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Die schwarze Tulpe

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Der Leser wird sich erinnern, an jenem Abende die Liebenden nur wenige Worte wechselten, und Cornelius das Mädchen mit dem Auftrage fortsandte, über die, ihrem Aufblühen nahe Tulpe sorgsam zu wachen.

Boxtel errieth Alles. In dieser Nacht mußte das große Unternehmen ausgeführt, und Gryphus vorläufig eingeschläfert werden, um freien Spielraum zu erhalten.

Mit dem gewöhnlichen Vorrathe von Wachholderbranntwein, nämlich einer Bouteille in jeder Tasche, begab sich Boxtel zu ihm.

Gryphus mußte betrunken gemacht werden,dann war der gefährlichste Spion beseitigt.

Dies zu bewerkstelligen, war kein besonderer Aufwand von Zeit und Worten nothwendig. Um elf Uhr bereits, entschlummerte der Kerkermeister seiner ohnehin nur schwachen Sinne gänzlich beraubt. Boxtel lag auf der Lauer.

Um zwei Uhr Morgens verließ Rosa leise und vorsichtig ihr Zimmer. In ihren Händen trug sie einen in der Dunkelheit nicht zu unterscheidenden Gegenstand.

Das war ohne Zweifel die bereits aufgeblühte schwarze Tulpe.

Was wollte sie aber damit thun? Vielleicht abreisen. Allein ein so junges Mädchen konnte dies bei der Nacht und ohne Begleitung nicht so leicht wagen.

Wahrscheinlich begab sie sich damit zu dem Gefangenen.

Mit entblößten Füßen schlich er dem Mädchen nach.

Er sah und hörte Alles. Sie näherte sich dem Gitter.

Sie rief Baerle.

Sie hob die Blendlaterne, bei ihrem Lichte erkannte er die Tulpe. Sie war aufgeblüht, glänzend schwarz, wie die Nacht, die sie umgab.

Cornelius entwarf den uns bekannten Plan. Ein Bote sollte sogleich nach Harlem gesandt werden.

Dann berührten sich die Lippen der jungen Leute. Rosa eilte fort.

Sie löschte die Blendlaterne aus, und schlich vorsichtig nach ihrem Zimmer. Dann trat sie in dasselbe ein.

Einige Minuten darauf erschien sie wieder, schloß die Thüre sorgfältig und doppelt ab, und entfernte sich in der entgegengesetzten Richtung. Warum solche Vorsicht? Weil sich gewiß in dem versperrten Raum die schwarze Tulpe befand.

Boxtel hatte dies alles um ein Stockwerk höher als Rosa, beobachtet. Sobald diese auf die erste Stufe der in den Hofraum führenden Stiege trat, berührte des Lauschers Fuß ebenfalls den ersten Absatz der die beiden Stockwerke verbindenden Treppe, und kaum hatte das Mädchen den Hof erreicht, als auch schon Boxtel vor ihrem Zimmer stand.

Seine Hand suchte das Schloß, und in dieser Hand lag zugleich der Dietrich, der die Thüre so gut wie der dazu passende Schlüssel öffnete.

Wir hatten demnach am Eingange dieses Kapitels sehr richtig bemerkt, daß die jungen Leute es nie nothwendiger als eben jetzt hatten, sich dem Schutze des Allerhöchsten zu empfehlen.

II.
Die schwarze Tulpe wechselt ihren Herrn

Cornelius stand noch immer unbeweglich auf jener Stelle, wo Rosa ihn vor Kurzem verlassen hatte. Er sammelte seine ganze Kraft, um die doppelte Last des Glückes zu ertragen, das ihn so eben getroffen hatte.

Eine halbe Stunde schwand so dahin.

Der Tag begann bereits zu grauen, die ersten Strahlen der erwachenden Frühlingssonne drangen durch das Fenster in den düsteren Raum. Da schrack er mit einem Male mächtig zusammen, er vernahm nahende Schritte, ein Getöse auf der Stiege, und beinahe gleichzeitig erblickte er an dem Thürgitter Rosa’s bleiches und verstörtes Antlitz.

»Cornelius, mein Cornelius!« rief das Mädchen zitternd und athemlos.

»Was gibt es, was ist geschehen?«

»O mein Cornelius, die Tulpe. . . .«

»Gott, sprecht, sprecht.«

»Wie kann ich das mittheilen?«

»Rosa, um des Himmelswillen.«

»Sie ist fort, geraubt, gestohlen.«

»Geraubt, gestohlen?« schrie der Gefangene entsetzt.

