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Isaak Laquedem

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Fünftes Kapitel.
Die Auferstehung des Lazarus

Dies Mal hielt Jesus Ostern nicht in Jerusalem, sondern in Bethania, und es war, wie er zu Johannes und Petrus gesagt hatte.

Heli der Schwager von Zacharias von Hebron, der sie ihm bereitete; dann, als er Ostern gefeiert, reist der Messias abermals nach Galiläa ab, unter den Segnungen des Volks und besonders unter denen von Magdalena, und Martha und Lazarus, ihrer Schwester und ihrem Bruder.

Jesus fährt fort in Erfüllung des großen Werkes der Erleichterung, das er unternommen; er heilt unablässig, er heilt alle diejenigen, welche man zu ihm führt, ohne sich um die Secte zu bekümmern, zu der sie gehören, und werden sie am Sabbath zu ihm geführt, so bekümmert er sich nur um den Schmerz der Kranken und die Bangigkeiten ihrer Verwandten.

Und Jeder sagt zu sich selbst:

»Seht doch diesen Menschen! Während die Aerzte und die Schriftgelehrten uns theuer halten und uns sterben lassen, heilt er uns umsonst und gibt uns noch, außer der Genesung, Rathschläge, die uns den Weg zum Himmel öffnen!«

Während dieses Jahres heilte er den Aussätzigen, den Knecht des Zöllners, den blinden und stummen Besessenen, das Mädchen von Cana und den Blinden von Bethsaide. Während dieses letzten Jahrs läßt er von seinem Munde die herrliche Parabel stießen vom guten Korn und von der Trespe, die vom guten Hirten, die vom guten Samariter, die vom guten und vom schlechten Knechte, die vom verirrten Lamme, die vom verlorenen Sohne; Parabeln, welche alle in unserem Gedächtniß und noch viel mehr in unserem Herzen sind. Während dieses letzten Jahres hat er sich Thomas, Matthäus den Zöllner, Jacobus, den Sohn von Alphäus, Thaddäus, Simon den Cananiter und Judas beigesellt, welche in Verbindung mit Petrus, Andreas, Jacobus dem Aeltern, Johannes, Philippus und Bartholomäus die Zahl seiner Apostel aus zwölf bringen.

Nun, da er hinter sich das Gefolge von Wundern hat, das ihn verherrlicht, und um sich den ungeheuren Zustrom der Menge, die ihn anbetet, denkt Jesus, es sei Zeit, seine ganze Lehre in einer einzigen Rede, – wir würden heute sagen, in einem einzigen Glaubensbekenntnisse, – zusammenzufassen.

»Kommt mit mir auf den Berg,« sprach er; »kommt Alle, ich habe mit Euch zu reden.«

Und mehr als zehntausend Personen folgten ihm.

Und als er aus den Berg kam, schaute er umher und sah, daß diejenigen, welche ihm gefolgt, hauptsächlich die Enterbten dieser Welt waren, – Arme, Unterdrückte, Unglückliche, einfältige Geister, in Thränen ertränkte Herzen, Weiber der Samariterin ähnlich, Mädchen, der Schwester von Martha und Lazarus ähnlich, kurz jene unselige Bevölkerung der großen Städte, welche unablässig hofft, jede Veränderung, die sich«eignet, werde ihr eine bessere Zukunft bringen, jeder Tag, der zu scheinen sich anschickt, werde ihr Elend vor dem Blicke Gottes beleuchten; – da ergriff Jesus ein großes Mitleid mit dieser Menge, er setzte sich, umgeben von seinen Jüngern, mitten unter sie und sprach mit seiner sanften, barmherzigen Stimme:

»Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich wird ihr Reich sein! Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden die Erde besitzen! Selig sind, die da weinen, denn sie werden getröstet werden! Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden! Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden selbst Barmherzigkeit erlangen! Selig sind, die ein reines Herz haben, denn 'sie werden Gott schauen! Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden des Herrn Kinder heißen! Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen leiden, denn ihnen wird das Himmelreich sein!«

Dann wandte er sich an seine Apostel und an seine Jünger, doch mit so lauter Stimme, daß Alle die fromme Ermahnung hörten.

