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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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VIII.
Die letzten Ritter des Königthums

Wie Gaspard vorausgesehen und auf dem Meierhofe La Banlœuvre zu Petit-Pierre gesagt hatte, gab der Aufschub der bewaffneten Erhebung bis zum 4. Juni dem beabsichtigten Aufstande den Todesstoß. Vergebens entfalteten die Häupter der legitimistischen Partei eine rastlose Thätigkeit; vergebens bereisten der Marquis von Souday und andere Anführer die Dörfer ihrer Divisionen, um den Gegenbefehl zu geben – es war zu spät, denselben in allen Gegenden, die sich der Bewegung anschließen sollten, bekannt zu machen.

In der Nähe von Niort, Fontenay, Luçon waren die Royalisten versammelt. Diot und Robert waren an der Spitze ihrer organisirten Banden aus den Wäldern  der Deux-Sèvres hervorgekommen, um den Kern des Insurgentenheeres zu bilden. Sie werden den Befehlshabern der Militärstationen angezeigt; die in aller Eile zusammengezogenen Regierungstruppen rücken gegen die Gemeinde Armaillour, schlagen die Bauern und verhaften eine große Anzahl von Edelleuten und vormaligen Offizieren, die sich in jener Gemeinde versammelt hatten und auf das Gewehrfeuer herbeieilten.

Aehnliche Verhaftungen fanden in der Nähe von St. Père statt. Der Posten am Hafen La Claye wurde angegriffen, und obgleich dieser heftige Angriff zurückgeschlagen wurde, so konnte man sich doch über die auf dem Lande herrschende Erbitterung nicht täuschen.

Bei einem der Gefangenen fand man eine Liste von jungen Leuten, die ein Elitecorps bilden sollten. Durch diese Liste, durch die auf verschiedenen Punkten zugleich gemachten Angriffe und die Verhaftung von Personen, die wegen ihrer überspannten Ansichten bekannt waren, mußte die Behörde auf die Gefahren aufmerksam gemacht werden, gegen welche sie sich bis dahin nur schwach geschützt hatte.

War der Gegenbefehl in einigen Gegenden der Vendée nicht zeitig genug gekommen, so wurde in den vom Hauptquartier der Insurgenten noch entfernten Provinzen, Bretagne und Maine, die Kriegsfahne ganz offen aufgepflanzt. In der ersteren Provinz hatte sich die Division Vitré mit Glück geschlagen, aber schon am folgenden Tage erlitten die Bretagner bei La Gaudinière eine Niederlage.

Gaultier in der Provinz Maine hatte den Gegenbefehl; ebenfalls zu spät erhalten, um seine Leute zurückzuhalten, und lieferte bei Chaney ein blutiges Treffen, welches sechs Stunden dauerte, und die Bauern, die an vielen Orten nicht wieder nach Hause gehen wollten, wechselten fast täglich Schüsse mit den das Land durchziehenden Colonnen.

Man kann dreist behauptet, dass die Juliregierung aus dem Gegenbefehl vom 22. Mai, aus den unzeitigen vereinzelten Aufständen und aus dem Mangel an Eintracht und Vertrauen, der die Folge davon war, mehr Nutzen zog als aus der Thätigkeit aller ihrer Agenten.

In den Provinzen, wo man die bereits versammelten Divisionen nach Hause schickte, war es unmöglich, später die erkaltete Begeisterung wieder zu wecken. Man hatte den Insurgenten Zeit gelassen sich zu zählen und zu besinnen. Die ruhige Ueberlegung aber ist oft wohl den Berechnungen günstig, den Gefühlen hingegen immer verderblich.

Da die Anführer selbst die Aufmerksamkeit der Regierung erregt hatten, so konnten sie nach der Rückkehr in ihre Wohnungen leicht überfallen und verhaftet werden.

Noch schlimmer war’s in den Bezirken, wo die einzelnen, auf ihre eigenen Kräfte angewiesenen Banden, welche die angekündigten Divisionen vergebens erwarteten, über Verrath schrien, ihre Gewehre zerbrachen und entrüstet nach Hause gingen.

