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Die Taube

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III

Als er das Zimmer verließ, steckte Thomas den Schlüssel in seine Tasche.

– Jetzt, sagte er, geht zu dem Herrn Pfarrer und sagt ihm, daß die Töchter und die Schwester seines alten Freundes sich verwundern, ihn nicht zu sehen, und daß sie seines Trostes bedürften. Nur werdet Ihr ihn, statt ihn zu den Frauen zu führen, unten eintreten lassen, ich werde Euch dort erwarten.

Thomas kehrte in das Zimmer zurück, in welchem die Leiche ausgestellt war. Ludwig und Johann begaben sich nach dem Pfarrhaus.

Der Pfarrer war allein; die alte Marie war zum Besuch in der Nachbarschaft. Als er die beiden Brüder erblickte, erbebte er.

– Herr Pfarrer, sagten sie, wie Sie wissen, begräbt man unseren armen Vater erst morgen, wir haben beschlossen, mit einander bei ihm zu wachen, aber auf diese Weise bleiben die armen Frauen allein und ohne Trost, sie haben auf Sie gerechnet, Herr Pfarrer.

– Ich gehe hin, meine Kinder, ich gehe hin, sagte der Pfarrer, wie Espenlaub zitternd; aber er fühlte, daß er vor Allem seine Pflicht erfüllen müßte und daß er seinen Trost für diese arme Familie nur zu lange schon verzögert habe.

Nun beeilte er sich, ein Chorhemd anzulegen, um durch den Anblick dieses geistlichen Gewandes seinen Worten mehr Gewicht zu geben, nahm ein kleines Kruzifix und folgte seinen Führern.

Die Straßen des Dorfes waren bereits öde und Niemand begegnete ihnen.

Statt den Pfarrer zu den Frauen zu führen, ließen ihn die beiden Brüder, wie es verabredet war, in das untere Zimmer eintreten.

Als er die von den beiden Kerzen erleuchtete Leiche und Thomas an dem Kamine stehend erblickte, in welchem über einen starken Feuer in einem großen Kessel Oel lochte, wollte der Pfarrer einen Schritt zurückthun; aber Johann und Ludwig, welche ihm folgten, drängten ihn vorwärts und verschlossen die Thür hinter ihm.

Der Pfarrer richtete seine Blicke nach einander auf die drei Brüder, er sah sie alle drei bleich, aber entschlossen; er sah ein, daß sich irgend etwas Schreckliches zutragen würde. Er wollte sprechen, die Sprache erstarb auf seinen Lippen.

– Herr Pfarrer, sagte Thomas mit ergreifender Ruhe, Sie waren der Freund meines Vaters, Sie sind es, der ihm den Rath gegeben hat, nach Narbonne zu gehen; unser Vater ist also getödtet worden, weil er Ihren Rath befolgt hat.

– Großer Gott! meine Kinder, rief der Priester aus, wäre es möglich, daß Ihr mich verantwortlich machen wolltet!. . .

– Nein, Herr Pfarrer, nein. Wir vertreten hier die göttliche Gerechtigkeit, und seien Sie unbesorgt, wir werden gerecht sein wie Sie.

– Wohlan! was wollt Ihr dann von mir?

– Hören Sie! Sie wissen, welche Zärtlichkeit unser Vater für seine Kinder hegte, und Sie zweifeln nicht, daß jeder von uns sein Leben für seinen Vater hingegeben hätte.

– Ja, ja, Ihr seid gute Söhne, gottesfürchtige Kinder, ich weiß es.

– Nun denn! Herr Pfarrer, als gute Söhne, als gottesfürchtige Kinder, wie Sie uns nennen, haben wir alle Drei geschworen, den Urheber des Verbrechens zu entdecken, und da Sie ihn kennen, so haben wir Sie holen lassen, um ihn uns zu nennen.

– Ich! Euch den Mörder nennen? Aber ich kenne ihn ja nicht.

– Keine Lüge!

– Ich betheure Euch.

– Keinen Meineid!

– O! mein Gott, mein Gott! rief der Priester aus, was verlangt Ihr da von mir?

– Die Wahrheit, und, merken Sie es sich, wir sind entschlossen, sie kennen zu lernen.

– Aber was kann Euch vermuthen lassen?. . .

– Herr Pfarrer, Sie sind gestern in Toulouse gewesen? sagte Thomas.

– Ja.

– Sie sind bei dem Abbé Mariotte eingekehrt, der Sie gebeten hat, die Messe für ihn zu lesen?

– Nun denn!

– Sie haben diese Messe in der Metropolitankirche gelesen?

