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Isaak Laquedem

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Casa Rotondo

Als der Reisende in den Ehrensaal kam, dessen Thüre man mit beiden Flügeln vor ihm öffnete, fand er die Tafel bestellt und seiner harrend; nur hatte ihm, statt des bescheidenen Mahles, das er als Almosen gefordert, die freigebige Gastfreundschaft des edlen Herrn Orsini einen Wahren Schmaus auftragen lassen, der, trotz der Feierlichkeit des Tages und der Strenge des heilgen Rituals aus Wildpret, frischem und geräuchertem Fleisch und den besten Fischen bestand, welche der Küste von Ostia entlang gefangen werden.

Die ausgezeichnetsten Weine Italiens, enthalten in Humpen und Kannen mit silberner und goldener Fassung, blinkten und funkelten durch' den venetianischen Krystall wie flüssige Rubine oder geschmolzene Topase.

Der Unbekannte blieb auf der Thürschwelle stehen, lächelte und schüttelte den Kopf.

Napoleone Orsini erwartete ihn bei der Tafel.

»Tretet ein, mein Gast,« sprach der junge Kapitän, »und nehmet so, wie er sie Euch giebt, die Gastfreundschaft des Soldaten an. Wäre ich, wie mein erhabener Feind, Propero Colonna, der Verbündete und Freund von König Ludwig XI., so würde ich Euch, statt unserer dicken, klebrigen Weine Italiens, die köstlichsten Weine Frankreichs bieten; doch ich bin, ein ächter Italiener, eine Vollblut-Guelfe, und Ihr möget meine Dürftigkeit auf Rechnung der Tage des Fastens und der Enthaltsamkeit setzen, in welche wir seit Anfang der heiligen Woche eingetreten sind. . . Und nachdem dies gesagt ist, nachdem ich mich so bei Euch entschuldigt habe, nehmet Platz, mein Gast, esset und trinket.«

Der Reisende stand immer noch auf der Thürschwelle. Er erwiederte:

»Hieran erkenne ich das, was man mir von der prunkvollen Gastfreundschaft des edlen Gonfalionere der Kirche gesagt hat: er empfängt einen armen Bettler, wie er seines Gleichen empfangen würde. . . Doch ich weiß an dem Platze zu bleiben, der einem unglücklichen Pilger zukommt, welcher das Gelübde gethan hat, nur Wasser zu trinken, nur Brod zu essen, seine Mahle nur stehend zu sich zu nehmen, bis zu dem Tage, wo ihm von unserem heiligen Vater dem Papste, oder wenigstens vom Großpönitentiar die Erlassung seiner Sünden zu Theil geworden ist.«

»Nun! dann hat Euch ein glücklicher Zufall hierher geführt, Meister,« versetzte der junge Kapitän; »denn auch hierin kann ich Euch von Nutzen sein. Ich bin nicht ganz ohne einiges Ansehen bei Seiner Heiligkeit dem Papste Paul II., und dieses Ansehen stelle ich mit Freuden zu Euerer Verfügung.«

»Ich danke Euch, gnädiger Herr,« entgegnete der Unbekannte, indem er sich verbeugte; »doch leider muß die Sache von noch höher kommen . . .«

»Was sagt Ihr?« fragte Orsini.

»Ich sage, es gebe kein menschliches Ansehen, das mächtig genug, um vom Papste oder vom Großpönitentiar die Vergebung zu erlangen, die ich erflehe; darum verlasse ich mich in diesem Punkte auf die Barmherzigkeit des Herrn, welche unendlich ist – wenigstens wie man versichert.«

Bei diesen Worten schien eine Art von Lächeln, in welchem der Spott und die Verachtung vermischt waren, unwillkürlich über die Lippen des Reisenden zu schweben.

»Handelt also, wie es Euch beliebt, mein Gast,« sprach Orsini; »schlagt meine Empfehlung aus oder nehmt sie an; thut meiner ganzen Tafel die Ehre an oder begnügt Euch mit einem Glase Wasser und einem Stücke Brod, macht ein reichliches oder ein mäßiges Mahl, sitzend oder stehend; Ihr seid zu Hause, Ihr seid der Gebieter, und ich bin nur der Erste von Euern Dienern. Nur überschreitet die Schwelle, auf der Ihr stehen geblieben . . . mir ist es, als wäret Ihr nicht unter meinem Dache, so lange Ihr jenseits dieser Thüre verweilt.«

Der Reisende verbeugte sich und ging mit langsamem, ernstem Schritte aus die Tafel zu.

