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»Seht auch, welche Freude in Frankreich losbricht, da Ludwig XIV. stirbt! . . . Sollte man nicht glauben, ein einziger Mensch habe das Land ausgehungert? . . . Wer folgt auf ihn? Hosianna! es ist der gute Herzog von Orleans! Dieser liebt das Volk: das Volk glaubt es wenigstens; ja, doch er ist vor Allem der Freund von England, und er gibt England unsere Ehre, unsern Handel und sogar unsere Staatsgeheimnisse preis; dann stirbt er und hinterläßt die Schuld um siebenhundert und fünfzig Millionen vermehrt.

»»Wäre ich Volk,«« sagte der Regent, »»so würde ich mich sicherlich empören!««

»Als man ihm sodann antwortete, das Volk habe sich wirklich empört, da rief er:

»»Es hat sehr Recht, und das Volk ist sehr gut, daß es so viel leidet!««

»Es kommt Fleury, ein eben so sparsamer Minister, als der Regent ein verschwenderischer Fürst war; unter Fleury soll sich Frankreich wieder erholen: 1739 wirft auch Louis von Orleans, – der Sohn von demjenigen, welcher sagte, das Volk habe sehr Recht, daß es sich empöre, – Louis von Orleans wirft auf den Tisch des Rathes ein Brod von Farnkraut: es ist das Brod, welches das Volk ißt. Allerdings wird zwanzig Jahre später Foulon, – Foulon, der seine Tochter an Berthier verheirathet und ihr zwei Millionen Heirathsgut gegeben hat, – Foulon wird sagen:

»»Brod von Farnkraut! das ist noch zu gut für das Volk: ich werde es Gras fressen machen: meine Pferde fressen wohl Heu!««

»Alles verschlimmert sich, und auf welche Art! selbst die Frauen sehen klar hierin; selbst die Maitressen des Königs erschrecken; Frau von Chateauroux sagt 1742:

»»Ich sehe, es wird eine große Umwälzung stattfinden, wenn man nicht Mittel dagegen ergreift.««

»Ja, Madame, und alle Welt wundert sich, daß diese Umwälzung so lange säumt, daß das Volk, das man verdursten läßt, das man aushungert, dessen Blut man trinkt, dessen Knochen man vertrocknet, daß das Volk, welches immer mehr abmagert, Euch und Eures Gleichen noch widerstehen kann!

»O entsetzliche Geschichte des Hungers, zu sehr vergessen von den Historikern! welche eherne Feder wird deine düsteren Annalen für Frankreich schreiben, das dich erduldet und sein Mitleid bis heute für die Urheber der Hungersnoth bewahrt hat!

»Armes Volk, ergründe doch das Wort: Die Erde bringt immer weniger hervor!

»Warum bringt sie immer weniger hervor, diese bewunderungswürdige, seit sechstausend Jahren fruchtbare Mutter? Ich will es Dir sagen.

»Weil, da der Bauer kein Hausgeräth mehr hat, das man in Beschlag nehmen kann, der Fiscus das Vieh in Beschlag nimmt und nach und nach ausrottet; ist das Vieh in Beschlag genommen, dann kein Dünger mehr: die Cultur beschränkt sich von Tag zu Tag mehr; die Erde kann ihre Kräfte nicht mehr wiederherstellen, die Mutter der Welt, Ceres bringt nichts mehr hervor; Isis mit den acht Brüsten hat keine Milch mehr: die Amme stirbt Hungers, sie fastet, sie erschöpft sich, und wie das Vieh geendigt hat, so wird sie selbst endigen.

