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Die Mohicaner von Paris

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Ach! der Holzhauer, der den jungen kaiserlichen Baum zu schütteln anfing, war der Tod, dessen Axt fünf Jahre später ihn so fern von der großen, mächtigen Eiche, welche die Welt mit ihrem Schatten bedeckt hatte, fällen sollte.

Darum hatte sich, die Hand auf der Brust, der arme Verurtheilte des Geschicks einen Augenblick in der ganzen Höhe seiner Gestalt ausgerichtet.

Sodann wurde diese Bewegung bei ihm vielleicht auch hervorgebracht durch ein Geräusch, dumpf wie das Tosen des Donners, das sich nähernd von Wien nach Schönbrunn zu kommen schien und für ruhige Imaginationen nichts Anderes war, als das Geräusch eines Wagens.

Bald verband sich in der That mit dem immer näheren Rollen die doppelte Flamme von zwei Laternen, welche aus der Landstraße rascher zu stiegen schienen, als jene Irrlichter, die aus der Oberfläche der Teiche herumlaufen.

Betroffen zugleich von zweien seiner Sinne, dem Gesichte und dem Gesichte, und vielleicht besser noch unterrichtet durch die Vorgefühle, welche in den jungen Herzen leben, schien der Prinz keinen Zweifel mehr zu hegen, und springend wie ein Schüler, in die Hände klatschend wie ein Kind, rief er mehrere Male, als ob er Jemand sein Glück anvertraut hätte, und zwar in französischer Sprache, dem Einzigen, was er von Frankreich behalten hatte:«

»Sie ist es! Gott sei gelobt, sie ist es!«

XCVIII
Julie bei Romeo

Einen Augenblick hätte man glauben können, der junge Mann sei in seiner Erwartung getäuscht worden, und der Wagen halte nicht beim Schlosse an. Aus der Straße von Hitzing herbeikommend, fuhr er an den Nebengebäuden hin und verschwand aus der Seite von Meidling.

Doch der Prinz ließ sich offenbar nicht durch diese verstellte Gleichgültigkeit bethören, denn er schloß rasch das Fenster, von welchem aus man die Straße überschaute, durchschritt seinen Salon und sein Schlafzimmer, – dasselbe, das Napoleon 1809 bewohnt hatte, – und lehnte seine, plötzlich von einer lebhaften Rothe gefärbte, Stirne an die Glasscheibe eines aus die Gärten gehenden kleinen Boudoir an. Er war hier ungefähr seit zehn Minuten, als die Thüre des Privatgartens vom Kaiser sich öffnete, und er beim Mondscheine zwei Personen dem Palaste sich nähern und unter dem Gewölbe, wo die Gesindetreppe anfängt, verschwinden sah.

Ohne Zweifel waren diese zwei Personen, obgleich sie ihrer Kleidung nach den niedrigen Klassen der Gesellschaft angehörten, diejenigen, welche der Prinz erwartete; denn diesmal, – wie er es schon bei der Ankunft des Wagens, das Fenster des Salon verlassend, um zu dem des Boudoir überzugehen, gethan hatte, – diesmal verließ er das Fenster des Boudoir, um zur Treppenthüre zu laufen.

Hier hielt er sein Ohr an die Thüre und horchte aufmerksam.

Es vergingen einige Secunden, während welcher er in völliger Unbeweglichkeit, der Bildfäule der Erwartung ähnlich, verharrte; dann belebte sich sein Gesicht durch ein reizendes Lächeln: er hörte das Geräusch eines leichten Trittes, der die Treppe herausstieg, und ohne Zweifel erkannte er diesen Tritt so gut, daß er nicht wartete, bis man die letzten Stufen erreicht hatte, sondern rasch die Thüre öffnete und mit dem Rufe: »Rosenha! theure Rosenha!« beide Arme ausstreckte, in die sich eine in die malerische Tracht der Tyroler Mädchen gekleidete Frau warf.

Trotz dieser Tracht war es wohl die hübsche Beneficiantin, die uns einer Peri ähnlich aus der Scene des kaiserlichen Theaters in Wien erschienen ist; der wir von der Scene in ihre Loge gefolgt sind, und die wir von ihrer Loge, aus der Mitte ihrer Hofmacher, im starken Trabe ihrer Pferde, nach der Seilerstätte, wo ihr Hotel lag, haben zurückkehren sehen.

