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Die Taube

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– Leider, gnädiger Herr! antwortete Maria seufzend, er war so klar, daß er keines Auslegers bedurfte.

– Und er verkündete Dir Unglück? Das war ein sehr unbedachtsamer Traum, der nicht ahnte, daß ich da wäre, um ihn Lügen zu strafen. Komm mit uns, meine schöne Maria, und das Vergnügen wird die Erscheinung eben so rasch verscheuchen, wie die Sonne die Wolken.

– Und wohin geht Ihr denn, gnädiger Herr? fragte Maria voll Besorgniß.

– Auf die Jagt.

Maris erbleichte, dann sagte sie mit bebender Stimme zu ihm:

– Allein?

– Mit Deinem Bruder.

– O! mein Gott, mein Gott! rief das junge Mädchen aus, kein Zweifel mehr, kein Zweifel mehr, mein Traum war eine Ahnung!

– Wieder Dein Traum! murrte Don Sancho mit einer leichten Regung des Unwillens. Sag an, Maria erzähle mir diesen Traum. Habe ich nicht das Recht auf Deine Gedanken, auf Deine Gedanken bei Nacht, wie auf die bei Tage? Sprich, ich höre Dich.

– O! mein theurer Herr, sagte Maria, indem sie sich zu Don Sancho's Füßen gleiten ließ, daran erkenne ich diese Güte, welche Jedermann unbekannt ist, weil sie auf dem Grunde Eures Herzens bleibt. Statt über meine Schwäche zu spotten, wollt Ihr sie heilen. Wohlan! es ist vielleicht Gott, der Euch dieses Mitleiden mit einer Furcht einflößt, die ein anderer als Thorheit behandeln würde. Nicht wahr, Ihr werdet meinen Schrecken nicht verspotten?

– Nein, unbesorgt, sprich.

– Wohlan! gnädiger Herr. Ihr wart in meinem Traume gekommen, wie Ihr jetzt in der Wirklichkeit da seid. Ihr hattet mir in meinem Traume, wie Ihr es soeben gethan, angeboten, mich auf die Jagd mitzunehmen, und ich hatte es angenommen. Ich war mit Euch aufgebrochen, und ich ritt ganz stolz über Euren Anstand und über Eure Geschicklichkeit neben Euch, und indem ich mir in meinem Innern sagte, daß, wenn Ihr nicht König durch die Geburt gewesen wäret, irgend ein Volk Euch erwählt haben würde.

– Und auch Du schmeichelst mir, Maria? sagte des König lächelnd.

– Nein, mein geliebter Herr, ich sage Euch immer die Wahrheit, oder, wenn ich Euch nicht die Wahrheit sage, so sage ich Euch zum Mindesten das, was ich denke. Ihr rittet also neben mir, als wir in einen dunkeln Forst gelangten, in welchem Eure Hunde bald einen Hirsch aufjagten. Jeder verfolgte ihn nun mit lautem Freudengeschrei, und ich verfolgte ihn wie die andern, aber traurig und wie von einem Wirbel fortgerissen. Ich wollte rufen, ich wollte mein Pferd anhalten, ich wollte, ohne zu wissen warum, Euch sagen, dieses arme Thier nicht so zu verfolgen, aber ich war ohne Stimme und ohne Kraft, und meine Brust wäre eher gesprungen, als einen Ton entschlüpfen zu lassen. Endlich, nach einem Treiben, dessen Länge ich nicht zu ermessen vermochte und in welchem unsere Pferde, als ob sie Flügel gehabt hätten, über Berge, Flüsse und Abgründe sprengten, begann der unglückliche Hirsch müde zu werden, und, wie seltsam, indem ich immer der Jagd folgte, die noch zu fern war, um sie zu sehen, sah ich ihn athemlos, sich kaum fortschleppend, indem er nur noch jedes Mal, wenn er das Bellen der Hunde oder das Schmettern des Waldhornes näher hörte, durch verzweifelte Sprünge weiterkam. Plötzlich flog ein Pfeil aus einem Gebüsch, ohne daß ich sah, welche Hand ihn geschossen hatte, und der an der Schulter getroffene Hirsch that noch einige Schritte, sank auf seine Kniee und wälzte sich dann in seinem Blute, und in dem Maße, als er seinen Feinden näher kam, – Ihr werdet zuweilen solche Träume gehabt haben, nicht wahr, gnädiger Herr? in denen das Wahre und das Falsche, das Phantastische und das Bestimmte dermaßen mit einander vermischt sind, daß man die Wirklichkeit nicht mehr von der Täuschung zu unterscheiden vermag, – da war es, als ob seine Glieder, welche sich streckten, allmählich Ähnlichkeit mit denen eines Menschen annähmen. Endlich, nach einigen Minuten dieser Verwandlung, stieß ich einen Schrei aus: ich hatte meinen Bruder erkannt. Ja, gnädiger Herr, meinen von einem Pfeile unter der Schulter, durchbohrten Bruder, der in einem letzten Krampfe alle seine Kräfte sammelte, um sich nach meiner Seite zu wenden und mir zu sagen:

»Maria, Maria, nimm Dich vor der Jagd in Acht!« Hierauf verschied er sogleich.