»Ja, ja,« und Rosa wollte ihren Kopf an die Thüre stützen, aber die Füße versagten den Dienst, sie sank mit dem Rufe: »Geraubt, gestohlen,« auf die Kniee.

»Aber wie war das möglich?«

»Durch meine Unvorsichtigkeit, o es ist ganz meine Schuld.«

Armes Mädchen, sie wagte es gar nicht, den Gefangenen beim Namen zu nennen.

»Also habt Ihr sie doch allein gelassen?«

»Kaum eine Viertelstunde. Ich mußte den Boten holen, der sechzig Schritte von hier am Ufer der Waal wohnt.«

»Und trotz allen meinen Erinnerungen habt Ihr während dieser kurzen Zeit den Schlüssel stecken lassen?«

»Nein, nein, krampfhaft hielt ich ihn in meiner Hand, ich hatte selbst da noch Furcht, daß er mir entschlüpfen könne.«

»Ja, aber erklärt mir dann die Möglichkeit des Diebstahls.«

»Die weiß ich selbst nicht. Ich wechselte nur einige wenige Worte mit dem Boten, übergab ihm den Brief, und eilte so schnell ich konnte nach meinem Zimmer zurück. Die Thüre fand ich verschlossen, so wie ich sie verlassen hatte, in meinem Zimmer befand sich ebenfalls Alles unangetastet und in der besten Ordnung, nur die Tulpe war verschwunden. Es mußte sich daher Jemand einen gleichen Schlüssel, oder aber einen Dietrich verschafft haben.«

Rosa zitterte so heftig, und ihre Thränen floßen in so reichem Maße, daß sie unfähig war, weiter zusprechen.

Baerle hörte sie aufmerksam an, aber gleichsam als verstände er keines ihrer Worte, murmelte er unausgesetzt:

»Geraubt, gestohlen, o ich Armer, ich Unglücklicher.«

»Barmherzigkeit, Gnade, Cornelius, Euer Schmerz gibt mir sonst den Tod,« schluchzte Rosa.

Diese Worte erweckten alle Lebensgeister des Gefangenen. Er erfaßte krampfhaft die Stäbe seines Thürgitters, und diese mit Wuth schüttelnd rief er:

»Rosa, meine theuere Rosa, noch ist nicht Alles verloren; fassen wir Muth, der wichtigste Gegenstand, nämlich der Räuber selbst ist uns ja bekannt.«

»Wir können aber selbst dies nicht mit Gewißheit behaupten.«

»O! zweifelt Ihr noch, es kann ja Niemand anderer sein, als der erbärmliche Jakob. Ja, ja, laßt uns keine Minute verlieren , er ist gewiß mit dem Gegenstande unseres Fleißes und unserer Bemühungen auf dem Wege nach Harlem. Eilt, verfolgt ihn.«

»Aber wie kann, wies soll ich dies thun, ohne daß es von meinem Vater entdeckt wird, ich ein unerfahrenes schwaches Weib? O Cornelius , wie könnt Ihr mir eine Unternehmung anvertrauen, die Euch selbst beinahe keinen günstigen Erfolg verspricht.«

»Rosa, theuere Rosa, befreit mich aus diesem Gefängnisse, und Ihr sollt Euch überzeugen, was ich zu thun vermag. Ich will den Verbrecher entdecken, ich will ihn zwingen, den Raub einzugestehen und mich um Gnade zu bitten.«

»Ach armer, armer Freund. Ich kann ja nichts für Euch thun. Hätte ich die Schlüssel, dann wäret Ihr ja schon lange in Freiheit.«

»O mein Gott, und von Euerm Vater, der sie in Händen hat, ist Nichts, Nichts zu erwarten, ja ich glaube sogar, daß er mein schändlicher Henker, Jakobs Vorhaben unterstützte.«

»Sprecht nicht so laut, um Gotteswillen.«

»Rosa, wenn Ihr mich nicht befreit, dann zerbreche ich dies Gitter und zertrümmere alles, was ich im Gefängnisse vorfinde.«

»Barmherzigkeit, habt Mitleid – —«

»Ja, ja, nochmals wiederhole ich es, kein Stein soll hier auf dem andern bleiben.«

Cornelius begann bei diesen Worten mit seinen kräftigen, durch die Wuth nur noch gestärkteren Armen an dem Gitter zu schütteln, und mit den Füßen gegen die Thüre zu schlagen, daß das hierdurch verursachte Getöse, in dem weiten gewölbten Gange, einem Donner ähnlich, wiederhallte.