Doch nicht um von den Anstrengungen des Abends auszuruhen, war die schöne Tänzerin in ihre Wohnung zurückgekehrt; denn kaum in ihrem Ankleidecabinet angelangt, als ob die Menge, die ihr im Theater Beifall geklatscht, sie noch erwartete und sie, gedrängt durch eine Verwandlung, ihre Entrée zu verfehlen befürchtete, hatte sie behende ihren Kaschemir-Hausrock abgeworfen, und mit Hilfe ihrer Kammerfrau nicht minder behende die bewunderungswürdige Tracht einer Tyroler Bäuerin angezogen; wonach sie durch die zwei Zimmer gelaufen. war, die sie von der Gesindetreppe trennten, denn sie wählte diesen Weg, aus Furcht, wenn sie sich über den Platz wegbegebe, könnte sie von Einigen ihrer Anbeter bemerkt werden, welche sich, beharrlicher als die Andern, als Schildwachen vor ihrem Hotel ausgepflanzt hätten und, sähen sie sie zu einer solchen Stunde ausgehen, nicht verfehlen würden, ihr zu folgen, um zu erfahren, wohin sie gehe. – Sagen wir, daß ihre Furcht gegründet war, und daß einige Wagen unter den Fenstern des Hotels stationierten. Doch besorgt für das Glück ihrer Hofmacher, hatte Rosenha die Vorsicht soweit getrieben, daß sie ihr Schlafzimmer, dessen Fenster aus die Straße gingen, hatte beleuchten lassen; so daß die Erfrorensten, Dank sei es der den Verliebten eigenthümlichen Einbildungskraft, die Kälte vergessen konnten, indem sie sich in den Strahlen wärmten, welche durch die Glasscheiben, in den Zwischenräumen der schlecht geschlossenen Vorhänge, drangen.

Unten an der Gesindetreppe, ein paar Schritte von einer Hinterthüre, die nach einem Gäßchen ging, wartete der Wagen von Rosenha, welchen nicht auszuspannen der Kutscher Befehl erhalten hatte.

Aus dem Sitze des Wagens lag ein mit Pelz gefütterter Mantel bereit, in den das zierliche Mädchen sich wickelte, wie ein Vogel in die Watte seines Nestes.

Wir wissen, wie dieser, so ungeduldig erwartete, Wagen im Angesichte von Schönbrunn ankam und sich, ohne anzuhalten, gegen Meidling wandte.

Hundert Schritte Jenseits eines kleinen vom Obergärtner des Palastes bewohnten Hauses hielt er an; doch so rasch er vorbeigefahren war, die Thüre dieses Hauses hatte sich beim Geräusche seiner Räder geöffnet, und ein Kopf war durch die Oeffnung geschlüpft. Bemerken wir schleunigst, daß dieser Kopf nicht, wie man hätte befürchten können, der eines, um die jungen Leute zu denunzieren, lauernden Spions war, sondern im Gegentheile der eines Dieners, welcher, bereit den zwei Liebenden in ihrem Liebesverhältnisse beizustehen, wartete.

Rosenha sprang rasch aus dem Wagen, lief leicht und still wie ein Nachtvogel nach dem Hause, an dem sie vorbeigefahren war, stürzte durch die Thüre, die sich, so wie sie näher kam, wie durch eine Feder öffnete und sich wie durch eine Feder wieder hinter ihr schloß, sobald sie die Schwelle überschritten hatte.

»Geschwinde! geschwinde! mein lieber Hans!« sagte sie deutsch zu demjenigen, welcher sie erwartete; »ich bin aufgehalten worden; es ist später als gewöhnlich; der Prinz muß ungeduldig werden. Beeilen wir uns!«

Und sie warf ihren Pelz ab und schob am Arme den dicken Oesterreicher fort, der diese halb französische, halb spanische Wuth durchaus nicht begriff.

»Ah! mein Fräulein, nehmen Sie sich in Acht!« sagte er; »Sie werden frieren.«

»Vor Allem erinnern Sie sich wohl, mein lieber Hans, daß ich nicht mein Fräulein bin: ich bin Ihre Nichte . . . weshalb ich nicht an Ihrem Anne einen Pelz von blauem Fuchs behalten kann. Sodann bin ich Tänzerin und nicht Sängerin: es liegt mir wenig daran, daß ich den Schnupfen bekomme! woran mir aber ungeheuer viel liegt, das ist, daß ich den Prinzen nicht warten lasse, denn er könnte wohl den Schnupfen bekommen . . . Nehmen Sie also die Schlüssel von allen Ihren Thüren, von allen Ihren Gittern, von allen Ihren Orangerien, und kommen Sie, mein lieber Oheim!«

Hans schlug ein gewaltiges Gelächter auf, nahm seine Schlüssel und setzte sich in Marsch.

Aus den Arm ihres Oheims gestützt, durchschritt Rosenha rasch den Privatgarten des Kaisers und trat in den Park ein.