–Wie thöricht Du bist, sagte Don Sancho, erkennst Du in diesem sinnlosen Traume nicht die unzusammenhängenden Erscheinungen der Nacht?

– O! nein, nein! rief Maria aus. Nein, glaubt es mir sicher, gnädiger Herr, ich habe in meinem Leben andere Träume gehabt, aber keiner hat mir einen solchen Eindruck zurückgelassen. O! gnädiger Herr, verschmäht diese Warnung nicht. Nach jedem andern Traume habe ich, wenn ich. so sagen darf, allmälig den Rahmen verschwinden fühlen, in dm er eingeschlossen war; sobald ich meine Augen aufgeschlagen halle, verschwanden Berge, Wälder und Landschaften bei dem Lichte des Tages wie ein Dunst, während ich heute noch Alles sehe, als ab ich nicht erwacht wäre. Die Leiche meines Bruders. liegt an dem Fuße eines hohen, mit Tannen gekrönten Felsen, neben einer Quelle, in welche sich ein Wasserfall ergießt, ihm gegenüber befindet sich eine Ruine, welche eine ehemalige, von den Mauren zerstörte Einsiedelei ist und die ein zerbrochenes Kreuz überragt. Seht, gnädiger Herr, ich mag nun die Augen offen oder geschlossen haben, so steht Alles das fortwährend und in voller Wirklichkeit vor mir.

– Es ist zum Mindesten ein Glück, daß dieser Traum, der Deinen Bruder bedrohte, meine schöne Maria verschont hat; denn für so trügerisch ich ihn auch halte, so gestehe ich doch, daß ich einer solchen Ueberzeugung gegenüber, wie die Deinige ist, nicht ohne Besorgniß sein würde.

– O! das ist nicht Alles, gnädiger Herr, die ganze Familie ist in die Aechtung eingeschlossen. Ich blieb dabei nicht stehen und vertiefte mich weiter in meinem blutigen Traum. Die Jagd ging weiter, denn ich allein schien dieser unbarmherzigen Erscheinung zugänglich. Immer ohne Stimme, immer durch eine höhere Gewalt fortgerissen, begann ich meinen Lauf wieder durch den Wald, und fast sogleich jagten die Hunde eine weiße Hirschkuh auf, welche mit der ganzen Schnelligkeit ihres Laufes in das Thal hinabsprengte, und nun erneuerte sich dieselbe Sache wieder. Als wäre ich mit einem koppelten Gesicht begabt, so folgte ich ihr durch die tausend Umwege, welche sie machte um die Bünde zu täuschen; nur war ich es dieses Mal, welche alle ihre Schrecken empfand, ich selbst war es, welche bei jedem Bellen der Hunde, bei jedem Schmettern des Hornes erbebte. Endlich holten wir sie ein und ein Pfeil durchbohrte sie an der Seite. Augenblicklich empfand ich auf der nämlichen Seite einen heftigen Schmerz, und ebenso, wie das Mut über ihr weißes Fell floß, sah ich das Blut mein Kleid färben. Nun traf sie ein zweiter Pfeil an der entgegengesetzten Seite, und auch ich fühlte an dieser Seite, welche die des Herzens war, einen heftigen, stechenden, tödtlichen Schmerz. Das Blut floß aus dieser zweiten Wunde wie aus der ersten. Die Hirschkuh fiel weinend und klagend nieder, und nun näherte sich ihr ein Mann mit dem Messer in der Hand. Dieser Mann verursachte mir einen so großen Schrecken, als ob er zu mir gekommen wäre. Dieser Mann näherte sich ihr und, trotz ihrem Klagen, ihrem Stöhnen, ohne auf mich zu achten, welche durch Gebärden die Sprache zu ersetzen versuchte, gnädiger Herr, durchschnitt er ihr mit diesem Messer die Gurgel, und, bei meiner Seele, ja, gnädiger Herr, ich schwöre es Euch, ich fühlte es schneidend und kalt eindringen, und stieß endlich einen lauten Schrei aus, der mich erweckte. Die Hand an meinem Halse, indem ich mit den Augen an meinen beiden Seiten die Wunden suchte, welche ich erhalten halte, und den Todesschweiß, der mir über den ganzen Körper rieselte, für Blut hielt, glaubte ich lange, ich sei verwundet. O? seht Ihr, gnädiger Herr, fuhr Maria fort, indem sie ihre Hand an die angedeuteten Orte legte, da war es, da und dort, und wenn ich nur davon spreche, so leide ich und fühle mich dem Tode nahe. Ich bitte Euch inständigst, gnädiger Herr, habt daher Erbarmen mit mir und geht nicht auf diese Jagd, denn ich bin überzeugt, daß, wenn ich meinen Traum fortgesetzt hätte, diese Drohung nach meinem Bruder, nach mir, auch Euch erreicht hätte, gnädiger Herr.