– Ohne Zweifel! und ich hatte das Recht dazu.

– Wir bestreiten Ihnen Ihre Rechte nicht; aber als Sie die Messe gelesen und wahrend Sie im Begriff standen, sich in der Sacristei auszukleiden, ist der Kirchendiener gekommen, um Ihnen zu melden, daß Sie ein Mann in dem Beichtstuhle erwartete.

– Großer Gott! rief der Pfarrer aus.

– Wie hieß dieser Mann? fragte Thomas.

– Und warum wollen Sie seinen Namen wissen? fragte der Priester.

– Weil dieser Mann der Mörder unsers Vaters ist, antwortete Thomas.

– Meine Kinder, meine Kinder! rief der Priester mit zunehmendem Entsetzen aus, wißt Ihr wohl, was Ihr da von mir verlangt?

– Ja, sagten die drei Brüder einstimmig.

– Aber das ist das Geheimniß der Beichte!

– Ja.

– Aber die Offenbarung der Beichte ist uns untersagt.

– Sie werden uns dennoch den Namen dieses Mannes nennen, Herr Pfarrer, Sie werden uns dennoch die Umstände des Mordes mittheilen, denn wer dieser Mörder auch sein möge, er muß durch die Hand des Henkers sterben.

Niemals, sagte der Pfarrer, niemals.

– Herr Pfarrer, sagte Thomas, müßten wir selbst Gewalt anwenden, wir wollen Alles wissen.

O! mein Gott, mein Gott! rief der Pfarrer aus, indem er das Kruzifix küßte, das er in der Hand hielt, verleihe mir den Muth, nicht nachzugeben.

– Herr Pfarrer, sagte Thomas, indem er die Hand nach dem Kamine ausstreckte, sehen Sie diesen Kessel siedendes Oel; wir können Ihre Füße hineinstellen.

– Zu Hilfe! rief der Pfarrer aus, zu Hilfe!

– Rufen Sie so lange, sie Sie wollen, sagte Thomas, dieses Zimmer ist abgelegen, es befindet sich zwischen jedem Fenster und jedem Laden eine Matratze, es wird Sie Niemand hören.

– Mein Gott! da ich nur noch Dich habe, sagte der Priester, so komme mir zu Hilfe, mein Gott!

– Gott kann nichts Böses darin finden, daß Kinder ihren Vater rächen, sagte Thomas; sprechen Sie!

Macht mit mir, was Ihr wollt, sagte der Priester, ich werde nicht sprechen.

Thomas gab Johann und Ludwig einen Wink, welche den Kessel von dem Feuer nahmen und ihn zwischen den Kamin und die Leiche stellten. Zu gleicher Zeit ergriff Thomas, wie als ob er gefühlt hätte, daß er und seine Brüder Kraft für den Auftritt nöthig haben würden, der sich zutragen sollte, das Tuch, welches seinen Vater bedeckte, warf er von dem Bette und die Leiche blieb nackt und entblößt, indem sie durch die violetten Lefzen ihrer elf Wunden Rache verlangte.

– Ueberlegen Sie, sagte Thomas, der Tod ist langsam; wie Sie sehen, hat es elf Messerstiche bedurft, um die Seele diesem armen Körper zu entreißen, und dennoch hatte der Mörder Eile, während wir Zeit habend

– Mein Gott, mein Gott, wiederholte der Priester immer noch auf den Knieen, verleiht mir die Kraft, das Märtyrerthum zu ertragen.

Aber das Gebet war vergebens, die jungen Leute kannten den schwachen und furchtsamen Charakter des Abbés; sie wußten im Voraus, daß er nicht Kraft haben würde, die Marter zu ertragen, oder vielleicht hofften sie es nur.

– Sie wollen uns den Namen des Mörders nicht nennen? sagte Thomas.

Der Priester antwortete nicht, nur drückte er das Kruzifix fester an seine Lippen und fuhr fort zu beten.

– Nun denn, Brüder, sagte Thomas, im Namen unseres Vaters, thut, wie zwischen uns verabredet worden ist.

Die leiden jungen Leute ergriffen den Priester und, hoben ihn in ihren Armen empor. Er stieß einen schrecklichen Schrei aus.

– Gnade. Sagte er, ich will Alles gestehen.

– Den Namen, den Namen, den Namen,sagte Thomas, vor allen Dingen den Namen.

– Cantagrel, flüsterte der Priester.

– Es ist gut, sagte Thomas, ich dachte es mir, aber ich wollte keinen Unschuldigen anklagen. Stellt den Herrn Pfarrer auf den Boden.

