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Ingénue

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»Was ist dann zu thun, Monseigneur?«

»Mein Lieber, man muß warten: Auger hat nicht das Mittel, lange ruhig zu bleiben; überdies, hätte er auch die Möglichkeit, so liegt das nicht in seinem Charakter; glauben Sie meiner Erfahrung, binnen Kurzem muß er ein vollendeter Bösewicht werden. Das macht Sie lächeln, da Sie sehen, daß ich nur sieben bis acht Jahre im Alter von Ihnen entfernt bin; doch die Prinzen werden um zehn Jahre älter geboren als die anderen Menschen: ich bin also gerade doppelt so alt als Sie.«

»Sie rathen mir folglich, zu warten, Monseigneur?«

»Ja.«

»Aber das Warten ist der Tod. Dieser Elende besitzt sie, er ist ihr Herr.«

»Ah! da wollen wir vernünftig reden, und hierin werden Sie mich ohne Widerspruch Ihnen überlegen finden. Wollen Sie vernünftig mit mir reden?«

»Monseigneur, ich schwöre Ihnen, daß ich nichts Anderes wünsche.«

»Nun, so setzen Sie sich.«

»Monseigneur. . .«

»Sie haben ein krankes Bein.«

»Monseigneur, ich gehorche.«

Christian nahm einen Stuhl.

Der Graf von Artois zog ein Fauteuil herbei, wie man es in der Komödie macht, wenn man eine ruhige, gesetzte Scene spielen soll.

»Und hören Sie mich nun?« fragte der Prinz.

»Ich höre Sie, Monseigneur,« antwortete Christian.

XLVIII
Wo der Graf von Artois und Christian vernünftig reden

»Mein lieber Christian,« fuhr der Prinz fort, »Sie sagen also, Ingénue sei in der Gewalt dieses Menschen?«

»Ja.«

»Und er besitze sie?«

»Ich befürchte es.«

»Eine Frage?«

»Sprechen Sie, mein Prinz.«

»Liebt sie Sie?«

»Monseigneur, ich weiß es nicht.«

»Wie so?«

»Nein, da sie zu heirathen eingewilligt hat; doch . . .«

»Gut! Sie glauben das?«

»Mein Gott! Monseigneur, Eure Hoheit begreift, betrachte ich diesen Elenden befleckt von Verbrechen, die er auf seinem Gesichte reflectirt, und ich betrachte mich, nun wohl, ich gestehe, dann dünkt es mir wahrscheinlich, daß Ingénue mich ihrem Manne vorzieht.«

»Mein Lieber, Sie müssen sich anklagen, das ist erste Notwendigkeit; liebt sie Sie, so wird sie nie

diesem Menschen gehören.«

»Monseigneur!«

»Ei! ich begreife, das genügt Ihnen nicht.«

»Nein.«

»Sie müßte Ihnen gehören, nicht wahr?«

»Ach! ja, Monseigneur.«

»Dies, mein Lieber, ist eine Sache zwischen Ihnen und ihr, und ich kann Ihnen in dieser Hinsicht keinen Rath geben.«

»Könnte,« fragte zögernd der junge Mann, »könnte Eure königliche Hoheit nicht ihren Einfluß benützen, um zu machen, daß die Heirath für ungültig erklärt würde?«

»Bei Gott! ich habe schon hieran gedacht; doch unter welchem Vorwande? bedenken Sie wohl! Die Welt ist in diesem Augenblicke bei den Tugendbündnissen; Ingénue gehört zum Volke, Auger auch; der Schuft, – Sie wissen das, – stellt sich als Ausreißer aus unseren Reihen auf, er flieht unsere Verdorbenheit. Seine Heirath mit einer Plebejerin hat ihn im öffentlichen Geiste gestählt; greifen wir diese Heirath an, bringen wir es dahin, daß die Ehe getrennt wird, so sehe ich von hier aus die Schmierer ihre Federn in Gift tauchen. Nehmen wir uns in Acht!«

»Nun, denn, Monseigneur: wird dieser Mensch mit ihr wohnen oder nicht mit ihr wohnen?«