»Und Ihr,« sprach er, »vernehmet wohl, was ich Euch sage: der Tag, wo Euch die Menschen um meinetwillen schmähen, Euch verfolgen und lügnerisch allerlei Uebles von Euch sagen, wird für Euch sein ein Tag des Glücks! Seid fröhlich und getrost, denn es wird Euch im Himmel wohl belohnet werden, denn so haben sie auch die Propheten verfolgt, welche vor Euch gekommen sind. Ihr seid das Salz der Erde, wenn aber las Salz dumm wird, so ist es zu nichts nütze, als daß man es in den Wind schütte und lasse es von den Füßen der Leute zertreten! Ihr seid das Licht der Welt, und man zündet ein Licht nicht an, um es unter den Scheffel zu stellen, sondern man stellt es auf einen Leuchter, daß es leuchte denjenigen, welche im Hause sind; lasset also Euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie Eure guten Werke sehen und preisen Euren Vater, der im Himmel ist! Aber ich sage Euch, wenn Eure Gerechtigkeit nicht besser ist, als die der Pharisäer und der Schriftgelehrten, so werdet Ihr nicht in das Himmelreich kommen. – Ihr habt gehört, daß gesagt ist zu den Alten: »»Du sollst nicht tödten, wer aber tödtet, der soll des Gerichts schuldig sein.«« Ich aber sage Euch, daß man nicht braucht zu gehen bis zum Morde, sondern wer zürnet mit seinem Bruder, der ist des Gerichts schuldig; wer zu seinem Bruder sagt: »»Racha!«« der ist des Raths schuldig; wer aber sagt: »»Du Narr!«« der ist des höllischen Feuers schuldig! Wenn Du also Deine Opfergabe zum Altar bringst, und Du erinnerst Dich, daß Dein Bruder etwas wider Dich hat, so laß Deine Gabe vor dem Altar; gehe zuerst hin und versöhne Dich mit Deinem Bruder; dann komm zurück und opfere, und Deine Gabe wird dem Herrn angenehm sein! – Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: »»Du sollst nicht ehebrechen.«« Ich aber sage, wer ein Weib ihrer begehrend anschaut, der hat schon mit ihr in seinem Herzen die Ehe gebrochen. – Es ist auch gesagt: »»Wer sich von seiner Frau scheiden will, der soll ihr geben einen Scheidebrief.«« Ich aber sage Euch, wer seine Frau verlassen hat (es sei denn wegen eines Ehebruchs), der macht, daß sie Ehebrecherin wird, und wer eine Abgeschiedene heirathet, begeht einen Ehebruch. – Ihr habt auch gehört, daß zu den Alten gesagt ist: »»Du sollst keinen falschen Eid schwören, sondern dem Herrn die Eide halten, die Du ihm geleistet.«« Ich aber sage Euch, daß Ihr allerdings nicht schwören sollt, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist Gottes Schemel, noch bei Jerusalem denn das ist die Stadt des großen Königs; Ihr sollt auch nicht schwören bei Eurem Haupte, weil Ihr nicht ein einziges Haar davon schwarz oder Weiß machen könnt; Eure Rede sei nur: »»Ja, ja«« oder: »»Nein, nein;«« was mehr ist, als diese Worte, wird vom Uebel sein. – Ihr habt erfahren, daß gesagt ist : »»Auge um Auge! Zahn um Zahn!«« Ich aber sage Euch, widersteht nicht dem Bösen, das man Euch anthun will, sondern gibt Euch Jemand einen Streich aus die rechte Backe, so bietet ihm auch die andere; will Jemand mit Euch streiten, um Euern Rock zu nehmen, so laßt ihm den Rock und gebt ihm den Mantel noch dazu; will Euch Jemand nöhigen, eine Meile mit Euch zu machen, so geht zwei mit ihm. Gebt dem, der Euch bittet, und wendet Euch nicht ab von dem, der von Euch borgen will, – Ihr habt gehört, daß gesagt ist: »»Du sollst Deinen Nächsten lieben und Deinen Feind hassen.«« Ich aber sage Euch: »»Liebet Eure Feinde, thut wohl denen, die Euch hassen, bittet für die, welche Euch verfolgen und verleumden, aus daß Ihr Kinder seid Eures Vaters im Himmel, der seine Sonne ausgehen läßt über die Bösen und die Guten, der regnen läßt aus das Feld des Gerechten und aus das des Ungerechten; denn wenn Ihr nur liebt diejenigen, welche Euch lieben, welches Verdienst habt Ihr dabei? Thun die Zöllner nicht auch so? Und wenn Ihr nur freundlich thut gegen Eure Brüder, was thut Ihr denn mehr als die Andern? Thun die Heiden nicht so? Trachtet also so vollkommen zu sein, als Euer Vater im Himmel vollkommen ist. Habt Acht, daß Ihr Eure guten Werke nicht vor den Menschen thut, um von ihnen gesehen zu werden, sondern wenn Ihr Almosen gebt, laßt Eure linke Hand nicht wissen, was Eure rechte thut. Wenn Ihr betet, gleicht nicht den Heuchlern, die gern in den Schulen oder an den Straßenecken stehen, um von den andern Menschen gesehen zu werden, sondern tretet in Eure Kammer ein, schließet die Thüre zu und betet zu Eurem Vater im Verborgenen, und Euer Vater, der steht, was im Verborgenen geschieht, wird Euch belohnen. Und betet also:

»Unser Vater in dem Himmel, Dein Name werde geheiliget.

»Dein Reich komme, Dein Wille geschehe aus Erden wie im Himmel.

»Gib uns heute unser täglich Brod.

»Und vergib uns unsere Schulden, wie wir unsern Schuldigern vergeben, und führe uns nicht in Versuchung, sondern befreie uns vom Uebel. Amen.«

Jesus sagte noch andere Dinge, welche tief in das Gedächtniß seiner Zuhörer eindrangen; so daß, als er geendigt hatte, Jeder noch forthorchte und Niemand aufstand.

Er erhob sich, und die ganze Menge, welche begriff daß die Lehre beendigt war, sprach einstimmig:

»Meister, wir danken Dir, denn wir haben heute aus Deinem Munde Dinge gehört, die wir noch nie gehört, und die noch nie ein Mund ausgesprochen! Meister, wir danken Dir, denn Du hast uns unterrichtet, wie es ein Gott thun muß, und nicht, wie es die Schriftgelehrten und die Pharisäer thun.«

Und Niemand vermuthete unter dieser Menge, daß, indem er die Liebe, die Hingebung und den Glauben predigte, es sein eigenes Urtheil war, was Jesus gesprochen.

Doch er wußte es, er wußte, daß sein Tag nahe; es war auch kaum ein Monat, seit dem er diese Lehre gegeben, verlaufen, da beschloß er, seinen Jüngern keinen Zweifel über seine Gottheit zu lassen.

Und er nahm die drei Apostel mit, die er am meisten liebte: Petrus, Jacobus und Johannes, und führte sie aus denselben Berg, wo er aus die Menge die Manna seines Wortes hatte regnen lassen, und von dem man glaubt, es sei der Berg Thabor.

Hier versenkte sich Jesus ins Gebet, und so wie er betete, umgab sich sein Antlitz mit Strahlen und wurde am Ende glänzend wie die Sonne; sein rother Rock und sein blauer Mantel verwandelten sich in schneeweiße Gewänder, und seine Füße verließen die Erde, und er blieb schwebend über dem Boden.

 

Die drei Jünger schauten ihn stillschweigend, mit gefalteten Händen und die Angst im Herzen an, als sie plötzlich sahen, daß Jesus nicht allein war, und an einer seiner Seiten Moses und an der andern Elias erkannten.

Beide waren voller Majestät und Herrlichkeit, und Beide sprachen mit ihm von seinem Abgange von dieser Welt, der bald in Jerusalem statthaben sollte.

Doch da erschien eine Wolke und der Schrecken der Apostel vermehrte sich, als sie Jesus, Moses und Elias in diese Wolke eingehen sahen.

In einem Augenblick wurde sie glänzend, und es kam eine Stimme daraus hervor und sprach:

»Dieser ist mein lieber Sohn, höret und glaubet Alles, was er Euch sagen wird.«

Und als diese Stimme erloschen war, verschwand die Wolke, und Jesus fand sich wieder allein mit seinen drei Aposteln.