»Gnädiger Herr,« sprach er, während er ein Stück Brod brach und ein Glas mit Wasser voll goß, »es freut mich, zu sehen, mit welcher Pietät Ihr das Gelübde Eures Ahnherrn Napoleone Orsini erfüllt. . . Ich glaubte indessen, er habe sich darauf beschränkt, Euch für die ganze heilige Woche, in der wir uns befinden, den Mord zu verbieten, sei aber nicht so weit gegangen, Euch zugleich zwei Tugenden zu gebieten, welche so schwer auszuüben, wie die prachtliebende Freigebigkeit und die Demuth.«

»Ich befolge auch meine eigene Eingebung und nicht das Gelübde meines Ahnherrn, wenn ich mich Euch gegenüber zugleich freigebig und demüthig zeige,« erwiedene Orsini, der seinen Gast mit einer wachsenden Neugierde anschaute, – »doch mir scheint, und bemerkt wohl, ich verlange Euer Geheimnis, nicht von Euch, – mir scheint, trotz der Lumpen, mir denen Ihr bedeckt seid, wenn ich mit Euch spreche, spreche ich mit einem geächteten Fürsten, mit einem entthronten König, mit einem Kaiser, der eine Pilgerfahrt nach Rom vollbringt, wie Friedrich III, von Schwaben oder Heinrich IV, von Deutschland.«

Der Reisende schüttelte schwermüthig den Kopf und erwiederte:

»Ich bin weder ein Fürst, noch ein König, noch ein Kaiser; ich bin ein armer Reisender, dessen einziger Vorzug vor den anderen Leuten darin besteht, daß er viele Menschen gesehen, viele Länder durchwandert, viele Dinge behalten hat. Kann ich durch das Wenige von Erfahrung, was ich erlangt, Euch die Gastfreundschaft belohnen, die Ihr mir so großmüthig bietet?«

Orsini heftete auf den Unbekannten, der ihm dieses Anerbieten machte, welches er zu benutzen geneigt schien, einen tiefen, forschenden Blick.

»In der That,« sagte er, »ich verzichte auf meinen ersten Gedanken, auf Eurem kahlen Haupte die abwesende Krone zu suchen. Wenn ich Euch genauer betrachte, finde ich, daß Ihr eher das Ansehen eines Weisen des Morgenlands habt, der alle Sprachen spricht, in allen Geschichten unterrichtet, in allen Wissenschaften gelehrt ist . . Ich glaube also, daß Ihr, wenn Ihr wolltet, ebenso leicht in den Herzen, als in den Büchern lesen würdet, und daß Ihr, wenn ich etwas von Euch wünschte, diesen Wunsch errathen würdet, ohne daß ich nöthig hätte, ihn gegen Euch auszudrücken.«

Und als ob sich wirklich ein geheimes Verlangen im Herzen des jungen Mannes entzündete, funkelten seine Augen, während er seinen Gast anschaute.

»Ja, ja,« sagte dieser, wie mit sich selbst sprechend, »Ihr seid jung, Ihr seid ehrgeizig, Ihr heißt Orsini; es ist Eurem Stolze unerträglich, daß Ihr neben Euch, um Euch, in derselben Zeit mit Euch Männer habt, die sich Savelli, Gaëtani, Colonna, Frangipani nennen . . . Ihr wollt diese ganze Welt von Nebenbuhlern durch Euern Luxus, durch Eure Freigebigkeit, durch Eure Herrlichkeit, durch Euern Reichthum beherrschen, wie Ihr Euch dieselbe durch Euren Muth und Eure Tapferkeit zu beherrschen fähig fühlt. Ihr habt in Eurem Solde nicht nur eine einfache Wache, sondern ein wahres Heer. Ihr habt nicht nur fremde Condottieri, nicht nur Engländer, Franzosen, Deutsche, sondern auch eine ganze Schaar von Vasallen, bestehend aus Euren Lehen Bracciano, Cerveteri, Anriolo, Citta Rello, Vicovaro, Rocca-Giovine, Santo Gemini, Trivelliano. . . was weiß ich? Alles dies plündert, raubt, sengt. Steckt die Güter Eurer Feinde in Brand, erschöpft aber zugleich die Eurigen, so daß Ihr am Ende jedes Jahres, zuweilen sogar am Ende jedes Monats, bemerkt, daß die vier- bis fünftausend Mann, die Ihr nährt, kleidet, besoldet, mehr kosten, als sie eintragen, und daß Ihr, nicht wahr, gnädiger Herr? die Einkünfte von König Salomo oder den Schatz des Sultans Harun al Raschid haben müßtet, um diese furchtbaren Ausgaben zu bestreiten.«

»Ich sagte es wohl, Du seist ein Weiser,« rief Orsini lachend, unter diesem Lachen jedoch eine Hoffnung verbergend, »ich sagte es, Du besitzest alle Wissenschaften, wie jener berühmte Nicolaus Flamel, von dem am Anfange dieses Jahrhunderts so viel die Rede gewesen ist; ich sagte . . . wenn Du wolltest . . .«

Der Kapitän hielt hier inne, als zögerte er, seine Worte zu vollenden.