In diesem Momente, nachdem er sie einen Augenblick aus dem Gesichte verloren, hatte sie der junge Mann wieder erscheinen sehen und war vom Fenster des Boudoir an die Treppenthüre gelaufen.

Als Obergärtner hatte Meister Hans nicht nur im Parke, dessen Schlüssel ihm anvertraut waren, sondern auch im Schlosse seine große Entrees. Nie wäre es einer Schildwache eingefallen, das Bajonnet vor Meister Hans zu kreuzen, und sobald sie einmal an seinem Arme war, genoß natürlich die Nichte die dem Oheim bewilligten Privilegien.

So war Rosenha bis zur Wohnung des Herzogs gekommen, wo sie rasch die Arme, die sich bei ihrer Annäherung geöffnet hatten, fortzogen. – Hans, der mit dem ernsten Schritte, welcher sich für den Obergärtner eines kaiserlich österreichischen Parkes geziemt, heraufstieg, die Sorge überlassend, die Thüre wieder zu schließen und sich im Vorzimmer festzusetzen, wie es ihm gutdünkte.

Immer sich umschlungen haltend und sich drehend wie zwei vom Tanze und der Liebe berauschte Walzertänzer, sanken die zwei schönen jungen Leute aus ein großes Canape, das ein Zwischenmöbel der Fenster des Schlafzimmers vom Prinzen bildete; nur sank der junge Mann bleich und erschöpft vor Aufregung nieder, während das Mädchen derselben Bewegung folgte, jedoch keuchend vor Glück und voll Leben.

Beim Scheine der aus dem Kamine brennenden Candelaber gewahrte sie die Blässe und die Schwäche ihres Geliebten; sie umschlang ihn noch enger mit ihren Armen und rief, indem sie ihn an allen Stellen aus die Stirne küßte, als wollte sie die aus dieser Lilie perlenden Thautropfen einsaugen:

»Oh! mein geliebter Herzog! was haben Sie denn? . . . Sind Sie krank? Leiden Sie?«

»Nein, nein, ich leide nicht mehr, da Du hier bist, Rosenha,« erwiderte der junge Mann; »doch Du hast lange gesäumt, und ich liebe Dich so sehr!«

»Heißt es mich lieben, theure Hoheit, so Ihre kostbare Gesundheit, die schädliche Nachtlust einathmend. aufs Spiel setzen? und haben Sie mir nicht hundertmal versprochen, Sie wollen mich nicht mehr aus diesem verdammten Balcon erwarten?«

»Ja, ich habe das geschworen. Rosenha, und ich fange immer damit an, daß ich Dir Wort halte . . . Um elf Uhr bin ich diesseits der Fenster; kämst Du um elf Uhr, so würdest Du mich hier finden.«

 

»Um elf Uhr? Sie wissen wohl, Hoheit, daß um diese Stunde das Ballet kaum beendigt ist.«

»Allerdings weiß ich das; doch um elf Uhr warte ich schon einen Tag und manchmal zwei Tage! Um halb zwölf Uhr lege ich auch die Hand an das Spaniolett; um Mitternacht öffne ich das Fenster, und, was willst Du? ich werde ungeduldig und klage Dich an, bis ich das Rollen Deines Wagens höre.«

»Und dann . . . ?« fragte lächelnd das Mädchen.

»Und dann klage ich Dich nicht mehr an; ich bleibe aber immer ungeduldig, bis ich Dich an der Thüre des englischen Gartens erscheinen sehe.«

»Und dann . . . ?« fragte sie mit einer naiven Coquetterie.

»Und dann höre ich das Geräusch Deiner Tritte, das in der Tiefe meines Herzens wiedertönt; ich öffne die Thüre, ich öffne die Arme! . . . «

»Und dann . . . ?«

»Und dann bin ich so glücklich, Rosenha,« vollendete der Prinz mit einer gebrochenen, wie die eines kranken Kindes sanften Stimme; »und dann bin ich so glücklich, daß es mir scheint, ich werde sterben!«

»Mein schöner Prinz!« rief das Mädchen, freudig und stolz, die Liebe zu fühlen, die sie einflößte.

»Heute Abend erwartete ich Dich nicht,« sagte der Herzog.