Diese fragten ihn, was Moses und Elias gemeint haben, da sie von seinem Scheiden aus der Welt in Jerusalem gesprochen.

Und von da fing Jesus an ihnen zu sagen, was er ihnen noch nicht gesagt: daß er nach Jerusalem gehen müsse, daß er viel von Seiten der Rathsherren, der Schriftgelehrten und der Hohenpriester leiden werde, und daß ihn endlich dort der Tod erwarte.

Und als die drei Apostel bei dieser Kunde erbleichten, sprach Jesus:

»Aber es steht geschrieben, daß ich kämpfen werde wider den Tod und ihn besiegen: habt also nicht bange um diesen Tod, denn am dritten Tage werde ich wieder auferstehen.«

Am Tage vorher hätten sie vielleicht noch gezweifelt, doch nach dem, was sie so eben gesehen, glaubten sie aus dem Grunde ihres Herzens.

Jesus reiste insgeheim nach Jerusalem ab; entschlossen, zu sterben, wollte er wenigstens die Stunde seines Todes wählen.

Er kam in die heilige Stadt zum Lauberhüttenfeste.

Doch überall, wo Christus erschien, war es die den Himmel verklärende Lichtfurche. – Als er durch eine Stadt von Galiläa zog, da schleppten sich zehn Aussätzige, die man vor die Städte geworfen und von jeder Verbindung abgesondert hatte, Leute so häßlich zu sehen, daß sie nicht einmal sich unter einander anzuschauen wagten, und daß sie sogar unter ihres Gleichen Geächtete waren, sie schleppten sich, sagen wir, als sie seine Ankunft erfuhren, aus seinen Weg und riefen ihm von fern in Demuth und mit gläubigem Herzen zu:

»Jesus, unser Meister! Jesus, unser Herr! Jesus, unsere Hoffnung! erbarme Dich unser!«

Jesus hörte sie und sprach von dem Platze aus, wo er war:

»Gehet und zeiget Euch Euren Priestern.«

Und als sie vor die Priester kamen, welche Kenntniß hatten von dieser Krankheit und den Bannfluch gegen die Kranken aussprachen, fand es sich, daß sie vollkommen geheilt waren.

Kaum war Jesus in Jerusalem angelangt, da predigte er, im Tempel und mitten ans dem Vorplatze stehend, von welchem er die Verkäufer weggejagt hatte, rief er:

Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke; wer an mich glaubt, von dessen Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.«

Als die Schriftgelehrten und Pharisäer ein unglückliches Weib beim Ehebruch ertappten und sie wegführten, um sie nach dem Gesetze von Moses zu steinigen, da brachten sie dieses Weib zuvor zu Jesus, der sich im Vorhause des Tempels befand, und sagten verfänglich zu ihm, entweder um ihn zu einer Verdammung hinzureißen, die ihn einer Grausamkeit schuldig machen würde, oder um ihn zu einer Freisprechung zu veranlassen, durch die er der Gottlosigkeit schuldig wäre:

»Meister, dieses Weib ist auf frischer That im Ehebruch ertappt worden; Du weißt aber, das Gesetz von Moses befiehlt uns, sie zu steinigen; was sagst Du?«

Die Frau war jung, sie war schön: im Angesichte eines grausamen Todes weinte sie.

Jesus sah ihre Thränen und erwiederte:

»Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.«

Dann, als hätten Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Gewissen befragend, begriffen, daß derjenige, welcher eine solche Antwort gegeben, in den Grund der Herzen sah, gingen sie Einer nach dem Andern weg, so daß Jesus und die Ehebrecherin allein blieben.

Jesus schaute umher, und da er sah, daß die Angeklagte nur durch die Kraft seines Wortes freigesprochen worden war, fragte er sie:

»Weib, wo sind die Leute, die Dich dem Tode überantworten wollten?«

»Ich sehe sie nicht mehr,« erwiederte die Sünderin noch ganz zitternd.

»Hat Dich kein Gericht verdammt?« fragte Christus.

»Keines,« antwortete sie.