»Nun?« fragte der Reisende.

»Wenn Du wolltest, so würdest Du, wie er . . .«

Er hielt abermals inne.

»Was würde ich thun? Sprecht!«

Orsini näherte sich dem Reisenden, legte ihm die Hand aus die Schulter und sagte:

»Du würdest Gold machen!«

Der Unbekannte lächelte. Die Frage setzte ihn nicht in Erstaunen: die beständige Sorge und Beschäftigung der Alchemie, dieser blinden Mutter der Chemie, war im ganzen 15. Jahrhundert, und zum Theil auch im 16., Gold zu machen.

»Nein,« erwiederte er, »ich vermöchte kein Gold zu machen.«

»Und warum nicht?« rief naiver Weise Orsini, »da Du so viel Dinge weißt!«

»Weil der Mensch nie etwas Anderes machen kann, als zusammengesetzte und secundäre Materien, während das Gold ein einfacher Körper, eine Urmaterie ist. Nie hat ein Mensch Gold gemacht, nie wird ein Mensch Gold machen. Um Gold zu machen, braucht man Gott, die Erde und die Sonne!«

»Oh! was sagst Du da, schlimmer Prophet!« rief Napoleone Orsini ganz verdrießlich. »Man kann kein Gold machen?«

»Man kann es nicht,« erwiederte der Reisende.

»Du täuschest Dich! Du täuschest Dich!« versetzte Orsini, als wollte er nicht auf eine lange gehegte Hoffnung verzichten.

»Ich täusche mich nicht,« sprach kalt der Reisende.

»Also Du sagst, man könne kein Gold machen?«

»Man kann keines machen,« wiederholte der Unbekannte; »doch man kann, was ungefähr aus dasselbe herauskommt, das entdecken, welches in der Erde vergraben ist.«

Der junge Kapitän bebte.

»Ah! Du glaubst das?« rief er, indem er lebhaft den Unbekannten beim Arm nahm. »Nun wohl! weißt Du, was man behauptet?«

Der Reisende schaute Orsini an, blieb jedoch stumm.

»Man behauptet,« fuhr Orsini fort, »es seien Schätze in dieser Feste vergraben!«

Der Reisende wurde nachdenkend; dann, nach einem Augenblick, sagte er, mit sich selbst sprechend, wie er es schon gethan, und wie es seine Gewohnheit zu sein schien:

»Seltsam! Herodot erzählt, bei den alten Äthiopiern seien viele Schätze vergraben, und sie werden von Greisen bewacht. Er gibt auch den Saft einer Pflanze an, mit dem man sich nur die Augen einzureiben hat, damit diese Greise sichtbar werden, und damit man folglich weiß, wo diese Schätze vergraben sind.«

 

»Oh!« fragte Orsini ganz bebend vor Ungeduld, »solltest Du von diesem Safte mitgebracht haben?«

»Ich?«

»Hast Du mir nicht gesagt, Du seist viel gereist?«

»Es ist wahr, ich bin viel gereist, und aus meinen Reisen habe ich vielleicht oft mit den Füßen diese Pflanze getreten, ohne daß es mir einfiel, meine Augen mit dem Safte einzureiben, der unter meinen Sandalen floß.«

»Ah!« murmelte Orsini, indem er seine Mütze aus den Tisch warf und mit vollen Händen seine Haare faßte.

»Aber,« fuhr der Reisende fort, »ich bin Euch etwas schuldig für Eure Gastfreundschaft, und wenn Ihr mir folgen wollt, so werde ich Euch die Geschichte des Grabes, aus dem Ihr eine Feste gemacht, und die der kaiserlichen Villa erzählen, aus der Ihr ein guelsisches Schloß gebaut habt.«

Orsini drückte durch eine Geberde Verachtung aus.

»Höret immerhin,« sprach der Reisende; »wer weiß, ob Ihr nicht in dieser Geschichte einen abgerissenen Faden findet, der Euch leiten könnte bei den Nachgrabungen, die Ihr ausführen laßt, wenn Ihr unter dem Vorwande, Ihr wollet Euren Feind Prospero Colonna überwachen, hierher kommt und Euch einschließt.«

»Oh! dann erzähle! erzähle!« rief Orsini.

