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Ingénue

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Ingénue schüttelte den Kopf.

»Herr Christian hat nie um mich gehandelt,« sagte sie.

»Was läßt Dich das glauben?«

»Er hat mir nie gesagt, er komme im Auftrage einer andern Person.«

»Er hat es Dir nie gesagt, das war aber dennoch die Wirklichkeit.«

Ingénue schüttelte abermals den Kopf.

»Es war ein seltsames Mittel, mir für einen Andern den Hof zu machen, sich für sich selbst lieben zu lassen.«

Diese einfache und scharfe Logik schmetterte Rétif nieder.

»Oh!« sagte er stammelnd, »vertraue nicht hierauf, meine arme Ingénue; die Verführer haben so vielerlei Kunstgriffe und Ränke.«

»Herr Christian gebrauchte keinen Kunstgriff.«

»Sie stellen Fallen.«

»Herr Christian hat mir keine Falle gestellt.«

»Das kannst Du ja nicht wissen!«

»Sehr gut, im Gegentheile! Ein Mann, der Fallen stellt, wäre nicht, wie Christian, sanft, freundlich, leutselig, unterwürfig, folgsam gegen meine geringsten Willensäußerungen gewesen.«

»Im Gegentheile! im Gegentheile!« rief Rétif, »darin liegt gerade die List.«

»Er hätte nicht eine Frau respectirt, wie Christian mich respectirte.«

»Doch, doch! weil er sie für einen Andern bewahrte.«

»Er würde sie nicht umarmt haben, wenn er sie für einen Andern bewahrt hätte.«

»Er umarmte Dich?« fragte Rétif ganz verblüfft.

»Ja,« antwortete einfach das Mädchen.

Rétif kreuzte die Arme und ging dramatisch in seinem kleinen Zimmer auf und ab.

»Oh! Natur!« murmelte er.

»Nun, erklären Sie das?« sagte Ingénue, welche unbarmherzig ihre Raisonnements verfolgte.

»Ich erkläre nichts,« brummte Rétif; »nur wiederhole ich, daß Herr Christian ein ausschweifender Mensch ist, da er Dich geküßt hat.«

»Oh!« entgegnete das Mädchen, »ich habe ihn auch geküßt, und ich bin nicht ausschweifend, mein Vater.«

Der unnachahmliche Ausdruck, mit dem diese Worte gesprochen wurden, machte allen Zorn des Romanendichters schmelzen; er fühlte, daß er seine Kaltblütigkeit wiedererlangen und gegen eine solche Unschuld List gebrauchen mußte.

»Dann habe ich Dir noch Eines zu sagen, mein Kind,« fügte er bei.

»Sprechen Sie, mein Vater, ich höre.«

»Ist Herr Christian kein Ausschweifung, so mag ich ihn immerhin weggejagt haben, – er wird wiederkommen.«

»Oh! dessen bin ich sicher.«

»Wenn er also nicht wiederkommt? . . .«

Rétif hielt zögernd inne, denn er fühlte, daß er eine schlechte Handlung beging.

»Nun, wenn er nicht wiederkommt?« fragte Ingénue, die Stirne faltend.

»Wenn er nicht wiederkommt, wirst Du endlich glauben, daß Du Dich über ihn getäuscht hast, und daß er es nur auf Deine Tugend, aus Laune oder Sittenlosigkeit, abgesehen hatte?«

»Mein Vater!«

»Wirst Du glauben?«

»Nein!«

»Gestehe doch! denn, wahrhaftig, Du machst mir bange mit Deiner Zähigkeit: Du hast das Ansehen einer gemüthlosen Frau.«

»Oh!« sagte sie lächelnd.