Kurz, der legitimistische Ausstand wurde in der Geburt erstickt. Die Anhänger Heinrichs V. verloren zwei Provinzen, bevor sie ihre Fahne entfaltet hatten, und die Vendée blieb sich selbst überlassen. Aber die muthigen Söhne der »Riesen,« wie Napoleon sie nannte, gaben noch nicht alle Hoffnung auf.

Acht Tage waren seit den im vorigen Capitel erzählten Vorgängen verflossen, und in diesen acht Tagen war die politische Bewegung so gewaltig geworden, daß sie selbst die, deren Herzensangelegenheiten sie davon fern zu halten schienen, in ihren Kreis gezogen hatte.

Bertha, anfangs sehr beunruhigt durch Michel’s Verschwinden, war wieder ganz heiter geworden, als sie ihn wieder sah, und sie gab ihre Freude so laut und offen zu erkennen, daß der junge Baron, wollte er nicht sein Wort brechen, nicht umhin konnte, sich des Wiedersehens ebenfalls wenigstens scheinbar zu freuen. Uebrigens war ihre Zeit durch den Dienst bei Petit-Pierre, insbesondere durch die ihr übertragene Correspondenz so sehr in Anspruch genommen, daß sie nicht bemerkte, wie traurig und niedergeschlagen Michel war, und wie sehr sein abgemessenes Benehmen im Widerspruch stand mit der Vertraulichkeit, zu welcher sich die an keinen Zwang gewöhnte Bertha im Verkehr mit ihrem vermeinten Verlobten berechtigt glaubte.

Mary hatte sich, nachdem sie Michel auf der Binseninsel zurückgelassen, wieder zu ihrem Vater und ihrer Schwester begeben. Sie vermied es, mit dem jungen Baron allein zu seyn, und benützte jede Gelegenheit, die Reize und Vorzüge ihrer Schwester in seinen Augen hervorzuheben. Wenn ihre Blicke den seinigen begegneten, so sah sie ihn bittend an und erinnerte ihn dadurch in zugleich sanfter und schmerzlicher Weise an sein Versprechen.

Wenn Michel die Aufmerksamkeiten, mit denen ihn Bertha überhäufte, etwa durch sein Stillschweigen gut hieß, so zeigte Mary eine auffallende Lustigkeit, die gewiß ihrem Herzen ganz fremd war, aber gleichwohl Michels Herz tief verletzte. Sie vermochte indeß die Veränderung, welche der Widerstreit ihrer Gefühle in ihrem Aeußern hervorbrachte, durch die größte Selbstbeherrschung nicht zu verbergen.

Diese Veränderung würde ihren Umgebungen aufgefallen seyn, wenn diese, wie Bertha, weniger mit ihrem Glücke, oder, wie Petit-Pierre und der Marquis von Souday, weniger mit den Tagesereignissen beschäftigt gewesen wären. Die frische Farbe der armen Mary schwand, die matten Augen waren mit bläulichten Ringen umgeben, ihre blassen Augen sanken sichtlich ein, und leichte Runzeln auf ihrer schönen Stirne straften das Lächeln ihres Mundes Lügen.

Jean Oullier, dessen zärtliche Sorge sich nicht getäuscht haben würde, war leider abwesend; kaum war er wieder auf dem Meierhofe La Banlœuvre eingetroffen, so schickte ihn der Marquis von Souday mit wichtigen Aufträgen in die östlichsten der insurgirten Provinzen. Jean Oullier, der in Herzensangelegenheiten sehr unerfahren war, ging ziemlich ruhig fort, denn trotz dem was er gehört hatte, ahnte er keineswegs, daß das Uebel so tief wurzle.

So war der dritte Juni herangekommen.

An diesem Tage ging es in der Jaquetmühle bei St. Colombin sehr unruhig her. Seit dem frühen Morgen waren viele Weiber und Bettler ab- und zugegangen, und gegen Abend sah der Obstgarten vor dem Meierhofe wie ein Lager aus.