»Folgt mir,« sprach der Unbekannte, »die Erzählung, die ich Euch zu geben habe, muß die Orte beherrschen, von denen ich reden werde.«

Und er ging voran, ohne daß er eines Führers bedurfte und als hätte er das Innere der Feste so genau gekannt wie ihr Eigenthümer, stieg in den Hof hinab, öffnete eine Schlupfpforte und schritt aus die Marmormasse zu, welche den Mittelpunkt der alten und neuen Gebäude bildete und durch ihre zirkelrunde Form dem Ganzen den Namen Casa Rotondo gegeben hatte.

Das Grab war kurz zuvor erst geöffnet und ausgehöhlt worden, und zerbrochene Urnen lagen aus der Erde neben der Asche, die sie enthalten hatten, – die einzigen Ueberreste von dem, welcher vielleicht ein großer Philosoph, ein großer Feldherr oder ein großer Kaiser gewesen war.

Diese zerstreuten Ueberreste bezeichneten den Aerger der ruchlosen Schatzgräber, welche Haufen Gold zu finden geglaubt und nur ein paar Pfötchen Asche gefunden hatten.

Der Reisende ging an der ausgestreuten Asche, an den zerbrochenen Urnen, an dem ausgehöhlten Grabe vorbei, ohne daß er diesen neuen Ausgrabungen und diesen neuen Trümmern mehr Aufmerksamkeit zu schenken schien, als er es bei den ersten gethan hatte; er stieg dann die kreisförmige Treppe hinauf, die sich an den Seiten hinzog, und befand sich in einem Augenblick auf dem Gipfel des riesigen Grabes.

Napoleone Orsini folgte seinem Gaste stillschweigend und mit einem Erstaunen und einer Neugierde, welche der Ehrfurcht glichen.

Der Gipfel des Monuments, beschützt durch eine drei Fuß hohe Brustwehre, ein neuer auf das alte Grab gesetzter und in guelsischen Zinnen ausgeschnittener Bau, der eine mit herrlichen Olivenbäumen bepflanzte Terrasse enthielt, – so daß Orsini, wie die Königin Semiramis, auch seine hängenden Gärten hatte, – der Gipfel des Monuments, ein wahrer Marmorberg, beherrschte die ganze Umgegend. Von hier aus sah man nicht nur unter sich und um sich die Gebäude, welche zu dieser Art von herrschaftlichem, dem Tode, diesem großen Oberlehnsherrn des Menschengeschlechts, geweihten Thurme gehörten, sondern auch auf dem ersten Plane die Kirche Santa Maria Nova mit ihrem rothen Thurme und ihren backsteinernen Festungswerken; auf dem zweiten Plane das Grab von Cäcilia Metella, über dessen Aechtheit man sich nicht täuschen konnte, da die Marmorplatte, auf der der Name steht und die die geizige Hand von Crassus daran befestigte, nie, nicht einmal durch die stählernen Nägel der Zeit davon losgetrennt worden war; – auf dem dritten Plane endlich die Feste der Frangipani, einer großen Familie, welche ihren Namen von den zahllosen Broden erhalten hat, die sie als Almosen für die Dürftigen brach, und nicht nur den Triumphbogen von Drusus, sondern auch die Triumphbogen von Konstantin und Titus besaß, auf welche sie Basteien setzte, wie die Könige Indiens auf den Rücken der Elphanten Thürme setzen; in der Ferne endlich die Porta Appia, eingerahmt in die Aurelianische Mauer und überragt von den Wällen von Belisar.

Die zwischen diesen großen Merkpunkten begriffenen Zwischenräume waren angefüllt mit zerfallenen Gräbern, unter denen sich mit der Thätigkeit des Elends eine ganze Bevölkerung von Landstreichern, Bettlern, Zigeunern, Gauklern, Soldatenbuhlerinnen umhertrieb, welche, ausgestoßen von der Stadt wie der Schaum, den das Gefäß über seinen Rand wirft, von den Todten eine Gastfreundschaft gefordert hatte, die ihr die Lebenden verweigerten.

Alles dies bildete ein Schauspiel würdig, die Neugierde zu erregen, und dennoch ließ sich derjenige, welcher der Hauptheld dieser Geschichte zu werden bestimmt scheint, nicht einmal herab, seinen Blick auf irgend einen Gegenstand besonders zu heften, und nachdem er sein Auge auf diesem Ganzen auf eine unbestimmte Weise hatte umherschweifen lassen, sagte er:

»Edler Herr, Ihr wollt also die Geschichte dieses Grabes, dieser Villa, dieser Ruinen wissen?«

»Allerdings, mein Gast, denn mir scheint, Ihr habt mir versprochen . . .«

»Ja, das ist wahr. . . es werde sich vielleicht ein Schatz im Grunde dieser Geschichte finden. Höret also.«

Der junge Kapitän zeigte, ohne Zweifel, damit die Geschichte die er hören sollte, vollständiger würde, dem Reisenden den riesigen Rumpf einer Bildsäule, der als Bank den Soldaten diente, wenn bei Sonnenuntergang die Aeltesten, die in den Kämpfen Erfahrensten den in ihre Reihe neu Eingetretenen die Kriege der florentinischen Republik und des Königreichs Neapel erzählten.