Die beiden Brüder stellten den Priester wieder auf seine Füße, aber er vermochte sich nicht aufrecht zu erhalten, und sank in sich zusammen, als ob seine Beine gebrochen wären.

– Jetzt die näheren Umstände, sagte Thomas, er darf nicht leugnen können.

– Nun denn! Fügte der Priester, welcher, da er den Namen genannt, keinen Grund mehr hatte das Uebrige zu verhehlen, nun denn! Der Mörder war durch Eure Tante Mirailhe von der Reise Eures Vaters nach Narbonne benachrichtigt worden; er hat den Zweck dieser Reise geahnet, und hat Eurem Vater an der Furth des Lers aufgepaßt.

– Weiter? Sagte Thomas.

– Dort hat er Euren Vater in dem Augenblick wo er das Ufer hinabritt, überfallen. Und ihn mit einem Messerstiche vom Pferde geworfen, aber Saturnin Siadoux war von diesem Stiche nur leicht verwundet.

– Armer Vater! Murmelte Ludwig und Johann.

– Fahren Sie fort, sagte Thomas.

– Er hat sich wieder erhoben, und nun hat ihm Cantagrel einen zweiten Stich versetzt. . .

– Der Elende! riefen die beiden Brüder aus.

– Fahren Sie fort, sagte Thomas.

– Aber, da Saturnin ihn gleichfalls bei dem Kragen gepackt, sind sie beide auf das Ufer gefallen, und der Fleischer hat ihm in dem Kampfe noch neun andere Stiche versetzt.

– Da sind sie! sagten die jungen Leute, aber sei ruhig, Vater, Du wirst gerächt werden.

– Fahren Sie fort, begann Thomas wieder.

– Als er sich nun versichert, daß Saturnin Siadoux wirklich todt wäre, hat er ihn nach dem Flusse geschleppt, um ihn in las Wasser zu werfen. In diesem Augenblicke kamen Maulthiertreiber vorüber, und es blieb ihm nur die Zeit sich und die Leiche hinter einem Schiffe zu verbergen, das man auf das Ufer gezogen halte. Die Maulthiertreiber haben ihn nicht gesehen, und sind an der Furth über den Fluß gegangen; als sie aber vorüber waren, hat Cantagrel den Kopf verloren, er hat die Leiche gelassen, wo sie war, und hat sich auf das Pferd geschwungen, ist nun auch durch die Furth gegangen, hat sein Thier angespornt, so lange es sich auf feinen Beinen halten konnte, als er sodann gefühlt, daß es fallen würde, hat er es in ein kleines Gehölz gezogen, wo er es gelassen, und ist dann zu Fuß nach Toulouse zurückgekehrt. Als aber die Rache gestillt, hat der Schuldige seinen Gewissensbissen nicht widerstehen können, er ist nach der Kirche geilt, hat einen Beichtvater verlangt, das Verhängniß hat gewollt, daß ich mich dort befand.

 

– Haben Sie ihn absolviert? Riefen die beiden jungen Leute mit drohender Gebärde aus.

– Nein, meine Kinder, sagte der Priester mit fast erloschener Stimme; aber Gott ist ein gnädiger Richter, möge er ihm das Verbrechen verzeihen, das er begangen hat; Euch das Verbrechen, das Ihr mich begehen laßt.

Bei diesen Worten verlor der Abbé Chambard das Bewußtsein, und als er wieder zur Besinnung kam, befand er sich in dem Pfarrhause bei seiner alten Haushälterin, welche ihn in das Leben zurückrufen versuchte.

Allein geblieben blickten sich die drei jungen Leute mit einem schrecklichen Lächeln an; sie wußten Alles. Was sie wissen wollten.

– Und nun, Thomas, was haben wir zu thun?

– Hier bleiben, während ich zu den Frauen gehe.

Einen Augenblick nachher kam er wieder mit einem Billete in der Hand und von seiner Tante und von seinen beiden Schwestern begleitet herab.

– Jetzt, sagte er zu den Frauen, ist es an Euch zu wachen und an uns zu handeln.

Und indem er seinen beiden Brüdern einen Wink gab ihm zu folgen, verließ er mit ihnen das Haus.

– Bruder, sagte Johann, als sie auf der Straße waren und als sie sahen, daß Thomas den Weg nach Toulouse einschlug, nehmen wir etwa keine Waffen?

– Hüten wir uns wohl davor, sagte Thomas.

– Und warum das? fragte Ludwig.

– Weil wir ihn mit Waffen tödten könnten, und er durch die Hand des Henkers sterben muß; nur Stricke.

– Das ist richtig, sagten die beiden Brüder.