Von Minute zu Minute kamen Männer in Kitteln oder Jagdjacken, mit Flinten, Säbeln und Pistolen bewaffnet; einige kamen über die Felder, andere auf den gebahnten Wegen; sie sagten den ringsum aufgestellten Schildwachen ein Losungswort und wurden von diesen durchgelassen. Sie stellten ihre Gewehre in Pyramiden längs der Hecke auf, welche den Obstgarten von dem Hofe trennte, und schickten sich gleich den zuerst Angekommenen an, sich unter den Apfelbäumen zu lagern.

Alle waren mit Muth und Entschlossenheit, wenige mit Hoffnung gekommen.

Aufrichtige, ehrliche Ueberzeugung ist immer achtbar und ehrwürdig: zu welcher Meinung man sich auch bekenne, man ist stolz, gleichgesinnte Freunde zu haben, und man freut sich, die aufrichtige, ehrliche Ueberzeugung bei den Gegnern zu finden.

Der politische Glaube, für welchen so Viele ihr Leben gelassen haben, kann bekämpft werden: Gott war nicht mehr mit dieser Partei, denn sie ist ja besiegt worden; aber ihr politischer Glaube hat auch nach ihrer Niederlage noch das Recht, geachtet zu werden. Napoleon pflegte die Verwundeten mit den Worten zu begrüßen: »Achtung vor den Besiegten!« Im Alterthum hieß es: »Wehe den Besiegten!« aber das Alterthum war heidnisch, und das Mitleid konnte nicht in der Reihe der falschen Götter Platz finden.

Ohne auf eine Erörterung ihrer politischen Ueberzeugung einzugehen, finden wir, daß die Vendéer im Jahre 1832 ein Beispiel von hochherziger Hingebung und echter Ritterlichkeit gegeben haben. Die Franzosen fingen damals schon an, den engherzigen, kleinlichen, krümelhaften Ideen zu fröhnen, welche seit dem so sehr überhand genommen haben. Diese Hingebung der Vendéer erscheint um so hochherziger, wenn man bedenkt, daß die meisten trotz ihrer Ueberzeugung von dem ungünstigen Ausgange des Kampfes zu den Waffen griffen, und hoffnungslos einem sicheren Tode entgegengingen.

Wie dem auch sey, die Namen dieser Männer gehören der Geschichte an, und wir halten es zur Steuer der Wahrheit für unsere Pflicht, sie in unserer Erzählung zu nennen.

Einige Anführer erhielten ihre letzten Weisungen und beriethen sich über die für den folgenden Tag zu ergreifenden Maßregeln, und eben angekommene Edelleute erzählten von den Ereignissen, die sich im Laufe des Tages zugetragen hatten, insbesondere von der großen Zusammenkunft auf der Heide von Urgerie und von einigen Scharmützeln mit den Regierungstruppen.

Der Marquis von Souday machte sich mitten in den Gruppen durch seine überspannte Redseligkeit bemerklich: er war wieder jung geworden; in seiner fieberhaften Ungeduld konnte er den Sonnenaufgang des folgenden Tages kaum erwarten, und er benutzte die Zeit, welche die Erde zur Umdrehung brauchte, den ihn umgebenden jungen Leuten eine Lection in der Taktik zu geben.

Michel, der in einem Winkel am Camine saß, war der Einzige, dessen Gedanken nicht ausschließlich mit den zu erwartenden Ereignissen beschäftigt waren.

Seit dem Morgen war seine Lage verwickelt geworden. Einige Freunde und Nachbarn des Marquis hatten ihn wegen seiner bevorstehenden Verbindung mit dem Fräulein von Souday beglückwünscht. Er sah wohl ein, daß er sich mit jedem Schritte, den er vorwärts machte, immer mehr in dem Netze verwickelte, in welches er blindlings gegangen war, und unglücklicher Weise fühlte er sich zu schwach, das Versprechen, welches ihm Mary entrissen hatte, zu halten; er fühlte, daß er sich vergebens bemühte, das liebliche Bild, welches von seinem Herzen Besitz genommen hatte, zu vertreiben.

 

Seine Stimmung wurde immer trüber und bildete in diesem Augenblicke einen auffallenden Gegensatz zu den feurigen Gesichtern seiner Umgebungen. Das ihn umgebende Geräusch wurde ihm bald unerträglich; er stand auf und entfernte sich unbemerkt.