Doch der Unbekannte lehnte sich nur an die Brustwehre an und, seinen Stab von Lorbeerholz zwischen den Beinen, seine beiden Hände aber auf seinem Stabe gekreuzt, seinen schönen träumerischen Kopf auf seine beiden Hände gestützt, begann er die von seinem Zuhörer so ungeduldig erwartete Geschichte mit der ihm natürlichen Leichtigkeit des Vortrags und mit dem spöttischen Tone, dessen er sich nicht erwehren konnte:

»Edler Herr, Ihr habt wohl erzählen hören, daß einst in Rom . . . es mag etwa sechzehn hundert Jahre her sein . . . zwei Männer lebten: der Eine von unbekannten Eltern, ich glaube im Dorfe Arpinum, geboren, hieß Cajus Marius; der Andere, ein Abkömmling von einer der ältesten Patriziersamilien, hieß Cornelius Sylla.«

Napoleone Orsini machte mit dem Kopfe ein Zeichen, welches besagen wollte, die zwei Namen seien ihm nicht ganz fremd.

»Von diesen zwei Männern,« fuhr der Unbekannte fort, »vertrat der Eine, Cajus Marius, die Volkspartei, der Andere, Cornelius Sylla, die aristokratische Partei. Das war die Epoche der riesigen Kämpfe: man schlug sich nicht wie heute Mann gegen Mann, Corporalschaft gegen Corporalschaft, Compagnie gegen Compagnie; nein: eine Welt führte den Krieg gegen die andere, ein Volk fiel über das andere her. Es brachen aber zwei Völker, die Cimbern und die Teutonen, – ungefähr zwei Millionen Menschen, – gegen das römische Volk los. Sie kamen, man wußte nicht woher . . . aus unbekannten Ländern, die noch Niemand durchwandert, von Küsten, an welche Meere schlugen, die noch nicht genannt wurden. Diese Völker waren die Vorhut der barbarischen Nationen; diese Menschen waren die Vorläufer von Attila, Alarich, Genserich. Marius zog gegen sie und vertilgte sie; er tödtete Alles, Männer, Weiber, Kinder, Greise. Er tödtete sogar die Hunde, welche die Leichname ihrer Herren verteidigten; er tödtete die Pferde, die sich von den neuen Reitern nicht wollten besteigen lassen; er tödtete die Ochsen, die die Wagen der Sieger nicht ziehen wollten! Nach Beendigung dieser Schlächtereien wurde vom Senate decretirt, Marius habe sich um das Vaterland wohl verdient gemacht, und er erhielt den Titel eines dritten Stifters von Rom. So viel ehrenvolle Auszeichnung machte Sylla eifersüchtig; er beschloß, Marius zu vernichten. Der Kampf zwischen diesen zwei Nebenbuhlern dauerte zehn Jahre; Rom wurde zweimal von Sylla eingenommen und zweimal von Marius wieder erobert. So oft Marius nach Rom zurückkehrte, ließ er die Parteigänger von Sylla erwürgen, so oft Sylla dahin zurückkehrte, ließ er die Parteigänger von Marius umbringen. Man berechnete, daß das, was an Blut in zehn Jahren vergossen worden, bei dem von August zur Lust gegebenen Seetreffen, das zweitausend Fuß Lange, zwölfhundert Fuß Breite und vierzig Fuß Tiefe hatte, die dreißig Schiffe, welche mit dreißigtausend Streitern, die Ruderer nicht zu rechnen, bemannt waren und die Schlacht von Salamis vorstellten, hätte flott machen können.

