dumpf, denn unbestimmte, unbekannte Gerüchte ziehen durch die Lust in der Abenddämmerung, in der Nacht, und sprechen ihnen von Eisen, von Ketten, von Tyranneien, und bei diesen Worten erwachen sie, hören sie auf, sich zu beklagen, und fangen an zu murren. Die Parlamente verlangen ihrerseits das Recht der Vorstellung, das heißt, das Recht, Ihnen ganz laut zu sagen, was sie leise sprechen: ‚König, Du richtest uns zu Grund! rette uns, oder wir retten uns allein.’ Die Kriegsleute graben mit ihrem unnützen Degen eine Erde aus, worin die Freiheit keimt, welche die Encyklopädisten mit vollen Händen hineingeworfen haben. Die Schriftsteller wissen, was wir Böses thun, zu gleicher Zeit, wo wir es thun, und theilen es dem Volk mit, das jetzt die Stirne. runzelt, so oft es seine Gebieter vorübergehen sieht. Eure Majestät verheirathet – ihren Sohn! Als einst die Königin Anna von Oesterreich den ihrigen verheirathete, machte Paris der Prinzessin Maria Theresia Geschenke. Heute schweigt nicht nur im Gegentheil die Stadt, bietet die Stadt nicht nur nichts an, sondern Eure Majestät hat die Steuern erzwingen müssen, um die Carrossen zu bezahlen, mit denen man eine Tochter von Cäsar zu einem Sohn des heiligen Ludwig führt. Die Geistlichkeit ist seit langer Zeit gewohnt, nicht mehr zu Gott zu beten, aber sie fühlt, daß die Ländereien verschenkt, die Privilegien erschöpft, die Kassen geleert sind, und fängt wieder an, Gott um das zu bitten, was sie das Glück des Volkes nennt!

Soll ich Ihnen endlich sagen, Sire, was Sie wohl wissen, was Sie mit so viel Bitterkeit wahrgenommen, daß Sie mit Niemand davon sprachen? Die Könige, unsere Brüder, die uns einst beneideten, die Könige, unsere Brüder, wenden sich von uns ab. Ihre vier Töchter, Sire, die Töchter des Königs von Frankreich, Ihre vier Töchter sind unverheirathet geblieben, und es gibt zwanzig Prinzen in Deutschland, drei in England, sechzehn in den Staaten des Norden, ohne unsere Verwandten, die Bourbonen von Spanien und Neapel zu zählen, die uns vergessen oder sich von uns abwenden, wie die Anderen. Vielleicht hätte uns der Türke gewollt, wären wir nicht die Töchter des allerchristlichsten Königs gewesen. Oh! ich spreche nicht für mich, mein Vater, mein Stand ist ein glücklicher Stand, denn ich bin frei, denn ich bin Niemand von meiner Familie nöthig, denn ich kann in der Zurückgezogenheit, in der Beschauung, in der Armuth zu Gott beten, daß er von Ihrem Haupte und von dem meines Neffen den furchtbaren Sturm ablenke, den ich in der Ferne am Himmel der Zukunft aufziehen sehe.«

»Meine Tochter, mein Kind,« entgegnete der König, »Deine Befürchtungen machen Dir diese Zukunft schlimmer als sie ist.«

»Sire, Sire,« sprach Madame Louise, »erinnern Sie sich der Fürstin des Alterthums, der königlichen Prophetin; sie weissagte wie ich ihrem Vater und ihren Brüdern den Krieg, die Zerstörung durch Feuer und Schwert; und ihr Vater und ihre Brüder lachten über ihre Weissagungen und nannten sie wahnsinnig. Seien Sie auf Ihrer Hut, o mein Vater! bedenken Sie, o mein König!«

Ludwig XV. kreuzte seine Arme, ließ sein Haupt auf seine Brust sinken und erwiederte:

»Meine Tochter, Sie sprechen streng mit mir, das Unglück, das Sie mir vorwerfen, ist es denn mein Werk?«