Und sie klopften an die Thür eines Seilers und kauften neue Stricke.

Hierauf schlugen sie den Weg nach Toulouse wieder ein, wo sie um zehn Uhr anlangten, sie betraten die Stadt ohne erkannt zu werden, erreichten den Platz Saint-Georges und traten mit Hilfe des Schlüssels, den die Wittwe Mirailhe Thomas geliehen hatte, in die Hausflur, ohne die Magd zu wecken; da sie das Innere des Hauses genau kannten, so gingen sie nun in das Zimmer ihrer Tante hinauf.

Man betrat dieses Zimmer durch drei Teuren, sie untersuchten sorgfältig alle Einrichtungen desselben, und warteten dann schweigend den Tag ab.

Bei den ersten Strahlen des anbrechenden Morgens, stellte Thomas jeden seiner Brüder hinter eine Thür, und ging in die Dachkammer der Magd hinauf; er fand sie, wie sie sich eben vollends ankleidete.

– Katharine, sagte er zu der guten Frau, welche ihn mit ganz erstaunter Miene anblickte, meine Tante Mirailhe und ich sind heute Nacht angekommen, aber wir haben Dich nicht wecken wollen.

– Jesus mein Gott! Herr Thomas, sagte die Magd, ist das wahr, was man sagt?

– Und was sagt man, Katharine?

– Daß Herr Saturnin Siadoux, Ihr Vater, an den Ufern des Lers von Räubern ermordet worden sei.

– Und kennt man den Mörder?

– Man glaubt, daß es ein Maultiertreiber sei, der den Weg nach den Pyrenäen wieder eingeschlagen hat.

–O! mein Gott! mein Gott! rief die alte Frau aus, welches Unglück!

– Jetzt, Katharine, sagte Thomas, meint meine Tante mit Recht, daß sie sich unter solchen Umständen an ihre Freunde wenden muß. Da nun aber Cantagrel einer ihrer besten Freunde ist, so bittet sie ihn auf der Stelle und ohne Verzug zu ihr zu kommen, die arme Frau hat eine so heftige Erschütterung erlitten, daß sie krank davon geworden ist. Was mich anbetrifft, so kehre ich auf der Stelle nach Croix-Daurade zurück, wo meine Familie mich erwartet, lebt daher wohl, Katharine, denn Du wirst mich hier nicht wiederfinden. Da! hier ist der Brief meiner Tante.

Die alte Magd kleidete sich vollends an und eilte zu Cantagrel; Thomas aber kehrte in das Zimmer seiner Tante zurück. Eine Viertelstunde nachher hörte man Schritte auf der Treppe, diese Schritte näherten sich schwerfällig der Thür, und auf das Wort »Herein« ging die Thür auf: es war der Fleischer.

– Hierher, sagte eine geschwächte Stimme, welche aus dem gänzlich mit seinen Vorhängen umgebenen Bette drang.

Cantagrel näherte sich ohne Mißtrauen, aber in dem Augenblicke, wo er die Hand an die Vorhänge legte, um sie zurückzuschieben, Umschlangen ihn zwei kräftige Arme, und eine Stimme, die man unmöglich für die Stimme eines Mannes halten konnte, rief:

– Zu Hilfe, Brüder!

Die beiden jungen Leute traten sogleich aus ihrem Versteck hervor, und fielen über Cantagrel her.

Es war Zeit. Mit der ersten Anstrengung des Fleischers war Thomas auf das Bett zurückgeworfen worden, und wenn er allein gewesen wäre, so hätte sich der Fleischer seiner in einem Nu entledigt.

Aber alle drei klammerten sich mit einer um so schrecklicheren Wuth an den Koloß, als nicht einer ein Wort aussprach. Cantagrel seiner Seits, welcher die Ursache des Kampfes errieth und der fühlte, daß es sich für ihn um Leben und Tod handeln würde, entfaltete jene titanischen Kräfte, mit denen die Natur ihn begabt hatte.

Der Kampf war schrecklich. Während einer Viertelstunde rollten diese vier Männer wie eine gestaltlose und bewegliche Masse, standen wieder auf, fielen wieder zu Boden, um sich von Neuem wieder zu erheben und um nochmals zurückzufallen. Endlich wurden diese Bewegungen langsamer, mühseliger, mehr ruckweise, die Gruppe blieb einen Augenblick lang auf der Stelle. Dann standen die drei jungen Leute wieder auf, schüttelten den Kopf, und indem sie einen Schrei des Triumphes ausstießen, lag der Fleischer mit den Strickes, die sie m Croix-Daurade gekauft hatten, gebunden und geknebelt zu ihren Füßen ausgestreckt.