»Marius unterlag zuerst; er war allerdings der Aeltere, hatte Aderkröpfe an den Beinen und einen sehr kurzen Hals. Das Blut erstickte ihn; das war Gerechtigkeit! Da nahm Sylla Rom zum dritten Male ein, und diesmal, da er allein war, ächtete er ganz nach seinem Belieben, wozu er sich alle Zeit zur Auswahl ließ; man fing überdies an der Art, wie Marius tödtete, satt zu werden: er erdrosselte in den Gefängnissen; – die Mamertina ist taub! – man hörte nicht einmal das Geschrei der Schlachtopfer; das langweilte das Volk. Sylla machte es besser; er schnitt die Köpfe öffentlich ab; er stürzte die Verurtheilten von den Terrassen ihrer Häuser hinab; er erdolchte die Flüchtlinge auf der Straße; das Volk bemerkte nicht, daß es seine Parteigänger waren, die man so behandelte, die und rief : »Es lebe Sylla!« Unter der Zahl der Geächteten war ein ganz junger Mann, der Neffe von Marius; doch nicht wegen dieser Verwandtschaft war er geächtet, sondern weil er mit siebzehn Jahren geheirathet und sich, trotz des Befehles des Dictators, geweigert hatte, seine Frau zu verstoßen. Dieser junge Mann war schön, reich, edel besonders, viel edler, bei meiner Treue! als Sylla! Durch seinen Vater stammte er von Venus, das heißt von den Göttern Griechenlands, durch seine Mutter von Ancus Marcius, das heißt von den Königen von Rom ab. – Dieser junge Mann hieß Julius Cäsar. Es lag Sylla auch viel daran, ihn sterben zu lassen. Man suchte ihn überall; aus seinen Kopf wurde ein Preis von zehn Millionen! Sestertien gesetzt. Als Cäsar dies sah, flüchtete er sich, statt sich zu einem von seinen reichen Freunden zu flüchten, zu einem armen Bauern, dem er eine Hütte und einen kleinen Garten geschenkt hatte, und der nicht um den Preis eines Verraths diesen kleinen Garten und diese Hütte gegen einen großen Garten und einen Palast vertauschen wollte. Mittlerweile verwandte sich alle Welt für den jungen Geächteten, Volk und Adel, die Ritter, die Senatoren, kurz alle Welt bis auf die Vestalinnen. Man liebte ungemein diesen reizenden jungen Mann, der mit zwanzig Jahren schon dreißig Millionen Schulden hatte, und dem Crassus . . . bemerkt wohl, gnädiger Herr, derjenige, welcher jenes schöne Grab seiner Frau hat bauen lassen . . .«

Hier streckte der Reisende seinen Stab in der Sichtung des Monumentes von Cäcilia Metella aus; dann fuhr er fort.

». . . Und dem Crassus, der Geizigste der Menschen, fünfzehn Millionen lieh, damit er sich der Gläubiger entledigen könnte, die ihm die Straßen versperrten und ihn verhinderten, nach der Prätur Spanien abzugehen, von wo er mit vierzig Millionen, nach Bezahlung aller seiner Schulden, zurückkam. – Doch Sylla blieb fest. Er wollte durchaus, daß Cäsar sterbe; es war ihm übrigens gleichgültig, aus welche Art, wenn er nur starb; was er verlangte, war sein Kopf und nichts Anderes . . . Endlich kam auch einer von seinen Freunden, der ihm einst, zur Zeit, da Sylla selbst geächtet war, einen großen Dienst geleistet, vielleicht das Leben gerettet hatte. Diesem Freunde hatte Sylla versprochen, er werde ihm die erste Bitte, die er an ihn richte, nicht abschlagen, wenn er je zur Gewalt käme. Der Freund verlangte von ihm das Leben Cäsars. »»Ich schenke es Euch, da Ihr es durchaus wollt,«« sagte Sylla die Achsel zuckend; »»doch wenn mich nicht Alles täuscht, werdet Ihr in diesem weibischen jungen Menschen mit der schlaffen Tunica und den wohlriechenden Haaren, der sich mit dem Ende des Nagels am Kopfe kratzt, mehr als einen Marius haben!«« . . . Sylla, welcher am Aussatze starb, konnte nicht begreifen, daß man sich nicht offen und mit der ganzen Hand kratzte. – Dieser junge Mann nun, der dem zukünftigen Besieger von Vercingetorix, von Pharnakes, von Juba, von Pompejus und von Cato von Utica das Leben rettete, hieß Aurelius Cotta, und wir sind aus seinem Grabe.«

»Wie!« rief Napoleone Orsini, »dieses Grab ist das eines einfachen Privatmannes?«

»Nicht ganz, wie Ihr sehen werdet. . . Habt Ihr den Namen Aurelius bemerkt, edler Herr? Es bezeichnet einen Ahnen der großen Familie Aurelia, die der Kaiser Antoninus durch die Adoption von Marc Aurel aus den Thron brachte. – Aurnelius Cotta hatte dieses Grab von Stein bauen lassen, Marc Aurel ließ es mit Marmor bekleiden, versetzte dahin die Asche seiner Familie und befahl, daß auch die seinige und die seines Nachfolgers Hierher gebracht werden sollen. Es geht daraus hervor, daß dieses Grab, das Ihr geöffnet, diese Urnen, die Ihr zerbrochen, diese Asche, die Ihr umhergeworfen habt, und die jeder Windstoß aus der Erde des alten Latium zerstreut, das Grab, die Asche, die Urnen vom Senator Aurelius Cotta, vom edeln Annius Varus, vom göttlichen Marc Aurel und vom schändlichen Commodus sind.«

