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John Davys Abenteuer eines Midshipman

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Ich nahm Abschied von dem Doktor Butler und von allen meinen Mitschülern, mit denen ich übrigens keine große Freundschaft geschlossen hatte. Mein einziger vertrauter Freund war Robert Peel gewesen, und er hatte schon vor einem Jahre die Universität Oxford bezogen.

In Williamhouse fing ich meine gewohnten Uebungen wieder an; aber jetzt schienen meine Eltern keinen Gefallen mehr daran zu finden, und selbst Tom, obschon daran theilnehmend, schien etwas von seiner heitern Laune verloren zu haben. Ich wußte mir’s nicht zu erklären, ich war ebenfalls niedergeschlagen, ohne zu wissen warum. Eines Morgens endlich, als wir beim Thee saßen, brachte George einen Brief mit einem großen rothen Siegel. Meine Mutter stellte die Tasse, welche sie eben zum Munde führte, auf den Tisch. Mein Vater nahm das Schreiben und betrachtete es eine Weile, ohne es zu erbrechen.

»Da nimm,« sagte er und reichte es mir; »es geht Dich an.«

Ich erbrach das Siegel und fand meine Ernennung zum Midshipman am Bord des Kriegsschiffes »Trident«, Capitän Stanbow auf der Rhede von Plymonth vor Anker liegend.

Der von mir so sehnlich herbeigewünschte Tag war gekommen; aber als sich meine Mutter abwendete, um ihre Thränen zu verbergen , als mein Vater das »Rule Britannia« pfiff, um seine Fassung zu bewahren, als sogar Tom mit unsicherer Stimme zu mir sagte: »Jetzt haben wir’s erreicht, Herr Offizier!« – da fühlte ich mich so tief ergriffen, daß ich den Brief fallen ließ, meiner Mutter zu Füßen fiel und weinend ihre Hand küßte.

Mein Vater nahm die Depesche auf und las sie drei- bis viermal, um diesen ersten Gefühlserguß vorübergehen zu lassen. Er selbst bekämpfte seine zärtlichen Gefühle, um sich nicht schwach zu zeigen. Endlich stand er auf, räusperte sich, schüttelte den Kopf und ging einige Male im Zimmer auf und ab.

»John,« sagte er dann, vor mir stehen bleibend, »sei ein Mann!«

Meine Mutter schlang die Arme um meinen Hals, als hätte sie sich stillschweigend dieser Trennung widersetzen wollen, und ich blieb in meiner knieenden Stellung. Eine kurze Pause folgte; dann ließen mich die zärtlichen Arme los und ich stand auf.

»Wann muß er abreisen?« fragte meine Mutter.

»Er muß den 30. September am Bord sein und es ist heute der achtzehnte. Er kann noch sechs Tage hier bleiben: am vierundzwanzigsten reisen wir ab.«

»Kann ich mitreisen ?« fragte meine Mutter schüchtern.

»Ja, das versteht sich,« sagte ich. »Wir wollen uns so spät wie möglich trennen.«

»Ich danke Dir, lieber John!« sagte meine Mutter zärtlich.

»Ich danke Dir, mein Sohn – durch dieses einzige Wort hast Du mich für Alles belohnt, was ich um deinetwillen gelitten habe.«

An dem festgesetzten Tage reiste ich mit meinen Eltern und Tom ab.

VIII

Da mein Vater, um die Abreise möglichst lange aufzuschieben, nur sechs Tage für die Fahrt nach Plymouth gelassen hatte, so ließen wir London links liegen und nahmen unsern Weg durch die Grafschaften Warwick, Glocester und Sommerset. Am Morgen des fünften Tages kamen wir nach Devonshire, und Nachmittags gegen fünf Uhr befanden wir uns am Fuße des Berges Edgecombe, der die Bucht von Plymouth auf der Westseite begrenzt. Wir waren am Ziel unserer Reife. Mein Vater lud uns ein auszusteigen, nannte dem Kutscher den Gasthof, wo er einkehren wollte, und während der Wagen auf der Landstraße weiter fuhr, stiegen wir einen auf den Bergrücken führenden Seitenpfad hinan. Ich hatte meiner Mutter den Arm gegeben, mein Vater wurde von Tom geführt. Ich ging langsam den ziemlich steilen Pfad hinan; die Betrübniß meiner Mutter hatte auch mir das Herz schwer gemacht. Mein Blick war auf einen oben stehenden verfallenen Thurm gerichtet – da sah ich zufällig auf die Seite – ein Schrei der Ueberraschung und Bewunderung entfuhr mir – das Meer war vor mir!