Rosa, beinahe bewußtlos, und am ganzen Körper zitternd, versuchte es vergeblich, den Gefangenen zu besänftigen.

»Ich wiederhole es Euch,« schrie Baerle, »ich werde Gryphus ermorden, ich muß sein Blut sehen, wie er das Blut meiner Tulpe sah.«

Die anfängliche Wuth steigerte sich langsam zum Wahnsinne.

»Beruhigt Euch, beruhigt Euch, um Gotteswillen ich verspreche zugleich hier, daß ich meinem Vater die Schlüssel nehmen und Euch befreien will.«

Mit einem Male unterbrach sie sich selbst.

»Mein Vater, mein Vater,« schrie das Mädchen mit gefalteten Händen.

»Gryphus,« ächzte der Gefangene, »ah, kommt der Schurke.«

Mitten in diesem Getöse war der Kerkermeister, ohne gehört zu werden herauf gekommen.

Er ergriff Rosa mit feiner groben, knöcherigen Faust, und sprach mit zornfunkelnden Augen zu ihr:

»So, so, mein Töchterlein, die Schlüssel willst Du mir nehmen, um diesen Schändlichen zu befreien. Wirklich diese Verschwörung ist des Satans würdig, so also, die eigene Tochter unterhält Verbindungen mit den schwersten Verbrechern.«

Das arme Mädchen rang verzweiflungsvoll die Hände.

Gryphus fuhr fort: »So, so, mein ruhiger, leidenschaftlicher Tulpenfreund, mein sanfter unschuldiger Gelehrter, ausbrechen will man, mich ermorden, mein Blut trinken,und das alles im Einverständnisse mit meinem einzigen Kinde. O Himmel, gibt es noch ein schändlicheres Verbrechen? bin ich in eine Höhle von Räubern und Mördern gerathen! Aber ich will unverzüglich meine Schritte thun, in einer Stunde soll der Gouverneur Alles wissen, und dann wird man Euch §. 6 der Gesetze, für in Gefängnissen verursachte Rebellionen, den zweiten Art des auf dem Buytenhoff gestörten Dramas, aber diesmal gewiß ohne Einwirkung der Milde des Statthalters, aufführen lassen. Ja, ja, beißt und nagt nur an Euern Fäusten wie ein wildes Ungethüm, und Du mein liebenswürdiges Töchterlein, werfe Du ihm nur schmachtende Blicke zu; Nichts soll Euch diesmal helfen. Und nun fort, entsetzliches Kind, fort aus Dem Zimmer, Euch ein Lebewohl sanfter Gelehrter, auf baldiges Wiedersehen.«

Rosa ihrer Sinne gänzlich beraubt, warf dem Gefangenen im Fortgehen noch einen Kuß zu, dann aber als werde sie plötzlich von einem leuchtenden Gedanken durchdrungen, rief sie:

 

»Ja, ja, so ist es möglich, tröstet Euch, noch grünt die Hoffnung, verlaßt Euch auf mich.«

Mit einem dumpfen, wüthenden Murren folgte ihr der Vater nach.

Cornelius hielt noch einige Zeit die Eisenstäbe des Gitters krampfhaft umfaßt, dann trat jene, solcher Gemüthsaufregungen folgende Ermattung ein, langsam gaben die Finger nach, und ganz von der Schwäche überwältigt, sank der Gefangene leblos auf das Steinpflaster zurück, noch mit geschlossenen Augen, stöhnend:

»Gestohlen, man hat mir sie gestohlen.«

Unterdessen hatte Boxtel das Staatsgefängniß durch dasjenige Thor verlassen, welches Rosa in der Absicht, den Boten fortzusenden, öffnen mußte. Die schwarze Tulpe deckte er vorsichtig mit seinen weiten Mantel, eilte nach Gorkum, fand dort einen schon vorbereiteten Wagen, und jagte in möglichster Schnelligkeit nach Harlem, ohne, wie man es sich eicht denken kann, Gryphus von seiner Abreise in Kenntniß gesetzt zu haben.

Wir sahen ihn also in den Wagen steigen, und wollen ihm nun, in der Voraussetzung, daß dies unserem Leser nicht mißfallen werde, auf seiner weiteren Reise folgen.