 

Der junge Kapitän strich mit der Hand über seine schweißbedeckte Stirne. Waren es Gewissensbisse wegen seiner Heiligthumsschändung? War es Ungeduld darüber, daß der unbekannte Erzähler nicht schnell genug zu dem kam, was er zu erfahren wünschte? Blieb dem Unbekannten über diesen Punkt ein Zweifel, so wurde er bald gelöst.

»Aber,« sprach Napoleone Orsini, »ich sehe nicht, mein Gast, daß in Allem dem auch nur entfernt die Rede von einem Schatze ist.«

»Wartet doch, gnädiger Herr,« erwiederte der Unbekannte, »nicht unter den guten Fürsten verbirgt man sein Geld . . . doch Commodus wird kommen . . . Nur Geduld! – Dieser Enkel von Trojan, dieser Sohn von Marc Aurel fing gut an; im Alter von achtzehn Jahren, als er sein Bad einst zu heiß fand, befahl er, den Sklaven, der es heiß gemacht, in den Ofen zu stecken, und obgleich man das Bad abgekühlt und auf den rechten Wärmegrad gebracht hatte, wollte er es doch erst nehmen, als der Sklave gebraten war. Der phantastische Charakter des jungen Kaisers wirkte indessen nur dahin, daß seine Grausamkeit immer mehr zunahm; dadurch erfolgten viele Verschwörungen gegen ihn und unter anderen die der zwei Brüder Quintilian. . . . Ah! gnädiger Herr, dieselben Menschen, denen diese herrliche Villa gehörte, wo nun Eure Gemächer sind.«

Und der Unbekannte deutete, wie er es bei dem Grabe von Cäcilia Metella gethan hatte, mit seinem Stabe auf die noch, wenn nicht in ihrer Gesammtheit, doch in einzelnen Theilen wunderbaren Ueberreste von dem, was einst die Villa der beiden Brüder gewesen war.

Napoleone Orsini machte ein Zeichen zugleich mit dem Kopfe, und mit der Hand: das Zeichen mit dem Kopfe wollte besagen: »Ich habe begriffen.« das Zeichen mit der Hand wollte besagen: »Fahre fort.« Der Reisende fuhr fort:

»Es handelte sich ganz einfach darum, Commodus zu ermorden . . . Commodus brachte die Hälfte seines Lebens im Circus zu: er hatte von einem Parther mit dem Bogen schießen und von einem Mauren den Wurfspieß schleudern gelernt. Eines Tages im Circus hatte an dem, wo der Kaiser sich befand, entgegengesetzten Ende ein Panterthier einen Menschen festgepackt und schickte sich an, ihn zu verzehren; Commodus nahm seinen Bogen und schoß einen Pfeil so richtig zielend ab, daß er das Panterthier tödtete, ohne den Menschen zu berühren. An einem andern Tage, als er sah, daß die Liebe des Volkes in Beziehung auf seine Person zu erkalten anfing, ließ er in Rom verkündigen, er werde hundert Löwen mit hundert Wurfspießen erlegen; der Circus war, wie Ihr Euch denken könnt, überfüllt mit Zuschauern; man brachte ihm in seine kaiserliche Loge hundert Wurfspieße, man ließ in den Circus hundert Löwen ein. Commodus schleuderte die hundert Wurfspieße und tödtete die hundert Löwen! Herodian bürgt für die Thatsache; er war dabei, er hat es gesehen. Ueberdies hatte der Kaiser eine Höhe von sechs und einem halben Fuß und war sehr stark: mit einem Stockstreiche zerbrach er einem Pferde das Bein, mit einem Faustschlage schmetterte er einen Ochsen nieder. Als er eines Tages einen Mann von ungeheurer Corpulenz vorübergehen sah, rief er ihn, zog sein Schwert und schnitt ihn mit einem einzigen Hiebe entzwei! Darum ließ er sich mit einer Keule in der Hand darstellen, und statt sich Commodus, Sohn von Marc Aurel nennen zu lassen, mußte man ihn Hercules, Sohn von Jupiter, nennen . . . Es war Weder beruhigend, noch leicht, gegen einen solchen Man« zu conspiriren; durch Lucilla, seine Schwägerin, angetrieben, entschlossen sich indessen die zwei Brüder Quintilian hierzu; nur nahmen sie ihre Vorsichtsmaßregeln; sie vergruben Alles, was sie an Gold und gemünztem Silber hatten, Alles, was sie an Juwelen und Edelsteinen besaßen . . . Ah! gnädiger Herr, nun sind wir hieran! – Dann ließen sie Pferde für die Flucht bereit halten, wenn sie ihren Streich verfehlen würden, und warteten auf den Kaiser unter einem dunkeln Gewölbe, in einem engen Gange, der vom Palaste nach dem Amphitheater führte. Das Glück schien Anfangs die Verschwörer zu unterstützen: Commodus kam beinahe ohne Gefolge; sie umringten ihn sogleich einer von den zwei Quintilian fiel über ihn her, versetzte ihm einen Dolchstoß und sprach:

»»Cäsar, das bringe ich Dir vom Senate!««

Da fand unter diesem dunkeln Gewölbe, in diesem engen Gange ein erschrecklicher Kampf statt.

Commodus war nur leicht verwundet; die Streiche, die man nach ihm führte, erschütterten ihn kaum; jeder von seinen Schwertstreichen tödtete einen Menschen! Endlich gelang es ihm, denjenigen von den beiden Quintilian, welcher ihm den Dolchstoß gegeben, zu packen; er schlang um seinen Hals den Knoten seiner eisernen Finger und erwürgte ihn. Sterbend rief dieser Quintilian, welcher der ältere der beiden Brüder war, seinem Bruder zu: »»Rette Dich Quadratus, Alles ist verloren!«« Quintilian entfloh, schwang sich auf ein Pferd und jagte davon; die Soldaten setzten ihm alsbald nach; der Lauf war rasch und erbittert, es handelte sich um das Leben für denjenigen, welcher floh, und um eine ungeheure Belohnung für diejenigen, welche ihn verfolgten. So viel Soldaten übertrafen Quintilian aber am Ende an Schnelligkeit; zum Glück hatte dieser für Alles vorhergesehen und ein Mittel ersonnen; – ein seltsames Mittel, an das man aber glauben muß, da Spartianus die Sache also erzählt: »»Der Flüchtling hatte in einem kleinen Schlauche Blut von einem Hasen, dem einzigen Thiere unter allen Thieren, selbst den Menschen nicht ausgenommen, dessen Blut sich erhält, ohne zu gestehen oder sich zu zersetzen; er nahm von diesem Blute Alles, was sein Mund fassen konnte, und sank wie durch einen Unfall vom Pferde. Als die Soldaten zu ihm kamen, fanden sie ihn auf dem Wege ausgestreckt und Blut in Wellen speiend. . . Da sie ihn für todt und sehr todt hielten, so zogen sie ihm seine Kleider aus und ließen den falschen Leichnam aus dem Platze, gingen zu Commodus, sagten ihm, sein Feind habe sich umgebracht, und erzählten, wie er sich umgebracht. . . Mittlerweile stand Ouintilian, wie Ihr Euch denken werdet, gnädiger Herr, wieder auf und entfloh. . .«

»Ohne daß er sich die Zeit nahm, zurückzukehren und seinen Schatz zu holen?« unterbrach Napoleone Orsini.

»Ohne daß er sich die Zeit nahm, zurückzukehren und seinen Schatz zu holen,« sprach der Erzähler.

»Also,« sagte der junge Kapitän, dessen Augen vor Freude glänzten, »dieser Schatz ist also hier?«

»Das werden wir sehen,« erwiederte der Unbekannte. »Gewiß ist, daß Quintilian verschwand.«

Napoleone Orsini athmete, und ein Lächeln fing an aus seinen Lippen zu strahlen.

»Zehn Jahre nachher,« fuhr der Reisende fort, »athmete die Welt unter Septimius Severus: Commodus war vergiftet durch Marcia, seine begünstigste Favoritin, und erwürgt durch Narcissus, seinen Lieblingsathleten, gestorben. Pertinax hatte sich des Reiches bemächtigt und sich dasselbe mit dem Leben sechs Monate später wieder nehmen lassen. Didius Julianus hatte sodann Rom gekauft und die Welt in den Kauf bekommen; Rom war noch nicht gewohnt, verkauft zu werden; – es hat sich seitdem daran gewöhnt! – Für diesmal empörte es sich; der Käufer hatte allerdings zu bezahlen vergessen. Septimius Severus benutzte die Empörung, ließ Didius Julianus tödten und bestieg den Thron. Nun athmete, wie gesagt, die Welt zwischen Commodus und Caracalla einen Augenblick; da verbreitete sich in Rom das Gerücht, Quintilian sei wieder erschienen.«