»Was ich Dir nun sagen muß, was ich Dir zeigen kann, armes Volk, ist, daß, wie die Adeligen und die Zöllner, das heißt diejenigen, welche von Steuern frei sind, und diejenigen, welche die Steuer erheben, sich alle Tage vermehren, die Steuer alle Tage schwerer auf Dir lastet, das Du sie bezahlst; dann höre wohl und schau wohl: so wie das Nahrungsmittel seltener wird, so wie das Brod durch seine Theure Deinen abgemagerten Fingern entschlüpft, wird es der Gegenstand eines immer mehr productiven Handels; die Profite sind klar, so klar, daß Ludwig XVI. seinen Theil daran haben will und Mehlhändler wird. Das ist seltsam, nicht wahr? ein König, der auf das Leben seiner Unterthanen speculirt, ein König, der mit der Hungersnoth handelt, ein König, der den Tod den Obol bezahlen läßt, welchen er die ganze Welt, selbst die Könige, hat bezahlen lassen! Auf diese Art gibt man sich am Ende, so sicher ist das Gesetz des Fortschrittes, über Alles Rechenschaft: armes Volk! Du stirbst vor Hunger, das ist wahr, Du weißt aber doch wenigstens, wie und warum Du stirbst; die Hungersnoth ist nicht mehr das Resultat der Störung der Jahreszeiten, der atmosphärischen Veränderungen, der Kataklysmen der Natur: die Hungersnoth ist ein natürliches, gesetzliches, beim Parlament einregistrirtes Phänomen; man hat Hunger auf Befehl von Ludwig, und weiter unten gezeichnet Pbilippeaux.

»Man hat unter Ludwig XIV. Hunger gehabt, man hat unter Ludwig XV. Hunger gehabt, man hat unter Ludwig XVI. Hunger; vier Generationen sind sich gefolgt, von denen nicht eine gesättigt worden ist: die Hungersnoth ist in Frankreich naturalisirt; sie hat hier ihren Vater und ihre Mutter: ihren Vater, die Steuer, ihre Mutter, die Speculation; eine monstruose Verbindung, die indessen ihre Früchte trägt, Kinder hervorbringt, eine eigenthümliche Race erzeugt, eine grausame, hungrige, unersättliche Race, eine Race von Lieferanten, Banquiers, Gefällpächtern, Financiers, Generalpächtern, Intendanten und Ministern; Du kennst sie, armes Volk! diese Race: Dein König hat sie geadelt, verherrlicht, in seine Carrossen steigen lassen, an dem Tage, wo sie nach Versailles kam, um ihn den Hungersnothvertrag unterzeichnen zu machen.

»Und, armes Volk! in Ermangelung von Brod hast Du Philosophen und Oeconomisten, die Turgot und die Necker, Dichter, welche die Georgica übersetzen, Dichter, welche die Jahreszeiten machen, Dichter, welche die Monate machen; Jeder spricht über Landwirtschaft, schreibt über die Landwirthschaft, macht Versuche über die Landwirtschaft. Und Du, während dieser Zeit, Du, armes Volk! da der Fiscus Deine Ochsen, Deine Pferde, Deine Esel verschlungen hat, Du spannst Dich mit Deinem Weibe und Deinen Kindern an den Pflug an. Zum Glücke verbietet das Gesetz, das Pflugeisen in Beschlag zu nehmen; doch sei ruhig, das wird kommen! Das wird kommen, und dann wirst Du mit demselben Instrumente, mit dem Du Dir die Brust seit fünfzig Jahren öffnest, die Erde öffnen! Sterbend wirst Du die todte Erde mit Deinen Nägeln aufkratzen!

»Oh! armes Volk!

»Nun wohl! wenn dieser Tag gekommen ist, – und er wird kommen! – wenn die Frau einen letzten Bissen Brod von ihrem Manne verlangen und dieser sie mit einer grimmigen Miene anschauen wird, ohne ihr zu antworten; wenn die Mutter nur noch Thränen dem Geschrei ihres Kindes, dessen Eingeweide der Hunger verzehrt, wird zu geben haben; wenn die Entkräftung die Milch der Amme vertrocknet, und ihr ausgehungerter Säugling nur noch ein wenig Blut aus ihren Brüsten ziehen wird; wenn die Buden Deiner Bäcker, offen oder geschlossen, leer sein werden; wenn Du in Deiner Verzweiflung genöthigt sein wirst, um Dich zu nähren, Deine Zuflucht zu den ekelhaftesten Dingen, zu den abscheulichsten Thieren zu nehmen, – noch glücklich, wenn sie Dir Dein Bruder nicht entreißt, um sich selbst damit zu nähren! dann, armes Volk, wirst Du einmal für allemal über den Lafayette und den Necker enttäuscht sein, und Du wirst zu mir kommen, zu mir, Deinem wahren, Deinem einzigen Freunde, da ich allein Dich zum Voraus von den Calamitäten, die man für Dich bestimmt, von den Gräueln, denen Du vorbehalten bist, werde in Kenntniß gesetzt haben! . .«

Diesmal hielt Marat im vollen Ernste an; hätte er aber auch nicht angehalten, es wäre ihm unmöglich gewesen, weiter zu gehen, so sehr war es für den wachsenden Enthusiasmus Bedürfniß, loszubrechen.