»So verdamme ich Dich auch nicht, o armes Geschöpf! . . . Mein Vater hat mich zum Erlöser gemacht und nicht zum Richter! Gehe hin und sündige fortan nicht mehr.«

Nach solchen Handlungen und solchen Worten war es unmöglich, daß Christus in Jerusalem unbekannt blieb. Seine Gegenwart wurde hier geoffenbart durch das einstimmige Geschrei seiner Feinde und durch den Lärmen der Menge, die ihm überallhin folgte und sprach:

»Dieser Mensch ist sicherlich ein Prophet!«

Andere sagten:

»Es ist etwas Besseres als ein Prophet, es ist der Messias. Erinnert Euch der Worte von Johannes dem Täufer, welcher bekannte, er, Johannes, sei nur der Apostel und Jesus sei der Sohn Gottes.«

Allerdings sprachen dagegen Andere:

»Dieser Mensch kommt von Galiläa, und Christus soll nicht von Galiläa, sondern von Nazareth kommen, da er vom Geschlechte und der Stadt Davids sein soll.«

Alle aber hörten ihn nichtsdestoweniger mit Begierde an, so sehr entsprach jedes seiner Worte dem Bedürfnisse ihrer durch die Knechtschaft kranken Seelen, ihrer durch das Elend leidenden Körper.

So daß Häscher, als sie den Befehl erhalten hatten, Christus festzunehmen, und ihn mitten unter einer entzückten Menge fanden, mochten sie nun selbst durch seine Worte verführt sein oder mochten sie einen Aufruhr des Volks befürchten, es nicht wagten, ihn zu verhaften.

Sie kamen daher zu den Hohenpriestern und den Pharisäern zurück, welche sie fragten:

»Warum habt Ihr diesen Menschen nicht verhaftet und zu uns gebracht?«

Die Häscher schüttelten den Kopf und antworteten:

»Nie hat ein Mensch gesprochen wie dieser Mensch.«

Bei dieser Antwort erschraken die Pharisäer.

»Ihr seid also auch verführt wie die Andern?« sagten sie zu den Häschern. »Habt Ihr um ihn her Oberste und Leute vom großen Rathe gesehen?«

»Nein,« erwiederten die Häscher; »doch wir haben gesehen eine große Anzahl Leute aus dem Volke, eine Menge von Menschen aus der Neustadt und aus den Vorstädten.

»Also,« sprachen die Pharisäer, »also ist Alles, was ihn umgibt, nur Pöbel, er hat nur um sich Heimathlose, Landstreicher, Verfluchte Gottes . . . Kehret zurück und greifet diesen Menschen.«

Doch einer von den Obersten erhob sich und sprach:

»Unser Gesetz erlaubt nicht, einen Menschen in Verhaft zu nehmen, ohne einen Spruch des großen Raths, und wir haben nicht das Recht, einen Angeklagten zu verurtheilen, ohne ihn zu hören.«

Da riefen mehrere Stimmen:

»Bist Du auch ein Galiläer, Nicodemus? Lies die Schrift, und Du wirst sehen, daß aus Galiläa kein Prophet aussteht!«

Nicodemus antwortete nichts; doch da seine Stimme die Macht hatte, welche immer die Stimme eines gerechten und geachteten Mannes hat, so ging Jeder nach Hause, ohne daß eine Entscheidung gegen Jesus gefaßt worden war.

Nichtsdestoweniger zog sich dieser, der die Häscher gesehen und zum Voraus die nahe bevorstehenden Ostern zur Epoche seines Todes gewählt hatte, aufs Gerathewohl den ersten den besten Weg einschlagend, von Jerusalem zurück.

Doch gefolgt von der Menge ging er immer umher, gab einem Blindgeborenen das Gesicht, sprach die Parabel vom guten Hirten und verkündigte den Pharisäern, sie werden in ihren Sünden sterben.

Während er so umherwanderte und weissagte, kam ein bestaubter Bote zu ihm und sprach:

»Ich komme von Bethania; es schicken mich zu Dir Magdalena und ihre Schwester Martha: Sie haben mir befohlen, Dir zu sagen, ihr Bruder sei sehr krank.«

»Gut,« antwortete Jesus, »es drängt nicht! Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern nur zur Ehre Gottes, damit der Messias dadurch verherrlicht werde.«

Und der Bote kehrte zurück.