Der Ocean, das Bild des Unermeßlichen, Unendlichen; der ewig klare, unzerbrechliche Spiegel, die unzerstörbare Fläche, welche seit der Erschaffung der Welt gleich geblieben ist; während die Erde, wie ein Mensch alternd, abwechselnd mit Getöse und Schweigen, mit blühenden Fluren und Wüsten, mit Städten und Trümmern bedeckt ist; der Ocean, den ich zum ersten Male sah, zeigte sich mir im günstigsten Lichte, in der Glut der untergehenden Sonne. Ich stand eine Weile sprachlos vor Erstaunen; endlich gewann ich so viel Fassung, daß ich die Einzelheiten des großartigen Bildes betrachten konnte.

Das Meer schien von der Stelle, wo wir waren, ruhig und spiegelglatt zu sein, aber eine breite Einfassung von Schaum, die sich an der Küste hob und senkte, verrieth das immerwährende kräftige Athmen des alten Oceans. Vor uns war die von zwei Vorgebirgen gebildete Bucht; etwas weiter links die kleine Insel St. Nicolas; zu unseren Füßen die Stadt Plymouth mit ihren Tausenden von Maßen, die einem entlaubten Walde ähnlich waren, mit ihren zahlreichen, theils vor Anker liegenden, theils aus- oder einlaufenden Schiffen und ihrem verworrenen Getöse, welches der frische Seewind zu uns emportrug.

Meine Eltern und Tom waren ebenfalls stehen geblieben ; auf jedem Gesicht waren die verschiedenen Eindrücke zu lesen, den dieses großartige Bild auf das Gemüth machte. Mein Vater und Tom freuten sich, einen alten lieben Freund wiederzusehen ; meine Mutter erschrak, wie vor dem Anblick eines Feindes. Nach einigen der Betrachtung gewidmeten Minuten suchte mein Vater mitten im Hafen das Schiff, auf welchem ich meine erste Seereise machen sollte, und mit dem geübten Seemannsauge fand er den »Trident« heraus, wie der Hirt ein Schaf aus seiner Heerde herausfindet, das stattliche Kriegsschiff, welches vierundsiebzig Kanonen führte, wiegte sich stolz auf seinem Anker und zeigte seine dreifache Stückpfortenreihe; am Hauptmast wehte die königliche Flagge.

Capitän Stanbow, der Commandant des Schiffs, war ein alter Waffenbruder meines Vaters. Als wir uns daher den folgenden Tag an Bord des »Trident« begaben, wurde Sir Edward nicht nur als Freund, sondern sogar mit den einem Vorgesetzten gebührenden Ehren empfangen. Sir Edward war, wie schon erwähnt, bei seinem Scheiden aus dem activen Dienst zum Contre-Admiral ernannt worden; Capitän Stanbow behielt meine Eltern und mich zu Tisch; Tom wurde von den Matrosen, in deren Gesellschaft er durchaus speisen wollte, festlich bewirthet, denn der Capitän ließ ihnen doppelte Rationen Wein und Rum verabreichen. Meine Ankunft am Bord des »Trident« gab also Anlaß zu einer Festlichkeit, deren Erinnerung in allen Herzen blieb. Ich war, wie ein alter Römer, unter glücklichen Auspicien eingezogen.

Der Capitän, durch die Thränen meiner Mutter gerührt, erlaubte mir die Nacht noch bei meinen Eltern zu bleiben, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich am andern Morgen um zehn Uhr am Bord sein müsse. Unter solchen Umständen ist jede Stunde kostbar. Meine Mutter dankte dem Capitän so innig, als ob ihr jede Minute einen Edelstein eingetragen hätte.

Am andern Morgen um neun Uhr begaben wir uns an den Hafen. Das Boot des »Trident« erwartete mich, denn der neue Gouverneur, den wir nach Gibraltar bringen sollten, war in der Nacht angekommen und die mitgebrachten Depeschen enthielten den Befehl, am 1. October unter Segel zu gehen. Die Scheidestunde hatte geschlagen, und doch bewahrte meine Mutter mehr Fassung, als wir erwartet hatten. Mein Vater und Tom versuchten anfangs heldenmüthig zu scheiden; aber beim Abschiede wurden sie doch von ihren Gefühlen überwältigt, und die beiden eisernen Männer, die vielleicht nie Thränen vergossen hatten, weinten wie Kinder. Ich sah wohl, daß ich diesem Auftritt ein Ende machen mußte ; ich drückte meine theure Mutter noch einmal an mein Herz und sprang in das Boot, welches sogleich vorn Ufer abstieß und rasch auf das Schiff zu fuhr.