»Sie hielten mich also für todt?«

»Rosenha!«

»Ah! Hoheit, sollten Sie zufällig, weil Sie Prinz sind, die Prätension haben, Rosenha besser zu lieben, als Rosenha Sie liebt? Mir gilt es gleich, denn ich erkläre Ihnen zum Voraus, daß ich Ihnen in diesem Punkte nicht nachstehen werde!«

»Du liebst mich also sehr?« fragte der junge Mann, der mit Anstrengung und zum ersten Male seit dem Eintritte der Tänzerin seinen gepreßten Athem zu bezwingen vermochte. »Oh! sage mir dies so nahe, daß ich Deine Worte einathmen kann! sie geben mir Luft, sie werden mir wohlthun.«

»O Kind! Sie fragen mich, ob ich Sie liebe? Man sieht, daß Ihre Polizei minder gut ist, als die Ihres erhabenen Großvaters, sonst würden Sie eine solche Frage nicht an mich richten.«

»Rosenha, man macht solche Fragen nicht immer, weil man zweifelt; man macht sie oft, damit man antworte: ›Ja! ja! ja!‹

»Nun wohl, ja, ich liebe Sie, mein schöner Herzog! Sie erwarten mich, Sie werden ungeduldig, wenn ich säume; Sie zweifeln, wenn ich nicht komme . . . Glauben Sie, Hoheit, ich könnte einen Tag sein, ohne Sie zu sehen? Sind Sie nicht mein einziger Gedanke, mein unablässiger Traum, mein ganzes Leben? vergehen alle Stunden meiner Tage, bin ich fern von Ihnen, nicht damit, daß ich Ihr süßes Bild anschaue, Ihr theures Andenken anbete? . . . Wie konnten Sie wähnen, ich werde heute Abend nicht kommen?«

»Ich habe es nicht gedacht, ich habe es befürchtet.«

»Böser! hatte ich Ihnen nicht für Ihren kostbaren Strauß zu danken? Den ganzen Tag dachte ich nur an den Augenblick, wo ich ihn empfangen werde, und ich athmete seinen Duft ein, ehe ich ihn in den Händen hatte!«

»Und wo ist er?« fragte der Prinz.

»Wo er ist? . . . Eine schöne Frage!« sagte Rosenha, indem sie ihn ganz verwelkt, aber noch ganz duftend aus ihrer Brust zog; »hier ist er!«

Und sie küßte zärtlich den Strauß, der Prinz entriß ihn aber ihren Händen, um ihn auch zu küssen.

»Oh! mein Strauß! mein Strauß!« rief das Mädchen.

Der Prinz gab ihn zurück.

Rosenha schaute ihn an und sagte mit einem köstlichen Lächeln:

»Nicht wahr. Sie haben ihn selbst gepflückt?«

Der Prinz wollte verneinend antworten.

»St! schweigen Sie!« rief Rosenha; »das ist Ihre Art, die Blumen zu vermählen: ich habe sie erkannt. Ich sah Sie von dort, von Wien, umherlaufen, um diese schönen Veilchen in den Gewächshäusern, welche an die Menagerie angränzen, zu finden. So wie Sie zwei pflückten, legten Sie dieselben auf ein Moosbett, aus Furcht, die Wärme Ihrer Hände könnte ihnen ihre Frische benehmen . . . Und. weil hiervon die Rede ist . . . mir scheint, Ihre Hände sind so glühend!«

»Nein, nein, sei unbesorgt; ich habe mich nie so wohl befunden.«

»Haben Sie es so gemacht? Sprechen Sie!«

»Ja.«

»Oh! mein geliebter Herzog, mit welchem Blicke habe ich auch diese Blumen verschlungen! mit welchen Küssen habe ich sie bedeckt!«

»Theure Rosenha!«

»Mein schöner Herzog, wenn ich sterbe, so ist es mein Wille, daß Sie aus das Kissen, aus welchem mein Kopf ruhen wird, zwei Veilchenbüschel legen: es wird mir dann scheinen, Sie schauen mich die Ewigkeit hindurch mit Ihren zwei großen blauen Augen an.«

So sich umschlingend, jung, schön, verliebt, plaudernd, poetisch, waren die zwei Kinder, – denn das Mädchen zählte kaum ein paar Monate mehr als der junge Mann, – sie waren, sagen wir, reizend anzuschauen; – und sie sehend hätte man sich sicherlich der anmuthreichsten Scenen der Dichter, welche die Liebe besungen, erinnert; man hätte aber vorzüglich an Romeo und Julie gedacht. Man hätte ihre von den rosigen Wolken der Morgendämmerung erleuchteten Stirnen zu sehen geglaubt, und sich gefragt, ob es der Gesang der Nachtigall oder der der Lerche sei, den man in den Gärten von Schönbrunn hören werde.

Der Anblick der Liebe macht an den ewigen Frühling glauben!

XCIX
Eifersucht

Plötzlich verdüsterte sich die Stirne des jungen Mannes.

Seine Augen hatten sich aus das um den Arm des Mädchens geschlungene diamantene Bracelet geheftet, und waren von diesem Bracelet auf den am Gürtel von Rosenha hängenden Bisamsack übergegangen.

Der Prinz gab einen scharfen Schrei von sich und drückte seine Hand an seine Brust, als hätte er einen Nadelstich ins Herz bekommen.