Don Sancho lächelte bei dieser Erzählung. Gleich allen schwachen Charaktern that er, als ob er zweifle, um stark zu scheinen, seine Geliebte in seine Arme schließend, antwortete er ihr:

– Maria, ich habe immer sagen hören, daß, wenn man gerade auf ein Gespenst zuginge, man es verschwinden mache. Ich werde es also mit Deinem Traume machen; wir werden gerade auf ihn zugehen, und er wird verschwinden.

O! nein, nein, gnädiger Herr, es sei denn, daß Ihr es befehlt, denn ich bin Eure Magd, und ich wurde Euren Befehlen gehorchen. Nein, ich werde nicht auf diese Jagd gehen, und wenn Ihr mir folgen wollt, gnädiger Herr, so geht Ihr auch nicht hin.

– Du wirst nach Deinem Belieben handeln, Maria, und nicht nach meinem Willen. Du glaubst, daß Dich irgend eine Gefahr bedroht, wenn Du mir folgst, bleib hier, meine Geliebte, ich will Dir selbst den Schatten von Furcht ersparen. Bei meiner Rückkehr werde ich Dich hier wiederfinden, und Du wirst Alles vergessen haben, ausgenommen unsere Liebe. Leb wohl, oder vielmehr auf Wiedersehen.

Maria blich einen Augenblick an Don Sancho's Halle hängen, die Augen geschlossen und dm Mund halb geöffnet, als ob sie ohnmächtig wäre, aber nach Verlauf eines Augenblickes schwellte sich ihr Busen, ihre Thränen flossen und sie brach in ein solches Schluchzen aus, daß Don Sancho seinen Entschluß wanken fühlte und einen Augenblick unschlüssig blieb, indem er zu zweifeln begann, daß ein solcher Schmerz die Wirkung eines Traumes sein könnte, und glaubte, daß sie irgend eine Nachricht erfahren hätte, welche sie ihm nicht mittheilen wollte.

– Maria, sagte er zu ihr, es ist unmöglich, daß ein Traum Dir solche Angst verursacht; versprich, mir las zu sagen, was Du wirtlich hast, und ich werde bleiben.

 

–Nein, nein, sagte Maria, geht auf die Jagd, gnädiger Herr, denn ich habe Euch nichts anderes als das zu sagen, was ich Euch gesagt habe, aber kehrt schnell zurück, denn ich fühle, daß ich erst dann eine Ruhe des Geistes haben werde, wenn ich Euch wiedersehe.

– Solche Wünsche sind Befehle, antwortete Don Sancho, statt nach Castel Branco zu gehen, werde ich nur nach Sarzedar gehen, statt acht Tage werde ich nur drei Tage ausbleiben. Leb daher wohl und auf baldiges Wiedersehen.

Maria nahm nur kopfnickend Abschied von ihm, denn sie wagte nicht zu sprechen, so sehr war ihre Stimme gebrochen. Sie folgte ihm mit den Augen so lange, als sie ihn durch die Thüren der Wohnung erblicken konnte, dann, als er verschwunden war, eilte sie an das Fenster, um ihn noch ein letztes Mal zu begrüßen. Endlich verschwand Don Sancho an der Ecke der Straße, aber Maria blieb noch lange regungslos an demselben Orte und die Augen auf dieselbe Stelle geheftet, als ob sie erwartet hätte, ihn wieder erscheinen zu sehen.

Während dieser Zeit trugen sich in Lissabon Ereignisse zu, welche die Ahnungen Maria's rechtfertigten.

III

Der Adel war der Aufforderung Don Manrique von Carvajal voll Eifer gefolgt, und da er ein reicher und mächtiger Herr war, so hatte sich Niemand darum bekümmert, eine so zahlreiche Versammlung zu ihm eintreten zu sehen. Aber am folgenden Morgen war das Erstaunen groß, als man Handwerker ein unermeßliches Gerüst auf einer Wiese aufschlagen sah, welche sich zwischen Lissabon und dem kleinen Meerbusen erstreckt, der oberhalb der Stadt in das Land tritt. Da Niemand wußte, zu welchem Zwecke dieses Gerüst aufgerichtet ward, so blieben alle Vorübergehenden vor ihm stehen. Auf der andern Seite eilten die Neugierigen der Stadt herbei, als sie die seltsame Arbeit erfahren hatten, welche vor dem Thore gemacht würde, so daß um die Mittagsstunde bereits eine beträchtliche Menge versammelt war, welche den Ausgang dieses Baues erwartete.