Er ging über den Hof, hinter den Mühlrädern hindurch und in den Garten des Müllers. Dort setzte er sich etwa zweihundert Schritte vom Hause auf das Geländer eines kleinen Baches.

Als er beinahe eine Stunde über seine verzweifelte Lage gegrübelt hatte, bemerkte er einen Mann, der auf ihn zukam und denselben Weg verfolgte, den er selbst gegangen war.

»Sind Sie es, Herr von La Logerie?« sagte der Mann.

»Jean Oullier!« erwiderte Michel freudig überrascht.

»Der Himmel schickt Euch. Wann seyd Ihr zurückgekommen?«

»Vor einer halben Stunde.«

»Habt Ihr Mary gesehen?«

»Ja, ich habe Fräulein Mary gesehen,« antwortete er und blickte seufzend zum Himmel auf.

Durch den Ton, mit welchem Jean Oullier diese Worte sprach und durch den Seufzer, der denselben folgte, gab er zu erkennen, daß sein scharfes Auge die Ursache von dem Dahinwelken seines Lieblings erkannte und daß er sich über das Bedenkliche der Sachlage keineswegs täuschte.

»Arme Mary!« stammelte Michel, indem er sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckte.

Jean Oullier sah ihn mitleidig an; nach einer kurzen Pause fragte er: »Haben Sie einen Entschluß gefaßt?«

»Nein; aber ich hoffe, daß mich morgen eine Kugel dieser Sorge überheben wird.«

»O! darauf dürfen Sie nicht zählen,« erwiderte Jean Oullier, »die Kugeln sind eigensinnig, sie weichen denen aus, die getroffen zu werden wünschen.«

»Wir sind sehr unglücklich!« seufzte Michel.

»Ja, Ihr jungen Leute scheint von der sogenannten Liebe, die doch im Grunde nichts als Unsinn ist, sehr geplagt zu werden. Mein Gott! wer hätte gedacht, daß sich die beiden Mädchen, die so sorglos und munter mit ihrem Vater und mir die Wälder durchstreiften, in das erste Gesicht mit einem modischen Hut, das ihnen begegnete, verlieben würden, und zwar weil man’s eben so gut für ein Mädchengesicht halten konnte, wie die Mädchen für verkleidete Knaben.«

»Ach! das Schicksal hat es so gewollt, lieber Jean!«

»Nein, erwiderte der Vendéer, »dem Schicksal müssen Sie nicht die Schuld geben, sondern sich selbst. Sie haben nicht den Muth, in Gegenwart der tollen Bertha zu reden; sind Sie wenigstens entschlossen, ehrlich zu bleiben?«

»Ich werde thun was nothwendig ist, um mich Mary wieder zu nähern. So lange Ihr in dieser Absicht handelt, könnt Ihr auf mich zählen.«

»Wer sagt denn, daß Sie sich dem Fräulein Mary wieder nähern sollen? Die arme Mary hat mehr Verstand als Ihr Alle; sie kann Ihre Frau nicht werden, sie hat’s Ihnen drüben auf der Binseninsel gesagt. Und sie hat vollkommen Recht; nur läßt sie sich durch ihre schwesterliche Liebe zu weit hinreißen; sie will sich zu der Qual verurtheilen, welche sie ihrer Schwester zu ersparen wünscht, und das dürfen wir nicht zugeben.«

»Wie so, Jean Oullier?«

»Da Ihre Geliebte einmal nicht Ihre Frau werden kann, so dürfen Sie auch die, welche Sie nicht lieben, nicht heirathen. Ich glaube, daß Mary am Ende aufhören wird sich zu grämen; denn sie mag sagen, was sie will, ein bisschen Eifersucht ist doch immer in einem Mädchenherzen.«

»Ich soll auf die Hoffnung verzichten, Mary mein zu nennen, und zugleich auf den Trost sie zu sehen? Nein, das kann ich nicht! Ich glaube, daß ich durch das Feuer der Hölle gehen würde, um mich Mary wieder zu nähern.«