Die Gruppe, welche ich verlassen hatte, blieb am Hafen stehen und schaute mir nach, bis ich an Bord gestiegen war. Auf dem Verdeck winkte ich noch ein letztes Lebewohl zurück; meine Mutter antwortete mir mit dein Schnupftuch, und ich begab mich zu dem Capitän, der mir sagen ließ, daß er mich zu sprechen wünsche.

Ich fand ihn in seiner Cajüte mit dem zweiten Lieutenant. Vor ihm lag eine Karte der Umgebungen von Plymouth, auf welcher die Dörfer und Wege, sogar die kleinen Gehölze und einzelnen Häuser sehr genau angegeben waren. Als ich eintrat, schaute er auf und erkannte mich.

»Ah! Sie sind’s?« sagte er freundlich; »ich habe Sie erwartet.«

»Bist ich so glücklich, Capitän, Ihnen schon am Tage meiner Ankunft nützlich sein zu können? Das wäre für mich eine unerwartete Freude, für die ich dem Himmel danke.«

»Vielleicht,« erwiederte der Capitän; »kommen Sie her und sehen Sie.«

Ich trat an den Tisch und warf einen Blick aus die Karte.

»Sehen Sie dieses Dorf?« fragte er.

»Walsmouth?« sagte ich.

»Ja Was glauben Sie, wie weit es von der Küste entfernt ist?«

»Nach dem Maßstabe zu urtheilen, etwa acht Miles.«

»Ganz recht. Kennen Sie das Dorf?«

»Nein, ich habe den Namen nicht einmal gehört.«

»Würden Sie aber mit Hilfe der topographischen Erläuterungen den Weg von der Stadt nach diesem Dorfe finden?«

»O ja.«

»Gut. Halten Sie sich bereit. Um sechs Uhr wird Ihnen Mr. Burke das Uebrige sagen.«

»Sehr wohl, Capitän.«

Ich salutirte und ging wieder aus das Verdeck. Mein erster Blick fiel auf die Stelle des Hafens, wo ich meine theilten Eltern gelassen hatte, aber ich sah sie nicht mehr. Es war also geschehen! ich ließ einen Abschnitt meines Lebens hinter mir zurück. Dieser Lebensabschnitt war eine schöne Wanderung über grüne Auen, im milden Sonnenschein des Frühlings gewesen, die Liebe meiner Theueren hatte mich auf jedem Schritte begleitet. Ich stand nun am Anfange eines rauhen, mühsam zu ersteigenden Pfades.

Während ich, an den Besanmast gelehnt, traurig zum Ufer hinblickte, fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter. Es war einer meiner künftigen Cameraden, ein Jüngling von sechzehn bis siebzehn Jahren, der schon drei Jahre gedient hatte. Ich salutirte, und er erwiederte meinen Gruß mit der unter den englischen Seeoffizieren üblichen Höflichkeit.

 

Dann sagte er mit einem Anfluge von Ironie:

»Mister Davys, der Capitän hat mich beauftragt, Ihnen von der Bramstange des Hauptmastes bis zur Pulverkammer die Honours zu machen. Da Sie aller Wahrscheinlichkeit nach einige Jahre am Bord des »Trident« zubringen werden, so wird es Ihnen nicht unlieb sein, seine nähere Bekanntschaft zu machen.«

»Ich werde diesen Besuch in Ihrer Gesellschaft mit Vergnügen machen, obschon ich vermuthe, daß der »Trident« wie alle Kriegsschiffe von Kanonen ist, und ich hoffe lange Ihr Camerad zu bleiben. Sie kennen meinen Namen; darf ich fragen, wem ich für meine erste Lection zu danken habe?«

»Ich heiße James Bulwer; ich kam vor drei Jahren aus der Marineschule zu London und habe seit dem zwei Reisen gemacht, nach dem Nordcap und nach Calcutta. Sie kommen wahrscheinlich auch aus einer Vorbereitungsschule?«

»Nein,« antwortete ich; »ich war bis jetzt im College zu Harrow-on-the-Hill, und sah vorgestern zum ersten Male das Meer.«

James lächelte.

»Dann,« setzte er hinzu, »fürchte ich nicht Sie zu langweilen; die Gegenstände, welche Sie sehen werden, sind Ihnen gewiß neu und werden Ihr Interesse erregen.«

Ich antwortete mit einer leichten Verbeugung und folgte meinem Cicerone, der mit mir die Treppe am Besanmast hinunter stieg und mich auf das zweite Verdeck führte.