Nun blieb Thomas allein bei Cantagrel; Ludwig und Johann verschwanden, und kehrten einen Augenblick nachher mit einer Tragbahre zurück. Die drei jungen Leute legten den Fleischer auf diese Tragbahre, und banden ihn mit Stricken darauf, dann trugen sie ihn hinab.

Es war ein Markttag; man wird errathen, welche Wirkung ihr seltsames Erscheinen auf der Straße hervorbrachte.

Ludwig und Johann trugen die Tragbahre. Thomas ging zur Seite, sein Gesicht war blutig und seine Kleider zerrissen. Cantagrel hatte sich wie ein Löwe vertheidigt.

Unter andern Umständen hatte man die drei jungen Leute vielleicht befragt, aber das ihrem Vater zugestoßene Ereigniß war bereits bekannt, und man ließ sie mit der Ehrerbietung vorüber, welche das Volk gewöhnlich für große Unglücksfälle an den Tag legt; außerdem war Cantagrel, den jeder gekannt hatte, geknebelt, und rief demnach nicht um Hilfe.

Auch war es ja augenscheinlich, daß sich die drei jungen Leute zu dem Criminalrichter begaben. Es war daher eine Angelegenheit zwischen der Justiz und ihnen. Man begnügte sich, ihnen zu folgen.

Der Criminalrichter sah den seltsamen Zug von weitem kommen, und da er gleichfalls ahnte, daß zu sich zu thun begäbe, so ließ er die Thüren öffnen.

Die drei Brüder traten ein, indem ihnen so viel Volk folgte, als der Saal fassen konnte, in welchem der Justizbeamte die Lösung des Räthsels erwartete.

Thomas gab einen Wink, und seine beiden Brüder stellten die Bahre zu seinen Füßen.

– Wer ist dieser Mann? fragte der Criminalrichter.

– Es ist der Fleischer Stephan Cantagrel, der Mörder Saturnin Siadoux, unseres Vaters.

Aber was man voraus wissen konnte, geschah; überzeugt, daß ihn Niemand bei der That selbst gesehen, gewiß, sein Verbrechen nur einem Priester anvertraut zu haben, leugnete Cantagrel Alles.

Vor das Gericht berufen, waren die drei jungen Leute gezwungen zu erklären, von wem sie die Geständnisse hatten, und auf welche Weise diese Geständnisse gemacht worden waren; die Ueberzeugung, welche sie hatten, daß sie als gottesfürchtige Söhne gehandelt, indem sie den Tod ihres Vaters zu rächen suchten., machte übrigens, daß sie Alles erzählten, indem sie sich aus ihrer strafbaren Handlung fast einen Ruhm machten, aber die Gerechtigkeit erklärte, daß sie die Gotteslästerung nicht benutzen könnte, welche sie im Interesse der Religion bestrafen müßte.

Das Parlament verhandelte den Proceß und verordnete die Einkerkerung nicht allein des Mörders, sondern auch noch der Ankläger, der Söhne des Opfers, und des Priesters, welcher des Einschüchterung nachgegeben

Inzwischen befand sich die Untersuchung, indem sie die Zeugen sammelte, außer den Geständnissen des Pfarrers Chambard hinlänglich aufgeklärt. So finster die Nacht auch sein möge, in welcher man das Verbrechen begeht, so öde der Ort auch sein möge, an welchem man es begeht, es gibt immer ein Auge, das den Mord gesehen hat.

Maulthiertreiber erkannten Cantagrel, den sie das Ufer hatten hinabgehen sehen, Fischer erkannten ihn, und hatten ihn durch den Fluß gehen sehen; Landleute endlich sagten aus, daß sie ihn hatten vorüberkommen sehen, indem er ein Pferd im Galopp antrieb, das mit jedem Augenblicke bereit schien, unter ihm zusammen zu brechen. Die Anklagepunkte waren beweisend, und der Fleischer wurde zum Tode durch das Rad verurtheilt.

Der Pfarrer von Croix-Daurade wurde, weil er das offenbart, was ihm vor dem Richterstuhle der Buße in der Ausübung seines geheiligten Amtes anvertraut gewesen war, verurtheilt, lebendig verbrannt zu werden, nachdem ihm seine Glieder gebrochen wären.

Die drei Söhne Siadoux wurden dafür, daß sie durch Drohungen und durch Gewaltthätigkeiten einem Priester das Geheimniß der Beichte entrissen halten, verurtheilt gehangen zu werden.