Rosenha verdoppelte ihre Zärtlichkeit und ihre Schmeicheleien; doch die Miene ihres Geliebten blieb sorgenvoll.

Sie lächelte indessen fortwährend, obschon sie diesen schwachen Schrei gehört, obschon sie diese gefaltete Stirne gesehen hatte.

Endlich schien sie sich zu entschließen, die Frage in Angriff zu nehmen,

»Sie haben da aus dieser schönen Stirne,« sagte sie, indem sie mit ihren zarten Fingern über den Platz strich, den sie bezeichnete; »Sie haben da einen Gedanken, den Sie mir verbergen, mein geliebter Prinz! doch für mich ist er so sichtbar aus Ihrer Stirne, als ein Unkraut in einem Rosenfelde.«

Der Herzog athmete beschwerlich.

»Lassen Sie hören.« fuhr Rosenha fort, »was für ein Gedanke ist es? Sagen Sie es mir.«

»Rosenha.« antwortete der Prinz, »ich bin eifersüchtig.«

»Eifersüchtig,« versetzte Rosenha mit einer reizenden Coquetterie. »Nun wohl, bei meinem Worte, ich vermuthete es.«

»Ah! Sie sehen wohl!«

»Eifersüchtig!« wiederholte Rosenha,

»Ja. eifersüchtig.«

»Und aus wen, mein lieber Herr?«

»Einmal bin ich eifersüchtig aus Jedermann im Allgemeinen.«

»Das heißt aus Niemand eifersüchtig sein.«

»Und aus Jemand insbesondere.«

»Auf den guten Gott also, denn ihn ausgenommen liebe ich nur Sie.«

»Nein, Rosenha, auf ein menschliches Geschöpf.«

»Dann ist es aus Ihren Schatten, Hoheit.«

»Scherzen Sie nicht mit einem Schmerze, Rosenha.«

»Mit einem Schmerze? Ihre Eifersucht geht bis zum Schmerze? . . . Oh! wenn es so ist, machen wir rasch, daß sie aufhört! Sagen Sie, wer ist die Person?«

»Sie war heute Abend im Theater.«

»Ah! ja, das ist wahr: heute Abend im Theater, mein vielgeliebter Herr, hatten Sie einen Nebenbuhler.«

»Sie geben es zu?«

»Einen Nebenbuhler, von dem ich eine Liebeserklärung in aller Form erhalten habe.«

»Und der Name dieses Nebenbuhlers, Rosenha?«

»Es ist das Publicum. Hoheit.«

»Oh!« sagte der Prinz mit einer kleinen Bewegung übler Laune, »ich weiß wohl, Rosenha, daß die ganze Stadt in Sie verliebt ist . . . Aber hören Sie mich an. Es handelt sich um einen Mann, der sie mit so leidenschaftlichen Augen anschaute, daß es mir wahrhaftig ein gewisses Vergnügen gemacht hätte, mit diesem frechen Menschen Streit zu suchen!«

Rosenha lächelte.

»Ich wette,« sagte sie, »Sie meinen den Indier, Hoheit?«

»Ganz richtig! ich meine diesen Menschen, der sich in seiner Loge so unverschämt breit machte.«

»Sehr gut, sehr gut, Hoheit! Fahren Sie fort, ich höre.«

»Oh! spotte nicht, Rosenha! denn ich bin im Ernste eifersüchtig auf ihn . . . Er ist nicht einen Moment von der Secunde, wo Du in Scene tratst, mit den Augen von Dir gewichen, indem er während der Oper der Vorstellung beizuwohnen schien, um Dich in jeder Loge zu suchen.«

»Nur um mich zu suchen? Sind Sie dessen sicher?«

»Und Du, böses Mädchen, wenn Du mich anzuschauen aufhörtest, so geschah es, um die Augen diesem Nabob zuzuwenden . . . Als Du wieder erschienst, welches königliche Geschenk warf er Dir auch zu, dieser Raja von Lahore?«

»Sie können darüber urtheilen, Hoheit,« erwiderte Rosenha. indem sie ihr Handgelenk bis zur Höhe der Augen des Prinzen emporhob.

»Oh! ich habe die Diamanten wohl erkannt! sie haben mich bis in meine Loge geblendet! . . . Armer kleiner Veilchenstrauß, wie elend sahst du gegen sie aus?«

»Wo war der Veilchenstrauß, Hoheit?«

Der Herzog lächelte ebenfalls.