»Das sind leere Worte, mein junger Herr! Man hat sich getröstet über die Vertreibung aus dem Paradiese, und man kann in Ihrem Alter auch eine Geliebte vergessen. Ueberdies werden Sie nicht durch das Feuer der Hölle von Mary getrennt werden, sondern durch die Leiche Ihrer Schwester. Denn Sie kennen sie noch nicht, die ungestüme Bertha, Sie wissen nicht, wessen sie fähig ist. Ich bin ein armer, schlichter Bauer und verstehe nichts von den überschwenglichen Gefühlen der vornehmen Leute, aber solche Hindernisse kann Niemand überwinden.«

»Aber mein Gott! was soll ich thun? Rathet mir, lieber Freund.«

»Wie mir scheint, kommt das ganze Unglück daher, daß Sie nicht den Charakter eines Mannes haben: Sie waren nicht stark genug, sich gleich anfangs offen zu erklären; Sie müssen fliehen!«

»Fliehen! ich soll fliehen! Habt Ihr denn nicht gehört, wie Mary mir betheuerte, daß sie mich nie wieder sehen würde, wenn ich auf ihre Schwester verzichtete?«

»Was liegt daran, wenn Sie von ihr geachtet werden?«

»Aber was werde ich leiden!«

»Sie werden anderswo nicht mehr leiden als hier.«

»Hier sehe ich sie doch wenigstens —«

»Das Herz kennt keine Entfernungen. Sehen Sie, es sind fast dreißig Jahre, daß ich meine arme Frau verlor und es gibt Tage, wo ich sie noch sehe, wie ich Sie vor mir sehe. Sie werden Mary’s Bild in Ihrem Herzen mitnehmen und ihre Stimme hören, wie sie Ihnen dankt.«

»Ihr solltet mir lieber den Rath geben zu sterben —«

»Fassen Sie einen herzhaften Entschluß, Herr von La Logerie!« erwiderte Jean Oullier. »Ich habe fürwahr Ursache Sie zu hassen, aber ich will Ihnen zu Füßen fallen und Sie bitten: geben Sie den beiden armen Geschöpfen so viel wie möglich die Ruhe wieder.«

»Was verlangt Ihr denn von mir?«

»Ich habe Ihnen schon gesagt: Sie müssen fort!«

»Was fällt Euch ein, Jean? Ich soll fort? Es kommt ja morgen zum Kampf; man würde mich als Ausreißer betrachten und ich wäre aus immer entehrt.«

»Nein, Sie sollen nicht entehrt werden; Sie müssen fort, aber ohne ein Ausreißer zu werden.«

»Wie so?«

»In Abwesenheit eines Gemeindeführers der Division Clisson bin ich zum Ersatzmann für ihn gewählt worden; Sie ziehen mit mir.«

»O! ich wollte, daß ich morgen von der ersten Kugel, getroffen würde!«

»Sie werden unter meinen Augen kämpfen,« setzte Jean Oullier hinzu, »und wenn Jemand zweifelt, so werde ich als Zeuge auftreten. Wollen Sie?«

»Ja,« antwortete Michel so leise, daß ihn der Vendéer kaum verstehen konnte.

»Gut, in drei Stunden brechen wir auf.«

»Und ich soll fortziehen, ohne ihr Lebewohl zu sagen!»

»Es muß seyn. Wer weiß, ob sie die Kraft haben würde, Sie fortzulassen. Haben Sie nur diesen Muth noch!»

»Ja, Oullier, ich werde diesen Muth haben. Ihr sollt mit mir zufrieden seyn.«

»Ich kann also auf Sie zählen?»

»Ich gebe Euch mein Wort!«

»In drei Stunden erwarte ich Sie auf dem Kreuzwege, Belle-Passe.»

»Ich komme!«

Jean Oullier winkte dem jungen Baron einen fast freundlichen Abschiedsgruß zu; er ging über den Steg zu den übrigen im Garten versammelten Vendéern.

IX.
Wo Jean Oullier zum Besten der Sache lügt

Der junge Mann blieb einige Minuten wie vernichtet. Die Worte Oullier’s klangen in seinen Ohren wie eine Todtenglocke, die ihm zum Grabe geläutet hatte.