Er stieg nicht von der Tribune herab: er wurde herabgetragen.

Doch in dem Augenblicke, wo alle Arme sich gegen ihn ausstreckten, wo alle Hände, die ihn nicht berühren konnten, ihm zu Ehren klatschten, wo alle Stimmen jene unartikulirten Schreie von sich gaben, welche manchmal die Freude eben so furchtbar machen, als den Zorn, hörte man gewaltig an die Thüre von der Straße aus klopfen.

»Stille!« rief der Herr des Etablissements.

Und es trat sogleich völlige Stille ein.

Unter dem allgemeinen Schweigen hörte man auf dem Straßenpflaster den Kolben der Gewehre der Wache schallen.

Dann klopfte man zum zweiten Male noch heftiger als das erste Mal.

»Oeffnet!« sprach eine Stimme, »ich bin es . . . ich, Dubois! der Ritter von der Wache in Person, der wissen will, was hier vorgeht . . . Im Namen des Königs, öffnet!«

In demselben Augenblicke, und wie durch einen Hauch ausgeblasen, erloschen alle Lichter, und man befand sich in der tiefsten Finsterniß.

Einen Moment verblüfft und unsicher, fühlte Danton, daß ihn eine kräftige Hand beim Faustgelenke faßte.

Diese Hand war die von Marat.

»Komm! sagte er; »es ist von Wichtigkeit, daß man weder den Einen, noch den Andern von uns hier festnimmt, denn die Zukunft bedarf unserer.«

»Komm . . .« erwiederte Danton, »das ist leicht zu sagen . . . Ich sehe nichts . . .«

»Ich sehe,« versetzte Marat; »ich habe so lange in der Nacht gelebt, daß die Finsterniß mein Licht geworden ist.«

Und er zog in der That Danton mit derselben Geschwindigkeit und derselben Sicherheit fort, als ob Beide bei Hellem Tage, im Angesichte der Sonne gegangen wären.

Danton überschritt die Schwelle einer kleinen Thüre und stieß an die erste Stufe einer Wendeltreppe, deren Mitte er nicht erreicht hatte, als er die Angeln knirschen und die Füllungen der Haupteingangsthüre unter dem Kolben der Gewehre der Nachtwache brechen hörte.

Dann folgte ein erschrecklicher Tumult auf dieses erste Geräusch. Die Wache machte offenbar einen Einfall in den Clubb.

In diesem Momente öffnete Marat eine Thüre, welche auf die Rue des Bons-Enfants ging.

Die Straße war verlassen und ruhig.

Marat schloß die Thüre hinter sich und hinter Danton und steckte den Schlüssel in die Tasche.

»Nun haben Sie zwei Clubbs gesehen,« sagte er: »den Socialclubb und den Clubb der Menschenrechte; im einen spricht man über den Negerhandel, im andern über den Weißenhandel; welcher beschäftigt sich nach Ihrer Ansicht mit den wahren Interessen der Nation? Sagen Sie.«

 

»Herr Marat,« erwiederte Danton, »ich habe Sie, diese Gerechtigkeit werden Sie mir widerfahren lassen, beim ersten Worte, beim ersten Anblicke begriffen; nur glaube ich, daß wir uns, nachdem wir uns begriffen, müssen kennen lernen.«

»Ah! ja,« sagte Marat, »und ich kenne Sie, während Sie mich nicht kennen . . . Wohl! es sei!.. frühstücken Sie morgen mit mir.«

»Wo dies?«

»Im Marstalle von Artois . . . Sie mögen nach dem Doctor Marat fragen; doch ich sage Ihnen zum Voraus, wir werden bei mir nicht frühstücken, wie wir bei Ihnen zu Mittag gegessen haben.«

»Gleichviel! ich werde Ihnen zu Liebe und nicht Ihrem Frühstücke zu Liebe kommen.«

»Oh! wenn Sie mir zu Liebe kommen, dann bin ich ruhig; da Sie eine gute Aufnahme finden werden, so werden Sie auch zufrieden sein.«

»Morgen also!« sagte Danton, indem er eine Bewegung machte, um sich zu entfernen.