»Antworte.«

»Nun, ich gestehe, daß es mich, wenn Herr Christian nicht wiederkommt, sehr in Erstaunen setzen wird.«

»Ah! ah! das wird Dich nur in Erstaunen setzen? Du bist äußerst gut!«

»Das wird mir auch Argwohn über ihn erregen.«

»Den Argwohn, er sei vom Prinzen abgesandt worden, wie Herr Auger.«

»Nein, nie.«

»Welchen Argwohn denn?«

»Den, Sie haben ihn entmuthigt, Sie haben ihm Angst gemacht, Sie haben ihn verhindert, mich zu lieben, wie er es wollte.«

»Wie wollte er es?«

»Was weiß ich? vielleicht ohne mich zu heirathen.«

»Ah!« rief Rétif ganz freudig, »ich finde meine Tochter wieder . . . Nun wohl, ich mache eine Wette mit Dir . . . willst Du?«

»Mein Vater,« sprach Ingénue mit einem sichtbaren Leiden, »ich bitte, lachen Sie nicht so; Sie thun mir weh!«

Rétif hörte jedoch nicht, oder wollte nicht hören. Er fuhr fort:

»Ich wette, daß binnen vierzehn Tagen . . . nein, vierzehn Tage, das ist nicht genug . . . ich wette, daß binnen einem Monat Herr Christian nicht wiedererscheinen wird.«

Warum gerade binnen einem Monat?« fragte Ingénue, welche abermals Rétif bei einer Blöße berührte: »warum, wenn er zu kommen aufhört, wird es für vierzehn Tage oder für einen Monat sein, und nicht für immer?«

»Ich sage,« antwortete Rétif gleichsam aus dem Sattel gehoben, »ich sage einen Monat, wie ich sagen würde sechs Monate, wie ich sagen würde ein Jahr, wie ich sagen würde immer . . . Weiß ich es?«

»Dann weiß ich mehr als Sie, mein Vater.«

»Du?«

»Ja, ich.«

»Und Du sagst?«

»Ich sage, wenn er binnen einem Monat nicht wiederkommt, so wird er nie wiederkommen.«

»Gewiß.«

»Ich füge aber noch bei: kommt er bis morgen nicht wieder, so wird er binnen einem Monat nicht wiederkommen.«

»Sehr gut, Liebe! sehr gut!« rief Rétif entzückt, Ingénue seinem Sinne beipflichten zu sehen.

Dann sagte er leise zu sich selbst:

»Wie viel Dinge wird es binnen einem Monat nicht geben, welche entweder Christian bei Ingénue, oder Ingénue bei Christian in Vergessenheit bringen werden!«

Dieser würdige Schriftsteller, der große Homer der Liebeshelden, rechnete ohne die Jugend, welche das Glück beherrscht, und ohne das Glück, das fast immer die Jugend begünstigt.

Da Ingénue sicher war, sie werde von nahe oder von fern Christian am Abend oder am andern Tage sehen, so erlangte sie ihr ruhiges Gesicht wieder und wartete.

Was Rétif betrifft, er nahm, ganz keuchend von diesem heftigen Kampfe, die Composition seiner Pariser Nächte wieder auf.

XXVII
Herr Auger

Auger, der illustre Gegenstand des von uns so eben erzählten langen Gespräches, hatte dem Herrn Grafen von Artois Versprechungen und Herrn Rétif de la Bretonne Drohungen gemacht.

Es handelte sich nun darum, die einen zu halten und die andern zu verwirklichen.

Er war indessen in Drohungen und Versprechungen weiter gegangen, als ihm in Wirklichkeit zu gehen möglich wurde.

Was die Versprechungen betrifft, so hat man das Resultat des bei Rétif de la Bretonne gemachten Versuches gesehen.

Was die Drohungen betrifft, so hatten sich die Zeiten ein wenig geändert; man erlangte die geheimen Verhaftsbefehle nicht mehr so leicht, wie zur Zeit von Herrn von Sartine; Ludwig XVI., ein ehrlicher Mensch, hatte Velleitäten eines gerechten Mannes; es begegnete ihm wohl zuweilen, daß er sich bestimmen ließ, wie bei Beaumarchais, einen Schriftsteller nach Saint-Lazare oder nach der Bastille zu schicken, er wollte aber wenigstens, daß dieser Schriftsteller einen Fehler oder ein Vergehen wirklich oder dem Anscheine nach begangen habe.