»Gott verhüte, daß ich dies denke, doch es ist das der Zeit, in der wir leben; Sie werden fortgerissen, wie wir Alle. Hören Sie, Sire, wie man auf den Parterren Beifall klatscht bei der geringsten Anspielung gegen das Königthum; sehen Sie, wie die freudigen Gruppen am Abend mit großem Geräusch die kleinen Treppen der Entresols herabsteigen, während die große Marmortreppe düster und öde ist. Sire, das Volk und die Höflinge haben sich besondere, von den unserigen getrennte Vergnügungen gemacht; sie belustigen sich ohne uns, oder vielmehr. wenn wir erscheinen, wo sie sich belustigen, machen wir sie traurig. »Ach!« fuhr die Prinzessin mit einer anbetungswürdigen Schwermuth fort, »ach! arme, schöne junge Leute! arme reizende Frauen! liebt! singt! vergeßt! seid glücklich! Ich war Euch hier lästig, während ich Euch dort dienen werde. Hier unterdrücktet Ihr Euer freudiges Gelächter, aus Furcht, mir zu mißfallen; dort, dort werde ich beten, oh! ich werde beten von ganzem Herzen für den König, für meine Schwestern, für meine Neffen, für das Volk von Frankreich, für Euch Alle endlich, die ich liebe, mit der Kraft eines Herzens, das noch keine Leidenschaft geschwächt hat.«

»Meine Tochter,« sprach der König, nach einem düstern Stillschweigen, »ich flehe Sie an, verlassen Sie mich nicht, wenigstens nicht in diesem Augenblick; Sie haben mein Herz gebrochen.«

Louise von Frankreich ergriff die Hand ihres Vaters, heftete voll Liebe ihre Augen auf das edle Antlitz von Ludwig XV. und sprach:

»Nein, nein, mein Vater, nicht eine Stunde mehr in diesem Palast. Nein, es ist Zeit, daß ich bete. Ich fühle die Kraft in mir, durch meine Thränen alle Vergnügungen zu sühnen, nach denen Sie trachten, Sie, der Sie noch so jung sind, Sie, der Sie ein guter Vater sind, der Sie zu vergeben wissen.«

»Bleibe bei uns, Louise, bleibe bei uns,« sprach der König, und schloß seine Tochter in seine Arme.

»Die Prinzessin schüttelte den Kopf, machte sich aus der königlichen Umarmung los, und erwiederte traurig:

»Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Leben Sie wohl, mein Vater, Ich habe beute Dinge gesagt, die mein Herz seit zehn Jahren belasteten. Die Bürde erdrückte mich, Leben Sie wohl; ich bin zufrieden. Sehen Sie: ich lächle, ich bin seit heute erst glücklich.– Ich beklage nichts.«

»Nicht einmal die Trennung von mir, meine Tochter?«

»Oh! sie würde mir Kummer machen, wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte; doch Sie werden zuweilen nach Saint-Denis kommen; Sie werden mich nicht gänzlich vergessen.«

»Oh! nie! nie!«

»Lassen Sie sich nicht erschüttern, Sire, Man soll nicht denken, diese Trennung sei von Dauer. Meine Schwestern wissen, wenigstens wie ich glaube, noch nichts; meine Frauen allein sind in das Vertrauen gezogen. Seil acht Tagen treffe ich alle Anstalten und es ist mein innigster Wunsch, daß der Lärm meiner Abreise erst nach dem der schweren Pforten von Saint-Denis ertöne. Dieser letztere Lärm wird mich verhindern, den andern zu hören.«

Der König las in den Augen seiner Tochter, daß ihr Vorhaben unerschütterlich war. Es war ihm ohnedies lieber, daß sie ohne Geräusch abreiste. Wenn Madame Louise den Ausbruch des Schluchzens für ihren Entschluß befürchtete, so befürchtete ihn der König noch viel mehr für seine Nerven.

Dann wollte er nach Marly gehen, und zu viel Schmerz in Versailles hätte nothwendig die Reise verzögert.

Endlich bedachte er, daß er, eine zugleich des Königs und des Vaters unwürdige Orgie verlassend, nicht mehr dem ernsten, traurigen Gesichte begegnen würde, welches ihm wie ein Vorwurf über das sorglose, träge Leben, das er führte, erschien.

»Es geschehe nach Deinem Willen, mein Kind,« sagte er; »empfange den Segen Deines Vaters, den Du stets vollkommen glücklich gemacht hast.«

»Nur Ihre Hand, daß ich sie küsse, Sire, und geben Sie mir im Geiste diesen kostbaren Segen.«

Für diejenigen, welche von ihrem Entschluß unterrichtet waren, bot sie ein großartiges, feierliches Schauspiel, diese Prinzessin, welche mit jedem Schritte, den sie that, ihren Ahnen näher rückte, die aus der Tiefe ihrer goldenen Särge ihr zu danken schienen, daß sie lebendig kam, um sie in ihren Gräbern aufzusuchen.