»Mein Lieber, erkundigen Sie sich, wie ich Ihnen schon bemerkt, geradezu! Sie sind diesem Kinde eine Erklärung schuldig. Wählen Sie besonders Ihre Zeit gut; halten Sie sich nicht im ehelichen Domicil auf, UM dem Manne den Vorwand zu einem leichten Morde unter der Farbe der Eifersucht zu liefern. Man rädert nicht mehr, man henkt beinahe nicht mehr, und mein Bruder spricht davon, daß er die Todesstrafe ganz abschaffen wolle: dieser Schurke Auger würde Sie tödten zur großen Zufriedenheit der Bürger, welche die Sittlichkeit durch Ihren Tod gerächt sehen dürften! Seien Sie auf Ihrer Hut, mein Lieber, seien Sie auf Ihrer Hut!«

»Ich habe es Ihnen gesagt, Monseigneur, es bleibt mir kein anderes Mittel als die Entführung.«

»Ja, doch Sie reisen ab, und ich, ich bleibe. Auf mich wird also das Gewitter fallen. Im Ganzen, wenn Ihnen das nützlich sein kann, lassen Sie mich unter der Traufe und bekümmern Sie sich um nichts.«

»Oh! Monseigneur, Sie begreifen, nicht wahr? eher vor Gram sterben, als Ihnen den Schatten einer Unannehmlichkeit verursachen!«

»Meinen Dank! . . . Wahrhaftig, Sie thun mir einen Gefallen; man hat mich seit einiger Zeit so unpopulär gemacht, daß ich glaube, statt als Sündenbock zu dienen, wäre es mir sehr ersprießlich, einen für mich zu finden. Lassen Sie mich also beiseit: ich schwöre Ihnen, das wird sogar sehr gut gespielt sein. Aus dieser Geschichte heraus, werde ich Ihnen eine viel größere Hilfe als Verbündeter, denn als Mitschuldiger sein. Zählen Sie aus mich bei Tage, wie bei Nacht; lauern Sie auf eine gute Gelegenheit, und bietet sie sich Ihnen, so suchen Sie mich auf, damit ich Ihnen dieselbe benützen helfe. Ei! mein Gott, es gibt so viel Ereignisse im Leben einer Frau!«

»Monseigneur, eine letzte Idee: wenn ich beleidigen würde oder mich beleidigen ließe, und ich forderte den Schuft zum Duell heraus, so würde ich ihn tödten!«

»Pah!« versetzte der Graf; »die Idee, erlauben Sie mir, es Ihnen zu sagen, dünkt mir mittelmäßig; vor Allem, wie kann es Ihnen, einem guten Edelmanne, anstehen, einen Lackei herauszufordern? und ist dieser Lackei herausgefordert, wird er es annehmen? Setzen wir den Fall, er nehme es an, so wird das immer Lärm machen; – und dann hat der Schuft schon seine Vorsichtsmaßregeln ergriffen, oder ich kenne ihn nicht. Ich wette mit Ihnen, wie der Herzog von Orleans sagen würde, daß Meister Auger in diesem Augenblicke sein Leben vor dem Notar versichern läßt und, unter der Form eines Testaments, ein abscheuliches Libell deponiert, von dem wir im Falle seines Todes bedroht wären.«

»Ach! Monseigneur, ich muß gestehen, daß Sie immer Recht haben.«

»Sie haben mir also keine Idee mehr zugeben?«

»Keine, Monseigneur.«

»Suchen Sie wohl.«

»Ich finde nichts.«

»Sie sehen also durchaus nichts, was zu thun wäre?«

»Nichts.«

»Nun, so will ich sehen, ob ich nicht glücklicher sein werde als Sie.«

»Oh! Monseigneur!«

»Ich habe nur eine Idee.«

»Gleichviel, wenn sie gut ist.«

»Ich hoffe, Sie werden damit zufrieden sein.«

»Meinen Dank!«

»Ich bin Ihnen das schuldig, bei Gott! . . . Beinahe hätte ich Ihnen sehr unglücklicher Weise das kleine Mädchen genommen; ich will es Ihnen wiedergeben das ist das Ganze.«

»Ah! Monseigneur, ob es Ihnen gelingt oder nicht gelingt, ich schwöre Ihnen eine ewige Dankbarkeit.«

»Bah! Sie gehören mir, nicht wahr?«

»Mit Leib und Seele, mein Prinz.«

»Früher oder später werden Sie mir einen Theil von Ihrem Blute geben, vielleicht das ganze! Nun wohl, an diesem Tage werden Sie mir viel zu viel bezahlt haben; nehmen Sie auf Abschlag.«

Ohne ein Wort zu sprechen, schwor Christian mit der Geberde und dem Gedanken einen Eid, der auf seinem redlichen Gesichte hervortrat.