Dann näherte er sich aber wieder Marat, dessen Hände er noch nicht ganz losgelassen hatte, und sprach:

»Sie müssen sehr gelitten haben.«

Marat lachte bitter.

»Sie glauben?« sagte er.

»Ich bin dessen sicher.«

»Ei! Sie sind ein größerer Philosoph, als ich dachte.«

»Ich täuschte mich also nicht?«

»Das ist es gerade, was ich Ihnen morgen zu erzählen gedenke,« erwiederte Marat. »Kommen Sie.«

Und während Marat wieder nach dem Platze des Palais-Royal ging, entfernte sich Danton in der Richtung des Pont-Neuf durch die Rue du Pélican.

In dieser Nacht schlief Danton schlecht: wie der Taucher von Schiller, war er in einen Abgrund getaucht und hatte darin unbekannte Ungeheuer entdeckt!

IX
Der Marstall von Monseigneur dem Grafen von Artois

Wir werden nicht geiziger mit unserer Prosa gegen einen von unsern Helden sein, als wir es gegen den andern gewesen sind; wir haben gesagt, wo und wie Danton wohnte: sagen wir, wo und wie Marat wohnte.

Am Ende der Rue Neuve-de-Berry und du Faubourg-du-Roule, auf dem Boden der ehemaligen königlichen Baumschule, erhob sich der Marstall des Grafen von Artois, ein großes Gebäude, von dem wir unsern Lesern mit ihrer Erlaubniß eine Beschreibung bieten wollen, welche, wie wir hoffen, mächtig zum Verständniß dieser Geschichte beitragen wird.

Der Prinz, damals einunddreißig Jahre alt, das heißt in der Vollkraft des Alters, in der ganzen Gluth seiner Jugend, den Luxus liebend, Alles liebend, was den Luxus schmückt, und besonders das liebend, was diesen Luxus vor den Augen der Pariser verbergen konnte, – welche ziemlich schlecht gegen ihn gestimmt waren, in Folge des verschmitzten Benehmens seines Bruders, des Grafen von Provence, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, ohne sich für sich allein der Popularität der ganzen Familie zu bemächtigen, – der Prinz, sagen wir, hatte seinen Baumeister Bellanger beauftragt, ihm einen Plan geeignet, Geld auszugeben und zu gewinnen, einen Ruin und eine Speculation zu finden.

Der Architekt, sobald er diesen Auftrag erhalten hatte, war sogleich zur Aufsuchung eines zugleich glänzenden und unfruchtbaren Bauplatzes geschritten: glänzend, weil seiner Ansicht nach die Fantasten des Prinzen in die Augen fallen sollten, um ihm Ehre zu machen, ihm, der sie verwirklichte; unfruchtbar, weil der Graf von Artois, der, minder reich durch eigene Mittel, schon zweimal, um seine Schulden zu bezahlen, seine Zuflucht zu Ludwig XVI., – einem König, welcher ganz und gar nicht freigebig, – genommen hatte, um sich eine Anzahl von Launen zu erlauben, diese so wenig theuer, als nur immer möglich, bezahlen mußte.

Das war der Augenblick, wo Paris, indem es sich auf dem Procrustesbette zu schütteln versuchte, auf welchem Karl V. es ausgestreckt, und das Heinrich II. und Karl IX. vergebens hatten vergrößern wollen, endlich den alten Gürtel seiner früheren Könige krachen machte. Paris hatte sich sehr erweitert unter Heinrich IV. und unter Ludwig XIV., doch es hatte gleichsam heimlich und unschuldig, ohne es selbst zu wissen, in den Faubourg du Roule und den Faubourg Montmartre eingegriffen.

Der Riese hat also seine Arme um den Raum von mehr als einer halben Meile verlängert, und man sieht in den Schriftstellern der damaligen Zeit die düstere Unzufriedenheit jener Vollblutpariser, welche eine Laune des Königs, der Prinzen, der Minister oder der Financiers in ihren Gewohnheiten gestört hatte.