An der Thüre grüßte der König seine Tochter, und wandte sich dann um, ohne ein Wort zu sagen.

Der Hof folgte ihm, der Etiquette gemäß.

XXVIII.
Loque, Chiffe und Graille

Der König wandte sich nach dem Cabinet der Equipagen, wo er vor der Jagd oder der Spazierfahrt einige Augenblicke zuzubringen pflegte, um besondere Befehle den Leuten vom Dienst zu geben, deren er für den Rest des Tages bedurfte.

Am Ende der Gallerie grüßte er die Höflinge und bedeutete ihnen durch ein Zeichen, daß er allein sein wolle.

Als Ludwig XV. allein war, setzte er seinen Weg durch einen Corridor fort, auf welchen die Gemächer der Prinzessinnen gingen. Vor der durch eine Tapete verschlossenen Thüre, angelangt, blieb er einen Augenblick stehen, schüttelte den Kopf und brummte durch die Zähne:

»Es war nur Eine von ihnen gut, und diese ist abgereist.«

Ein Ausbruch von Stimmen antwortete auf dieses für die Uebrigen ziemlich unhöfliche Axiom. Die Tapete wurde aufgehoben und Ludwig XV. mit den Worten:

»Ich danke, mein Vater!« begrüßt, die im Chor ein wüthendes Trio an ihn richtete.

Der König befand sich mitten unter seinen drei andern Töchtern.

»Ah! Du bist es, Loque,« sagte er, sich an die älteste von den dreien, nämlich an Madame Adelaide wendend. »Ah, meiner Treue! desto schlimmer, ärgere Dich, oder ärgere Dich nicht, ich habe die Wahrheit gesprochen.«

»Oh!« versetzte Madame Victoire, »Sie haben uns nichts Neues gelehrt, Sire, wir wissen, daß Sie Louise stets vorgezogen«

»Meiner Treue! Du hast eine große Wahrheit gesagt, Chiffe.«

»Und warum uns Louise vorziehen?« fragte mit einem spitzigen Tone Madame Sophie.

»Weil mich Louise nicht quält,« antwortete er mit jener Zutraulichkeit, von der Ludwig XV. in seinen selbstsüchtigen Augenblicken einen so vollkommenen Typus bot.

»Oh! sie wird Sie quälen, seien Sie unbesorgt, mein Vater,« sprach Madame Sophie mit einem scharfen Tone, der die Aufmerksamkeit des Königs besonders auf sie lenkte.

»Was weißt Du davon, Graille?« entgegnete er. »Hat Dich Louise bei ihrer Abreise in’s Vertrauen gezogen? Das sollte mich wundern-, denn sie liebte Dich nicht besonders.«

»Ah! meiner Treue! jedenfalls gebe ich es ihr zurück.« antwortete Madame Sophie.

»Sehr gut!’ sagte Ludwig XV., »haßt Euch, verabscheut Euch, zerreißt Euch, das ist Eure Sache; wenn Ihr nur mich nicht in Anspruch nehmt, daß ich die Ordnung im Reiche der Amazonen wiederherstelle, ist es mir gleichgültig. Doch ich wünsche zu wissen, in welcher Hinsicht die arme Louise mich quälen soll?«

 

»Die arme Louise!« erwiederten gleichzeitig Madame Victoire und Madame Adelaide, indem sie ihre Lippen auf zwei verschiedenen Arten verlängerten.

»In welcher Hinsicht Louise Sie quälen soll? Nun, Ich will es Ihnen sagen, mein Vater.«

Ludwig streckte sich in einem großen Lehmstuhle aus, der neben der Thüre stand, so daß der Rückzug immer etwas Leichtes für ihn blieb.

»Weil Madame Louise ein wenig von dem Dämon geplagt wird, der die Aebtissin von Chelles in Bewegung setzte,« antwortete Sophie, »und weil sie sich in das Kloster zurückzieht, um Experimente zu machen.«

»Stille, stille,« sagte Ludwig XV., »ich bitte, keine Zweideutigkeiten über die Tugend Ihrer Schwester; man bat außen, wo man doch sehr viel sagt, nie etwas über sie gesagt. Fangen Sie nicht an.«

»Ich?«

»Ja Sie.«

»Oh! ich sage nichts von ihrer Tugend,« entgegnete Madame Sophie, verletzt durch die besondere Betonung, mit der ihr Vater das Wort Sie aussprach, und durch seine absichtliche Wiederholung; »ich sage nur, sie werde Experimente machen, und weiter nichts.«

»Nun! wenn sie Chemie treiben, wenn sie sich im Fechten üben und Röllchen für Lehnstühle machen, wenn sie Flöte blasen, wenn sie Tambourin schlagen. wenn sie Claviere zertrümmern, oder auf der Violine kratzen würde, welches Unglück könnten Sie darin sehen?«

»Ich sage, sie wird Politik treiben.«

Ludwig XV. bebte.