»Oh! ich bin Ihrer sicher,« sprach lächelnd der Graf von Artois; »hören Sie mich nun.«

Christian verdoppelte seine Aufmerksamkeit.

»Sie strengen sich teufelmäßig an, um eine Entführung, eine Scheidung, einen Mord, ein Duell, – nennen Sie das, wie Sie wollen, – zu kombinieren, um wozu zu gelangen? Um für sich, ganz für sich, die kleine Frau zu besitzen.«

»Ei! das ist wahr, Monseigneur.«

»Doch Sie strengen sich nur so sehr an, weil sie ein tugendhaftes Mittel, diese Frau ihrem Manne zu nehmen, zu finden suchen.«

»Ja, in der That, das tugendhafteste; das ist vielleicht lächerlich, es ist aber so.«

»Nun wohl, analysieren Sie . . . Sie haben zuerst von einer Entführung gesprochen: hierdurch berauben Sie die Tochter ihres Vaters, den Vater seiner Tochter. Ich rede nicht mehr vom Aergerniß: diese Frage ist zwischen uns erschöpft. Oh! sagen Sie mir nicht, der Vater Rétif werde mit Ihnen leben; ich schätze, thäte er das, so wäre es nicht gerade tugendhaft von seiner Seite. Sie werden mir erwiedern, diese Moral sei die seiner Bücher, und er könne sich für ermächtigt halten, das zu thun, was er schreibe; doch gestehen wir, und ich besitze dort in meinen Wandschränken einige Bände von ihm, diese Moral des Vaters Rétif ist nicht die reinste Moral. Ich habe fast Alles gelesen, was er gemacht hat: es ist etwas weniger geistreich als Crebillon Sohn, doch es ist noch viel unanständiger; Sie begreifen, daß ich die Literatur unseres Schwiegervaters nicht mißhandeln kann. Ich sage unser Schwiegervater, Sie verstehen, Christian, weil ich auch beinahe seine Tochter geheirathet hätte.«

Und die unversiegbare Heiterkeit des jungen Prinzen, diese Heiterkeit, die ihm alle Herzen erwarb, ließ sich endlich aus.

Man war zu lange ernst gewesen.

»Ich fahre fort,« sagte er. »Sie haben das Unmoralische des ersten Mittels erkannt, welches die Entführung ist?«

»Ach! ja.«

»Nun zur Scheidung. Die Scheidung oder Trennung besteht aus Chicanen, Rabulistereien und Wirrwarren unter dem Namen von Aufsätzen. Sie lassen einen Aufsatz drucken, in welchem Sie, um Ingénue weiß zu waschen, ihren Mann beschmutzen werden; der Mann läßt einen Aufsatz drucken, in welchem er, um sich selbst weiß zu waschen, Sie beschmutzen wird; die Frau läßt einen Aufsatz drucken, in welchem sie sich allein genug beschmutzen wird, daß nie ein ehrlicher Mensch mehr etwas von ihr wissen will. Oh! das ist forcirt!. . . Wo vier Advocaten angebissen haben, Christian, bleibt nichts mehr als der Brand. Sagen Sie mir, ist es moralisch, dieses gesetzliche Mittel, welches darauf auslaufen wird, daß es sicherlich Jedermann beschmutzt, und vielleicht die Rechte von Herrn Auger auf seine Frau befestigt?«

Christian neigte das Haupt.

Der Prinz fuhr fort:

 

»Gehen wir zum dritten Mittel über, welches das Duell ist. Nun, dieses ist meiner Ansicht nach das am wenigsten vernünftige von allen. Sie fordern diesen Menschen zum Duell heraus, nicht wahr? und dies, weil Sie sicher sind, daß Sie ihn tödten?«

Christian machte eine Bewegung.