Unter Ludwig XVI. sogar, wo die Sitten so ausschweifend und so frei waren, murren die leichtesten Geister ganz laut, daß sie die Stadt, wie sie es thut, – und zwar heimlicher Weise, – vom Süden nach dem Westen und vom Süden nach dem Norden ausziehen sehen; demüthige Diener des unumschränkten, mürrischen Herrn, welchen man das Publicum nennt, und dem die Widerspenstigsten gehorchen, bauen diesem Herrn vergebens, um sich für ihre anderen Gebäude Verzeihung zu erwerben, ein römisches Amphitheater unter dem Namen Colysée; vergebens ruiniren sie sich dadurch, daß sie in diesem Gebäude alle gesammelten Reichthümer an Marmor, Bronze und Gold aufhäufen; vergebens versprechen sie hydraulische Feste Cäsars würdig, hängende Gärten, welche die von Semiramis beschämen werden, Concerte, wie Nero, der entsetzliche Tenor, sie nie organisiert hatte, Lotterien, wo jedes herauskommende Billet einen Preis bringen wird, Salons von Licht funkelnd, selbst für die Mondstrahlen verschlossene Säle von Grünem: nichts konnte den Pariser Routinier bewegen, der seinen alten Gärten ergeben, seinen alten Plätzen, seinen alten Straßen, den alten Aussichten an feinem alten Flusse, auf dessen Quais die Werber, die Vögel, die Possenreißer und die Freudenmädchen, rund und roth von ihren häufigen Besuchen in den Schenken, tanzen, fingen und sich schlagen.

Das Colysée! doch ein schönes Wort, gemacht, – man hätte schwören sollen, – um lutecischen Maulaffen zu gefallen! das Colysée mit seinen sechzehn Morgen Umfang, seinen Wasserstrahlen und seinen Orchestern! Die Unternehmer, die dieses schöne Project geträumt, hatten versprochen, siebenmal hunderttausend Livres darin zu begraben; sie hatten versprochen, es zu eröffnen bei der Hochzeit von Ludwig XVI. und der armen Prinzessin, die man als Königin eben so sehr zu hassen anfing, als man sie als Dauphine angebetet hatte; sie hatten versprochen . . . Was versprachen sie nicht? . . . Doch als ob Alles, was man im Namen von Ludwig XVI. versprach, nothwendig hätte fehlschlagen müssen, war das Gebäude nicht vollendet zur Zeit der Hochzeit, und, – ein prophetischer Prospect vom Deficit des Staates, – der Uederschlag von siebenmal hunderttausend Livres führte geradezu auf dem geschlagenen Wege, auf dem die Ueberschläge im Galopp gehen, zu einer Ausgabe von zwei Millionen sechsmal hundert fünfundsiebzigtausend fünfhundert Franken! was ein leichtes Deficit von einer Million neunmal hundert fünfundsiebzigtausend fünfhundert Franken hervorbrachte, und trotz dieser Vermehrung der Ausgabe war das Colysée doch nicht vollendet.

Es wurde indessen eröffnet, auf den Zufall rechnend, wie Alles, was man in Frankreich eröffnet; es wurde eröffnet mit Erlaubniß der Stadt, und man höre, was die Gemeinderäthe jener Zeit am Tage nach der Eröffnung, das heißt am 23. Mai 1771, zu den Unternehmern sagten:

»Das Colysée ist ein Katafalk; die Gerüchte, die sich im Publicum über den entschiedenen Willen des Ministeriums, Paris zu zwangen, sich nach diesem Orte zu wenden, verbreitet haben, konnten nur sehr gegen dieses Bauwesen einnehmen.«

Es war, wie man sieht, nicht der Mühe werth, gegen drei Millionen auszugeben, um zu diesem Resultate zu gelangen.