Es war also nicht möglich, einen geheimen Verhaftsbefehl gegen Rétif de la Bretonne zu verlangen. Der Grund, er habe als Vater nicht zur Schande seiner Tochter einwilligen wollen, ein vortrefflicher Grund bei Ludwig XV., war ein sehr schlechter bei Ludwig XVI.

Rétif hatte dies wohl vorhergesehen, als er muthig den Krieg angenommen.

Er fing auch an Ingénue zu überwachen.

Diese Ueberwachung machte acht Tage lang die Spürhundseigenschaften von Herrn Auger die rechte Fährte verfehlen.

Das war viel! Der Herr Graf von Artois hatte Auger nur vierzehn Tage gegeben; überdies hatte Auger nur so viel von ihm verlangt.

Rétif verließ seine Tochter nicht mehr; er stellte sich mit ihr ans Fenster, und erschien Auger am einen oder am andern Ende der Straße, so lächelte er ihm ironisch zu, oder er grüßte ihn mit einer spöttischen Miene.

So bloßgestellt, entfernte sich der Mercur von Monseigneur dem Grafen von Artois wüthend.

Die Vorsichtsmaßregeln von Rétif de la Bretonne erstreckten sich auf die kleinsten Details.

Nicht ein Brod, nicht eine Gewürztüte fand beim Schriftsteller Einlaß, ohne visitirt worden zu sein. Rétif erfand Kriegslisten, um das Vergnügen zu haben, sie zu bekämpfen.

Ging er mit Ingénue aus, so war es ein Argus, der in den Seiten seines zwanzigjährigen Ueberrocks viel mehr Augen hatte, als Argus, der Spion der Königin der Götter, je an seinem ganzen Leibe gehabt haben mochte.

Auger, der Tag und Nacht lief, war am Ende zum Umfallen müde.

In den Kirchen, bei den Kaufleuten stand er immer auf der Wache, doch er wurde immer zurückgeschlagen: zurückgeschlagen, wenn er verdächtige Emissäre schickte, denen Rétif de la Bretonne, wie er es ihm versprochen, unhöflicher Weise die Thüre vor der Nase schloß; zurückgeschlagen, wenn er schrieb, oder schreiben ließ, und ein altes Weib unter der Haube einer Nachbarin oder der Vermummung einer Devoten sich Ingénue nähern wollte, um ihr einen Brief zuzustecken; zurückgeschlagen sogar, wenn er es versuchte, mit Ingénue, welche sich übrigens durchaus nicht hierzu hergab, einen einfachen Blick zu wechseln.

Es blieb ihm also nichts mehr übrig, als Gewalt anzuwenden, wie er dies Rétif de la Bretonne gedroht hatte. Eines Abends versuchte er es.

An diesem Abend kam Ingénue mit ihrem Vater von ihrem gewöhnlichen Spaziergange zu Réveillon zurück. Auger fiel wie ein Verzweifelter über sie her; er wollte die Tochter von ihrem Vater trennen, sie in seinen Armen forttragen, und in einem Fiacre, der an der Ecke der Straße wartete, entführen.

Rétif, statt einen Kampf zu beginnen, in welchem er sicherlich unterlegen wäre, schob seinen Stock zwischen die Beine des Mädchenräubers und schrie aus Leibeskräften: »Wache!«

Ingénue, die sich nicht im Geringsten um Herrn Auger bekümmerte und nur Gedächtniß und Wünsche für Christian hatte, obschon er nicht wieder erschienen war, Ingénue schrie auch.