»Wo sind die Diamanten?«

»Warum sind die Diamanten nicht bei Dir in Deiner Wohnung?«

»Weil ich sie nicht von dem Beutel, der sie begleitete, trennen wollte.«

»Warum ist dieser Beutel an Deiner Seite?«

»Weil er einen Brief enthält.«

»Von diesem Menschen?«

»Ja, Hoheit, von diesem Menschen.«

»Er hat es gewagt, Dir zu schreiben, Rosenha? . . . Oh! laß mich nicht länger leiden! Hattest Du ihn vor diesem Abend gesehen? kennst Du ihn? . . . Liebst Du ihn? liebst Du ihn?«

Diese letzten Worte wurden mit einem solchen Ausdrucke von Leiden ausgesprochen, daß sie in der Tiefe des Herzens der schönen Tänzerin wiederhallten.

Ihr Gesicht nahm eine Miene des Ernstes an, und den scherzhaften Ton verlassend sagte sie:

»Alles ist ernst bei Ihnen, Franz, und ich hätte ein schlechtes Herz, würde ich noch länger über die Pein lachen, die Ihnen dieser Verdacht verursachen konnte. Ich kenne oder ich errathe vielmehr, mein lieber Herzog, alle Traurigkeiten, welche der am mindesten begründete Argwohn veranlassen kann; ich will also diesen so rasch als möglich aus Ihrem Herzen entfernen. Ja, Franz, dieser Mann hat mich den ganzen Abend angeschaut . . . Schaudern Sie nicht so; warten Sie, bis ich geendigt habe . . . Doch glauben Sie mir, in dem Blicke dieses Mannes hätte sich eine Frau nicht eine Minute getäuscht; dieser Blick war nicht der leidenschaftliche Blick der Liebe; es war der demüthige, flehende Blick der Freundschaft.«

»Aber er hat Dir geschrieben, er hat Dir geschrieben, Rosenha! Du hast es mir so eben gesagt, Du hast es mir selbst gestanden!«

»Ja, allerdings, er hat mir geschrieben!«

»Und Du hast seinen Brief gelesen?«

»Zuerst zweimal, Hoheit; sodann ein drittes Mal.«

»Oh! was würdest Du dann mit einem Briefe von mir machen?«

»Einen Brief von Ihnen, mein Herzog, lese ich nicht einmal, ich lese ihn nicht zweimal, dreimal: ich lese ihn immer!«

»Verzeih’ mir, Rosenha, doch der Gedanke, daß ein Mann es wagt, Dir zu schreiben, schon dieser Gedanke allein macht mein Blut kochen.«

»Ehe Sie wissen, aus welchem Grunde dieser Mann mir schreibt, armer Narr!«

»Narr, so lange Du willst, Rosenha, ich leugne es nicht; ja, Liebesnarr! . . . Höre, theures Mädchen meines Herzens, mache mich nicht länger unglücklich! Meine Brust ist beklemmt, als ob keine Lust mehr in diesem Zimmer wäre.«

»Sagte ich Ihnen nicht, ich habe seinen Brief mitgebracht?«

»Ja.«

»Nun wohl, wenn ich ihn mitgebracht habe, so ist es geschehen, um Sie denselben auch lesen zu lassen.«

»So gib ihn mir!« rief der Prinz.

Und er streckte die Hand gegen den duftenden Beutel aus.

Das Mädchen ergriff diese Hand und küßte sie, zärtlich.

»Ja, allerdings, ich will Ihnen den Brief geben,« sagte sie; »doch ein solcher Brief soll nicht von einer wüthenden, eifersüchtigen Hand genommen werden.«

»Sage mir, wie ich ihn nehmen muß; aber um Gotteswillen gib mir den Brief, Rosenha, wenn Du mich nicht willst sterben sehen!«

Doch statt den Brief dem Prinzen zu geben, legte Rosenha nach und nach die Hand aus das Herz und aus die Stirne des jungen Mannes, wie es ein Magnetiseur bei dem Gegenstande thut, der ihm unterworfen ist.

»Beruhige dich, kochendes Herz!« sprach sie; »kühle dich ab, entstammte Stirne!«

Sodann niederknieend:

»Nicht mehr an meinen geliebten Franz wende ich mich; mit Napoleon, König von Rom. wünsche ich zu sprechen.«

Der junge Mann richtete sich rasch in der ganzen Höhe seiner Gestalt auf und fragte:

 

»Was sagst Du, Rosenha, und mit welchem Namen nennst Du mich?«

Rosenha blieb aus den Knieen.

»Ich nenne Sie mit dem Namen, den Sie vor den Menschen und vor Gott empfangen haben, Sire! und ich übergebe im Auftrage eines der bravsten Generale Ihres erhabenen Vaters diese demüthige Bittschrift Eurer Majestät,«

Und, immer aus den Knieen, zog das Mädchen aus dem wohlriechenden Beutel den Brief, den er enthielt, und überreichte ihn dem jungen Prinzen.