Der Prinz antwortete durch ein Zeichen, das Stillschweigen forderte, und sprach weiter:

»Ich will gern glauben, Sie würden nicht so handeln mit dem Gedanken, er werde Sie tödten: ihm die freie Verfügung über seine Frau durch Ihren Tod lassen, überlegen Sie doch, das wäre ungeheuer einfältig! . . . Sie denken also, Sie werden ihn tödten. Nun wohl, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, mein Lieber, – und ich bin, Gott sei Dank! kein Scheinheiliger! – erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß dieses Mittel nicht religiös ist; mein Bruder würde Sie gerichtlich verfolgen und Ihnen zu Ehren der Moral den Kopf abschlagen lassen. Erhielte ich Ihre Begnadigung – und Sie begreifen, daß, wenn Sie bei diesem Mittel beharren, s» mangelhaft es ist, ich mich anheischig mache, diese Gnade durch die Vermittlung meiner Schwägerin zu erlangen, – dann wird es unmöglich, daß Sie öffentlich mit einer Frau leben, deren Mann Sie getödtet, und die Witwe Auger heißen wird. Diese Dinge machen sich nicht. Sie müßten nach der italienischen oder spanischen Manier Herrn Auger in einem Streite durch einen unfehlbaren Knüttel tödten lassen; dann wollen wir, die wir so eben von der Moral gesprochen haben, vom Gewissen reden. Sie werden nicht verfolgt werden, das ist wahr; nicht enthauptet, das ist wahr; nicht entehrt, das ist abermals wahr; doch Sie werden Gewissensbisse haben; Sie werden sein wie Orestes: Sie werden Ihre Bettvorhänge sich bewegen sehen und mit einem Säbel unter dem Kopfkissen schlafen. Wer weiß, ob Sie nicht, somnambul werdend, wie die Adepten von Mesmer, in einer schönen Nacht Ihre Geliebte tödten, im Glauben, Sie tödten das Gespenst des Todten! Man hat das gesehen, so daß zum Beispiel mir, der ich bei Nacht ganz laut träume, von den Aerzten verboten worden ist, je eine Waffe bei der Hand zu haben, wenn ich schlafe . . . Nun, was denken Sie von meiner Logik, Christian? Habe ich ein Unrecht gegen Sie begangen, so mache ich es auf eine wüthende Art durch Schläge moralischer und religiöser Beredtsamkeit wieder gut, und die Herren Fénelon, Bossuet, Fléchier und Bourdaloue sind sehr kleine Theologen gegen mich!«

»Ach! Alles, was Sie mir bemerkt haben, ist nur zu vernünftig, und Sie erschrecken mich. Mir schien indessen, ich habe Sie vorhin sagen hören, es sei Ihnen ein Gedanke gekommen.«

»Oh! ja, ein vortrefflicher Gedanke!«

»Nun?«

»Nun, ich habe Ihnen denselben nur noch nicht gesagt.«

»Doch Sie werden mir ihn sagen?«

»Bei Gott! folgen Sie wohl meinem Raisonnement.«

»Mit allen meinen Ohren, Monseigneur.«

»Dadurch, daß man beständig sieht, was man nicht thun muß, kommt man dazu, daß man das Thunliche erräth. Vernehmen Sie meinen Gedanken; er besteht aus drei Theilen: 1) Ingénue in Paris bei ihrem Vater lassen . . .«

»Und bei ihrem Manne also?« unterbrach lebhaft der arme Verliebte.

»Oh! unterbrechen Sie mich nicht! ich bin schon so viel abgeschweift, daß ich mich nicht mehr herausfinden würde. Also: 1) Ingénue bei ihrem Vater in unserer guten Stadt Paris lassen. 2) Allen Lärmen, den man über dieses Abenteuer gemacht hat und gern machen möchte, einschläfern, unterdrücken, ersticken; – was die Verneinung jedes Processes, jedes Scheidungsgesuches, jeder Instanz implicirt. – 3) Als einen kostbaren Schatz das elende Leben dieses schändlichen Auger schonen. . . Springen Sie nicht so, ich erkläre mich.«

Christian erstickte einen Seufzer der Wuth.

»Wäre mir dergleichen begegnet,« sprach der Graf, »so hätte ich Folgendes gethan. Ich besitze einige Häuser da und dort in Paris; die einen haben Bäume, die andern haben keine; die einen sind in der abgelegensten Quartieren, die andern in den volkreichsten . . . Ah! ich vergaß, ich hätte mich vor Allem der Liebe von Mademoiselle Ingénue versichert; ich sage Mademoiselle, und Sie müssen mir Dank hierfür wissen.«

»Monseigneur, ist das ganz gewiß?«

»Ich habe das Geheimniß von ihrem Manne selbst.«

»Ah!« machte der junge Mann athmend.