Als um zehn Uhr das Gerüst beendigt war, breitete man auf den Stufen und auf der Höhe dieses Gerüstes einen prachtvollen Teppich aus, auf den man einen Thron mit dem Wappen von Portugal, und in Allem dem des Königs gleich, errichtete. Bald darauf setzte man auf diesen Thron eine Statue, welche den König Don Sancho vorstellte; sie hatte die Krone auf dem Haupte, das Zepter in der Hand und das Schwert der Gerechtigkeit an der Seite; sie war mit dem königlichen Gewande angethan, auf welchem die Insignien des Königthumes glänzten; dann näherte sich eine starke Abteilung von Knappen und Leibwachen. Die Knappen, welche jeder die Banner ihrer Herren trugen, schritten die Stufen hinauf und stellten sich hinter dem Throne auf, indem sie ihre Banner vor dem Banner von Portugal senkten. Die Soldaten stellten sich im Kreise um das Gerüst auf, und jeder wartete neugieriger und erstaunter als jemals.

Um Mittag verließ der ganze, von Don Manrique von Carvajal geführte Adel von Lissabon die Kirche, wo er frommer Weise die Messe angehört hatte. Er führte in seiner Mitte den Herrn Don Alphons, den jüngern Bruder des Königs Don Sancho, den man in Catalonien glaubte und der auf eine Botschaft, die er acht Tage zuvor erhalten halte, heimlich nach Lissabon gekommen war. Mit einer kriegerischen Musik voraus, wie als ob er in eine Schlacht oder zu einem Feste gezogen wäre, und von einer noch bei Weitem größeren Menge als die gefolgt, welche ihn erwartete, zog er nach der Wiese. Als sie diese edle Versammlung sahen, öffneten die Soldaten ihre Reihen. Don Manrique von Carvajal und der Erzbischof von Evora stellten sich auf jede Seite des Thrones; die andern Großen stellten sich auf die Stufen in Entfernungen, welche ihren Rang andeuteten. Ein öffentlicher Ausrufer stieg auf die letzte Stufe, und ein lärmender Tusch erschallte, um Aufmerksamkeit zu gebieten. Alle Adeligen zogen ihre Schwerter und der öffentliche Ausrufer ließ, folgende Worte hören:

»Ihr alle, Portugiesen, Grands, Ricos Hombres,1 Prälaten, Ritter, Knappen und Bürger, hört! hört! hört«

»Da der König Don Sancho von Portugal, das Geschlecht verleugnend, aus dem er entsprossen, und die Pflichten vergessend, die ihm auferlegt sind, sich der Krone unwürdig gemacht hat, die er entehrt, so gefällt es Gott durch die Vermittlung der edlen, für das Wohlergehen des Reiches vereinigten Verbündeten, ihn zur Absetzung zu verdammen, die er verdient hat.

»Er hat diese Absetzung besonders aus vier Gründen verdient, und diese vier Gründe sind folgende:

»Erstens: der König Don Sancho ist der Krone unwürdig, weil er sie nicht selbst zu tragen vermag, und nicht er, sondern der verderbenbringende Don Hernand von Alméida es ist, der die Nation mit einem für so stolze Geister, als die Portugiesen, unerträglichen Uebermuthe regiert. Dem zu Folge, da der König seine Krone nicht selbst zu tragen vermag, ist es Zeit, daß sie auf einen Kopf gesetzt wird, der fähiger und würdiger ist, sie zu tragen. Der König Don Sancho verliere. daher die Krone!«

Nach diesen Worten hielt der öffentliche Ausrufer inne und ein tiefes Schweigen verbreitete sich über die Versammlung; man hätte meinen können, daß diese ganze Menge nur Augen und keinen Athen, hätte, denn alle Blicke leuchteten wie Flammen und kein Athem ließ sich in dieser allgemeinen Bestürzung hören. Herr von Evora, Erzbischof von Leria, näherte sich langsam und feierlich der Statue des Königs und nahm ihr die Krone vom Haupte. Bei diesem Anblicke brach die Menge in so rasende Beifallsbezeugungen aus, daß die Adeligen von diesem Augenblicke an ihre Sache vor dem Volke gewonnen wußten. Um die Gemüther nicht erkalten zu lassen, gaben sie dem öffentlichen Ausrufer einen Wink, fortzufahren, und der Ausrufer fuhr fort:

»Zweitens: der König Don Sancho von Portugal ist unwürdig, das Schwert der Gerechtigkeit zu tragen, da er vergißt, sich desselben zum Schutze seiner Unterthanen zu bedienen. Es ist nicht sein Verstand, sondern der Verstand einer Buhlerin, welcher seinen Willen leitet; es ist nicht sein Mund, sondern der Mund eines Höflings, der die Verordnungen ausspricht; es ist nicht seine Hand, sondern die Hand eines Höflings, welche die Verordnungen unterzeichnet, und zwar zum Nachtheile des gemeinsamen Wohles und Interesses. Das Schwert der Gerechtigkeit darf daher nicht länger durch Hände entehrt werden, welche unwürdig sind, es zu tragen. Don Sancho von Portugal verliere daher das Schwert der Gerechtigkeit!«

Der öffentliche Ausrufer schwieg von Neuem. Nun näherte sich Don Manrique von Carvajal der Statue und riß ihr das Schwert der Gerechtigkeit von der Seite. Neue Beifallsbezeugungen erschallten noch weit rasender als die ersten, und der Ausrufer ging auf folgende Anklage über:

»Drittens: der König Don Sancho von Portugal ist unwürdig, das Zepter zu tragen. Um es würdig zu tragen, muß ein König den Vorsitz in seinem Rathe führen, seine Heere anführen, und nicht sein Leben auf Jagden, Bällen und Festen zubringen; um das Zepter auf eine Würdige Weise zu tragen, muß ein Fürst fest und gerecht hin. Don Sancho ist im Gegentheile schwach, nachlässig, Verschwenderisch und verschleudert die Einkünfte des Staates. Don Sancho von Portugal verliere daher das Zepter!«

Nun näherte sich der Graf Rodrigo der Statue und nahm ihr das Zepter aus den Händen, hierauf ging der öffentliche Ausrufer auf die vierte Anklage über:

»Viertens: der König Don Sancho von Portugal ist unwürdig, auf dem Throne zu sitzen, denn, außerdem daß er sich aller der von uns genannten Handlungen des Verrathes gegen die Ehre der portugiesischen Nation schuldig gemacht hat, hat er auch noch seinen Bruder Don Alphons, den einzigen und wahren Erben der Krone, ungerechter Weise mit seinem Hasse verfolgt, indem er ihn ohne Grund und ohne Zweifel in der Hoffnung verbannt hat, irgend ein unrechtmäßiges Kind an seine Stelle zu setzen; aber Gott wird so viel Schande und Entehrung nicht zulassen, und die edlen Verbündeten werden dafür sorgen, indem sie den Thron demjenigen zuerkennen, der ihn durch seine Geburt, durch seinen Muth und durch seine Weisheit verdient. Don Soncho von Portugal sei daher vom Throne verjagt!«

Sogleich näherte sich Don Diego von Salvaterra dem Throne, ergriff die Statue und stieß sie kopfüber herunter; zu gleicher Zeit hoben die Verbündeten Don Alphons in ihren Armen empor und, indem sie ihn auf den leeren Thron setzten, erklärten sie ihn an der Stelle seines Bruders zum König. Diese Erklärung wurde von dem Volke, das immer etwas bei dem Wechsel der Herrschers zu gewinnen glaubt, mit lautem Jubel aufgenommen. In einem Augenblicke war Don Alphons der Dritte mit den Insignien des Königthumes bekleidet, und der Bischof von Evora, der zuerst vortrat, huldigte ihm, indem er ihm die Hand küßte. Don Manrique von Carvajal kam nachher und ihm folgte der Graf Rodrigo und Don Diego von Salvaterra; hierauf kamen vier Abgeordnete des Bundes aller Adeligen, aus denen er bestand. Endlich zog der neue König auf einem prachtvollen weißen, mit dem königlichen Geschirre geschmückten Pferde, begleitet von dem Adel und von dem Volke gefolgt, wieder in die Stadt Lissabon ein und begab sich nach der Cathedrale, wo der Bischof von Coimbra ein Te Deum sang. Der übrige Theil des Tages verfloß in Festen und Freudenbezeugungen.

Während dieser Zeit begab sich Don Sancho in Begleitung von Don Hernand von Alméida und einigen seiner vertrautesten Diener, denn seit einiger Zeit ging kein Adeliger mehr dorthin, wo Don Hernand ging, nach dem Walde von Sarzedar. Der König Don Sancho war dermaßen durch die Liebe, welche er für die Schwester, und durch die Freundschaft, welche er für den Bruder hegte, verblendet, daß er den altem Adel sich von ihm hatte entfernen lassen, ohne etwas zu thun, um ihn zurückzuhalten; er war daher auf dieser verhängnißvollen Jagd nur von seinem Günstling und seinen Jägern begleitet.