Und Jesus blieb noch mehrere Tage an dem Orte, wo er war; dann sprach er:

»Kommt und laßt uns zu Lazarus gehen.«

Darüber wunderte sich Niemand, denn man wußte, daß er diese Familie besonders liebte.

Und er setzte hinzu:

»Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, um ihn aufzuerwecken.«

Die Jünger folgten ihm, ohne zu begreifen; selten aber, Petrus ausgenommen, fragten sie ihn über den Sinn seiner bildlichen Sprache, sie wußten, daß sich diese Sprache immer von selbst erklärte.

Sie erwiederten auch, da sie glaubten, der Meister rede von einem gewöhnlichen Schlafe:

»Herr, wenn er schläft, so wird er geheilt werden.«

Doch Jesus sprach:

»Lazarus ist gestorben.«

Und als die Jünger sich wunderten, daß er einen Menschen, den er seinen Freund nannte, hatte sterben lassen, sagte Christus:

»Kommt, kommt, denn Alles ist geschehen durch den Willen Gottes, und damit diejenigen, welche zweifelten, nicht mehr zweifeln.«

Und als Einige zögerten und sprachen:

»Wir sind Geächtete, der Meister ist geächtet, und da kann es nicht fehlen, daß uns Unheil widerfährt, wenn wir nach Jerusalem zurückkehren!«

Da sagte Thomas zu den andern Jüngern:

»Gehen wir mit dem Herrn, um sein Loos zu theilen und mit ihm zu sterben, wenn er stirbt.«

Jesus schaute ihn zärtlich an und sprach zu ihm:

»Thomas, nach einer solchen Rede, wenn Du je zweifelst, ist Dir zum Voraus verziehen.«

Und man zog gen Bethania.

Aus dem Wege traf Jesus Martha; eine arme trostlose Schwester, war sie dem großen Tröster entgegengegangen.

»Oh!« rief sie, sobald sie ihn erblickte, Herr, wärest Du hier gewesen, mein unglücklicher Bruder wäre nicht gestorben! Warum bist Du denn nicht hier gewesen, oder warum bist Du nicht gekommen, als ich Dich bitten ließ?«

Und sie zerfloß in Thränen und rang ihre Hände vor Schmerz, während sie diese Worte sprach.

Jesus erwiederte ihr:

»Weine nicht, Martha, Dein Bruder soll auferstehen.

«,,Ja,« sagte Martha, »am Tage der Auferstehung mit den anderen Menschen . . .«

Doch Jesus unterbrach sie durch eine Geberde und sprach:

»Ich bin die Auferstehung und das Leben, und wer an mich glaubt, der wird leben, obgleich er stürbe, und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Antworte mir aus dem Grunde Deines Herzens, glaubst Du das, Martha?«

Und Martha rief: »Oh! ja, Herr, ich glaube es . ., Ja, ich glaube, daß Du Christus bist! Ich glaube, daß Du der Sohn des lebendigen Gottes bist! Ich glaube, daß Du in die Welt gekommen bist, um uns Alle zu erlösen.«

Und sie lief nach Hause, und da sie Magdalena weinend unter einem großen Kreise von Freunden fand, welche von Jerusalem herbeigekommen waren, um es zu versuchen, die zwei Schwestern zu trösten, sagte sie leise zu ihr:

»Der Herr kommt und ist nur ein paar Schritte von hier.«

Sogleich erleuchtete sich das Antlitz von Magdalena; ihre Thränen vertrockneten; sie stand auf, eilte, ohne ein Wort zu sprechen, nach der Thüre und lief Christus entgegen.

Denn wenn Martha glaubte, so war der Glaube von ihr, der armen Sünderin, noch viel tiefer.

Auf alle ihre profane Liebe war eine einzige Liebe gefolgt: die göttliche Liebe.

Darum eilte sie dem Herrn entgegen und ihr gereinigtes Herz flog vor ihr her mit Flügeln so weiß als die einer Taube.

Die Juden, welche sie umgaben und sie so eilends weggehen sahen, sagten unter einander:

»Die Arme! sie geht in ihrem Schmerze hin zum Grabe von Lazarus, daß sie daselbst weine; folgen wir ihr und weinen wir mit ihr!«

Doch Magdalena blieb nicht bei dem Grabe stehen; sie eilte weiter und sandte nur dem geliebten Todten eine Geberde des Schmerzes vermischt mit Hoffnung zu.