Er glaubte zu träumen, und um an die Wirklichkeit seines Schmerzes zu glauben, mußte er in Gedanken das Schreckenswort wiederholen:

Fort! fort!

Bald durchschauerte ihn der Gedanke an den Tod, den er bis dahin wie eine Hilfe, eine Rettung in unbestimmter Ferne gesehen hatte. Er sah sich von Mary nicht durch eine zu überschreitende Entfernung, sondern durch jene Granitmauer getrennt, die den Menschen für die Ewigkeit in seiner letzten Wohnung einschließt.

Sein Schmerz wurde so stark, daß er ihn für eine Ahnung hielt. Er beschuldigte Jean Oullier der Härte und Ungerechtigkeit; er fand es empörend, daß ihm die Gefühllosigkeit des alten Vendéers den legten Trost eines zärtlichen Blickes raubte; ein letztes Lebewohl, meinte er, könne ihm nicht verweigert werden. Sein Gefühl sträubte sich gegen diese Zumuthung und er beschloß Mary um jeden Preis noch einmal zu sehen.

Er kannte das Innere des Wohngebäudes. Petit-Pierre bewohnte das Zimmer des Müllers über den Mahlgängen. In einem anstoßenden Cabinet schliefen die beiden Schwestern. Das kleine Fenster dieses Cabinets war gerade über dem großen Mühlrade.

Die Mühle stand für den Augenblicke still. Man hatte das Wasser abgeleitet, weil man fürchtete, das Geklapper der Mühle könne die Schildwachen hindern, anderes Geräusch zu hören.

Michel erwartete die Nacht, in einer Stunde war es dunkel. Er ging nun auf die Gebäude zu.

In dem kleinen Schlafcabinet war Licht.

Er warf ein Brett über den Bach und kletterte, sich an der Wand haltend, an dem Mühlrade hinauf.

Er hob sich langsam und schaute durch das kleine Fenster.

Mary war allein; sie saß auf einem Schämel, den Ellbogen aus das Bett, den Kopf auf die Hand gestützt.

Von Zeit zu Zeit kam ein tiefer Seufzer aus ihrer Brust hervor, und ihre Lippen bewegten steh, als ob sie leise betete.

Als Michel ans Fenster klopfte, schaute sie auf. Sie erkannte ihn und eilte mit einem leisen Schrei ans Fenster.

»Still!« flüsterte er.

»Sie – Sie hier!« sagte Mary erstaunt.

»Ja, ich bin’s.«

»Mein Gott! was wollen Sie denn?«

»Es sind ja acht Tage, daß ich kein Wort mit Ihnen gesprochen – es ist fast eben so lange, dass ich Sie nicht gesehen habe. Ich will Ihnen Lebewohl sagen, ehe ich gehe, wohin mich mein Schicksal ruft.«

»Lebewohl? warum denn?«

»Ich komme Ihnen Lebewohl zu sagen, Mary,« wiederholte er ernst.

»O! Sie wollen doch nicht mehr sterben?«

Michel antwortete nicht.

»Nein, Sie werden nicht sterben,« fuhr Mary fort, »ich habe diesen Abend recht andächtig gebetet, Gott wird mich gewiß erhören. Aber jetzt gehen Sie – Sie haben mich gesehen, Sie haben mich –«

»Warum soll ich Sie denn so schnell verlassen? Hassen Sie mich denn so sehr, daß Sie mich nicht sehen mögen?«

»Nein, lieber Freunde,« sagte Mary, »aber Bertha ist im Nebenzimmer, sie hat vielleicht gehört wie Sie gekommen sind – sie kann sprechen hören, mein Gott! was würde dann aus mir werden! Ich habe ihr ja betheuert, daß ich Sie nicht liebe.«

»Ja, ja, betheuern Sie es ihr nur – aber mir haben Sie betheuert, daß Sie mich lieben. und nur Ihre Liebe hat mich bewogen, die meinige geheimzuhalten.«

»Ich beschwöre Sie, Michel, gehen Sie!«

»Nein, Mary, ich gehe nicht, ehe ich aus Ihrem Munde gehört habe, was Sie mir in der Hütte auf der Binseninsel gestanden —«