Es waren im Voraus Befehle ertheilt worden, und bei seiner Ankunft auf dem Sammelplatze erfuhr Don Sancho, daß ein prachtvoller Hirsch während der Nacht umstellt worden wäre. Kaum nahm er sich die Zeit, zu frühstücken, so groß war sein Eifer für die Jagd. Die frischen Pferde und Hunde wurden aufgestellt; dann ging der Jäger mit seinem Windhunde in die Einkreisung, und nach Verlauf von wenigen Augenblicken schon hörte man den Klang eines Hornes, welches meldete, daß der Hirsch aufgejagt sei, zu gleicher Zeit sah man ihn wie einen Schatten mit einem einzigen Sprunge und ohne den Boden zu berühren, über die Allee sprengen, wo ihn der König und Don Hernand erwartetes. Die Hunde wurden sogleich auf ihn losgelassen, Don Sancho und sein Günstling eilten der Spur der Hunde nach und die Jagd begann.

Von den ersten Schritten an, welche es machte, schien das Pferd Don Hernands von einem übernatürlichen Schnelligkeit beseelt, und obgleich der König einen Renner von dem reinsten maurischen Blute ritt, so versuchte dennoch das andalusische Pferd Don Hernands mehrere Male ihm vorauszukommen, Es entstand ein Kampf zwischen dem Pferds und den Reiter, in welchem man nicht errathen konnte, wer Sieger sein würde, als der König, welcher sah, daß die Seitensprünge des Pferdes und des Reiters die Jagd hinderten, seinem Günstlinge zurief, es gehen zu lassen. Kaum hatte dieser, um zu gehorchen, den Zügel schießen lassen, als ihn sein Renner mit der Schnelligkeit des Sturmes davontrug. Der König sprengte, so rasch sein Pferd es vermochte, hinter ihm drein, und während langer Zeit folgte er ihm, indem er allmählich zurück blieb, aber ihn doch noch durch die Bäume erblickte. Endlich überholte Don Hernand selbst die Hunde und verschwand in einem dichten Schlage. Bald hörte man das Schmettern seines Hornes, welches meldete, daß er den Hirsch im Gesichte hätte; er ritt mit einer dem Hirsche gleichen Schnelligkeit. Nach Verlauf von zehn Minuten ließ sich sein Horn ein zweites Mal hören; aber welche Mühe sich die Jagd auch gegeben hatte, ihm zu folgen, der König erkannte, daß er ihm schon zu weit voraus gekommen war; dieses Rennen dauerte so zwei Stunden lang, und der Schall des Hornes ward jedes Mal schwächer. Plötzlich unterbrach es sich gerade in der Mitte eines Tusches. Der König begriff nichts von dieser Unterbrechung, und da er besorgt zu werden begann, so verdoppelte es die Schnelligkeit und trennte sich gleichfalls von seinen Begleitern. Sein Pferd schien, wie von einer unsichtbaren Hand geleitet, der Spur zu folgen. Die Landschaft wurde immer wilder und öder, der König setzte nichtsdestoweniger seinen Weg fort; allmählich schien es ihm, als ob er in eine Gegend käme, die ihm nicht fremd wäre und die er doch nie gesehen zu haben überzeugt war. Er erkannte eine Einsiedelei in Ruinen mit einem zerbrochenen Kreuze darüber. Er suchte gegenüber, denn es war ihm, als ob sich daselbst ein großer Felsen voll Tannen befinden müsse; die Tannen und der Felsen befanden sich wirklich der Einsiedelei gegenüber. Seine Augen richteten sich sogleich in die Tiefe, und er suchte eine Quelle und einen Wasserfall, der sich darin befinden mußte, die Quelle und der Wasserfall befanden sich in der Tiefe. Nun richteten sich seine Augen mit unaussprechlicher Angst auf den Rasen. Auf dem Rasen lag ein Mann in den letzten Todeskämpfen ausgestreckt. Er sprang von seinem Pferde, eilte zu diesem Manne und stieß einen Schrei aus. Dieser Mann war Don Hernand, sein Pferd hatte ihn von der Höhe des Felsens hinabgestürzt und ihm die Stirn an einem Stein zerschmettert. Nun erinnerte sich der König, woher ihm die Bekanntschaft mit dieser Landschaft käme; es war die, welche Maria im Traume. gesehen und ihm so treu geschildert hatte. Die Leiche lag an dem Fuße eines mit Tannen bedeckten Felsens und hatte eine kleine Einsiedelei in Ruinen mit ihrem zerbrochenen Kreuze vor sich; auf dem Grunde befand sich ein weites natürliches Becken, in welchem sich das Wasser eines Sturzbaches sammelte.