Anfangs mußte er langsam fahren, da die schwarze Tulpe auf dem Eilwagen nicht, so leicht ohne Gefahr weiter zu befördern war.. Das gefiel ihm aber keineswegs, und er säumte daher auch nicht, zu Delft eine bequeme und starke Schachtel anfertigen zu lassen, die Blume in dieselbe zu stellen, und den leeren Zwischenraum mit Moos auszufüllen. Auf diese Art war die Tulpe vor jedem Drucke; geschützt, erhielt durch die obere freigelassene Oeffnung hinlänglich frische Luft, und der Wagen konnte, da Boxtel sie auf seinem Schooße trug, nunmehr mit der größten Schnelligkeit sich fortbewegen.

Nach zwei Tagen kam er in Harlem an, zwar am ganzen Körper abgemattet und zerschlagen, aber dennoch zufrieden, sein Ziel erreicht zu haben. Sein erstes Geschäft bestand darin, jede Spur des Diebstahls zu vernichten. Er zerschlug daher das Geschirr von Steingut, warf die Trümmer in den Kanal und setzte die Tulpe in ein neues Gefäß. Dann schrieb er einen Brief an den Präsidenten, benachrichtigte ihn, daß er die schwarze Tulpe besitze, und fügte zugleich die Adresse des Gasthofes bei, in dem er abgestiegen war.

Hierauf wartete er gespannt das Weitere ab.

III.
Van Systens, der Präsident

Rosa war von Cornelius fortgeeilt, aber in demselben Augenblicke hatte sie auch schon einen Vorsatz gefaßt.

Sie beschloß nämlich, dem Geliebten entweder die Tulpe zurückzubringen, oder ihn nie mehr zu sehen.

Die Verzweiflung des Gefangenen, dieser Ausdruck eines unheilbaren Schmerzes, hatte den erwähnten Entschluß in ihr befestigt.

Die Trennung war von jener Minute, wo Gryphus die Verbindung entdeckt hatte, beinahe unvermeidlich.

Aber auch die Zerstörung der ehrgeizigen Absichten des Gefangenen ließ vermuthen, daß mit ihr, zugleich alle andern Gefühle und Regungen seines Herzens erstorben waren.

Rosa gehörte unter die Klasse jener grauen, die vor einer oft unbedeutenden Kleinigkeit scheu zurück beben, während ein großes, schwer zu bekämpfendes Unglück alle ihre Lebensgeister erweckt, und sie dadurch befähigt, dem härtesten Kampfe kühn die Stirne zu bieten.

Sie trat in ihr Zimmer, forschte nochmals sorgfältig nach, ob der Schrecken sie im ersten Augenblicke nicht getäuscht, und ihrem Auge die in irgend einem Winkel verborgene Blume entzogen hätte. Aber dieser Versuch stellte sich bald ganz nutzlos heraus, die Tulpe war verschwunden. Hierauf machte sie sich aus ihren nothwendigsten Kleidungsstücken ein Packet zusammen, nahm ihr ganzes Vermögen, die ersparten dreihundert Gulden, suchte unter den Spitzen die dritte Zwiebelknospe hervor, verbarg diese unter ihrem Busentuche, verschloß dann die Zimmerthüre doppelt, um bei ihrer Flucht Zeit zu gewinnen, indem sie dadurch einer möglichen Entdeckung bedeutende Hindernisse in den Weg legte, und eilte dann durch dasselbe Thor, das kurz vor ihr Boxtel verlassen hatte, ins Freie.

Hier begab sie sich zu einem Pferdevermiether um einen Wagen aufzunehmen, allein der einzige, den dieser besaß; war bereits durch Boxtel in Anspruch genommen, der gerade jetzt auf dem Wege nach Delft dahin eilte.

Zwar schloß diese Route einen bedeutenden Umweg in sich, denn in gerader Richtung hätte man von Löwenstein nach Harlem wenigstens die Hälfte erspart.

Allein da diese Richtung in einem von Canälen und Flüssen durchschnittenen Lande, wie es Holland ist, nur höchstens von Vögeln eingeschlagen werden konnte, blieb kein anderer Ausweg, als den Umweg zu machen.

Um keine Zeit zu versäumen, mußte Rosa sich bloß mit einem Pferde bequemen, daß ihr anstandslos übergeben wurde, da sie als des Kerkermeisters Tochter bekannt war.