Dieses schreckliche Urtheil wurde theilweise ausgeführt. Der Fleischer wurde gerädert, indem dem Scharfrichter anempfohlen wurde, dem Verurteilten keinen Umstand dieser gräßlichen Marter zu erlassen.

Alles, was die dringendsten Bitten zu Gunsten des Priesters erlangen konnten, war, daß der Scharfrichter ihm den Gnadenstoß geben sollte, bevor er seinen Körper in das Feuer würfe.

Was die drei Brüder anbelangt, welche die kindliche Liebe allein strafbar gemacht hatte, so flößten sie in Toulouse eine solche Theilnahme ein, daß man ihnen die Mittel erleichterte, aus ihrem Gefängnisse zu entfliehen; sie erreichten das Thal Audoire ohne verfolgt worden zu sein, und zwanzig Tage später erlaubte ihnen der König nach Frankreich zurückzukehren.

Indem er auf dem Schafott starb, sah der in den Tod ergebene Abbé Chambard ein, daß er aus den Händen der Söhne Saturnin Siadoux das Märtyrerthum annehmen müßte.

Die katholische Kirche der ersten Zeitalter hatte Recht: es gibt keine Tugend, als durch den Kampf, es gibt keine verständige Güte, als mit der Macht des Bösen. In der Ausübung des Priesterthums müssen die physischen Anlagen den moralischen Anlagen zu Hilfe kommen, der gesunde Verstand einem gesunden Körper!

E N D E

Don Martin von Freytas

I

Aber, mein Vater, sagte Mercedes lächelnd, woher kommt denn diese große und seltsame Liebe für den König Sancho II.?

Der, an den das junge Mädchen diese Frage richtete, war ein Greis von ungefähr sechzig Jahren, mit einem Panzerhemde angethan, das mit eben so viel Sorgfalt angelegt war, als ob er sich in seinem Lager vor den Mauren von Ourique oder von Cordoba, und nicht in seinem guten Schlosse la Horta, von seiner getreuen Besatzung umringt, in vollem Frieden befunden hätte. Der Helm allein fehlte seiner vollständigen Feldherrnrüstung, und dieser war noch einige Schritte weit von ihm auf eine Truhe gestellt, neben welcher ein Knappe bereit stand, den Befehlen seines Herrn zu gehorchen. Man konnte daher sein ehrwürdiges Gesicht sehen, auf welchem, wie auf dem des Löwen, eine seltsame Mischung von Kraft und von Ruhe sich vereinte. Dieses Gesicht war von langen Haaren umgeben, welche bei Weitem mehr durch Beschwerden, als durch das Alter gebleicht waren, und trug eine oder zwei Narben, welche bewiesen, daß die Hiebe von vorn die willkommenen wären. Der Greis saß an einem Tische, den Ellbogen neben einen silbernen Humpen voll gewürzten Weines gestützt, aus dem er von Zeit zu Zeit einen tüchtigen Zug that, zwischen seinen Beinen befand sich halb liegend ein großer afrikanischer Windhund, welcher, obgleich der Hintere Theil seines Körpers gänzlich auf dem Boden ruhte, wenn er sich auf seine Vorderpfoten aufrichtete, seinen langen Schlangenhals auf den Schenkel seines Herrn gelegt hatte, wo er, obgleich er immer zu schlafen schien, bei jeder Bewegung die dieser machte, oder bei jedem Worte, das aus dessen Munde kam, sein kluges und sanftes Auge aufschlug. Der übrige Theil der Wohnung, deren Bauart dem zehnten, und deren Ausstattung dem zwölften Jahrhunderte angehörte, war von einem jungen Edelknappen von neunzehn Jahren eingenommen, der ehrerbietig an das Kamin gelehnt stand, von zwei Pagen, welche in einer Ecke lachten, und dabei einer alten Magd allerlei Possen spielten, die bei ihrem Spinnrocken eingeschlafen war, von einem Greise, ungefähr in demselben Alter als der, welcher der Herr vom Hause zu sein schien, und der auf der andern Seite des Tisches, aber ein wenig zurücksaß, uns seine Untergebenheit anzudeuten, und endlich von dem jungen Mädchen mit schwarzen Haaren, mit rothen Lippen und weißen Zähnen, welche die, zu jener Zelt, wo ganz Portugal gegen König Sancho Murrte, sehr natürliche Frage gestellt hatte.

 

– Aber, mein Vater, woher kommt denn, diese große und seltsame Liebe für den König Sancho II.