 

Der König wollte Don Hernand Hilfe leisten, aber es war zu spät, Don Hernand war todt. Er setzte nun sein Horn an seine Lippen, um sein ganzes Gefolge herbeizurufen, und blies aus voller Brust. Nach Verlauf eines Augenblickes sah man einige verirrte Hunde erscheinen, welche die Spur verloren hatten; dann hörte man hinter ihnen die Stimmen der Jäger. Endlich erschienen einige voll Besorgnis und Schrecken, als sie ankamen, hatte der König die Leiche Don Hernands an die Quelle getragen, und da er nicht glauben konnte, daß er gänzlich verschieden sei, versuchte er, ihn dadurch wieder zu sich zu bringen, daß er ihm Wasser in das Gesicht spritzte. Was den übrigen Theil der Jagd anbelangt, so hatte sie sich nach einer andern Seite gerichtet, indem sie zur Verfolgung einer weißen Hirschkuh fortgerissen war, welche die Hunde trotz aller Mühe, welche sich die Jäger gegeben hatten. um sie von dieser neuen Spur abzubringen, die Fährte hatte verlieren lassen.

Bei dieser, unter den Umständen, in denen man sich befand, dem Anscheine nach so gleichgültigen Nachricht erbebte Don Sancho wie von einem neuen Schrecken getroffen. Er ließ die Leiche Don Hernand fallen, die er auf sein Knie erhoben hatte, und erkundigte sich ein zweites Mal nach denselben Umständen, indem er in dem Maße erbleichte, als man sie ihm angab; endlich, als der Jäger aufgehört hatte zu sprechen, horchte er einen Augenblick lang, von woher die Stimme der Hunde käme, die man in der Entfernung hörte, und die Leiche seines Günstlings in den Händen der Jäger lassend, schwang er sich auf sein Pferd und trieb es wie ein Rasender nach der Seite, von wo das Gebell ausging.

Don Sancho hatte sich des zweiten Theiles von Maria's Traum erinnert, der Bezug auf sie selbst hatte. Don Sanchos Pferd schien Flügel zu haben, und dennoch zerriß er ihm die Weichen mit seinen Sporen. Das kam daher, weil nach des gräßlichen Wirklichkeit, welcher der erste Theil von Marias Traum angenommen hatte, es ihm schien, als ob es seine Geliebte selbst sei, die in Gefahr wäre. Er wollte daher zeitig genug ankommen, um die Hunde zurückzurufen und die verwünschte Jagd zu unterbrechen, aber wie groß die Schnelligkeit des Sohnes der Wüste auch sein mochte, der ihn wie ein Wirbelwind davontrug, er näherte sich nur allmählich den Hunden, welche von Zeit zu Zelt durch langes Gebell bewiesen, daß sie das von ihnen verfolgte Thier wiedersähen. Endlich, nach drei Stunden dieser unaufhörlichen Verfolgung hatte er sich doch noch so weit genähert, um den Schall des Horns zu hören, das von Minute zu Minute meldete, man habe das Thier im Gesichte, was ein Beweis war, daß dasselbe ermüdete und binnen Kurzem von den Jägern eingeholt werden würde; endlich kam auch das schreckliche Halali. Don Sancho beeilte sein Pferd, und langte in dem Augenblicke an, wo die von mehreren Pfeilen, von denen der letzte das Herz durchbohrte, getroffene Hirschkuh verschieden war.

Es ist unmöglich, den Eindruck zu beschreiben, dm dieser Anblick auf den König hervorbrachte. Das phantastische Leben war seit dem Morgen für ihn dermaßen mit dem wirklichen Leben vermengt, daß er nur zitternd die Augen auf das unglückliche, in seinem Blute ausgestreckte Thier warf; es schien ihm, als ob er die Hirschkuh eine menschliche Gestalt annehmen und sich wie eine Erscheinung vor ihm ausrichten sehen würde. Der sterbende Blick, den sie auf ihn richtete, steigerte feine Unruhe noch mehr, so sehr war er voll Angst und Schmerz. Von nun an hegte er keinen Zweifel mehr, und überzeugt, daß Maria irgend eine Gefahr liefe, nahm er ein frisches Pferd, befahl einem Theile seines Gefolges zu der Leiche Don Hernands zu gehen, und von dem andern begleitet, sprengte er in aller Eile auf der Straße von Santarem davon.