Auger verwickelte sich die Beine in den Stock von Rétif und rollte in die Gosse; er wollte aufstehen und sich seiner Beute, die ihm entging, wieder bemächtigen, doch das Geschrei seiner Opfer zog Zeugen an die Fenster, während zu gleicher Zeit eine Rotte von der Nachtwache am Ende der Straße erschien, wo der Angriff stattfand.

 

Auger hatte nur Zeit, über Hals und Kopf davon zu laufen, wobei er die Vorsehung verfluchte, welche die Jungfrauen von den Wüstlingen befreit, und die Patrouillen, die die Schwachen gegen die Starken beschützen.

Auger hielt sich aber nicht für geschlagen. Er nahm sich vor, wiederanzufangen.

»Wäre ich nicht allein gewesen,« sagte er zu sich selbst, »so würde das Mädchen entführt worden sein, und einmal entführt und im Hause des Prinzen, – bei meiner Treue, dann wurde der Prinz verantwortlich für den Ausgang!«

Auger nahm einen Gehilfen an.

Auger hatte aber ohne Rétif de la Bretonne gerechnet; der Greis war noch viel hartnäckiger darauf bedacht, sich seine Tochter nicht entführen zu lassen, als Auger, sie ihm zu entführen. Seit dem Versuche des Mädchenräubers ließ Rétif, so oft er von Réveillon, dem einzigen Hause, das seine Tochter besuchte, zurückkam, Arbeiter von der Fabrik hinter sich gehen, Leute, welche im Allgemeinen sehr wenig Freunde der Aristokraten, weshalb sie auch mit Leidenschaft auf die Chance, einige kräftige Hiebe auszutheilen, lauerten und gern einwilligten, sich in den Winkel der Weichsteine oder in Thorwege zu kauern, um durch eine scheinbare, trügerische Einsamkeit den Feind der Ruhe von Ingénue anzulocken.

Auger machte den Betrunkenen nach; er hatte sich als Kutscher gekleidet. Sein Gefährte, der eben so wenig trunken als er, half ihm den Weg versperren; sie sangen der Eine und der Andere mit einer weinschweren Stimme.

Als Rétif zur Einöde der Bernardins kam, – Abends um halb zehn Uhr, eine in diesen Quartieren ungebührliche Stunde, – stolperte Auger, der den Tritt und den Gang seiner Opfer erkannte, auf Ingénue zu und versicherte, er wolle sie küssen.

Sie schrie; er fiel über sie her, und diesmal hatte er Zeit, sie in seine Arme zu fassen.

Rétif rief um Hilfe, doch der Gefährte von Auger packte ihn zugleich bei seiner Perrücke und bei der Gurgel.

Es war schon zu spät: das Signal war gegeben, der Ruf war gethan. Unsere zwei Kreuzweghelden sahen sich, ehe sie nur einen Schritt gegen den Fiacre gemacht, von vier kräftigen Burschen umringt, welche mit Stöcken und mit Ochsenziemern bewaffnet auf den Rücken der Entführer loszuarbeiten anfingen, wobei sie jeden Schlag mit einem Epitheton begleiteten, das um so unhöflicher, als es verdient war.

Auger fand sich also genöthigt, Ingénue loszulassen, und sein Gefährte mußte bei Rétif dasselbe thun; der Vater und die Tochter benützten dieses Verlassen, um ihre Thüre zu erreichen und hinter sich zu schließen, und als sie ihre fünf Stockwerke erklettert, hatten sie Zeit, sich ans Fenster zu stellen, ehe die Züchtigung, die man auf der Straße ertheilte, völlig beendigt war.

Man muß auch gestehen, daß es die vier Rächer nicht bei der Gerechtigkeit bewenden ließen, sondern daß sie mit Enthusiasmus zu Werke gingen: sie fanden ein großes Vergnügen am Geschäfte und ließen es deshalb so lange als möglich währen; dem zu Folge bearbeiteten sie die Seiten von Herrn Auger und seinem Begleiter, bis der Begleiter von Herrn Auger auf dem Platze liegen blieb.