Er zeigte mir den zwanzig Fuß langen Speisesaal, der durch eine nöthigenfalls abzunehmende Scheidewand von der Cajüte getrennt war. Unsere sechs Schlafcabinte waren ebenfalls eingerichtet, daß sie bei einem bevorstehenden Gefecht verschwinden konnten. Vor der großen Cajüte fanden wir den Wachposten, die Küche und Speisekammern u.s.w. Auf jeder Seite, am Steuerbord und Backbord, war eine prächtige Batterie von dreißig Achtzehnpfüdern aufgepflanzt.

Von dem zweiten Verdeck gingen wir zu dem ersten hinunter, welches wir mit gleicher Aufmerksamkeit in Augenschein nahmen. Hier fanden wir die Pulverkammer, die Cajüten des Schreibers, des Geschützmeisters, des Arztes, des Geistlichen und alle Hängematten der Matrosen. Vor den Stückpforten waren achtundzwanzig Kanonen von größerem Caliber aufgepflanzt; es waren Achtunddreißigpfünder, ans Laffeten ruhend und mit Zugwinden und nöthigem Zubehör versehen. Von da gingen wir zum untersten Verdeck hinab. Zuerst machten wir die Runde um die Gallerien, welche angebracht sind, damit man sehen kann, ob während des Gefechtes eine Kanonenkugel unter der Wasserlinie in das Schiff schlägt; dann besuchten wir die Proviantmagazine, sowie die Kammern, wo Taue, Segel und verschiedene Geräthe und Materialien aufbewahrt werden. Endlich kam die Reihe an den Kielraum, den wir eben so sorgfältig in Augenschein nahmen wie die übrigen Schiffsräume.

James hatte Recht; alle diese Gegenstände waren mir zwar nicht so neu, wie er glaubte, aber sie waren doch sehr merkwürdig. Abgesehen von dem Unterschiede zwischen einer Brigg und einem Kriegsschiffe, war mir die ganze Einrichtung wohl bekannt; aber im Vergleich mit dem, was ich bis dahin gescheit hatte, zeigte sich Alles in so kolossalen Verhältnissen, daß ich, wie Gulliver, plötzlich in das Land der Riesen versetzt zu sein glaubte. Wir stiegen wieder auf das oberste Verdeck, und James wollte mir eben das Mast- und Takelwerk zeigen, als zu Tisch geläutet wurde. Die Glocke rief uns zu einem höchst wichtigen Geschäft, wir zögerten daher keine Secunde. – In der Cajüte fanden wir vier andere junge Leute von unserm Alter.

Wer je ein englisches Kriegsschiff betreten hat, kennt die Kost der Midshipman. Die künftigen Howe und Nelson bekamen Tag für Tag halb rohes Roastbeef mit Kartoffeln in der Schale zu essen und dazu sogenannten Porter zu trinken, und dieses einfache Mahl wird auf einem baufälligen, mit einem meistens schmutzigen Tuch belegten Tische servirt. Glücklicherweise war ich in der Lehranstalt an schlechte Kost gewöhnt worden und ließ mir’s recht wohl schmecken, zum großen Aerger meiner Cameraden, welche vermuthlich auf meine Portion mit gezählt hatten.

James, der vermuthlich eine ruhige Verdauung liebte, sagte nichts mehr von unserer früher beabsichtigten Wanderung in die lustigen Regionen des Tauwerks , sondern setzte sich mit den Uebrigen zum Kartenspiel. Es war gerade Zahltag; jeder hatte Geld in der Tasche. Ich hatte von je her einen großen Abscheu vor dem Spiel, der mit den Jahren zugenommen hat. Ich lehnte die Theilnahme ab und ging Wieder auf das Verdeck.

Das Wetter war schön, der Westnordwestwind war unserer Abfahrt höchst günstig. Die Vorbereitungen wurden mit allem Eifer getroffen. Der Capitän ging auf der Steuerbordseite des Hinterdecks auf und ab, von Zeit zu Zeit still stehend, um nachzusehen; aus der Backbordseite gab der zweite Lieutenant lauter und ungeduldiger seine Befehle.

Man brauchte diese beiden Männer nur anzusehen, um die Verschiedenheit ihres Charakters wahrzunehmen.