»Folgen Sie mir!«

»Ja, Monseigneur.«

»Sicher, von ihr geliebt zu werden, was nicht schwierig und noch weniger unmöglich wäre, – ich rede von Ihnen, wohlverstanden, – hätte ich ihr ein heftiges Verlangen, sich an ihrem Manne zu rächen, eingeflößt. Das ist auch, wenn ich mich nicht täusche, das Allerleichteste: die glücklichsten Frauen haben ein so natürliches Bedürfniß nach Rache, selbst hinsichtlich derer, welche sie glücklich machen, daß Mademoiselle Ingénue sich an ihrem Manne mit einer den Qualen, die er sie hat ausstehen lassen, angemessenen Wuth rächen wird. . . Ich komme auf meine Häuser zurück. Sie werden irgendwo eine einsame, ruhige, reizende Wohnung wählen; Sie werden Ingénue dahin führen; Sie werden sich mit ihr von Herzen verheirathen, in Erwartung der weiteren Ereignisse, und Sie werden sie auf zwei bis drei Stunden täglich, – mehr, wenn sie es wollte, – in das Nest, das Ihre Ehe gewählt hat, einquartieren. Hier gehe ich in die trefflichste Philosophie ein; suchen Sie mich wohl zu begreifen, mein lieber Christian.«

Der junge Mann, der Alles, was der Prinz sagte, ziemlich logisch fand, verdoppelte seine Aufmerksamkeit.

Der Prinz fuhr fort:

»Es werden also zwei Dinge geschehen: entweder Sie werden vollkommen glücklich sein, oder Sie werden es nicht sein. Ich entferne die letzte Annahme als unmöglich und undenkbar, weil Sie die Jugend, die Liebe und die Geduld haben; weil Mademoiselle Ingénue Ihnen nichts zu verweigern hat, und Sie Ihrerseits sich wohl hüten werden, die Barbarei so weit zu treiben, daß Sie Ihr das verweigern, was Sie Ihnen bewilligen würde. Sie werden also vollkommen glücklich fein, mein lieber Christian. Sie sind reich, oder wenn Sie es nicht sind, so steht meine Börse zu Ihrer Verfügung . . . Wir sind nun in der That Freunde: zählen Sie auf mich bis zum Betrage von dreihundert Louis d-or, die ich Ihnen von heute an als Jahresgehalt aussetze; das sind Honorare, die Sie vollkommen verdient haben. . . Das Geld macht Alles möglich in der Liebe; ich gehöre nicht zu denjenigen, welche sagen, mit dem Gelde erkaufe man alle Frauen; nein, ich habe zu viel Erfahrung hierfür. Hat man aber einmal die Frau, nach der man begehrt, so ist das Geld von seltsamem Nutzen, um sie sich zu erhalten. Sie bereiten also Ingénue ein Feennest; Sie geben ihr die Toilette einer Herzogin; sie hat um sich, was sie glücklich machen kann; Sie richten es jedoch so ein, doch Ihre Gaben ganz für sie sind, daß der Mann vor Hunger und Durst bei der Wohlhabenheit der Frau stirbt. Nichts kann leichter sein: hat Ingénue gut mit Ihnen in Ihrer Privathaushaltung gespeist, so wird sie gern alle Entbehrungen der Haushaltung von Herrn Auger ertragen. Dieser, wenn er ficht, daß er nichts von seiner Frau hat und sie nicht verkaufen kann, wird davongehen; er wird sich einer schlechten Handlung gegen sie schuldig machen; dann lassen wir ihn, ohne eine Minute zu verlieren, durch Urtheil in sichern Gewahrsam bringen. Nur ihm wird etwas vorzuwerfen sein; auf ihn wird sich der Proceß wälzen, wenn es einen gibt, und dergleichen Urtheile werden nicht außerhalb des Umkreises vom Gerichtshause ruchbar.«

Christian billigte mit dem Kopfe nickend; der Prinz fuhr fort:

»Oder wird Herr Auger stehlen, und er ist mehr als fähig hierzu! Ein anderer Proceß, ein anderes Mittel, ihn als Begnadigung über die Meere zu schicken. Sie werden indessen sehr glücklich mit seiner Frau drei bis vier Stunden des Tages gelebt haben, was für einen Mann, der mit einem guten oder edlen Werke beschäftigt ist, genügt. Sie werden die Frau, Sie werden den Vater Rétif glücklich gemacht haben. Diese Frau wird ganz Ihnen, Ihnen allein gehören, und Sie brauchen nur Kosten der Einbildungskraft aufzuwenden, um das Geheimniß und die Unverletzlichkeit Ihrer Rendez-vous zu sichern. Ich habe, was ich wiederhole, Häuser, welche hierzu gemacht sind, – Sie werden das wählen, welches Ihnen gefällt, – eines besonders, in das die Frauen kommen, um im Tagelohn zu arbeiten: eine herrliche Hilfsquelle für eine arme Arbeiterin wie Ingénue, welche nichts von ihrem Manne empfangen will, und so ihr Auskommen nur sich selbst wird zu verdanken haben. – Ich eröffne eine Parenthese für meine Philosophie. Sie sind glücklich, vollkommen glücklich, und Sie haben nichts mehr auf der Welt zu wünschen. Ist das schön genug? Bemerken Sie wohl, daß das viel mehr moralisch und viel weniger der Gesellschaft schädlich ist, als alle Ihre Mittel von vorhin. Sie schwimmen also in der Glückseligkeit, – nicht wahr?«

Christian machte ein Zeichen, welches besagen wollte, er würde sich, wenn er wirklich dahin gelangte, vollkommen glücklich fühlen.

»Suchen Sie,« fuhr der Prinz fort, »wählen Sie selbst den Ort, die Stunde, und berechnen Sie die Zeit. . . Wie lange soll das währen? – Ah! lange, nicht wahr? ungeheuer lange! – Wohl, es sei; ich bin großmüthig, wenn es sich um meine Freunde handelt. Sie fordern das Unmögliche, ich bewillige es Ihnen: Sie haben ein Jahr!«

»Oh!« rief Christian, »ich will das ganze Leben!«

»Wir sprechen vernünftig, Sie wollen ein Narr sein! Wohl, setzen wir zwei Jahre . . . Sie haben die Wuth, und Sie gerathen ins Delirium! Setzen wir drei Jahre. Das dauert also drei Jahre; gut! Dann werden Sie anfangen zu überlegen. Das Alter ist fortgeschritten. Ingénue, immer Ingénue, das ist wohl etwas; doch am Ende ist es stets Dasselbe! Sie haben viel Geld für nichts aufgehen lassen; Herr Auger hat sich mehrere Kinder gegeben; Sie überlegen, sagen wir, und die Ueberlegung in der Liebe ist der Tod der Liebe. Die Liebe ist todt! Sie nehmen ein Jahr von Ihrem Gehalte, Sie geben es Mademoiselle Ingénue, das heißt Madame Auger; Sie machen den Kindern von Herrn Auger Renten. Sie kehren zu Ihrer Frau Mutter zurück und heirathen eine Dame, die ich Ihnen mit fünf bis sechsmal hunderttausend Livres in Reserve halte; Sie bekommen ein Regiment, ich lasse Sie einen Feldzug mitmachen, Sie werden das St. Ludwigs-Kreuz haben, und ich erhebe eines von Ihren Gütern zum Marquisat. Wie finden Sie, daß ich die Romane mache? Verdiente ich nicht, in die Familie Rétif einzutreten?« schloß der Prinz.

Und er punktierte diese betäubende Tollheit mit einem herzlichen Gelächter.

Christian lächelte und neigte das Haupt.

»Eure Hoheit vergißt,« sagte er, »daß sie die Gnade hatte, mit einem Verliebten zu sprechen, und die Verliebten sind Kranke.«

»Welche nicht geheilt sein wollen. Bei Gott! wem sagen Sie das? Glauben Sie denn, ich habe gescherzt? Bei meinem Leben, – abgesehen von den drei Jahren, den Kindern, dem Ende Ihrer auf eine Heirath von fünfmal hunderttausend Livres auslaufenden Epopöe, – so wahr ich ein Edelmann bin, ich habe das, was ich gesagt, gedacht, und ich würde das, was ich gedacht habe, thun, wenn ich an Ihrer Stelle wäre!«

»Nun wohl, mein Prinz,« rief Christian, »ich will es versuchen.«

»Gut also!. . . Gehen Sie, und Gott stehe Ihnen bei! – der Gott Cupido, wohlverstanden; denn was den Andern betrifft, Wetter! mit diesem wollen wir nicht spielen! mein großer Bruder scherzt nie über dieses Kapitel.«

Der Graf von Artois geleitete Christian bis zur Thüre seines Cabinets zurück, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und kehrte dann wieder um, entzückt über Alles das, was er diesem armen Narren in der Manier von Werther, aus dem er einen Weisen nach seiner Art machen wollte, geraden hatte.