Der Greis blickte seinen Gefährten mit weißen Haaren an, wie um ihm zu sagen: »Sie fragt noch!« Und sich hierauf nach seiner Tochter umwendend, sagte er:

– Weil ich ihn weit kleiner und weit schwächer gesehen habe, als ich Dich selbst gesehen, Dich, die Du meine eigene Tochter bist; weil ich anwesend war, als die Königin Donna Sancha, deren Seele Gott in Schutz nehme, in Sicilien von ihm entbunden wurde, wo wir angehalten hatten, um ihr Ruhe zu gönnen, und weil ich ihn allein arm und nackend, wie die Schrift sagt, aus dem Bette seiner Mutter kommen sah, während ich mich dagegen in Palästina befand, als Du, mein Kind, das Licht der Welt erblicktest; so daß Du bereits drei Jahre alt warst, als ich zurückkehrte, und Du fast eben so groß und besonders so vernünftig warst, als Du es heute bist.

– Führte man ihn etwa auch als Kind nach Palästina? fragte der junge Knappe.

Nein, antwortete der alte Ritter, ich führte ihn nach Portugal zurück. Und wenn Ihr wissen wollt, woher mir diese ungewöhnliche Liebe für ihn gekommen ist, so hört: es ist das große Vertrauen und die große Ehre, welches mir des König, sein Vater, erzeigt hatte; denn an dem Vorabende des Tages, wo wir uns Alle einschiffen sollten, in dem Augenblicke, wo ich die Messe gehört hatte, ließ er mich in sein eigenes Zimmer kommen, in welchem er von seinem Hofe umgeben neben der Frau Königin saß, die auf einem Sessel ausgestreckt, die Füße auf einem Stuhle, noch bleich und leidend von ihrer Entbindung war, denn es war erst fünf und zwanzig Tage her, daß sie entbunden worden, und er sagte zu mir:

»—Herr Don Martin von Freytas, wenn es einen Mann auf der Welt gibt, gegen den wie, die Königin und ich, verpflichtet sind, so seid Ihr es.« Ich wollte antworten, aber er fuhr fort: »Ihr seid es zuverlässig, denn Ihr wart mit mir bei der Schlacht von Alcazar-do-Sal, wo wir den maurischen König Jaen schlugen, und wo Ihr Euch zwischen mich und einen Sarazenen warft, der im Begriffe stand, mich zu tödten, so daß Ihr auf Euren Helm, und selbst auf Euer Gesicht den Hieb empfinget, der mir bestimmt war, und später, als von dem Banne des Papstes in Rom getroffen, alle Welt mich verließ, seid Ihr mir treu geblieben; dann endlich, beider ersten Nachricht, die ich Euch von meiner Absicht, nach Palästina zu ziehen, zukommen ließ, seid Ihr aus Romanien zurückgekehrt um in Catania zu mir zu stoßen, wo Ihr mir fünf und zwanzig auf Eure Kosten erhaltene und gekleidete Knappen zuführen, obgleich Ihr nur nur den Dienst Eurer Person schuldig waret. Nun denn! fuhr er fort, obgleich die Dienste, welche Ihr uns erwiesen habt, so groß und so zahlreich sind, daß wir nicht wissen, wie wir Euch jemals dafür belohnen sollen, so wird sich doch der Dienst, um den wir Euch heute zu bitten genöthigt sind, weit über alle die vergangenen Dienste erheben, und ich freue mich, dies in Gegenwart aller dieser Ritter und Herren zu sagen, welche uns hören.

»Ich ging zu dem Herrn König, ließ mich auf ein Knie nieder, und nachdem ich ihm für das Gute gedankt, was er von mir gesagt hatte, sprach ich zu ihm: – Herr, befehlt, was ich thun soll, und so lange meine Seele meinen Leib bewohnt, werde ich Nichts gegen das fehlen, was Ihr mir geboten habt.