Was Herrn Auger betrifft, – ihm gelang es, sich durchgewalkt aus dem Staube zu machen, Dank sei es einer Pistole, mit der er bewaffnet war; er entschloß sich, dieselbe zu zeigen, und die Stöcke hatten Angst davor.

Diese Scene machte großen Lärm im Quartier und stellte Ingénue als eine uneinnehmbare Modelle hervor.

Der Commissär hob den Verwundeten auf, und man sprach davon, ihn zu henken, weil er auf offener Straße geraubt.

Dieses Abenteuer benahm jede Hoffnung und jede Begeisterung Herrn Auger: nachdem er sich von seinen Wunden wieder erholt, kam er eines Abends mit hängenden Ohren zum Prinzen, in dem Augenblicke, wo dieser sich zu Bette gelegt hatte.

Zum Unglücke für Herrn Auger war an diesem Abend Seine Königliche Hoheit übler Laune; sie hatten gegen den Herrn Herzog von Orleans, indem sie französische Pferde gemeinschaftlich mit englischen rennen ließ, zweitausend Louis d'or verloren; sie hatte eine Predigt vom König wegen ihrer Irreligiosität bekommen, und war von der Königin geschmäht worden, weil sie dem König den Rücken zugewandt.

An diesem Abend war es also kein lenksamer Prinz.

Auger wußte Alles dies, doch es stand Auger weder die Wahl der Stunde, noch die des Augenblicks zu.

Auger hatte nur vierzehn Tage verlangt, um zu reussiren; man war am siebzehnten, und zu Bette gehend hatte der Prinz gesagt:

»Seit acht Tagen habe ich nichts mehr von Herrn Auger gehört; man hole mir diesen Burschen, daß ich ihm die Ohren reibe.«

Der Lackei hätte sich bald außer Athem gelaufen; doch zehn Minuten, nachdem der Befehl gegeben war, befand sich Herr Auger im Vorzimmer des Grafen von Artois.

Als er vor Seiner Königlichen Hoheit erschien, bearbeitete der Prinz sein Kopfkissen mit gewaltigen Faustschlägen: er suchte einen Rücken, um sich in Athem zu setzen, wie Mercur.

»Ah! Herr Auger!« rief der Prinz, »sind Sie endlich da! das ist ein Glück, bei meiner Treue! Ich glaubte, Sie seien nach Amerika abgereist. Werde ich wenigstens von Ihrer Seite gute Chance haben?«

Auger antwortete mit einem traurigen, gedehnten Seufzer.

Der Prinz begriff.

»Was ist das?« fragte er; »Sie bringen mir also das Mädchen nicht?«

»Ach! Monseigneur,« antwortete der unglückliche Liebesbote, »leider, nein!«

»Ich bitte, warum nicht?«

»Weil alle Mißgeschicke der Welt über mich losgebrochen sind, Monseigneur.«

Hiernach erzählte Auger auf das Allerkläglichste die Mißgeschicke, die ihn betroffen hatten.

Der Prinz hörte ihn ohne das geringste Mitleid an. Auger war in Verzweiflung: keine Sympathie für so viel Unglücksfälle erschien auf dem Gesichte des Prinzen.

»Sie sind ein Dummkopf!« sagte Seine Hoheit, als die Erzählung beendigt war.

»Das ist wahr, Monseigneur,« erwiederte Auger sich verbeugend; »ich habe das schon längst bemerkt.«

»Doch es ist nicht Alles, daß Sie ein Dummkopf sind: Sie sind ein schlechter Diener.«

»Ach! was das betrifft, Hoheit . . .«

»Sie sind ein Schlingel!«

»Monseigneur!«

»Ein Erzschuft! . . . Wie! es ist nicht genug, daß Sie scheitern, Sie compromittiren auch noch meine Livree, welche ohnehin nicht sehr populär ist, dadurch, daß sie Stockschläge bekommt?«