»Die Philosophie, die Theologie studiren, und die Commentare über die Bulle Unigenitus fortsetzen, so daß wir, zwischen ihre Regierungstheorien, ihre metaphyschen Systeme und ihre Theologie genommen, als die Unnützen der Familie erscheinen werden  . . . wir  . . .«

»Welches Uebel seht Ihr hierin, wenn das Eure Schwester in das Paradies führt?« versetzte Ludwig XV., ziemlich betroffen über den Zusammenhang zwischen der Anklage von Graille und der politischen Diatribe, durch die ihn Madame Louise bei ihrem Abgang erwärmt hatte. »Beneidet Ihr ihre Gottseligkeit? Das wäre die Sache von sehr schlechten Christinnen.«

»Ah! Meiner Treue, nein,« sagte Madame Victoire, »ich lasse sie gehen, wohin sie geben will, nur folge ich ihr nicht.«

»Ich auch nicht,« fügte Madame Sophie bei.

»Uebrigens haßte sie uns,« rief Madame Victoire.

»Euch?« versetzte Ludwig XV.

»Ja, uns, uns,« antworteten die zwei andern Schwestern,

»Ihr werdet sehen, daß diese arme Louise nur das Paradies gewählt hat, um nicht mit ihrer Familie zusammenzukommen,« erwiederte Ludwig XV.

Dieser Einfall machte die drei Schwestern nur in geringem Maße lachen, Madame Adelaide, die älteste von den Dreien raffte ihre ganze Logik zusammen, um dem König einen schärferen Streich beizubringen, als die, welche an, seinem Panzer abgeglitscht waren.

»Meine Damen,« sagte sie mit dem gekniffenen Tone, der ihr eigenthümlich war, wenn sie aus der Indolenz heraustrat, wegen der sie von ihrem Vater den Namen Loque erhalten hatte, »meine Damen, Sie wollten oder wagten es nicht, dem König die wahre Ursache der Abreise von Madame Louise zu sagen.«

»Gut! abermals eine Anschwärzung,« sprach der König. »Vorwärts, Loque, vorwärts!

»Oh! Sire,« erwiederte diese, »ich weiß wohl, daß ich Sie ein wenig ärgern werde.«

»Sagen Sie, Sie hoffen es, das ist richtiger.«

Madame Adelaide biß sich auf die Lippen.

»Doch ich werde die Wahrheit sagen,« fügte sie bei.

»Gut! das verspricht etwas. Die Wahrheit! hüten Sie sich doch, solche Dinge zu sagen. Spreche ich je die Wahrheit? Ei seht, ich befinde mich darum, Gott sei Dank, nicht schlimmer,« versetzte Ludwig XV. und zuckte die Achseln.

»Sprich doch, meine Schwester, sprich,« sagten gleichzeitig die zwei andern Prinzessinnen, ungeduldig, den Grund zu erfahren, der den König so sehr verletzen sollte.

»Gute Herzchen,« brummte Ludwig XV., »seht doch, wie sie ihren Vater lieben!«

Und er tröstete sich durch den Gedanken, daß er es ihnen zurückgab.

»Was unsere Schwester Louise am meisten auf der Welt befürchtete, sie, die so viel auf die Etiquette hielt,« fuhr Madame Adelaide fort, »das war  . . .«

»Das war . . .?« wiederholte Ludwig XV., »vollenden Sie doch wenigstens, da Sie einmal angefangen haben.«

»Nun, Sire, es war das Eindringen neuer Gesichter.«

»Das Eindringen, sagen Sie?« entgegnete der König, unzufrieden über diesen Ansang, weil er zum Voraus fühlte, wohin gezielt war, »das Eindringen! gibt es Eindringlinge bei mir? Zwingt man mich, zu empfangen, wen ich nicht sehen will?«

Dies hieß auf eine ziemlich geschickte Art den Sinn des Gespräches völlig verändern.

Doch Madame Adelaide war ein zu feiner Spürhund, um sich so abbringen zu lassen, wenn sie einmal auf der Fährte irgend einer guten Bosheit war.