Vom Publicum schlecht aufgenommen, unterlag das Colysée, und im Jahre 1784 kaufte der Architekt des Herrn Grafen von Artois den Bauplatz, ließ das Gebäude einreißen und bestimmte, den Platz mit den Terrains der königlichen Baumschule verbindend, einen Theil zur Erbauung eines neuen Quartiers und den andern zur Gründung des Marstalls vom Prinzen, welcher uns, wie man bemerkt, einen Umweg hat machen lassen, zu dem wir aber, nachdem dieser Umweg völlig gemacht ist, zurückkommen. ,

Dieses neue Quartier, das von den Luxusideen des Herrn Grafen von Artois ausging, mußte notwendig den Einfluß des Prinzen erleiden; der Prinz war aber Anglomane; die Häuser sollten mithin im englischen Genre gebaut werden, das heißt ohne irgend eine Art von Verzierung, sehr luftig, sehr gut eingetheilt, und so, daß die Miethen oder die Ankäufe wohlfeiler wären, als in der übrigen Stadt.

Man sieht, daß, wenn die Staatsraison aristokratisch blieb, die Speculation sich populär zu machen einwilligte. So also, wie wir am Anfange dieses Kapitels gesagt haben, arbeitete der Herr Graf von Artois darauf hin, das Volk zu befriedigen, während er sein Geld gewann, seinen Luxus auszudehnen, während er seine eigenen Einkünfte vermehrte.

Unterstützt durch diesen ökonomischen Grundsatz, erhob sich der Marstall rasch; er bildete ein von Pavillons und geräumigen Höfen durchschnittenes Gebäude: der erste, der am Eingange, enthielt rechts und links flach gewölbte Ställe, äußerlich mit Säulen ohne Basis decorirt, welche als Widerlagen der Gewölbe dienten.

Zu jener Zeit, einer Zeit, wo sich die Kritik an Jedermann zu üben anfing, selbst an den königlichen Personen, geheiligten Häuptern, welche bis dahin der Kritik, – wenigstens der öffentlichen, – entgangen waren, – zu jener Zeit, sagen wir, machten vielleicht strenge Oeconomisten dem Prinzen die Größe und die Pracht der für seine Pferde bestimmten Wohnungen zum Vorwurfe; es haben sich immer eifersüchtige Statistiker gefunden, welche die Wuth hatten, die Thiere mit den Leuten, die Pferde mit den Menschen zu vergleichen und jene aus Liebe für diese um ihre Streu und um ihre Krippen zu beneiden.

Zum Glücke hatte aber der Herr Graf von Artois die Einwendung vorhergesehen, als er diese Häuser im englischen Genre bauen ließ, das heißt diese philanthropischen Wohnungen, in welchen menschliche Geschöpfe leben und athmen könnten, ob im ganzen die Respiration, dieses erste Bedürfnis des Lebens zu theuer zu bezahlen, und zwar mit mehr in ihrer Arbeit geschont zu werden, Pferde des Prinzen waren, – vierfüßige Thiere, welche nach unserer Ansicht zu sehr von den Herren Oeconomisten beneidet wurden, denn gab der Herr Graf von Artois seinen Pferden eine glänzende Wohnung, so schonte er sie dagegen ganz und gar nicht.

In der Zeit, wo die Ereignisse vorfallen, die wir erzählen, war also das Quartier du Roule auf englische Weise gebaut; heute noch, nachdem über sechzig Jahre verlaufen sind, hat es von seinem Princip den Raum und die Regelmäßigkeit bewahrt.

Der Marstall war vollendet: Pferde, Stallknechte und Pariser von diesem Umkreise hatten sich nicht zu beklagen. Das Colysée allein hätte Einspruch thun können, doch die Gräber schweigen.

Wir haben gesagt, das Gebäude sei großartig und bequem gewesen: es konnte dreihundert Pferde beherbergen; es gab wohl vierhundert Personen Wohnung, und Herr Bellanger hatte diese nicht,– ohne Zweifel in Gemäßheit des Glückes, das sie genossen, dem elegantesten Prinzen der Zeit attachirt zu sein, – Herr Bellanger hatte diese nicht, nach der englischen Mode, der Sculpturen und der Ornamente beraubt. Es fanden sich dabei mehr oder minder merkwürdige, – von den zwei Schilderhäusern überragt von Trophäen, welche den Haupteingang bezeichneten, bis zu den Giebeln aller Gänge, Gewölbe oder Vestibules des Innern.