»Aber, Monseigneur, das. ist nicht meine Schuld; es ist Verhängniß!«

»Wenn ich mir folgen wollte, würde ich Sie völlig desavouiren; ich sage mehr . . .«

»Oh! Monseigneur, Sie können nicht mehr sagen!«

»Doch, mein Herr! und im Falle, daß man Ihnen nachspüren sollte, ließe ich Sie henken.«

»Das wäre eine traurige Belohnung für die Mühe, die ich mir um Ihretwillen, Monseigneur, gegeben, und für das Uebel, das ich ausgestanden!«

»Ein schönes Uebel! eine große Mühe! ein kleines Mädchen, keine Unterstützung, keine Bekanntschaft und als Leibwache ein Sieche!«

»Diejenigen, welche auf die Schultern von mir und meinem Gefährten geschlagen haben, waren keine Siechen, Monseigneur.«

»Man wird einmal durchgeprügelt, ich gebe das zu; doch, alle Teufel! das ist ein Grund mehr, um seine Genugthuung zu nehmen.«

»Das war nichts Leichtes, Monseigneur: das ganze Quartier war unterrichtet.«

»Ein schöner Grund! wo die Stärke scheitert, bleibt die List.«

»Der alte Vater ist ein wahrer Fuchs, Monseigneur.«

»Man entledigt sich des Vaters.«

»Unmöglich! dieser Blattschmierer ist zugleich von Eisen und von Baumwolle.«

»Was verstehen Sie hierunter?«

»Von Eisen, um zu schlagen; von Baumwolle, um Schläge zu empfangen.«

»Man kirrt das Mädchen.«

»Um ein Mädchen zu kirren, Monseigneur, muß man es sprechen oder wenigstens sehen.«

»Nun?«

»Ganz unmöglich, es zu sehen oder zu sprechen, Monseigneur.«

»Sie haben also nicht die geringste Einbildungskraft,« rief wüthend der Prinz; »Sie sind also ein ungeschicktes, dummes Thier, ein einfacher Liebeshausknecht? Sie sind also nicht so viel werth als ein Savoyard? Sie sind unter einem Auvergnat? Ich wette, daß der Erste der Beste, den ich nehme, Herr Auger, daß der Commissionär von der Straßenecke die Sache, bei der Sie gescheitert sind, abmachen und zwar gut abmachen wird.«

»Ich möchte glauben, nein, Monseigneur.«

»Ei! mein Herr, wie machten es denn Bontems, Bachelier, Lebel, diese Helden? wie machte es der Kammerdiener des Regenten? wie machte es der Secretär von Herrn von Richelieu? Gibt es ein Beispiel, daß Bachelier oder Lebel, Bontems oder Raffe je eine Frau entkommen ist? War nicht Monceaur zur Zeit des Regenten da? der Hirschpark zur Zeit von Ludwig XV.? Unmöglich! unmöglich, mein Herr? . . . Ei! alle Teufel! das ist das erste Mal, daß ein König oder ein Prinz dieses Wort hört.«

»Monseigneur, wenn jedoch die Macht der Ereignisse . . .«

»Dummheit! Dummheit! Herr Auger, nichts bezwingt die Menschen: es sind die Menschen im Gegentheile, – ich spreche von den geschickten Menschen, wohlverstanden, – es sind die Menschen, welche die Ereignisse bezwingen! Teufel! ich habe die kleine Person gesehen, Herr Auger; ich bin in ihr Zimmer hinaufgegangen; und hätte die Wohnung nicht so stark nach Druckpapier und bestaubtem Schunde gerochen; wäre ich versichert gewesen, daß nicht ein Liebhaber in einem Schranke verborgen, bereit, Scandal zu machen; wäre ich mit einem Worte ein einfacher Officier von meinen Garden gewesen, statt ich selbst zu sein, so hatte ich die kleine Person, und ich ging nicht vor dem andern Morgen von ihr weg!. . . Ist das wahr, mein Herr?«