»Aber diese Liebe ist ja fast ein Verbrechen,« entgegnete Mary außer sich. »Michel, lieber Freund, ich erröthe und weine bei dein Gedanken, daß ich so schwach war, meinen Gefühlen eine Minute nachzugehen.«

»Ich verspreche Ihnen, Mary, daß Sie morgen nicht mehr Ursache haben sollen, solche Thränen zu vergießen —«

»Sie wollen sterben. O! sagen Sie das nicht, ich bitte Sie – doch gehen Sie, Michel. Haben Sie nicht gehört? man kommt —«

»Einen Kuß, Mary —«

»Nein!«

»Nur einen – es ist ja der Scheidekuß!«

»Gehen Sie, lieber Michel!«

»Mary, dann werden Sie den Kuß einer Leiche geben.«

Mary konnte einen Angstschrei nicht unterdrücken; ihre Lippen berührten seine Stirn, aber in dem Augenblicke, als sie das Fenster schloß, ging die Thür auf.

Bertha erschien in der Thür. Sie bemerkte, daß ihre Schwester leichenblaß war und sich kaum aufrecht zu halten vermochte, und mit dem instinctartigen Ahnungsgefühl, welches der Eifersucht eigen ist, eilte sie ans Fenster, riß es ungestüm auf, lehnte sich hinaus und bemerkte einen an den Gebäuden hinschleichenden Schatten.

»Michel war da, Mary!« sagte sie mit bebenden Lippen.

»Schwester,« erwiderte Mary, auf die Knie fallend, »ich schwöre Dir —«

Bertha unterbrach sie: »Schwöre nicht! lüge nicht! ich habe seine Stimme erkannt.«

Bertha stieß Mary so gewaltsam zurück, daß diese rücklings auf den Fußboden fiel. Dann schritt sie über ihre Schwester hinweg und stürzte wüthend wie eine Löwin, der man ihre Jungen geraubt, zum Zimmer hinaus, flog die Treppe hinunter und lief durch die Mühle in den Hof.

Zu ihrem großen Erstaunen sah sie Michel in der Thür neben Jean Oullier sitzen.

Sie ging auf ihn zu.

»Sind Sie schon lange hier«? fragte sie ihn mit gebieterischem Tone.

Michel machte eine Handbewegung, welche bedeutete: Ich lasse diesem hier das Wort.

»Der Herr Baron hat etwa drei Viertelstunden mit mir gesprochen,« antwortete Jean Oullier.

 

Bertha sah den alten Vendéer scharf an.

»Das ist sonderbar!« sagte sie.

»Warum denn sonderbar?« fragte Jean Oullier indem er seinerseits das Fräulein von Souday forschend ansah.

»Weil ich soeben Ihre Stimme am Fenster zu hören glaubte,« erwiderte Bertha, indem sie sich nicht mehr an Jean Oullier, sondern an Michel wandte, »wenn ich nicht irre, stiegen Sie am Mühlrade hinunter, an welchem Sie hinaufgeklettert waren, um mit meiner Schwester zu sprechen.«

»Der Herr Baron,« antwortete Jean Oullier, »sieht mir ganz so aus, als ob er ein so halsbrechendes Kunststück wagen möchte.«

»Aber wer sollt’s denn gewesen seyn, Jean?« sagte Bertha, ungeduldig mit dem Fuß stampfend.

»Ein Trunkenbold von drüben wird sich den Spaß gemacht haben.«

»Aber ich sage Dir, daß Mary zitterte und kaum ein Wort stammeln konnte.«

»Sie wird sich gefürchtet haben,« sagte Jean Oullier, »glauben Sie denn, sie sey so herzhaft wie Sie?«

Bertha wurde nachdenkend. Sie wußte, daß Jean Oullier den jungen Baron nicht leiden konnte, sie konnte daher nicht vermuthen, daß er mit ihm einverstanden sey.

Bald dachte sie wieder an Mary: es fiel ihr ein, daß ihre Schwester beinahe ohnmächtig geworden war.