Die Juden folgten ihr beständig.

Da sahen sie in der Ferne eine beträchtliche Gruppe, und an der Spitze dieser Gruppe kam ein Mann mit ruhigem Gesichte und sicherem Gange.

Magdalena erkannte Jesus, und ehe sie ihn erreicht hatte, – aus Demuth wagte sie es ohne Zweifel nicht, bis zu ihm zu gehen, – fiel sie auf die Kniee, streckte die Arme aus und rief mit jener leidenschaftlichen Gluth, welche ihr Herz mit so vielen irdischen Feuern versengt hatte:

»O Herr! Herr! wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.«

Als Jesus sie weinen sah, als auch die, welche mit ihr gekommen, weinten, schauerte Jesus in seinem Geiste, betrübte sich selbst und fragte mit bebender Stimme:

 

»Wo habt Ihr den geliebten Todten hingelegt?«

»Oh! komm, komm, Herr!« rief Magdalena, »ich will Dich zu seinem Grabe führen.«

Da folgte ihr Jesus, und während er ihr folgte, weinte er.

Und die Juden sprachen, indem sie auf ihn deuteten:

»Seht, wie er ihn lieb gehabt hat! Seht, wie er weint!«

Andere aber entgegneten:

»Warum ist er dann nicht gekommen, da man nach ihm verlangt hat? Er, der die Blinden und die Lahmen heilt, hätte ihn sicherlich wohl heilen können.«

So kam man zum Grabe. . . Martha wartete auf den Knieen.

Und Jesus fragte:

»Hat man hier meinen Freund Lazarus begraben?«

»Unter diesem Steine liegt er,« antwortete Martha.

Magdalena aber war das Herz so beklommen vor Schmerz, so schauernd vor Hoffnung, daß sie nicht sprechen konnte: abgerissene Stücke von Sätzen kamen aus ihrem Munde, halbe Seufzer kamen aus ihrer Brust.

Jesus schaute die zwei Frauen mit unendlicher Zärtlichkeit an und sprach zu den Anwesenden:

»Hebet den Stein auf.«

»Herr,« versetzte Martha, »bedenke, daß unser Bruder vier Tage im Grabe liegt, und daß die Verwesung schon eingetreten sein muß.«

Jesus streckte die Hand aus und sprach:

»Hebe dich von selbst aus, Grabstein! . . . Lazerus, komm hervor aus Deinem Grabe!«

Und der Stein hob sich von selbst auf, als ob ihn die Hand des Todten emporgestoßen hätte, und man sah den Verstorbenen in seinem Grabe, gebunden mit Grabtüchern an Händen und Füßen und sein Angesicht umhüllt mit einem Schweißtuche.

Und der Verstorbene erhob sich ebenfalls unter einem Schrecken, der noch nicht Zeit gehabt hatte, sich in Freude zu verwandeln.

Da sagte Jesus:

»Löset ihn aus und laßt ihn gehen.«

Und Martha und Magdalena eilten aus Lazarus zu, zerrissen Schweißtuch und Binden und riefen:

»Ehre sei Gott! . . . Ehre sei dem Herrn Jesus! . . . O Wunder!«

Und Lazarus wiederholte nach ihnen mit einer noch kaum lebenden Stimme: »Ehre sei Gott! . . . Ehre sei dem Herrn Jesus! . . . O Wunder!«

Nach dem Versprechen des Messias war Lazarus auferstanden.

Nie hatte Christus ein so offenbares, ein so öffentliches, so außerordentliches Wunder gethan.

Die Anwesenden liefen auch fast wahnsinnig gen Jerusalem, erzählten, was sie gesehen hatten, und riefen:

»Oh! dies Mal ist der Messias sicherlich unter uns!«

Jesus aber begab sich nach der Grenze der Wüste, in die Stadt Ephraim, und als Martha und Magdalena, sowie der Auferweckte es versuchten, ihn unter ihnen zurückzuhalten, sprach Jesus:

»Meine Stunde ist noch nicht gekommen: ich werde zu Euch zurückkehren, um an Ostern ein letztes Mahl mit Euch zu nehmen.«

Und er zog in die Wüste und verschwand.