»Ich habe mich schlecht ausgedrückt, Sire,« versetzte sie, »ich habe mich schlecht ausgedrückt, und das ist nicht das geeignete Wort. Statt Eindringen hätte ich Einführen sagen sollen.«

»Ah! ah!« rief der König, »das ist schon eine Verbesserung, das andere Wort war mir lästig, ich muß es gestehen; Einführen liebe ich mehr.«

»Und dennoch glaube ich, Sire, daß es immer noch nicht das wahre Wort ist,« fuhr Madame Adelaide fort.

»Welches ist es denn?«

»Vorstellung.«

»Ah! ja,« sagten die andern Schwestern, sich mit der ältesten vereinigend, »ich glaube diesmal ist es getroffen.«

Der König biß sich auf die Lippen.

»Ah! Ihr glaubt!« versetzte er.

»Ja,« antwortete Madame Adelaide. »Ich sage also, meine Schwester habe ungemein die neuen Vorstellungen befürchtet.«

»Nun!« machte der König, der rasch zu Ende zu kommen wünschte, »hernach?«

»Nun! mein Vater, sie wird folglich bange gehabt haben, die Frau Gräfin Dubarry an den Hof kommen zu sehen.«

»Vorwärts,« rief der König mit einem unwiderstehlichen Ergusse des Aergers, »vorwärts, sagen Sie das Wort und drehen Sie sich nicht so lange um dasselbe, Cordieu! wie halten Sie mich hin, Frau Wahrheit.«

»Sire,« erwiederte Madame Adelaide, »wenn ich so lange zögerte, Eurer Majestät zu sagen, was ich nun gesagt habe, so geschah es ans Achtung, und Ihr Befehl allein konnte mir den Mund über einen solchen Gegenstand öffnen.«

» ‚Ach! ja! Sie halten ihn geschlossen, Ihren Mund, Sie gähnen nicht, Sie sprechen nicht, Sie beißen nicht!«

»Es ist darum nicht minder richtig, Sire, daß ich den wahren Beweggrund des Rückzuges meiner Schwester gefunden zu haben glaube,« fuhr Madame Adelaide fort.

»Ihr täuscht Euch.«

»Oh! Sire,« wiederholten gleichzeitig und den Kopf von oben nach unten schüttelnd Madame Victoire und Madame Sophie; »oh! Sire, wir sind unserer Sache gewiß.«

»Potz tausend!« unterbrach sie Ludwig XV.. »nicht mehr und nicht minder als ein Vater von Molière. Ah! ah! man verbindet sich zu derselben Meinung, wie ich sehe. Ich habe eine Verschwörung in meiner Familie, wie mir scheint. Deshalb also konnte diese Vorstellung nicht stattfinden, deshalb sind die Damen nicht zu Hause, wenn man ihnen Besuch machen will, deshalb geben sie keine Antwort auf Gesuche, auf Audienzbitten.«

»Auf welche Gesuche, auf welche Audienzbitten?« fragte Madame Adelaide.

»Ei, Sie wissen es wohl: auf die Bittschriften von Mademoiselle Jeanne Vaubernier.« sagte Madame Sophie.

»Nein, auf die Audienzbitten von Mademoiselle Lange,« versetzte Madame Victoire.

Der König stand wüthend auf; sein sonst so sanftes Auge schleuderte einen für die drei Schwestern nicht sehr beruhigenden Blitz, und da sich in dem königlichen Trio keine Heldin fand, welche im Stande war, den väterlichen Zorn auszuhalten, so beugten alle drei die Stirne unter dem Sturm.

»Auf diese Art benehmt Ihr Euch, um mir zu beweisen, daß ich mich täuschte, wenn ich sagte, die beste von den vier Schwestern sei abgereist,« rief der König.

»Sire,« sprach Madame Adelaide, »Eure Majestät behandelt uns schlecht, schlechter als ihre Hunde.«

»Ich glaube es wohl, meine Hunde liebkosen mich, wenn ich komme, meine Hunde sind wahre Freunde. Lebt wohl, meine Damen. Ich will Charlotte, Belle-Fille und Gredinet besuchen. Arme Thiere, ja, ich liebe sie, und ich liebe sie besonders, weil sie das Gute haben, daß sie nicht die Wahrheit bellen.«

Der König entfernte sich wüthend, aber er hatte nicht vier Schritte im Vorzimmer gemacht, als er seine drei Töchter im Chor singen hörte:

17Loque Fetzen, Chiffe ein dünner, schlechter Zeug, Graille Krähe