Dieser nahm ihn mit Zögern

»Rosenha,« sagte er, »Sie versichern mir, daß ich den Brief lesen kann?«

»Sie können dies nicht nur, Sire, sondern Sie müssen es,« erwiderte das Mädchen.

Der Herzog wischte mit seinem Sacktuche den Schweiß ab. der von seiner bleichen Stirne floß, entfaltete den Brief und las mit leiser, zitternder Stimme:

›Meine Schwester . . . ‹

»Seine Schwester! . . . Dieser Mensch ist also Ihr Bruder, Rosenha?«

»Lesen Sie, Sire!« sagte das Mädchen, das immer aus den Knieen blieb und dem Prinzen fortwährend seinen königlichen Titel gab.

Der Prinz las weiter:

›Die Indier, indem sie Lachme, der Göttin der Güte, die lieblichen Umrisse, die unaussprechliche Anmuth, das zauberhaft Verführerische der Schönheit geben, wollten durch diese Idee ausdrücken, Keine sei gut, ohne schön zu sein, wie Keine schön sei, ohne gut zu sein.

›Die Schönheit des Gesichtes ist, nach den Dichtern, nur der natürliche Reflex, der Seelengüte. Und darum habe ich, als mir die Glückseligkeit zu Theil wurde, Ihr schönes Gesicht zu betrachten, durch diese Schönheit, wie durch einen klaren Kristall, die Schätze der Güte Ihres Herzens entdeckt . . . !‹

Der Herzog unterbrach sich im Lesen; die paar Zeilen, die er gelesen, waren nur ein Complimentenvorspiel, das ihn über den Sinn des Briefes noch unentschieden ließ . . . Er schaute das Mädchen an, als wollte er eine Erklärung von ihm verlangen.

»Ich bitte, fahren Sie fort,« sagte Rosenha.

Der Herzog fuhr fort.

›Wir hegen Beide, meine Schwester, für denselben Mann, oder vielmehr für dasselbe Kind, die gleiche Zärtlichkeit, die gleiche Liebe, die gleiche Ergebenheit. Diese Gemeinschaft der Zuneigung gründet, so fremd wir einander auch dem Anscheine nach sind, eine heilige Geschwisterschaft, um deren Vorrechte ich in Demuth bitte.

›Eines von diesen Vorrechten, das erste, das kostbarste von allen, ist, von ihm mit Ihnen so oft und so lange, als es mir möglich wäre, zu sprechen, mit Ihnen bei diesen Zusammenkünsten, um die ich Sie im Namen dessen, was es Heiligstes in der Welt gibt: – eine Ueberzeugung und eine Ergebenheit, – ersuche, von seiner Gesundheit zu sprechen, die mich erschreckt, von seiner Zukunft, die ich fürchte, von seiner Gegenwart, die mir das Herz bricht! mit Ihnen einen Ausgang für dieses Leben zu suchen, welches das Verhängniß untergraben zu haben scheint; mich gemeinschaftlich mit Ihnen anzustrengen, um Alles nicht nur für sein Glück, sondern auch für seinen Ruhm zu thun.

›Das ist seit seines Vaters Tode mein geheimer Gedanke, mein einziges Ziel, meine äußerste Hoffnung. Um zu ihrer Verwirklichung zu gelangen, habe, ich Meere durchschifft, habe ich die halbe Welt durchreist, werde ich die andere Hälfte durchreisen, auf die Gefahr, zwanzigmal mein Leben aus dem Wege zu lassen, den ich zu durchlaufen haben werde, ehe ich zu ihm gelange.

›Sie begreifen aber, meine Schwester, daß ich in einer großen Absicht gekommen bin.

»Viertausend Meilen von hier, wenn ich nichts mehr selbst für mich zu wünschen hatte, machte ich für ihn den Traum, den Namen Franz in den Namen Napoleon zu verwandeln. Lassen Sie mich also hoffen, daß ich, von Ihnen unterstützt, die Krone des Vaters wieder aus die Stirne des Sohnes setzen werte. Ich habe den festen, den unerschütterlichen Willen hierzu, und wenn es, um ihn wieder aus den Thron Frankreichs zu bringen, nur die Arme von einer Million Menschen braucht, so habe ich das Mittel, sie zu finden.