Capitän Stanbow war bereits ein Sechziger. Der englischen Aristokratie angehörend, war ihm seine Weltsitte zur andern Natur geworden. Er hatte auch einige Jahre in Frankreich gelebt. Sein etwas träges Naturell zeigte sich am deutlichsten, wenn sich einer seiner Untergebenen etwas hatte zu Schulden kommen lassen, und er nahm erst einige Prisen Spaniol, ehe er sich entschloß, die Strafe zu dictiren. Diese Schwäche nahm seinem Urtheil den Anschein der Gerechtigkeit; er that nie einem Unrecht, aber selten strafte er zur rechten Zeit.

Diese im Umgange mit Menschen so angenehme, aber auf einem Kriegsschiffe sehr gefährliche Herzensgüte behielt bei ihm immer die Oberhand. Das schwimmende Gefängniß, wo das Leben vorn Tode, die Zeit von der Ewigkeit nur durch einige Bretter getrennt ist, hat seine eigenthümlichen Sitten, seine absonderliche Bevölkerung: es bedarf eines eigenthümlichen Gesetzbuchs. Der Matrose steht zugleich über und unter dem civilisirten Menschen; er ist hochherzjger, kühner und furchtbarer; aber die beständige drohende Gefahr, welche seine guten Eigenschaften entwickelt, bringt auch die schlechten Neigungen zur Reife. Der Seemann gleicht dem Löwen, der seinem Herrn entweder schmeichelt oder ihn zerreißt. Es bedarf daher anderer Triebfedern um die rauhen Söhne des Oceans anzuregen oder im Zaum zu halten, als um die weichherzigen Kinder des Festlandes zu beherrschen. Und diese gewaltigen Triebfedern wußte unser sanftmüthige ehrwürdige Capitän nicht anzuwenden. Im Gefecht oder Sturm war von dieser Unschlüssigkeit und unzeitigen Milde keine Spur vorhanden. Seine hohe Gestalt wurde dann wahrhaft imponirend, seine Stimme laut und gebietend, und sein Auge sprühte Feuer. Aber sobald die Gefahr vorüber war, verfiel er wieder in seine sanfte Stimmung – der einzige Fehler, den ihm selbst seine Feinde vorwerfen konnten.

Lieutenant Burke bildete einen so auffallenden Gegensatz zu dem Charakter des Capitäns, daß es fast den Anschein hatte, als ob die Vorsehung die beiden Männer auf ein Schiff gewiesen hätte, um sich gegenseitig zu ergänzen und die Schwäche durch Strenge zu bekämpfen.

Burke war ein Mann von sechsunddreißig bis vierzig Jahren. Er war zu Manchester von unbemittelten Eltern geboren ; diese starben, als er kaum seine Studien vollendet hatte. Der Knabe, der nur durch den Ertrag ihrer Arbeit in der Lehranstalt erhalten worden war, nahm Dienste am Bord eines Kriegsschiffes. Die strenge Mannszucht hatte ihn hartherzig gemacht. Im Gegensatze zu dem Capitän Stanbow war er schonungslos, die von ihm dictirten Strafen hatten den Charakter der Rache. Es schien fast, als hätte er seinen Grimm über die harte Behandlung, welche er Vielleicht mit Unrecht erduldet hatte, an seinen Untergebenen auslassen wollen.

Ein anderer, noch auffallenderer Unterschied bestand noch zwischen ihm und seinem würdigen Comrnandanten; im Sturm oder im Gefecht war an Barke eine gewisse Unschlüssigkeit zu bemerken.

Er schien zu fühlen, daß ihm seine- gesellschaftliche Stellung bei der Geburt weder das Recht gegeben habe, den Befehl über andere Menschen zu führen, noch die Kraft mit den Elementen zu ringen. Er zeigte indeß großen Muth im Kampfe und Thätigkeit und Umsicht im Sturm, so daß ihm Niemand eine Pflichtverletzung zur Last gelegt hatte. Aber einem scharfen Beobachter konnte nicht entgehen, daß sein Gesicht blässer, seine Stimme nicht so sicher war wie gewöhnlich; man hätte glauben können, der Muth sei bei ihm nicht sowohl eine Naturgabe als ein Ergebniß der Erziehung gewesen.

Diese beiden Männer, welche die ihnen durch den Dienst angewiesenen Plätze einnahmen, schienen durch eine natürliche Abneigung noch mehr getrennt als durch die Etikette ihres Ranges. Der Capitän war allerdings, wie gegen Jedermann, so auch gegen seinen Lieutenant, anständig und höflich; allein es war nicht zu verkennen, daß seine Stimme, wenn er mit Burke sprach, nicht jenen Ton des Wohlwollens hatte, der ihn bei seinen Untergebenen so beliebt machte. Burke empfing die Befehle des Capitäns in einer ganz eigenthümlichen Weise, und sein Gehorsam hatte etwas Düsteres und Gezwungenes, das gegen die freudige Fügsamkeit der übrigen Schiffsmannschaft sehr abstach.