»Gewiß, Monseigneur.«

»Doch nein, ich bin einfältig genug, die Dinge als Prinz zu treiben! ich habe meinen Bontems, meinen Bachelier, meinen Lebel, den ich bezahle! und die Sache scheitert durch die Schuld von demjenigen, welcher sie sollte reussiren machen. . . Ich habe Unglück in der That, daß ich ein Prinz von Geblüt bin: der winzigste Schüler der Basoche würde mir ins Gesicht lachen, daß ich nicht über Mademoiselle Ingénue Rétif de la Bretonne zu siegen vermocht!«

»Ich bitte Monseigneur flehentlich . . .«

»Sie sind ein Schulfuchs, Herr Auger! gehen Sie in die Schule!«

»Aber, Monseigneur, Bachelier, Lebel, Bontems und alle die Männer, welche Eure Hoheit mir anzuführen die Gnade gehabt hat, alle diese Männer lebten in einer andern Zeit.«

»Ja, ich weiß es, mein Herr, in einer Zeit, wo die Prinzen so treue, so verständige, so geschickte Diener hatten, daß sie nur zu wünschen brauchten, um den eifrigsten Gehorsam zu finden.«

»Monseigneur, jene Zeit war die gute Zeit, doch heute sind die Tage schlecht.«

»In welcher Hinsicht war die Zeit, von der ich spreche, besser als die unsere? Reden Sie, mein Herr.«

»In der Hinsicht, daß Herr Bachelier Befehle in blanco, geheime Verhaftsbriefe in blanco hatte. . . wenn ich sage Herr Bachelier, so sage ich Herr Lebel, so sage ich Herr Bontems; sie befahlen allen Commissären von Paris, sie befahlen der Maréchaussée in der Provinz. Für den Herrn Herzog von Orleans Regenten gab es so viele vornehme Damen, daß er nicht bis zu den Bürgersfrauen herabstieg, und der gegenwärtige Herr Herzog von Orleans versorgt sich mit Pferden, Wagen und Maitressen in England.«

»Gut! und der Herr Herzog von Richelieu, als er jung war und den Prinzessinnen von Geblüt den Hof machte, trotz des Staatsoberhauptes, ihres Vaters? . . . Ist Mademoiselle Ingénue schwieriger zu erlangen, als Mademoiselle von Valois, und ist Herr Rétif de la Bretonne mächtiger, als Philipp von Orleans?«

»Ich wage es, Eurer Hoheit zu wiederholen, daß sich alle gute Traditionen verlieren; man muß sich, wie Herr Mercier sagt, einem Kataklysmos nähern; was einst als eine Gnade betrachtet wurde, wird heute eine Schande genannt. Wahrhaftig, Monseigneur, entschuldigen Sie, daß ich Ihnen solche Dinge sage, ich weiß nicht, ob es die Prinzen sind, welche gehen, oder die ehrlichen Frauen, welche kommen; doch man weicht heute vor Allem zurück, und zum Beweise dient, daß Eure Königliche Hoheit mir erklärt, wenn man die Räuber von Ingénue verfolge, werde sie mich überliefern, um gehenkt zu werden. Ist das ermuthigend, Monseigneur? Ah! man gebe mir einen geheimen Verhaftsbefehl, einen Einlaß in die Bastille für diesen Rétif de la Bretonne!. . . er hat das hundertmal verdient, und es wird ihm kein Unrecht widerfahren; man gebe mir ein Piquet Polizeiagenten, um diejenigen durchzuwalken, welche uns gewalkt haben, und ich garantiere Eurer Königlichen Hoheit, daß die Schöne, ehe zwei Tage vergehen, genommen sein wird; nur muß man hierzu weder den Lärmen, noch die Schläge fürchten; die Schläge, ich fürchte sie nicht, und ich habe sie muthig empfangen; doch vom Lärmen will Eure Königliche Hoheit nichts wissen.«

 