In diesem ungeheuren Gebäude, einer Art von fürstlichem Phalansterium, lebten also ruhig, mit Weibern, Kindern, Hühnern und Hunden, alle Leute vom Hause des Prinzen, die Leute von seinem Marstalle wenigstens; und es war keine kleine Erholung für dieses Dorf, der freie Eintritt in die im zweiten Hofe liegende schöne Reitschule, wo die herrlichen englischen und normannischen Pferde von Monseigneur dressirt wurden.

Eben dieselben Oeconomisten, Gehalteklauber und Sinecurenjäger wären auf eine boshafte Weise Einem der Angestellten, dem Glücklichsten des Hauses, zuwider gewesen, hätten ihre philanthropischen Angriffe den Herrn Grafen von Artois bestimmt, Philanthrop zu werden wie sie und folglich seine Pferde zu verkaufen und Menschen in seine Ställe einzuquartieren.

Wir meinen nicht den Arzt des Marstalls, wie man ihn genannt hat, wir Meinen nicht den Veterinär, wie man ihn auch genannt hat, sondern den Wundarzt der Veterinäre, der seine kleine Wohnung zwischen dem ersten und dem zweiten Hofe, in der Sonne und gegen Norden, mit zwölfhundert Livres Gehalt, hatte.

Das war der Mann, den Danton am vorhergehenden Tage, um Mitternacht, mit dem Versprechen verlassen, ihn am Morgen um zehn Uhr wiederzusehen, ein Versprechen, welches er zu erfüllen sich anschickte, indem er durch das massive Thor des Marstalls, am 26. August 1788, zur bezeichneten Stunde eintrat.

 

»Wo wohnt der Herr Doctor Marat?« fragte er den breiten Schweizer, der vergebens auf seinem ungeheuren Bauche zwei am Ende von zwei kurzen Armen hängende kleine Hände zu kreuzen suchte.

»1es Vestibule, Treppe B, Corridor D, Thüre 12,« erwiederte der Schweizer, ohne sich zu irren, und dennoch ohne dem, was er sagte, die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Danton durchschritt in den Strahlen einer lauen Morgensonne den großen Hof, wo schon einige Piqueurs, angethan mit ihren langen Stiefeln, mit den Sporen klirrend auf und abgingen.

Durch die offenen Fenster der Kämpfer drang das kräftige Athmen der Pferde hervor, welche die Esparsette und den Hafer, der sie sticht, durchwühlen. Man hörte rechts das Gewieher der Hengste, denen links die ungeduldigen Stuten antworteten.

Mit diesem Geräusche vermischten sich unter den Arcaden das Geklirr der silbernen Kettchen und das Aneinanderreihen der eisernen Schnallen; die Polirer arbeiteten behende auf den glänzenden Geschirren; das reine Wasser plätscherte in breiten Rinnen am Ende der marmornen Tränken, aus denen die Dienstpferde so eben getrunken hatten.

Danton hatte während des Ganges, den er durch diesen Hof machte, Zeit, Alles zu sehen und Alles zu hören. Vergebens suchte er unter den philanthropischen Erinnerungen vom vorhergehenden Tage seine Bewunderung für alle diese Herrlichkeiten zu ersticken. Wir haben gesagt, das innere Verlangen von Danton sei auf den Luxus gerichtet gewesen, und wir vermöchten nicht zu behaupten, dieser Mann, der zu Marat als ein Vertheidiger und als ein Freund des Volkes kam, habe in diesem Augenblicke nicht ebenso viel Neid auf den reichen Prinzen, als Sympathie für die armen Proletarier gehabt.

Er durchschritt nichtsdestoweniger mit geringschätzendem Auge und die Stirne gefaltet den Hof; nur brauchte er fünf Minuten, um ihn zu durchschreiten, dergestalt hatten diese verschiedenen Gegenstände Herrschaft auf die Sinne geübt, die sie bei ihm afficirten.

Endlich, nachdem er in goldenen, in den Stein eingegrabenen Buchstaben die Nummer 1 gelesen hatte, trat er ein.