›Ein Mann, der seinem Vater in seine doppelte Verbannung, zuerst nach der Insel Elba und sodann nach St. Helena, gefolgt ist, ein Mann, der kommt, um mit ihm von seinem Vater im Austrage seines Vaters zu reden; ein Mann, dessen Name vielleicht bis zu ihm gelangt ist, trotz der Gefangenschaft, in der man ihn hält; ein Mann, dessen Name das Symbol der Treue und der Ergebenheit ist, Gaëtano Sarranti, mein Gefährte, mein Freund, derjenige, welcher zu meiner Rechten sitzt, kennt alle meine Pläne. Ihn beauftrage ich, den Prinzen davon zu unterrichten; er wird thun, was ich nicht thun kann, ich. dessen Schritte bespäht werden. Erlangen Sie für ihn eine Zusammenkunft, und diese Zusammenkunft sei ohne Zeugen, nächtlich, geheim.

›Es handelt sich, verstehen Sie wohl, nicht um unsere Köpfe, – das wäre nichts, wir thun nur unsere Pflicht, wenn wir sie bei diesem furchtbaren Spiele der Verschwörungen einsetzen, – sondern um die Zukunft des Königs von Rom, um das Glück von Napoleon II.

›Wir sagen Ihnen nicht: – Suchen Sie uns das Mittel, uns beim Prinzen einzuführen; – dieses Mittel haben wir. Wir sagen Ihnen: der Prinz willige ein, Herr Sarranti zu empfangen, und morgen zur selben Stunde, wo der Prinz diesen Brief liest, wird Herr Sarranti bei ihm sein. —

›Bitten Sie den Prinzen um Erlaubniß. mich morgen, meine Schwester empfangen zu dürfen, um mir seine Antwort zu geben, und wird mir die Erlaubnis, bei Ihnen zu erscheinen gewährt, so heben und halten Sie, nachdem Sie die Vorhänge am dritten Fenster des linken Flügels vom Schlosse, der nach Meidling sieht, aus einander gethan haben, dreimal eine Kerze an diesem Fenster; ich bedarf keiner andern Nachricht.

›In Erwartung dieser Antwort, auf die wir mehr Gewicht legen, als ein zum Tode Verurtheilter aus die Kunde von seiner Begnadigung, danke ich Ihnen, o meine Schwester, und umarme Sie brüderlich.

›Der General Graf Lebastard de Premont.

›N.S. Eine letzte Empfehlung meiner Schwester: der Prinz weiß, von welcher, vielleicht unsichtbarer, sicherlich aber reeller Ueberwachung er umgeben ist; Sie vermöchten ihn also nicht zu sehr, zur größten Vorsicht zu ermahnen. Er braucht sich Niemand in der Weit anzuvertrauen, als Ihnen und uns, anvertrauen folglich nicht einmal dem Gärtner, dessen Sie sicher zu sein glauben und der Sie jeden Abend bei ihm einführt.‹

Der Herzog von Reichstadt erhob das Haupt: das war Alles.

Es hatte indessen die Stimme des jungen Prinzen, so wie er gegen das Ende des Briefes vorrückte, einen Ton angenommen, der bezeichnete, in welchem Grade diese Lesung Eindruck auf ihn machte; als er aber zur Unterschrift kam, konnte er sich eines Schreis nicht erwehren: dieser Name Lebastard de Premont war zwanzigmal in seiner Gegenwart als der eines der tapfersten Generale der Napoleonischen Periode ausgesprochen worden.

Rosenha aber, welche, die Hände gefaltet, während dieser ganzen Lesung vor dem Prinzen aus den Knieen geblieben war, fühlte über ihre Wangen zwei stille Thränen fließen, beim rührenden Gedanken an dieser zwei Männer feste, ergebene Herzen, welche aus der Tiefe Indiens kamen, um eine Zusammenkunst mit dem Sohne ihres ehemaligen Herrn zu haben, Alles vergessend: die inquisitorischen Maßregeln, welche von den Männern des Bundes genommen worden waren, die unter allen Formen in Europa ausgestreute willkürliche Polizei und besonders zu jener Zeit die unbeugsame Strenge, welche die österreichische Regierung gegen jeden Menschen anwandte, der mit dem Kaiser Napoleon verkehrt hatte.

Sie schauerte unwillkürlich, wenn sie bedachte, daß dieser Mann, den sie frei, reich, glänzend in seiner Loge, wie eine indische Gottheit in ihrem Allerheiligsten gesehen hatte, aus die Bekanntmachung dieses Briefes, den er ihr vor den Augen von zweitausend Personen zugeworfen hatte, verhaftet und in einen schwarzen Kerker des Spielbergs abgeführt werden könnte.

Und was sie besonders tief rührte, die schöne Frau mit dem reinen, glühenden, edlen Herzen, das war das Vertrauen, das die zwei Männer in sie, eine arme Paria der Gesellschaft, eine arme Beladine des Theaters gesetzt hatten.

Sie schwur auch leise, dieses Vertrauen anzuerkennen und mit ihrer ganzen Macht die Pläne der zwei Männer zu unterstützen.