– Ich erwartete das von Euch; antwortete er mir, und das, was wir wünschen, werden die Königin und ich Euch sagen. Es ist wohl wahr, daß es uns sehr nöthig wäre, Ihr ginget mit uns auf diese heilige Reise, welche wir unternommen haben, und daß wir Eurer sehr bedürften, aber der Dienst, den wir von Euch verlangen, liegt uns so sehr am Heizen, daß jeder andere diesem nachstehen muß. Ihr wißt, da Ihr bei seiner Geburt gegenwärtig wart, daß Gott uns wahrhaft unsern Sohn Don Sancho von unserer Gemahlin geschenkt hat. Wir bitten Euch daher, ihn von uns zu empfangen, ihn der Königin, unserer Mutter, zu überbringen und ihren Händen zu übergeben. Ihr werdet Schiffe miethen und Galeeren ausrüsten, oder jedes andere Fahrzeug, welches Ihr für hinreichend. sicher haltet; wir werden Euch ein Schreiben für unsern Schatzmeister geben, damit er Euch alles Geld vorschießt, dessen Ihr bedürft, und an alles das glaubt, was Ihr ihm in unseren Namen sagen werdet. Wir werden gleichfalls an unsere Mutter und an den.Herrn König von Majorca schreiben, der unser Verbündeter ist, und ich werde Euch eine allgemeine Vollmacht für alle Theile der Welt geben, wohin Euch der Wind von Westen nach Osten, von Süden nach Norden verschlagen könnte. Alles was Ihr in unserem Namen Reiter, Leuten zu Fuß oder jedem anderen versprechen, thun, sagen werdet, werden wir als gültig versprechen, gutgetan und gut gesagt halten und es bestätigen. Wir werden Euch nichts widersprechen, und als Bürgschaft dafür werden wir alle Länder, Schlösser und andere Orte stellen, welche wir besitzen und mit der Hilfe Gottes zu besitzen hoffen. Ihr werdet daher mit unserer vollständigen und gänzlichen Gewalt aufbrechen, und wenn Ihr unseren Sohn der Frau Königin, unserer Mutter, übergeben habt, so werdet Ihr nach Haus gehen und Eure Angelegenheiten prüfen und ordnen, welche durch Euren Feldzug nach Romanien sehr in Unordnung gerathen sein müssen. Wenn Ihr dann Alles beendigt habt, so werdet Ihr mit allen Truppen zu Pferde und zu Fuß, die Ihr zu sammeln vermöget, zu uns zurückkehren, als unser Verbündeter, der König von Majorca wird Euch alles das Geld auszahlen, das Ihr von ihm verlangen werdet, um die Truppen zu bezahlen, welche Euch folgen werden. Das ist es, was wir wünschen, das Ihr für uns thut.

Und ich, fuhr der Ritter nach kurzer Pause fort, ich war sehr erstaunt über die große Last, welche er auf meine Schultern legte, das heißt, den Herrn Infanten, seinen Sohn, der, so klein er auch sein mochte, bereits der Erbe eines Königreiches war. Ich bat den Herrn Don Alphons und die Königin inständigst, mir einen Gefährten zu geben, der zum Mindestens meine Verantwortlichkeit theilte. Der König antwortete mir, daß er mir durchaus keinen Gefährten geben würde, sondern daß ich mich bereit halten möchte, ihn wie meinen Herrn und wie meinen eigenen Sohn zu bewachen, und er fügte hinzu: – Und jetzt, Don Martin von Freytas, da wir nicht wissen, was Gott über uns verhängen kann, so schwört mir, daß Ihr in meiner Abwesenheit oder nach meinem Tode den Infanten Don Sancho als Euren alleinigen König betrachten, und Niemand anders als ihm und in seine eigenen Hände die Schlüssel der Städte, der Festungen oder Schlösser übergeben werdet, die Euch etwa anvertraut wären, kurz, daß Ihr bis zu seinen, Tode oder dem Eurigen, ihm ein getreuer und biederer Diener bleiben werdet, wie Ihr es mir gewesen seid, es sei denn, daß er oder ich Euch von Eurem Schwure entbinden würden.«

»Nun warf ich mich von Neuem auf die Kniee, küßte ihm die Hand, sprach auf dieses Schwert den Schwur aus, den er verlangte, und machte das Zeichen des Kreuzes, damit dieser Schwur von dem Himmel angenommen würde.

»Und sogleich befahl der König Don Luiz de la Trueba, der seinen Sohn auf dem Schlosse von Catania bewachte, ihn mir und keinem andern jedes Mal und so oft zu überliefern, als ich es für angemessen halten sollte, ihn zu fordern. Der Ritter leistete mir Eid und Huldigung, und von dieser Stunde an war der Infant Don Sancho in meiner Gewalt; und an diesem Tage war er seit fünf und zwanzig Tagen geboren, und nicht mehr.

»Und als dieses beendigt, schiffte sich der Herr König am selben Tage ein, und ließ mich sehr stolz und sehr verlegen über den Auftrag, den er mir gegeben hatte.«

Don Martin von Freytas war so weit mit feiner Erzählung, als man den Klang eines Hornes hörte, das ihn dem Thore von Douro, an dem Fuße der Mauern des Schlosses la Horta erschallte. Don Martin wandte sich sogleich nach den Knappen um, der seinen Helm bewachte, befahl ihn zu fragen, was derjenige wollte, der zu einer solchen Stunde in das Horn blies, und setzte seine Erzählung fort.