Eine weite Arcade führte durch die Masse des Gebäudes fortlaufend nach der Reitschule, deren zwei, wegen der Milde der Luft, geöffneten Thüren, in einer durch die optische Täuschung verdoppelten Entfernung, die auf dem rothen Sande caracolirenden Pferde, von oben beleuchtet, das Auge in Flammen, glänzend, gepreßt von den silbergalonirten Stallmeistern, sehen ließen; sie zogen im Hintergrunde dieser Perspective wie fantasmagorische Schatten hin und her.

Danton blieb unwillkürlich unter dieser ersten Arcade stehen und schaute. Er schaute als ein Mensch, der den Werth dieser schönen Dinge kennt, und entriß sich zu rasch dieser Betrachtung für einen Menschen, der nicht begehrt hätte.

Der griechische Philosoph hatte wenigstens harte Stürme auszuhalten und ging nicht immer siegreich daraus hervor.

Bei dem ungestümen Sprunge, den ihn seine Philosophie machen ließ, befand sich Danton vor der Treppe B; er stieg die Stufen zu zwei und zwei hinauf, warf sich in den Corridor D und klopfte sachte an die Thüre Nr. 12.

Er klopfte sachte, haben wir gesagt; nicht als wäre Danton seiner Natur nach schüchtern oder sehr ängstlich bei den Etiquettefragen gewesen; doch es gibt gewisse Häuser, welche Ehrfurcht gebieten, gewisse Wohnungen, welche Altären gleichen.

Danton wäre vielleicht mit dem Hute auf dem Kopfe beim Gouverneur einer Provinz eingetreten; bei Marat wagte er das aber nicht.

Da er indessen einen Augenblick, nachdem er geklopft, – in welchem Augenblicke er aufmerksamer horchte, als er es in seinem Leben gethan, – sah, daß man ihm nicht antwortete, und kein Geräusch vernahm, so drehte er den Schlüssel und befand sich in einem geplatteten Corridor, welcher das Licht von dem Gange empfing, den er gerade verlassen hatte. Ein starker Bratengeruch führte ihn nach der Küche links, wo vor einem schmutzigen Ofen eine Frau mit indolentem Wesen saß und Radießchen von ihrem Kraute befreite, während sie das Braten von zwei Cotelettes überwachte, welche eine weiße Rauchwolke umhüllte, die sich begleitet vom Prasseln des auf der Gluth siedenden Fettes erhob.

Auf einer der Abtheilungen des Ofens sott Milch in einem durch den Gebrauch gesprungenen Pfännchen, indeß auf derselben Abtheilung, ohne Zweifel, um die Kohle zu sparen, in einem irdenen Kaffeetopfe ein schwarzes Kaffeegebräu brodelte und gleichgültig das bisschen Aroma verdunsten ließ, das sein Kochen an zwei vorhergehenden Tagen überlebt hatte.

Quer über der Feuerzange endlich, welche unmittelbar neben dem Roste lag, auf dem die Cotelettes brieten, verkohlten sich drei Brodschnitten auf der Gluth, welche über den Rost hinausging.

Danton brauchte also keine lange Beobachtungen anzustellen, um mit einem Blicke den Küchenzettel des Frühstücks, das ihm sein neuer Freund vorbehielt, zu umfassen.

Der Epicuräer lächelte und fand, an den Küchenzettel von Grimod de la Reuniere denkend, der stoische Philosoph Marat zeige bei dieser Gelegenheit eben so viel Stolz, als Knauserei; er hatte einen Augenblick Lust, ihm ganz einfach zu sagen, etwas weniger Eitelkeit und ein wenig mehr Cotelettes hätte besser die Sache eines durch den Gang, den er gemacht, vollkommen zum Appetit disponirten Magens gethan.

Doch nicht gerade um zu frühstücken war Danton von der Rue du Paon nach dem Ende des Faubourg du Roule gekommen; er erkundigte sich also bei der Köchin, deren prätensiöse Tracht er einen Augenblick bewundert hatte, und diese schaute empor und antwortete hoffärtig, der Herr arbeite.

Zu gleicher Zeit aber, es ist nicht zu leugnen, deutete die Köchin mit dem Finger auf das Zimmer von Marat.

Danton öffnete die Thüre, ohne anzuklopfen, da ihm diese Vorsichtsmaßregel das erste Mal mißglückt war, und befand sich beim Herrn.