Zugleich war sie von der Hoffnung beseelt, ihren Boten, einen braven, gewandten und kühnen Burschen, der bereits einen kleinen Vorsprung hatte, einzuholen, und sich seiner als Begleiter und Führer zu bedienen.

Kaum war sie noch eine Meile im scharfen Trabe fortgeritten, als sie ihn auch schon an einer Krümmung des reitzenden, die Ufer des Flußes einsäumenden Weges gewahrte.

Sie setzte ihr Pferd in ein noch schnelleres Tempo, und hatte den jungen Mann, der die Wichtigkeit seines Auftrages gar nicht kannte, und rüstig vorwärts schritt, in wenigen Minuten erreicht. Den Brief, der nunmehr ganz unnütz geworden war, nahm ihm Rosa ab, indem sie zugleich erklärte, daß sie seiner auf dem eingeschlagenen Wege sehr bedürfe. Mit der größten Freude stellte sich der Bursche dem Mädchen ganz zur Verfügung und versprach sogar mit ihrem Pferde gleichen Schritt zu halten, wenn er dieses bei der Mähne oder beim Sattelknopfe fassen dürfe.

Auch dieses wurde ihm jedoch unter der Bedingung, daß dadurch die Reise keine Verzögerung erdulde, gestattet.

Auf diese Art hatten die beiden Reisenden in der kurzen Zeit von fünf Stunden bereits acht Meilen zurückgelegt, ohne daß Gryphus noch im Entferntesten die Flucht seiner Tochter vom Löwenstein ahnte.

Einerseits überließ er sich ganz der Freude, seine Tochter auf verbotenen Wegen ertappt zu haben, und ihr in Gegenwart Jakobs eine derbe Strafpredigt halten zu können. Und während dieser glückliche Traum die schwarze Seele des Unmenschen ganz erfüllte, wußte er nicht, daß sich Jakob ebenfalls auf der Straße nach Delft befand.

Letzterer hatte durch seine Kutsche einen Vorsprung von beiläufig vier Meilen vor seinen Verfolgern.

In seinem Wagen ruhig liegend, malte er sich die Angst und Verzweiflung Rosas, die in ihren Zimmer noch immer vergeblich die Tulpe suchen werde.

Durch dieses Zusammentreffen von Umständen wußte außer Cornelius Niemand, wo sich die handelnden Personen unserer Erzählung in dem Augenblicke aufhielten.

Gryphus, der schon längere Zeit mit seiner Tochter unzufrieden war, pflegte diese nur beim Essen, also um die Mittagsstunde zu sehen.

Diese erschien wie gewöhnlich, und Rosa kam nicht. Er sandte einen Gefangenenwärter nach ihr, aber nachdem auch dieser mit der Nachricht kam, daß er sie nicht finden könne, entschloß sich der Kerkermeister, die Widerspänstige selbst aufzusuchen.

Er ging gerade nach ihrem Zimmer, er pochte, aber nicht nur daß Niemand öffnete, er erhielt sogar keine Antwort.

Der Schlosser wurde gerufen, die Thüre erbrochen, aber Gryphus entdeckte seine Tochter eben so wenig, als Rosa die Tulpe entdeckt hatte.

Gerade zu dieser Stunde kam das Mädchen in Rotterdam an.

Aus dieser Ursache konnte sie der Kerkermeister eben so wenig in der Küche, im Garten und Keller finden.

Die Wuth des rohen Mannes laßt sich viel leichter denken als schildern, die er an den Tag legte, nachdem er erfuhr, daß seine Tochter gleich einer Bradamente oder Clorinde auf Abenteuer ausgegangen war, ohne vorher nur eine Silbe zu erwähnen.

Den ersten Ausbruch seines unbeschreiblichen Zornes entleerte der Unmensch an dem armen Gefangenen. Er eilte in sein Gefängniß, zertrümmerte alles darin stehende Geräthe, und drohte ihm zugleich außer Schlägen mit dem erbärmlichsten und elendsten Kerkerloche.

Allein Cornelius noch ganz seinem Schmerze und der Verzweiflung hingegeben, ließ sich jede Mißhandlung gefallen, er ertrug sie regungslos, einer Statue ähnlich.

Gryphus setzte sodann seine Nachforschungen fort, er suchte auch Jakob, und nachdem er die Gewißheit von der Entfernung seines besten Freundes hatte, erstand die Idee in ihm, dieser habe seine Tochter entführt.