Als ich indeß an Bord kam, waren sie durch einen ziemlich wichtigen Vorfall zu einmüthigem Handeln gezwungen worden. Man hatte Abends vorher bemerkt, daß sieben Mann beim Appell fehlten.

Anfangs glaubte der Capitän, die sieben Matrosen, von denen Einige als große Freunde des Gin bekannt waren, hätten sich nur im Wirthshause verspätet und sie würden mit einigen Stunden Arrest davonkommen. Aber Burke schüttelte zweifelnd den Kopf; und da die Nacht verging, ohne daß man von den Abwesenheit etwas erfuhr, sah sich der Capitän, wie sehr er auch zur Nachsicht geneigt war, am andern Morgen zu dem Geständnisse gezwungen, daß der Fall bedenklich sei.

Die Desertionen sind auf den englischen Kriegsschiffen ziemlich häufig, denn die Matrosen finden auf den Handelsschiffen der indischen Compagnie oft bessere Bezahlung, als ihnen die Lords der Admiralität bewilligen Sobald aber einmal der Befehl zur Abfahrt gegeben ist, muß das Schiff den ersten günstigen Wind benutzen, und es ist keine Zeit die freiwillige oder gezwungene Rückkehr der Ausreißer abzuwarten. In solchen Fällen greift man gemeiniglich zu dem sinnreichen Mittel der »Matrosenpresse«, indem man in dem ersten besten Wirthshause so viele Leute als eben fehlen, aufgreift und an Bord schleppt. Aber da die ausgesandten Werber alles Gesindel, das ihnen zufällig in die Hände fällt, nehmen müssen, so beschloß der Capitän, Alles aufzubieten, um die sieben gut eingeschulten Matrosen wieder an Bord zu holen.

In allen Seestädten oder deren nächster Umgebung gibt es immer einen oder zwei Schenkwirthe, welche die Ausreißer verstecken. Solche Wirthshäuser sind der Mannschaft aller Schiffe bekannt und natürlich fällt auf dieselben der erste Verdacht, wenn ein Deficit auf einem Schiffe bemerkt wird; die ersten Haussuchungen werden in diesen Schenken vorgenommen. Aber je größer die Gefahr, desto vorsichtiger sind die Wirthe; es ist eine Art Schmuggelei, in welcher die Nachforschungen der Zollwächter gemeiniglich erfolglos bleiben.

Burke hatte dies so oft erfahren, daß er, obschon der Befehl über ein solches Unternehmen weit unter seinem Range war, die nöthigen Anordnungen mit Genehmigung des Capitäns persönlich getroffen hatte.

Morgens hatte man die fünfzehn ältesten Matrosen zusammenberufen und in Gegenwart des Capitäns und des Lieutenants einen Kriegsrath gehalten, in welchem die Meinung der Matrosen maßgebend sein sollte. Denn in derlei Fällen sind die Matrosen weit erfahrener als die Offiziere; und wenn den Letzteren auch die Leitung bleiben mußte, so konnten doch nur Jene die nöthige Auskunft geben. Das Resultat der Berathung war, daß sich die Ausreißer aller Wahrscheinlichkeit nach in dem kleinen Dorfe Walsmouth, bei einem irischen Schenkwirth Namens Jemmy, versteckt hielten. Es wurde also beschlossen in diesem Wirthshause nachzusuchen.

Ueberdies sollte sich ein vorauszusendender Plänkler unter irgend einem Vorwande in die Schenke begeben und von Master Jemmy zu erfahren suchen, in welchem Theile seines Hauses sich die Ausreißer versteckt hielten ; denn die Letzteren wußten ja, daß die Abfahrt des »Trident« sehr nahe bevorstand und hatten deshalb ihre Maßregeln ohne Zweifel mit besonderer Vorsicht genommen.

Aber es war der Ausführung dieses Planes ein großes Hinderniß in den Weg getreten. Der Matrose, der sich als Kundschafter brauchen ließe, würde nach dem Gelingen des Streifzuges den Antheil, den er daran genommen, vielleicht theuer bezahlen müssen, und ein Offizier würde trotz der sorgfältigsten Verkleidung entweder von dem Wirth oder von den Ausreißern unfehlbar erkannt werden. Ich hingegen war erst angekommen und konnte daher keinen Verdacht erregen. Ich konnte daher gute Dienste leisten, wenn ich auch nur den vierten Theil der Klugheit besaß, welche mir der gute Capitän zuschrieb.