»Nein, gewiß nicht, das will ich nicht. Es ist ein schönes Verdienst, mich zu befriedigen, wenn Sie mich dabei ins Spiel bringen. Bei Gott! gebe ich Ihnen eine Armee, so ist es beinahe sicher, daß Sie Rétif bezwingen werden; gebe ich eine Anweisung, um vier Kanonen aus dem Invalidenhause zu nehmen, so scheint es mir wahrscheinlich, daß Sie die Thüre von Mademoiselle Ingénue sprengen werden; was ich aber verlange, verstehen Sie wohl? das ist Geschicklichkeit, Einbildungskraft, Diplomatie. Sie antworten mir, die Zeiten haben sich geändert; beim Teufel! das ist so, da ich Sie noch nicht für die Schmach, mit der Sie mich bedecken, an einen Ast habe aufhängen lassen. Sind solche Demoiselles schwieriger, als zur Zeit von Bachelier und Lebel, Teufel! so mußten Sie sich stärker als Lebel oder Bachelier zeigen, – das ist das Ganze! Ich höre alle Tage sagen, die Welt gehe vorwärts, das Jahrhundert mache Fortschritte, die Erleuchtung breite sich aus: , gehen Sie mit der Welt vorwärts, mein Herr! machen Sie Fortschritte mit dem Jahrhundert, und da die Erleuchtung sich ausbreitet, so sehen Sie klar!'

Auger wollte antworten, doch von seinem Zorne fortgerissen, war der Prinz so weit gegangen, daß er nicht zurückweichen konnte.

Der Graf von Artois richtete sich in seinem Bette auf, deutete mit einer kaiserlichen Geberde nach der Thüre und rief:

»Hinaus, mein Herr! hinaus!«

»Monseigneur,« erwiederte Auger sich verbeugend, »ich werde es ein andermal besser machen.«

»Durchaus nicht, Sie begreifen mich nicht: ich befehle Ihnen, zu gehen, um nicht wiederzukommen.«

»Wie, Monseigneur?«

»Ich will Ihre Dienste nicht mehr.«

»Wie! Eure Hoheit jagt mich fort?« rief Auger ganz verblüfft.

»Ja.«

»Ohne Motiv?«

»Wie, ohne Motiv?«

»Ich will sagen, ohne daß ich ein Unrecht begangen.«

»Es ist eines, zu scheitern, und dieses, Gott sei Dank! haben Sie gehabt!«

»Monseigneur, lassen Sie mich noch versuchen. . .«

»Nie.«

»Vielleicht werde ich eine List finden.«

»Unnöthig! Will ich dieses Mädchen, so werde ich es haben, doch durch einen Andern als Sie, mein Lieber; das wird das Mittel sein, Ihnen zu beweisen, daß Sie ein Esel sind. Gehen Sie!«

Der Prinz hatte diesmal als Gebieter gesprochen; es war also nichts zu erwiedern. Er zog eine Börse aus seinem Secretär, warf sie Auger zu, wandte sich nach dem Bettgange um, und hörte auf zu sprechen.

Einen Augenblick verwirrt durch das, was er einen schwarzen Undank nannte, hob Auger die Börse auf, ging ab und sagte dabei laut genug, daß es der Prinz hörte:

»Es ist gut, ich werde mich rächen!«

Da aber diese Drohung den Prinzen nicht berühren konnte, so drehte er sich nicht einmal um: er verschnaubte seinen Zorn oder er schnarchte.

Monseigneur der Graf von Artois hatte Unrecht, zu schnarchen; es gibt keinen kleinen Feind, nicht einmal für einen großen Prinzen.

Zeuge Madame Dubarry, die einen Augenblick eine größere Prinzessin war, als die Prinzessinnen von Geblüt, und die zum Feinde einen kleinen Neger hatte, der ihr denselben Kopf abschlagen ließ, an welchem sie spielend dieselbe Krone von Frankreich probiert hatte, die Maria Antoinette so großes Unglück bringen sollte!