Rosa war mittlerweile nach zweistündiger Rast von Rotterdam weiter gereist, kam Abends in Delft an und erreichte Harlem vier Stunden nach Boxtels Ankunft.

Obwohl ganz ermattet, unterließ es Rosa nicht, sich unverweilt zu dem Präsidenten der Gartenbaugesellschaft führen zu lassen.

Dieser befand sich gerade in einer Situation, die wir als wahrheitsgetreuer Geschichtsschreiber zu schildern nicht unterlassen dürfen.

Er verfaßte so eben einen Bericht an die gesamte Gesellschaft.

Rosa ließ sich unter ihrem zwar sehr wohlklingenden, aber doch viel zu einfachen Namen, als daß dieser dem Präsidenten bekannt gewesen wäre, anmelden, und wurde in Folge dessen abgewiesen. Eine solche Abweisung war in Holland, der von Dämmen ganz eingeschlossen Provinz ein unwiderruflicher Befehl.

Aber Rosa ließ sich dennoch nicht zurückschrecken, sie hatte nicht mehr einen bloßen Entschluß gefaßt, nein, dieser war bereits zum Gelübde geworden, und hatte in ihr die Absicht befestigt, sich auf keine Art, selbst durch Roheiten nicht abweisen zu lassen.

»Sagt dem Herrn Präsidenten,« sprach sie daher zu dem Diener, »daß ich wegen der schwarzen Tulpe mit ihm reden muß.«

Diese wenigen aber kühnen Worte glichen dem mächtigen Zauberrufe »Sesam öffne dich aus tausend und einer Nacht, denn nunmehr wurden ihr die Thüren anstandlos aufgemacht, und sie trat dem Präsidenten, der sich bereits höflich erhoben hatte, in wenigen Minuten entgegen.

Van Systens war das leibhafte Original der Tulpe. Der lange schmächtige Körper glich dem Stengel, die schlaff herabhängenden Arme dem Doppelblatt dieser Blume, der Kopf dem Reiche, und wenn er sich bewegte, glaubte man eines jener vom Winde hin und her geschaukelten Gebilde vor sich zu haben.

Wie wir bereits zu Anfang des Kapitels und auch im Verlaufe desselben öfter erwähnt haben, er hieß van Systens.

»Mein liebes Kind« rief er freundlich, »Sie kommen bezüglich der schwarzen Tulpe mit mir zu reden.«

Zugleich fühlen wir uns verpflichtet zu bemerken, daß die schwarze Tulpe für den Präsidenten der Gartenbaugesellschaft eine der größten Königinnen war, die in dieser Eigenschaft auch nach Belieben Gesandte halten konnte.

»Ja, ich komme wie Ihr eben sagtet, um über die Blume zu sprechen.«

»Wie geht es ihr?« fragte Systens mit einem ehrerbietigen Lächeln.

»Das weiß ich eben nicht.«

»Ist ihr vielleicht ein Unglück begegnet?«

»Das größte, das sie treffen konnte, aber eigentlich weniger sie, als mich.«

»Also doch ein Unglück?«

»Ja, sie ward mir gestohlen.«

»Euch ward sie gestohlen?«

»Mir, ja, mir mein Herr.«

»Kennt Ihr den Thäter?«

»Ich vermuthe ihn bloß, und wage aus dieser Ursache keine direkte Anklage vorzubringen.«

»Trotz dem Allen könnte man die fatale Angelegenheit doch noch leicht und schnell in Ordnung bringen.«

»Auf welche Art?«

»Wenn die Tulpe gestohlen wurde, so kann sich der Dieb noch nicht weit entfernt haben.«

»Nicht weit entfernt? warum sollte er nicht weit entfernt sein?«

»Da ich erst vor zwei Stunden das Glück hatte sie zu sehen.«

»Wie Herr, ihr habt sie gesehen?« und Rosa stürzte zu des Präsidenten Füßen.