»Ja, Du hast Recht, Jean,« sagte sie, »das arme Mädchen wird sich gefürchtet haben, und ich habe ihr durch mein ungestümes Wesen vollends die Besonnenheit geraubt. O! diese Liebe macht mich wirklich ganz rücksichtslos!«

Und ohne dem jungen Baron weiter ein Wort zu sagen, eilte sie wieder in die Mühle Jean Oullier sah Michel an, der die Augen niederschlug.

»Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen,« sagte er, »Sie sehen, daß Sie auf einem Pulverfaß stehen. Was wäre daraus geworden, wenn ich nicht dagewesen wäre, um zu lügen? Gott verzeihe es mir! als ob ich in meinem Leben nichts Anderes gethan hätte!«

»Ja, Ihr habt Recht, Jean, Jetzt will ich Euch folgen, das verspreche ich Euch; denn ich sehe wohl, daß ich nicht länger hier bleiben kann.«

»Das läßt sich hören. Die Leute von Nantes werden nun bald ausrücken, der Herr Marquis wird mit seiner Division zu ihnen stoßen. Ziehen Sie mit ihnen fort, aber bleiben Sie zurück und erwarten Sie mich an dem bewußten Orte.«

Michel ging fort, sein Pferd zu satteln. Unterdessen holte Jean Oullier von dem Marquis die letzten Verhaltungsbefehle ein.

Die Vendéer, welche sich zuvor im Garten gelagert hatten, waren bereits aufmarschirt; die Waffen glänzten in der Dunkelheit; die Kampflust war allgemein.

Bald kam Petit-Pierre, von den vornehmsten Anführern gefolgt, aus dem Hause und trat auf die Vendéer zu. Kaum hatte man ihn erkannt, so wurde er mit lautem Jubel begrüßt, die Säbel wurden gezogen und begrüßten die, für welche Jedermann bereit war das Leben zu lassen.

»Freunde,« sagte Petit-Pierre vortretend, »ich hatte versprochen, bei der ersten Versammlung zu erscheinen. Hier bin ich! Ich werde Euch nicht mehr verlassen. Ich theile euer Geschick, sey es nun glücklich oder unglücklich. Mein Sohn würde es auch thun, wenn er an meiner Stelle wäre. Wenn ich Euch fortan nicht mehr um meine Fahne schaaren kann, so kann ich doch mit Euch sterben. Ziehet hin, Ihr Heldensöhne, ziehet hin, wo Euch die Ehre und Pflicht ruft!«

Die Antwort auf diese Anrede war der laute stürmische Ruf: »Es lebe Heinrich V! Es lebe Marie Caroline!« Petit-Pierre sprach noch einige Worte zu den ihm bekannten Führern; dann marschirte die kleine Schaar, von welcher das Geschick der ältesten Monarchie in Europa abhing, in der Richtung von Vieille-Vigne ab.

Unterdessen eilte Bertha ihrer Schwester mit zärtlicher Besorgniß zu Hilfe. Sie trug Mary auf ihr Bett und benetzte ihr das Gesicht mit frischem Wasser.

Mary schlug die Augen auf, aber sie sah noch nichts; ihre Lippen stammelten den Namen Michel.

Ihr Herz war früher erwacht als ihr Geist.

Bertha erschrak unwillkürlich; sie wollte Mary wegen ihrer Heftigkeit um Verzeihung bitten, aber als sie den Namen Michel aus dem Munde ihrer Schwester hörte, erstarben ihr die Worte auf den Lippen. Zum zweiten Male wurde sie von der Schlange der Eifersucht ins Herz gebissen.

In diesem Augenblick hörte sie den lauten Anruf, mit welchem die Vendéer die Worte Petit-Pierre’s begrüßten. Sie trat ans Fenster des Nebenzimmers und bemerkte eine dunkle, mit einigen schimmernden Streifen untermischte Masse, welche sich zwischen den Bäumen fortbewegte und allmälig verschwand. Es war die abmarschirende Colonne.

Es fiel ihr nun ein, daß Michel, der zu dieser Colonne gehörte, fortgezogen war, ohne ihr Lebewohl zu sagen, und, sie setzte sich in unruhiger, düsterer Stimmung wieder vor das Bett ihrer Schwester.