 

Hieraus erklären sich die Fragen des Letzteren und die Weisungen, die ich von dem Lieutenant zu erwarten hatte.

Gegen fünf Uhr meldete mit ein Matrose, daß Mr. Burke mich in seiner Cajüte erwarte.

Ich beeilte mich der Einladung Folge zu leisten. Der Lieutenant erklärte mir mit kurzen Worten was ich zu thun hatte, und nahm aus einem Koffer einen vollständigen Matrosenanzug, den ich gegen meine Uniform vertauschen sollte. Ich mußte gehorchen, wie groß auch mein Widerwillen gegen die mir in dieser Tragikomödie zugetheilte Rolle war. Die starre Disziplin gestattete keine Widerrede, und überdies war der Lieutenant Barke unerbittlich streng gegen seine Untergebenen. Ich verlor daher meine Zeit nicht mit nutzlosen Gegenvorstellungen, zog meine Uniform aus, legte das rothe Flanellhemd, die weiten Beinkleider und die kurze blaue Jacke an, drückte die Mühe aufs rechte Ohr, und nahm mit Hilfe meiner natürlichen Anlagen bald die Manieren eines Strolches an, welche den unterscheidenden Charakter der von mir darzustellenden Person bildeten.

Als meine Verkleidung beendet war, stiegen wir, Burke und ich, sammt den fünfzehn Matrosen, welche den Kriegsrath gebildet hatten, in die Schaluppe. Zehn Minuten nachher waren wir in Plymouth. Da trennten wir uns am Hafen mit der Verabredung, zehn Minuten nach unserer Trennung unter einem von der Rhede sichtbaren alleinstehenden Baume jenseits der Stadt zusammenzukommen. Nach einer Viertelstunde hielten wir Appell, Jeder war an seinem Posten.

Burke hatte den Feldzugsplan bereits entworfen, und als derselbe zur Ausführung kommen sollte, beehrte er mich mit ausführlichen Erläuterungen. Ich sollte so schnell wie meine Beine, deren Geschwindigkeit er zu übertreiben geruhte, laufen könnten, nach Walsmouth vorauseilen, die Uebrigen würden mir unterdessen im gewöhnlichen Schritte folgen.

Da ich in Folge dieser Anordnung fast eine Stunde früher in das Dorf kommen wurde, so sollten mich meine Cameraden bis Mitternacht in einem verfallenen Hause erwarten, welches einen Büchsenschuß vom Dorfe entfernt war. Wenn ich um Mitternacht nicht zurück wäre, so wollten die Andern, in der Voraussetzung, daß ich gefangen oder umgebracht sei, in die Schenke dringen, um mich zu befreien oder meinen Tod zu rächen.

Die Aussicht auf die drohende Gefahr gab dem sonderbaren Auftrage, den ich zu vollziehen hatte, in meinen Augen eine große Wichtigkeit. Ich fühlte wohl, daß mehr Arglist als Muth nöthig war, und ich hatte mich eines gewissen Mißbehagens nicht erwehren können; sobald ich aber einige Gefahr dabei sah, sobald ein Kampf in Aussicht stand, war auch die Möglichkeit des Sieges vorhanden und der Sieg rechtfertigt Alles: es ist der Talisman, der das Blei in Gold verwandelt.

In Plymouth schlugs sieben; ich brauchte anderthalb Stunden, um nach Walsmouth zu kommen; meine Cameraden brauchten mindestens zwei Stunden. Ich nahm Abschied, Burke gab seiner rauhen Stimme einen milden Ton, um mir Glück zu wünschen, und ich eilte davon.

Es war in den nebeligen Herbstmonaten; das Wetter war trübe, schwere Wolken zogen einige Fuß über meinem Kopf vorüber, und von Zeit zu Zeit rauschte ein Windstoß in den Bäumen und trieb mir das abgeschüttelte Laub ins Gesicht. Der hinter den Wolken versteckte Mond verbreitete ein mattes, krankhaftes Dämmerlicht. Bald fing es an zu regnen; in einer halben Stunde war ich durchnäßt. Ich lief indeß, ohne zu rasten, in die traurige öde Nacht hinein.

In etwa anderthalb Stunden bemerkte ich die ersten Häuser von Walsmouth. Ich war ungeachtet des raschen, ununterbrochenen Laufens gar nicht müde. Ich stand still, um mich zu orientiren, denn ich mußte, ohne zu fragen, in Jemmy’s Schenke gehen. Ein Matrose mußte die Schenke kennen, eine Erkundigung würde Verdacht erregt haben.