»Gerade so wie ich Euch seht sehe.«

»Wo, wo saht Ihr sie?«

»Bei einem Herrn, dem Ihr wahrscheinlich dient.«

»Dem ich diene?«

»Nun ja, Herr Isaak Boxtel dürfte doch Euer Herr sein.«

»Mein Herr?«

»Muthmaßlich.«

»Aber was glaubt Ihr denn, wer ich bin?«

»Dieselbe Frage richte ich bezüglich meiner Person an Euch.«

»Darauf kann ich gleich antworten, da ich mit Gewißheit voraussetze, vor Herrn van Systens, dem Präsidenten der Gartenbaugesellschaft zu Harlem zu stehen.«

»Ganz richtig. Was wollt Ihr weiter?«

,,Euch nur sagen, daß mir die Tulpe gestohlen wurde.«

»Ihr scheint die Sache nicht recht zu begreifen, und Euch in der Bezeichnung der Personen zu irren; denn wenn die Tulpe gestohlen wurde, so kann dies Unglück nur den Herrn Isaak Boxtel treffen.«

 

»Aber ich kenne ja diesen Boxtel gar nicht, ich schwöre Euch, daß ich seinen Namen zum ersten Male höre.«

»Ihr kennt ihn also gar nicht, dann wart auch Ihr wahrscheinlich im Besitze einer schwarzen Tulpe.«

»Wie, wäre es möglich, gibt es noch eine zweite schwarze Tulpe?«

»Allem Anscheine nach, müßte es die des Herrn Boxtel sein.«

»Was für eine Farbe hat sie?«

»Schwarz, glänzend schwarz.«

»Ganz ohne Fehler?«

»Nicht der kleinste Fehler ist daran.«

»Habt Ihr die Tulpe, steht sie vielleicht schon unter Euerer Aufsicht?«

»Nein, aber sie wird hierher kommen, denn ich muß bevor ihr der Preis zuerkannt wird, an die Gesellschaft den Bericht erstatten.«

»O mein Herr, dieser elende Mensch, der sich für den Entdecker der schwarzen Tulpe ausgibt . . . . . .«

»Ja, der ist es auch —«

»Mein Herr, er muß mager sein —«

»Getroffen.«

»Kahlköpfig.«

»Ja.«

»Mit einem unsteten Blicke?«

»Das kann ich nicht gewiß behaupten.«

»Er geht gebückt, hat krumme Füße und ist immer unruhig.«

»Bei Gott, wem Ihr malen könntet, müßtet Ihr sein Porträt trefflich liefern.«

»Die Blume ist in einem Geschirre von Steingut, blau und weiß, an demselben befinden sich auf drei Seiten gelbliche Blumen, in Form eines Korbes.«

»Das weiß ich nicht, da ich den Topf weniger als den Mann angesehen habe.«

»Ja, ja, alle Zeichen treffen überein, es ist die mir gestohlene Tulpe, und ich komme zu Euch mein Herr, um sie wieder zurückzuerhalten.«

»So, so, ich traue kaum meinen Ohren, Ihr kommt zu mir um die Tulpe zurückzufordern? wahrlich Mädchen, Ihr seid erstaunlich keck und verwegen.«

Rosa war durch diese rauhen Worte ein wenig verlegen gemacht, antwortete aber sogleich:

»Mein Herr, ich fordere nicht Boxtels Tulpe sondern nur Meine.«

»Die Euere?«

»Ja, diejenige, die ich selbst pflanzte und aufzog.«

»So merkt denn auf, mein liebes Kind. Ich werde Euch Herrn Boxtel’s Adresse geben, geht sodann zu ihm in den Gasthof, und schließt einen Kontrakt, oder was Ihr sonst wollt ab; denn die ganze Sache gestaltet sich dem Processe ähnlich, der dem berühmten Könige Salomon vorgelegt wurde. Ich besitze aber keinesfalls die Einbildung, eben so weise, wie jener aburtheilen zu können, und außerdem gebietet mir nur mein Amt, das Dasein der schwarzen Tulpe zu erheben, den Bericht der Gesellschaft vorzulegen, und nach ihrer Entscheidung dem Besitzer sodann den Preis von Einmal hunderttausend Gulden auszubezahlen.«

»O, mein Gott, mein Gott —«

»Dann geb’ ich Euch noch einen guten Rath. Ihr seid jung und vielleicht nicht ganz verdorben. Verfahrt in dieser Angelegenheit mit der größten Vorsicht, denn zu Harlem gibt es Kriminalgerichte und Gefängnisse, und außerdem sind wir im Punkte der Tulpen äußerst heiklich. – Der Herr Boxtel wohnt im weißen Schwan.« Zugleich ergriff der Präsident wieder die Feder und schrieb, ohne sich nach dem Mädchen weiter umzusehen.