Kaum hatte er einige Stunden zurückgelegt, als er, da er seiner Ungeduld nicht zu widerstehen vermochte und sah, daß der minder gut, als er selbst, berittene übrige Theil der Jäger ihm nicht folgen könnte, sein Pferd in Galopp setzte, und Santarem zum Sammelplatze bestimmte. Auch ihn trieb eine schreckliche Ahnung vorwärts, und er warf es sich bitter vor, den Bitten Marias nicht nachgegeben zu haben. Von Zeit zu Zeit wurde er wieder von Hoffnungen erfüllt, während welcher er tief Athen, schöpfte, wie man es macht, wenn man aus einem schrecklichen Traume erwacht; dann ließ er sich bald wieder, wie ein Schläfer, der in denselben Traum zurück versinkt, von seinen Schrecken fortreißen und drückte von Neuem seine Sporn in den Bauch seines Pferdes, das ihn mit vermehrter Schnelligkeit forttrug.

Die Nacht kam herbei. Don Sancho minderte darum die Schnelligkeit seines Rennens nicht, welches im Gegentheile durch die Dunkelheit selbst einen traurigeren und phantastischeren Charakter annahm. In der Art von Schwindel, von dem er befallen war, meinte er in den Bäumen, welche den Weg begrenzten, eben so viele aus der Erde hervortretende Gespenster zu sehen, die ihm auf beiden Seiten der Straße folgten; endlich erblickte er bei dem ersten Scheine des Mondes den Kirchthurm von Santarem. Er hatte in weniger als sechs Stunden den Weg wieder zurückgelegt, zu welchen er den vorigen ganzen Tag nöthig gehabt hatte.

An dem Hause Marias angelangt, sprang Don Sancho von seinem Pferde, und es seinem Willen überlassend, schritt er auf eine kleine Thür zu, durch welche er gewöhnt war einzutreten, wenn er Nachts kam. An dieser Thür angelangt, blieb er einen Augenblick lang stehen, um Athem zu schöpfen, wobei er voll Angst horchte, ob er nicht irgend ein Geräusch hörte, das seine Befürchtungen rechtfertige: Alles war ruhig und still. Don Sancho faßte wieder einige Zuversicht.

Als er in den Garten trat, warf Don Sancho um willkürlich die Augen auf eine Laube von Jasmin und Granatbäumen, den Lieblingsaufenthalt Marias, er meinte sie nun unter dieser Laube sitzen zu sehen, wie er sie Tausend Male gesehen hatte, und er wandte sich von seinem Wege ab, um zu ihr zu gehen, aber in dem Maße, als er näher kam wurde die Erscheinung minder deutlich. An der Laube angelangt, verschwand das, was er für einen Körper gehalten hatte, wie ein Nebel, er glaubte eine Klage zu hören, die ihn am ganzen Körper schaudern ließ; als er aber um sich blickte und nichts gewahr wurde, als einen leichten gestaltlosen Dunst, welcher dm Boden streifend wie die Falten eines Kleides dahin schwebte, ging er die Freitreppe hinauf; der Dunst stieg vor ihm hinauf und schien ihm den Weg zu zeigen. An der Thür hielt er an, als ob er nicht weiter könnte, und Den Sancho hörte eine neue Klage. Er stürzte sogleich auf die Thür zu, und glaubte auf seinem Gesichte den Eindruck von Thau genetzter Haare zu fühlen, aber dieser Eindruck war so flüchtig, daß er nicht an seine Wirklichkeit zu glauben vermochte. Die Thür ging auf, und der Dunst glitt auf den Steinplatten hin, indem er durch die halbgeöffneten Thüren nach dem Zimmer Marias zuschlüpfte. Don Sancho folgte diesem seltsamen Führer mit bebenden Knieen und Schweiß auf der Stirn. An dem Eingange des Zimmers angelangt blieb er auf der Schwelle stehen. Der Dunst glitt zwischen die Vorhänge, des Bettes, welche zu, gezogen waren, und verschwand. Don Sancho blieb regungslos, ohne Athem, indem er seine Blicke von einem Ende des kaum durch eine Lampe, welche zu den Füßen einer Madonna brannte, erleuchteten Zimmers zu dem andern schweifen ließ; als er hierauf sah, daß Alles ruhig und jede Sache auf ihrem Platze war, näherte er sich leise dem Bette, seinen Athem verhaltend, und horchte, ob er nicht den jugendlichen und leisen Hauch Marias hörte. Kein Athem regte sich in der Nacht. Don Sancho zog die Vorhänge mit zitternder Hand auf. Maria lag in dem Bette. Er bückte sich zu ihr: kein Hauch stieg zu ihm auf. Er drückte seine Lippen auf die Lippen Marias: sie waren eisig. Er riß das Betttuch weg, das Bett war voll Blut. Don Sancho stieß einen Schrei aus, stürzte auf die Madonna zu, und bei dem Scheine der Lampe sah er, daß sie während ihres Schlafes eins Wunde im Herzen erhalten hatte. Die beiden Theile des Traumes waren erfüllt.

1Man sehe Don Telesforo de Trucha, dem alle nachfolgenden Umstände entlehnt sind.