Da ich nur einige Häuser vor mir sah, so entschloß ich mich in das Dorf zu gehen, ich hoffte die Schenke an einem äußern Zeichen zu erkennen.

Master Jemmy hatte wenigstens keinen Versuch gemacht, durch falschen Schein zu täuschen. Es war eine wahre Spelunke. In der schmalen niedrigen Thür war eine vergitterte Oeffnung, durch welche der Wirth die ankommenden Gäste mustern konnte, ehe er sie einließ.

Ich schaute durch das Gitter; aber es war stockfinster dahinter, und ich konnte nur einige schmale Lichtstreifen bemerken, welche durch die Spalten einer Thür drangen.

»He da!« rief ich und klopfte.

Keine Antwort. – Ich wartete einen Augenblick, rief und klopfte dann wieder, aber ohne Erfolg. Ich ging nun rückwärts einige Schritte von diesem sonderbaren Hause weg, um zu sehen, ob nicht ein anderer Eingang vorhanden sei, denn die Thür war vielleicht nur der Symmetrie wegen da. Aber die Fenster waren sorgfältig verrammelt, ich mußte daher auf dem gewöhnlichen Wege ins Haus zu kommen suchen. Ich trat also zum dritten Male an die Thür; aber dieses Mal blieb mein Gesicht einige Zoll von dem Gitter entfernt; hinter den Eisenstangen bemerkte ich ein anderes Gesicht, welches mich forschend betrachtete.

»Endlich!« sagte ich.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« sagte eine sanfte Mädchenstimme, die ich hier nicht erwartet hätte.

»Wer ich bin, mein schönes Kind?« erwiederte ich. »Ich bin ein armer unglücklicher Matrose, der wahrscheinlich im Hundeloch übernachten wird, wenn Ihr ihn nicht einlaßt.«

»Zu welchem Schiff gehört Ihr?«

»Zum »Boreas«, der morgen Früh unter Segel geht.«

»Kommt herein,« sagte das Mädchen und öffnete gerade so weit, daß ich eben hineinschlüpfen konnte.

Dann schob sie wieder zwei starke Riegel vor und legte überdies noch einen Pfahl quer vor die Thür.

Ich gestehe, daß mir der kalte Schweiß ausbrach, als die Thür so fest hinter mir verrammelt wurde. Aber ich konnte nicht mehr zurück.

Das Mädchen öffnete die Stubenthür. Mein Blick fiel zuerst auf Master Jemmy, dessen bärbeißiges Aussehen wohl geeignet gewesen wäre, einem minder entschlossenen Kundschafter einen Schrecken einzujagen. Es war ein fast sechs Fuß hoher, breitschulteriger Kerl mit rothen Haaren; sein Gesicht verschwand von Zeit zu Zeit hinter dem Tabaksrauch seiner Pfeife, und wenn sich der Rauch verzog, sah ich seine feurigen Augen leuchten, deren scharfer, durchdringender Blick in dem Innersten meiner Seele zu lesen schien.

«Vater,« sagte sie, »es ist ein armer Bursch, der in Strafe verfallen ist und für diese Nacht um ein Obdach bittet.«

»Was bist Du?« fragte Jemmy nach einer kurzen Pause und mit unverkennbarem irischen Accent.

»Wer ich bin?« antwortete ich im Munsterschen Dialekt, den ich sehr geläufig sprach. »Mich dünkt doch, Master Jemmy, das ich es Euch weniger als jedem Andern zu sagen brauche.«

Ja daß ist wahr!« erwiederte der Wirth, der unwillkürlich aufstand, als er das geliebte Idiom seiner grünen Insel hörte.

»Und von reinem Geblüt,« setzte ich hinzu.

»Dann sei willkommen!« sagte er und reichte mir die Hand.

Ich trat vor, um von der Ehre, die mir Jemmy erwies, Gebrauch zu machen. Aber er schien noch ein Bedenken zu haben; er sah mich noch einmal mit seinen funkelnden Augen an und sagte:

»Wenn Du ein Irrländer bist, mußt Du Katholik sein.«

»Wie St. Patrick,« antwortete ich.

»Das wollen wir sogleich sehen,« sagte Jemmy.

Bei diesen Worten, die mir doch einige Angst machten, trat er vor einen Schrank, nahm ein Buch heraus und schlug es auf.

Ich sah ihn sehr erstaunt an.